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Mixed

Bananenschalen rauchen? High werden?

„DER GROSSE BANANEN-SCHABERNACK“

oder „The Great Banana Hoax“ wurde das erfolgreiche in die Welt setzen eines Gerüchtes genannt, das sich bis heute in gewöhnlich schlecht informierten Kreisen erhalten hat. Die Zeitungsente wurde am 3. März 1967 von der revolutionären Studentenpostille Berkeley Barb im Hippie-San Francisco verbreitet. Sie griff die „Story“ von der Rockband Country Joe and the Fish auf, die damit hausieren ging. Die Jungs hatten gehört, daß die Bananenschale geringe Mengen von Substanzen enthalten solle, die im menschlichen Gehirn als Botenstoffe eine Rolle spielen (aber wie man heute weiß, auch in größerer Menge, gegessen oder geraucht, nicht ins Gehirn gelangen und damit wirksam werden können). Man folgerte nun großzügig, daß sie sich vielleicht irgendwie in psychedelische Drogen verwandeln könnten, weil diese ja so ähnlich aufgebaut seien. Es wurde mit dem Rauchen getrockneter Bananenschalen herumexperimentiert, und man befand sie für irgendwie wirksam. Aber eigentlich war man sowieso ständig breit von LSD und Marijuana, aber egal, man gönnte sich den Spaß, das Zeug sogar auf Konzerten zu verteilen. Allein die Vorstellung von den törnenden Bananen war wohl schon lustig genug. Die spleenige Idee wurde im Barb durch Beiträge untermauert, die die Bananenschale wie die neueste, aber irgendwo auf der Welt auch schon von alten Kulturen gebrauchte Superdroge erscheinen liessen, auf die alles, was Rang und Namen in der Hippie-Protestler-Szene hatte, gerade abfuhr. Selbst der aus dem Jahre 1966 stammende Donovan-Song „Mellow Yellow“ mit seiner „electric banana“-Anspielung schien jetzt eine klare Botschaft zu enthalten: Nächster Schritt – Bananen. Im Grunde wurden Drogen-Hype und spiessige Drogenangst gleichzeitig vorgeführt. Rauschgiftfahnder beim Bespitzeln von Bananenkäufern, während sich die Acidbande ins Fäustchen lacht. Schon zwei Tage später bezweifelte die Mainstream-Presse Wahrheit und E rnsthaftigkeit der Bananen-Meldung, aber in Haight Ashbury waren alle Bananen ausverkauft. Die amerikanische „Food and Drug Administration“-Behörde ließ noch im selben Jahr Bananenschalen auf psychoaktive oder gar psychedelische Inhaltsstoffe testen, ohne Erfolg versteht sich. Doch das Gerücht von den psychedelischen Bananen sollte noch Jahre danach seine Kreise um den Erdball ziehen. Deutsche Vorstadt-Kids auf „Bananadin“ würden sich von „Tunneleffekten“ berichten, so wie sich Hinterwäldler von ihren Erlebnissen mit dem Rauchen von Kuhfladen erzählen. Placebo sei Dank.

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Cognitive Enhancement Psychopharmakologie Übermensch

Vergesst das Gehirn nicht

Das Protein PKMzeta galt als Zentralschalter für die Erinnerung, gar als Kandidat für effektives Gedächtnis-Doping. Nun kommen Zweifel auf.

In den letzten Jahrzehnten wurden verschiedene chemische Substanzen gefunden, die für das Erinnern zuständig sind. Eine zentrale Rolle wurde dabei immer PKMzeta zugeschrieben. Hinter dem Kürzel verbirgt sich ein Enzym, das Todd Sacktor bereits vor 20 Jahren entdeckt hatte. In einem seiner Versuche hemmte er im Hirn von Ratten das PKMzeta und konnte eine ansonsten stabile Erinnerung komplett löschen. In einem zweiten Versuch erhöhte er die Verfügbarkeit von PKMzeta und konnte nachweisen, dass dies bei den Nagern die Erinnerungsfähigkeit fördert.

Nicht nur Sacktor denkt, mit dem Enzym den Schlüssel zum menschlichen Gedächtnis in der Hand zu haben, sei es, um das Hirn besser lernen zu lassen, sei es, um es vergessen zu lassen. Zuletzt durfte eine Forschergruppe im anerkannten Magazin Science über die enorme Konsolidierungskraft von PKMzeta berichten.

