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Rezensionen

Seyfried & Ziska: Die Comics. Alle!

HanfBlatt Nr. 108

Das ist doch mal ein Angebot. Anstatt durch Comic-Läden zu laufen oder im Internet wild zu sammeln kauft man nur ein Buch, die Bibel, sozusagen. Das gibt es preiswert bei Zweitausendeins: Den ganzen Seyfried und die volle Ziska. Die Comics. Alle! 700 Farbseiten, 3 kg schwer. Ein Juwel.

Wer über dieses Jubelpersertum staunt, der sei aufgeklärt: Mit Gerhard Seyfried begann die Geschichte des deutschen Underground-Comics. Kein anderer hat die alternative Szene und ihre grün uniformierten Widersacher treffender aufgespießt, kein anderer wurde öfter kopiert. Heute wie damals zieren seine Karikaturen und Parolen Flugblätter, Hauswände und die sanitären Anlagen in Kneipen. Seine Zeichnungen haben eine ganze Generation zum Lachen gebracht, ihm etliche Anzeigen und Gerichtsverhandlungen eingetragen und sind das wohl lustigste Kulturgut der Außerparlamentarischen Opposition.

Das Lesen seiner Comics ist bis heute immer auch ein Trip in visuell hochaufgelöste Kleinigkeiten und illusionäre Sprachspiele. So gibt es im Sammelband herrliche, zweiseitig-großformatige Kunstwerke zu bestaunen, in denen man sich gänzlich verlieren kann: Das ist psychedelische Feinstarbeit, die Seyfried durchaus an die Seite von Jean Giraud aka „Moebius“ stellt.

Aber weiter in der Historie: Als 1989 Rest- und Rost-Berlin wiedervereinigt wurden, antwortete der als bester deutscher Comiczeichner gewürdigte Max-und-Moritz-Preisträger Seyfried mit einem furiosen Nachwende-Comic („Flucht aus Berlin“). Später tat er sich mit der Zeichnerin Ziska Riemann zusammen, die mit ihr zusammen verfasste „Future-Subjunkie“-Serie waren ein Bruch mit seinen klassisch-buntwitzigen „Seyfrieds“, aber nicht weniger politisch – sie waren nur radikaler, härter. Man wollte zeigen, wo es hinführt, wenn nichts passiert, wie die Welt kaputtgemacht wird, die Gefühle absterben und die Natur zerstört wird. In vorerst letzten gemeinsamen Band der beiden, „Starship Eden“, dominiert wieder der (bösartige) Humor. Nazis und Faschisten werden gründlich verarscht.

Der Comicband setzt eine gewisse psychische Robustheit voraus: Teddybären werden verstümmelt und Autoritäten verlacht, ganze Inseln werden mit Tusche geschwärzt, der Cyberspace schlägt zurück, und Außerirdische ziehen unsere Zukunft durch den Kakao.

Die meisten der Alben sind längst vergriffen und unter Sammlern heiß begehrt. Besondere Schmankerl in dem Prachtband sind ein seltenes „Freak-Brothers“ Comic, das Seyfried zusammen mit Gilbert Shelton und Paul Mavrides verfasst hat und einige unbekannte Kurzcomics.

Fazit: Ein Pflichtkauf für jeden Comic-Freak und alle diejenigen, die es werden sollten. Und die gute Nachricht zum Schluss: Seyfried lebt wieder in Berlin – und er zeichnet…

Gerhard Seyfried & Ziska Riemann: Die Comics. Alle!
Erstausgabe
700 farbige Bildseiten
Großformat 30×22 cm
Fadenheftung. Fester Einband
ISBN-10: 3861507803
Frankfurt a.M., Zweitausendeins
39,90 EUR

 

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Drogenpolitik

Mal ganz unten, mal ganz oben, aber immer: Kokain

Telepolis, 7. Januar 2006

Update am 17.07.2009

Mal ganz unten, mal ganz oben, aber immer: Kokain

Dieses Mal traf es Kate Moss. Es reicht: Eine Polemik für mehr Langeweile

Jedes Jahr braucht einen Kokain-Skandal. Anfang der 90er Jahre traf es Carlo von Tiedemann vom NDR, 1995 den Musiker Konstantin Wecker, im Jahr 2000 Fußballtrainer Christoph Daum, dann, drei Jahre später den Kontakt-Talker Michel Friedman. Die Reihe lässt sich fortsetzen: 2003 Kunstmaler Jörg Immendorf und zuletzt, Ende 2005, Kate Moss. Zwischendurch tauchten immer mal wieder Maradonna, Whitney Huston oder irgendein Münchener Promi-Sternchen auf, das auf der Wiesn allzu auffällig den Einkehrschwung nahm.

Was verbindet alle diese Menschen? Ihr Vergehen, Kokain, nasal, und sie haben sich erwischen lassen. Zufallstreffer, so stellt sich nach einer ersten Phase des Leugnens heraus, sind das nicht, die ertappten Schnupfer sind meist passioniert, sie wissen sehr wohl, wie man mit Briefchen, Spiegeln und gerollten Geldscheinen hantiert. Was sie unterscheidet, ist die Intensität ihres Hobbys. Es gibt Fans und fanatische Anhänger, reflektierte Aficionados und blinde Schwärmer. Aus einem Steckenpferd ist bei einigen eine Passion, bei anderen eine Sucht geworden.

Kokain, wie viele andere Drogen auch, steht noch immer unter dem Ruf einer „Teufelsdroge“. Um ihren vom Wohlwollen der Mitbürger und Medien abhängigen Job weiter durchführen zu dürfen, sind die Erwischten in jedem Fall gezwungen, den reuigen Sündern zu spielen. Seltsamerweise fällt ihnen die Schädlichkeit ihres Tuns und ihre Vorbildfunktion aber immer erst dann auf, wenn sie am öffentlichen Pranger stehen.

Anwälte und PR-Berater geben in allen Fällen ein zweistufiges Vorgehen vor: Auf den Boden werfen, um Gnade bitten und im selben Atemzug Besserung geloben. Zunächst fallen dann Worte wie „großen Fehler gemacht“, „schwere Zeit“, „verlogene Drogen“, später wird um eine „zweite Chance“ gebeten. Als Beweis dient der Rückzug in Klausur, heute Entzugsklinik genannt, wo die Delinquenten auf wundersame Weise binnen vier Wochen von ihrer Sucht geheilt werden. Entweder gibt es in diesen Wellness-Kliniken noch bessere Drogen, als alle ahnen, oder aber es stehen Entzugspraktiken zur Verfügung, von denen die gesamte Therapiebranche bisher nichts gehört hat und von denen Junkies in Geldnot nur träumen können.

Die Wahrheit ist eine andere. Die Katharsis ist nur eine symbolische, auch in Parkanlagen eingebetteten, hochglänzenden Zimmern kann nur die erste, dem starken Kokainkonsum eigene Paranoia überwunden und der Same für eine Besserung gepflanzt werden – wenn denn überhaupt eine Abhängigkeit vorgelegen hat. Eine neue Haltung zur Droge kann nur in längerer Arbeit gefunden werden. Egal, der Sündenbock büßt für uns alle, die wir, mit der Fernbedienung in der Hand, den Medikamenten auf dem Nachttisch und dem Doppelkorn im Gefrierfach nach dem Fall der Stars lechzen. Es ist wie Formel 1 schauen: Die Jungs sollen sich ordentlich überschlagen, aber körperlich unversehrt bleiben.

Kokain ist die Chemie der Ich-AG.

Aber halt, werden hier nicht unerlaubterweise alle Drogen über einen Kamm geschert? Werden hier nicht Äpfel (Kokain) mit Birnen (Korn) verglichen. Gibt es nicht gefährliche und weniger gefährliche Substanzen? Die Antwort soll über einen Umweg erfolgen.

Profi-Brutzler Eckart Witzigman, Fritz „Harry fahr schon mal den Wagen vor“ Wepper: Sie alle waren im Schneegestöber versunken; und auch im kommenden Jahr wird wieder ein Promi beim Schniefen erwischt werden.

Die bunte Welt sollte nicht darüber hinwegtäuschen: Kokain ist unter den vielen auf dem Markt erhältlichen legalen und illegalen Drogen auch unter den „Experten“ umstritten. Experten, damit sind hier nicht nur die Männer in weißen Kitteln gemeint, sondern diejenigen, die wissenschaftliche Daten und subjektive Erfahrungen haben oder solche zumindest ernst nehmen. Die meisten Konsumenten erfreuen sich an der treibenden Kraft des Pulvers, das auf dem deutschen Markt selten in Reinheitsgraden über 50% anzutreffen ist.

Selbst die dem Kokain positiv gegenüberstehenden Nutzer geben allerdings an, dass schon die zweite Nase am Abend oft zu dem Phänomen der „Großen Fresse und nichts dahinter“ führt: Es würde themenleer gelabert und meist ginge es nur darum zu beweisen, wer der wichtigere Typ in der Runde sei. Die fluffige Stimmung sei dann oft dahin, der Geltungsdrang passe gut zur auch körperlich spürbaren Verhärtung.

Das Gefühl der inneren Größe sei jedem gegönnt, nur passt Kokain seit Jahrzehnten eben auch aus soziokultureller Sicht gut in die westliche, Ich-bezogene Gesellschaft. Das große Teilen setzt bei Kokain nicht an, geschnupft wird nicht nur aus Gründen der Illegalität meist heimlich. Kokain ist die Chemie der Ich-AG. Eine Nase reicht in den meisten Kreisen nie, eher als bei anderen Substanzen ist beim Schnupfpulver die Gier nach immer mehr eingebaut. Die Haltlosigkeit ist Teil des Spiels. Das ist für erfahrene oder gar mündige Konsumenten kein Problem, sie wissen, dass auch dieser Rausch nur eine weitere Spielart der vielgestaltigen Zusammenhänge zwischen Natur und Mensch ist, vielleicht auch nur eine weitere freudige Illusion.

Aber in den konsumwütigen Industrienationen rieselt dieses Pulver in die Nischen des menschlichen Bewusstseins, das am gleichen Schalter, an dem das Wochenendticket gezogen wurde schnell die Monatskarte kaufen will. Selbsterhellung und Selbstverblendung liegen nie weit auseinander.

Die im Zusammenhang mit Kokain immer wieder zitierten 20er Jahre haben das gezeigt, was viele der starken Koks-Abonnenten selber erleben: Nach der ersten Glamour-Phase zeigt die Substanz ihre Schattenseiten. Wer nicht in der Lage ist, der maßlosen Gier Einhalt zu gebieten betreibt schnell Raubbau am Körper.

Ausgeblendet bleiben Herkunft und Hintergrund der Herstellung der Droge

Nicht nur Menschen mit schwachem Selbstbewusstsein fühlen durch Sternenstaub ungewohnte Stärke und Sicherheit, am nächsten Tag ist das Jammertal umso tiefer. Regelmäßiger Kokaingenuss setzt den Finanzen zu, aber damit hat, wie wir aus Bunte und Gala wissen, ja nicht jeder ein Problem. Schlimmer ist, dass der häufige Konsum der Gesundheit nicht zuträglich ist, selbst wenn die Droge nicht körperlich abhängig macht. Wie so oft ist die Ursprungs-Droge, das Blatt des südamerikanischen Coca-Strauches (Erythroxylum Coca)[1] , milder in Wirkung und Auswirkung als das raffinierte Produkt.
Auch aufgrund der psychischen Nachwehen von Kokain kontrolliert der größere Teil der Kokain-Konsumenten ihren Konsum durch schadensminimierende Regeln und beschränkt ihn auf bestimmte Gelegenheiten.

Ausgeblendet bleibt nicht nur bei den Genießern von Kokain die Herkunft und der ökologische Hintergrund der Herstellung ihrer Droge. Kein echter Weinliebhaber lässt sich verschnittenen Fusel vorsetzen, den meisten Koksenden, Rauchenden und Kiffenden ist es dagegen völlig egal, welche geographische Herkunft und Geschichte hinter ihrem Freizeit-Medikament steckt. Dabei wäre dies für die Ausbildung einer alternativen und vernünftigen Drogenkultur und Politik wichtig. Einigen Befürwortern einer Legalisierung von Drogen, wie beispielsweise dem verbreiteten Cannabis, ist klar, dass das Ziel eine Art Öko- und Fair-Trade-Siegel für marokkanisches Haschisch sein müsste. Die Illegalität der Drogen und der Fatalismus der Konsumenten lässt den Zug seit Jahrzehnten aber in eine ganze andere Richtung fahren.

