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Rezension Korf: Cannabis in Europe

HanfBlatt Nr. 118

Cannabis in Europa

Die vorliegende vom niederländischen Kriminologie-Professor Dirk Korf zusammengestellte Sammlung wissenschaftlicher Studien zum Thema Cannabis ist der erste Band einer geplanten Reihe der „European Society for Social Drug Research“. Diese wurde 1990 gegründet und trifft sich jährlich zu Kongressen. Im Oktober 2007 beschäftigte man sich in Warschau mit Cannabis-Fragen. „Cannabis in Europe“ versammelt interessante Arbeiten der Teilnehmer.
Korf und Vuillaume bieten einen Einstieg in die Geschichte und Schwerpunkte der Cannabis-Forschung. Demnach sind immer noch sehr viele Fragen offen.

Eine Autorengruppe berichtet vom Umgang mit Cannabiskonsumenten in dänischen Gefängnissen. In Dänemark hat man in den letzten Jahren eine Kehrtwende weg von einer eher liberalen Drogenpolitik zu einer repressiven Gangart gemacht. In den Gefängnissen versucht man im Rahmen einer „Null Toleranz“-Politik die Insassen durch Drogentests zu kontrollieren. Cannabiskonsumenten haben wie Drogenabhängige Anspruch auf eine therapeutische Behandlung. Sie selbst zeigen sich meist wenig einsichtig bezüglich ihres Konsumverhaltens. Bei chronischen Langzeitkonsumenten, die bereits jung angefangen haben täglich zu konsumieren, meint man Reifungsverzögerungen, Schwarz-Weiss-Denken und paranoide Züge erkennen zu können. Allerdings scheint es den reinen Kiffer kaum zu geben. Fast alle regelmäßigen Cannabis-Konsumenten konsumieren demnach auch andere Drogen, mit denen sie meist mehr Schwierigkeiten haben. Man bietet im Knast Verhaltenstherapie an und setzt auf Psychopharmaka zur Linderung der vermeintlichen Symptome eines Cannabisentzugs.

Auch in den Niederlanden hat man sich für eine härtere Gangart in Sachen Hanf entschieden, was Marije Wouters dokumentiert. In den Jahren 2005 und 2006 wurden jeweils 6000 Cannabis-Zuchtanlagen ausgehoben und 2,7 bzw. 2,8 Millionen Hanfplanzen vernichtet. Der Kilopreis von Gras mittlerer Qualität stieg von etwa 2800 Euro auf 3500 Euro. Der Abbau von Pflanzanlagen, für den sich die Polizei zu Schade ist, ist für einige Privatunternehmen zu einem lukrativen Geschäft geworden. Auch die Elektrizitätsunternehmen arbeiten an der Lokalisierung von Zuchtanlagen mit, weil in vielen Fällen illegal Strom abgezweigt wird. Den Überführten flattern dann zusätzlich zu den durch Beschlagnahmungen, Geldstrafen und Steuerforderungen entstehenden Kosten auch noch hohe Stromnachforderungen ins Haus bzw. in den Knast. Eine kostenlose anonyme Denunzianten-Hotline wurde von staatlicher Seite aus eingerichtet. Hier haben Nachbarn Gelegenheit ihre Streitigkeiten auszutragen. Konkurrenten auf dem Cannabis-Markt erhalten die Möglichkeit ihre Gegner ganz legal auszuschalten. Immerhin wurden 2006 infolge der eingegangen Tips 753 Menschen verhaftet und 210.000 Pflanzen beschlagnahmt. Die Hotline mit der massenhaften Denunziation von Prohibitionisten zu beschäftigen, auf die Idee scheint dort noch niemand gekommen zu sein.

Diese Politik spielt natürlich skrupellosen Geschäftemachern, wie den Vertreibern von am Menschen ungetesteten Chemikalien als Cannabisersatz, und insbesondere dem organisierten Verbrechen in die Hände. Nur dieses verfügt über das entsprechende Kapital und die Logistik auf den Verfolgungsdruck zu reagieren, indem es die von Strohmänern betriebenen aufgeflogenen Anlagen abschreibt oder die Produktion ins benachbarte Ausland verlagert.

Über den Cannabisanbau-Boom in Belgien berichtet Decorte. Dort produzieren Selbstversorger ihr eigenes Gras, weil sie nur so sicher sein können, welche Qualität das von ihnen und ihrem Umfeld konsumierte Produkt hat. Auf der anderen Seite stehen die Zulieferer für den holländischen Coffeeshop-Markt. So manch eine Blüte wird auf diesem Umweg wieder zurück nach Belgien transportiert.