Aber jetzt kommen Zweifel auf. Unabhängig voneinander deaktivierten zwei Forscherteams in Mausembryonen die Gene, die für die Bildung von PKMzeta verantwortlich sind. Die ausgewachsenen Mäuse besaßen das Enzym also nicht. Gleichwohl waren die Mäuse in der Lage, Erinnerungen auszubilden (Nature-Aufsätze hier und hier). Die Studien zeigen recht eindeutig, dass PKMzeta das Erinnerungsvermögen nicht als hauptverantwortliches Moment reguliert. Alternative Pfade sind möglich. Welche dies sind, muss weitere Forschung zeigen.

Wieder muss sich die Hirnforschung von der Hoffnung zu verabschieden, ein einzelnes Molekül sei in der Lage, Erinnerung (wer spricht noch von CREB?) oder Gefühle (Oxytocin) zu formen. Simple Erklärungen sind verführerisch und ökonomisch besser verwertbar. Gegenseitige Abhängigkeiten im körpereigenen Prozess, äußere Einflüsse, individuelle Eigenheiten – dies alles wird spätestens virulent, wenn es um die pharmakologische Umsetzung der Forschungsergebnisse geht.

Erschienen in der Telepolis unter http://www.heise.de/tp/blogs/3/153490

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Drogenpolitik Psychoaktive Substanzen Specials

Das Dilemma mit den neuen „Designerdrogen“

AM RANDE DER LEGALITÄT

Der Begriff „Designerdrogen“ ist ja schon an sich fragwürdig. Man versteht darunter gemeinhin psychoaktiv wirksame noch legale chemische Substanzen, die von „Underground-Chemikern“ in der Absicht entwickelt, „designed“ wurden, bestehende Drogenverbote, bei uns also das Betäubungsmittelgesetz, zu umgehen und sich damit einer effektiven Strafverfolgung zu entziehen. Nun wurden aber die meisten der sogenannten „Designerdrogen“ zuerst im Rahmen ganz legaler Forschung in Laboren der pharmazeutischen Industrie oder von Wissenschaftlern an Universitäten entwickelt. „Underground-Chemiker“ brauchen nur in der einschlägigen Fachliteratur nachzuschlagen, um auf die Synthesewege potentiell psychoaktiver Substanzen zu stossen. Zugegeben, nicht zuletzt inspiriert durch die beiden von dem amerikanischen Chemiker Alexander Shulgin und seiner Frau Ann vorgelegten Meilensteine „Pihkal“ und „Tihkal“, Bücher, in denen Synthese und Wirkungen zahlreicher Phenyläthylamine und Tryptamine detailliert beschrieben werden, machen sich vermehrt Chemiekundige an die Synthese und Entwicklung noch rarer oder gar neuer „Psychodelikatessen“.

In grossem Masstab wird aber vor allem das produziert, was der Markt bereits verlangt, und das sind in erster Linie Amphetamin („Speed“), LSD („Acid“) und MDMA („XTC“). Die dem MDMA in Chemismus und Wirkung nahestehenden aber nicht so beliebten Substanzen (MDA, MDE, MDOH, MBDB, BDB), die am ehesten der Vorstellung von „Designerdrogen“ entsprechen, da sie in grossen Mengen als „Ecstasy“ verkauft wurden und zum Teil noch werden, sind mittlerweile alle dem deutschen Betäubungsmittelgesetz (BtmG) unterstellt.

Zwei Substanzen, die 1998 in holländischen Smart-Shops auftauchten, wurden noch im selben Jahr in die strengste Stufe Anlage 1 (nicht verkehrsfähige Betäubungsmittel) des BtmG aufgenommen.

2-CT-2 trat an die Stelle des 1997 in den Niederlanden verbotenen Sinnesverstärkers 2-CB. Der Amsterdamer Avantgarde-Smart-Shop „Conscious Dreams“ brachte, mutig wie immer, 2-CT-2 in weissen Tabletten zu 8 Milligramm, je zwei zu 25 Gulden, 3 zu 35 Gulden auf den Markt. Es handelt sich dabei um ein recht lang wirkendes leicht psychedelisches Phenyläthylamin, das bei den meisten Konsumenten keine allzugrosse Begeisterung auslöste, weil eine stärker stimulierende Komponente fehlte und oft Schwummrigkeit und eine gewisse Übelkeit besonders zu Beginn der Wirkung das Erleben beeinträchtigen.

