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Mixed Reisen

Mit dem Sachverständigen Harry Käding in die Pilze

Sturmumtost – Mit dem Pilzsachverständigen Harry Käding in die Pilze

24. Oktober 2010

So aber begab es sich, dass es donnerte und der Wind in den Bäumen rauschte und der kalte Regen gegen die Scheiben peitschte im Morgengrauen jenes Sonntages, den man da nannte den 24.Oktober 2010; und man hätte sich doch gerne wieder zum Schlafe gebettet, wäre man da nicht verabredet gewesen im finstren Tann – mit Harry – Harry Käding um genau zu sein, dem bekannten Speise- und deshalb logischerweise auch Giftpilzsachverständigen, der Interessierte via Internetz und Emil zur Exkursion in ihm noch unbekanntem Terrain geladen hatte, den Wäldchen rund um das Schnaakenmoor bei Rissen.

September und Anfang Oktober dieses Jahres waren von Pilzfreunden als sensationell und ergiebig gefeiert worden, nun aber war die Explosion der Pilze und damit auch der leckersten Speisepilze wohl endgültig vorbei, so beklagten es seit zwei Wochen sentimentale Gemüter. Doch das sollte uns nicht schrecken. Pünktlich wie die Eieruhr trafen wir am Rissener S-Bahnhof mit dem Automobile ein, wo Harry die pünktlicheren Pilzfraggles bereits mit Döhntjes und der Vortagsernte bei Laune hielt. Nach Entlohnung eines Obolus in Höhe von fünf Euronen pro Person wollten wir gemeinsam in den Wald an potentiell pilzhöffige Stellen fahren. Als wir noch dabei waren, unseren Wagen zu holen, fuhr Harry schon mal mit dem Wagen vor und ward verschwunden und zwar nicht nur für Sekunden, sondern von der Bildfläche. Dafür hatten wir zwar als Beifahrerin eine hübsche Werbetexterin mit Roots im Herzen der Republik bei Weimar im Auto, aber keinen Hinweis mehr auf Harry und den Rest der Truppe. Dann doch gut, dass es das Handy, diese sich endemisch ausbreitende Hirnfritteuse gibt, natürlich nicht nur zum Klingeltöne „Da ist ein Blödi am Handy!“ downloaden, sondern auch zur Kontaktherstellung, in diesem Falle mit Harry. Dieser sympathische Spaßvogel lungerte denn bereits schon im Walde herum und fing wohl gerade langsam an, die verlorenen Seelen zu vermissen. Wir schlossen auf und es konnte losgehen.

Neben uns spätpubertären Mittvierzigern, unserer pilzenthusiastischen Herzdame und einer netten Mutter mit erwachsener Tochter, stapften auch noch zwei Herren etwas fortgeschritteneren Alters, ein ob der zu befürchtenden dürftigen Ausbeute bereits klagender Spezi und ein bescheiden vor sich hin schmunzelnder Fotofreak bei Nieselregen durch den feuchten Wald. Vorneweg mit Trillerpfeife natürlich Harry.

Schon bald wurden die ersten Pilze gesichtet, die wohl allseits bekannten Nebelkappen (Lepista nebularis), deren Nichtkenntnis einen Pilzexperten schon mal an den Rande der Weißglut treiben kann, zumal wenn bei jeder Nebelkappe wieder nachgefragt wird. Dies blieb Harry an jenem Tage aber erspart. Die recht großen grauen Burschen wachsen in dieser Zeit nun mal vielerorts am Wegesrand. Sie sind nicht mehr giftig und eßbar, wenn man sie vorher lange genug abkocht, aber nicht jederfraus Sache und stießen dem zur Folge nur auf mäßige Begeisterung.

Der Violette Rötelritterling (Lepista nuda) ist ein weiterer eßbarer Winterpilz.

Der Geflecktblättrige Flämmling (Gymnopilus penetrans) gilt dagegen als bitter und ungenießbar.

Er kann verwechselt werden mit Rauchblättrigen Schwefelköpfen (Hypholoma capnoides), einem typischen Fichten- bzw. Nadelbaumstumpfbegleiter.Wir fanden diese gleich zu Beginn, aber nach Diagnose unseres Meisters zu feucht, liessen sie also stehen, ernteten die Hüte dieses recht schmackhaften Winterpilzes später aber noch in ausreichender Menge für Kostproben und zwar mit der frisch gelernten etwas rabiaten Handkämm-Methode. Der wohlschmeckende Schwefelkopf kann auch mit dem allerdings bitter schmeckenden giftigen Grünblättrigen Schwefelkopf (Hypholoma vasiculare) und einigen nicht eßbaren anderen Schwefelkopf-Arten verwechselt werden kann.

Verwechslungsgefahr besteht für den Laien, so lernten wir noch, zwischen dem beliebten ebenfalls in Gruppen auftretenden nußartig schmeckenden Stockschwämmchen (Pholiota mutabilis) und dem gefährlichen tödlich giftigen mehlartig riechenden Gift-Häubling (Galerina marginata) und obendrein oben erwähnten Flämmling. Alles klar?

Der von manchen Pilzomas und Osteuropäern hoch geschätzte Kahle Krempling (Paxillus involutus) ist roh und ungenügend gekocht giftig und kann bei häufigerem Genuss mitunter erst nach Jahren im Einzelfall schwere Langzeitschäden (Zerstörung der roten Blutkörperchen) bewirken. Deshalb wird heutzutage hierzulande vor ihm gewarnt.

Der Gelbe Knollenblätterpilz (Amanita citrina), den uns Harry zeigt, ist wahrscheinlich allenfalls schwach giftig. Er soll geringe Mengen an Tryptaminen enthalten. Auf einen Versuch sollte man es aber besser nicht ankommen lassen.

Zur Erkennung unverträglicher Täublinge gibt es einen Test: Harry kaute ein Stück von dem weißen Fleisch eines Täublings. Wir machten es ihm nach. Es schmeckte scharf wie Wasabi. Bald schon spuckten wir alle die Stückchen wieder aus. Es handelte sich bei dem obskuren Pilz offenbar um einen verblassenden Roten Speitäubling (Russula emetica). Man soll ihn auf Brot esen oder auch zur Würzung verwenden können. Er gilt als giftig, weil Viele auf seinen Genuss hin mit Erbrechen reagieren.

Stockschwaemmchen

Wir entdeckten Milchlinge und Flämmlinge, die uns hier nicht weiter interessieren sollten.

Auch ein paar Exemplare des verbreiteten und auch eßbaren Hallimasch (Armillaria ssp.) lösten keine Laola-Welle aus.

Aus dem Rotbraunen Milchling (Lactarius rufus), der auch noch zu später Jahreszeit wächst, kann man nach Vorbehandlung um den scharfen Geschmack weg zu kriegen, was machen. Wir liessen ihn stehen.

Navi für Pilzsammler wird kurz Gesprächsthema; aber wo bleibt da der indianische Sportsgeist, was wäre gewesen, wenn Rotkäppchen ein Navi gehabt hätte, und was, wenn der Baum, an dem man hätte rechts abbiegen müssen, längst im Schredder des Forstmannes gelandet ist?! Fragen über Fragen…

Bei den bei Sammlern so beliebten Röhrenpilzen sah es nicht mehr gut aus: Überalterte Maronen (Xerocomus badius), allesamt mit Schimmelpilz und madiger Fleischeinlage, zeigten ob ihrer bisweilen beachtlichen Größe, was hier unter besseren klimatischen Bedingungen möglich gewesen wäre oder war.

Rotfußröhrlinge (Xerocomus chrysenteron), die bei Laien auch als Maronen durchgehen, obwohl sie nicht so aromatisch schmecken, sahen beim Anschneiden ebenfalls enttäuschend aus und mussten entsorgt werden. „Zur falschen Zeit am falschen Ort“ grummelte unser Spezi. Das hätte zwar auch ein Lebensmotto sein können, aber aus Sammlersicht hatte er sicherlich recht. Als enthusiastische Laien und Lernende liessen wir uns jedoch den Spaß nicht nehmen.

Immerhin fanden wir als Nächstes einen Gallentäubling (Russula fellea), der so bitter schmeckt, wie er heißt, wenn man ein wenig auf seinem Fleisch herumkaut, Kategorie ungenießbar bis giftig. „Der Weg ist das Ziel!“ meinte Harry. Und so schlugen die ersten Durchhalteparolen wie philosophische Tiefschläge in das pilzhungrige Gemüt, während wir uns über matschige Waldwege in die Büsche schlugen. Irgendwo in der Nähe, in der Pony-Waldschänke, sollte es wohl gute Fritten geben. Aber noch waren wir nicht am Ende unserer Kräfte, geschweige denn unserer Lust auf Pilze.

Ein Täubling, laut Harry „schmackhaft“ und im Täublingstest von angenehm pilziger Milde, entschädigte zwar nicht für Alles aber sollte doch eventuell überstrapazierte Nerven erst einmal beruhigen. Mittlerweile regnete es auch praktisch fast nicht mehr.

Harry zeigte uns einen angefressenen Schwefelporling (Laetiporus sulphureus), einen Baumpilz, den man länger kochen muss, und der dann von der Konsistenz her ein bißchen an Hühnerfrikassee erinnert.

Der Horngraue Butter-Rübling (Rhodocollybia butyracea), der jetzt immer häufiger auftauchte, sagte uns Harry, sei eßbar, die Hüte gut für Pilzsuppe. „Jung und knacktig ist da zu bevorzugen!“, eine unverdorbene forrestale Lebensweisheit. Sandpilze (Suillus variegatus) von beachtlicher Größe tauchten auf, einige Kleine waren noch brauchbar.

Giftige und eßbare Trichterlinge wie der deutlich nach Anis riechende Grüne Anis-Trichterling (Clitocybe odora) kreuzten unseren Weg.

Ein kleiner putziger korallenartiger Gallertpilz, der orangegelbe Klebrige Hörnling (Calocera viscosa), verriet uns Harry, kann als Dekoelement beim Essen genutzt und gefahrlos mitverspeist werden.

Ein Birkenstamm war über und über mit Birkenporlingen (Piptoporus betulinus) bewachsen. Dieser Pilz wurde einst wundmedizinisch genutzt. Ötzi hatte ihn auf seinem letzten Marsch dabei.

„Ein Stern, der Deinen Namen trägt!“, hieß es wenig später, als wir auf eine wunderschöne Gruppe puffender Erdsterne (Geastrum) trafen.

Dann entdeckte Harry, was ungewöhnlich sei, an einem Kiefernstamm, einen Austernseitling (Pleurotus ostreatus). Leider sah er wie die meisten Pilze hier in der zwar massiv von Kettensägen zerfrästen und mit schweren Zugmaschinen ausgeräumten durch Straßen und Zäune zerteilten aber so sagt man ja trotzdem freien Natur nicht so appetitlich aus wie die Gezüchteten in ihren sterilen Plastikboxen aus dem Supermarkt. Aber das lag sicherlich auch am Wetter, das mittlerweile ein wenig aufklarte.

Da stieß ich auf einen darniederliegenden Stamm der mit reichlich wunderbaren ohrenförmigen und ohrengroßen Judasohren (Auricularia auricularia-judae) besetzt war, dem eigentlich nach nichts schmeckenden aber so angenehm gnubbeligen Chinasuppenpilz (Muh-Err, „Wolkenohr“). Im Süppchen knackig frisch, mundete er mir später sehr. Es war genug für alle Bedürftigen da. Sie mussten von Harry aber erst zu ihrem Glück überredet werden. Langsam füllten sich die Körbchen nun ein wenig, zumal mittlerweile auch oben erwähnte Schwefelköpfe hinzugekommen waren.

Der Zimtblättrige Hautkopf (Cortinarius cinnamomeus) ist allerdings giftig. Er gehört zu den Färbepilzen. Besonders tückische Vertreter der Gruppe der Hautköpfe führen erst nach 10-14 Tagen zu schwersten Vergiftungserscheiniungen, die Nierentransplantationen erforderlich machen können. Pilzfreunde erzählen sich solche Geschichten mit einem gewissen Galgenhumor.

Eine Gruppe schöner pusteliger Violetter Gallertbecher (Ascocoryne sarcoides) auf einem toten Birkenholzstamm war lediglich ein Augenschmaus.

Der giftige Schwefel-Ritterling (Tricholoma sulphureum) ist leicht an seinem eklig-chemischen Leuchtgasgestank erkennbar. Eine Geruchsprobe sollte sicherlich unbedingt beim Begutachten von Pilzen dazu gehören.

Der Brennende Rübling (Gymnopus peronatus) verrät sich durch seinen anhaltenden brennend-kratzigen Geschmack, wenn man ein Stückchen vorsichtig kaut und wieder ausspuckt. Das mochte nicht mal Harry ausprobieren.

Die Fuchsigen Trichterlinge (Lepista flaccida), vor denen wir skeptisch standen, kann man dagegen gut essen. „Mitnehmen!“ befahl der ansonsten herzliche und humorige Harry mit einem Unterton, der keine Widerrede zu dulden schien, denn stehen lassen kann man diese Burschen nicht, wenn man nicht vor sich selbst als totaler Ignorant da stehen will. Und wenn man schon den Fachmann dabei hat, kann wohl auch nichts schief gehen bei diesen sich untereinander sehr ähnlich sehenden und für den Laien leicht verwechselbaren und deshalb vor dieser Tour großzügig übersehenen Pilzen.

Die pilzunkundigen Daheimgebliebenen kann man gut mit dem schleimig-grünlichen Grünspan-Träuschling (Psilocybe aeruginosa) foppen, der verdächtig aussieht, aber eßbar ist.