Auch in Großbritannien, wo man in Sachen Cannabis ebenfalls vor Kurzem eine Kehrtwende in Richtung Repression gemacht hat, boomt der Anbau unter Lampen, worüber Potter schreibt („Garry“ wohlgemerkt). Das heimische Produkt beginnt die klassische Importware sukzessive zu ersetzen. Gemessen an der Zahl der beschlagnahmten Pflanzen (für 2005 etwa 208.000) hinkt der Anbau noch weit hinter den holländischen Unternehmungen hinterher.

Werse hat in Frankfurt am Main Untersuchungen zum Cannabismarkt angestellt. Demnach läuft die Versorgung größtenteils im privaten Bereich über Freunde oder vornehmlich ihren eigenen Konsum finanzierende Wohnungsdealer. Über den mit qualitativ minderwertigerer und teurer Ware sowie mit Abziehrisiken assoziierten Strassenhandel durch türkischstämmige oder nordafrikanische Dealer versorgen sich dagegen eher Ortsfremde oder Kunden ähnlicher Herkunft.

Stevenson hat sich den Cannabishandel in Nordirland aus Konsumentenperspektive angeschaut. Dort sind Dealer und Konsumenten neben dem Risiko strafrechtlicher Verfolgung auch noch der Willkür katholischer und protestantischer Paramilitärs ausgesetzt, die zwar selbst in alle möglichen Arten krimineller Aktivitäten involviert sind, sich aber in ihren Wohnvierteln gegenüber sozialen Abweichlern als Richter und Vollstrecker mittels Knieschüssen und Morddrohungen aufspielen.

Freya Vander Laenen und Eveline De Wree haben analysiert, warum die Drogenprävention in Sachen Cannabis bei gefährdeten Jugendlichen so uneffektiv ist. Besonders auf Angst vor der Sucht basierende Anti-Drogen-Botschaften gehen bei den Betroffenen nach hinten los. Drogenprävention ist bekanntlich bei Politikern beliebt, weil sie sich damit den Mantel scheinbarer Aktivität überwerfen können. Die bereitgestellten Pfründe locken wiederum akademische Theoretiker, die sich immer neue Konzepte von fragwürdigem Nutzen ausdenken können, sowie SozialarbeiterInnen, die von der frustrierenden Frontarbeit mit Suchtkranken unter den realen Bedingungen der Prohibition genug haben und sich lieber auf dem Abenteuerspielplatz der Drogenprävention tummeln.

Sarosi und Demetrovics erzählen von der Situation in Ungarn, einem traditionellen Anbauland für Faserhanf und Mohn, das in den 90er Jahren einen gewissen Rauschhanfboom erlebte, drogenpolitisch aber zur Jahrtausendwende unter die Hardliner geriet. Man versuchte sogar Konsumenten, die sich blauäugig gegenüber den Behörden zu ihrem Konsum bekannt hatten, wegen eines hochgerechneten Lebensverbrauchs an Cannabis zu bestrafen. Es gibt zwar eine mutige aktive Opposition von Bürgerrechtlern (die HCLU), die mit einer Reihe von Aktionen (z.B. Urinprobe an den Premierminister) auf das drogenpolitische Elend aufmerksam machte, doch Großrazzien auf Tanzclubs mit zwangsweisen Drogentests in den vergangenen Jahren sprechen nach wie vor die Sprache der Repression. Die protestierenden Stimmen nicht nur von Bürgerrechtlern, sondern auch von mit den Folgen der Prohibition unmittelbar konfrontierten Gesundheitsarbeitern wären dort wie hier dringend gefragt.

az

Dirk J. Korf (ed.)
„Cannabis in Europe:
Dynamics in Perception, Policy and Markets.“
Lengerich 2008
www.pabst-publishers.com
174 S., in Englisch
ISBN 978-3-89967-512-2

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Historische Texte

Ein Haschischrausch im Sommerloch

Ein Haschischrausch im Sommerloch

von Philipp Berges (ca. 1895)

Philipp Berges war ein 1863 in Lübeck geborener deutsch-jüdischer Journalist und Redakteur, der zeitweise in den USA arbeitete und später in Hamburg lebte. Ende des 19. Jahrhunderts schrieb er die „humoristische Skizze aus dem amerikanischen Leben“ „Ein Haschischrausch“ über einen hanebüchenen Trip mit einer Rauschhanf-Tinktur.