Eigentlich müsste den Konsumenten von so manchem High schlecht werden: Vom Opium- und Heroinhandel ist bekannt, dass mit den erwirtschafteten Geldern Terroraktionen und Freiheitskämpfe finanziert werden (wobei hier der Raum fehlt, das genauer zu unterscheiden). Wie Berndt G. Thamm und Konrad Freiberg nachweisen, treibt der Deal „Rauschgift-gegen-Waffen“ seit drei Jahrzehnten die Kriegsschauplätze an.[2] Die bei der Kokainherstellung benötigten Chemikalien werden im Urwald entsorgt, die von den Anti-Drogen-Einheiten eingesetzten Entlaubungsmittel setzen den Wäldern zu. Aber darüber wollen die Liebhaber von Psychoaktiva, die gerne von „Bewusstseinsveränderung“ sprechen, nicht nachdenken.

Nach Analysen von Flusswasser müssen Heerscharen von Menschen dem Kokain verfallen sein

Als im November 2005 die Ergebnisse der Studie des Nürnberger [extern] Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung (IBMP) bekannt wurde, ging zwar ein verwundertes Augenreiben durch die Bevölkerung, an drogenpolitische Konsequenzen dachte aber niemand. So richtig wollte man es lieber nicht glauben, was das IBMP veröffentlichte: Im Wasser von allen 12 untersuchten, durch Deutschland fließenden Flüssen fand das Institut das Kokain-Abbauprodukt Benzoylecgonin. Anhand der Konzentrationen können die Forscher auf die konsumierte Menge der Droge schließen, denn Benzoylecgonin entsteht nur durch Kokainabbau im Körper.

Glaubt man den Ergebnissen, müssen alle offiziellen Schätzungen über die Verbreitung des Pulvers über den Haufen geworfen werden. Die kleine Gruppe der Dauerkonsumenten jedenfalls ist selbst bei bester Beschaffenheit der Nasenscheidewand gar nicht in der Lage, diese Mengen von Koks zu konsumieren. Es muss eine große Gruppe von Normalbürgern geben, die, ohne zu Zombies zu mutieren, gerne Mal den Geldschein rollen.

Einige wundersame Ergebnisse hat die Studie, die 250 Wasserproben entnahm, erbracht: So wird nicht in den als wild geltenden Großstädten Hamburg (Elbe) oder Berlin (Spree) das meiste Kokain genossen, sondern am Rhein bei Köln und Düsseldorf. Auch in der Fulda fanden sich mehr Abbauprodukte als beispielsweise im Main bei Frankfurt.

Die Zahlen passen hinten und vorne nicht mit den bisherigen Annahmen über Kokainkonsum zusammen. In Behörden und Universitäten ging man bisher davon aus, dass rund 0,8% der Bundesbürger gelegentlich Kokain nehmen. Am Rhein wären der Studie nach aber für die 128.000 danach in Frage kommenden Kokser täglich 16 Lines à 25 Milligramm fällig. Das ist ’ne Menge. Ist der Karneval schuld?

Im Neckar bei Mannheim lagen die Werte noch höher. Die Söhne und Töchter Mannheims lassen es sich gut gehen, pro tausend Einwohner werden hier täglich 25 Lines gelegt. Der Leiter der Studie, Fritz Sörgel, winkt ab: „Daraus kann man nicht schließen, dass Mannheim eine Kokshochburg ist. Unsere Daten spiegeln lediglich wider, welche Mengen Kokain vom Flussursprung bis zur Messstelle eingebracht wurden.“ Es ist keine Neuigkeit, dass die Rüsselfraktion vor allem am Wochenende aktiv ist, Sörgel ist sich sogar sicher, dass „am Wochenende mindestens doppelt soviel Kokain konsumiert wird wie unter der Woche.“

Die deutschen Ergebnisse sind mit denen aus der Schweiz vergleichbar. Auch hier testete Sörgels Team das Flusswasser vor und hinter Klärwerken und im frei fließenden Fluss. Die Zürcher haben die Nase vorn, auf 1.000 Einwohner kommen hier 17 Lines am Tag. In der Schweiz geht es hoch her, jährlich sollen hier zwei (reine) Tonnen verbraucht werden. Zum Vergleich: Die weltweite Kokain-Produktion wird zurzeit auf 600-700 Tonnen geschätzt, das meiste davon kommt aus Kolumbien, Peru und Bolivien. Die Schweizer Ergebnisse passen wie in Deutschland in keiner Weise mit den Erhebungen der Behörden zusammen. Das Schweizer Bundesamt für Gesundheit hatte bisher angenommen, dass nur rund 96000 Eidgenossen regelmäßig Kokain konsumieren, rund 13% davon als schwer Abhängige.

Um keiner Phantomsubstanz hinterher zu jagen, benötigte das IBMP einen Fluss, der nicht mit Benzoylecgonin kontaminiert war. Nach langer Suche in ganz Europa fand man ihn im Osten: In den rumänischen Teil der Donau fließt zwar ebenfalls Abwasser, Benzoylecgonin aber war nicht zu finden.

Messfehler, falsche Annahmen oder weite Verbreitung?

Es bleiben drei Möglichkeiten: (1) Entweder befinden sich Deutsche, Schweizer und auch andere Europäer in einem regelmäßigen, aber anscheinend geregelten Kokainrausch, oder (2) es ist sehr viel mehr reines Kokain im Umlauf als angenommen oder aber (3) der Messaufbau hat einen Fehler.

Um hinten anzufangen: (3) Andere Einstehungsprozesse für Benzoylecgonin als im Körper sind zwar nicht bekannt, das Institut gilt als integer, es hat schließlich schon im Wischwasser der Bundestagstoiletten Kokain gefunden. Aber: Mit der gleichen Messmethode hatten Forscher im italienischen Po ebenfalls reichlich vom Kokain-Abbauprodukt analysiert. Schon damals hatte man sich im Weinland Italien gewundert. Auch die Rolle des Regenwassers und die Filterung durch Äcker, Felder und Flusslauf muss noch genauer geklärt werden. Die Rechnung hat ein paar weitere Unbekannte: Um auf die Gesamtmenge an konsumiertem Kokain zu schließen, rechnete das Team um Sörgel die Abbaumengen in ihren Proben zunächst auf einen Tag hoch – und zwar anhand der Wassermenge, die zum Messzeitpunkt pro Sekunde flussabwärts geflossen ist. Die daraus berechnete Menge an Benzoylecgonin multiplizierten sie noch einmal mit dem Faktor 4,19, da laut Sörgel nur etwa ein Viertel einer Kokaindosis als Abbauprodukt mit dem Urin ausgeschieden wird. Zudem hatten die Chemiker am Beispiel des Klärwerks in Heroldsberg bei Nürnberg ermittelt, dass etwa 80 Prozent des Benzoylecgonins durch das Klärwerk zerstört werden.

(2) Der [extern] Reinheitsgrad von Straßen-Koks wird zurzeit von den Behörden bei durchschnittlich 40-50% angesetzt. Schon das ist positiv gedacht, in der Realität dürfte er niedriger sein und bei rund 30% liegen.

(1) Selbst wenn man die Zahl der Hardcore-User und die Zahl der Hobby-Schniefer verdoppelt, ergeben sich gänzlich neue Aussichten. Die von den Therapeuten beäugte Gruppe der schwer abhängigen Kokser kann gar nicht alleine für das Ausmaß der „drogenpolitischen Katastrophe“ zuständig sein. Sollten sich die Ergebnisse bestätigen lassen, gibt es eine alte, für viele aber immer wieder neue Variante: In Deutschland und den Anrainerstaaten koksen viele Menschen – ab und zu. Und wie immer man die Ergebnisse auch dreht und wendet, der Anteil wird sich bei einer Verbesserungen der Messmethoden eher noch erhöhen.

Was aber bedeutet es für die Drogenpolitik, dass anscheinend viel mehr Menschen als bislang von den offiziellen Stellen angenommen öfter Kokain zu sich nehmen? Die Antwort ist leicht, sie lautet: gar nichts. Die Drogenpolitik brät im eigenen Saft und man sollte vielleicht dafür dankbar sein, denn das wenige, was ihr in solchen Situationen einfällt, ist ohnehin meist eine Erhöhung der Strafen für Konsumenten und Anbieter.

Schieflage der Drogenpolitik

Interessant wäre doch zunächst einmal zu erfahren, wer diese vielen Menschen sind, die auf deutschem und europäischem Boden die Andendroge genießen: Hängen gebliebene Multikultis? Die vielgescholtenen Werber? Die Größen und die Kleinen der Filmbranche? Hält man sich an die Erhebungen, so ist Kokain eine Droge, die quer durch alle Alters- und Einkommensschichten konsumiert wird. Medial auffallen tun meist nur die Glamour-Branchen, aber Kokain ist in den Clubs der Städte seit Jahren etabliert und hat gerade bei den älter gewordenen Ravern und Disco-Hengsten Ecstasy abgelöst, wenn der ganze Brei nicht sowieso munter durchmischt wird: Eine „E“ zum Warm-Werden, etwas Koks zum Frisch-Bleiben, zwei-drei Bier nebenbei zum Plaudern und ’ne Sportzigarette zum Runterkommen.

Es kann nun darüber gestritten werden, in wie weit man so einen Konsum als „geregelt“ bezeichnen kann, Fakt ist, dass anscheinend eine Menge mehr Fans als bisher angenommen am Wochenende ihre Party durchziehen und unter der Woche gleichwohl das Bruttosozialprodukt nach oben schrauben.

Schon Mitte der achtziger Jahre kam es zu einem drastischen Anstieg des Kokain-Angebots in Deutschland. Die Preise fielen um mehr als die Hälfte, bis Ende der neunziger teilweise auf ein Drittel bis ein Viertel dessen, was noch zu Beginn der Kohl-Ära hingeblättert werden musste. Die Folge: Immer größere Konsumentenkreise wurden erschlossen. Das lockte nicht nur Biedermänner, sondern auch die eh hochgefährdete Gruppe der Heroin- und Methadonkonsumenten, die den Kick des injizierten oder gerauchten Kokains mögen. Dies stellte schnell die Substitutionsprogramme in Frage, denn, was macht es für einen Sinn, wenn zwar der Beschaffungsdruck für Heroin wegfällt, die „Lust“ auf den Kick aber bestehen bleibt und sich auf Kokain verlagert?

Wie aber nun mit den verschiedenen Kokain-Gruppen umgehen? Es gilt wie bei allen anderen Drogen auch: Den einen muss geholfen, die anderen wollen in Ruhe gelassen werden. Es ist eine weithin bekannte, aber aus guten Gründen verdrängte Ironie, dass ausgerechnet die Gesetze, die ursprünglich zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung erlassen wurden, sich heute gegen alle Benutzer von illegalen Drogen wenden.

Diese Benutzer lassen sich in die genannten zwei Gruppen einteilen: Die einen sind die oft verelendeten Süchtigen. Für die braucht man nicht einmal entscheiden, ob die Kriminalisierung ihres Drogengebrauchs ihre Lage nur noch schlimmer macht – und das sieht so aus. Nein, selbst wenn man das verneint, zeigen die Erfahrungen mit den bisherigen Versuchen der freien Substanzabgabe (Stichwort: Heroinversuch), dass sich soziale Schieflagen stabilisieren und ein Ausstieg aus der Sucht eher möglich, wenn, wie oben beschrieben, nicht garantiert ist.

Die andere Gruppe hat – und das ist das große Tabu von Politik und Gesellschaft – ihren Frieden mit einer geistbewegenden Substanz geschlossen, sie hat Spaß daran, sich ab und zu aus dem Irrsinn, der sich Alltag nennt, heraus zu bewegen.

Die Drogenpolitik ignoriert diese Menschen und ist ganz versessen auf die nachweislich viel kleinere Gruppe an Süchtigen, die von einer Heerschar von Therapeuten umsorgt wird. Warum? Zum einen sicher, weil diese Menschen Angst machen, weil sie Mitleid erregen und man helfen will. Zum anderen, weil sich hier Wählerstimmen fangen lassen, denn beim Thema „Drogen“ fällt Omi bekanntlich noch immer der Löffel in den Kaffee. „Rübe ab“, so der Ruf, dabei gibt es aus ökonomischer Sicht keinen Unterschied zwischen einem „Zigaretten-Dealer“ und einem „Kokain-Hersteller“. Der macht sich allein an der Moral und den wissenschaftlichen Erkenntnissen fest – und auch die sind voneinander abhängig.

Das Drogenproblem ist ein Problem der Neuzeit

Moral, das heißt in Deutschland Abstinenz-Paradigma, protestantisches Arbeitsethos und Herrschaftssicherung. 2000 Jahre christliche Glaubensmoral bedeuten, nüchtern und demütig auf das Paradies zu warten und den fleischlichen Lüsten zu entsagen. Ökonomische Moral, das heißt im Kapitalismus natürliche Neugier möglichst schnell in Bares zu transformieren. Politische Moral heißt dann Tabakanbau zu subventionieren und über die vielen Raucher zu jammern. Gesellschaftliche Moral heißt beim sechsten Jägermeister die kalte Erregung über Kate Moss zu genießen. Individuelle Moral heißt den Alibert mit Medikamenten vollzustopfen, anstatt die Ernährung umzustellen.