Unser heimlicher Tagesabschnittsschwarm entdeckte nun auch noch ein schönes Hexenei und nahe bei zwei stattliche phallische Stinkmorcheln (Phallus impudicus). Harry pellte das Hexenei aus seinem schleimigen Mantel und zeigte uns, was man von der Stinkmorchel in statu nascendi als Aphrodosiakum für Männer in die Pfanne hauen kann. So wurde es noch am gleichen Tag befolgt. Tatsächlich schmeckte das Zeug aber irgendwie doch ein Stück weit so merkwürdig wie die Fliegen anlockende Morchel riecht, aber der Glaube versetzt ja angeblich Berge.

Am Ende traten wir dann an zum Gruppenfoto, verteilte Harry Visistenkarten und seine Eigenfunde nach Gusto und koberte nebenbei noch ein paar Passanten, die wohl durch die Notdurftbedürfnisse ihrer Hunde vor die Tür getrieben worden waren, während kurz etwas Blau durch die Wolkendecke brach. Ein angenehmer liebenswerter und super-fachkundiger Typ dieser Harry Käding und eine schöne Pilztour, für die man sich auch bei miesestem Wetter an einem Feiertag früh morgens aus dem Bett wälzen mag – Wiederholungsgefahr.

Links
http://www.harry-kaeding.de
http://www.dgfm-ev.de/index.php?id=giftpilze

 

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Gesundheitssystem Psychoaktive Substanzen Psychopharmakologie

Oxytocin

telepolis, 06.12.2010

Foxy-Oxy?

Das „Liebeshormon“ Oxytocin funktioniert bei weitem nicht so simpel wie bislang angenommen

Das Hormon Oxytocin ist vielseitig. Es kann Vertrauen und Kooperation verstärken; das funktioniert sogar bei Erdmännchen. Es kann sozial kompatibles Verhalten bei Autismus-Patienten fördern und wird während des Orgasmus vom Körper freigesetzt. Auch bei Depressionen, Großzügigkeit und Empathie scheint es eine Rolle zu spielen.

Das Hormon wird in Studien zumeist nasal verabreicht und führt bei den meisten Menschen zu einem Gefühl von Vertrauen. Oxytocin wird daher als „Liebeshormon“ gefeiert. Aber es geht auch anders. 2008 haben Forscher der Universität Zürich gezeigt (pdf), dass das Hormon die Empathie für den Schmerz anderer Menschen nicht erhöht. Eine im letzten Jahr veröffentlichte Studie hatte gezeigt, dass bei den Teilnehmern nach der Hormonvergabe vermehrt Neid und Schadenfreude auftraten. Verlor ein Spielpartner Geld, reagierten die hormongedopten Mitspieler gerne hämisch.

Ein neues Experiment untersuchte nun, wie Oxytocin die Einstellung von Männern gegenüber ihren Freundschaften und der Beziehung zur eigenen Mutter verändert. Die Ergebnisse sind mehrdeutig.

Durchschnittlich veränderte das geschnupfte Hormon die Erinnerung an die Mutter nicht. Bei denjenigen Männern aber, die eher besorgt um ihre Freundschaften sind, führte das Hormon zu eingetrübten Kindheitserinnerungen. Gegenüber der Placebogruppe sahen sie ihre Mutter plötzlich als weniger fürsorglich an. Die Teilnehmer dagegen, die sich ihrer Freundschaften und sozialen Kontakte eher sicher sind, reagierten genau anders herum: Sie würdigten die Nähe zu ihrer Mutter und lobten die Geborgenheit.

Die Untersuchungsleiterin Jennifer Bartz spricht mit Blick auf Oxytocin von einer „nuancierteren Rolle als bisher gedacht“. Die Wirkung der Substanz sei viel individueller als angenommen und kein Patentrezept, um Vertrauen zu schaffen. Die Flutung von Konferenzsälen muss also nicht unbedingt helfen. Wie bei anderen psychoaktiven Substanzen ist die Wirkung von der aktuellen Situation und der charakterlichen Disposition des Menschen abhängig. Zudem scheint es kulturelle Unterschiede zu geben. US-Amerikaner und Koreaner reagieren beispielsweise unterschiedlich auf das Hormon.

 

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Historische Texte

Grohe – Die Mysterien des Haschisch

Die Mysterien des Haschisch

von M. Grohe (1863)

M. Grohe war ein Künstler, der der Faszination des Orients folgte um eine längere Zeit in Ägypten zu leben. Sein 1863 in Heidelberg erschienenes Werk „Ein Orient-Buch“ ist ein wunderbares Zeugnis dieser orientalistischen Begeisterung. Besonders gerne hielt er sich im Kaffeehaus bei seinen Haschisch rauchenden einheimischen Freunden auf. Den folgenden Text aus dem „Orient-Buch“ kann man praktisch als eine Ode an das Haschisch verstehen.

„Fort, Ungeweihte! Alle, die ihr mit lieblosem Herzen und geistlosem Blick diese Blätter betrachten wollt! Alle, die ihr das Dunkel mehr liebt, als das Licht, und die Kälte mehr, als die Wärme, und die Säuerniß mehr, als die Süße!

Fort, Ungeweihte! Alle, denen der Glaube ein Räthsel ist, und die Liebe eine Thorheit, und die Hoffnung ein Wahn! Für euch sind diese Zeilen leer und dunkel.

Ihr aber, ihr Lichten, die das Weltlicht selig gepriesen, verehrt auch hier die Mysterien der Liebe: ihr Demüthigen, ihr Sehnsüchtigen, ihr Sanftmüthigen, ihr Gerechtigkeitsliebenden, ihr Mitleidigen, ihr Reinherzigen, ihr Friedfertigen, alle ihr von der Welt Verfolgten, höret und leset, dies ist für euch geschrieben.

Wenn du einmal, lieber Leser, in einer jener „Nächte des Vergnügens“ – so heißt der Araber die Vollmondnächte – die Gassen und Gäßchen einer Mosleminenstadt durchwanderst – vielleicht an einem Freitag, wo dich Mittags der aus allen Häusern und Moscheen dringende Weihrauchduft entzückte – so befremdet Dich wohl noch weit mehr, wenn du gerade an einem Kaffeehaus vorübergehst, ein anderer Geruch, ungewohnt ätherisch, süßanziehend, rasch verfliegend, unvergeßlich….. Du bist „sehnsüchtig“, wohlan tritt ein! Grüße freundlich und bescheiden; setze Dich ruhig und still.

Der Wirth bringt dir ein Tässchen Kaffee und fragt dich leise und etwas verlegen, ob du „rauchen“ wolltest, du bejahst – die Liebe sagt immer ja.

Der Wirth rüstet die arabische Volkspfeife, mischt ein Stückchen Haschisch (ein Präparat aus indischem Hanf) unter den Tabak, legt zuletzt einige Kohlen darauf, raucht höflich die Pfeife an und reicht sie dir; du rauchst;.. du rauchst Haschisch….

„Da flog der Seraphim Einer zu mir und hatte in der Hand eine glühende Kohle, die er mit der Zange vom Altar nahm, und rührte meinen Mund an und sprach: Siehe hiermit sind deine Lippen gerecht, daß deine Missethat von dir genommen sei, und deine Schuld gesühnt“..

Wer aber beschreibt die seligen Schauungen des Eingeweihten? Wer entweiht die Mysterien der Liebe, des Dichtens, des Traums und des Gebets? Denn alle diese vier höchsten Fähigkeiten des göttlichen Menschen vermittelt die Phantasie; der Haschisch ist aber ein phantasievermehrendes Mittel, und zwar das stärkste von allen.

Ich selbst, für meinen Theil, hätte hier vom Haschisch lieber geschwiegen; ich war es aber der Wahrheit schuldig, davon zu reden. Aus zwei Gründen.

Einmal cursieren darüber unter den Europäern ganz lächerlich falsche Vorstellungen. Natürlich ! Irgend ein beliebiger Mister Phibs oder Smith läßt sich von seinem Dragoman in ein Haschischcafé bringen, und raucht, um darüber sofort nach old England zu berichten, vielleicht das erstemal gleich 6-8 volle Pfeifen, das Herz, statt voll Liebe, voll Falschheit und Argwohn und Spionirlust…. und redet dann noch von Schwindel, Betrunkenheit und Unsittlichkeit !… Die Thoren ! Wissen wir doch, welch ein köstliches Reizmittel, mäßig genossen, z.B. auch der Kaffee ist, dieser herrliche Nationaltrank der Gläubigen – wem aber wird es einfallen, einem Neuling gleich 6 Schoppen davon einzugiessen?

Denke man über den Haschisch, wie man wolle; man wird ohne denselben den Orient ebensowenig verstehen, wie die Zeit und das Vaterland Voltaires ohne den Schnupftabak. Niemand wird läugnen, daß der Haschisch, wie der Wein und die Liebe und alles Göttliche, neben seinen Priestern und Dienern auch seine Narren hat, und, leider auch, seine Opfer; Letztere meist arme Schlucker, die ohne sonstige ordentliche Nahrung, oft selbst ohne Kleidung und Obdach, den letzten Heller hingeben für diesen immerhin kostspieligen Genuß, der ihnen alles andere ersetzen soll.

Dagegen mäßig genossen, bei sonstiger vernünftiger Diät, gewährt der Haschisch, nach einem Worte des Propheten, die drei höchsten Segnungen des wahren Glaubens:
„Appetit, Liebeslust und Seelenruhe.“

In der That, einfach physiologisch betrachtet, hat der Haschisch, da er durch den feinsten Sinn, den Geruch, fast unmittelbar auf den Geist einwirkt, eine mächtig potenzirende, höchst genial stimmende Wirkung; er versetzt uns und alles um uns her gleichsam in den Superlativ. Ich citire hiefür ein vortreffliches Gedicht meines Freundes Winkler, das dir, lieber Leser, wenigstens annähernd einen Blick gönnt in die Seele eines Haschischrauchers:

– Zweitausend Türkenköpfe auf einem einz´gen Pfahl, Zehntausend Weiberaugen in einem einz´gen Saal; Dann Millionen Becher vom allerbesten Wein, Das muß für weise Leute ein schöner Anblick sein.

Im Bade, zum Bedienen, ein schwarzgelockter Knab´ Und ferne, wie die Sonne, die Aussicht auf das Grab; Dann Millionen Beutel vom allerfeinsten Gold, So wär´ der Sultan selber dem alten Sünder hold.

Vom allerbesten Meister den allerhöchsten Sang; Den allerreinsten Tabak, den feinsten Mokkatrank, Dann in dem schönsten Herzen den allergrößten Raum, Und süßer wär´ das Dasein, als heut´ mein Haschischtraum.-

Was meine eigene Erfahrung betrifft, so war (außer Garibaldi) der einzige Mensch, der mich auf Erden an Jesus Christus erinnerte, ein „Haschasch“ (ein starker Haschischraucher). Er kam niemals in das Café, ohne allen freundlich die Hand zu drücken, meistens Datteln und andere Süßigkeiten – denn die Haschischraucher lieben vor Allem das Süße – darin zurücklassend; oft auch küßte er uns unter lieblichen Segenssprüchen Stirn und Wange. Ich habe nie wieder solch heiteren Ernst gesehen, solch würdevolle Weichheit, solch ein ganz nur Liebe ausstrahlendes Wesen!

Natürlich müssen diese Leute unter sich etwas Communistisches haben, wie alle Glaubens- und Liebesgenossen, die von andern verachtet und verfolgt werden – denn das werden die Haschischraucher gar oft.

Auch vereinigt sie die liebenswürdige Gewohnheit unter einander zu borgen und zu leihen, da oft Einer die andern freihält, und dann diese wieder ihn. Ueberdieß rauchen oft 6-10 Personen, jeder nur ein paar Züge, aus einer und derselben Pfeife – man gibt wohl zu, Alles eben so viele Vorbedingungen wahrer Liebe.-

Eine andere Form des Haschisch ist der Lachzucker, helau hindi, ein grünlicher Hanfextrakt in kleinen Täfelchen, mit der sonderbaren Eigenschaft, daß er, in gehöriger Quantität genossen, unwiderstehlich zum Lachen reizt, vielleicht gar das altegyptische Mittel, das schon die schöne Helena ihren Gästen in den Wein gemischt hat, um sie aufzuheitern.

Der Gegensatz des Haschisch ist das Opium, aphiun. Wenn der „Haschasch“, dem Centralfugaltriebe des Geistes fast allzusehr nachgebend, gleichsam aus sich herausfahren möchte, „um Millionen liebevoll zu umschließen,“ so brütet der Opiumraucher, der „Aphiungi“, düster und mürrisch in sich hinein.

Wehe dem Unvorsichtigen, der diese gelben, gallsüchtigen Schmeerbäuche in ihren egoistischen Träumereien stört!

Der göttlichgrobe Osmin der „Entführung“ ist solch ein Aphiungi; indeß Alhasi Derwisch im „Nathan“, wie jetzt noch fast alle Derwische, das köstlichste Vorbild ist von einem ächten „Haschasch“.

Jener möchte immer, über seine schwarzen Pläne brütend, ausruhen; dieser aber mit seiner fröhlichen Wanderparole – „nur am Ganges gibt es Menschen“ – gleicht ganz seinen himmlischen Vorbildern, jenen ewigtanzenden Sternderwischen der Nacht.“

 

 

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Cognitive Enhancement Elektronische Kultur Gesundheitssystem Übermensch

Interview mit dem Philosophen Oliver Müller über chemo- und neurotechnologische Umbaumaßnahmen an Körper und Geist

telepolis, 20.08.2010

Wenn Technik Lösungen, aber keine Antworten bietet

Der Philosoph Oliver Müller arbeitet am Institut für Ethik und Geschichte der Medizin in Freiburg und hat jetzt ein erhellendes Werk über den Einzug technischer Optimierungen in Lebenswelt und Körper des Menschen geschrieben. Im Interview beschreibt er, welche Auswirkungen diese Technisierungsprozesse auf Selbstsein und Selbstverständnis haben können.

