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Interview mit Professor Sebastian Scheerer

HanfBlatt, November 2004

„Die soziale Realität muß die Normen durch Lächerlichkeit aushebeln“

Eine Unterhaltung zwischen Professor Sebastian Scheerer (S.), dem netten Kriminologen an der Universität Hamburg und den zwei unverdrossenen Mitarbeitern des HanfBlatt, AZ (A.) und Jörg Auf dem Hövel (J.).

Sebastian Scheerer
Sebastian Scheerer

 

J.

Sie weilten eine Zeit in Brasilien?

S.

Richtig. Bei einem Treffen mit einem Landtagsabgeordneten der Grünen Partei, Tota Agra, der aus einer Region im Nordosten Brasiliens kommt, in welcher traditionell Cannabis angebaut wird, ging es auch um den Faserhanf. Ich zeigte ihm Hanfprodukte aus Europa, die hier ja keine so große Besonderheit mehr, dort aber nahezu unbekannt sind. Hanfjacken, Mützen, Hemden, Hanföl und so weiter. Während einer Drogenkonferenz in Sao Paulo stellte er diese Produkte im Foyer aus – das kam riesengroß. Von großen Interesse wäre für ihn garantiert die holländische Grower-Szene. Ich hätte schon Lust mich in dieser Hinsicht einzumischen, aber nach meinem Forschungssemester ist die Zeit knapp. Jetzt steht die Lehre hier in Hamburg im Vordergrund. Ich bin also gar nicht „up to date“ was die Vorgänge in Deutschland angeht. Ist die Kriminalisierung der Cannabis-Samen eigentlich schon durch?

A.

Die ist seit dem ersten Februar Gesetz. Viele Händler haben ihre Samen schon aus dem Angebot genommen, andere verkaufen offen weiter, manche verkaufen Vogelfutter. Contact your local Bird-Shop.

S.

Am Spritzenplatz in Hamburg-Altona gab es einen Grow-Shop, ich weiß nicht, ob Sie den kennen?

J.

Doch, doch, ich wohne da um die Ecke.

S.

Hat der wegen des Samenverbots dicht gemacht?

A.

Ich glaube, der hat sich nicht etablieren können oder ist umgezogen. Es sprießen weiterhin Grow-Shops aus dem Boden.

S.

Und Coffie-Shops? Vor zwei Jahren gab es ja etwa 15 Stück in Hamburg.

A.

Heute eher mehr.

J.

Ich würde schon auf dreißig Stück im Hamburger Stadtgebiet tippen.

S.

Und was ist mit Rigo Maaß passiert?

A.

Nichts mehr gehört. Wenn man sich in diese rechtliche Grauzone begibt, hat man es ja nicht nur mit der Polizei zu tun, sondern auch mit Konkurrenz, mit Leuten die denken, daß hier viel Geld verdient wird. Die kommen dann eventuell auch mal vorbei und wollen was abhaben von dem Kuchen. Zum Teil gibt es ja auch Versuche, das Ganze zu monopolisieren.

J.

Die Coffie-Shop-Szene in Hamburg ist weitgehend in türkischer Hand. Zweieinhalb bis drei Gramm Gras für fünfzig Mark.

S.

Die werden aber mit fünf Gramm ausgezeichnet?

J.

He, he, he.

A.

Teilweise ist es auch mehr. Das geht bis vier Gramm hoch. Die Qualität ist auch unterschiedlich. Bei einigen ist es oft ein dröhniger Skunk, bei manchem anderen hat man schon eine richtige Auswahl, bis hin zu einer Tafel, die mehrere Sorten Hasch oder Gras anbietet.

J:

Es ist ja sehr einfach geworden, Gras anzupflanzen. Mit vier Lampen hat man schnell eine Überschußproduktion, die sich gut über den Laden eines Bekannten vertreiben läßt. Das Geschäft floriert.

A.

Überhaupt haben ja alle Drogen in den letzten Jahren einen Boom erlebt. Cannabis im Rahmen von Grunge, Hip-Hop, Jungle, Dub, Schlager, House und Techno. Fast alle Jugendkulturen haben Cannabis integriert, in manchen kommen dann andere Drogen dazu. Bei den einen Speed, bei den anderen Koks, bei den nächsten LSD oder Ecstasy. Cannabis scheint überall die Basis.

S.

Auch eine ideologische Basis.

A.

Das Wissen um den Hanf ist ebenfalls schnell gewachsen. Saatgut, Lampen, Erde, Anbau, Wirkung der Droge, darüber wußten die Leute früher nicht so gut Bescheid.

J.

Wäre interessant bei Philips oder Osram nachzufragen. Die müssen unglaubliche Absatzsteigerungen verbuchen.

A.

Letztendlich profitieren ganz seriöse Unternehmen davon. Lampenhersteller,

J.

Düngemittelindustrie,

S.

Steinwollehersteller

A.

Pumpenhersteller. Oder die Firma Steimel, die einen Heißluftfön produziert, der ideal zum verdampfen von Gras ist. Die wollen sicher nicht damit in Verbindung gebracht werden, werden sich aber trotzdem die Hände reiben, daß Tausende Kiffer ihren Fön im Baumarkt kaufen.

S.

Jetzt habe ich Sie ja hauptsächlich befragt. Worüber wollen wir denn sprechen?

J.

Ach, daß kann ruhig so weitergehen. Aber ich habe mich gut vorbereitet und einige Fragen notiert. Kann ich Sie nach einem Resümee der Kohl-Ära in Bezug auf die Drogenpolitik fragen?

S.

Warum nicht. Die Kohl-Ära begann 1982 mit der sogenannten „Wende“.

A.

Steinlange her.

S.

Zwei gegensätzliche Strömungen konnten in der Kohl-Ära beobachtet werden. Auf der Ebene der internationalen Konventionen und der Regierungspolitik ist alles schlimmer geworden. Man hat 1988 die Konvention von Wien beschlossen, die zu einer weiteren Verschärfung der Drogengesetze geführt hat. In der Bundesrepublik wurden Anti-Drogen Kampagnen ins Leben gerufen, wie „Keine Macht den Drogen“. Es kam zu einer Ausweitung des sachlichen Geltungsbereichs, wie die Juristen sagen: Immer mehr Substanzen wurden kriminalisiert. Auf der anderen Seite gab es aber eine reale Entwicklung, in die entgegengesetzte Richtung. Es wurde alles viel besser! Die Verfügbarkeit von Drogen ist sehr viel größer geworden. 1982 gab es noch nicht dieses differenzierte Angebot.

A.

Kokain war exklusiven Kreisen vorbehalten. Heute kostet es ein Viertel soviel wie damals.

S.

In der Jugend hat Cannabis einen Aufschwung genommen. Anfang der 80er Jahre war das die Droge der 68er, der alt werdenden Hippies. Inzwischen hat es wieder ein junges Image bekommen. Meine Neffen und Nichten, 15 Jahre alt, nehmen das und sind alle begeistert. Auch über die Symbolik, über die Blätter, darüber, Zuhause so eine Pflanze zu haben. Die Sichtbarkeit der Zubehörindustrie war in den 80ern natürlich auch nicht so ausgeprägt wie heute. Insgesamt kann man sagen, daß Drogen wieder „in“ sind, vor allem bei der jungen Generation. Man kann also in der Zukunft Gutes erwarten. Und das alles unter der Herrschaft eines konservativen Kanzlers und einer Gesetzgebung, die immer mehr an der Realität vorbeiläuft.

J.

Die SPD stand 1982 ebenfalls noch auf einem ganz restriktiven Standpunkt.

S.

Da gab es einen Konsens zwischen Union und SPD. Es gab nur eine Drogenpolitik und die hieß „draufhauen“. Erst später haben sich anläßlich der Methadonfrage und des Besitzes kleiner Mengen von Drogen zwei Richtungen in der Drogenpolitik entwickelt. Auch die Spaltung zwischen Bundespolitik und einer immer selbständiger agierenden Landespolitik fällt in diese Zeit. Die Vorstellung, daß Kommunen eine eigenständige Drogenpolitik machen, gab es Anfang der 80er Jahre noch nicht.

J.

Was ist von einer Regierung mit einem Kanzler Gerhard Schröder zu erwarten?

S.

Tja, ich erwarte da nicht soviel. Die Jusos hatten eine Zeitlang einen sehr rührigen drogenpolitischen Sprecher, Jürgen Neumeyer. Sehr kompetent. Die SPD selbst aber ist komplett puritanisch: anti-alkoholisch und ohne andere Drogen soll es durchs Leben gehen. Die Arbeiterbewegung war noch nie besonders hedonistisch oder post-materialistisch. Die Arbeiter sollen ja fleißig arbeiten und abends noch zum Ortsverein und Protokoll schreiben!

J.

Der aktuelle drogenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag ist Johannes Singer. Und der meint, daß es in einer Gesellschaft keinen vernünftigen Umgang mit Drogen geben kann.

S.

Geschäftsgrundlage des Regierungswechsels ist ja, daß sich nichts grundlegend ändern wird. Es heißt, daß wenn Wahlen was bewirken würden, sie schon lange verboten wären. Dieses Jahr habe ich den Eindruck ganz besonders.

J.

Auf die Grünen/Bündnis 90 kann man auch nicht setzen.

S.

Sehe ich genau so. Da gibt es ja auch sehr schlimme Frustanbeter. Zum Teil herrscht die Einstellung: Naturdrogen gut, Chemiedrogen schlecht. So ein Blödsinn!

A.

Manche Chemiedrogen entpuppen sich als Naturdrogen. Jüngst wies man Amphetamin in einer Akazienart nach. Damit ist auch das Amphetamin, welches als die klassische Chemiedroge galt, im Grunde eine natürliche Substanz. Unser Körper produziert auch Benzodiazepine, damit ist Valium praktisch körpereigen.