2-CT-2
2-CT-2

Der Arnhemer Konkurrent „The Shamen“ schickte 4-MTA ins Rennen, ein Amphetamin-Derivat, dessen Wirkung an „Ecstasy“ erinnern sollte. Die Substanz fand deshalb schnell ihren Weg in die britische Club- und Rave-Szene. Viele Konsumenten beklagten allerdings einen fehlenden „Peak“ und legten nach, was zu mehreren Todesfällen geführt haben soll. Die Substanz entpuppte sich als voreilig auf den Markt geschmissen und im Vergleich zur Wirkung mit einem hohen gesundheitlichen Risiko behaftet.

Nicht gerade neu, aber dafür bei uns nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterstellt, ist Dextrometorphan, kurz DXM, ein Opiat, dass in rezeptfrei in der Apotheke käuflichen Hustenmitteln enthalten ist. In entsprechender „Überdosis“ (100 bis 250 Milligramm) wirkt es enthemmend und wahrnehmungsverändernd. Höhere Dosierungen wirken zunehmend halluzinogen-delirös bis narkotisch. Schon Rosa von Praunheim („50 Jahre pervers“) nahm es in den Sechziger Jahren als noch „Romilar“-Tabletten (die reines DXMHydrobromid enthielten) in Apotheken freiverkäuflich waren. Der „Missbrauch“ führte dazu, dass dieses Präparat in der BRD vom Markt genommen wurde. Manche holländischen Smart-Shops verkaufen die reine Substanz in psychoaktiver Dosis als „Robo“.

Es tut sich ausserdem etwas im nicht ganz so leicht zugänglichen Chemikalienhandel: Einige kleinere Schweizer und Deutsche Chemikalienhändler führen in ihrem Sortiment neuerdings psychoaktive Substanzen aus der Reihe der Tryptamine, die nicht den jeweiligen Betäubungsmittelgesetzen unterstehen. Ähnlich wie zuvor die Händler ethnobotanischer Spezialitäten versuchen sie bestehende Gesetzeslücken zu nutzen und die Zugänglichkeit psychoaktiver Spezereien zu erhöhen. Selbstverständlich werden die entsprechenden Substanzen in keiner Weise zum Konsum angeboten. Im Gegenteil: Vor dem Konsum wird entweder ausdrücklich gewarnt, oder die Kundschaft muss sich gar schriftlich verpflichten, die bestellte Ware nicht in unerlaubter Weise anzuwenden.

5-Meo-DIPT (5-Methoxy-N,N-Diisopropyl-Tryptamin) ist eine dieser Substanzen. In geringen Dosierungen zwischen 6 und 12 Milligramm oral eingenommen wirkt es vier bis acht Stunden lang leicht psychedelisch und emotional öffnend. Ein gewisser Ruf als sinnlichkeits- und hingabeverstärkendes Aphrodisiakum eilt ihm (im Internet) voraus. Jedoch wissen Konsumenten auch von eher umangenehmen Wirkungen wie Übelkeit und Schweissausbrüchen zu berichten. Schon leichte Überdosierungen können zu als ausgesprochen anstrengend empfundenen Rauschzuständen führen. In Form der freien Base kann 5-Meo-DIPT in Dosen von wenigen Milligramm auch geraucht werden. Das „High“ ist dann lediglich ein bis drei Stunden spürbar. 5-Meo-DIPT lässt sich unter Umständen auch psychotherapeutisch einsetzen, z.B. im Rahmen einer psycholytischen Therapie.

DPT
DPT

DPT (N,N-Dipropyl-Tryptamin) zählt zu den besonders eifrig im Internet diskutierten psychedelischen Substanzen. Es wird sowohl oral eingenommen, als auch geschnupft, geraucht und intramuskulär injiziert. Obwohl es schon seit den 60er Jahren bekannt ist und die chemisch nahe verwandten Substanzen DMT und DET seit dieser Zeit dem BtmG unterstehen, blieb DPT bislang von dieser Einschränkung verschont. Dennoch ist kaum etwas über seinen Gebrauch in den letzten drei Jahrzehnten bekannt geworden. Eine obskure New Yorker Sekte „The Temple of the True Inner Light“ benutzt seit Jahren in den U.S.A. unbehelligt DPT als Sakrament. In psychotherapeutischen Kontexten wurde DPT gelegentlich auch bei uns eingesetzt.