Der Gegensatz von Natur und Technik ist bis heute Grundlage vieler Überlegungen zu Stellung des Menschen in der Welt. Wo liegen aus Ihrer Sicht die Grenzen dieser Dichotomie?

Oliver Müller: Auch wenn sie meiner Meinung nach nicht als völlig obsolet betrachtet werden darf, kommt die Dichotomie von Natur und Technik vor allem in anthropologischer und ethisch-normativer Hinsicht an ihre Grenzen. Epistemologisch-phänomenologisch kann man im Normalfall dann doch meist unterscheiden: Viele technische Eingriffe verändern die Natur nachhaltig, doch bleibt das veränderte „natürlich“ – sei es der Schwarzwald (den es in der heutigen Form – mit dem Fichtenbestand – Anfang des 19. Jahrhunderts noch nicht gab) oder ein durch künstliche Befruchtung auf die Welt gekommenes Kind. Selbst in der Synthetischen Biologie, deren Produkte „living machines“ genannt werden, sind es zwar synthetisierte, aber doch lebende Mikroorganismen.

Beim Menschen ist das anders: Da ist es schwer zu sagen, was ist ganz natürlich und was ist kulturell und technisch überformt. Wir nehmen Medikamente, fahren Autos und implantieren Hirnchips. Dabei können massive Anpassungsvorgänge eine Rolle spielen und es kann zu weitreichenden Eingriffen kommen – doch macht uns diese „natürliche Künstlichkeit“, die typisch für die menschliche Lebensform auch nicht zu komplett „künstlichen“ Wesen, gleichzeitig wollen wir ohne das „Künstliche“ und „Technische“ gar nicht leben, identifizieren uns mit dem hochkomplexen Kulturraum. Trotzdem empfinden wir bestimmte Techniken als „natürlich“ oder integrierbar in eine als „natürlich“ empfundene Lebensweise. Und das führt uns zu der ethisch-normativen Dimension dieser Unterscheidung.

Häufig wird dem Natürlichen ein Wert zugemessen, der respektiert werden soll und das technische Handeln wird in irgendeiner Weise als problematisch angesehen. Doch so eins-zu-eins kann man weder aus der Natur noch auch der Technik Normatives ableiten. Dazu braucht es zusätzliche Argumente, bedarf es eines anthropologisch-ethischen Rahmens, in dem die Unterscheidung von Natur und Technik überhaupt sinnvoll eingesetzt gemacht werden kann. Dann kann aus der Begrenzung der normativen Reichweite – das klingt paradox – normativ Fruchtbares gemacht werden.

Ist denn aus Sicht der Philosophie so etwas wie ein unverbauter, tiefer Einblick in natürliche Zusammenhänge überhaupt möglich? Anders formuliert: Wartet auf dem Grund philosophischer Erkenntnis eine naturgegebene Ebene, deren Erkennen Richtlinien vorgeben kann?

Oliver Müller: Da müsste man gegenfragen: Was ist ein tiefer Einblick in natürliche Zusammenhänge? Ich denke, die Philosophie kann versuchen, die verschiedenen Weisen, das Natürliche zu verstehen und mit ihm umzugehen, präsent halten. Wenn Philosophie die kritische und selbstkritische Klärung der wichtigen, der interessanten und existenziellen Begriffe und Konzepte einer Zeit zum Ziel hat, dann muss sie sich auch der Natur und dem Natürlichen annehmen: Wie kann man sinnvoll nach dem Natürlichen fragen? Und dann kann man das auffächern: wissenschaftstheoretisch (welcher Naturbegriff liegt den Naturwissenschaften zugrunde?), anthropologisch (kann man gehaltvollerweise von einer „Natur des Menschen“ reden?) oder ethisch (inwiefern kann das Natürliche Handlungsorientierung bieten?) und so weiter. Und dann muss man sich eben einer dieser Fragen annehmen und sie genau analysieren und die Antworten streng prüfen. Wenn ich Sie richtig verstehe, dann hat Ihre Frage nach dem Erkennen und den daraus folgenden Richtlinien eine ethische Zielrichtung…

Anders formuliert, würde sie lauten: Kann das, was ich als „natürlich“ erkannt habe, im Gegensatz zum Künstlichen, Technischen, Kulturellen, zu normativen Richtlinien des Handelns führen?

Oliver Müller: Hier würde ich nun sagen, dass die Philosophie moderieren kann, sie kann sagen, die Erläuterung der Funktionsweise von Peptidverbindungen als Erklärung von bestimmten natürlichen Vorgängen ist auf einer anderen Ebene anzusiedeln als die „Natürlichkeit“ einer Lebensweise. Letzterem kann man sich etwa metaphorologisch nähern und fragen: Inwieweit spielen die Vorstellungen des „Organischen“ oder des „natürlichen Gedeihenkönnens“ für die ethische Orientierung eine Rolle. Dass das eine sinnvolle Frage ist, zeigt die anhaltende Konjunktur des Aristotelismus. Doch wird man vermutlich sagen, die Richtlinien des Handelns lassen sich nicht auf diese metaphorischen Hintergrundvorstellungen reduzieren, das wäre schräg. Und dann müsste man diesen „Daseinsmetaphern“ einen Ort in der ethischen Theorie zuweisen und entwickeln, dass sie eine bestimmte Funktion ausfüllen, die vielleicht der Person-Begriff nicht mitabdecken kann.

Gleichzeitig muss man dabei aufpassen: Der direkte Verweis auf die Natur kann ja, wie Hume angemerkt hat, von einem unrechtmäßigen Schluss vom Sein auf ein Sollen führen. Gleichzeitig kann der Verweis auf die Natur zynisch oder chauvinistisch sein, etwa wenn man sexuelle Orientierungen als „widernatürlich“ bezeichnet. Das heißt, man muss sich genau anschauen, welcher Art der Begriff oder die Metapher des Natürlichen ist, den man fruchtbar machen will. Auf diese Weise würde man auch weitere für die Ethik relevante Natur- oder Natürlichkeitsbegriffe näher untersuchen, wie etwa den Körper, den Leib. Der Leib als die „Natur, die wir selbst sind“, wie Gernot Böhme das genannt hat, wird in ethischen Theoriebildungen oftmals marginalisiert. Und dann muss man fragen, warum das so ist und gegebenenfalls die leibliche Existenz anthropologisch und ethisch gehaltvoll machen. So kann die Philosophie durch eine Differenzierung der Fragestellung zu Antworten beitragen, die vielleicht präziser sind als die Antworten, die man vorher hatte.

Will man diese Methode konkret am Fall der Diskussion um die Selbstoptimierung durch chemisches oder neuro-technisches Enhancement anwenden, so könnte man beispielsweise fragen, welchen Sinngehalt „Optimierung“ heute zugemessen wird.

Oliver Müller: Genau. Die Verständigung über das, was wir in diesem Zusammenhang genau als „Optimierung“ bezeichnen, ist für die ethische Einschätzung des Enhancement von zentraler Bedeutung. Mir scheint, als würden in der Debatte immer wieder Kategorienfehler begangen. Denn von der Verbesserung des Menschen zu reden, hat eine lange kulturgeschichtliche Tradition, Menschen wollten und sollten schon immer in moralischer oder körperlicher Hinsicht verbessert werden, die Perfektibilität galt als Auszeichnung des Menschseins. Und diese als wertvoll erachteten Verbesserungstendenzen des Menschen scheinen mitgemeint zu sein, wenn von neurotechnischer „Verbesserung“ oder ähnlichem die Rede ist.

Doch ist genau an dieser Stelle eine anthropologische Reflexion von Bedeutung: Denn das, was mit einem Medikament verbessert wird, muss erst in seiner Bedeutung für die menschliche Lebensführung qualifiziert werden. Die gesteigerte Konzentrationsfähigkeit, die bei Prüfungen nützlich sein kann, oder der modulierte Stimmungshaushalt, der eine Person gesellschaftsfähiger machen mag, sind nur in bestimmter Hinsicht Optimierungen, in anderer Hinsicht können sie Verschlechterungen sein, etwa wenn die Einnahme von Medikamenten zu einer Selbstinstrumentalisierung führt, wenn sich eine Person also nur um des guten Funktionierens willen zu optimieren trachtet. Und an dieser Stelle kann es eben bedeutsam sein, sich des „Natürlichen“ oder „Organischen“ der Lebensführung als Richtwert zu erinnern.

Was die Stoa „nach der Natur leben“ nannte, hat nichts mit einem zivilisationskritischen „Walden“ zu tun. Es ging um die Etablierung von Orientierungsfiguren für die Lebensführung. Und da kann unter Umständen das Gefühl der „organischen Entwicklung“ oder des „Gedeihenkönnens“ stimmiger sein als die Logik des Enhancements, quasi auf Knopfdruck pharmakologische Lösungen für Herausforderungen in bestimmten Lebenssituationen anzubieten. Es geht also nicht darum zu sagen, die Enhancements seien „wider die Natur“. Das ist Quatsch. Aber die Reflexion über das Natürliche kann helfen, einen Rahmen zu etablieren, in dem die Beantwortung der ethischen Fragen der individuellen Lebensführung zumindest bereichert wird.

Dazu kommt die Aufgabe, Enhancement-Techniken vor dem Hintergrund ihrer historischen Entwicklung zu betrachten. Bei den Medikamenten zeigt sich hier eine Linie von den Stimulanzien, wie sie beispielsweise im 2. Weltkrieg von deutschen Fliegern benutzt wurden, bis hin zum heutigen Modafinil, das an britische Truppen verteilt wurde. Wie kommt es, dass diese Aufputschmittel, trotz mangelnder wissenschaftlicher Basis, nun als „Neuro-Enhancer“ bezeichnet werden?

Oliver Müller: Das ist eine gute Frage. Mir scheint da eine merkwürdige Allianz von wissenschaftlicher Rationalität und mythisch-magischen Praktiken bzw. Sehnsüchten eine große Rolle zu spielen. Offenbar gibt es ein menschliches Grundbedürfnis, sich mit Pharmaka selbst zu formen, andere Seelenzustände zu erkunden oder ähnliches.

Schon in der Antike dient das „pharmakon“ immer wieder als Begriff, aber auch als Metapher, um philosophische oder anthropotechnische Selbstformungen zu thematisieren und zu propagieren. Zaubertränke gibt es in der Kulturgeschichte zuhauf, bei „Tristan und Isolde“ ist es sogar so, dass die pharmakologisch induzierte Liebe als besonders „authentische“ gilt. Und diese mythisch-magische Folie der Selbsteinwirkungen wird nun in der modernen Zivilisation rationalisiert, indem die Aura, das Versprechen, sich selbst zu verbessern, als technisch generierbar, als machbar auf der Basis gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse gilt.

Es entspricht der Logik der Technik, Lösungen auf Knopfdruck anzubieten, perfektes Funktionieren zu garantieren. Dies kann sich dazu ausweiten, dass in einer Art technologischem Imperativ alles „Imperfekte“ am Menschen – oder eben am Soldaten – technisch kompensiert werden muss. Und auch wenn nicht in allen Fällen klar ist, in welcher Weise das vermeintlich Imperfekte perfektioniert wird oder welche Wirkungen und Langzeitfolgen manche Medikamente überhaupt haben, findet hier eben ein Überlagerungsvorgang statt: Der technologische Imperativ der Selbstkorrektur ist nur eine Ausdrucksform für mythische Sehnsüchte nach dem ultimativen pharmakon.

Es ist sicherlich so, dass die Pharma-Industrie von diesem Vorgang profitiert. Inwieweit sie bei der Lancierung des Begriffs „Enhancement“ eine Rolle spielt, weiß ich nicht zu sagen, doch es ist jedenfalls so, dass manche Ethiker vorschlagen, statt „Hirndoping“ den Begriff „Enhancement“ zu verwenden, weil er „neutral“ sei – aber genau das ist nicht der Fall. Dadurch dass Enhancement „Steigerung“ oder „Verbesserung“ bedeutet, liegt auch in diesem Ausdruck schon etwas Tendenziöses. Oder anders gesagt: Im Enhancement feiert die mythisch-magische Sehnsucht nach pharmakologischer Selbsttranszendierung im Gewand des Sachlich-Rationalen fröhliche Urständ…

Das menschliche Grundbedürfnis seine Umwelt und sich selbst mittels Technik zu perfektionieren, braucht Richtwerte. Sind uns diese in den westlichen Industriegesellschaften im Rahmen der von ihnen „Selbstinstrumentalisierung“ und „Selbstverdinglichung“ genannten Prozesse verloren gegangen?

Oliver Müller: Selbstinstrumentalisierung und Selbstverdinglichung sind nach meinem Verständnis Deutungsmuster, mit denen man Grenzen von Technisierungsprozessen ermitteln kann. Ich verstehe Technisierungsprozesse als in ihrer Grundstruktur ambivalent: Die Technik erschließt uns unsere Wirklichkeit, kann sie aber auch verarmen, in dem Sinne, dass andere Wirklichkeitsbereiche durch die Technik dominiert werden. Die Technik hilft uns, die Wirklichkeit zu kontrollieren, kann aber sie auch beherrschen, Technisierung ist immer auch Ersparnis von Zeit, kann aber auch zu Beschleunigungsvorgängen führen, mit denen wir nur noch schwer zurechtkommen können. Mir geht es nicht darum, die Technik zu verteufeln, das wäre unsinnig, denn der Mensch ist ganz wesentlich Techniker. Ich will vielmehr zeigen, dass wir kritischer Deutungsmuster bedürfen, um sensibel zu sein für negative Auswirkungen von Technik.

