Omega-3-Fettsäuren sollen gegen viele Beschwerden schützen, nun sogar kognitive Funktionen verbessern. Doch die Forschungslage ist nicht so sicher wie die Werbung
Erschienen in der Telepolis v. 27.11.2013
Von Jörg Auf dem Hövel
Rentner bevölkern die Alterspyramide, Demenz oder ewige Potenz, körperlich wie geistig. Bürger, die sich auf Herbst und Winter des Lebens vorbereiten. Werdende Mütter, die ihre Ernährung umstellen. Hersteller, die ihre Produkte anreichern. Stichworte aus einer Gemengelage.
Inzwischen hat jeder einen jüngeren oder älteren, aktiven Optimierer im Bekanntenkreis, dem Sport und gesunde Ernährung nicht mehr ausreichen, um in Würde zu altern oder schon dem Fötus perfekte Bedingungen zu bieten. Nahrungsergänzungmitteldöschen in der Tür des Kühlschranks. Wieder einmal soll die Chemie es richten. Brain-Food, gibt es das? Alle Jahre wieder wird ein anderes Mittelchen durch die Gazetten gejagt, das dem werdenden oder alternden Geist auf die Sprünge helfen soll.
Seit neuestem gelten die Omega-3-Fettsäuren als Heilsbringer. Sie sind für den gesunden Körper essenziell und kommen unter anderem in Pflanzenölen, Fischen und Algen vor.
Schon der Mutterkuchen versorgt das wachsende Leben mit Omega-3; genauer gesagt der Untergruppe mit dem kryptischen Namen Docosahexaensäure, besser bekannt unter ihrem Kürzel DHA. Die Relevanz der Substanz hat dafür gesorgt, dass manche Expertengruppen (wie die PeriLip) die ergänzende Einnahme von täglich mindestens 200mg während der Schwangerschaft empfehlen. Wohlgemerkt sollte diese Aufnahme den Experten nach über fettigen Fisch und nicht über Ergänzungsmittel erfolgen, ein Umstand, der nicht immer Erwähnung findet.
Ob nun die kognitiven Leistungen von bereits im Mutterleib mit Omega-3 gepäppelten Babys besser sind, ist unklar. Es existieren vorsichtige Hinweise darauf, dass eine erhöhte Omega-3-Versorgung während der Schwangerschaft die Augen- und Handkoordination bei den später Zweijährigen leicht verbessert. Die Studie wurde allerdings wegen ihren Methodik kritisiert.
Eine Studie aus 2002 fand bei 4-Jährigen keinen Zusammenhang zwischen kognitiven Leistungen und dem DHA-Spiegel zum Zeitpunkt der Geburt (Ghys 2002). Ein Jahr später veröffentlichten norwegische Forscher eine Analyse, die sich erstmals mit der Auswirkung einer Omega-3 haltigen Ernährung auf die Intelligenz von Kleinkindern befasst. Die Auswertung von Intelligenztests von 4-Jährigen, deren Mütter während der Schwangerschaft und Stillzeit Lebertran zu sich genommen hatten, ergab ein positives Ergebnis. Die Kleinkinder schnitten besser ab als eine Vergleichsgruppe, die nur Maisöl über die Mutter konsumiert hatten (Helland 2003).
Ob eine Omega-3-Zugabe eventuell im Alter positive Wirkung zeigt, wurde in einigen Studien geprüft. Die Ergebnisse sind widersprüchlich. Ein Experiment mit über 65-jährigen Fischessern in Chicago fand Hinweise auf ein weniger starkes Abfallen einiger kognitiver Leistungen (Morris 2005).
Eindeutiger sind die Ergebnisse einer seit 2004 laufenden Langzeitstudie in den USA, die die über 70-jährigen Einwohner eines Landkreises regelmäßig auf ihre körperliche und geistige Fitness untersucht. Glaubt man den Analysen, so leiden Personen, die regelmäßig Fischöle zu sich nehmen, weniger an sogenannter „Mild Cognitive Impairment“, einem vagen Konstrukt, das die altersbedingte Vertrottelung definieren soll, keine Vorhersage auf den Ausbruch einer späteren Demenz erlaubt und in Verdacht steht, der pharmazeutischen Industrie in die Hände zu spielen (Roberts 2010). Die legendäre mediterrane Diät kann ebenfalls dabei helfen, den natürlichen Abbau zu verlangsamen. Zu diesem Ergebnis kommt zumindest eine Meta-Analyse aus diesem Jahr (Singh 2013).
Also Fisch oder Fischölkapseln täglich? So eindeutig ist es nicht. Eine jetzt publizierte Sekundärauswertung der WHISCA-Langzeitstudie hat den Effekt von Omega-3-Fetten auf über 2.000 älteren Frauen analysiert: Man fand keinen Zusammenhang zwischen dem vermehrten Fischöl-Konsum und geistiger Frischheit Ammann 2013. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine Beobachtung von über 800 Engländern im Alter zwischen 70 und 79 Jahren. Die Studiendauer war zwar mit zwei Jahren relativ kurz, interessanterweise kam es in diesem Zeitraum weder in der Kontroll- noch in der Fischölgruppe zu einem kognitiven Abbau ([Dangour 2010 http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20410089]).
Im letzten Jahr haben Wissenschaftler der Cochrane-Collaboration in einer Übersichtsarbeit untersucht, ob Omega-3-Fettsäuren tatsächlich dazu beitragen können, in Rechnen und Schreiben die gewohnte 1 zu halten, vor Demenz zu schützen oder den altersbedingten Abbau der kognitiven Fähigkeiten zu verlangsamen. Die Datenlage ist so gut nicht: Für die Arbeit konnten die Forscher die Daten von nur drei relevanten Studien prüfen, an denen insgesamt 3.536 geistig gesunde Menschen im Alter über 60 Jahren teilgenommen hatten. In einer Studie nahmen die Senioren entweder mit Omega-3-Fettsäuren angereicherte Margarine oder einen Placebo-Aufstrich zu sich. In den beiden anderen Studien nahmen die Teilnehmer täglich entweder Fischöl-Kapseln oder Placebos ein.
Ergebnis: Fischöl-Kapseln oder andere Ergänzungsmittel schützen ältere Menschen nicht vor Demenz (Sydenham 2012). Allerdings war die Studiendauer mit sechs beziehungsweise 24 Monaten relativ kurz. Sowohl der altersbedingte Abbau als auch die potentielle Wirkung der Fettsäure hatten wenig Zeit, sich zu entfalten.
Es ist wie so oft: Weitere Studien müssen Aufklärung bringen, wobei besonders auf den Einfluss lebensbegleitender Ko-Faktoren geachtet werden muss. Beim Autor jedenfalls hat die Einnahme von täglich 200mg Fischöl über bislang vier Monate subjektiv keine nennenswerte Veränderung gebracht. Es steht allerdings auch kein Messinstrument zur Verfügung, um etwaige Verbesserungen oder Verschlechterungen zu registrieren.