S.

Wie man sieht also eine sehr oberflächliche Theorie. Ich schreibe auch lieber mit künstlichen Kulis als mit natürlichem Blut.

A.

Wenn chemische Drogen was bewirken, sind sie ja den körpereigenen Drogen meist sehr ähnlich. Und letztendlich ist die Natur unteilbar, auch was wir in den Chemielabors herstellen gehört zur Natur, nicht nur der Nationalpark Wattenmeer.

S.

Zudem herrscht bei den Grünen noch eine Tradition, die sich gegen eine von außen herbeigeführte Bewußtseinsveränderung stellt. Bewußtseinsveränderung ist danach nur Vernebelung oder Flucht. Die größten Greueltaten der Geschichte werden aber von nüchternen Leuten begangen, nicht von Kiffern.

J.

Krista Sager von der GAL, zweite Bürgermeisterin in Hamburg, wäre ja ein Gegenbeispiel. Sie äußerte, daß die meisten Techniken zur Bewußtseinsveränderung der staatlichen Kontrolle entzogen sind. Sie macht Yoga…

S.

Na ja, sind ja nicht alle blind und blöd, und vielleicht stellen die Grünen in den Koalitionsverhandlungen einige Forderungen in Richtung auf eine vernünftige Drogenpolitik.

A.

Auch die SPD-regierten Länder stimmten dem Gesetz vom 1. Februar zu, das zwar die Verschreibung von Methadon erleichterte, zugleich aber Cannabis-Samen und andere Pflanzen, wie Pilze und Stechapfel illegalisierte, wenn sie denn der Berauschung dienen. Eine weitere Kriminalisierung des Natürlichen.

J.

Ein Schummel-Paket.

A.

Eine heuchlerische Einstellung, die auch für die Zukunft nichts Gutes erwarten läßt.

S.

Meine Hoffnung liegt für die Zukunft weniger in einer wie immer gefärbten Bundesregierung, sondern in einer autonomen Drogenpolitik der Bundesländer. Vor Ort geht es doch darum, die Probleme zu lösen und nicht durch weitere Repressionen weitere Probleme zu schaffen. Eine Fortsetzung der Spaltung zwischen Regierungsrethorik und Gesetzgebung einerseits und tatsächlichen Lebensverhältnissen andererseits wäre nicht das Schlechteste. Die soziale Realität muß die Normen durch Lächerlichkeit aushebeln.

J.

Wie sind die Gerichte in diesem Zusammenhang einzuordnen?

S.

Die spielen eine enorme Rolle. Es gibt ja Gesetze, die einfach nicht durchgeführt werden. Im Falle des Abtreibungsparagraphen 218 hat man jahrelang keine Prozesse gegen Frauen geführt, die abgetrieben haben. Es kam dann zum Skandal, als in Memmingen das erste Mal das Gesetz durchgeführt wurde. Wenn die Gesellschaft es immer lächerlicher findet, mit der Polizei hinter Graskonsumenten hinterherzulaufen, werden auch die Gerichte und die Staatsanwaltschaft das tiefer hängen. Jeder der in Hamburg oder anderen liberaleren Bundesländern in eine Polizei-Kontrolle geraten ist, kann ja davon berichten, daß die Beamten nicht mit aller Schärfe des Gesetzes gegen Kiffer vorgehen.

J.

Wenn man Zeitungen aus Süddeutschland verfolgt, sieht das ganz anders aus.

A.

Und in Sachsen geht die Polizei sehr streng vor. Dort hat sich vor allem Cannabis schnell verbreitet. Theo Baumgärtner befragte in einer Studie Dresdener und Leipziger Studenten. Die sind mittlerweile auf dem selben Genuß-Niveau wie die deutschen Kommilitonen. Und immerhin hat das Landeskriminalamt Sachsen vor kurzem ein Abonnement des HanfBlatt geordert.

S.

Ha, ha, ha.

J.

Sehr schön. Ein kleiner Themensprung: Die große Zeit des Coming-Out von Schwulen ist ja vorbei, wohl auch, weil es unspektakulär geworden ist. Folgt irgendwann das Coming-Out der Wissenschaftler und Drogenforscher, ob und welche Substanzen sie selber genießen?

S.

Ein schwuler Kollege, auch Kriminologe, veröffentlichte gerade einen Artikel, in welchem er darauf hinweist, daß er im Jahre 1984 auf Seite soundso eines Buches geschrieben hatte, daß er schwul ist. Die Drogenforscher in der Kriminologie haben das noch nicht geschafft zu sagen, was sie wann nehmen. Das Coming-Out läßt hier noch auf sich warten. Nun muß man aber sagen, daß 1984 die Homosexualität schon Jahre lang entkriminalisiert war und wir wohl erst die Zeit nach der Freigabe mit einem wunderschönen Sammelband rechnen dürfen, mit dem Titel „Drogenforschende Rauschgiftesser erzählen“ – oder „Rauschgiftessende Drogenforscher“ !?! Da gibt es doch lustige Geschichten. Ich erinnere mich daran, wie ich einmal mit einigen weltberühmten Legalisierern in einer eleganten Hotelsuite saß und die Utensilien für einen Joint immer weiter gereicht wurden, weil keiner in der Lage war einen Joint zu drehen. Extrem peinliche Sache.

A.

Ich bevorzuge als Nichtraucher auch die Pfeife. Grundsätzlich wünsche ich mir, daß man offen über die positiven und negativen Seiten -die ja alles hat- diskutiert. Und jeder ist ja unterschiedlich, dem einen gefällt die Droge nicht, dem anderen gefällt sie halt. Ein Abend mit Bier kann auch in einer Katastrophe enden. Wenn man es wissenschaftlich betrachtet, sind die meisten Substanzen nicht so gefährlich, wie sie in den Medien und der Anti-Drogen Propaganda dargestellt werden. Mit einem ehrlicheren Dialog ist auch den Gefährdeten besser geholfen.

S.

Es gibt ja selbst unter Wissenschaftlern die Unsitte, den Verteufelungsdiskurs einen Schönwetterdiskurs entgegenzusetzen. Nach dem Motto: Cannabis ist völlig ungefährlich. Das eine ist so unhaltbar wie das andere.

J.

Was dem Coming-Out von Forschern ja entgegensteht ist ein Problem, welches schon in der wissenschaftlichen Diskussion um LSD in den sechziger Jahren virulent war. Da konnte man als Forscher irgendwann nicht mehr zugeben, daß man selber Kontakt zu der Droge hat, weil die Fachkollegen die Objektivität in Frage gestellt haben.

A.

Die Erfahrung sollte -so der Vorwurf- die Rationalität für den Rest des Lebens in Frage gestellt haben. Schubladen sind halt sehr hilfreich. Ich habe Sie vor einigen Jahren bei einer Diskussion mit Sozialarbeitern erlebt, in welcher es um Kokain ging. Da haben Sie die relative Harmlosigkeit von Kokain herausgestellt.

S.

Das kam nicht so gut an.

A.

Stimmt. Die Sozialarbeiter haben ja ihre Klientel, ehemals Heroinabhängige, substituierte Methadonkonsumenten. Deren Sucht ist ja nicht mit einer Substanz zu heilen. Viele Leute haben ihre Schwierigkeiten auf Kokain verlagert, das sie nehmen, um ihren Kick zu kriegen und sie klauen und prostituieren sich nun, um Kokain zu kaufen. Für die Sozialarbeiter ist da jetzt Kokain der Dämon. Die sehen nicht die zahllosen von Freizeitkonsumenten, die mit der Droge umgehen können.

S.

Wenn ich mit stationär behandelten Alkoholikern zu tun habe, dann habe ich auch ein anderes Bild von Alkohol, als wenn ich und mein Freundeskreis ab und zu am Abend Wein genieße. Man müßte die Ambivalenz dieser Drogen und die Bedeutung des richtigen Umgangs mit ihnen klar machen und einüben. Und das muß bei den Kindern beginnen. Es kann ja nicht sein, daß einem ausgerechnet vom Staat ein bestimmter Lebensstil vorgeschrieben wird. Es gibt ein wunderbares philosophisches Buch dazu. Es handelt sich um „Drugs and Rights“ von Douglas N. Husak.

J.

Zurück zur Forschung. Die Diskussion hakt ja auch an dem Umstand, wie Wissenschaft heute immer noch betrieben wird. Da steht auf der einen Seite der Forscher und auf der anderen Seite das Objekt seiner Betrachtung. Den Rausch nur anhand objektiv feststellbarer Veränderungen der Transmitterausschüttungen im Gehirn zu analysieren ist eine Sache. Der interpretative Weg, was das für das einzelne Individuum bedeutet, ist doch was ganz anderes, sollte aber meiner Meinung nach als gleichberechtigter Forschungsbereich neben der objektiven Betrachtung stehen.

S.

Der Nachfolger von Professor Schmale im Institut für Psychologie an der Uni Hamburg, hat vor kurzem eine Tagung veranstaltet mit dem Titel: „Introspektion als Forschungsmethode“. Man katapultiert sich ja nicht automatisch aus der Wissenschaft heraus, wenn man über sich selber nachdenkt und versucht, sich selber zu erkennen. Im Gegenteil, daß ist eine legitime Quelle des Wissens und ich muß halt auch hier sehen, welche Methoden ich dazu anwende. Die Betroffenenperspektive hat ein Potential, mit der man in Ecken von Realität kommt, die anderen verborgen bleiben.

A.

Es kursiert ja der Verdacht, daß Drogengegner und Prohibitionisten nicht bereit sind, sich mit sich selber auseinanderzusetzen. Dieser These nach unterdrücken sie etwas in sich, was sie dann in die Außenwelt projizieren um dann dort andere Menschen für ihr abweichendes Verhalten bestrafen zu wollen.