Was bedeutet das für das Enhancement-Beispiel?

Oliver Müller: Die moderne Medizintechnologie wird uns immer mehr Präparate und Techniken zu Verfügung stellen, nicht mehr nur therapeutisch, sondern optimierend auf uns einzuwirken. Zu Selbstinstrumentalisierung wird der Einsatz dieser Technik, wenn die Selbstbezugnahme einseitig wird, wenn alternative Selbstverbesserungsmöglichkeiten verloren gehen oder marginalisiert werden. Zur Selbstverdinglichung wird das Enhancement, wenn ich mein Leben nach Maßgabe dieser Techniken ausrichte und etwa defiziente Erfahrungen im Kontext leistungsgesellschaftlicher Anpassungsvorgänge chemisch ausgleiche. Wenn ich die pharmakologische Nachbesserung an meinem Selbst für gerechtfertigt halte, dann interpretiere mich schon, als wäre ich eine Maschine.

Und welche Richtwerte schlägt die Philosophie vor?

Oliver Müller: Richtwerte würden in den Aufgabenbereich der philosophischen Ethik fallen. Dabei sind unterschiedliche Ebenen zu betrachten: Erstens muss die Ethik, müssen Ethiker angesichts weitreichender Handlungsmöglichkeiten des Menschen – der Mensch ist immerhin das einzige Tier, das böse sein kann – diejenigen unverrückbaren Grenzen und Normen formulieren, die das Rückgrat unserer Kultur bilden, die menschliches Leben überhaupt garantieren können. Beispiele hierfür sind die Menschenwürde oder die Respektierung individueller Autonomie.

Zweitens geht es in der Ethik aber auch darum, die Zumutungen der conditio human in Lebenspraxis umzusetzen. Hierunter verstehe ich nicht nur die Tradition des Nachdenkens über das „gute Leben“ oder die „Sorge um sich“, sondern überhaupt den Umgang mit der eigenen Endlichkeit, Gebrechlichkeit, Fragilität. Um mit den Unbilden des Lebens umgehen lernen zu können, bedarf es grundsätzlicher anthropologischer und sozialer Reflexionen über die Eigenarten der humanen Lebensform. Und dazu gehört auch eine Verständigung über die Rolle der Technik in unserem Leben.

Welche Aspekte unseres Dasein wollen wir in den Verfügungsbereich der Technologien rücken und welche nicht? Also geht es in der Ethik immer auch um die Selbstverortung in der wissenschaftlich-technischen Zivilisation. Die Normen und Lebensregeln, die aus solchen Überlegungen gezogen werden können, sind natürlich anderer Art als der Rekurs auf die Würde. Hier spreche ich eher von Orientierungsnormen, Maßstäben oder Richtwerten, die eine andere Art von Verbindlichkeit haben – die aber helfen, das individuelle Leben zu strukturieren. Was von großer Bedeutung ist, denn es ist charakteristisch für Menschen, dass sie sich in einem Netz von normativen Vorstellungen bewegen und unzählige Meinungen darüber haben, wie etwas sein soll, wie ein Leben geführt werden soll, was gar nicht „geht“ – derartige kryptonormative Vorstellungen gilt es explizit zu machen, zu bündeln, zu hinterfragen.

Wenn es gut läuft, dann schiebt die Enhancement-Debatte doch die öffentliche Thematisierung der menschlichen Selbstdeutung an. Ab wann führen technische Einflussnahmen auf den Körper zur Mechanisierung menschlicher Selbstdeutung? Ein Problem dabei ist doch sicherlich, dass die Definition des Selbst so schwierig und hoch individuell ist.

Oliver Müller: Die Definition des Selbst ist schwierig, ist eine große philosophische Herausforderung. Das werde ich hier nicht versuchen. Was hier jedoch wichtig ist: Der Mensch ist das sich selbst interpretierende Wesen, wie Charles Taylor sagt. Das heißt: Wie man sich selbst deutet – in einer anderen Sprache: Welches Menschenbild man hat –, wirkt sich auf die Bewertung von Handlungen und Einschätzung von Lebensweise aus. Daher sind Veränderungen in der Selbstdeutung ein herausragendes Thema der Ethik. Diese sind natürlich schwer zu protokollieren, doch ich bin davon überzeugt, dass hier einer der Knackpunkte in der Bewertung von Technisierungsprozessen im Allgemeinen und des Enhancement im Speziellen liegt.

Um ein extremes Beispiel zu verwenden: Wenn sich Menschen als im Prinzip unfreie, fremdgesteuerte Wesen verstehen, dann wird sich dies auch auf ihre Begriffe von Verantwortlichkeit und Schuld auswirken, falls sie diese überhaupt noch im ethischen Repertoire haben. Im Enhancement-Kontext heißt das: Wenn die vorherrschende Selbstdeutung diejenige ist, dass Menschen physiologisch imperfekte Maschinen sind, die man pharmakologisch und technologisch verbessern kann und sollte – dies ist übrigens eine der Grundüberzeugungen des Transhumanismus –, dann wird man die entsprechenden Medikamente und Techniken nicht nur sorgloser einsetzen, sondern diesen Einsatz auch fordern… Wenn die Selbstdeutung derartige Auswirkungen auf die individuelle und gesellschaftliche Praxis hat, dann kann man in der Tat von einer „Mechanisierung menschlicher Selbstdeutung“ reden.

Es ist eine Illusion, dass wir unsere Beschränkungen jemals vollständig überwinden können, weil ja hinter jeder überwundenen Schranke eine neue wartet. Sollte man zu mehr Bescheidenheit aufrufen?

Oliver Müller: Ob Bescheidenheit hier die richtige Tugend ist, weiß ich nicht, ich würde vielleicht sagen, dass dies eine Sache der Klugheit ist, der phronesis, also der Fähigkeit, Situationen nüchtern einzuschätzen und ausgewogene Urteile zu fällen, auf deren Basis man dann handelt. Und dann kann es in der Tat hilfreich sein, Enhancement-Maßnahmen auf ihre Kurzsichtigkeit hin zu untersuchen.

Wenn mit einem verbessernden Eingriff auch ein bestimmtes Lebensgefühl des Erfolgs, der „Unschlagbarkeit“ oder der souveränen Lebensgestaltung verbunden ist, dann ist es eben klug abzumessen, ob das entsprechende Medikament denn auch wirklich die Grundsituation verändert oder ob es nicht nur auf Symptome reagiert. Und wenn man zum dem Schluss kommt, dass sich die Lebenssituation durch Enhancement-Einnahmen nicht wesentlich und nur kurzfristig ändert, dann kann man den Einsatz von Enhancements vor diesem Hintergrund ethisch beurteilen.

Sind wir automatisch in der technischen Logik gefangen, sobald wir eine Technik anwenden, um unsere Denken oder Fühlen zu verändern, man denke an Meditationstechniken?

Oliver Müller: Ich denke nicht, dass wir automatisch in einer technischen Logik „gefangen“ sind, wenn wir Technik anwenden. Denn wir können als Menschen gar nicht umhin, Technik anzuwenden, Technik gehört, wie schon gesagt, zum Menschsein dazu. Aber es kann eben sein, dass die Anwendung von Techniken andere Erfahrungsbereiche oder Rationalitätstypen dominiert – das war übrigens eines der Hauptargumente von Ernst Cassirer -, und dann kann die Technik, die den menschlichen Freiheitsspielraum erweitert, in ihr Gegenteil umschlagen und Freiheiten unterbinden, etwa wenn mit der Technisierung Normierungs- und Standardisierungsprozesse verbunden sind, die ein spezifisches Repertoire an Handlungen nahelegen oder nur noch diese ermöglichen.

Ich finde es sehr interessant, dass Sie in diesem Kontext Meditationstechniken erwähnen. Denn zur Zeit gibt es ja viele Annäherungsversuche zwischen Neurowissenschaftlern und Buddhisten oder anderen Meditationstechnikern. Ich bin sehr gespannt, was bei diesen Begegnungen längerfristig herauskommt. Wir können zum einen sicher sehr viel lernen, wie neurobiologische Prozesse mit meditativen Bewusstseinszuständen korrelieren. Das finde ich spannend. Doch es kann eben auch sein, dass das Bedürfnis entsteht, die Meditationstechniken auf der Basis neurobiologischer Erkenntnisse zu „verbessern“. Es ist nicht schwierig, sich eine Welt vorzustellen, in der sich Meditationstechniken als Anthropotechniken etablieren – Meditationstechniken dienen ja auch heute schon dazu, groteske, scheinbar systembedingte Arbeitsbelastungen zu kompensieren -, und in der dann Meditationstechniken medikamentös oder vielleicht neurotechnologisch „unterstützt“ werden.

Eine solche chemische Unterstützung von Meditationstechniken wäre für mich ein Beispiel dafür, wie die technologische Logik zu einer Entfremdungssituation im Sinne einer Selbstverdinglichung führt. Es ist ein Charakteristikum der technologischen Zivilisation, dass Wissen (fast) immer eine „Umsetzung“ verlangt. Auch hier wird es nicht bei dem neurobiologischen Wissen bleiben, sondern es wird in Umsetzbares, Machbares transformiert. Aber es ist eben fraglich, so drückt das Günther Anders aus, ob das Gekonnte gleichzeitig auch das Gesollte ist.

 

Literatur:
Oliver Müller: Zwischen Mensch und Maschine – Vom Glück und Unglück des Homo faber. 214 Seiten, edition unseld, 12 Euro.

 

 

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Das spezielle Yoga des Inders Bellur Iyengar stärkt das körperliche und geistige Befinden

„Beobachte ohne zu Bewerten“

Das spezielle Yoga des Inders Bellur Iyengar stärkt das körperliche und geistige Befinden

Die Welt steht Kopf seit einer Minute. „Etwas mehr nach Links mit den Beinen“, sagt Babette Rincke, „ja, so stehst du gerade“. Das Blut läuft mir in den Kopf, ohne das dies besonders unangenehm ist. Die Arme fangen unter der Anstrengung an zu zittern, aber ich will noch etwas länger durchhalten. „Lass den Kopf hängen und kneif die Pobacken zusammen.“ Ich versuche zu gehorchen, bin aber mit der Aufrechterhaltung des Handstands so beschäftigt, dass ich kaum folgen kann. Schließlich lasse ich mich zurück gleiten, gehe zurück zu meiner Matte und ruhe mich aus. Seit drei Jahren praktiziere ich das Yoga von Bellur Iyengar, einem heute 85-jährigen Inder, der das klassische Körpertraining des indischen Kontinents auf westliche Bedürfnisse zugeschnitten hat.

Iyengar (sprich: Eijengar) entwickelte bereits in den 40er Jahren neue Formen der Körperhaltungen und Bewegungsfolgen, welche die individuell unterschiedlichen, anatomischen Strukturen des menschlichen Körpers berücksichtigen. Dabei lag sein Augenmerk auf der Entwicklung einer Yoga-Form, die auch von Menschen mit körperlichen Schwächen und Behinderungen geübt werden kann. Für die eigenen Übungspraxis und den Unterricht erkannte er den Wert von Hilfsmitteln für die Ausführung der Übungen: Gürtel, Holzklötze, Stühle, feste Kissen und Gewichte werden so angewandt, dass die Anstrengung wesentlich verringert wird um das längere Verweilen in einer Übung zu ermöglichen. Dies wiederum ermöglicht eine tiefere Erfahrung und damit bessere Wirkung. So ist Iyengar-Yoga zwar eine Form des eher bekannten Hatha-Yoga, geht aber mehr als dieses auf die anatomischen Besondheriten des jeweiligen Schülers ein.

Bestätigt wird dieses Prinzip bei den Standstellungen, die uns Babette am heutigen Nachmittag zum wiederholten Male zeigt. Hierbei stehen wir mit gespreizten Beinen fest auf dem Boden, beugen den Körper nach Links, verstärken aber den Druck auf den rechten Fuß. „Nach Links verlängern, nach Rechts den Druck gleichzeitig erhöhen“, weist unsere 45-jährige Yoga-Lehrerin an, die zudem ausgebildete Krankengymnastin ist. Zunächst wusste ich bei dieser wie bei vielen anderen Stellungen nicht, welchen Zweck sie haben sollten, dass Einnehmen der vorgegebenen äußeren Form schien mir ohne Sinn. Natürlich wurden dabei die hinteren Sehnen der Beine gedehnt, aber sollte darin die Bestimmung dieses Asanas liegen? Erst im Laufe von zwei Jahren erkannte und erspürte ich die innere Dynamik, durch die jede Übung zu einem Ganzen wird, in das alle Körperteile auf sinnvolle Weise integriert sind. So ist es eben durchaus möglich, den Oberkörper weit zu einer Seite zu legen, dabei aber das Gewicht auszubalancieren und so beide Füßen gleichmäßig zu belasten. Babette: „Der Körper ist keine Block, sondern besteht aus vielen Elementen, die sich völlig unterschiedlich zueinander bewegen können. Ein Ziel des Iyengar-Yoga ist es, die Kontrolle kleinster Körperbereiche immer weiter zu verfeinern.“

Was ist das besondere an der Methode des Bellur Krishnamachar Sundararaya Iyengar, wie der Mann mit vollen Namen heißt? Mit Yoga assoziieren viele entweder asketische Yogis mit hinter dem Kopf verschränkten Beinen oder esoterische Wünschelrutengänger auf Abwegen. Um Yoga zu verstehen und nachzuvollziehen, muss es dreifach gedacht werden. Die zahlreichen Posen dienen nicht nur der körperlichen Ertüchtigung, Geschicklichkeit, Dehnung und Balance, sondern zugleich der Persönlichkeitsbildung. Immer wieder muss beim Üben selbst beobachtet werden, was während der Stellung mit dem eigenen Körper und der Aufmerksamkeit geschieht. Wird ein Teil überdehnt, fehlt die Balance oder kommt es zu einer gemeinsamen Ausrichtung der Körperteile? Schweifen die Gedanken ab, flüchten sie vor der Anstrengung?