Kompliziert wird es für Chemikalienhändler und ihre Kundschaft, wenn eine Substanz beispielsweise in der Schweiz (noch) gehandelt werden kann, während sie in Deutschland dem Betäubungsmittelgesetz untersteht und nicht verkehrsfähig ist, wie dies bei Alpha-Methyl-Tryptamin der Fall ist, das in den 60er Jahren in der UdSSR als langwirkendes Antidepressivum „Indopan“ in Tabletten zu 5 und 10 Milligramm auf dem Markt war und in Dosierungen von 5 bis 20 Milligramm geraucht stimulierende und leicht psychedelische Effekte induzieren soll.

Einige der gehandelten und dem BtmG entgangenen Substanzen sind noch weniger „Designerdrogen“ im obigen Sinne, sondern Naturstoffe in reiner Form, die allerdings meist nicht extrahiert, sondern vollsynthetisch hergestellt werden.

Dazu gehört 5-Meo-DMT (5-Methoxy-N,N-Dimethyl-Tryptamin), das in Dosierungen von 5 bis 20 Milligramm geraucht wird, um auf einen sehr schnell einsetzenden, aber nur zehn bis zwanzig Minuten anhaltenden, ins Innere gerichteten stark energetischen Trip, in der Regel ohne ausgeprägte Farbvisionen, zu gehen. Bekannt geworden ist 5-Meo-DMT als Hauptwirkstoff im rauchbaren getrockneten Sekret der Bufo alvarius-Sonora-Wüsten-Kröte. In zahlreichen Pflanzen wurde es nachgewiesen. Einige von Ihnen werden vermutlich seit Jahrtausenden von südamerikanischen Schamanen als bewusstseinsverändernde Schnupfpulver eingenommen. Andere haben erst in den letzten Jahren als Bestandteil von Ayahuasca-Analogen Bedeutung erlangt. 5-Meo-DMT ist kurzfristig mit der 13. BtmG-Änderungsverordnung, unterschrieben von der Grünen Gesundheitsministerin Andrea Fischer, zunächst befristet für den Zeitraum eines Jahes und wirksam ab Oktober 1999, dem deutschen Betäubungsmittelgesetz unterstellt worden, allerdings unter der Bezeichnung 3-Methoxy-DMT (2-(5-Methoxy-indol-3-yl)-ethyl)-dimethyl-azan).

Harmalin ist ein interessanter antidepressiver, innerhalb von einer halben Stunde und nur vier bis fünf Stunden lang wirkender reversibler Monoaminoxidase (MAO)-Hemmer, der gemeinsam mit dem sehr ähnlich wirkenden Harmin und weiteren verwandten Alkaloiden in hoher Konzentration in Steppenrautensamen (botanisch Peganum harmala), in niedrigerer Konzentration in der Ayahuasca-Liane (bot. Banisteriopsis Caapi) vorkommt. Die Pflanzenprodukte sind viel preiswerter als die Reinsubstanzen und werden seit Jahrtausenden genutzt. Allerdings lässt sich reines Harmalin oder Harmin effektiver dosieren. Üblich ist die Einnahme von z.B. 150 Milligram des Harmalin-Hydrochloridsalzes eine halbe Stunde vor Einnahme anderer Substanzen, um diese erst oral psychoaktiv wirksam zu machen, wie dies bei DMT und DMT-haltigen Pflanzenextrakten der Fall ist, oder aber deren psychedelische Wirkungen zu verstärken, wie dies beispielsweise bei Meskalin und meskalinhaltigen Kakteen oder psiloc(yb)inhaltigen Pilzen der Fall ist.

Die Reinsubstanzen DMT, Meskalin, Psilocybin und Psilocin unterstehen allerdings dem deutschen BtmG, die diese Substanzen enthaltenden Pflanzen und Pflanzenteile seit dem 1.2.1998 mit Hilfe von SPD- und SPD/Grünen-regierten Ländern auch, „wenn sie als Betäubungsmittel mißbräuchlich verwendet werden sollen“, wie es so schön heisst.