S.

Plausibel.

J.

Die Systemtheorie glaubte ja schon, die Subjekt-Objekt Trennung überwunden zu haben, indem sie alles als ein großes Gewebe betrachtet, was miteinander verbunden ist. Gleichwohl betrachtet sie die Welt als Objekt und fragt nach Funktionen. Als Beispiel fragen sie nach der Funktion des Drogenkonsums bei Indianern im Regenwald. Sie entdecken dann, daß dies die Gemeinschaft zusammenhält, soziale Spannungen löst und so weiter. Wenn man sich dagegen als teilnehmender Beobachter in die Stammesgemeinschaft begibt, wird man gänzlich anderes entdecken, beispielsweise, daß hier die Verbindung zur Natur, Verstorbenen Mitgliedern oder höheren Wesen gesucht wird.

S.

Da sagt dann die Perspektive von draußen mehr über den Beobachter als über das Beobachtete.

A.

Deutlich wird das ebenfalls bei Reiseliteratur. Die sagt oft mehr über die psychische Verfassung des Reisenden aus, als über die Menschen, denen er begegnet. Der Forscher schützt sich durch seine Methoden vor dem Chaos, dem Tumult, in den er sich begibt. Er notiert Namen, sortiert Beziehungen, katalogisiert alles, was ihm in die Quere kommt.

S.

Angst. Unter Wissenschaftlern gibt es mehr Angst als auf der Achterbahn. Es gibt ein viel zitiertes und heute immer weniger gelesenes Buch von George Devereux, „Angst und Methode in den Verhaltenswissenschaften“, der diesen Zusammenhang gut aufbereitet.

A.

Wenn man es auf die Spitze treibt, kann man fast sagen, daß Wissenschaft in dieser Form was Zwanghaftes hat. Der zwanghafte Wunsch, die Welt zu kontrollieren, in Systeme zu zwängen und dort zu halten.

J.

Cannabis als Medizin. Da wird jetzt viel geforscht und so kommt Bewegung ins Spiel.

S.

Eine gute Entwicklung. Und nur ein Beispiel dafür, daß die Betäubungsmittelgesetzgebung in vielfacher Hinsicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet hat. Selbst wenn man zugestehen würde, daß Drogen nicht zu hedonistischen Zwecken gebraucht werden sollten, sagen doch die internationalen Konventionen, daß sie selbstverständlich die Befriedigung des medizinischen Bedarfs garantieren sollen.

A.

Da steckt eine verrückte Ideologie hinter. Die Natur bietet ein Konglomerat von Substanzen und im Cannabis tummeln sich über 500 verschiedene Inhaltsstoffe. Warum man nun nur das reine THC anwenden darf, ist doch völlig unklar. Gerade die anderen Inhaltsstoffe nehmen dem THC einen Teil der möglicherweise unangenehmen Nebenwirkungen. Es gibt Jahrtausende alte Erfahrungen mit der Pflanze Cannabis.

S.

Das ist dieses auf die Spitze getriebene analytische Denken.

A.

Da hat man Milligramm, rechts-oder linksdrehend und dann ab in die Kapsel.

J.

Und dahinter stecken auch finanzielle Interessen der Pharma-Industrie.

S.

Eine absurde Idee, Dinge, die seit Jahrtausenden zu medizinischen, sakralen oder hedonistischen Zwecken genutzt werden, einfach zu verbieten und allen Ernstes zu erwarten, daß alle Menschen auf der Erde sich daran halten.

Da werden Gesetze geschaffen und später muß man sehen, wie man die Folgen dieser Gesetze durch neue Gesetze in den Griff kriegt. Eine Flut von Verordnungen ist die Folge. Und irgendwann hat man sogenannte Drogengelder, die durch den Verkauf von Drogen eingenommen wurden. Wenn ich bei ALDI meinen Wein kaufe sind das ja auch keine Weingelder, bei Käse kein Käsegeld. Zu sagen, alles Geld was mit dem Drogenhandel in Beziehung steht, ist kriminell erwirtschaftet, ist Hexenverfolgung pur. Und wie wahnsinnig es ist, begreift man nur deshalb nicht mehr, weil es herrschende Ideologie ist. Doch die Realität bewegt sich von den Normen weg. In Richtung, Autonomie, Differenz, Pflege des Selbst und der Solidarität unter Drogennutzern. Das schafft viel positive Energie.

J.

Ein gutes Schlußwort. Danke sehr für das Gespräch.

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Elektronische Kultur

Wohin mit den E-Mails von Schriftstellern?

DU, Nr. 752, Heft 11/2004

Schriftsteller im Datennirvana

Wer sichert eigentlich die E-Mail Korrespondenz von Autoren?

Bedrohlich sind Gedächtnislücken immer dann, wenn Elementares zu verschwinden droht. Auch die literarische Welt nutzt seit über zehn Jahren E-Mail, wie aber die weltweite Korrespondenz von Romanciers und Publizisten für die Nachwelt gesichert werden kann, dafür gibt es kaum konkrete Pläne. In der Flut von Interviewanfragen, Einladungen und dem unvermeidlichen Spam geht der elektronische Gedankenaustausch mit Freunden, Widersachern und Verlegern unter. Dem kulturellen Gedächtnis der Gesellschaft droht die digitale Lücke.

Früher, ja früher, da war das einfacher. Briefe wurden auf Papier geschrieben und landeten im Archiv. Freundliche Erben hinterließen den Bibliotheken und Stiftungen den Nachlass, darunter waren oft Tausende von handgeschriebenen und getippten Schriftstücken. Das Deutsche Literaturarchiv in Marbach verwahrt beispielsweise über 1000 solcher Autorennachlässe.

Und heute? In den USA werden schon seit acht Jahren mehr E-Mails als Briefe verschickt und auch europäische PC-Besitzer senden lieber Mails als noch zur Post zu rennen. Die Folge: Im Jahr entstehen weltweit rund 400.000 Terabytes an Informationen durch E-Mail Verkehr, das entspricht ungefähr den Büchern von 40 Universitäts-Bibliotheken. Der umtriebige Surfer erhält täglich bis zu 60 E-Mails und muss sich entscheiden, ob, wohin, und vor allem in welchem Format er sie abspeichert.

Die moderne Kommunikation wartet nicht nur mit einer Vielfalt von E-Mail-Programmen auf, die die Botschaften meist properitär codieren, sondern zudem mit Dateien in Mail-Anhang. Deren Vielfalt stellt jedes ausgewachsene Rechnersystem vor eine Interpretationsaufgabe. Word- und Adobe Acrobat Dokumente belagern die Festplatte ebenso eingescannte Briefe im jpg, tif, oder, schlimmer noch, bmp Format. Jedes Software-Firma sucht ihre Codierungsart als Standard durchzusetzen, denn das verspricht Geld und Ruhm.

Die Folge ist ein Wildwuchs an Formaten, die mit den Jahren obsolet werden. Ältere digitale Dokumente verweigern sich gerne der Wiederherstellung, sind sie doch häufig in einem Format oder auf einem Medium abgespeichert, das heute nicht mehr lesbar ist. „Kann man alles Konvertieren, kein Problem…“, mailt Urs Gattiker, Professor für Management und Informations-Wissenschaft an der International School of New Media in Lübeck.

Nicht immer. So wurden in den 80er Jahren Millionen von Briefen und Studienarbeiten auf dem damals beliebten ATARI ST mit der Textverarbeitung „Signum“ verfasst. Deren Konvertierung ist heute nicht mehr möglich. Im Keller der British Library lagern Lochkarten eines Computers aus den sechziger Jahren, die vom Evolutionsbiologen Bill Hamilton gestanzt und nun nicht mehr entschlüsselt werden können. Die Institution ist auch stolzer Besitzer eines Geräts des Klimatologen James Lovelock, zu dem leider nur das Netzkabel fehlt.

Die ehrwürdige Library hat nun als eine der ersten Bibliotheken einen Kurator für digitale Manuskripte angestellt. Jeremy John soll die Archivierung der E-Mails bedeutender Schriftsteller und Wissenschaftler organisieren. Eine Aufgabe, der sich andere europäische Staaten bisher nicht stellen. Das Marbacher Literaturarchiv sieht sich bislang nur in der Lage, E-Mails aus ihnen überlassenen Nachlässen zu sortieren, eine Beschaffung und Speicherung aktueller Nachrichten sei bisher, Zitat, „nur angedacht“.

Selbst wenn Autoren keine Berührungsängste vor digitalen Welten hegen und ihre Post und Manuskripte brav auf CDs brennen, ist künftigen Generationen der Einblick in ihre Arbeit nicht garantiert. Eine CD-ROM hält unter guten Bedingungen die Daten zwischen drei und 15 Jahren authentisch parat. Danach verschwinden die Bits ins digitale Nichts.

In einer Zeit, wo die Antwort auf die meisten Fragen „Technik“ heißt, löst man auch diese Probleme auf dem herkömmlichen Wege: Auf der ganzen Welt sind Vollzeitkräfte damit beschäftigt, eingescannte oder digital erstellte Bilder, Dokumente und Filme ins nächste Hard- und Software-Zeitalter zu retten, indem sie die Informationen regelmäßig auf neue Datenträger kopieren und in das just moderne Datenformat konvertieren.

So viel Code war nie. Die enorme Anhäufung von digital verfügbarer Informationen stehen ebenso riesige Verluste gegenüber. Geht es nach den Apologeten des Cyberspace soll E-Mail den herkömmlichen Papierbrief bald ablösen. Aber das sind vielleicht dieselben Auguren, die vor Jahren die Ära des papierlosen Büros vorhergesagt haben. In Institutionen wie dem Marbacher Literaturarchiv will man so schnell eh nicht denken. Dort ist man sich noch nicht einmal einig, ob E-Mail nicht doch eher mit einem Telefonat vergleichbar und daher nur bedingt speicherungswürdig ist.