Die Theorie des Yoga besagt, dass aus einer in sich stimmigen Haltung ein Geschehen entsteht, welches die Gesamtheit des Körpers nachhaltig umfasst. Als dritten Faktor hat jedes Asana immer auch eine medizinische Wirkung. So belebt der Handstand durch die Umkehrung alle inneren Organe, während die Drehlage im Liegen, bei welcher die Wirbelsäule wie ein aufgedrehtes Handtuch gewrungen wird, das Rückgrat und die Bandscheiben nährt. Das korrekte Vorwärtsbeugen, gerade für Männer eine schwierige Übung des sich Gehen-Lassen, Nichts-Leisten-müssen und weicher werden, kräftigt Leber, Milz und Nieren in ihren Funktionen.

 

Das dies nicht nur Theorie ist, sondern in der Übungspraxis nach vollzogen werden kann, beweist Thomas Gärtner.* Durch seine Tätigkeit als Krankenpfleger und eine Jahre währende schlechte Körperhaltung hatte sich der 36-jährige den Rücken ruiniert. Angefangen beim „Scheuermann“, über Sklerose bis hin zum Gleitwirbel plagten ihn chronische Verspannungen und Schmerzen, die durch die vom Arzt verordnete Krankengymnastik kaum gelindert wurden. Durch eine Freundin bekam er den Tipp und seit einem halben Jahr übt er nun Iyengar-Yoga. „Meine Rückenprobleme haben sich enorm verbessert“, freut er sich, um anzufügen, „ich müsste zu Hause viel häufiger trainieren, dann würde es garantiert noch besser werden“. Gärtner geht es auch um den Beweis, dass Körper und Geist keine getrennte Einheiten, sondern auf vielfältige Weise untrennbar miteinander verbunden sind. Diese verschütteten, blockierten oder abgestorbenen Verbindungen sollte eine Methode wiederbeleben, die sowohl den physischen Körper als auch die Psyche stärkt und entspannt. „Ich möchte Körper und Geist zusammen bringen“, fasst Gärtner zusammen. Gar als „phänomenal“ bezeichnet er die Aufdeckung der Zusammenhänge zwischen innerer und äußerer Verspannung durch die Übungen. Dabei geht es ihm nicht so sehr um eine strikte Leistungsorientierung, als um eine Erweckung der Sensibilität für körpereigene Vorgänge. „Ich habe begriffen, dass ich hier nichts leisten, sondern beobachten und wahrnehmen muss. Weniger ist mehr.“

Mittlerweile sind wir bei der „Großen Drehlage“ angelangt. Hierbei liegen wir rücklings auf dem Boden, haben die Arme in Schulterhöhe ausgestreckt, ziehen die Beine an die Brust und drehen dann die Beine nach rechts und den Kopf nach links. „Langsam und mit Kontrolle“, erinnert Babette uns, „und wenn die Beine den Boden berühren, streckt ihr sie aus.“ Es ist drei Jahre her, dass ich diese Übung zum ersten Mal ausführte; damals verlor ich die Orientierung und wusste nicht mehr, wo meine Körperteile lagen. Heute bin ich tatsächlich in der Lage mich „in die Lage fallen zu lassen“, wie Babette es nennt. „Das Einatmen schafft Raum und mit der Ausatmung sinkst du in den Raum hinein“, muntert uns die Yoga-Lehrerin auf. Im Gegensatz zu den sehr dynamischen Standstellungen sind die Entspannungslagen ruhig und von geringer Anstrengung getragen. Dies bedeutet aber nicht die Abwesenheit von Aufmerksamkeit – diese sollte alle Übungen begleiten – nur nimmt diese eine rein beobachtende Rolle ein. Das größte Problem ist ohnehin das Abschweifen der Gedanken, die sich in manchen Entspannungsstellungen gerne den Ereignissen des Tages, den Plänen der nahen Zukunft oder noch öfter dem Essen zuwenden. „Wenn du dies bemerkst“, sagt die Yoga-Lehrerin, „hole den Gedanken sanft wie ein unartiges Kind zurück zu der Stellung.“ Einfacher gesagt, als getan, denke ich und verscheuche die Pasta mit Käse-Sahnesoße aus meinen Kopf. Nach der Drehlage fühlen sich die linke und rechte Körperhälften unterschiedlich an. Die rechte schwerer und wärmer, die linke volumiger. Auch hier gilt es, so weiß ich mittlerweile, über die Zeit die Beobachtung zu verfeinern und eventuell noch weitere Unterschiede wahrzunehmen.

Ralf Schütt, langjähriges Mitglied im Vorstand der Vereinigung der deutschen Iyengar-Lehrer, schätzt die Zahl der Aktiven Yoga-Schüler in Deutschland auf etwa fünf Tausend. Er bestätigt, dass ein großer Anteil davon aufgrund von Probleme mit dem Rücken, den Gelenken oder schlicht zum Stressabbau zum Iyengar-Yoga gekommen ist. „Viele wechseln aus dem Fitness-Bereich zu Iyengar, weil es neben dem Muskulaturaufbau auch ein hervorragendes mentales Training ist.“ Der 1999 verstorbene Geiger Yehudi Menuhin und Pop-Ikone Madonna -sie alle waren und sind begeisterte Anhänger des Iyengar-Yogas. Menhuin schrieb in einem Vorwort zu einem Buch von Bellur Iyengar: „Die Übung des Yoga gibt ein entscheidendes Gefühl für Maß und Proportion. Auf unseren Körper bezogen, bedeutet dies, dass wir unser wichtigstes Instrument zu spielen und die größte Resonanz und Harmonie daraus zu ziehen lernen. Mit unermüdlicher Geduld verfeinern und beseelen wir jede Zelle.“ Ähnlich blumig wie der Meister der Musik drückt es der Meister des Yoga aus: „Das Selbst füllt den Körper bis in die Zellen, wie Wasser, das in einem Gefäß ruht. Die Aufmerksamkeit muss ebenfalls den ganzen Körper füllen, so gleichmäßig und lückenlos wie Wasser, das sich in einem Gefäß verteilt.“ Seit nunmehr über 60 Jahren übt der heute 82-jährige alte Mann bis zu zehn Stunden am Tag, gemäß seiner Devise „Der Körper dein Tempel, die Pose das Gebet.“ Diese Kontinuität hat ihm den Ruf des besten aller lebenden Yoga-Meister eingebracht.
Die zweistündige Yoga-Sitzung mit Babette Rincke geht zu Ende. In dieser Zeit habe ich meine durch das viele Sitzen am Schreibtisch verkürzten hinteren Sehnen der Beine wieder ein Stück gedehnt, den Brustkorb geweitet und die eingesunkenen Wirbelsäule ausgerichtet. Schweiß ist geflossen, Körperspannung ist auf- und wieder abgebaut worden. Die kleine Gruppe von sechs Leuten liegt auf dem Boden und spürt noch einmal in die verschiedenen Körperteile hinein. Im Idealfall ist man fähig kleinste Körperbereiche voneinander zu unterscheiden – für mich und die anderen ein noch langer Weg.

* Name von der Redaktion geändert.

 


Yoga
Der Ausdruck Yoga stammt aus der indischen Sanskrit-Silbe „Yui“, was soviel wie zusammenbinden bedeutet. Zusammengebracht werden sollen Intellekt und Körper. Der Vermittler zwischen diesen Instanzen ist aus Sicht der alten Yoga-Sutras die Seele. Belur Iyengars Yoga-System fußt auf diesen von Patanjali ungefähr 200 v. Chr. nieder geschriebenen Sutras. Mit jeder korrekt ausgeführten Übung soll sich der Mensch nicht nur physiologisch und neurologisch, sondern auch emotional, ethisch und nicht zuletzt spirituell weiter entwickeln.

Zu Iyengar
Seit nunmehr 65 Jahren übt der Mann bis zu acht Stunden am Tag, gemäß seiner Devise „Der Körper dein Tempel, die Pose das Gebet.“ Diese Kontinuität hat ihm den Ruf des besten aller lebenden Yoga-Meister eingebracht. Bei fernöstlichen Weisheiten bleibt Iynegar nicht stehen, seine von ihm geleiteten Übungseinheiten stehen im dem Ruf äußerst anstrengend zu sein. „Schmerz ist dein Meister“, ist denn auch ein oft zitierter Ausspruch von Iyengar. Dies kommt allerdings zum einen immer auf den Lehrer, zum anderen auf den Praktizierenden selbst an. Die Methode ist zwar intensiv, aber nicht aggressiv. Unbewusste Blockaden im Körper benötigen jedoch oft einen deutlichen Hinweis von Außen um durchbrochen zu werden. Iyengar: „Wenn du dein Hemd aufhängen willst, brauchst du einen Bügel. Genauso ist es, wenn du einen geordneten Körper und einen geordneten Geist haben willst.“

 

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Historische Texte

Amand Freiherr von Schweiger-Lerchenfeld: Schach matt! mit dem Höllenkraut Haschisch

Schach matt! mit dem Höllenkraut Haschisch

Eine Skizze von Amand Freiherr von Schweiger-Lerchenfeld (1879)

Amand Freiherr von Schweiger-Lerchenfeld (1846-1910) war ein vielschreibender österreichischer Journalist, der Südosteuropa und den Orient bereiste. Sein kurzer ungetitelt in dem Buch „Zwischen Pontus und Adria“ (1879) erschienener von typischen Vorurteilen, Kenntnisdefiziten und damit zusammenhängend beängstigenden subjektiven Erfahrungen geprägter Bericht aus (I-)Stambul gibt ein heute geradezu amüsantes Beispiel für eine insgesamt negative Bewertung des Exotikums „Haschisch“:

„Ist der Kaffee in Folge seiner belebenden Eigenschaften eine Himmelsgabe, so muß das nicht weniger beliebte orientalische Reizmittel – das Haschisch – vorweg als ein wahrhaftiges Höllenkraut bezeichnet werden. Als der fromme Scheich Birazdan zuerst das Hanf-Präparat den Gläubigen zum Genuße vorsetzte, da dürfte er wohl kaum geahnt haben, daß nach wenigen Jahrhunderten der fünfte Theil aller Menschen des Erdballes diesem entsetzlichen Laster fröhnen werde. Und ein Laster ist der Genuß des Haschischs so gut wie jener des Opiums. Zwar wirkt das Haschisch-Essen, – Trinken und -Rauchen auf den Organismus des Orientalen in keineswegs so hohem Grade wie bei Europäern, die dergleichen an sich experimentiren. Immerhin aber zerstört das Präparat Körper und Seele und frühes Siechthum ist der Lohn für die durchträumten Wonnestunden, welche dem Haschisch-Genuße folgen.
Welche Bewandtniß es im Uebrigen mit dem berückenden Scheinleben hat, das ist nicht ganz leicht zu ergründen. Der Orientale, welcher durch den Haschisch-Genuß eine farbenglühende Welt um sich sieht und alle Paradiesesfreuden in stufenweiser Aufeinanderfolge durchkostet, kennt nichts, was diesem Behagen im Leben gleichkäme. Nicht-Orientalen wissen hingegen von keineswegs wonnigen Empfindungen zu berichten, und was meine persönliche Erfahrung betrifft, so muß ich solcher Negation vollkommen beistimmen.

Es war in dem spießbürgerlich-occidentalen „Cafe Flamm“ in der Grande Rue de Pera, wo ich zuerst die Wirkungen des Haschischs an mir erproben sollte. Ich saß da mit einem guten Freunde beim königlichen Spiel, beim Schach. Einige Tage vorher hatte ich mir von einem ungarischen Emigranten ein Stück zwei Jahre alten egyptischen Haschischs verschafft, und mehr aus Uebermuth als aus irgend welch` anderen Gründen schabte ich eine Dosis von der Größe eines halben Malzbonbons in die Tasse schwarzen Kaffees. Es dürfte ein Uhr nach Mittag gewesen sein.

Ueber zwei Stunden liefen die Figuren über das Brett, der Sieg wechselte wiederholt und noch immer blieb die Wirkung aus. Da plötzlich brach ich, trotz der ernsten Situation inmitten des Spieles, in convulsivisches Lachen aus; ich sprang auf und wies, bei sonst volkommenem Bewußtsein – auf ein prächtiges, berückendes Landschaftsbild, das sich vor meinen Blicken entfaltete. Mein Genosse, der wohl wußte, um was es sich handelte, ergriff mich gewaltsam am Arme und drückte mich auf den Sitz nieder….