Wer allen möglichen, insbesondere den weitgehend unbekannten gesundheitlichen Risiken zum Trotz, den Umgang mit den oben erwähnten (noch) „legalen“ Substanzen beabsichtigt, sollte vorher alle verfügbaren Informationen einholen und sich mit den auf dem aktuellsten Stand befindlichen Gesetzestexten (BtmG, Arzneimittelgesetz, Gefahrstoff-Verordnung, Chemikalien-Verbotsverordnung) vertraut machen und wissen, dass er auf eigenes Risiko handelt. Im Falle des beabsichtigten Handels sollte vorher ein kompetenter Rechtsanwalt zu Rate gezogen werden.

Die Händler lehnen sich in jeder Hinsicht am weitesten aus dem Fenster und begeben sich aufs drogenpolitische Glatteis. Einerseits sind sie Pioniere, die ernsthaft Interessierten die Zugänglichkeit zu psychedelischen und psychotherapeutisch einsetzbaren Sakramenten erleichtern, andererseits leiten sie vielleicht durch eine mögliche Popularisierung das Auge des Gesetzes beschleunigt auf die entsprechenden Substanzen. Letzten Endes lässt sich aber der fatale Antidrogenkrieg eh nicht gewinnen, selbst wenn am Ende alle Chemikalien der Welt in den Anlagen des BtmG erfasst würden.

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Gesundheitssystem

Arzneimittel – der kontinuierliche Skandal, Teil 3

telepolis, 02.01.2013

(Teil 2, Teil 1)

Über Arzneimittel-Werbung, Ärzte-Fortbildung und Grundzüge eines optimierten Kontrollsystems

Jörg Auf dem Hövel

Schon seit längerem wird berichtet, dass das Marketingbudget der Pharma-Konzerne deren Ausgaben für Forschung und Entwicklung (R&D) wahrscheinlich um das Doppelte übersteigt. Auf der anderen Seite stehen Zahlen, die Booz & Company regelmäßig veröffentlicht. Danach stehen Pharma-Giganten wie Novartis, Hoffmann-La Roche, Merck und Pfizer seit Jahren unter den Top 10 der weltweit forschungsaktiven Unternehmen. Sie stecken aktuell zwischen 14 und 20 Prozent ihres Umsatzes in R&D – weitaus mehr als beispielsweise die Automobilbranche.

Wie auch immer man die Zahlen deutet, durch Gerichtsprozesse kommen in unregelmäßigen Abständen interne Dokumente zum Vorschein, die das systematische Vorgehen von Teilen der pharmazeutischen Industrie aufzeigen, die Vorteile eines Arzneimittels über unterschiedlichste Kanäle zu verbreiten und den [Off-Label-Gebrauch http://de.wikipedia.org/wiki/Off-Label-Use] zu bewerben. Um hier Übersicht zu erlangen, gründete die Universität San Francisco das Drug Industry Document Archive (DIDA), in dem solche Dokumente gesammelt werden.

Um den Verkauf ihrer Produkte ankurbeln, greifen die Unternehmen immer wieder zu unerlaubten Mitteln. Zuletzt wurde Glaxo-Smith-Kline im Juli 2012 vom US-amerikanischen Justizministerium zur Zahlung der beachtlichen Summe von drei Milliarden (nicht Millionen) US-Dollar verdonnert. Die Liste war lang: Unerlaubte Werbung, Zurückhaltung von Daten, auch, aber nicht nur in Bezug auf das Antidepressivum Paroxetin, Bestechung, Aufforderungen zum Off-label-Gebrauch des Asthma-Mittels Advair und falsche Behauptungen über die Sicherheit der Diabetes-Arznei Rosiglitazone.

Das sind keine Einzelfälle. Eli Lilly musste 2009 über 1,4 Milliarden US-Dollar Strafe zahlen, Pfizer im selben Jahr 2,3 Milliarden US-Dollar. AstraZeneca durfte 2010 rund 520 Millionen US-Dollar in die Staatskassen überweisen. Der Abbott-Konzern wurde 2012 zur Zahlung von 1,5 Milliarden US-Dollar verurteilt, weil man einen Abkömmling der Valproinsäure (Handelsname: Depakote) als Lösungsmittel für senile Renitenz propagiert hatte.