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““Wir nutzen nicht das, was in den Drogen steckt”“

HanfBlatt, November 2004

Interview mit Horst Bossong, dem Drogenbeauftragten der Hansestadt Hamburg

HanfBlatt:

Der neue Hamburger Methadon-Vertrag ist seit einem halben Jahr in Kraft. Wie ist die Entwicklung: Kam es zu einem Rückgang der Neuanmeldungen für eine Substitutionsplatz?

Horst Bossong:

Wir stellen fest, daß seit dem 1. April diesen Jahres die Zahl der Neuanmeldungen erheblich zurückgegangen ist. Dies liegt zum einen daran, daß im Jahre 1995 bis zum 31. März 1996 der „run“ auf die Substitution vehement war. Insofern ist der Rückgang ist also zum Teil erklärlich und nicht besonders aufregend. Auf der anderen Seite muß man sagen, daß sich das neue Verfahren nur schleppend bei der Ärzteschaft, bei den Drogenberatern und den Junkies durchgesetzt hat. Ich gehe aber davon aus, daß sich die Substitution normalisieren wird.

In welcher Hinsicht?

Dass deutlich mehr als nur die Halbtoten in die Substitution kommen, also auch diejenigen, bei denen zwar keine lebensbedrohliche Krankheiten vorliegen, bei denen aber die Beherrschbarkeit der Drogensucht und die Therapierbarkeit von Sekundärkrankheiten wie beispielsweise Hepatitis, anders als durch die Substitution nicht möglich ist und wo nur durch diese eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft möglich ist.

Das wäre dann aber unter großzügiger Auslegung der bundesweit geltenden Methadon-Richtlinien bei gleichzeitiger Beibehaltung der restriktiven Vorschriften. Ist nicht auch an eine Änderung gedacht?

Das Bundessozialgericht hat dem Bundesausschuß Ärzte und Krankenkassen aufgegeben, die Richtlinien zu ändern und weiter als bisher zu fassen. Ich hoffe dementsprechend, daß es auch in Hamburg zügig zu einer realitätsgerechteren Auslegung der Richtlinien kommen.

Inzwischen steht fest, daß ein Teil der Methadon-Empfänger auch andere Drogen zu sich nimmt. Bietet die Behandlung mit Methadon überhaupt einen Ausweg aus der Sucht?

Man muß wissen, daß die Methadon-Behandlung für Junkies nicht der erste in Betracht kommende Therapieversuch ist, sondern die „ultima ratio“, also die Methode, die zum tragen kommt, wenn andere Therapien nicht in Betracht kommen. Dies ist durch das Betäubungsmittelgesetz so festgelegt. Fakt ist: Bundesweit sind diejenigen in der Methadon-Substitution, die schon sehr lange drogenabhängig sind; durchschnittlich zehn Jahre. Wer zehn Jahre in der Illegalität lebt, von dem kann realistischerweise nicht erwartet werden, daß er von heute auf morgen ein geordnetes Leben führt. Dies ist ein Prozeß, der Geduld erfordert. In dieser Zeit gilt es dem Substituierten klar zu machen, wie er seinen Beikonsum reduziert und schließlich ganz aufgibt. Die Erfahrungen im Ausland zeigen, daß das nach einer Zeit bei einem großen Teil gelingt. Andererseits ist auch klar, daß es Leute gibt, bei denen das nicht gelingt. So ist das Leben.

Sind Ihnen die Zahlen bekannt, wieviele Methadon Empfänger noch andere Substanzen konsumieren?

Mehr als die Hälfte der Substituierten nimmt in der Anfangsphase der Substitution zunächst ihre bisher bevorzugte Droge noch weiterhin zu sich. Manche von ihnen fangen an, Kokain oder andere Substanzen zu konsumieren. In der Regel läßt das nach einem halben Jahr nach, dann tritt der Beikonsum nur noch in Krisenphasen auf, also in Phasen, in denen die Gefahr eines Rückfalls in den illegalen Konsum besonders groß ist. Aber: Die ganze Suchtbehandlung, auch die Abstinenztherapie, arbeitet mit Rückfällen. Das gehört zur Sucht.

Ein anderer Weg wäre die Abgabe von Heroin.

Ja, die Abgabe von Heroin wäre der direktere Weg. Im Grunde gibt es keine vernünftigen Argumente dafür, daß man Leute, die von bestimmten Substanzen abhängig sind, diese Drogen unter Androhung von Strafe vorenthält. Alle Erfahrung zeigen, daß der Weg der Kriminalisierung restlos gescheitert ist. Und im übrigen auch niemanden, der bisher keine Drogen genommen hat, vom Konsum abhält.

Das Strafrecht hat versagt, dies gilt wohl für alle Substanzen.

Es gibt weltweit keine Erfahrungen, daß das Strafrecht im Bereich der Drogen funktioniert. Dies gilt auch für den Alkohol.

Muss also noch mehr als bislang auf die Aufklärung gesetzt werden?

Die Aufklärung funktioniert ja gar nicht schlecht. Man muß sich klar machen, daß die allermeisten Menschen keine harten Drogen nehmen. So gesehen kann man behaupten, daß die Prävention greift. In Deutschland haben wir uns seit Ende der sechziger Jahre angewöhnt, das Drogenthema in einer völlig unsachgemäßen Weise zu dramatisieren und jeden, der anfängt zu kiffen, einerseits zum Hochkriminellen, andererseits zum Kranken zu stempeln. Erst damit wurde das Drogenproblem in seiner jetzigen Form erfunden.

Mit ihrer Idee, die Drogenhilfe nach marktwirtschaftlichen Kriterien umzustrukturieren, haben sie einige Sozialarbeiter geschockt. Wie soll die Zukunft der Drogeneinrichtungen in der Hansestadt aussehen?

Die Drogenhilfe wie die gesamte Sozialarbeit ist Teil eines Marktes sozialer Dienstleistungen. Sie muß den Hilfesuchenden klar beschriebene Leistungen bieten, die nachprüfbar sein müssen. Zudem muß die Drogenhilfe auf einem bestimmten verbindlich definierten Qualitätsniveau stattfinden und für die erbrachten Leistungen Geld bekommen. Der Modernisierungsbedarf in der Sozial- und Drogenarbeit ist enorm. Der Bürger hat ein Recht auf Hilfe und der Staat hat die Pflicht dafür zu sorgen, daß der Bürger eine qualifizierte, zügige und seinen Bedürfnissen entsprechende Unterstützung erhält. Dies ist möglich, wenn der Bereich der Sozialarbeit grundlegend reformiert wird.

Was verschreckt hat, ist der Ausdruck der Marktwirtschaft. Es gibt ja durchaus andere Möglichkeiten, in Verwaltungen eine Output-Orientierung und mehr Effizienz zu erreichen. Die Zukunft der sozialen Einrichtungen wird doch wohl kaum in der Profitmaximierung liegen.

So war das nie gemeint. Wenn Sie so wollen, meine ich eine prononciert soziale Marktwirtschaft. Ich habe diesen Ausdruck als Pendant zu dem gewählt, was heute in der Sozialarbeit vorherrscht, nämlich eine Art Planwirtschaft. Betriebswirtschaftliches Denken muß sich auch im System der Drogenhilfe durchsetzen. Ein Träger, der heute Geld einspart, dem wird nach klassischem Förderungssystem das Geld vom öffentlichen Zuwendungsgeber wieder weggenommen. Warum soll er also sparen? Hamburg gibt für die zuwendungsfinanzierten Beratungsstellen im ambulanten Drogen- und Suchtbereich etwa 26 Millionen Mark aus. Zusätzlich noch Geld für den stationären Bereich und die psychosoziale Betreuung – insgesamt um die 60 Millionen Mark. Dies ist ein Dienstleistungsmarkt, der zwar nicht den harten kapitalistischen Regeln unterliegen sollte, etwas mehr an marktwirtschaftlichen Denken täte diesem Bereich aber gut.

Nicht zufällig kommt ihr Vorschlag zu einer Zeit, in der die Kassen der Stadt leer sind.

Es wäre sicher besser gewesen, wenn die Modernisierung früher begonnen hätte, denn so mobilisiert das in der heutigen Zeit natürlich Ängste.

Vielleicht zu recht. Wie bei anderen Einrichtungen auch, ist es schwierig, einmal etablierte Institutionen wieder abzuschaffen. Gibt es da bei Ihnen konkrete Pläne?

Die Modernisierung die wir betreiben, orientiert sich am Nachfrageverhalten des Kunden. Dies kann dazu führen, daß diejenigen, die mit ihren Angeboten an den Bedürnissen der Kunden vorbeigehen, auf Dauer nicht existieren werden. Wer sich den veränderten Erfordernissen im Drogenbereich nicht anpasst, verschwindet vom Markt.

Wie weit ist dieser Prozeß fortgeschritten?

Wir haben bekanntlich seit einem Vierteljahr eine Diskussion über sogenannten offene Szenen in der Stadt. Trinkergruppen, Drogenszenen, alles im Kontext der Bettlerdiskussion. Was mich erschreckt, ist, wenn man solche Probleme zwar benennt, aber keine Antworten findet. Für mich ist interessant: Was ist die Antwort des Hilfesystems auf solche Probleme. Und wer da keine Antwort findet, der hat das Klassenziel verfehlt.

Themenwechsel. Fährt man durch Hamburg, fällt einem die reichhaltige Kultur an sogenannten „Grow-Shops“ für den Hanfanbau und „Head-Shops“ für die Raucherutensilien auf. Wie sehen sie das?