Die Farben begannen zu wechseln, aus hellen Blüthenbeeten tauchte phantastisches Gewächs, unförmliche Baumstrunke mit langen gespenstischen Armen, die nach mir langten. Ich meinte zu ersticken und griff hastig nach einem bereitstehenden Glase Wasser, um die trockene Kehle zu befeuchten. Die Vision schwand und über die Augen glitten helle Flocken, wie Blüthenregen, während das Ohr entzückt gedämpften Melodien lauschte, die wie Geisterchoral auszitterten. In diesem Momente schien sich der gestörte Organismus zu beruhigen, aber unmittelbar hierauf taumelte ich noch einmal in die Höhe und klammerte mich entsetzt an die Tischkante…. Ich sah einen Feuerball vor mir kreisen, der in ein flammendes Gesicht überging und mir die wohlbekannten Züge eines perotischen Mädchens wies.

Dann bemeisterte sich des Körpers eine unbeschreibliche Schlaffheit und mein Freund benützte die Gelegenheit, um mich in meine Wohnung zu transportiren, wo mich ein sechzehnstündiger Schlaf überfiel. Noch ein zweites Mal übermannte mich die Versuchung, aber eine erklärliche Aengstlichkeit gebot diesmal Maß zu halten; die ganze Wirkung beschränkte sich auf ein ausgesprochenes Gefühl der Behaglichkeit.

Zu derselben Zeit machten auch zwei meiner Orientgefährten, selbstverständlich vor nüchternen Zeugen, um jedem Unfalle vorzubeugen, ihr Debut im Haschisch-Genuße. Ein junger ungarischer Cavalier hatte eine gehörige Dosis unter das blonde Kraut Smyrnas gestreut und begann bald unruhig hin- und herzuschwanken. Seine Augen sahen stier, und indem er das Rohr halb aus seiner zitternden rechten Hand gleiten ließ, vollführte er mit der linken Hand Bewegungen, als wollte er zu einer Orchestral-Musik den Tact markiren. Plötzlich kauerte er sich zusammen und begann sich wie ein Kreisel zu drehen… „Ich schwimme!“ stotterte er… „Der Tigris um mich, drüben goldene Kuppeln… Musa`s Moschee – der Korb ist toll und schwingt wie ein Rad“… Da stieß er einen Schrei aus` und brach zusammen.

Bela war kurz vorher in Bagdad gewesen. Er erzählte uns oft von den dortigen eigenthümlichen Stromfähren, kreisrunde, gehörig verpichte Körbe, die mittelst Löffelruder in rotirende Bewegung gesetzt werden. Die Vision bewegte sich sonach in einer Erinnerung… Mittlerweile war der andere Gefährte, ein deutscher Techniker, von seinem Sitze aufgesprungen und rannte wie toll zwei-, dreimal durch`s Zimmer, bis er in einer Ecke zusammenbrach. Hier begann er bitterlich zu weinen, aber nach wenigen Minuten verklärte sich sein Auge, und um seine Mundwinkel spielte ein seliges Lächeln… „Marie!“ flüsterte er, „ich komme!… Die Höhen nahen mir,… tief unter mir ein Lichtermeer,… goldene Turmspitzen… Der Himmel hellt sich auf und die Sterne thauen auf mich herab“… Er fiel zurück und begann zu schlummern.

Im Allgemeinen beweisen diese schwachen Versuche, daß das Gefühl des Wohlbehagens vorherrscht. Bei anderen Europäern, die das Experiment des Haschisch-Genußes ausführten, bestand die Wirkung der Hauptsache nach in denselben Erscheinungen, nur traten mitunter Beklemmungen und Blutandränge ein, die ein unbeschreibliches Angstgefühl hervorriefen. Die ersten Symptome sind in der Regel beschleunigte Pulsthätigkeit und das Gefühl totaler Unbeholfenheit, verbunden mit Schwindelanfällen. Bei allen Haschischtollen stellt sich aber das Schwebegefühl ein; der Körper fällt gleichsam stückweise ab, und mehr und mehr fühlt man sich emporgetragen, so daß die Hand ängstlich nach etwas tappt, woran sie sich zu klammern vermöchte. Gänzliche Bewußtlosigkeit tritt selten ein.

Vor wenigen Jahren noch machte in Constantinopel unter allen Europäern, die je dem Haschisch vollends zum Opfer fielen, namentlich der ungarische Emigrant Baron Splenyi gerechtes Aufsehen. Er gab sich anfangs heimlich der Teufelsgabe hin, indem er seine Einkäufe bei den Derwischen besorgte, bis diese selbst die Initiative ergriffen und auf die Person des würdigen Jüngers Beschlag legten. Splenyi war damals, wie man mir erzählte, noch ein vermöglicher Mann; die Diener des Propheten aber wußten es zu arrangiren, daß er ihnen seine ganze Habe auslieferte, zum Islam übertrat und schließlich dem Orden der Mewlewi (Dreh-Derwische) sich einreihen ließ.

Von hier ab ging es mit dem Unglücklichen ganz entsetzlich rapid herab. Er wurde viele Tage hindurch nicht mehr nüchtern, übernachtete unter den Cypressen des sogenannten „Piccolo Campo“ in Pera, und lief zuletzt nur mehr mit einem Felle bekleidet am hellen Tage durch das Frankenquartier, was die Polizei zu beanständen nicht für nöthig fand. Der damalige italienische Gesandte sah einst den halb Irrsinnigen unter den Fenstern seines Palais und ließ ihn zu sich kommen und gehörig ankleiden, nicht ohne ihm zum Schluße noch eine tüchtige Moralpredigt zu halten. Splenyi aber ging directe von der Wohnung des Gesandten auf den Missr Tscharschy (Egyptischen Markt) in Stambul, um sein Habit für eine Dosis Haschisch einzutauschen, und lief nach wie vor in seinem Thierfelle umher.

Einmal traf ihn einer meiner Bekannten in höchst seltsamem Aufzuge unweit Damascus. Mit himmelwärts gewendetem Blicke, auf einem Esel reitend, kam er daher; in seinem Gefolge befanden sich einige Araber mit – Spaten. Als jener Bekannte die Leute frug, was dieser Aufzug zu bedeuten habe, antworteten sie: Der Weli (Heilige) da, habe ihnen befohlen, ihn zu begraben. Orientalen nehmen es mit dem Wunsche eines Weli (sehr häufig identisch mit einem Verrückten) meist sehr ernst, und so mußte mein Gewährsmann die abenteuerliche Gesellschaft mit Waffengewalt auseinandersprengen… Splenyi starb in den besten Mannesjahren an – Entkräftung.“

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Drogenpolitik Interviews Interviews

Interview with Michael A. Rinella about Plato and the Pharmakon

telepolis, 28.04.2010

„It is a contest between philosophy and its rivals
to speak with the power of truth.“

Interview with Michael A. Rinella about Plato, drug culture, ecstasy
and philosophy in ancient greece

Platon
Platon

Dr. Rinella, what significance, what weight did the Greeks of the Classical Period attach to intoxication?

Let us consider the question of significance or awareness first. It surprises me that there are many analysts who believe that intoxication was not a condition subjected to a constant, regular, and on-going ethical inquiry in ancient Greece, simply because ancient thought lacked, to give one example, something like our contemporary theory of addiction. In other words they argue that the ancient Greeks had no “drug problem” and were in a sense oblivious about drugs. Well of course that is true if by “drug problem” you are thinking of the specific set of responses to recreational drug use in play since roughly the beginning of the Industrial Revolution. But if you consider Greek thought on intoxication in its own terms you’ll find a discourse as rich and complex as the ancient discussion of food and sex.

And the emphasis?

The question of weight or emphasis is equally important. In contemporary market economies non-productive drug use has been problematized as a disease condition to be subjected to a juridical intervention by a criminal justice system, a medico-therapeutic intervention by a drug-abuse system, or both because these systems tend to operate in loose conjunction or alliance with one another (each having a normalizing role within late-capitalist society). In ancient Greece intoxication was problematized largely on aesthetic grounds. At least until Plato, who was considerably more sophisticated than his peers in terms of understanding human psychology.

What were the parameters of an aesthetic appraisal of intoxication? And what did Plato change?

The central idea within the symposia of the elite was to drink well, and wisely. And by “drink well” they meant becoming intoxicated. If you met this goal your peers considered you properly aristocratic, refined, and a truly attractive human being. The ancient Greek poets speak of this constantly. To allow the mind to be completely unseated by a substance such as wine was considered boorish, ugly, and unattractive for several reasons. On the one hand it was considered unmanly; it made the warrior emotional and feminine. On another it led to hubristic behavior, something that was, in a culture heavily based on honor and shame rather than responsibility and guilt, about as taboo as you could get. The ugly side of intoxication was seen as a primary cause of discord in the social body politic, what the Greeks called stasis. In the politically charged atmosphere following the end of the Peloponnesian War and the trial and execution of Socrates Plato comes along and introduces a new way to think about social discord. For instance in the Republic he uses the term stasiazonta, or “stasis within” and this allows him to begin to question the value of intoxicated states from a new perspective.

Was the most common choice of intoxication at that time, wine, comparable with our wine today?

No, it really wasn’t, and this is a continuing source of misunderstanding. Ancient wine was frequently combined with other substances, including what we would today call “recreational drugs.” The surviving textual record offers ample proof of this but, as classicist Carl A. P. Ruck and a handful of others discovered, purely textual evidence was easy to dismiss or, worse, simply ignore. Now, however, the latest techniques of archeological analysis have confirmed the presence of other intoxicants in Greek wine, to the point it is simply incontrovertible. I’m thinking specifically of anthropologist Patrick E. McGovern’s works, like Ancient Wine.

On which occasions and how often were which people drinking wine?

The occasions were many. Drinking might be done in public, or private, in a religious context, or a recreational context. And the ethics of consumption would have varied depending on the situation. For example the festival of the new wine, the Anthesteria, would have been a public and religious setting for drinking, while the wine drinking and sacrifices that took place before the theatrical performances, the City Dionysia, would have been primarily public and recreational, though of course the high priest of Dionysus was seated in the front row during performances. The drinking party of the wealthy during the Classical era may be thought of as private and recreational drinking, but at the same time the ritual libation s of wine that commenced this drinking in private were themselves religious in character. The question how often or how deeply people were drinking wine is difficult to assess over the gulf of time but I suspect it was on an order different than we are accustomed too. In Plato’s Laws, for example, the Spartan Megillus mentions having seen the entire city of Tarentum drunk during the Dionysia.

And Plato’s new perspective on intoxicated states led to a new view on ecstasy as well?

Closer to the reverse. Many of Plato’s dialogues dissect claims to knowledge and authority that are based on non-rational methods, and this leads him to new insights on the value of both intoxication and ecstasy. The ancient Greeks had a saying that translates to, approximately, “truth comes from wine and children,” and this view was extolled by many poets – whose cultural authority was great – and Plato’s contemporaries in the Athenian upper class. If the project of philosophy was to know the truth through rigorous intellectual training that led to contemplation of the eternal forms, as it was for Plato, you can see how an ecstasy-based path to wisdom was going to be a problem. It is a contest between philosophy and its rivals to speak with the power of truth.

So Plato sees no place for ecstasy in the civil society?

I would distinguish between his views of civil society and the politics. On the one hand Plato is careful not to tread too heavily on ground ordinarily reserved for religion, such the cult of Dionysus or the Eleusinian Mysteries. An accusation of impiety was something you avoided if you had any sense. On the other hand he is quite hostile to social intoxication and wants to cordon that off from as many people as possible. In the political realm he sees, at most, a place for the use of dialectic to perceive, almost like a religious revelation, the eternal and unchanging forms. At the same time he appears quite pessimistic about more than a handful of individuals ever reaching such a stage of enlightenment. All in all, he has very little use for ecstasy. He may borrow some of the linguistic trappings of, for example, religious ecstasy but in the end ecstasy winds up being replaced by philosophy.

Is it correct to say that Plato’s ideas about intoxication constitute the ground for the western „drug politics“ today?

In a certain sense, yes. Michel Foucault correctly identifies Plato’s dialogues as the soil, the leaven, the climate and the environment from which a number of spiritual and intellectual movements will germinate, rise, and grow over the next two millennia. Plato’s general distrust of, and hostility toward, the pharmakon, the drug, reappears in many ancient texts. Dio Chrysosotom and Clement of Alexandria, for example. Look at Immanuel Kant’s Metaphysics of Morals. Like Plato, he allows for moderate use of wine to promote friendly conversation, but for the drugs that produce what he calls “dream euphoria” there is zero tolerance. The individuals who use these drugs are, Kant writes, less than beasts, and may be denied treatment as human beings. And Kant’s influence on moral philosophy over the last two hundred years is undeniable. If you look at the arguments against “drug abuse” in early twentieth-century publications, like the American Journal of Mental Hygiene, the perspective on drug use is distinctly Kantian.

What are the disadvantages of this perspective on drug use?

The perspective is questionable for two reasons. First, it fails to see that the arguments it advances are historically situated. Said another way, during the Industrial Revolution a set of strategies arose to address the question of ecstasy and identity – including recreational drug use – that were unique to that time period. The response to the question of recreational drug use will be as different in the post-industrial age as our present policies are from the pre-industrial age. To give a very simple example, what would be the purpose of “driving while intoxicated” laws if your vehicle is intelligent enough to drive itself? Given the growth of artificial intelligence, this could happen within a century. Second, these discourses of “drug abuse” can hide behind the veneer of “science” but at their core they are rhetorical, polemics. They do not engage in dialogue, they speak in monologues, encase themselves in privileges they alone possess and will never agree to critically examine. The recreational drug user is denied as a subject having the right to speak. He or she is reduced to a data point in a problem of epidemiology. You do not have a dialogue with an epidemic. It is a threat, an enemy, against whom any action is just and capable of being justified.

Is there a need for re-integrating ecstasy into our culture?