Man braucht gar nicht von „erkenntnisgeleiteter Forschung“ und „herrschenden Paradigmen“ fachsimpeln, um die Relativität oder gar Windigkeit von manchen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu erfassen. Es ist noch keine 40 Jahre her, da sollte Masturbation zwangsläufig zu Rückenmarkkrebs führen. Interessant ist doch zweierlei: Das „Drogenproblem“ ist ein Problem der Neuzeit und hier vor allem des letzten Jahrhunderts. Trotz aller Bemühungen ist es nicht in den Griff zu bekommen, im Gegenteil, fast scheint es, als ob mehr Druck (egal auf wen in dem Kreislauf) den Drogengebrauch nur noch anheizt. Aber selbst, wenn man das nicht so sieht: Heute ist man sich einig, dass die Drogenpolitik eines Landes nur wenig Einfluss auf die Konsummuster hat. Da braucht nämlich am anderen Ende der Welt nur irgendein Rapper den Vollrausch propagieren, schon geht in Deutschland die Luzie ab.

Ob Cannabis, Kokain oder LSD: Seit Jahrzehnten weisen Forscher aus der ganzen Welt in ihren Veröffentlichungen mal auf die Schädlichkeit, mal auf die Unschädlichkeit und dann sogar auf die positiven Eigenschaften pflanzlicher Inhaltsstoffe oder chemischer Substanzen hin. Während die einen von der „Seuche Cannabis“ oder LSD-Psychosen sprechen, weisen die anderen auf die therapeutischen Eigenschaften der Substanz hin. Weltweit agieren Vereine, die unter dem Titel „Cannabis als Medizin“ den Stoff an die bedürftige Frau bringen wollen. Ja, wie denn nun? Die Lösung ist einfach, altbekannt, gilt für alle Substanzen und beantwortet auch die oben aufgeworfene Frage nach gefährlichen und weniger gefährlichen Drogen: Die Dosis macht das Gift.

Das Problem ist halt nur: Für eine angemessene Dosierung ist in dieser Gesellschaft bisher kaum Platz. Es gibt keine harten und weichen Drogen, es gibt nur harte und weiche Konsummuster. Die ausdifferenzierte Weinkultur bricht an ihren Rändern eben auch ab und generiert den Alkoholismus. Hier hat man aber eher einsehen wollen, dass die pharmakologische eine soziale Frage ist.

So wichtig das mit besten Methoden eruierte Wissen über Chemie und Struktur von Substanzen auch ist, Menschen funktionieren nicht wie Maschinen, das Wirkungsspektrum, mehr noch die (eventuell positiven, eventuell negativen) Langzeitfolgen werden maßgeblich von der individuellen Persönlichkeit bestimmt. Diese zu einem mündigen Umgang mit psychoaktiven Substanzen, Medikamenten und veränderten Bewusstseinszuständen zu bringen, dürfte eine der wichtigen Aufgaben der kommenden Jahrzehnte sein.

Update v. 1.11.2007
Die Schweizer Tennisspielerin Martina Hingis wurde beim Tennisturnier in Wimbledon positiv auf Kokain getestet.

 

 

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Mixed Psychoaktive Substanzen

Interview mit Mathias Erbe

HanfBlatt, Nr. 99

Nautische Architektur

Die psychedelische Kunst des Mathias Erbe

Der in Franken aufgewachsene und in Frankfurt a.M. geborene und lebende Künstler Mathias Erbe erlebte die für die Entwicklung der gesamten Subkultur so bedeutsamen Sechziger Jahre als Kind, wuchs aber nicht unbedingt mit dem Acid-Schnuller auf. Doch als echtes Kind seiner Zeit wurde er ein beflissener Sammler psychedelischer Musik, Cover-Art und Comics und entwickelte sich selbst zu einem bemerkenswerten Vertreter moderner psychedelischer Kunst.

Erbe zeichnet und malt in Öl und Aquarell. Die ohnehin schon faszinierenden Ergebnisse seiner Inspiration bearbeitet er dann, über Foto oder Scan digitalisiert, am Computer. So entstehen einzigartige anregende Werke, die das Prädikat „Psychedelisch“ aus vollem Herzen verdienen. Die Veröffentlichung eines wunderbaren farbigen Bildbandes psychedelischer Platten/CD-Cover-Art mit dem Titel „Psychedelic History 3000. Von den Ursprüngen bis zur Gegenwart“ ist geplant. (Wir werden bei Erscheinen darüber berichten.) Man konnte Erbes Kunst bereits in Form von Illustrationen und Karikaturen für den „Rolling Stone“, Gemäldeabbildungen für Fetisch-Magazine, sowie Buch- und CD-Cover und natürlich im Original auf Vernissagen bewundern. Mehrere interessante psychedelische Kunstbände (u.a. „Nautische Architektur“, „Methexis“) harren noch eines kunstbeflissenen Verlegers. Wir möchten euch den Künstler in einem kleinen Gespräch und einigen seiner Bilder vorstellen.

HB: Wie bist du dazu gekommen, dich mittels psychedelischer Kunst auszudrücken?

ME: Einfach durch meine persönliche Entwicklung, mein frühes Interesse an dieser Ausdrucksform in diversen kulturellen Bereichen von Comics über Kunst, Musik, Plattencover, Literatur und so weiter, weniger direkt über Drogen. Ich habe einen alten Freund, der tatsächlich unter Drogeneinfluss kreativer und produktiver war. Bei mir ist es eher umgekehrt. Ich bin skeptisch, ob tatsächlich alle, die als psychedelische Künstler gelten, auch permanent unter dem Einfluss von entsprechenden Drogen stehen. Dieses Üppige des Psychedelischen entspricht nicht nur meiner Mentalität, sondern auch meiner Gefühlswelt. Psychedelische Kunst und Musik inspirieren mich und regen mich an, mich in dieser Form bildlich auszudrücken.

HB: Es ist schon erstaunlich, dass in deinem Fall, Drogen nicht so eine Rolle gespielt haben.

ME: Vielleicht indirekt.

HB: Das spricht doch irgendwie für diese künstlerische Richtung. Mag der Konsum psychedelischer Drogen den Genuss und das Verständnis für diese Kunst intensivieren und manch einen zu dieser Kunst als Ausdrucksmöglichkeit inspirieren, so scheint psychedelische Kunst eben nicht „nur“ simpel „Drogenkunst“ zu sein, sondern viel tiefer aus der Seele, wenn man so will, den Urgründen des Seins zu wachsen und in diese zu langen. Welche Künstler haben dich besonders beeinflusst?

ME: Alex Grey („Sacred Mirrors“, „Transfigurations“) ist ein großartiger Kollege. Dieser Mann hat auch einen bemerkenswerten Lebenslauf. Er ist von den Wiener Aktionisten über die Wiener Schule zur psychedelischen Kunst gekommen.

HB: Alex Grey ist zweifellos einer der tollsten lebenden Künstler. Er bedient sich aber doch in seiner Motivwahl, wenn auch in zuvor ungesehener fantastischer Weise, so doch letztlich spiritueller Klischees. Das kann man von deinen Werken jedoch meines Erachtens nicht so sagen, da sie ziemlich viel offen lassen und so eher im „klassischen“ Sinne psychedelisch sind.

ME: Spiritualiät, wenn sie zu sehr religiösen Klischees folgt, ist mir vereinfacht gesagt zu ernsthaft oder zu verbindlich. Aber wahre Spiritualität ist auch etwas Psychedelisches. Man fahre nur einmal nach Colmar und schaue sich dort Grünewalds wahnsinnig beeindruckenden „Isenheimer Altar“ mit der „Versuchung des heiligen Antonius“ an. Davor kann man schon fast fromm werden. Ein Science-Fiction Autor, den ich sehr schätze, Philip K. Dick („A Scanner Darkly“), der in seiner späten Phase ein reges, fast intim-kommunikatives Verhältnis zu Gott („Valis“) hatte, schaffte es bei aller Spiritualität dennoch eine absurde Selbstironie in seinem Werk mitlaufen zu lassen. Spiritualität in Form von zuviel Religiosität ist auch nicht gerade gesund, haben, glaube ich, schon die Romantiker festgestellt.

HB: Wenn man sich die Begeisterung für Spiritualität in der Subkultur anschaut, dann scheint sie immer nicht so lange anzuhalten. In den Sechziger Jahren folgte der Öffnung durch psychedelische Drogen ein erneutes (in den Zwanziger Jahren zuletzt und davor um die Jahrhundertwende) intensiviertes Interesse an östlichen Religionen, an spirituellen Wegen. In der Folge gab es plakativen Hippie-Kitsch und einen Sekten-Boom. Die Antwort: Der Punk-Nihilismus. Dann gab es in der Techno-Bewegung, insbesondere der LSD-geprägten Goa-Trance-Szene wieder ein gewisses Interesse an Spiritualität oder zumindest an pseudo-religiösen Deko-Elementen. Und jetzt haben wir vielleicht gerade eine enthirnte Zeit des Kokain-Zynismuses. Da darf man natürlich gespannt sein, was als Nächstes kommt.

ME: Es ist wie du beschrieben hast, eigentlich die im Nietzscheschen Sinne Wiederkehr des ewig Gleichen.

HB: Aber wohl doch immer wieder auf einem neuen Niveau… Zurück zu deinen Inspirationsquellen…

ME: Von dem tschechischen Surrealisten Pavel Tchelitchew hängt im MOMA in New York ein Bild „Hide and Seek“. Das ist ein Vorläufer für Künstler wie Ernst Fuchs und Mati Klarwein, bekannt durch seine Poster und Plattencover für „Santana“. Mati Klarwein hat ähnlich, wie es Alex Grey gerade macht, Räumlichkeiten mit Kunst kathedralenartig zum Andachtsraum („Aleph Sanctuary“) gestaltet. Seine Kunst hat noch den Bezug zum Realismus, wie du ihn auch in meinen Gemälden findest. Psychedelische Kunst ist so gesehen auch schwer zu fassen, weil es Alles beinhalten kann, zumindest für mich, inklusive Action-Painting. Gerhard Richter mit seinen abstrakten opulent farbigen Sachen könnte auch darunter fallen.

HB: Wenn man so will, sind manche Künstler zumindest manchmal psychedelisch ohne es überhaupt zu wollen.

ME: Ja, zum Beispiel Max Ernst und besonders Richard Oelze. Er ist für mich der konsequenteste, gerade in Bezug auf das was die Surrealisten automatisches Zeichnen nannten. Die Surrealisten hatten ja ihre eigene Spiritualität und mit Drogen experimentierten sie auch.

HB: In dieser bildnerischen Tradition stehen dann in gewisser Weise auch Hieronymus Bosch oder der genialische multidimensionale polnische Künstler Witkacy (1885-1939).

ME: Ja, ein sehr gutes Beispiel, der war ein Multitalent, Dramaturg, Fotograf, Maler. Auf seinen eindringlichen schon über den Expressionismus hinausgehenden Porträts, die er unter dem Einfluss praktisch aller damals zur Verfügung stehenden psychoaktiven Substanzen von Meskalin über Kokain bis Harmin gemalt hat, hat er meist vermerkt, was er dabei in welcher Reihenfolge zu sich genommen hat. Auf Plattenhüllen finden sich weit später ähnliche Porträts. Das Artwork von Miles Rutlin bei „Blind Idiot God“, eine interessante Neo-Psychedelic-Instrumental-Hard-Dub-Band Ende der Achtziger auf dem Label SST ist da ein gutes Beispiel. In meiner persönlichen Entwicklung haben mich die Bildwelten in Kunstbänden („Fantastic Art“) und auf den Postern und Plattenhüllen der Siebziger stark beeinflusst – besonders von Helmut Wenske, der als psychedelischer Dali mit einem Hauch Pop-Art beschrieben wurde, und mit dem ich seit dieser Zeit eineenge Freundschaft pflege. Ich habe damals auch angefangen diese Cover-Art nachzuzeichnen und damit natürlich meine Kameraden beeindruckt. Ich studierte schließlich Kunst und wurde das, was man als „Bildenden“…

HB: Aber nicht „Eingebildeten“..

ME: …Künstler bezeichnen kann.

 

Mathias Erbe: Accelerando
Mathias Erbe: Accelerando

 

Mathias Erbe: Janus
Mathias Erbe: Janus

 

Mathias Erbe: To the Greys
Mathias Erbe: To the Greys
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Psychoaktive Substanzen

Die Weltreligionen und ihr Verhältnis zum Rausch – Der Hinduismus

HanfBlatt, Nr. 99, Januar/Februar 2006

Die Weltreligionen und ihr Verhältnis zum Rausch

Teil 2

Der Hinduismus

Im Reigen der Götter des Hinduismus ist Platz für allerlei Freaks. Der wildeste unter den Weltenlenkern, genannt Shiva, ist äußerst beliebt in Indien. Liegt das daran, dass er ein Kiffer vor dem Herrn ist?