Das ist die Normalität unserer Großstadt, nichts aufregendes.

Daneben haben sich, nicht ganz so öffentlich, auch Coffie-Shops etabliert, in denen der Cannabis-Liebhaber sein Gras oder Haschisch kaufen kann. Diese werden inzwischen sogar geduldet…

Nein, sie werden nicht geduldet. Es gibt zwar eine Reihe von Argumenten dafür, den Bereich des Cannabis-Konsums anders zu behandeln als das gegenwärtig durch das Betäubungsmittelgesetz passiert, nur haben wir hier das gleiche Gesetz wie in Bayern oder sonst wo in Deutschland. In Hamburg setzt die Polizei allerdings die Prioritäten anders. Da ist es aus meiner Sicht vernünftig, wenn sie sich in erster Linie um den organisierten Handel mit harten Drogen kümmert und nicht mit ihrer gesamten manpower gegen Menschen vorgeht, die zum Teil aus innerer Überzeugung solche Einrichtungen betreiben.

Meines Wissens werden diese Läden aber nicht von Protagonisten der Cannabis-Legalisierung geführt, wie beispielweise Rigo Maaß einer ist, sondern liegen in kriminellen Händen.

Ich bin sicher, daß die Polizei gegen kriminelle Händler vorgeht. Gleichwohl muß man sehen: Bei der Bewertung gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen Leuten, die aus innerer Überzeugung für eine andere Cannabis-Politik eintreten, und denen, die allein wegen des Profits ihr Geschäft betreiben, obwohl sie wissen, daß es illegal ist.

Die Bewertung können sie so vornehmen, nur vor Gericht ist unklar, ob der Richter das ähnlich sieht.

Nein, das kann und soll die Politik dem Richter auch nicht vorschreiben. Aber auch der Richter hat die Aufgabe, die Schuld des Angeklagten zu würdigen. Ich will mich als Drogenbeauftragter dort nicht einmischen, aber meine persönlichen Überzeugung ist: Jemand, der mit nachvollziehbaren gesundheitspolitischen und auch gesellschaftspolitischen Gründen sagt, daß es nicht angehen kann, daß man sich bis zum umfallen besaufen, nicht aber eine andere Substanz zu sich nehmen darf, der hat nicht so Unrecht. Ich habe mit Rigo Maaß öfter gesprochen und versucht, ihm seine Grenzen aufzuzeigen. Gleichwohl verdient er, in seinem drogenpolitischen Bemühen ernst genommen zu werden.

Nun gibt die Politik den Richtern ja schon vor, wie sie zu entscheiden haben, indem sie die Gesetze formt. Arbeitet Hamburg daran, daß die im Betäubungsmittelgesetz festgelegte Prohibition gegen Cannabis fällt?

Wir haben in Hamburg in erster Linie ein sehr massives, bedrückendes Heroin-Problem. Schon ab 1990 haben wir versucht, über den Bundesrat Reformvorschläge durchzusetzen. Der weitreichenste Versuch war, die Heroinabgabe an Junkies zu erreichen. Dies stieß auf vehemente Ablehnung seitens der Bundesregierung. Derzeit liegt unsere Gesetzesinitiative in den Ausschüssen des Bundestages. Insgesamt haben wir mittlerweile in Deutschland einen erheblichen Reformstau in Sachen Drogenpolitik. Grundsätzlich müßte man sich ernsthaft fragen, wenn man denn bei Vernunft und Verstand wäre, ob wir das Betäubungsmittelgesetz überhaupt brauchen oder ob die für den Konsumentenschutz und die Unterbindung des illegalen Handels notwendigen Vorkehrungen nicht auch über das Arzneimittelgesetz zu erreichen wären. Allerdings gibt es dafür keine politische Mehrheit, das ist das Problem.

Bürgermeister Voscherau hält sich bisher aus taktischen Gründen aus der Diskussion um die Legalisierung von Cannabis heraus. Er will nicht, ich zitiere, der „Drogenspinner aus Hamburg sein, dem man nicht mehr zuhören braucht“. Halte Sie diese Zurückhaltung für richtig?

Voscherau ist garantiert nicht der Drogenspinner aus Hamburg, sondern derjenige, der in Deutschland als erster Bürgermeister klar gesagt hat, daß die bisherige Drogenpolitik gescheitert ist. Die Konsequenz für eine Großstadt wie Hamburg, mit einem riesigen Heroinproblem, ist, daß den Junkies ein legaler Zugang zu ihrer Droge geschaffen werden muß. Natürlich über ärztlich kontrollierte Abgabe. Das hat der Bürgermeister immer wieder unmißverständlich zum Ausdruck gebracht.

Das Thema Cannabis wird in Schleswig-Holstein sehr intensiv erörtert. Da gibt es entsprechende Vorschläge. Auch im Rahmen der Konferenz der Gesundheitsminister hat es eine intensive Diskussion gegeben und Hamburg hat sich da nicht zurückgelehnt und gesagt, daß machen wir nicht mit. Selbstverständlich stehen wir diesen Reformen aufgeschlossen gegenüber. Ich würde mir wünschen, daß beide Reformen Erfolg haben und es zudem zu einer grundlegenden Reform im Drogenbereich kommt.

Das Apothekenmodell von Heide Moser ist also auch in Hamburg denkbar?

Jeder Schritt, der auf einen rationaleren Umgang mit Cannabis, auf eine Entdramatisierung hinarbeitet, ist aus meiner Sicht zu versuchen. Wie so etwas konkret aussehen kann, muß man sehen, wenn die Schleswig-Holsteiner ihr Konzept vorgelegt haben. Die Umsetzung stelle ich mir nicht einfach vor. Die Cannabis Konsumentenszene ist bekanntlich ja nicht die Dauerkundschaft in Apotheken.

Sie denken nicht, das Cannabis Konsumenten eine Apotheke betreten, um Marihuana oder Haschsich zu erstehen?

Neben den Apotheken gäbe es ja noch die Möglichkeit, den Cannabisvertrieb an staatlich anerkannte Einrichtungen zu binden.

Wonach richten sich denn überhaupt Ausschlußkriterien für gewisse Substanzen in Deutschland? Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen?

Nein. Das hat mit wissenschaftlicher Erkenntnis nicht annähernd etwas zu tun. Die ganze Drogenprohibition geht auf die Opiumkonferenzen in Den Haag Anfang diesen Jahrhunderts zurück. Seinerzeit ging es zunächst um eine wirksame Kontrolle des Handels. In dieser Phase hatte es vehemente Bestrebungen -vor allem seitens der USA- gegeben, ein umfassenden Kontrollsystem zu schaffen. Die Staaten, die bislang vom Opium-Handel profitiert hatten, forderten, daß, wenn sie schon Einbußen haben, auch andere Ländern Abstriche bei ihren Drogengeschäften machen müßten. Das hat dazu geführt, daß letzten Endes nicht nur Opium, sondern auch Kokain und weitere Substanzen der Kontrolle unterworfen wurden. Es gibt keinen vernüftigen Grund, bestimmte Substanzen zu verbieten. Egal ob legal oder illegal, ich kann mit allen Substanzen meine Gesundheit ruinieren, wenn ich sie exzessiv, chaotisch und dauerhaft konsumieren. Ebenso kann es mit mit allen Substanzen gelingen, einen geordneten Konsum zu praktizieren.

Der Hanf gilt als relativ ungefährlich.

Bei Cannabis wissen wir seit langem, daß ein halbwegs geordneter Konsum weniger schädlich ist, als der Alkoholkonsum und das sich damit problemlos leben läßt. Das Suchtproblem ist primär in der Persönlichkeit des Konsumenten und seines sozialen Umfelds begründet und erst nachrangig in der Substanz selbst. Nebenbei bemerkt ist es ein Skandal, das Cannabis nicht AIDS- und Krebspatienten zugänglich ist. Unglaublich.

Eine Legalisierung aller im Betäubungsmittelgesetz aufgeführten Stoffe hätte momentan aber eher fatale Folgen.

In der Tat. Es ist immer leicht, Drogen zu verbieten, es ist später sehr schwer, diese Substanzen wieder zu legalisieren. Dies liegt auch an der Außenwirkung. Deshalb wird man da einen vorsichtigen Weg beschreiten müssen und ich verstehe auch das Modell aus Schleswig-Holstein als einen vorsichtigen Weg. Auch in Kiel ist man vermutlich nicht der Ansicht, daß Apotheken der prädestinierte und einzig denkbare Ort für die Abgabe von Cannabis sind.

Das langfristige Ziel bleibt aber die Legalisierung aller Substanzen?

Man wird überlegen müssen, ob man mit der Unterstellung dieser Drogen unter das Arzneimittelrecht nicht sehr viel weiter kommt. Beim Arzneimittelrecht hätten wir den entscheidenen Vorteil, daß nicht mehr die Konsumenten kriminalisiert werden. Stattdessen aber unterliegt der Handel und Vertrieb einer scharfen Kontrolle. Die Droge im Supermarkt liegt jedenfalls außerhalb der realistischen Optionen.

Zum Abschluss. Ausgeblendet in der Diskussion um Drogen bleibt meist der Zusammenhang zwischen Drogen und Erkenntnis.

Drogen sind in früheren Jahrhunderten immer zu rituellen und transzendierenden Zwecken genutzt worden. Daran könnte man anschließen. Ein Beispiel: den momentan in der Öffentlichkeit zum Teil verzerrt wahrgenommenen Ecstasy wird von einigen Wissenschaftlern ein therapeutischer Nutzen zugesprochen. Bei Ecstasy mag es sein, daß es bei manchen psychotherapeutischen Behandlungen durchaus sinnvoll ist, es einzusetzen. Nur da wir in Deutschland die unangenehme Angewohnheit haben, psychoaktive Substanzen sofort zu verbieten, ist klar, daß man hinterher nicht mehr feststellen kann, welchen therapeutischen Wert sie eventuell besitzen. Das halte ich für einen der schädlichen Auswüchse unserer Verbotspolitik. Wir nutzen nicht das, was in den Drogen steckt.