There is. First, because there is some evidence suggesting that taking a “break from identity” is not a disease condition to be subjected to criminal or medico-therapeutic “intervention,” it is actually common in the natural world, and ought to be something we view as both rational and healthy. Second, because the consequences of drug prohibition are both too costly in a monetary sense and too odious in a democratic and human rights sense to tolerate any longer.

Why should we use chemical intoxication instead of other forms of reaching ecstasy?

If marijuana products were legalized, for example, I really don’t think you would see them replacing “the runner’s high,” or organized religion, or artistic creation. People will still enjoy running a marathon for its own sake, attending religious rites for spiritual consolation, and the thrill of performing music and the rush of dancing. The techniques or paths for reaching ecstasy should not be seen as mutually exclusive, but rather complimentary. Seen this way, recreational intoxication is simply a single facet of a very ordinary, common, and natural human behavior.

 

About the Author

Michael A. Rinella is instructor of political theory at Empire State College in New York, and former senior editor at the State University of New York Press. In his forthcoming book Pharmakon: Plato, Drug Culture, and Identity in Ancient Athens (Lexington Books) he examines emerging concern s for controlling state s of ecstasy in ancient Greece, focusing on the dialogues of Plato.

 

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Interview mit Michael A. Rinella über Plato, das Symposion und die philosophischen Ursprünge moderner Drogenpolitik

telepolis, 28.04.2010

„Für einen auf Ekstase beruhenden Pfad zur Weisheit war kein Platz mehr“

Interview mit Michael A. Rinella über Ekstase und Philosophie im Altertum und Plato als Ahnherrn der Drogenpolitik

Platon

 

Der us-amerikanische Autor Michael A. Rinella hat eine detailreiche Studie über die Ethik des Rausches in der griechische Philosophie und Gesellschaft veröffentlicht. Er beschreibt dabei den Sieg der Rationalität über die Ekstase während der klassische Periode zwischen 500 und 336 v. Chr. anhand von Material aus poetischer Literatur, medizinischen Dokumenten und Gesetzestexten, vor allem aber den Dialogen von Plato (427 – 347 v. Chr.). Im Interview mit der Telepolis spricht Rinella über angereicherten Wein, gepflegte Saufgelage und die Auswirkungen der griechischen Philosophie auf die heutige Beurteilung ekstatischer Zustände.

Dr. Rinella, welche Bedeutung, welches Gewicht, maßen die Griechen der klassischen Periode dem Alkohol- und Drogenrausch bei?

Lassen Sie uns zunächst die Frage der Bedeutung betrachten. Es hat mich überrascht, dass viele Wissenschaftler/Analysten glauben, dass der Rausch kein Gegenstand regelmäßiger und geordneter ethischer Diskussionen war, nur weil das damalige Denken keine Theorie der Sucht kannte. Es wird teilweise argumentiert, dass die Griechen kein „Drogenproblem“ und in gewisser Weise keine bewusste Einstellung gegenüber Drogen hatten. Nun, das stimmt natürlich nur, wenn man in den Kategorien spezifischer Reaktionen auf freizeit- und genussorientierten Drogenkonsum denkt, die aber erst seit der industriellen Revolution etabliert sind. Analysiert man das griechische Denken allerdings in seinen originären Ausdrücken, so findet sich ein reicher Diskurs, der ähnlich komplex ist wie die antike Diskussion über Ernährung und Sex.

Und die Gewichtung?

Die ist genauso bedeutend. In der zeitgenössischen Marktwirtschaft wird nicht-produktiver Drogenkonsum als Krankheit problematisiert und ist Ziel juristischer Interventionen durch das Rechtssystem und medizinisch-therapeutischer Interventionen durch das Suchthilfesystem. Oder die beiden intervenieren gemeinsam, nicht zuletzt, weil sie beide eine Normalisierungsfunktion in der spätkapitalistischen Gesellschaft haben. Im antiken Griechenland wurde der substanzgebundene Rausch in erster Linie als ästhetisches Problem behandelt. Zumindest bis Plato, der die menschliche Psyche wesentlich besser durchschaute.

Was waren denn die Parameter, um den Rausch unter ästhetischen Gesichtspunkten zu betrachten? Und was hat Plato geändert?

Die zentrale Idee der Elite war es, im Rahmen der Symposien gebührend und weise zu trinken. Und mit „gebührend“ meinte man damals, sich einen Rausch anzutrinken. Erreichte man dies galt man unter seinesgleichen als aristokratisch, anständig und als ansprechendes menschliches Wesen. Die antiken Poeten sprechen ständig davon. Sich allerdings völlig von einer Substanz wie Wein davontragen zu lassen galt als flegelhaft, hässlich und unattraktiv. Und zwar aus folgenden Gründen: Auf der einen Seite galt es als unmännlich, es drohte den Krieger weichlich und weibisch zu machen. Auf der anderen Seite führte es zu anmaßendem Verhalten, zur Hybris, etwas, das in einer Kultur, die extrem auf Ehre und Schande und weniger auf Verantwortung und Schuld beruhte, als absolutes Tabu galt. Die hässliche Seite des Rausches wurde darin gesehen, der primäre Grund für Zerwürfnisse in der sozialen Gemeinschaft zu sein, die die Griechen als „stasis” ansahen. In der politisch aufgeladenen Atmosphäre nach dem Ende des peloponnesisches Krieges und dem Prozess und der Exekution von Sokrates führte Plato ein neues Denken über die Gründe für Zerwürfnisse und soziale Uneinigkeit ein. Beispielsweise nutzt er in seiner Schrift „Der Staat“ den Begriff „stasiazonta“ oder „im Rahmen der stasis“. Dies erlaubt es ihm, die Fragen nach dem Wert des Rausches neu zu stellen.

War denn das verbreiteste Rauschmittel der damaligen Zeit, der Wein, überhaupt mit unserem Wein vergleichbar?

Nein, überhaupt nicht, und das ist eine Quelle fortwährender Missverständnisse. Antiker Wein war häufig mit anderen Substanzen versetzt, eingeschlossen dem, was wir heute Freizeit- beziehungsweise Partydrogen nennen würden. Die überlieferten Aufzeichnungen geben ausreichend Zeugnis davon. Wie Carl A. P. Ruck und Andere entdeckten wurden diese Aufzeichnungen aber übersehen oder gar ignoriert. Mit den neuesten archeologischen Analysetechniken konnte mittlerweile die Existenz von anderen, psychoaktiven Substanzen im griechischen Wein nachgewiesen werden, so das dies heute unbestreitbar ist. Ich denke da speziell an die Werke des Anthropologen Patrick E. McGovern, wie beispielsweise „Ancient Wine“ (http://press.princeton.edu/titles/7591.html).

Zu welchen Gelegenheiten und wie oft tranken die Menschen Wein?

Viele Gelegenheiten wurden genutzt. Getrunken wurde in der Öffentlichkeit oder privat, in religiösen Kontext oder um sich zu erholen. Die begleitenden ethischen Regeln für den Konsum variierten mit der Situation. Beispielsweise war das Festival für den neuen Wein, das Anthesteria, ein öffentliches und religiöses Setting für das Trinken. Der Weinkonsum und die Opferriten vor den Theraterauführungen der städtischen Dionysien waren eher öffentlich und freizeitorientiert. Obwohl hier der Hohepriester von Dionysos in der ersten Reihe saß. Die Trinkgelage der Wohlhabenden während der klassischen Ära waren eher privat und erhohlungsorientiert, obwohl die dabei praktizierten [http://de.wikipedia.org/wiki/Trankopfer Trankopfer] einen religiösen Charakter hatten. Die Frage wie oft und wie stark die Menschen Wein tranken ist nach so langer Zeit schwer zu beantworten. Ich vermute aber, dass es anders ablief, als wir uns vorstellen. In Platos „Nomoi“ erwähnt der Spartaner Megillus beispielsweise, er habe die gesamte Einwohnerschaft von Tarentum während der Dionysien betrunken erlebt.

Führten Platos neue Ansichten zum Rausch zu einer neuen Sicht auf die Legitimität der Ekstase?

Sie wurden nahezu ins Gegenteil verkehrt. Viele von Platos Dialogen analysieren die hergebrachten, nicht-rationalen Methoden zur Wissens- und Autoritätserlangung. Das führte ihn zu neuen Einsichten bezüglich des Wertes von Rausch und Ekstase. Die antiken Griechen hatten ein Sprichwort das ungefährt lautete: „Im Wein und den Kindern liegt die Wahrheit“. Diese Sicht wurde von vielen Poeten hoch gehalten und gelobt, und deren kulturelle Autorität war groß, ebenso wie die von Platos Zeitgenossen aus der Oberschicht von Athen. Das Projekt der Philosophie war für Plato die Wahrheitsfindung durch rigorose intellektuelle Anstrengung, die zu Einsichten in das ewig Seiende führt. Für einen auf Ekstase, also auf dem Aus-sich-Heraustreten, beruhenden Pfad zur Weisheit war da kein Platz mehr. Es ist ein Wettbewerb zwischen der Philosophie und ihren Rivalen um die Vorherrschaft über den richtigen Weg zur Wahrheit.

Also sah Plato keinen Platz für die Ekstase in der zivilen Gesellschaft?

Da würde ich zwischen seiner Sicht auf die zivile Gesellschaft und die Politik unterscheiden. Auf der einen Seite ist Plato bedacht darauf nicht in den Gefilden zu wildern, die der Religion vorbehalten sind, so wie der Dionysos-Kult oder die Eleusinischen Mysterien. Den Vorwurf der Pietätlosigkeit wollte er vermeiden. Auf der anderen Seite steht er Rauschmitteln und Rausch recht skeptisch gegenüber und möchte diesen von so vielen Menschen wie möglich fern halten. In der politischen Sphäre sieht er zwar die Chance durch Dialektik, quasi wie eine religiöse Offenbarung, das ewig Seiende zu erkennen. Zugleich ist er skeptisch, das mehr als eine Handvoll von Auserwählten diese Stufe der Erleuchtung erreichen. Insgesamt sieht er wenig Nutzen für Ekstase, am Ende wird sie durch die Philosophie ersetzt.

Kann man behaupten, dass Platos Ansätze den Rausch zu domestizieren, die Grundlage für die westliche Drogenpolitik bilden?

Unbedingt, ja. Michael Foucault identifiziert Platos Dialoge korrekterweise als das Erdreich, das Treibmittel, das Klima und das Milieu, in dem eine Anzahl von spirituellen und intellektuellen Bewegungen keimten, wuchsen und über die nächsten zwei Jahrtausende gedeihten. Platos generelles Misstrauen und seine Ablehnung gegenüber dem Pharmakon, der Droge, erscheint in vielen historischen Texten wieder, so zum Beispiel bei Dion Chrysostomos und Clemens von Alexandria. Oder schauen Sie auf Immanuel Kants Metaphysik der Sitten. Wie Plato lässt er moderaten Weinkonsum zum Fördern gepfleger Konversation zu, aber für Rauschmittel, die das evozieren, was er „geträumtes Wohlbefinden“ nennt, hat er keine Toleranz. Die Individuen, die diese Drogen benutzen, schreibt Kant, sind weniger wert als Tiere, ihnen könnte die Anerkennung als Menschen aberkannt werden. Nun, Kants Einfluss auf die Moralphilosophie der letzten zwei Jahrhunderte ist unbestritten. Schaut man auf die Argumente gegen „Drogenmissbrauch“ in den Publikationen des frühen 20. Jahrhunderts, wie dem „American Journal of Mental Hygiene“, fällt die Übereinstimmung mit den Ansichten von Kant ins Auge.

Was sind die Nachteile dieser Sicht auf den Drogengebrauch?

Diese Sicht ist aus zwei Gründen fragwürdig. Erstens übersieht sie die historische Bedingtheit der Argumentation. Mit anderen Worten: Während der industriellen Revolution kamen Strategien zur Beantwortung der Fragen nach Ekstase und Identität auf, auch in Zusammenhang mit freizeitorientierten Konsum, die zur damaligen Zeit passten. Die Antwort auf die Fragen zu freizeitorientiertem Drogengebrauch werden in der post-industriellen Ära anders zu beantworten sein. Unsere heutige Drogenpolitik stammt allerdings noch aus der prä-industriellen Zeit. Um ein einfaches Beispiel zu geben: Wie wäre der Inhalt von Gesetzen zu „Fahren unter Drogeneinfluss“, wenn das Auto intellgent genug ist sich selbst sicher zu steuern? Durch die Fortschritte der KI ist das noch in diesem Jahrhundert möglich. Zweitens verstecken sich die Diskurse um „Drogenmissbrauch“ hinter wissenschaftlicher Fassade, in ihrem Kern sind sie aber phrasenhaft und polemisch. Sie agieren nicht im Dialog, sondern im Monolog, sie kapseln sich in Privilegien ein, deren Grundlagen sie nie kritisch hinterfragen lassen. Dem Drogenkonsumenten wird dabei das Recht aberkannt, für sich zu sprechen. Er oder sie wird zu einem Datensatz in der epidemiologischen Problemanalyse reduziert. Aber Mit einem Seuchenherd kann man keinen Dialog führen. Er ist eine Gefahr, ein Gegner, gegen den jede Maßnahme gerechtfertigt ist.

Gibt es Bedarf, die Ekstase in die Kultur zu reintegrieren?

Ja. Zum einen, weil es durchaus Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Wunsch, eine kurzzeitige Pause von der persönlichen Identität zu nehmen, keine Krankheit ist, die durch eine juristische oder therapeutische Intervention behandelt werden muss. Es ist vielmehr gebräuchlich in der Natur und sollte von uns als etwas angesehen werden, das vernünftig und gesund ist. Zweitens sind die Konsequenzen des Drogenverbots kostspielig, sowohl in monetärer als auch in humanitärer und demokratischer Hinsicht.