Es ist wahrlich nicht so, das die durch Indien streifenden, orangerot gekleideten Sadhus als Heilige verehrt werden. Ihr unmäßiger Bhang- und Charraskonsum macht den Menschen dort genau soviel Angst wie hier die Alkoholiker, nur akzeptiert man dort halt, dass ihr Weg jenseits dieser Welt verläuft und nur noch ihr Körper im Diesseits sichtbar ist. Sadhus und Sinnsucher verwenden Cannabis nicht nur zur Meditation, sondern auch, weil es sich gut zur asketischen Überwindung Hunger und Durstes eignet. Und obwohl die Sadhus das Bild prägen, welches der westliche Hanf-Fan von Indien hat, sind sie nur eine kleine Gruppe in der Religionsform, die „Hinduismus“ genannt wird.

Der sogenannte Hinduismus setzt sich aus vielen unterschiedlichen Strömungen zusammen, so dass der Religionswissenschaftler Heinrich von Stietencron von einem „Kollektiv von Religionen“ spricht. Diese Religionen gehen nicht auf einen gemeinsamen Stifter zurück, eine der Bibel oder dem Koran gleichbedeutende Schrift existiert nicht. Die uralten schriftlich niedergelegten Veden dienen zwar bis in die heutige Zeit als Weisheitstopf, aus ihnen haben sich aber tausende von verschiedenen Richtungen und Schulen entwickelt. So hat die mit rund 900 Millionen Anhänger drittgrößte Religion der Welt kein für alle gleichermaßen gültiges Glaubensbekenntnis. Der Reigen der Gottheiten ist bunt und fast unüberschaubar, da tummelt sich der Elefantengott Ganesh genauso wie Hanoman, der göttliche Affe. Jeder Hindu sucht sich zwar seinen Lieblingsgott, aber die höchsten Götter des Hinduismus sind Brahma, Shiva und Vishnu. Und Shiva entspricht so gar nicht dem was wir unter „Heiligen“ verstehen. Er raucht, säuft und kopuliert, er ist der „wilde, gütige Gott“, wie Wolf-Dieter Storl ihn einmal genannt hat.

Menschen, Tiere und auch die Götter durchwandern nach hinduistischer Glaubensvorstellung einen durch ewige Wiederkehr gekennzeichneten Kreislauf, Samsara genannt. Während des Lebens wird je nach Verhalten gutes oder schlechtes Karma angehäuft, was wiederum beeinflusst, als was man im nächsten Leben wiedergeboren wird. Es gibt zwar einen Ausweg aus diesem Kreislauf, aber dafür muss man heftig meditieren und brav sein; und dass fällt nicht nur den Indern schwer.

Da Cannabis das warme Klima des Subkontinents mag, verwebt der Hindu-, vor allem aber der Shivaismus die Pflanze seit jeher mit den Menschen. In keinem anderen Land auf der Welt ist Cannabis und sein Gebrauch so tiefgründig in der Kultur verankert wie in Indien. Von Hanf träumen bringt Glück, die Popularität der Pflanze geht so weit, dass schon die Sichtung eines Bhang-Trinkers ein gutes Omen ist. Hat Shiva, so die rhetorische Frage, den Menschen nicht deswegen die Kräuter geschenkt, damit sie sie nutzen? Die Jahrhunderte währende Charras- und Bhang-Tradition hat aus Sicht vieler Hindus immer wieder neu bewiesen, dass Hanf nicht nur ein Heilmittel ist, sondern auch erstarrte Vorstellungen und das Ego auflösen kann. Und dies ist genau das Ziel vieler religiöser Mühen. Der Shivaismus sieht die Erlösung in der Gewinnung eines Shiva-ähnlichen Zustandes und eines fortwährenden Kontaktes mit ihm. Die Mittel dazu sind vielfältig: Yoga, Tantra und eben auch Hanf.

Der Shivaismus hat in Indien Millionen von Anhängern und Tausende von Tempeln und Klöstern. Und Shiva ist in den meisten Darstellungen ein Vollblut-Kiffer. In vielen hinduistischen Tempeln wird daher Bhang, ein Milch- oder Joghurt-Getränke mit Hanf und Gewürzen, zum Teil auch mit Stechapfel verfeinert, regelmäßig bei Ritualen eingesetzt. Die Gottheitsstatuen werden mit rotem Zinnober bemalt, sodann setzen sich die Gläubigen einen roten Punkt auf die Stirn – das dritte Auge, denn mit dem dritten sieht man besser und sitzt dazu noch in der ersten Reihe: im Angesicht mit Shiva. Trommelmusik und Mantren erleichtern wie überall auf der Welt auch hier den Übergang in die andere Welt. Dort sitzt man dann mit dem Urschamanen recht gemütlich zwischen Vergangenheit und Zukunft und lässt sich und den lieben Gott einen guten Mann sein. Der Rausch ist im Hinduismus weniger „Teufelswerk“ als vielmehr eine der vielen Möglichkeiten, mit dem Göttlichen in Berührung zu kommen.

Seit Jahrhunderten praktizieren viele Hindus diese Ekstase aber nicht nur im Tempel, sondern leben mit diesen Bildern im Alltag. Für sie sind die vielen Götter-Geschichten, bunten Mythen und überlieferten Fabeln keine Märchen im religiösen Gewand und auch keine Gleichnisse. Sie sind Realität, Erlebnistatsachen und immer wieder neu erfahrbar: Shiva sitzt bis heute auf seinem Berg, immer zu einem Streifzug bereit, der Urozean aus Milch wird weiter gequirlt und Ganesh tanzt trotz seiner Leibesfülle mit seinen schönen Begleiterinnen Riddhi und Siddhi.

Der rituelle Hanf-Gebrauch variiert stark. Meist wird Cannabis nur nach Sonnenuntergang genossen, nur die Sadhus müssen früher ran. Hans-Georg Behr zitiert in seinem Klassiker „Von Hanf ist die Rede“ einen ehemaligen Rechtsanwalt aus Kalkutta: „Dreißig Portionen muß ich am Tag rauchen. Oft kann ich schon mittags nicht mehr, doch es muß sein – es ist ein Gelübde.“

Im Landesteil Bengal, im äußersten Osten Indiens, ist es immer noch Tradition am letzten Tag des größten Hindu-Festes, der Durga Puja (Vijaya Dasmi), an die Familienmitglieder und Gäste Bhang auszuschenken. Im Bundesstaat Orissa feiern die Anhänger des Gottes Jagannath ebenfalls kräftig mit Cannabis-Zubereitungen. Bhang ist in Indien was das Bier für die Deutschen ist. Gerade orthodoxe Hindus freuen sich über die Abwechselung, ist ihnen doch der Alkoholgenuss verboten.

Den Hindu-Priestern sind die Freuden des THC verwehrt, sie unterliegen einer strengen Diät. Alle Priester entstammen der Brahmanen-Kaste, deren Angehörige wiederum, sofern sie sich denn traditionsbewusst verhalten, den Reinheitsgeboten unterliegen. Dazu gehört auch das Fernhalten von jeglichen Rauschsubstanzen. Privat, so wird kolportiert, drücken die Brahmanen aber manchmal ein Auge zu und ziehen ebenfalls einen durch. Somal sie in vergangenen Zeiten ganz offiziell geraucht haben sollen, natürlich nur, um besser meditieren zu können.

Ein fröhliches Land von Kiffern also? Nicht ganz, glaubt man der spärlichen Studien zum dem Thema, zeigt die Prohibitionspolitik selbst im quirligen Indien ihre Wirkung: Seit 1985 ist Cannabisanbau und Nutzung illegal. Aber Indien wäre nicht Indien, wenn es nicht hier nicht dauernde Ausnahmen gäbe.

 

Gerade in den Städten lockern sich in den letzten Jahrzehnten mit den strengen Kastengesetze auch die religiösen Bindungen, welche sich über mehr als zwei Jahrtausende ausdifferenzieren konnten. Gleichwohl ist Indien noch heute ein außerordentlich vielfältiges Land, das vor Riten, spirituellen Festen, Göttern und (auch falschen) Heiligen nur so strotzt. Der Hinduismus zeichnet sich dadurch aus, dass sich in ihm die einzelnen Phasen nicht abgelöst haben, sondern sich die jeweils älteren Elemente bewahrt haben.

Bereits um 600 v.C. kam mit den Upanishaden eine Textgattung auf, in der die Welt als Illusion beschrieben wurde. Dauerhaft gut drauf sein könne nur der, der dies nicht nur erkennt, sondern auch sein eigenes Selbst (Atman) mit dem Absoluten (Brahman) identifiziert. Das klang sehr nach Buddha und tatsächlich verweben an dieser Stelle Hinduismus und Buddhismus. Diese Philosophie lebt heute in der Vedanta- Schule des Hinduismus fort.

Während das „Sein“ in westlicher Vorstellung innerhalb des Denkbaren liegt (Descartes: „Ich denke, also bin ich“), sehen die Hindus den viel entscheidenderen Teil des Lebens im Nicht-Denkbaren, dem, was bei uns gemeinhin „Mystik“ genannt wird. Rauschsubstanzen ermöglichen ihnen den Zugang zu diesen Räumen, die aus ihrer Sicht keine Fluchträume vor der Realität (was ist das?), sondern göttliche Sphären sind.

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Drogenpolitik

Abstinenz:– von der christlichen Idee zur Richtlinie der Politik

Hanfblatt Nr. 119

Wie die strenge Enthaltsamkeit zum Leitbild der modernen Drogenpolitik wurde

Die zentrale Bedeutung und zugleich Zweischneidigkeit des Abstinenzgedankens wird in der aktuellen Diskussion um die Heroinabgabe an Schwerstabhängige sehr deutlich. CDU/CSU wehren sich seit Jahren gegen die Abgabe, weil, so beispielsweise die drogenpolitische Sprecherin der Unionsfraktion im Bundestag, Maria Eichhorn (CSU), „die Heroinbehandlung zu einer Dauerabgabe des Suchtstoffs führt, das Ziel der Abstinenz wird dabei aus den Augen verloren“. Das Ideal der Enthaltsamkeit wird also über die menschenwürdige Behandlung der Patienten gesetzt. Warum?

Weil, so antwortet die abstinenzorientierte Therapietheorie, die Abstinenz für Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen prognostisch die besten Aussichten bietet. Zugleich sei nur der von der Drogen entwöhnte Patient überhaupt in der Lage eine Therapie anzutreten. Die akzeptierende Drogenarbeit weist dagegen darauf hin, dass es auf der praktischen Ebene darum geht, den Drogengebrauch derer zu akzeptieren, die ihren Konsum derzeit nicht aufgeben wollen oder können.

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Breitet man das Abstinenzparadigma über den Kreis der Schwerstabhängigen aus, muss man sich über den neuen Steuermann im klaren sein, den man sich dort an Bord holt. Dieser visiert ein weit entfernt liegendes Ziel an, nämlich die gänzlich drogenfreie Gesellschaft – auch wenn damit nur die illegalen Drogen gemeint sind. Nun spricht nichts dagegen einem Ideal zuzustreben, solange die Kolletaralschäden auf dem Weg nicht zu groß sind. Eine völlige „Suchtmittel“-Freiheit impliziert jedoch nicht nur den totalitären Staat, der mit seinen Überwachungsorgangen darauf achten, dass alle schön brav sind. Mehr noch beraubt sie sich der Potentiale, die in der korrekten Anwendung von „Drogen“ stecken.

Ein Blick in der Historie der Abstinenzidee zeigt ihre gleich mehrfache Verquickung: Eine Verquickung mit christlich orientierten Glaubensgeboten, eine Verquickung mit protestantischem Arbeitsethos und eine Verquickung mit der Ideal der ständigen Selbstkontrolle.

Es ist mehrfach darauf hingewiesen worden, dass das Problem der „Sucht“ ein neues ist. Bis in die Neuzeit hinein gibt es weniger Hinweise darauf, dass Menschen Abhängigkeitserscheinungen zeigten. Gleichwohl galt beispielsweise Alkohol schon immer als Droge, die soziale Probleme versursachen kann. Das griechische Schriffttum ist voll von kritischen Schilderungen von Trinkexzessen und dem Lob der Mäßigung. Schon damals wurde vor der Trunksucht gewarnt. Allerdings wurde Wein meist nur verdünnt getrunken. Gesetze gegen Drogenkonsum gab es kaum.