Man könnte die Vermutung anstellen, daß sich das Suchtproblem erst dann eingestellt hat, als die Drogen aus ihrem rituellen Rahmen genommen wurden, die transzendente Ebene ausgeblendet wurde und nur noch um das Konsums willens konsumiert wurde.

Ein zentrales Problem. Wir haben heute diese rituellen Einbindungen nicht mehr, nur noch in Subkulturen finden sie statt. Es gibt keinen gesellschaftlichen Konsens über die Einbindung des Drogenkonsums in das Leben. Dies wird man aufgrund der Individualisierung auch nicht mehr ändern können. Gleichwohl wird man sich fragen müssen, ob sich nicht innerhalb gewisser Subkulturen ein ritueller, oder besser gesagt kultureller Drogenkonsum etablieren läßt. Der Umgang mit Drogen muß erlernt werden und wird auch erlernt. Aber: Die Öffentlichkeit nimmt nur die Konsumenten wahr, die aufgrund der Illegalität auffällig werden. Das sind Menschen, die aufgrund sozialer und biographischer Rahmenbedingungen in einer vergleichsweise schlechten Situation sind. Der Scheinwerfer der öffentlichen Wahrnehmung nimmt nur diese Konsumenten wahr. Das andere Segment derer, die in einer geordneten Weise Drogen konsumieren, bleibt unterbelichtet.

Vielen Dank, Herr Bossong.

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Drogenpolitik Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit Jon Hanna über die neuen Entwicklungen auf dem Gebiet der unerforschten Substanzen

HanfBlatt, November 2004

Jon Hanna ist Autor und Herausgeber der „Psychedelic Resource List“, die nun in ihrer vierten Auflage erschien, einem Kompendium psychedelischer und halluzinogener Substanzen. Im Gespräch geht es um die neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet der psychoaktiven Substanzen, den ethnobotanischen Kräutermarkt und – wie so oft bei US-Amerikanern – den „Krieg gegen Drogen“.

Frage:
Als langjähriger Autor im Bereich der psychedelischen Substanzen hast du Zugang zu aktuellen Forschungsergebnissen. Was sind die relevanten Entdeckungen im wissenschaftlichen Studium der so genannten „research chemicals“, der „forschungsoffenen Substanzen“?

Hanna:
Die Bezeichnung „research chemicals“ bezieht sich meist auf Tryptamine und Phenethylamine, die nicht spezifisch im Betäubungsmittelgesetz der USA stehen. Während Drogen wie Meskalin oder Psylocybin verboten sind, stehen vergleichbare Substanzen wie 2C-I und 4-AcO-DET noch nicht auf der Liste der illegalen Drogen. Diese Substanzen sind zwar verboten, aber eben nur, wenn jemand sie für den Konsum verkauft oder sie jemand nutzt, um davon High zu werden. Es ist eine seltsame Art von Graubereich. Diese Chemikalien können zu Forschungszwecken genutzt werden, aber nicht, wenn die Erprobung das High-Werden beinhaltet.

JonHannaDie US-Regierung geht nicht besonders hart gegen diese Substanzen vor. Warum, denkst du, greift der Staat hier nicht stärker durch?

Um ehrlich zu sein, bin ich selber überrascht, dass die Behörden die vertreibenden Firmen nicht aggressiver verfolgt. Wahrscheinlich befindet sich die DEA (Drug Enforcement Administration) in einer Datenerfassungsphase und beobachtet diejenigen, der in diesem Bereich verkaufen oder kaufen. Jedoch ist dies nicht das ganze Bild: Einige dieser Substanzen sind nicht besonders interessant, andere haben frappante Nebenwirkungen. Diese beide Tatsachen führen zu einem geringen Verbreitungspotenzial, der Grund zum Durchgreifen ist also gering. Aber hin und wieder wird eben doch eine Substanz entdeckt, die der Masse als „neue“ Form von Ecstasy (MDMA) verkauft werden kann.

Was mit 5-MeO-DIPT geschah.

Exakt. Diese Substanz kam sogar zur Ehre eines Berichts im „Playboy“, mit dem Fokus auf die aphrodisierenden Eigenschaften. „Foxy Methoxy“, wie es gerne genannt wird. Dort, zwischen den Seiten mit nackten Frauen, ist ein Bild von Sasha Shulgin, wie er in einer Phiole irgendwas braut! Wenn eine „neue“ Substanz viel Aufmerksamkeit von der Mainstream-Presse erfährt oder wenn die Raver-Szene darauf einsteigt, dann wird die Chance erheblich größer, dass sie kurz darauf verboten wird. Momentan ist mir kein solcher Hype bekannt. Es gibt jedoch ständig Fortschritte, immer vorangetrieben von denen, die gerne damit experimentieren. Jüngst wurde der Effekt einer pharmazeutische Ketamin-Creme entdeckt, die als schmerzstillende Salbe verschrieben wird. Als Einlauf genommen führt diese Salbe zu ähnlichen Effekten wie die intramuskuläre Injektion.

Hui, das klingt nach der großen Hafenrundfahrt. Und was tut sich im Untergrund bei der Erforschung der entheogenen Pflanzen?

Vor kurzem sind einige einfache Extraktionsprozesse, die durch jeden Küchenchemiker oder Keller-Schamanen durchgeführt werden können, veröffentlicht worden. Darunter war die Extraktion von Psilocybin und Psilocin. Mit 140 Proof-Äthanol und einem Prozess von Extraktion, Abkühlung, Dekantieren und Einfrieren kann ein relativ reines Puder hergestellt werden. Yachaj Paye berichtet davon in der Herbstausgabe der „Entheogen Review“.
Obwohl die Erforschung von „Salvia Divinorum“ keine Untergrundtätigkeit im engeren Sinne ist, da der Gebrauch in den meisten Ländern legal ist, werden die meisten Entdeckungen von Fans der Substanz und nicht von offiziellen Wissenschaftlern gemacht. Ein schneller Extraktionsprozess für relativ reines Salvinorum A. mit Hilfe von Aceton wurde letztes Jahr im Netz veröffentlicht. Und Daniel Siebert, das ist derjenige gewesen, der endgültig feststellte, dass Salvinorum A die Substanz ist, die für die Psychoaktivität von „Salvia Divinorum“ verantwortlich ist, beschreibt einen weiteren zügigen Extraktionsprozess. Der funktioniert mit Chloroform.
In den vergangenen Jahren wurde eine Anzahl von neuen Chemikalien aus dem Göttersalbei purifiert. Die meisten von diesen kommen nur in Spuren in der Pflanze vor. Siebert, wiederrum einen Schritt weiter gehend als alle vor ihm, hat nun die Wirkung von Salvinorum B und Salvinorum C im menschlichen Körper erprobt. Unglücklicherweise ist weder B noch C psychoaktiv, zumindest nicht in den Dosen, in denen Salvinorum A wirkt. Er nahm bis zu vier Gramm vaporisiertes Salvinorum B und bis zu drei Gramm Salvinorum C zu sich. Nichts. Wir erinnern uns: Salvinorum A ist schon bei Dosen unter einem Milligramm psychoaktiv.
Auch in der „Untergrund-Szene“ folgt der Forschung der Kommerz. Es gab im letzten Jahrzehnt eine explosionsartige Ausbreitung von Firmen, die halb legale psychoaktive Pflanzen verkaufen. Das Internet bietet die nötigen Informationen, der Enthusiasmus für Entheogene wächst und parallel dazu die Anzahl der Leute, die mit dem wachsenden Markt Geld verdienen möchten. Botanisch spezialisierte Firmen wollen vom nächsten großen Hype zu profitieren.

Diese Firmen konzentrieren sich zum Teil auf relativ obskure Pflanzen, weil das Seltene, Neue oder Ungewöhnliche die Leute anzieht.

Ja, vor kurzem sahen wir das bei „Kratom“, lateinisch „Mitragyna Speciosa“ genannt. Die Pflanze verursacht Effekte wie wir sie von Opiaten kennen. Es scheint so, dass dies an einem Indol-Alkaloid liegt, Mitragynin, welches nur in dieser Pflanze vorkommt. Die chemische Struktur ist mit Psilocybin verwandt, dennoch erzeugt „Kratom“ keine psychedelischen Effekte, jedenfalls nicht in den bisher getesteten Dosierungen. Leider ist die Pflanze in ihrem Ursprungsland, nämlich Thailand, illegal. Folglich ist es schwierig „Kratom“ zu exportieren, obwohl es in den meisten Teilen der Welt legal ist.
Wohl wissend, dass die Pflanze begehrt, aber schwer zu bekommen ist, flutete ein Franzose den botanischen Markt mit einer großen Menge getrockneter Blätter, von der er behauptete, es wäre „Kratom“. Daniel Siebert erkannte allerdings, dass die Blätter nicht der botanischen Beschreibung der Pflanze entsprachen, und schlug vor, dass ich die Leute vor dem Kauf der Blätter öffentlich warnen sollte. Ich beschaffte mir einen Referenz-Standard von Mitragynin Picrate von einer Pharma-Firma aus England und schickte diesen Standard und das vorgeblich „Kratom“ zu diversen Chemikern zum Testen. Es stellte sich heraus, dass die Refernz aus England Mitragynin enthielt…

… was zu erwarten war…

… der Scheiß aus Frankreich aber überhaupt kein Mitragynin enthielt. Nun gab es also nicht nur den botanischen, sondern auch den chemischen Beweis, dass die Blätter unkorrekt etikettiert waren. Mehr über diese Untersuchung findet sich in einer PDF-Datei auf der Webseite der Entheogen Review.
Leider arbeitet der ethnobotanische Markt auf unprofessionelle Weise, es existiert keine Qualitätskontrolle und keine staatliche Organisation wacht über die Anbieter dieser Produkte. Verbraucherschützer, so wie ich, sind gezwungen diese Art von Untersuchungen zu finanzieren und durchzuführen. Ich sollte vielleicht noch anmerken, dass korrekt gekennzeichnetes „Kratom“ jetzt in einigen Online-Shops erhältlich ist.