„In den weiten Räumen der Redaktionsoffice war es still geworden. Drückend lastete die Schwüle der Hundstage auf allen Gemütern und verwandelte die „verantwortlich-redaktionellen“ Gehirne in ebenso viele Treibhäuser voll strahlender, exotischer Gewächse, welche die tollsten Blüten trieben.“

Burn-out bei den Redakteuren – da erschien der Chefredakteur, der „Häuptling“, mit einer genialen Idee:

„Sie sollen dem Blatt ein Opfer bringen, ein Rauchopfer…fort, sage ich, in eine Opiumhöhle, damit wir morgen die Wirkungen dieses Giftes auf den Raucher schildern, seine Träume, seine Illusionen, seinen Katzenjammer-…“…
„Aber finden Sie nicht, daß das Opium denn doch ein etwas, nun, sagen wir, „abgedroschener“ Stoff ist?! Wie wär`s mit einem Rausch in dem berühmten indischen Ha-“
„Ha-?“
„Ha-sch-“
„Haschisch???“ schrie der Häuptling.
„Jawohl, Haschisch!“
„Ah! Großartig, herrlich, immens, kolossal, unbezahlbar!…Eilen, laufen, fliegen Sie, opfern Sie sich auf dem Altar des Tagesschrifttums…““

Und los ging`s:

„Nur noch wenige Minuten trennten mich von dem großen, weltgeschichtlichen Augenblicke, der mich – ein unschuldiges Opferlamm auf dem Altar des Tagesschrifttums – in den Rachen des grauen Moloch „Haschisch“ verschwinden sehen sollte.
Nach endlosen Irrfahrten durch New York und Brooklyn war es mir gelungen, den aus den Blütenschwänzen des indischen Hanfs gewonnenen Zaubertrank zu erlangen – gerade genug, wie der Apotheker sagte, um damit einen kapitalen Rausch anzustiften, mit dem man sehr vorsichtig umgehen müsse. Vorsichtig? Jawohl, denn die Wirkung sei in Bezug auf den Zeitpunkt ihres Eintritts ganz unberechenbar und verleite überdies nicht selten zu allerhand tollen Unternehmungen. Ich hatte also dementsprechend meine Vorbereitungen getroffen.
Nun saß ich in einer Sofaecke meines eigenen trauten Junggesellenheims und überschaute noch einmal mit erzwungener Kaltblütigkeit das Schlachtfeld. Die Thüre hatte ich zugeschlossen und den Schlüssel stecken lassen. Im Zimmer herrschte angenehme Dämmerung… Vor mir auf dem Tische stand in hellem Glase das berauschende Gift, daneben eine Flasche frischen Wassers; zur Rechten lag ein Kästchen mit Zündhölzern, zwei Bleistifte und einige Blatt Papier, zur Linken ein verschlossenes Couvert mit Briefen, Notizen und letztwilligen Verfügungen. Alles überragend aber stand in der Mitte des Tisches eine aufs genaueste geregelte Uhr…Wie würde die Wirkung sein? Würde es mich ohnmächtig niederwerfen – ?…Mit einer hastigen Bewegung der Hand gieße ich den Trank in mein Inneres herab – – – –
Ein süßlicher Geschmack verbreitet sich in meinem Munde, über die Zunge, den Gaumen, und steigt prickelnd in das Geruchsorgan empor. Gleich einem Strome flüssigen Feuers scheint der Zaubertrank in mein Inneres herabzurinnen. Der Zaubertrank?! – – – Alles bleibt still und unverändert. Keine Wirkung. Nicht die leiseste.“

Schließlich fing er an zu deklamieren, erst den neunten Gesang der „Odyssee“, dann in freier Rede seine Betrachtungen zu einem „Rückblick aus dem Jahre 2000“. Ob seiner geistigen Klarheit kam er zu dem Schluss:

„Ich bin das Opfer eines Betruges, der Apotheker hat, um den ungestümen Dränger loszuwerden, harmloses Zuckerwasser, Brausepulver oder, ich weiß nicht was sonst, in die Flasche gegossen und ich, der Angemeiertste aller Staubgeborenen, habe es für Haschisch getrunken – – -“

Eine volle Stunde war verflossen. Er zog sich an und verließ das Haus:

„Hm, und wenn die Wirkung später doch noch eintritt, auf offener Straße etwa?! – – Pah! Hatte ich nicht meine Legitimation und eine Reihe blinkender Dollars, ganz abgesehen von den papierenen, in der Tasche?! Vorwärts!!
Im nächsten Augenblick wurde die Thüre geräuschvoll verschlossen und die Treppe hinab schritt pfeifend ein ansehnlicher junger Mensch.
Dieser ansehnliche junge Mensch war ich. Ich – haha! der haschisch-vergiftete Redakteur!“

Mit der Hochbahn fuhr er „downtown“ um doch noch etwas Berichtenswerteres als „Stoff“ für sein Blatt zu erleben „als den elenden Haschischrausch“. Da erfasste ihn „ein gewaltiger Hunger“, den er „als eine Folge des verschluckten Giftmischerproduktes betrachtete“ und trat ins nächstbeste Restaurant um Steak und Kaffee zu bestellen. Plötzlich wurde die Frau in einem Reklamebild lebendig:

„Entsetzt sprang ich auf und blickte in die Höhe. Täuschung! Nichts regte sich, das blanke BIld schaute lächelnd zwar, doch unbeweglich, starr auf mich nieder. Langsam glitt ich zurück in meinen Sessel und stützte den Kopf in die Hand, um noch einmal in fieberhafter Anstrengung hinabzuhorchen in mein Inneres. Ja, jetzt regte es sich; wie mit Geisterhänden begann es mich zu umspinnen. Langsam schien eine fremde Gewalt auf mich niederzusinken – – es war, als ob ich selbst bescheiden zurücktrete, ganz zurück in den schattigen Hintergrund, und ein anderer Besitz nehme von dem Gebilde aus Fleisch und Blut, das meinen Namen trug. Und dieser andere war stark, wild, launenhaft, kampfesmutig – – auf und ab rollte und zuckte es durch meine Nerven. Mein Hunger schien plötzlich verschwunden; die Leere in meinem Magen, die sich eben noch zum Abgrund erweitern zu wollen schien, war bis zum Rande ausgefüllt.
Und während diese seltsame Verwandlung in meinem Wesen vor sich ging, stand mein altes, eigenes Selbst immer noch still im Hintergrund, geistesscharf beobachtend, nachdenkend; erfreut und ängstlich zugleich, und der Dinge harrend, die da kommen sollten. O, heiliger Apotheker, erhabener Freund der Gerechtigkeit, verzeihe mir die übereilten Anklagen! Dein Trank wirkt gut. Schon bin ich nicht mehr ich selbst, bin berauscht, behext, mein Wesen hat sich in zwei geteilt. O, wäre ich zu Hause geblieben, zu Hause in der sicheren Sofaecke.“

Er brach spontan auf:

„Wohin jetzt?! Gleichviel – nur vorwärts! Hurra! Die ganze Welt liegt offen. Nur vorwärts!
Summend, trällernd, pfeifend schritt ich den Broadway aufwärts, und meine Tritte hallten donnernd von den Wänden zurück. Jetzt bog ich in eine westliche Seitenstraße ein. Ein baumlanger Kerl von rowdymäßigem Aussehen, der (mit Recht) glauben mochte, ich befände mich unter dem Einfluß eines berauschenden Getränkes, stellte sich mir in den Weg. Ich prügelte ihn weidlich durch und schritt trällernd weiter, während am anderen Ende der Straße einige durch das Geräusch des Kampfes angelockte Blaujacken erschienen.
Ohne zu wissen, wie ich eigentlich hingekommen, fand ich mich nach einer Weile am „Abfahrtspeer“ der Hobokener Fährdampfer.“

Impulsgesteuert beschloss er nach Europa zu fahren, kaufte einen Fahrschein und enterte das Schiff. Dort nahm er sich eine Kabine und verfiel in Schlaf. Doch beim Erwachen stellte er erschüttert fest, dass er sich in einem Zug auf dem Weg zu den Niagarafällen befand:

„Aber trug denn ich die Schuld? Nein, es war ja die fremde Macht, die diese Verwirrungen angestiftet hatte, die starke Gewalt, die jetzt für mich dachte und handelte, der Geist des Haschisch, der mich fest in seinen Krallen hielt.
Allein der eigentliche Rausch war vorüber, das fühlte ich wohl. Zwar leitete der fremde, ungestüme Geist noch meine Handlungen, aber ich sah, hörte mit offenen Augen und Ohren, begriff, urteilte klar und scharf, lebte wieder in der Wirklichkeit.“

Die folgenden Wochen verweilte er bei den Fällen:

„Der besorgten Redaktion meiner Zeitung hatte ich schon wenige Tage nach meiner Ankunft über die Haschischirrfahrt Bericht erstattet und an meinen Brief das Ersuchen geknüpft, die kommenden Wochen als meine Sommerferien betrachten zu dürfen, da ich wider Willen nun doch einmal unterwegs sei.“

Dies wurde ihm zugestanden. Unterdessen hatte er sich bereits heftig in eine russische Fürstin verliebt:

„Zuweilen, wenn ich auf unseren einsamen Ausflügen neben ihr saß, überkam mich wieder der alte, traumhafte Zauber des Haschischrausches. Dann glaubte ich die Frühlingsgestalt mit dem blonden Haar und den blauen Augen wieder zu erkennen, die in jenem kleinen Restaurant am Broadway Miene machte, aus dem Reklamebild zu mir herabzusteigen.“

Der Chefredakteur schrieb ihm wochenlang genervte Briefe, doch:

„Nichts zog mich zur Arbeit, zum Schreibtisch…Ging ich dem Wahnsinn entgegen? Stand ich noch immer unter dem Einfluß der vielleicht übergroßen Dosis des Haschisch, oder war es nur meine wahnsinnige Liebe, die mich zu ihrem Sklaven machte?!“

Schließlich wurde er entlassen. Als er dieses Opfer seiner Geliebten mitteilen wollte, musste er feststellen, dass diese überraschend abgereist war. Verzweifelt beschloss er, sich von der Niagara-Brücke in den Tod zu stürzen:

„Ein wilder Hilfeschrei entströmte meinen Lippen und brach jäh ab. Heftig fuhr ich empor – erwacht vom Schall meiner eigenen Stimme.
Alles still um mich her, kein rauschendes Wasser, keine zackigen Felsenriffe. Ich bin gerettet. Aber wo, wo bin ich?…Ich befinde mich in meinem eigenen Zimmer, sitze noch immer in der sicheren Sofaecke! Vor mir auf dem Tische steht noch alles in gehöriger Ordnung…seit dem Verschlucken des Zaubertrankes ist der Zeiger nur um zehn Minuten vorgerückt…Tausend Empfindungen, Gefühle, Leidenschaften, unzählige Gedanken und Handlungen, die Zeitdauer von Monaten, mit ihren Leiden und Freuden, habe ich durchlebt in zehn Minuten!! Nur eins vermisse ich – das leere Haschischglas. Ah – hier ist es. Es liegt, in tausend Scherben zersplittert am Boden – – – – –
Verehrter Herr Chefredakteur!
Hier ist nun die Haschischgeschichte, von welcher Sie sich so viel versprochen. Sie sehen, es ist auch nichts besonderes geworden. Zwar ein „echtes Kind meines phänomenalen Verstandes und meiner äquatorialen Phantasie“ (Ihre eigenen Worte, großer Häuptling), wird es mich doch nur auf höchstens acht Tage unsterblich machen. Nun, nicht ich, sondern der Haschischteufel trägt die Schuld, dessen Einflüsterungen ich genau aufgezeichnet habe…“

 

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Drogenpolitik Gesundheitssystem Interviews

Zur Neurobiologie der Alkoholabhängigkeit

Interview mit dem Suchtforscher Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatrie der Berliner Charité. Heinz gilt als einer der führenden Experten für Alkoholabhängigkeit in Deutschland.

An den Folgen ihres übermäßigen Alkoholkonsums sterben alleine in Deutschland jährlich rund 40.000 Menschen. Bei einem hohen Anteil der Alkohol-Konsumenten in der Bevölkerung steigt auch der Anteil derer, die mit der Droge Alkohol nicht umgehen können. Trotzdem der Alkoholismus seit Jahrhunderten bekannt ist, bleibt seine Therapie schwierig: Über die Hälfte der Abhängigen erleiden meist mehrere Rückfälle.

Seit einiger Zeit erlauben die bildgebenden Verfahren der Kernspintomographie Einblick in das Gehirn von Alkoholabhängigen, die Wissenschaft erhält Einsichten in die neuronalen Grundlagen der Sucht. Das wissenschaftliche Modell der Wirkung des Alkohols ist komplex: Alkohol stimuliert das sogenannte „Belohnungssystem“ im Gehirn, eine evolutionär alte Instanz, die dafür sorgt, dass Menschen wesentliche Erlebnisse nicht vergessen und auch wiederholt ausführen. Ein Schnaps führt zu einer erhöhten Ausschüttung des Botenstoffes Dopamin, einem der wichtigen Neurotransmitter. Die Folge: man entwickelt Verlangen nach mehr Alkohol. Ebenfalls freigesetzte körpereigene Opiate, die Endorphin, sind für die guten Gefühle beim Alkoholkonsum zuständig. Provoziert man die positiven Gefühle nun häufig und immer wieder, prägt sich das Hirn die Verknüpfung von gutem Gefühl und dafür eingesetzter Substanz ein.