Während des 16. Jahrhunderts nahm besonders in Deutschland die Sorge zu, die Menschen würden zuviel trinken. Ganze Bücher erschienen, entweder, um das Saufen zu loben oder aber es zu verdammen. Andere Drogen waren von diesen Auseinandersetzungen nicht betroffen. Luther kam 1520 zu dem Schluss, dass das Laster der Trunksucht mit geistlichen Worten nicht beizukommen sein und das möglicherweise die weltliche Macht einschreiten müsse.

1606 wurde in England Trunksucht das erste Mal zu einen Verbrechen erklärt. Es ist bis heute unklar, tatsächlich viel mehr getrunken wurde als früher, oder aber ob die Verbreitung des Buchdrucks nur die Beschreibng des trunkenen Alltags förderte. Zugleich gab es lange eine breite Verwendung von Alkohol als Medizin. So galt der gegeißelte Brandwein eben auch als universelles Therapeutikum, als aqua vitae (Lebenselixier).
Bei der Verbreitung der Alkohol-Probleme spielten die technischen Möglichkeiten, namentlich die Destillation, eine Rolle. Damit konnte der Alkoholgehalt von rund 15% auf 50% gesteigert werden. Sie verbreitete sich seit dem 13. Jahrhundert langsam in Europa. Ein Phänomen, das sich seither bei Drogen immer wieder zeigt: Die Purifizierung bringt Probleme der Dosierung mit sich. Die Gin-Epidemie in England (um 1750) rief der Gesetzgeber auf den Plan. Gleichzeitig gab es Freischnaps für die Matrosen, später wurden den Fabrikarbeiter ein Teil des Lohnes in Branntwein ausgezahlt.

Es entstand das, was heute „Elendsalkoholismus“ genannt wird. Zwischen 1850 und 1900 rief diese soziale Akteure auf den Plan, die die Geschicke der Drogenpolitik bis heute beeinflusst: Die Abstinenzbewegung (temperance movement). Aus ihrer Sicht war die Ursache des Elends der unteren Klassen weniger in ihrem unterdrückten Zugang zu den Produktionsmitteln (Marx) oder der Ausbeutung durch die Unternehmer zu sehen, sondern im allein im Alkoholkonsum. Grund für den Konsum sei mangelnde Tugendhaftigkeit, also die fehlende Orientierung an höheren Zielen, namentlich Gott. Die fest im Christentum, (in den USA vor allem im Methodistentum) verankerte Abstinenzbewegung geißelte den Alkohol als Teufelswerk und konstruierte einen klassischen Sündenbock.

Der Virus griff schnell um sich. Die Guttempler wurden 1851 in den USA als Abstinenzorganisation unter dem Namen „Order of Good Templars“ gegründet. Weitere Organisationen schossen in den USA und in Europa aus dem Boden. 1869 gründete sich in den USA die „Prohibition Party“, vier Jahre später die „Woman’s Christian Temperance Union“, wieder später ging daraus die „Anti-Saloon League“ hervir. Man darf die Rolle der damaligen organisierten Erregungsclubs nicht unterschätzen: Die Liga der Abstinenten war eine der wichtigsten sozialen Bewegungen Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA und Europa. In der Schweiz waren beispielsweise 60.000 Menschen in Abstinenzvereinen organisiert. Der einflussreiche Baseler Psychologie-Professor Gustav von Bunge fordert 1880 ein Alkoholverbot für die gesamte Bevölkerung.

Die Nachricht an die Menschen war klar, gegen den Alkohol gäbe es nur eine Kur: „Abstinenz für den einzelnen und Prohibition für das Volk“ (T.S. Arthur). So glitten nicht nur die USA, sondern auch Norwegen, Finnland, Russland und weitere Länder durch die Abstinenzbewegung in ihr größtes drogenpolitisches Abenteuer: Die Prohibition. Der Ausdruck bezeichnet heute meist die Zeit zwischen 1920 und 1933 in den USA, in der der Konsum von Alkohol verboten war.

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Nebenbei bemerkt: Ganz erfolglos war die Prohibition ja gar nicht: In der Arbeiterklasse ging der Alkoholkonsum tatsächlich drastisch zurück. Er erhöhte sich allerdings unter Jugendlichen und Frauen im eher mittelständischen Millieu. Und natürlich gebar den Schwarzmarkt miesen Fusel und förderte die Kriminalität. Mit dem Ende der Prohibition verschwanden die Parteien und viele Organisationen, manche, wie die Guttempler und das Schweizer Blaue Kreuz, sind geblieben und predigen noch heute Wasser. Ohne die soziale Arbeit, die die Vereine bis heute leisten, diskreditieren zu wollen – ihr geistesgeschichtlicher Hintergrund ist dem Ideal der christlich motivierten Selbstkontrolle verpflichtet. Das Überwinden der Schranken der Zivilisation ist alleine auf Gottes Wegen erlaubt. Von daher steht der Rausch in schlechtem Ruf bei ihnen.

Aber die Abstinenzidee speist sich nicht nur aus der Abstinenzbewegungen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, sondern zumindest bei temporärer Ausführung auch aus der sehr viel älteren Idee, mit den Produkten der Natur bewusst umgehen zu müssen. Das umfasst nicht nur Arzneimittel, sondern auch die Nahrung. Noch heute zeugt die Fastenbewegung von einer Mäßigungskultur, die sich als Gegenpol zur Überflussgesellschaft und weniger als Zuarbeiter gesamtprohibitiver Bestrebungen sieht.

Und es stimmt ja auch: Enthaltsamkeit ist kein grundsätzlich schlechter Berater, im Gegenteil. Das Lossagen von den Dingen ist nicht nur spirituelle Übung der Asketen, sondern überlegenswerte Strategie gegen die ewigen Konsum- Aufforderungen, aber auch psychosozialen Anforderungen durch Staat, Freunde und Verwandte. „Nein“ sagen fällt vielen schwer.

Um zu dem anfänglichen Beispiel der Heroinabgabe zurück zu kommen: Abstinenz kann kein erstes Behandlungsziel sein, die Rückfallquote ist einfach zu hoch. Auf der anderen Seite ist eine Rückkehr in den kontrollierten Konsum verwehrt. Abseits von Therapietheorie und Praxis trägt die Idee der Abstinenz allerdings nicht lange und sollte durch einen Begriff wie „mündiger Verzicht“ ersetzt werden.

 

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Mixed

Der mobile Kunde im Visier

Telepolis, 08.12.2005

Ein jetzt veröffentlichter Städte-Atlas macht Passanten-Werbung zielgenau

In einem fast drei Jahre dauernden Entwicklungsprozess und geschätzten Projektkosten von über einer Million Euro erstellten das Fraunhofer Institut für Autonome Intelligente Systeme ( AiS (1)) und der Fachverband Außenwerbung ( FAW (2)) einen „Frequenzatlas“ für die großen Städte Deutschlands. Mit ihm lässt sich sehr genau feststellen, wie viele Konsumenten sich an welchem Punkten der Stadt bewegen.

Der Atlas vereinigt eine Fülle von Daten: So fließen kommunale Verkehrszählungen ebenso mit ein wie Angaben über die Bevölkerungsdichte, Einkommensstruktur, Kfz-Aufkommen, Theater oder Restaurants. Basierend auf den Kartendaten der Firma „NavTeq“ existieren für jeden Straßenabschnitt in großen deutschen Städten nach Fahrtrichtung getrennte Frequenzklassen für die Bewegungen von Fußgängern, Kraftfahrzeugen und Öffentlichen-Personennahverkehrsmitteln.

 

Ausschnitt aus dem Frequenzatlas. Bild: FAW
Ausschnitt aus dem Frequenzatlas. Bild: FAW

 

 

Mit einer Software lassen sich aus der Datenflut die für den jeweiligen Anwender interessanten Daten extrahieren und auf einer Karte darstellen. Derzeit enthält das Data-Mining System 84 Städte ab 100 000 Einwohnern, Mitte 2006 kommen die Städte ab 50 000 Bürgern dazu. Für Frankfurt am Main, Düsseldorf und Hamburg lässt sich die Funktionsweise des Atlas‘ auf der Homepage des FAW testen (3).

Der Konsument, das flüchtige Wesen, bewegt sich trotz TV und Internet vor allem tagsüber in der Reichweite von Plakaten, Litfasssäulen und anderen Werbeträgern im öffentlichen Raum. Das Geomarketing analysiert Kaufgewohnheiten und Lebensweisen und hilft Unternehmen damit nicht nur bei der Wahl von Werbestandorten, sondern auch bei geplanten Filialeröffnungen. Wo sitzen Mitbewerber, wie ist die Anbindung an Autobahn oder ÖVPN, wo liegen Einkommensgrenzen? Auch Stadtplaner und Hersteller von Routenplanern sollen bereits Interesse am Frequenzatlas bekundet haben.

Die Medienwirkung und damit auch der Preis eines Plakates waren lange Zeit umstritten: Es existierte zwar seit rund zehn Jahren der sogenannte „G-Wert“ der Gesellschaft für Konsumforschung ( GfK (4)); dieser gab an, wie viele Passanten pro Stunden sich an ein Plakat erinnern konnten. Der G-Wert galt aber als unplausibel, da er oft ohne nachvollziehbaren Grund variierte und dementsprechend zu verzerrten Preisen führte.

„Vor einer entsprechend geplanten Plakatkampagne gibt es kein Entkommen“

Der Wert eines Werbestandorts ergibt sich nicht nur aus der Menge der Kontakte, sondern auch aus ihrer Dauer und Qualität. Anders ausgedrückt: An manchen Werbeflächen kommen zwar wenige, aber die richtigen Menschen vorbei. Im neuen G-Wert werden die Daten des Frequenzatlas berücksichtigt, der unter anderem auf der seit 1998 am AiS entwickelten Software „CommonGIS“ aufsetzt. So kann man beispielsweise eine Pralinenwerbung nur dort platzieren, wo ältere, kaufkräftige Personen wohnen. Das Verfahren lässt sich nicht nur auf Plakate, Riesenposter und Videoboards anwenden, sondern auch auf Geldautomaten oder Briefkästen. Mobilfunknetzbetreiber können sehen, wo es sich lohnt, Funklöcher zu schließen.

Vertrieben wird der Frequenzatlas von der DDS (5), einem der großen Anbieter von Geodaten. Je nach Kundenwunsch sind verschiedene Preismodelle möglich, zielen tut der Atlas aber vor allem auf Großkunden, die ohne Murren die rund 10.000 EUR für einen Datensatz zahlen.

Direkt in das System können keine zusätzlichen Angaben eingespeist werden. Erst über externe Programme können die Informationen aus dem Atlas mit internen Geschäftsdaten abgeglichen werden, so zum Beispiel mit Daten des Statistischen Bundesamts oder der beliebten Bonuskarten. Wer beim Erwerb einer solchen Karte die Formulierung akzeptiert hat, dass die Daten an „befreundete Unternehmen“ weitergeleitet werden dürfen, hat gute Chance, sich als Datensatz im Geomarketing wiederzufinden.

Auf besondere Aufmerksamkeit bei Außenwerbern stieß vor zwei Jahren eine Studie des Bundesverkehrsministeriums. Detailreich wurde in der „Mobilität in Deutschland“ genannten Erhebung nachgewiesen, dass die Deutschen gerne unterwegs sind: Wenn sie nicht gerade ihren Lieblingsbeschäftigungen nachgehen (Essen, Fernsehen, Arbeiten), sind sie auf Achse. Fast die Hälfte aller Autofahrer ist zwischen 30 und 49 Jahre alt. Und wer unterwegs ist, schaut nicht fern, sondern Plakat. Diese mobile Generation liegt im Fokus der Branche, denn sie verfügt über einen oft hohen Bildungsgrad und Lebensstandard. Sie legt am Tag doppelt so große Strecken mit dem Auto oder zu Fuß zurück als ärmere Bevölkerungsschichten. Eine Konsumentengruppe wie aus dem Bilderbuch.