Kratom
Kratom

Ist diese Art von Desinformation im ethnobotanischen Kräutermarkt üblich?

In den meisten Fällen agieren die Leute ehrlich, wenn Fehler passieren, dann aus Versehen. Aber eben nicht immer. Erinnere dich an die Ereignisse mit dem mutmaßlichen „Lagochilus Inebrians“. Das kommerzielle Interesse an dieser Pflanze gründet auf einer kurzen Erwähnung in „Pflanzen der Götter“ von Richard Evan Schultes und Albert Hofmann. Aus psychoaktiver Sicht ist das vermutlich keine besonders interessante Pflanze; der Effekt ist mild sedativ und blutdrucksenkend. Aber allein die Tatsache, dass es ein Diterpenoid, nämlich Lagochilin, enthält und Salvinorium A ebenfalls ein Bestandteil von Diterpenoid ist, ließ die Händler aufhorchen. Ein paar Kilos getrockneten Materials tauchten jüngst in den USA auf, aber es stellte sich heraus, dass die Kräutermischung eine plumpe Fälschung war, sie stammte nicht einmal aus derselben botanischen Familie wie „Lagochilus“. Dankbarerweise wurde in diesem Fall die weitere Verbreitung des Produkts verhindert. Traurig war nur, dass der Verkäufer des Materials, ein gewisser Dr. Ashley Minas aus Russland, die Rückzahlung des Geldes für das falsche Kraut verweigerte. Wie bei „Kratom“ auch wird auch das originale Kraut wohl bald korrekt vermarktet werden, obwohl es zu früh ist, hierüber endgültige Aussagen zu treffen. Seltene Kräuter, gerade wenn sie getrocknet und zerkleinert sind, können sehr schwer korrekt zu identifizieren sein.

Lass uns von der Produktion zum Konsum übergehen. Der Genuss jeder Substanz birgt auch Gefahren. Stellt das alte Konzept von „Set und Setting“ noch immer den Kern der Risikovermeidung dar?

Die Berücksichtigung von „Set und Setting“, also der Erwartungshaltung und geistigen Situation der Person und die Umgebung, in der die Droge eingenommen wird, stellen nach wie vor die goldene Regel dar, speziell bei Psychedelika. Aber es gibt einen dritten Aspekt, den die frühe LSD-Forscherin Betty Eisner in die Diskussion einbrachte und welcher nie die verdiente Aufmerksamkeit erhielt. Dieser Aspekt wird „Matrix“ genannt und zielt auf die soziale Gemeinschaft, die die konsumierenden Person umgibt. Es muss eine Gruppe von unterstützenden, verständnisvollen und erfahrenden Leuten da sein, die eine Atmosphäre schafft, in der die psychedelische Erfahrung gelebt werden kann. Manchmal geraten Psychonauten in ein Muster des sich oft wiederholenden Konsums, ohne vorteilhafte Änderungen an ihrem Leben vorzunehmen. „Instanterleuchtungen“ durch eine Pille sind eine feine Sache, aber diese halten nicht an und berühren das nicht-trippende Leben nicht, wenn nicht daran gearbeitet wird. Wieder und wieder High werden zu wollen kann zu einer Krücke werden, eine Krücke, die vergessen lässt, dass eine innere Arbeit, eine Art Nachbereitung, im nüchternden Zustand erfolgen muss. Ich denke dass die „Matrix“ ebenso wichtig wie „Set und Setting“ ist, wenn nicht sogar wichtiger. Wir brauchen Menschen um uns herum, die uns die Erlebnisse in wertvoller Weise integrieren helfen, so dass wir uns positiv weiter entwickeln.

Gibt es neue Entwicklungen in der Risikominimierung beim Drogengebrauch?

Sicher, es gab große Fortschritte in den letzten Jahren, dafür sind Pillentests ein gutes Beispiel. Diese geben zumindest eine Ahnung davon, ob die auf einem Rave oder der Straße gekaufte Pille wirklich die gewünschte Substanz beinhaltet. Desinformation ist ein gefährlicher Aspekt des „War on Drugs“: Es ist doch völlig absurd zu behaupten, das die Drogen-Verbotsgesetze dafür da sind eine gesündere Gesellschaft schaffen zu wollen! Was die Prohibition wirklich verursacht ist eine Gesellschaft, in der der Konsument unnötige Gesundheitsrisiken auf sich nehmen muss. Pillen werden zum Teil nicht vorschriftsgemäß hergestellt, oftmals führen die schlechten Laborbedingungen zu einer falschen Synthese oder Verunreinigungen im Endprodukt. Eine standardisierte Produktion in einem kontrolliert pharmazeutischen Labor würde dieses Problem aus der Welt schaffen.
Und dann ist dort noch die Frage, wie hoch die verkaufte Dosis tatsächlich ist. Durch wie viele Hände ist das Produkt gegangen und wie sehr wurde es gestreckt? Und mit was? Die einfachen, auf dem Markt erhältlichen Pillentests können diese Fragen nicht alle beantworten, aber sie geben zumindest eine Idee davon, was ich mir da zuführe. Trauriger Weise schlagen skrupellose Dealer zurück. Beispielsweise beinhalteten einige Pillen 10 % MDMA und 90 % Koffein oder Pseudoephedrin. Ein einfacher Drogentest zeigt nur an, dass die Pille MDMA enthält, nicht aber, was deren Hauptbestandteile sind. Jüngere Konsumenten gewöhnen sich an die schwachen Dosierungen und nehmen teilweise zehn oder mehr dieser Pillen, um die erwünschten Effekte zu erzielen. Was aber ist mit den Wirkungen von Koffein und Pseudoephedrin? Und was ist, wenn der Konsument an eine voll dosierte, reine Pille gerät, von der er oder sie wie üblich zehn nimmt?

Die gesundheitlichen Auswirkungen des „War on Drugs“ liegen offen dar.

Es ist traurig, aber die fatalen Folgen dieser Politik haben sich immer noch nicht weit genug rumgesprochen. Unterstützt wird der Irrsinn auch noch durch staatlich geförderte Forscher, die fehlerhafte Daten veröffentlichen, so wie das bei Dr. George Ricaurte der Fall war. Ricaurtes Versuche an Ratten führten ihn zu dem Schluss, dass eine einzelne Dosis MDMA schwere Schäden am Dopamin-Haushalt verursachen kann. Sein Report führte zu verschärften Gesetzen gegen MDMA in den USA. Später stellte sich die Untersuchung als völliger Humbug heraus, denn man hatten versehentlich Methamphetamin genommen, was erheblich potenter ist, statt MDMA. Als der Fehler entdeckt wurde, gab Ricaurte zu Mist gebaut zu haben, aber die Gesetze waren schon verabschiedet. Im Endeffekt kommt als Nachricht bei drogeninteressierten Jugendlichen an, dass die Regierung sie eh nur anlügt und die Drogen ungefährlich sind. Aber sie sind eben nicht völlig ungefährlich. Die Folge: Es entsteht ein Klima des Misstrauens, denn aus Sicht der Kinder und Jugendlichen sind Erwachsene Lügner. Der sich entwickelnde Groll dient später eventuell dazu, die eigene Unehrlichkeit zu rechtfertigen. Was für eine beschissene Welt bauen wir da für unsere Kinder?

Um das einseitig negative Bild, welches die Regierungen über Drogen in die Welt setzen, zu bekämpfen, müssen da eventuell die Menschen, die von ihren Drogenerfahrungen profitiert haben eine Art positive Gegenpropaganda kreieren?

Genau. Das führt gut zu dem anderen Bereich meines Interesses: der psychedelischen Kunst. Das Kunst durch Psychedelika inspiriert wird ist alltäglich. Dieser „Kunststil“ wird von Leuten angewendet, die daraus Werbefilme im TV für Süßigkeiten, Getränke oder auch Autos kreieren. Immer mehr Künstler nutzen psychedelische Drogen als Werkzeug für die Inspiration und sind auch bereit, darüber offen zu reden. Das Thema „Psychedelika“ ist in diversen Produkten der Popkultur gegenwärtig. Ob in Episoden bei den „Simpsons“ oder den „X-Akten“ oder als Basis für ein Drehbuch, man denke an die „rote Pille“ in „The Matrix“.
Einige zeitgenössische Künstler haben an Filmen mitgewirkt, wie beispielsweise H.R. Giger, der das Design für „Alien“ entwarf oder der Kanadier Luke Brown, der jüngst von Steven Spielberg für dessen neuen Film angestellt wurde.
Aber auch in Bereichen abseits der hohen Künste spielen psychedelische Substanzen bei kreativen Prozessen eine Rolle. So hat etwa der Träger des Chemie-Nobelpreises von 1993, Kary Mullis, in seiner Autobiografie die Welt wissen lassen, dass seine Entdeckung der Polymerase Kettenreaktion (PCR) zur DNA-Synthese auf den Einfluss von LSD zurückgeht. Mark Pesce, Mitautor der Virtual-Reality Programmiersprache VMRL, gab zum Besten, dass ihm die Idee zu dem Code auf LSD kam, mehr noch, dass er LSD danach weiterhin nutzte, um den Code weiter zu entwickeln. Überhaupt war die gesamte Personal Computer Revolution von LSD angetrieben. Mensch, selbst Bill Gates von Microsoft sprach in einem Interview offen über seine LSD-Erfahrungen.
In meinem Leben agieren psychedelische Drogen als ein Fenster zu Wissensbereichen, an denen ich vorher wenig Interesse hatte: Botanik, Chemie, Geschichte, Studium von Religionen, Anthropologie und Soziologie, um nur einige zu nennen. Für mich ist klar, dass psychedelische Drogen ein wertvolles Werkzeug für positive Veränderungen sein können, persönlicher und gesellschaftlicher Art. Unser Job ist es, die „richtige“ Einstellung zu fördern. Wenn wir dies tun, so hoffe ich, beenden wir auch die herrschende falsche Einstellung gegenüber diesen Werkzeugen.