Interessanterweise sind die Andockstellen für die Opiate, die Opiatrezeptoren, bei alkoholabhängigen Patienten im Belohnungssystem eher erhöht, so dass der Alkohol besonders stark wirken könnte. Umgekehrt sucht das Gehirn nach Ausgleich zu der ungewohnten Dopamin-Ausschüttung und reduziert seine Empfangseinheiten, genauer gesagt die Rezeptoren, wo die Dopamin-Reize eintreffen. Dies hat zur Folge, das die Wirkung des Alkohols nachlässt, immer größere Dosen werden benötigt, damit man sich berauscht fühlt.

Weitere Prozesse kommen zum Tragen: Die Moleküle des Alkohols setzen an den GABA(A)-Rezeptoren des Hirns an, genauer gesagt ist eine relativ kleine Tasche, die durch 45 Aminosäuren gebildet wird, mit dafür zuständig, dass Alkohol als sedierend empfunden wird. Der dauerhafte Genuss von Spirituosen aber auch „weicheren“ Alkoholen führt zu einer Verminderung dieser Rezeptoren. Viel und oft getrunkener Alkohol blockiert zudem die Signal-Übertragung am NMDA-Rezeptor, der den Transport eines weiteren Neuotransmitters, des Glutamats, regelt. Auch dies führt dazu, dass zunehmend mehr Alkohol konsumiert werden kann, ohne das eine starke Ruhigstellung des Konsumenten erfolgt. Die Folge: Er oder sie kann trinken, ohne sediert zu sein, eine Erhöhung der Dosis ist oft die Folge, der Schritt in den Kreislauf der Sucht ist getan.

Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatrie der Berliner Charité, gilt als einer der führenden Experten für Alkoholabhängigkeit in Deutschland. Im Gespräch erläutert Heinz die Wirkung verschiedener psychoaktiver Substanzen auf das Gehirn, warum die Alkoholabhängigkeit so schwer zu therapieren ist und ob Medikamente gegen die Sucht helfen können.

Frage: Lange Zeit unterschätzt bei der Ausbildung einer Alkoholabhängigkeit wurde die körperlich bedingte Fähigkeit viel zu trinken ohne am nächsten Morgen den berühmten „Kater“ zu haben. Welche neuronalen Grundlagen hat dieses Phänomen der Trinkfestigkeit? Wie viel Prozent der Deutschen sind davon betroffen?

Andreas Heinz: Es gibt keine scharfe Grenze, aber je „trinkfester“ eine Person ist, desto eher neigt sie dazu, zu viel Alkohol zu konsumieren. Dies gilt für Jugendliche wie für junge Erwachsene, und für Männer ebenso wie für Frauen. Eine neurobiologische Grundlage ist im jeweiligen Zustand des Botenstoffsystems zu suchen, das nach dem Transmitter Serotonin benannt ist. Besonders „trinkfest“ ist, wer genetisch bedingt oder auch nach einer ausgeprägten Stresserfahrung über relativ mehr Serotonin-Transporter verfügt, wer also Serotonin nach Freisetzung sehr schnell wieder in die Nervenzellen aufnehmen, sozusagen „recyceln“ kann. Dann ist nämlich die über die GABA(A)-Rezeptoren vermittelte sedierende Wirkung des Alkohols vermindert.

Frage: Existiert eine Qualitäts-Reihenfolge der Wirkmächtigkeit verschiedener Substanzen auf das Belohnungssystem? Wie aktiviert beispielsweise Alkohol dieses System im Vergleich zu Kokain?

Andreas Heinz: Alkohol erhöht die Dopaminausschüttung um etwa 50-100%, Kokain um circa 1000%, ist also viel stärker wirksam. Die Alkoholwirkung befindet sich im Bereich weiterer Drogen, wie Nikotin oder die Opiate. Auch neuartige Reize wie ein ungewohntes gutes Essen steigern die Dopaminausschüttung, diese nimmt aber beim erneuten Essen schnell ab: man „gewöhnt sich“ beziehungsweise habituiert. Das ist bei Alkoholkonsums wie beim Konsum aller anderen Drogen nicht der Fall. Sie wirken also ungewöhnlich lange beziehungsweise immer wieder neu, man spricht deshalb auch davon, dass sie das Belohnungssystem „kidnappen“.