Georg Schotten, Direktor der Marktforschung beim Plakatwerber „Ströer“, denkt weiter: „Menschen fahren auf der Straße und werden von Plakaten erreicht, daher muss man sich mit dem Thema ‚Verkehr‘ und dessen innerer Logik sehr genau auseinandersetzen.“ Das Fachmagazin Werben und Verkaufen (6) jubelte schon im Juni diesen Jahres angesichts der Zusammenführung der Daten von Mobilitätsstudie, Marktforschungserhebungen, G-Wert und Verkehrsstrom-Information: „Vor einer entsprechend geplanten Plakatkampagne gibt es kein Entkommen. Zappen zwecklos.“ In Zukunft wird das Netz noch feinmaschiger werden. Dann soll, so hofft man beim FAW, nicht nur genau festgestellt werden, wo welche Menschen wohnen, sondern auch, warum sie sich wie bewegen.
Links

(1) http://www.ais.fhg.de/´
(2) http://www.faw-ev.de/
(3)
(4) http://www.gfk.de/
(5) http://www.ddsgeo.de/
(6) http://www.wuv.de/

Telepolis Artikel-URL: http://www.telepolis.de/r4/artikel/21/21482/1.html

 

 

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Elektronische Kultur

Interview R.U. Sirius über sein Buch Countercultures trough the Ages

telepolis v. 5.12.2005

Spuren des Protests

Interview mit dem Veteranen des Cyberspaces, R. U. Sirius, über Gegenkulturen, die 60er Jahre und den “Do It Yourself”-Anspruch

Der Acid-Papst Timothy Leary hatte ihn einst auf die Idee gebracht eine Historie der Gegenkulturen zu schreiben. Ken Goffman, besser bekannt unter seinem Künstlernamen R. U. Sirius, nahm das ernst. In seinem Buch „Countercultures Through the Ages“ (http://www.counterculturethroughtheages.com/) erzählt Goffman nun die Geschichte des stillen und lauten Protests gegen den herrschenden Geist. Schon der Untertitel „From Abraham to Acid House“ zeigt: das zu beackernde Feld ist weit. Sokrates, die Sufis, die Troubadoure, die Pariser Bohemians, Zen-Mönche, die Hippies, die Cyberpunks. Spätestens seit Diogenes zu Alexander dem Großen sein „Geh mir aus der Sonne“ sprach, so stellt Goffman fest, stehen alle Autoritäten im Verdacht den Menschen das Licht der Kreativität und des Individualismus zu nehmen. Im Interview spricht Goffman über Strukturen und Bedingungen der Nicht-Konformität.

Telepolis
Was macht der Mainstream falsch, dass sich in allen Zeiten der Geschichte Gegenkulturen herausbilden?

Ken Goffman
Es gibt selbstverständlich keinen konsistenten Mainstream. Es gibt Überzeugungen, Verhaltensweisen und Rituale, die Menschen während bestimmten Zeiten und Orten miteinander teilen. Es existiert ein Impuls bei der Mehrheit der Menschen, die aktuell herrschenden Denkmuster und die des allgemein geltenden Daseins zu akzeptieren. Und es gibt die Interessen derjenigen mit Gestaltungsmacht, sei diese nun religiös, politisch oder wirtschaftlich, die im Erfolg damit haben die Menschen an ihre Ideen glauben zu lassen. Schließlich dient das der Machterhaltung. Auf der anderen Seite gibt es meist eine Minderheit von ruhelosen Personen, die die Dinge einfach anders sehen und den Mut haben dies auch auszudrücken. Durch Abweichung entsteht Fortschritt, kulturelle und ökonomische Dynamik, Kunst, politischer Wechsel. Oft wird die ehemalige Abweichung dann zum neuen Dogma.

Telepolis
Was einmal befreite, wirkt auf die nächste Generation immer schal?

Ken Goffman
Um das vorherrschende Paradigma herauszufordern, braucht es dann eine weitere, ruhelose Gruppierung oder Person. Ich denke, dies ist ein ewiger Kreislauf. Selbst Utopisten haben die Gegenkultur nötig.

Telepolis
In ihrem Buch haben sie das die “Tradition mit Traditionen zu brechen“ genannt. Was verbindet alle Gegenkulturen? Gibt es gemeinsame Werte?

Ken Goffman
Grundsätzlich wichtig ist erst einmal ein Infragestellen von Autoritäten. Der eigenen Autorität und Autonomie zu trauen, das ist das Nächste. Diese Selbstständigkeit führt zur einer Dezentralisation von dem, was Menschen Denken und Glauben. Diese Art neuer Individualismus muss sich von bloßem Egoismus unterscheiden. Die gemeinsamen Werte umfassen zudem Innovation in Kunst und Philosophie, das Fördern von Diversität, Großzügigkeit, vor allem im Teilen von Resourcen und Werkzeugen.

R.U. Sirius (Foto aus Wikipedia)
R.U. Sirius (Foto aus Wikipedia)

Telepolis
Wenn die Gegenkultur gezwungen ist die Regeln der Gesellschaft zu brechen, wie unterscheidet sie zwischen kulturell-politischer Evolution und einem blinden Aufstand, zwischen nötiger Veränderung und leichtfertigem Renitenz?

Ken Goffman
Es ist nicht immer ganz klar, wann man gegen die Zivilisation revoltieren und wann man sie zur vollsten Blüte bringen muss. Gegenkulturen zeichnen sich generell durch Kreativität und Ideenreichtum aus, selbst wenn sie in den Farben der wilden Revolte auftreten, wie beispielsweise die Dadaisten oder die Punks. Sie können kulturell barbarisch wirken und so aussehen, als ob sie der gutbürgerlichen Kultiviertheit im Wege stehen. Meist sind sie aber eher ein sehr fortgeschrittener Ausdruck von Kultur. Aber ohne Zweifel, ja, es gibt eine feine Linie zwischen dem Aufbrechen rigider Strukturen sowie dem Glauben daran, eine Kultur freier zu machen und dem Heraufbeschwören eines neuen, dunklen Zeitalters.

Telepolis
Traf es Bob Dylan, als er sang: “Um außerhalb des Gesetzes zu leben, musst du aufrichtig sein“?

Ken Goffman
Nun, das ist der Mythos vom hehren Outlaw, ein wunderbarer Mythos. Aber auch totale Drecksäcke kommen damit durch außerhalb der Gesetze zu stehen. Für alle von uns, die außerhalb der Regeln leben müssen, ist es gleichwohl wichtig ehrlich und voller guter Intentionen zu sein. Dennoch höre ich Dylan den Text ) lieber so singen, wie er ihn gemeint hat.

Telepolis
Dylan war Teil der Bewegung der 60er Jahre. War diese aus ihrer Sicht die wichtigste Gegenkultur des vergangenen Jahrhunderts?

Ken Goffman
Letztendlich wird der Geist des DIY (Do It Yourself), der als Teil der Punk-Bewegung in den 70er entstand, sich für einige Zeit als die wichtigste Transformationskraft erweisen. Dieser Geist pflanzte sich in der Cyberpunk-Bewegung der 80er und 90er fort und drückt sich heute in der Netzkultur aus, in der jede Person oder jede Gruppe ein multimedialer Sender ist. Er zeigt sich auch im Burning Man Festival (http://www.burningman.com/) und ähnlichen Zusammenkünften, bei denen jeder Mitwirkender und Künstler sein kann, und wir sehen ihn nicht zuletzt in der Kultur der “Open Source”, in der sich die Menschen weigern ihre Ressourcen auf monetäre oder proprietäre Interessen zu beschränken, wenn sie stattdessen etwas nützliches oder interessantes gestalten können. Sicher, dies alles greift auch auf den Geist der 60er zurück, aber diese wollten zu viel, nämlich eine komplett neue Gesellschaft, ohne vorher ihre DIY-Qualifikation zu entwickeln.

Telepolis
Die Lust auf psychoaktive Substanzen zieht sich als roter Faden durch die Gegenkulturen der Gegenwart. Wie wichtig sind diese für deren Entstehung und Entwicklung?

Ken Goffman
Die faszinierende Historie geistbewegender Pflanzen ist Thema für ein weiteres Buch. Es mag überraschen, aber der Gebrauch von Drogen spielte für die Gegenkulturen bis ins 20. Jahrhundert hinein nur selten eine Rolle. In früheren Zeiten ist es am ehesten noch der Sufismus, der auf psychedelische Drogen wie Haschisch und die damit zusammenhängenden Bewusstseinszustände referenziert. Der radikale Sufismus fordert dazu auf, die ausgefahrenen Gleise des alltäglichen Bewusstseins zu verlassen und wollte damit eine tiefere, geklärte Erfahrung der Welt ermöglichen. Bestimmte Drogen können bei diesen Bestrebungen helfen. Im Gegensatz dazu wollen Taoismus und Zen den Suchenden dazu anleiten, den beeindruckenden Frieden zu finden, der innerhalb (!) des alltäglichen Bewusstseins liegt, von daher sind sie weniger empfänglich für Psychedelika. Meine liebste Metapher für Drogen ist der “Filterwechsel vor der Wahrnehmungs-Kamera”. So erhält man ein anderes Bild der Realität. Jeder Veränderung des Bewusstseins, selbst diejenige mit Hilfe von Alkohol und Kokain, kann dich von deinem Standpunkt abbringen und zu neuen Einsichten führen. Deshalb nutzen sie Schriftsteller und Kreative manchmal, wenn sie denken, sie stecken gerade fest.

Telepolis
Sollten jemand den Kreationisten in den USA die Einnahme psychedelischer Drogen empfehlen?

Ken Goffman
Ich bin sicher, einige von ihnen haben sie genommen. Aber es gibt halt keine Erfolgsgarantie. Einige werden Fundamentalisten oder ultra-religiös. Mit Chaos, Komplexität und der Möglichkeit anderer Realitäten konfrontiert flippen sie aus und ergeben sich einem “Gott”, der ihnen das Seelenheil bringen soll.

Telepolis
Vorausgesetzt man will es wissen: Wie lernt man aus diesen Erfahrungen?

Ken Goffman
Ich zögere persönliche oder soziale Lektionen aus den Trips anderer Leute zu ziehen. Aber gut: Im weitesten Sinne wohnt diesen Erfahrungen das Potenzial inne, ein alternatives Belohnungssystem zu etablieren. Wenn wir uns für Abstumpfung mit Konsum belohnen, wenn unsere Suche nach intensiven Gefühlen zu sozialem Sadismus, Masochismus oder Krieg führt, wenn der größte Rausch für einige darin besteht Wettkämpfe zu gewinnen oder einen sexuellen Partner zu erobern; dann kann die psychedelische Erfahrung eine andere, eine bessere Entlohnung bieten. Manche Drogen schalten zeitweise das ewige Begehren ab und geben uns stattdessen einfache, aber gehaltvolle Freude. Diese Freude sitzt vielleicht in den neuralen Strukturen, der Epiphyse oder auch in Kräften außerhalb unseres Körpers, mehr oder weniger eng verknüpft mit unserem Bewusstsein. Oder wie mein Freund Zarkov, der psychedelische Investment-Banker, so gerne sagt: “Hey, es ist besser als Bowling”.

Telepolis
Wie sieht die europäische Gegenkultur zurzeit aus ihrer Sicht aus?

Ken Goffman
Ehrlich gesagt kenne ich mich da nicht aus. Ich nehme mal an es ist eine anhaltend große Minderheit, wahrscheinlich zu bequem, um aufzufallen.

Telepolis
Sehen Sie sonst irgendwo eine Gegenkultur im Geburtsstadium?

Ken Goffman
Sicher. Schauen sie nach Brasilien unter Lula, dort ist der Held des 60er – Tropicalismo, Gilberto Gil, Kulturminister. Dort wird “Open Source” adoptiert, im Sinne von Software und der Einstellung. In Mexiko herrscht ebenfalls eine starke Gegenkultur. Die Zapatisten gehören dazu, aber auch eher urbane Kulturen. Innerhalb der iranischen und chinesischen Jugend gärt es ebenfalls. Diese weltweiten Bewegungen haben vielleicht nicht die mediale Aufmerksamkeit wie die USA in den 60ern, aber sie sind da.

 


Unter dem Namen R. U. Sirius rührte Ken Goffman Ende der 80er Jahre mit am heißen Brei der entstehenden Cyberkultur. Er war einer der Herausgeber des Magazins Mondo 2000 www.mondo2000.com, einem subversiven Blatt, das über zehn Jahre lang Themen zwischen Hackertum, virtueller Realität und Techno-Utopien abdeckte. Autoren wie Bruce Sterling, William Gibson und Robert Anton Wilson schrieben für Mondo 2000, das als anarchischer Vorläufer des später erfolgreichen Magazins Wired (http://www.wired.com/wired/) gilt. Goffman ist zur Zeit Host von zwei Podcasts, „NeoFiles“ ) und die „R. U. Sirius Show“ (http://rusiriusradio.com).

Siehe zu dem Thema auch , eine Rezension zu dem Buch: „Nation of Rebels: Why Counterculture Became Consumer Culture“ von Joseph Heath and Andrew Potter.

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Rezensionen

Rezension Wolfgang Schneider: Die „sanfte“ Kontrolle, Suchtprävention als Drogenpolitik

HanfBlatt Nr. 106

Irrweg Suchtprävention

Zwei Dinge hat sich der Drogen-Wissenschaftler Wolfgang Schneider in seinem neuesten Buch vorgenommen. Zum einen will er beweisen, dass die sogenannte „Suchtprävention“, also das frühe Verhindern von Abhängigkeit, ein Irrweg der Drogenpolitik ist. Zum anderen will er die Rolle der „akzeptierenden Drogenarbeit“ in diesem Konzept der „Suchtprävention“ aufzeigen und sie aus ihren Verstrickungen damit lösen.