Warum sollte man psychoaktive Substanzen nutzen, es gibt doch genug andere Wege in den ekstatischen Zustand?

Würde man beispielsweise Cannabisprodukte legalisieren, so würden diese doch nicht die organisierten Religionen, das „Runners High“ oder das künstlerische Schaffen ersetzen. Die Menschen würden ihren Marathonlauf weiterhin genießen, religiöse Riten durchführen, um sich spirituell aufzuladen, den Nervenkitzel beim Musizieren erleben oder den Sturm beim Tanzen. Die Techniken zum Erreichen der Ekstase schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern ergänzen sich. Sieht man das auf diese Weise, wird der genussorientierte Drogengebrauch zu einer weiteren Facette des ganz alltäglichen und normalen menschlichen Verhaltens.

 

Michael A. Rinella

Michael A. Rinella ist Dozent für Politische Theorie am Empire State College in New York und ehemaliger Cheflektor am Universitätsverlag State University of New York Press. Sein im Mai bei Lexington erscheinendes Buch „Plato, Drug Culture, and Identity in Ancient Athens“ examiniert die im antiken Griechenland aufkommenden Bestrebungen, ekstatische Zustände zu bändigen. Der Fokus des Buches liegt dabei auf den Dialogen von Plato.

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Klippel – Haschisch und Haschaschin aus den „Aegyptische Skizzen“

Haschisch und Haschaschin

Ägyptische Skizzen von Ernst Klippel (1910)

Ernst Klippel war ein großartiger Kenner der arabischen Welt, der diese jahrelang bereiste. Natürlich wußte er auch vom Haschisch zu berichten:

„Die türkische Regierung sowohl als die ägyptische haben nämlich in ihrer bekannten Sorge um das Wohl ihrer Untertanen den Anbau und den Verkauf des gesundheitsschädlichen Narkotikums strenge verboten.
Die selbstverständliche Folge des Verbotes war die Entwicklung eines grossartigen Schmuggelsystems. Die Pfiffe und Kniffe griechischer Händler, wenn es sich um einen Geldgewinn handelt, sind von jeher berühmt, und die ägyptischen Zöllner wissen ein Lied davon zu singen. Bald trifft eine Schiffsladung Brennholz in Alexandrien ein, und die findigen Beamten machen die betrübende Entdeckung, dass jedes Scheit ausgebohrt und mit dem verfehmten Genussmittel gefüllt ist, bald werfen harmlose Schiffer auf ihrer Fahrt durch den Suezkanal ganze Fässer voll der verbotenen Ware über Bord, die dann von unternehmenden Armeniern aufgefischt und geborgen werden. Doch sind seit der englischen Besatzung die Beamten wunderbar wachsam und abgefeimt; wohl an achtzig Prozent aller Schmuggeleien werden entdeckt. In jedem Falle wird das Haschisch beschlagnahmt und dazu noch eine hohe Geldstrafe auferlegt. Die konfiszierte Ware wird schliesslich gestempelt und dann – öffentlich meistbietend ins Ausland verkauft. Offenbar hat das vorher so gesundheitsschädliche Haschisch durch die Stempelung seine giftigen Eigenschaften verloren. Und auch der Fiskus profitiert alljährlich ein hübsches Sümmchen durch diese Konfiskationen, sowie durch die Razzias auf die Kaffeehäuser, wo dem verbotenen Genusse gehuldigt wird.

Was nun die gesundheitsschädliche Wirkung des narkotischen Krautes anlangt, so lässt sich allerdings nicht leugnen, dass ein übertriebener Genuss, namentlich bei unzureichender Ernährung, geradezu verheerend auf den Körper wirkt. Ich habe neulich die grosse Staatsirrenanstalt in Abbassieh bei Kairo besucht. Dort waren vier grosse Säle, angefüllt mit lauter Prinzen, Königen und Kalifen – wenigstens hielten sich die Leute selbst dafür -, alles frühere Handwerker, Arbeiter, Eseltreiber, welche sich durch übermässiges Haschischrauchen um ihren Verstand gebracht hatten. Indessen beweist mir jahrelange Beobachtung, dass ein mässiger und geregelter Genuss bei guter Ernährung nicht im geringsten schädlich wirkt. Die schlimmste Folge eines einmaligen Zuviel ist eine gewisse Trägheit und Abspannung am nächsten Tage. Viel kommt auch auf die Qualität des Narkotikums an. Das sogenannte yunany – griechische – ist viel schwerer und unzuträglicher als das feine aromatische schamy oder syrische. Früher war das balady oder einheimische ägyptische Haschisch berühmt, doch hat das Verbot des Anbaues, das seit mehr denn fünfundzwanzig Jahren im Nillande besteht, dem gewöhnlichen Sterblichen diesen Genuss unmöglich gemacht. Höchstens einige einheimische Granden und Feinschmecker dürfen es wagen, ein kleines Eckchen ihrer hermetisch abgeschlossenen Gärten mit diesem Zauberkraute zu bepflanzen.

Wie allgemein verbreitet der Haschischgenuss trotz aller Verbote heutzutage doch noch ist, lässt sich daraus ermessen, dass es in Kairo nicht weniger als mindestens dreihundert Kaffeehäuser gibt, in denen der Unsitte gefröhnt wird. Und zwar sind alle Schattierungen vertreten, von der elenden, schmutzigen Spelunke bis zum grossen Kaffeehause mit Garten, Springbrunnen und in sauberes Weiss gekleideten Dienern.

Haschisch ist eine Gottheit, der meist bei Nacht gehuldigt wird. Erst wenn der letzte Schein der Abendröte vom Himmel verschwunden ist und nachdem die mahnende Stimme des Muedsin die Gläubigen zum Nachtgebete gerufen hat, schleichen die Liebhaber des narkotischen Rausches der Stätte ihrer nächtlichen Vergnügungen zu. Vorsichtig verhüllt der ägyptische Grosskaufmann sein Haupt, ängstlich hält sich der Bey oder Pascha ein Taschentuch vors Gesicht, sobald sie hastig durch einen Nebeneingang ihr Lieblingskaffeehaus betreten. Es könnte ja jemand sie erkennen und dann würde ihnen der Name eines Haschasch ihr Lebenlang anhaften, ein Titel, der für orientalische Ohren etwa dasselbe bedeutet, wie Trunkenbold für die unsrigen. Bald herrscht dann ein reges Leben und Treiben im Gärtchen des Kaffeehauses. Die Gäste sitzen auf breiten, mit persischen Teppichen belegten Bänken, für den Kahwagy (Kaffeehauswirt) hat man noch ein Schaffell ausgebreitet, dessen Wolle mit der beliebten Hennah schreiend rot gefärbt ist. Mit untergeschlagenen Beinen sitzt er da, an eine Truhe von sorgfältig eingelegter Damaszener Arbeit gelehnt, der grosse Gafaw, dessen Kaffeehaus als das beste von ganz Kairo gilt. Ein kleiner Mann mit klugen, braunen Augen. Die zahllosen Falten und Fältchen seines pergamentenen Gesichtes bekunden, wie sehr er gelebt, geliebt, genossen das irdische Glück.

Um ihn und neben ihm gruppiert sich der Kreis der Stammgäste: Da ist Sid Fatih, der Aelteste der Gewürzkrämer des Bazars, eine Art ägyptischer Beau-Brummel in prachtvollen Seidengewändern, da ist ferner Ibrahim Bey, der einmal in Konstantinopel war und dessen eifrigstes Bemühen es seitdem ist, die steife Grandezza und erkünstelte Würde der grossen türkischen Seigneurs täuschend nachzuahmen. Da ist Abu el-Fadl, ein Europäer, der aber mit dreissig Jahren die reformierte Kirche verlassen und sich zum Islam „bekehrt“ hat; ein Sonderling, der die Sitten und Gebräuche des Ostens praktisch studiert, sich einen bescheidenen Harem hält und bereits zum Grabe Alys gepilgert ist. Da hockt der Pilger Yaha, ein frommer Schneider, der dreimal schon zum „Hause Gottes“ nach Mekka gewallt ist. Jedesmal schwor er sich, nach seiner Rückkehr dem verbotenen Kraute zu entsagen, und jedesmal brach er seinen Schwur. Da ist ferner der feiste Ferid Effendi, ein schlimmer Jüngling aus alter Familie, ein Wüstling, dem man böse Laster nachsagt. Einige geschwätzige Kopten, ein schäbiger Schriftgelehrter mit mächtigem Turbane, der Possenreisser des Kreises und einige Orientalen niederer Bedeutung vervollständigen die Gesellschaft.

Jeder Gast erwirbt bei seinem Eintritte vom Wirte einige Stücke (tamyrah) des schokoladenfarbigen Harzes, von denen je eines zur Füllung einer Pfeife ausreicht. Diese Pfeife (gosah) besteht aus einer halb mit Wasser gefüllten Kokosnussschale, in die ein, etwa eineinhalb Meter langes, ausgehöhltes Zuckerrohr gesteckt ist, ein zweites, ganz kurzes Ebenholzrohr trägt senkrecht den Pfeifenkopf aus gebrannter Tonerde. Seines strengen Geruches wegen raucht man Haschisch nie allein, sondern auf einer Unterlage, bestehend aus einem Gemisch von Honig und einem schwarzen, schweren Tabak, dem Hassan Kef. Auf diese Unterlage wird ein Würfelchen des hartgetrockneten Harzes gelegt, einige glühende Holzkohlen darauf getan und die Pfeife ist bereit. Ein Diener – in der Regel wählt man dazu schöne Knaben, schlohweisse Tunesier oder Türken – reicht die brennende Pfeife im Kreise herum, jeder Gast tut zwei oder drei tiefe Züge, den kühlen, aromatischen Rauch dabei in die Lungen einziehend und dann eine gewaltige Rauchwolke durch die Nase ausstossend. So folgt Runde auf Runde und bald beginnt sich die Wirkung des betäubenden Genussmittels in dem Benehmen und auf den Gesichtern der Raucher zu zeigen.

Der Einfluss des Narkotikums ist je nach Temperament des Rauchers und der Grösse der genossenen Dose und der Art ihrer Zubereitung ein ganz verschiedener. Nach den ersten Zügen schon bemächtigt sich ein angenehmes Wohlgefühl des ganzen Körpers, eine Art süsser, wollüstiger Müdigkeit, dabei steigert sich die Tätigkeit des Gehirns, ganze Gedankenreihen werden blitzschnell durchdacht, geistige Bilder von seltener Schärfe und Lebhaftigkeit wechseln in kaleidoskopischen Reigen. Bei vorgeschrittenem Stadium des narkotischen Rausches stellt sich eine gewisse Geschwächtheit ein, das Bedürfnis zu reden um jeden Preis, dazu eine Neigung zu unmotiviertem Lachen. Es ist das der risus sardonicus, das kalte, rein körperliche Lachen, ohne seeelische Ursache.
In diesem Stadium lieben es die Raucher, sich an den berüchtigten schlüpfrigen Erzählungen des Orients zu ergötzen, Erzählungen, im Vergleich zu denen die Anekdötchen des Pester Caviar eine elende Spielerei sind.

Aber auch auf das Sexualsystem hat der Haschischgenuss eine belebende Wirkung. Frauen ziehen das Geniessen des Haschisch dem Rauchen fast immer vor, denn es gibt davon auch in Form von harmlos aussehenden Kuchen, Zuckerbohnen, Pillen und Getränken. Auch als dünne Stäbchen, die man in Zigaretten steckt, verschmähen die listigen Haremsschönen seinen Genuss nicht. Sie sind es ja auch nur allzu häufig, die ihre Männer dazu ermuntern.

Wird aber das Rauchen zu weit getrieben, so stellen sich leichte Vergiftungserscheinungen ein: der Blick wird starr und ausdruckslos, die Sprache schwer und lallend, im Gegensatz zur Alkoholvergiftung sinkt der Pulsschlag beträchtlich, und der Berauschte verfällt in einen bleiernen Schlaf.
Der erste Zustand ist der verführerischste, der Geist scheint gleichsam vom Körper losgelöst, wir empfinden ein Gefühl der Leichtigkeit und Unkörperlichkeit, welcher unwillkürlich die Illusion des Fliegens und Schwebens, wie auf purpurnen Aetherwellen, hervorruft. Erhaben ob Raum und Zeit empfinden wir die im Fluge verstreichenden Stunden wie ebensoviele Minuten. Regungslos, sprachlos sitzt der Raucher da, im stummen Glücke. So tief ist er in sich selbst versunken, dass er bei jeder Berührung durch die Aussenwelt wie in tötlichem Schrecke auffährt: Der übertriebene Haschischgenuss erzeugt ein unheimliches Angst- und Furchtgefühl.

Dem schon genannten Abu el-Fadl fiel einmal inmitten seiner Träumereien eine grosse schwarze Bohne aus dem geheimnisvoll rauschenden Blättergewirr in den Schoss. Der Träumer schaute die harmlose Frucht einen Augenblick verstört an, dann stiess er einen grauenvollen Angstschrei aus, rannte taumelnd einige Schritte und brach dann zusammen. Man brachte ihn bald wieder zur Besinnung und seine erste Frage war: „Der Skorpion, ist er tot?“ Er hatte in seinem narkotischen Rausche die Bohne für einen jener totbringenden Skorpione gehalten, die gelegentlich in menschliche Wohnungen dringen.
Man wandelt eben nicht ungestraft unter Palmen, und das Glück ist ein flüchtiger Schatten, es lässt sich nicht für ein paar Piaster kaufen.“