Frage: Trotz ausgedehnter Erforschung der Alkoholsucht ist eine Therapie derselben äußerst schwer, die Rückfallquoten sind hoch. Woran liegt das aus neurobiologischer Sicht? Und kann man den Anteil bestimmen, den diese körpereigenen Prozesse gegenüber sozialen Faktoren haben?

Andreas Heinz: Die Folgen jahrelangen Alkoholkonsums auf das Nervensystem lassen sich nicht einfach in wenigen Therapietagen revidieren oder durch neue Lernerfahrungen überlagern. Hier hilft nur eine mehrdimensionale Therapie, die eine Beratung, Psycho- und Soziotherapie, Fragen der Lebensgestaltung, Selbsthilfegruppen und eine zusätzliche medikamentöse Rückfallprophylaxe beinhaltet. Soziale Faktoren wirken sich ja auf das Organ Gehirn aus, so dass die Trennung zwischen körperlichen und seelischen Prozessen künstlich ist. Die messbare Reaktion des Gehirns auf Alkoholreize erklärt beispielsweise etwa die Hälfte des Rückfallrisikos in den folgenden Wochen, die Reaktion selbst wird aber natürlich durch Lernvorgänge, Stressfaktoren, Folgen chronischen Alkoholkonsums und einiges mehr beeinflusst.

Frage: Die Übererregung des zentralen Nervensystems im Alkohol-Entzug, die sich durch die sogenannte Entzugserscheinung manifestiert, kann durch Medikamente wie Benzodiazepine abgeschwächt werden, gelernte Entzugserscheinungen wahrscheinlich durch Acamprosat. Gibt es weitergehende Ansätze die Hirnchemie so zu verändern, dass nicht nur Entzugserscheinungen, sondern auch andere neuronale, suchterhaltende Prozesse verändert werden? Was sind die Probleme bei der Entwicklung von Medikamenten dieser Art?

Andreas Heinz: Acamprosat beeinflusst einen Rezeptor für den erregenden Botenstoff Glutamat und wirkt wahrscheinlich am stärksten auf gelernte Entzugserscheinungen: das Gehirn erwartet Alkohol, reguliert dagegen und wenn kein Alkoholkonsum erfolgt, kommt es zu konditionierten Entzugserscheinungen, die den Patienten in den Rückfall treiben können. Naltrexon blockiert Opiatrezeptoren und kann so die angenehmen Wirkungen des Alkoholkonsums abschwächen. Die Probleme sind keine anderen als bei der Entwicklung weiterer Pharmaka im neuropsychiatrischen Bereich: die Substanzen werden meist im Tiermodell gescreent und es wird geprüft, ob sie den Alkoholkonsum von Laborratten oder Mäusen senken, dann in Bezug auf ihre Sicherheit und schließlich auf klinische Wirksamkeit und Nebenwirkungen getestet. Je besser die Sozio- und Psychotherapie ist, desto geringer kann allerdings unter Umständen der Effekt der Medikamente ausfallen, so dass sie gegebenenfalls gegenüber Placebo keine signifikante Wirkung mehr zeigen.

Frage: In welchem Bereich sehen Sie die größten Chancen für die Entwicklung von Medikamenten gegen die Sucht?

Andreas Heinz: Am ehesten ist aus dem Bereich der Antiepileptika mit Neuentwicklungen zu rechnen, hier gibt es bereits erste erfolgreiche Studien mit einzelnen Substanzen wie Topiramat. Es ist möglich, dass auch das Verständnis der molekularen Reaktionsketten, die durch Alkohol und andere Drogen in der Zelle selbst aktiviert werden, zur Entwicklung von neuen Medikamenten führt. Interessant wäre auch die Entwicklung von Medikamenten, die vor den neurotoxischen Wirkungen der Drogen schützen, als neuroprotektiv sind.

Frage: Wird diese Art der Impfung gegen Drogenwirkungen, wie sie beispielsweise das Scripps Research Institute in La Jolla entwickelt, auch in Deutschland erforscht? Wie funktioniert diese Impfung im Gehirn?