Teils provokant-amüsant, teil verklausuliert beschreibt Schneider die Rahmenbedingungen moderner Präventionsarbeit: Aus seiner Sicht ist der potentielle Drogenkonsument zum Objekt der Begierde fürsorglicher Kontrollstrategien degeneriert – ob er nun will oder nicht. Damit das funktioniere, so Schneider, würden häufig Gefahren und Dramen medial konstruiert, groß angelegte Kampagnen (wie „Quit the Shit“) sorgen danach für die Beruhigung der Öffentlichkeit.

Die wissenschaftlich-praktische Bewegung der „akzeptierenden Drogenarbeit“, zu dessen Vertretern Schneider gehört, setzt seit den 80er Jahren das Augenmerk nicht auf „Prävention durch Verbot“, sondern auf die Verbesserung der Lebenssituation von Drogenabhängigen bei gleichzeitiger allgemeiner Akzeptanz des Drogenkonsums. Schneider nutzt das Buch zu einem Fazit der Erfolge dieser Bewegung und weist die Nachteile deren Institutionalisierung nach.

Mittlerweile, so Schneider, sei die ausufernde Drogenhilfeindustrie zu einem Teil des irrationalen Drogen-Moralsystems geworden, in dem primär pathologisiert, kriminalisiert und dramatisiert würde. Am Anfang stehe meist die Angst der betroffenen Eltern, jeder dann jugendschützerische Immunisierungsversuch würde begierig aufgenommen, bei den Jugendlichen allerdings führe diese negative Propaganda zu keiner Änderung am Konsumverhalten. Aus Schneiders Sicht leidet herkömmliche Suchtprävention unter ihrer Fixierung auf Gefährdungen und Risiken, ohne auch nur die positiven Momenten des Konsums zu erwähnen.

Credo seiner Überlegungen ist daher die völlige Aufgabe des Begriffs der (Sucht-) Prävention, denn dieser sei durch den „stets negativ-moralischen Beigeschmack“ diskreditiert. Er möchte zukünftig von lieber (und etwas holprig) von einer „akzeptanzorientierten, moderierenden Drogenverbraucherbegleitung zur Stützung genussfähiger Gebrauchskompetenz“ sprechen. Schneider hofft auf eine Umorientierung dahin gehend, dass die Genüsse nicht als Belohnung für irgendwelche Anstrengungen und Kämpfe, sondern als, und hier zitiert er Heiko Ernst, „der eigentliche Sinn des Lebens“ zu betrachten sind. Dieser Satz ist mutig und geht weit über den vorher im Buch erarbeiteten Wissensstand hinaus.

Insgesamt betreibt Schneider eine Entblößung der aktuellen Drogenpolitik und entwirft ein Gegenmodell genussorientierter, selbst bemächtigender Regeln für jedermann. Das alles ist nicht immer einfach zu lesen, gleichwohl einer wichtiger Beitrag zur Entwirrung des festgezurrten Pakets herkömmlicher Drogenpolitik, die aus jedem Konsumenten noch immer eine arme Wurst zu machen sucht.

Wolfgang Schneider: Die „sanfte“ Kontrolle
Suchtprävention als Drogenpolitik
VWB Verlag
Berlin 2006
96 Seiten
EUR 15,00
ISBN 3-86135-256-7

 

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Die Hanfapotheke – Interview mit Franjo Grotenhermen

HanfBlatt, Nr. 98, November/Dezember 2005

Interview mit Dr. Franjo Grotenhermen vom Solidaritätskreis Hanfapotheke

HanfBlatt
Im Internet gibt es eine neue Webseite, die neugierig macht: www.hanfapotheke.org. Was darf man sich unter der Hanfapotheke vorstellen?

Franjo Grotenhermen
Die Hanfapotheke hilft Schwerkranken, die sich in einer Notlage befinden, konkret und ganz praktisch, indem sie ihnen hilft, ihr Medikament zu erhalten. Die Hanfapotheke lebt davon, dass es Menschen gibt, die bereit sind, kostenlos Cannabis an diese Patienten abzugeben. Die Spender bleiben dabei vollständig anonym, so dass sie an dem Projekt mitwirken können, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Ich weiß, wovon ich spreche, wenn ich von Schwerkranken in Not spreche, denn ich habe seit Jahren regelmäßig damit zu tun. Alle Patienten, die Cannabis von der Hanfapotheke, also von den Spendern, erhalten, leiden an schweren Erkrankungen, profitieren gesundheitlich von Cannabisprodukten und benötigen Unterstützung bei der Beschaffung ihres Medikamentes. Das Verhalten des Gesetzgebers und vielfach auch der Gerichte empfinde ich in diesem Bereich als unerträglich heuchlerisch und zynisch. Da wird beispielsweise damit argumentiert, dass Cannabisprodukte Nebenwirkungen verursachen können. Es ist aber trivial, dass wirksame Medikamente Nebenwirkungen verursachen können. Viele Medikamente, die tagtäglich von Ärzten verschrieben werden, können sogar tödliche Nebenwirkungen verursachen. Oder es wird darauf hingewiesen, dass Cannabis keine arzneimittelrechtliche Zulassung in Deutschland besitzt. Das bedeutet doch aber nicht, dass man Menschen, die Cannabis aus medizinischen Gründen verwenden, deshalb strafrechtlich verfolgen und ihnen damit über ihr schweres gesundheitliches Schicksal hinaus weiteren Schaden zufügen müsste. Es ist heuchlerisch, beim Oktoberfest aus reiner Lust am Besäufnis die Volksdroge Nummer eins zu genießen, gleichzeitig aber einem Schmerzpatienten ein wirksames Mittel vorzuenthalten, weil es von anderen ebenfalls als Droge genossen wird. Die Menschen werden in ihrer Not mit fadenscheinigen Argumenten von der Politik und der Justiz allein gelassen. Die Hanfapotheke will ihnen dagegen, so gut es ihr möglich ist, beistehen. Ich möchte die Leser des Hanfblatts herzlich einladen, dabei nach ihren Möglichkeiten mitzuwirken.
Die Hanfapotheke hilft Schwerkranken, die sich in einer Notlage befinden, konkret und ganz praktisch, indem sie ihnen hilft, ihr Medikament zu erhalten. Die Hanfapotheke lebt davon, dass es Menschen gibt, die bereit sind, kostenlos Cannabis an diese Patienten abzugeben. Die Spender bleiben dabei vollständig anonym, so dass sie an dem Projekt mitwirken können, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Ich weiß, wovon ich spreche, wenn ich von Schwerkranken in Not spreche, denn ich habe seit Jahren regelmäßig damit zu tun. Alle Patienten, die Cannabis von der Hanfapotheke, also von den Spendern, erhalten, leiden an schweren Erkrankungen, profitieren gesundheitlichach ihren Möglichkeiten mitzuwirken.

Man ist also als Kranker, dem psychoaktive Hanfprodukte helfen können, nicht mehr darauf angewiesen, sich das teure (teil)synthetische THC vom Arzt verschreiben zu lassen oder sich gar im Rahmen einer Selbstmedikation beim Dealer zu versorgen, sondern kann einfach über www.hanfapotheke.org ordern?! Was muss man tun, um in den Genuss dieser Dienstleistung zu gelangen?

Patienten können nur dann Cannabisprodukte von der Hanfapotheke erhalten, wenn sie zuvor andere legale Möglichkeiten ausgeschöpft haben. Sie müssen also zunächst versucht haben, sich THC (Dronabinol) vom Arzt verschreiben zu lassen, und ihre Krankenkasse um die Erstattung der Behandlungskosten bitten. Die Hanfapotheke ist kein Ersatz für einen möglichen legalen Zugang zu Medikamenten auf Cannabisbasis, sondern eine Notlösung, wenn andere Wege versagt haben, beispielsweise, weil die zuständige Krankenkasse die Kostenübernahme verweigert. Es muss eine echte Notstandssituation vorliegen. Diese Notstandssituation ist durch die Schwere der Erkrankung, durch eine nicht ausreichende Behandlung mit den zur Verfügung stehenden Medikamenten, sowie durch die gleichzeitige Wirksamkeit einer Behandlung mit Cannabisprodukten und den fehlenden Zugang zu Cannabisprodukten gekennzeichnet. Das sind die Bedingungen, die das Oberlandesgericht Karlsruhe in einem Urteil aus dem Jahre 2004 im Falle eines Multiple-Sklerose-Patienten für das Vorliegen eines rechtfertigenden Notstands formuliert hat. Erst wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, kann ein Patient darauf hoffen, über die Hanfapotheke Cannabis zu erhalten. Die Macher der Hanfapotheke haben die Hürden aus mehreren Gründen vergleichsweise hoch gesetzt. Erstens sollen vor allem die Patienten von der Hanfapotheke profitieren, die dies am dringendsten benötigen. Zweitens sollen sich die Aktivitäten der Hanfapotheke im juristischen Bereich des rechtfertigenden Notstands der beteiligten Patienten bewegen, so dass alle Beteiligten weitgehend geschützt sind. Und drittens sollen die Spender sicher sein können, dass ihr Cannabis an Personen gelangt, die ihn auch wirklich dringend medizinisch benötigen.
Die Versorgung beim Dealer ist im Allgemeinen sicherlich unzumutbar, zumal viele Schwerkranke nur über wenig Geld verfügen, und sie sich daher eine angemessene Versorgung häufig finanziell nicht leisten können. Oft besteht aber auch einfach kein Kontakt zu Personen, die illegale Cannabisprodukte verkaufen. Um als Patient Cannabis von der Hanfapotheke zu bekommen, reicht eine E-Mail an info@hanfapotheke.org. Dann wird ein Kontakt zu einem Vertrauensarzt der Hanfapotheke hergestellt, der überprüft, ob die Voraussetzungen tatsächlich erfüllt sind.

Nach welchen Kriterien stellt der Vertrauensarzt fest, dass die Einnahme psychoaktiver Hanfpräparate eine Verbesserung des Gesundheitszustandes bzw. eine Linderung bestehenden Leids sein kann?

Es gibt dabei kein Schema. Es gelten aber einige Prinzipien. So wird er einen ärztlichen Bericht vom Patienten anfordern, aus dem die Erkrankung und die Symptome hervorgehen. Das kann beispielsweise ein Krankenhausbericht sein. Dann wird in einem persönlichen Gespräch geklärt, ob schon einmal Cannabisprodukte versucht worden sind, wie die bisherigen Therapien verlaufen sind, etc.

Bei welchen Indikationen sind durch psychoaktive Cannabispräparate Besserungen der gesundheitlichen Befindlichkeit zu erwarten?

Das Spektrum der Indikationen ist groß. Im Vordergrund stehen heute vor allem chronische Schmerzerkrankungen sowie Symptome verschiedener neurologischer Erkrankungen wie Multiple Sklerose, Verletzungen des Rückenmarks (Querschnittslähmung) und Tourette-Syndrom. Weitere wichtige Indikationen sind Übelkeit und Erbrechen sowie Appetitlosigkeit mit Gewichtsverlust bei Erkrankungen wie Krebs, Aids und Hepatitis C.

Wie und in welcher Form erhält der Kranke nun sein medizinisch indiziertes Cannabis?

Er erhält sein Cannabis mit der Post, wobei der wahre Absender unbekannt bleibt.

Wonach ergibt sich die Menge, die der Kranke zur Verfügung gestellt bekommt?

Die Menge ist individuell variabel und ergibt sich aus dem Bedarf des Patienten. Wenn er angibt, etwa 1 Gramm pro Tag zu benötigen, so wird die Hanfapotheke dies auch als seinen Bedarf akzeptieren und versuchen, ihm zu helfen, diesen Bedarf zu decken. In der Realität wird es aber sicherlich oft so sein, dass sein Bedarf nicht vollständig durch die Hanfapotheke gedeckt werden kann. Ich kann mir gut vorstellen, dass der Bedarf größer sein wird als das Angebot. Wie im Konzept der Hanfapotheke zu lesen ist, kann sie keine optimale Versorgung sicher stellen. Dies gilt sowohl für die Quantität als auch für die Qualität. Hier ist der Gesetzgeber gefragt, die rechtlichen Rahmenbedingungen so zu verändern, dass Patienten ausreichend mit Cannabisprodukten hochwertiger Qualtität versorgt werden bzw. sich versorgen können.

Wie können Spender Kontakt mit der Hanfapotheke aufnehmen,und wodurch kann ihre Anonymität gewährleistet werden?

Wir haben auf der Webseite der Hanfapotheke einen einfachen Weg vorgeschlagen. Es ist heute möglich, sich bei verschiedenen Providern wie gmx und yahoo eine anonyme E-Mail-Adresse einzurichten, so dass es nicht möglich ist, den wirklichen Absender zu ermitteln. Mit dieser E-Mail-Adresse meldet er sich dann über info(at-antispam-klammerfaffe)hanfapotheke.org und bietet seine Hilfe an. Es ist zu keiner Zeit erforderlich, dass ein Spender der Hanfapotheke oder einem Patienten mit seinem wirklichen Namen bekannt wird.