Juristisch kaum anfechtbar ist ein anderes Vorgehen. Omeprazol, ein beliebtes Mittel gegen Magengeschwüre, brachte fünf Milliarden Euro jährlich in die Kassen von AstraZeneca, bis 1999 das Patent auslief. Der dann angewendete Trick ist so einfach wie dreist: Das Omeprazol-Molekül wurde chemisch gespiegelt und zu Esomeprazol. Obwohl klar war, dass dieser gedrehte Wirkstoff nicht besser wirkt als der alte, verschrieben weltweit Ärzte das neue Medikament und nicht ein Generikum von Omeprazol, weil der Hersteller AstraZeneca ein millionenschweres Marketingprogramm lancierte.

Gesponserte Fortbildung der Ärzte

Dies führt zu der Fortbildung der Ärzte, der sogenannten Continuing Medical Education, die nicht nur in Deutschland Pflicht ist. Pro absolvierter Fortbildung erhält jeder deutsche Arzt Punkte, innerhalb von fünf Jahren muss er 250 ansammeln. Im Internet existieren zahlreiche kostenlose CME-Portale, von denen der überwiegende Teil durch die pharmazeutische Industrie betrieben oder indirekt gesponsert wird. So ist eine absurde Situation entstanden: Die Fortbildung von Ärzten wird von denen finanziert, deren Produkte sie auch verschreiben sollen.

In den USA gab das für die Zulassung von CME-Maßnahmen zuständige ACCME 2008 bekannt, dass von den rund 760.000 CME-Lehrstunden die Hälfte direkt von der Industrie gesponsert wurde. Um einen Einblick zu erhalten, befragte der Mediziner Volker Eckhardt die deutschen Teilnehmer eines renommierten Magen-Darm-Kongresses in den USA. 77% hatten eigenen Angaben zufolge einen Reiseunterstützung durch die Industrie erhalten. Und natürlich waren die meisten überzeugt, dass dies ihr Verordnungsverhalten nicht beeinflusse.

Mit den Erfolgen der Pharmakotherapie wuchs lange Zeit auch die Nähe der behandelnden Ärzte zur pharmazeutischen Industrie. Diese bemühte sich vermehrt um die Pillenverordner, man verschickte Kostproben, bot Beraterverträge an, lud auf Konferenzen, Hotel inklusive. Die Auswüchse des Systems ließen Kongresse mit Ehefraubegleitung auf Hawaii zu. Erst in den letzten Jahren ist hier Besserung in Sicht. Organisationen wie No Free Lunch oder die deutsche MEZIS proben die Befreiung aus der innigen Umarmung der Industrie.

Was muss sich ändern?

Journalistische Beiträge weisen oftmals auf die Macht- und Geldfülle der Pharma-Konzerne hin. Bei aller Kritik soll nicht vergessen werden, dass die Entwicklung wirksamer Arzneimitteln die Behandlung einiger Krankheiten revolutioniert hat. Polio und Diphtherie sind durch Impfungen im Griff, Herzanfälle beherrschbar, Leukämie kein Todesurteil mehr. Das medizinische Wissen wächst. Aufgrund der beschriebenen Entwicklungen ist die Wissensschaffung im Arzneimittelsektor allerdings zu einem Nebenprodukt der klinischen Forschung geworden. Insgesamt, so lässt sich attestieren, existieren zu viele kleine und kurze Studien mit oftmals nicht repräsentativen Teilnehmer, die in fehlerhaften Studiensettings behandelt werden. Nach Gutdünken des Auftraggebers werden diese Studien dann veröffentlicht oder eben nicht veröffentlicht. Die Folge: Tagtäglich entscheiden Ärzte weltweit auf unsicherer Wissensbasis über die pharmakologische Behandlung ihrer Patienten. Es existiert zur Zeit kein zuverlässiges System, das Ärzte mit Informationen versorgt. Und auch die Fachzeitschriften geben keinen systematischen Überblick. Der Tamiflu-Skandal (Was hat Roche zu verbergen? Tamiflu und der schwierige Zugang zu klinischen Daten) ist nur die Spitze des Eisbergs. Was ist zu tun?

