Erschienen in der Telepolis
Von Jörg Auf dem Hövel
Eine Studie will schrumpfende Hirne bei Liebhabern von Sexfilmen gefunden haben
Niemand sollte die Entwicklung des gesellschaftlichen Diskurses anzweifeln. Vor 100 Jahren sollte Mastubieren zur Erblindung führen, vor 50 Jahren das Rückenmark angreifen. Heute, in den Zeiten der Hirnforschung, gibt es neue Beweise für die Pathologie des unheilvollen Rumspielens an sich selbst. Forscher vom anerkannten Max-Planck Institut wollen herausgefunden haben, dass Pornokonsum zum Schrumpfen des Gehirns führt. Es rauscht im Medienwald. Die Deutsche Welle spricht vom pornographiebedingten „Erbsenhirn“, Focus Online titelt: „Studie belegt geringeres Hirnvolumen von Porno-Freaks“. Was nun?
Ein Blick auf den Internet-Traffic zeigt das Ausmaß des Phänomens. Nicht mehr erotisch zu nennenden Videos flitzen um den Globus, Pornographie erlebte schon vor YouPorn einen enormen Boom, es gab Zeiten, da sprach man bei Google hinter vorgehaltener Hand von der Hälfte aller Suchanfragen. Ein kulturelles Phänomen, dieses wütende Gerammel. Die Akteure als blinde Zeugen der Einsamkeit auf den First- und Second-Screens. Der Output an neuen Filmen ist frappant. Das passt zum glattrasierten Körperkult, der sein Ende nicht so recht finden will. Eine rohe Sache zumeist, man kann vermuten, dass die häufige Betrachtung dieser nur noch objekthaften Maschinenmenschen etwas Inneres ändert.
Die Berliner Max-Planck Forscher wollten es genauer wissen. 64 belastbare Männer flossen in ihre Studie ein. Zu wenig, um belastbare Aussagen zu tätigen. Nicht das einzige Manko der Untersuchung, aber dazu später mehr. Die Männern schauten durchschnittlich vier Stunden in der Woche dem groben Gefummel zu. Der Hirnscanner malte das Bild eines veränderten Vorderhirns. Das als „Nucleus caudatus“ bezeichnete Kerngebiet in der rechten Großhirnhälfte war bei den starken Pornonutzern kleiner. Im Ergebnis zeigte sich ein Zusammenhang zwischen Pornographiekonsum und der Größe des Striatums, einer Hirnregion, die zum Belohnungssystem des Gehirns gehört. Das heißt: Je mehr sich die Probanden mit Pornografie beschäftigten, desto kleiner war das Volumen ihres Striatums. „Das könnte bedeuten, dass der regelmäßige Konsum von Pornografie das Belohnungssystem gewissermaßen ausleiert“, sagt Simone Kühn, Mitautorin der Studie und Wissenschaftlerin im Forschungsbereich Entwicklungspsychologie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung.
Die Korrelation kann – wie so oft – auch anders rum laufen: Männer mit bestimmten Hirnstukturen schauen öfter Pornos. Noch größer dürfte allerdings die Chance sein, dass hier einfach weitere, unbekannte oder unkontrollierte Faktoren eine Rolle spielen. Es gibt Männer, die aufgrund ihrer vergangenen und aktuellen Lebenssituation zu vermehrten Pornokonsum neigen. Die Studie hat es unterlassen, nach Persönlichkeitstypen auszusieben, wie es beispielsweise „Extrovertierte“ wären, die ohnehin auf sexuelle Bilder sensibler reagieren. Auch der begleitende Medienkonsum der Probanden wurde nicht kontrolliert. Und: Die Hirnveränderung führt anscheinend zu keinen Beeinträchtigungen. Anders gefragt: Was sagt uns die Verkleinerung des Striatums?
Um Ursache und Wirkung zu unterscheiden, so schreiben die Wissenschaftler, müsse man „die Zusammenhänge weiter erforschen“. Dafür sollten neue zu rekrutierende Pornoliebhaber über einen längeren Zeitraum verfolgt werden.