Wird die Zuverlässigkeit des Spenders und die Qualität des gespendeten Materials kontrolliert?

Sobald ein Patient von einem Spender Cannabis erhalten hat, gibt er der Hanfapotheke eine Rückmeldung, in der er auch von der Qualität berichten kann. Wir haben die Hoffnung, dass der Großteil der Spender den Patienten ernsthaft helfen möchte und sich dies auch in der Qualität des gespendeten Cannabis niederschlägt. Ich möchte aber auch gleichzeitig betonen, dass viele Patienten auch sehr dankbar sind, wenn sie eine mittelmäßige Qualität erhalten. Cannabis mittlerer Qualität ist besser als kein Cannabis.

Der Spender kann also bei anonymisierter E-Mail-Adresse aus dem Verborgenen agieren. Er erfährt aber die Adresse des Kranken, der sich ja ohnehin der Hanfapotheke gegenüber schon geoutet hat. An die kann der anonyme Spender dann sein Produkt schicken, oder wie muss man sich das praktisch vorstellen?

Ja, so funktioniert die Hanfapotheke. Der Spender geht keinerlei Risiko ein, entdeckt zu werden. Der Patient geht dagegen ein gewisses, jedoch überschaubar geringes Risiko ein, da es möglich ist, dass sich ein verdeckter Ermittler bei der Hanfapotheke als Spender ausgibt und dann die Adresse eines Patienten erhält, der sich mit Cannabis behandeln möchte. Da aber ein Spender im Allgemeinen nur die Adresse eines einzigen Patienten erhält, ist das gesamte Projekt damit nicht relevant beeinträchtigt und das Risiko für den einzelnen Patienten gering. Die Ausbeute für den verdeckten Ermittler wäre ebenfalls sehr gering, so dass es sich für die Justiz vermutlich nicht lohnt, auf diese Weise aktiv zu werden. Zudem kann man sich fragen, ob die Justiz tatsächlich ein Interesse daran haben kann, einzelne der beteiligten Patienten, die wirklich in Not sind, strafrechtlich zu verfolgen. Wenn auch möglicherweise formal Rechtsbrüche begangen werden, so wird doch tatsächlich niemandem ein Schaden zugefügt. Ganz im Gegenteil. Die Hanfapotheke schafft einen dringend notwendigen Ausgleich für eine Schieflage der gegenwärtigen rechtlichen Rahmenbedingungen für die medizinische Verwendung von Cannabisprodukten. Und dieser Ausgleich nimmt sich gemessen an den tatsächlichen Erfordernissen eher gering aus. Die Hanfapotheke kann nicht viel mehr leisten als einige Tropfen auf den heißen Stein. Für den einzelnen Patienten kann dies jedoch von großer Bedeutung sein.

Wer steht hinter dem Projekt Hanfapotheke?

Aus verständlichen Gründen wissen dies nur wenige.

Fürchtet Ihr die strafrechtliche Verfolgung, und wie werdet Ihr in einem solchen Falle damit umgehen?

Die Mitglieder des Solidaritätskreises gehen vermutlich kein großes Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung ein. Ich rechne auch nicht damit. Sollte das dennoch geschehen, so sehe ich dem gelassen entgegen. Ich bin davon überzeugt, dass wir etwas Gutes und Richtiges tun, dass nicht bestraft werden sollte. Ich möchte in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass sich im Mai 2002 elf Patienten, die Cannabis zu medizinischen Zwecken verwenden, in der Wochenzeitschrift Stern mit Foto, Name und Wohnort mit einer kurzen Geschichte geoutet haben. Sie forderten das Ende der Kriminalisierung von Kranken, die Cannabis aus medizinischen Gründen einnehmen. Keiner dieser Patienten hat in der Folge dieser Aktion strafrechtliche Probleme bekommen bzw. eine Strafanzeige erhalten.

Angenommen, jemand beabsichtigt medizinisch indiziert Cannabis einzunehmen, hat aber in seinem Leben noch keine oder nur geringe Erfahrungen mit Hanf als Genußmittel gemacht, woher bekommt er dann das stoffkundliche Knowhow?

Vielleicht durch die Lektüre des Hanfblatts. Er oder sie kann sich auch an die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin wenden. Die Hanfapotheke selbst bietet keine Informationen zur praktischen Anwendung von Cannabisprodukten und leistet auch keine medizinische Beratung, sondern konzentriert sich auf die Versorgung.

Das klingt gut durchdacht und erscheint altruistisch und unterstützenswert. Wir wünschen der Hanfapotheke, dass sie vielen Menschen helfen möge.

 

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Psychoaktive Substanzen

Die Weltreligionen und ihr Verhältnis zum Rausch – Das Christentum

HanfBlatt, Nr. 98, November/Dezember 2005

Die Weltreligionen und ihr Verhältnis zum Rausch

Teil 1

Das Christentum

Es ist schon so eine Sache mit den Christen. Als kleine jüdische Sekte entstanden, ist das Christentum heute mit rund 2 Milliarden Anhängern die erfolgreichste Religion weltweit. Die Liebe zu Gott und dem nervigen Nachbarn steht im Vordergrund der Lehre, um aber korrekt christlich glauben zu können muss man ein paar weitere Grundsätze akzeptieren. Ein zentraler sei genannt, denn er führt ins Thema: Die Erbsünde. Weil Eva und Adam von der Frucht der Erkenntnis naschten wurden sie aus dem Paradies geworfen. Seither warten die Christen auf Erlösung. Abgesehen davon, dass manche Psychedeliker glauben, der Apfel sei die erste psychoaktive Droge gewesen, begleitet der Begriff der „Sünde“ das Glauben und Denken der Christen seither.

In einigen Passagen der Bibel dient der Wein dem Christentum zwar mit üppigen Bildern. Im Alten Testament heißt es beispielsweise: „Deine Gattin wird wie ein fruchtbarer Weinberg sein.“ Im Vierten Buch Moses presst der Riese Nephilim so große Weintrauben, dass deren Säfte sich zu einem Fluss vereinigen. Aber spätestens mit der Geschichte der Töchter von Loth, die ihren Vater betrunken machen, um anschließend mit ihm zu schlafen, manifestierten sich im Christentum eindeutig rauschablehnende Züge. Roter Wein, rote Lippen und andere Rauschmittel sind von nun an die Komplizen von Inzest, Mord und Gesetzesbruch. Wein und Weiblichkeit gehören zusammen, ihre Verführungskraft ist ähnlich stark, die Sünde ist nah. Von der Schlange in die Ferse gestochen kriegt Eva „ihre Tage“; diese gelten bis heute als unrein. Die Menstruation der Ursünderin ist kalter Anti-Wein.

Beim Abendmahl sagt Jesus: „Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut.“ Ab diesem Moment steht Wein als Metapher für das Blut von Christus. Diese symbolische Aufladung lässt ihn zur Sakraldroge werden, der Wein gilt als Saft eines Lebens, das nur durch den Glauben an Jesus Sinn erhält.

In der Bibel existieren keine direkten Hinweise auf Cannabisgebrauch, Judaismus und Christentum bemühen sich seit Jahrhunderten eh, die eigenen religiösen Praktiken vom Zusammenhang mit psychoaktiven Pflanzen frei zu halten. Es gilt: Lieber nüchtern in die Irre rennen, als berauscht zur Erkenntnis zu gelangen.

Soweit die Theorie. In den Zeiten des Heranwachsens zu einer ausgebildeten Religion trifft das frühe Christentum aber auf eine Bevölkerung, die vom Gegenteil überzeugt ist. Gelage sind dort eben gerade sakrale Handlungen, rauschhafte Freude und derber Humor und der Kontakt mit dem Göttlichen gehen hier zusammen. Der Met ist Heilmittel, besser gesagt: ein Kanal zu „Gott“, nämlich zu den Ursprüngen der eigenen Seele im All-Einen. „Gott“ in Form des streng-gütige Mannes mit Bart ist eine Halluzination der Christen. Kein Chinese kriegt Marienerscheinungen.

Gleichwohl blieb eine Art rauschhafte Erkenntnis durchaus eine akzeptierte Form der Erkenntnis bei den Christen. Die Extase, die Enthebung aus der ichgebundenen Wirklichkeit, ist die Urform aller religiöser Erfahrung und war auch dem Christentum nicht unbekannt. Nur spielten naturgegebene Substanzen und Mittelchen dabei immer nur eine untergeordnete Rolle, es waren immer nur Splittergruppen, die dieses mystischen Weg der Erkenntnis beschritten. Meister Eckehart und Hildegard von Bingen, um zwei zu nennen, fanden innerhalb der Bevölkerung wenig, innerhalb der Kirche so gut wie keine Unterstützung. Heute, so darf man sagen, ist dieser Zweig innerhalb des Christentum komplett vertrocknet.

Es ist eine interessante, hier nicht zu beantwortende Frage, ob eine Kultivierung des direkten Kontakts der Gemeinde mit „Gott“ den Untergang des Christentums verhindert hätte, der sich in den Industrienationen seit Jahrzehnten langsam, aber unaufhaltsam vollzieht. Die Gefahr wäre wohl gewesen, dass aus den Schäfchen plötzlich selbstständig glaubende Individuen geworden wären. Von da aus ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Frage, weshalb man verfettete und ablasshandelnde Mönche finanziell unterstützen soll. Anders formuliert: Braucht man eine Institution, die sich zwischen das glaubende Individuum und das göttliche All-Eine schiebt? Ein Übersetzer der Sprache „Gottes“ lohnt durch nur, wenn man das Simultan-Wörterbuch nicht selbst in der Tasche hat.

Die Machtansprüche der Kirche beziehen sich im Mittelalter (und bis heute) aber nicht nur auf das geistige, sondern auch das weltliche Leben. Gott sitzt damals an jedem Tisch, das „Gute“ und „Böse“ war immer und überall. Auch extatische Erfahrungen sind nicht aus der Wirklichkeit ausgegrenzt, sondern bestimmen alltäglichen Denken und Handeln. Diese Sprengkraft spielt viel zu sehr in den weltlichen Machtbereich der Kirche hinein, als das sie sie ignorieren könnten. Schließlich ist sie es, die die Welt in Gut und Böse einteilt und es unterliegt ihrem Gutdünken, aus einem trippenden Ur-Hippie einen Heiligen oder einen Ketzer zu machen.

Es ist viel darüber spekuliert und geforscht worden, ob das Christentum unsere Wurzeln der heidnischen Kultur gekappt und mit den eigenen Anschauungen und Praktiken ersetzt hat. Mindestens genauso wichtig wie die Rolle der Klerus bei der Ablehnung von Rauschmittel ist sicherlich der im Zeitalter der Aufklärung aufkeimende Rationalismus. Er ist die Grundlage der modernen Wissenschaft. Nicht mehr die Einsicht in der Ganzheit der Welt wird angestrebt, sondern es wird das Funktionieren ihrer einzelnen Teile untersucht. Die Welt wird analysiert und ihre Objekte seziert. Für eine Subjekt-Objekt Verschmelzung, deren Erleben extrem subjektiv ist, blieb kein Platz mehr. Weil nicht messbar, wird der durch Rauschmittel induzierten Extase der „wirkliche“ Charakter abgesprochen. Aus dieser Sicht ist Transzendenz nur ein Hirngespinst oder gar Lug und Trug.

Heute nimmt die christliche Kirche eine gespaltene Stellung gegenüber dem Rausch ein. So sehr sie sich an den Geschwindigkeitsrausch, den Konsumrausch und die rauschartige Zustände bei Massenaufläufen gewöhnt hat, so sehr lehnt sie den Einsatz von speziellen Rauschmitteln zur Gottangleichung ab. Selbstkontrolle, da ist sie sich mit dem Rest der Gesellschaft einig, ist erste Bürgerpflicht. Und auch in anderer Hinsicht geht sie konform: Alkohol ist erlaubt. Sie sieht sich daher dem Vorwurf ausgesetzt, zusammen mit den ökonomisch-politischen Kräften den Alkohol deswegen zu billigen, weil ihm keine große Kraft zur ich-auflösenden Extase inne wohnt. Haschisch und andere Drogen dagegen werfen die Frage nach Wahrheit, Wahrhaftigkeit und Wirklichkeit auf. Solche alternativen Sinnwelten seien, so der Vorwurf, weder von Politik noch von der Kirche gewollt. Der Rausch ist und bleibt für den Klerus unheimliches Unterfangen „böser Kräfte“ oder „verwirrter Seelen“. Und noch ist kein Ende der Phrase von den „künstlichen Paradiesen“ in Sicht. Wie auch?, würde dies doch das christliche Glaubensfundament in den Urfesten erschüttern.