 

  • In einem ersten Schritt muss ein funktionierendes Register für alle durchgeführten klinischen Studien eingerichtet werden. Im derzeitigen EudraCT sind kaum Ergebnisse zu finden und nicht alle der tatsächlich laufenden Studien aufgeführt. Auch die Europäische Arzneimittel-Agentur ist eigenen Angaben zufolge nicht im Besitz aller aktueller Studiendaten. An dieser Stelle dürften nur Bußgelder weiter helfen, die bei Nichteinreichung verhängt werden.
  • Der Zugang zu den Studiendaten darf nicht nur auf Zusammenfassungen der Ergebnisse beschränkt werden. Das bestehende EudraCT hätte den Tamiflu-Skandal bezeichnenderweise nicht verhindert. Wie immer man die Geschäftsgeheimnisse der Hersteller sichert, nur mit der Einsichtsmöglichkeit zu den Rohdaten kann kontrolliert werden, ob das Studiendesign valide aufgesetzt, Endpunkte geändert, Hypothesen erst nach der Datenerfassung gebildet oder Aussteiger ignoriert wurden. Es fehlt an Interessengruppen, die Offenlegung von Daten im Arzneimittelsektor fordern.
  • Interessant wäre die Einrichtung einer Datenbank, in der evidenzbasierte Erkenntnisse auf Cochrane-Niveau und neue Studien zum Thema begutachtet und eingepflegt werden. Es ist für einen praktizierenden Arzt heute nicht möglich, allein aus der Lektüre der Fachzeitschriften die Übersicht zu behalten. Die Arbeit des IQWIG ist daher von zentraler Bedeutung und muss ausgebaut werden.
  • Um die Wirksamkeit pharmakologischer Therapien beurteilen zu können muss, wann immer möglich, ein neuer Arzneistoff gegen ein existierendes Medikament antreten. Wo immer möglich sollte dies im Alltag der Patienten geschehen.
  • Die nicht-kommerzielle Arzneimittelforschung muss ausgebaut werden. Heute existiert kein einziger Sektor in der akademischen Medizin, Forschung oder Ausbildung, in der industrielle Beziehungen nicht ein allgegenwärtiger Faktor sind. Diese Beziehungen sind politisch und wirtschaftlich gewünscht, ohne sie sind Forscher im bestehenden System kaum in der Lage, neue Arzneimittel zu entwickeln. Die Liaison führt aber parallel dazu, dass einige Wissenschaftler zu Gehilfen im Verkaufsprozess werden, anstatt den Wissensschatz zu vermehren. Individuell orientierte Transparenzvorschriften für Interessenskonflikte lösen nicht strukturelle Probleme in der Organisation von Wissenschaft.
  • Ärzte und Mediziner sollten gegenüber ihren Patienten die Geschenke Pharma-Referenten, Zahlungen und bezahlte Fortbildung transparent machen. Arzneimittelhersteller könnte man im Gegenzug verpflichten, ihre Zahlungen an Mediziner zu veröffentlichen. In den USA existiert mit dem „Sunshine Act“ ein solches Modell, jüngst kündigte der Dachverband der europäischen Pharmaunternehmen und Verbände einen Transparenzkodex an, allerdings mit freiwilliger Teilnahme. „Dollars for Docs“ sammelt Dokumente und Artikel zu den Verflechtungen zwischen Medizinern und Arzneimittelherstellern
  • Die Universitäten regeln die Veröffentlichung von Interessenkonflikte unterschiedlich, eine Übersicht fehlt für den europäischen Raum. In den USA pflegt die Vereinigung der Medizinstudenten eine PharmFree Scorecard-Website, auf der die jeweiligen Universitätsrichtlinien für Beraterverträge, Vorträge, Geschenkannahme, und Fortbildung aufgeführt sind.
  • Akademischem Personal muss Ghostwriting verboten sein.
  • Fachmagazine und Autoren müssen verpflichtet werden, am Ende jedes Artikels alle auch am Rande Beteiligten und den Studieninitiator zu nennen.
  • Alle Fachmagazine müssen ihre Werbeeinnahmen nach Arzneimittelhersteller getrennt jährlich aufführen. Zudem sind Reprints und deren Einnahmen aufzuführen. Journalherausgeber müssen ihre Interessenkonflikte regelmäßig offen legen.
  • Patienten sollten ihren Arzt fragen, ob er oder sie an industriegesponsorten Fortbildungen teilnimmt und wie oft er Pharma-Referenten empfängt.