Andreas Heinz: Die Grundidee ist, dass sich Antikörper gegen die Droge bilden und diese bereits im Blut ausgeschaltet wird, so dass sie das Gehirn gar nicht erst erreicht. Ob das im Einzelfall klappt und welche Nebenwirkungen das Verfahren hat, muss man sehen. Eine ähnliche Testreihe wie in La Jolla ist mir für Deutschland nicht bekannt. Aber es gibt Untersuchungen zur Wirkung von Depot-Naltrexon, das die Opiatwirkung blockiert, allerdings direkt am Rezeptor, nicht als Impfung. Das kann helfen, aber nur, wenn der Betroffene unbedingt abstinent bleiben will und eine Sicherheit braucht, dass im Fall des Rückfalls die Droge nicht wirkt. Bei Opiatabhängigkeit hilft aber öfter die Substitution, also der Ersatz der Drogen durch gleichartig wirkende Medikamente, die den Vorteil bieten, dass sie legal verschrieben werden und die Folgen der Illegalisierung für den Abhängigen aufheben.

Frage: Könnte ein ausgebildeter Mensch aus neurobiologischer Sicht mit jeder Substanz vernünftig umgehen oder sollten gewisse Drogen grundsätzlich aus dem Verkehr gehalten werden?

Andreas Heinz: Es gibt unterschiedliche Wirkstärken, beispielsweise setzt eben Kokain etwa 10 Mal so viel Dopamin frei wie Alkohol. Hinzu kommt die Frage, ob eine Gesellschaft eine lange Tradition mit Ritualen ausgebildet hat, die bei der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung helfen, den Substanzkonsum in Grenzen zu halten. Bei der zunehmenden Vereinsamung und Zersplitterung der Lebenszusammenhänge nehmen diese Rituale aber auch im Umgang mit den lange etablierten Drogen ab. So sank das Einstiegsalter für Rauchen auf 12-13 Jahre. Letztendlich kommt es immer darauf an, was eine Gesellschaft an risikoreichem Drogenkonsum zulassen will.

Frage: Wobei die Illegalität die Probleme eher verschärft?

Andreas Heinz: So einfach ist das nicht. Legale Beschränkungen der Zugänglichkeit von Drogen begrenzen immer den Konsum und damit auch die drogen-assoziierten Probleme – das gilt sogar für die Alkoholprohibition. Die wurde nicht etwa aufgehoben, weil sie nicht wirkte – der Alkoholkonsum sank sogar recht deutlich – sondern weil die Große Wirtschaftsdepression kam, und die Alkoholsteuer als gute Alternative zu einer Einkommenssteuer gesehen wurde, die eher die oberen Schichten betroffen hätte. Aber natürlich hat sich damals das organisierte Verbrechen der illegalen Droge Alkohol angenommen, und das gilt heute ebenso für alle illegalen Drogen.

Frage: Daneben postuliert die „akzeptierende Drogenarbeit“ allerdings, dass ein großer Teil der Probleme von Abhängigen aus der Illegalität ihres Konsums entsteht.

Andreas Heinz: Abhängige, die illegale Drogen konsumieren, leiden an beidem: An den Folgen sowohl ihrer Abhängigkeitserkrankung wie der Strafverfolgung, insbesondere, wenn sie Beschaffungsdelikte verüben, um die Drogen bezahlen zu können und um die für sie unerträglichen Entzugssymptome zu vermeiden. Viele Migranten können in dieser Situation abgeschoben werden und kommen aus Angst davor gar nicht erst in Therapie – der Grundsatz „Therapie vor Strafe“ ist hier oft nicht verwirklicht. Es gibt circa 2000 Menschen, die pro Jahr an den Folgen illegaler Drogen sterben, ungefähr 40. 000 sterben am Alkoholkonsum und rund 100.000 an den Folgen des Rauchens. Die meisten leiden also an den Folgen des Konsums von Drogen, die in dieser Gesellschaft legal und frei verkäuflich sind.

Frage: Zugleich offenbart das Problem der Drogen aber auch eine Stärke des Menschen.

Andreas Heinz: Rasch zu lernen und sich dabei von Vorfreude und Belohnung leiten zu lassen, das können zwar grundsätzlich auch alle Tiere, die Lernvorgänge und die zu erlernenden Situationen sind beim Menschen aber ungleich vielfältiger, und die resultierende Verhaltensflexibilität hat uns ja viele Handlungsmöglichkeiten beschert. Abhängigkeitserkrankungen sind ein Preis der Freiheit, und auch deshalb gebührt den abhängig kranken Menschen unser Respekt und sie haben dasselbe Recht auf Behandlung und Hilfe wie alle anderen Kranken.