 

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Psychoaktive Substanzen Specials

Pilze. Ein Special.

HanfBlatt, November 2004

SPASS ATTACKS

Die Invasion der lachenden Pilze

Auf dem Planeten Erde wurden bis dato etwa 1700 Atombomben gezündet, einige davon überirdisch, Atompilze, mit der tausendfachen Sprengkraft von Hiroshima. Ist das lustig? Wohl kaum. Aber Politiker, die für dergleichen verantwortlich sind (,und für noch viel mehr,) erdreisten sich, spezielle Inhaltsstoffe zahlreicher frei und unvorhersagbar in der Natur spriessender Pilze zu verbieten und deren KonsumentInnen damit in die Kriminalität zu drängen. Dabei können diese „Lachenden Pilze“, wie eine Art im Japanischen genannt wird, bei ihren KonsumentInnen nicht nur Lachstürme über die Absurdität des Seins und Glücksgefühle in tiefer Verbundenheit mit dem Körper, sich selbst, der Schönheit und Energie des Natürlichen und Frohsinn im Vorstoß zu den Urgründen der Gemütlichkeit, hervorrufen, sondern auch tiefe persönliche Erfahrungen bis ins poppende spirituelle Mark hinein (erschütternd) katalysieren. In dieser Hinsicht stehen sie dem Lysergsäurediäthylamid nicht nach, auch wenn sie nur gerade mal halb solange wirken, sehr ähnlich, aber doch irgendwie ganz anders. Pilze

Pilze, die die Wirkstoffe Psilocybin und Psilocin enthalten, erfreuen sich eines außerordentlich guten Rufes. Ihr Konsum erlebt seit einigen Jahren einen enormen Boom. Vielleicht handelt es sich mittlerweile um die verbreitetste psychedelische Droge noch vor dem halbsynthetischen LSD. Pilze stehen für Natur. Viele KonsumentInnen entwickeln zu ihnen eine ganz persönliche Beziehung. Es ist schwer zuoft Pilze zu nehmen. Sie weisen selbst ein individuelles Limit. Man merkt, wann erst einmal wieder genug ist. Psychisch unvorbereitet eingenommene Pilze sind nicht unbedingt ein gelungener Partygag. Sind Cannabisspeisen schon bedenklich, weil schwer einzuschätzen und nicht für jederman gleichermaßen gut verträglich, kann eine ahnungslos verspachtelte Pilz(über)dosis zu einem Horrortrip mit panischen Ängsten werden und aus Verzweiflung im Krankenhaus enden, dem denkbar ungünstigsten Ort für den Ausklang einer danebengegangenen Seelenreise.

Psilocybin
Psilocybin

Körperlich sind Psiloc(yb)inpilze im allgemeinen gut verträglich. Es kann bei einigen Leuten zu Magenbeschwerden und Übelkeit kommen. In Einzelfällen wurde auch von Kreislaufproblemen berichtet. Man kann aber davon ausgehen, daß von den richtig identifizierten gängigen Psilos (, wie sie liebvoll genannt werden,) selbst in höheren Dosierungen keine gesundheitlichen Risiken für den Körper ausgehen. Die verspeisten Mengen wildgewachsener Pilze sind üblicherweise so gering, daß selbst Umweltschadstoffe kaum zur Geltung kommen dürften. Der Rahmen für die Einnahme der Psilos muß stimmen. In Mexiko werden sie rituell in Heilungszeremonien unter Anleitung einer Schamanin oder eines Schamanen eingenommen. Das sollte uns zu denken geben. Ungestörter Freiraum mit Selbstentfaltungsmöglichkeiten, freundliche natürliche Umgebung bei gutem Wetter, vertraute erfahrene Freunde usw. sind eine gute Basis für eine Pilzreise, auf der sich die Seele öffnen soll. Dann klappt´s nicht nur mit dem Nachbarn, dann kommt vielleicht auch der Spaß nicht zu kurz.

Allseits bekannt ist mittlerweile das alljährliche herbstliche Erscheinen der kleinen Spitzkegeligen Kahlköpfe (botanisch Psilocybe semilanceata) auf unseren Wiesen und Weiden. Selbst an städtischen Strassenrändern, auf Heuballen, an Bundeswehrschießbahnen und dergleichen mehr wurden sie gesichtet und gesammelt, versteht sich von selbst. Typischerweise aber sondiert der meist städtische Pilzjäger vom Auto aus das Terrain, während er im Schleichtempo durch wenig befahrene Seitenwege in der stadtnahen ländlichen Provinz tuckert. Diese Wiese, etwas geschützt am Waldesrand mit kurzem, teils verrottendem und büschelweise wachsendem Gras, leicht uneben, von friedlichen Kühen oder gar Pferden beweidet, ja, die könnte in Frage kommen. Einmal als spitzkegelhöffig entdeckte Biotope werden dann regelmäßig wieder aufgesucht, bis die Grundstücksbesitzer an jeder Seite der Koppel Verbotsschilder anbringen. So erging es zumindest einer beschaulichen verschachtelten stadtnahen Weide, der Heimstatt eines neugierigen Pferdes. Sie wurde Anfang der Achtziger Jahre, beim Besuch zweier an ihrem Rande gedeihender Hanfpflanzen mit einem grüneheckeguerillagrowenden Freund durch Zufall entdeckt und erlebte im nächsten Jahr, durch Mund zu Mund-Propaganda in der Vorstadt populär geworden und zum Volkspilzsammelplatz aufgestiegen, ihren Count down. Dabei hatten wir längst ein paar Feldwege weiter rund um einen Pfadfindergrillplatz eine bei weitem ergiebigere Wiese entdeckt. Und in Zukunft radelten wir mit eingezogenen Köpfen an dem gutbesuchten Ausflugsziel vorbei, auf daß uns keiner erkenne und etwa heimlich die Verfolgung aufnehme. Denn es ist ein Geschenk, eine besondere Ehre, wenn Dir jemand seine ganz spezielle Wiese zeigt. Aber man weiß ja nur zu gut, daß sowas gern mit gierigen Füssen getreten wird.

Wer einmal ausgiebig Spitzkegelige Kahlköpfe gemeinsam mit einem erfahrenen „Fachmann“ gesammelt hat, wird keine allzu großen Schwierigkeiten mehr bei der Identifikation dieser charakteristischen Zipfelmützen haben. Alle Pilze, bei denen auch nur der leiseste Zweifel an ihrer Identität besteht, werden selbstverständlich verworfen. Die spitzkegeligen Kahlköpfe gelten als relativ gleichbleibend hochpotent. Kleine Pilze sollen etwas potenter sein als die größeren. Bei Analysen getrockneter Pilze wurden Psilocybingehalte um die 1% ermittelt. Da Psilocybin verhältnismäßig beständig ist, lassen sich die Pilze getrocknet, luft- und lichtabgeschlossen zu 1 Gramm-Päckchen verpackt und tiefgefroren ohne allzu großen Wirkungsverlust bis zur nächsten Sammelsaison aufbewahren. Auf nüchternen Magen genommen ist eine Dosis von 0,2 bis 0,4 Gramm der getrockneten Pilze bereits emotional spürbar. Ab einer Dosis von etwa 1 Gramm werden die Effekte bereits recht intensiv und „farbig“. 2 bis 3 Gramm gelten als volle Dosis.

Darüberhinausgehend kann der Trip recht anstrengend werden. Die Kahlköpfe enthalten noch andere dem Psilocybin nahestehende Substanzen, wie Baeocystin und Norbaeocystin, die wahrscheinlich an ihrer spezifischen Wirkung beteiligt sind. Psilocybe semilanceata ist der wahre „King of the Koppel“. Aber paß auf, er kann dich zum „Fool on the Hill“ machen. Ein weiterer kleiner „Psilo“ unserer Grünflächen ist der Panaeolus subalteatus, zu deutsch Dunkelrandiger Düngerling. Sein Wirkstoffgehalt ist vergleichsweise gering. Die Vermutung, er würde „auch törnen“, führt bisweilen dazu, daß Laiensammler alle möglichen ähnlichen Düngerlinge oder irgendwie glockenförmig wachsenden Kleinpilze einsammeln und womöglich auch noch schlucken. Da empfiehlt das Männlein aus dem Walde: Finger weg, es lohnt sich nicht, Übelkeit und dergleichen zu riskieren, wenn man von Pilzen (noch) keine Ahnung hat. Andererseits steht der „Dunkelrandige“ im Ruf ruhiger und noch erotisierender als die durchgeknallten Kahlköppe zu wirken. Dosierungen ab 2,7 Gramm getrocknet auf leeren Magen sollen für einen entsprechenden Törn notwendig sein.

„MEXIKANISCHE PILZE“!

Psilocybin
Psilocybin

Mittlerweile werden auf manchen Goa-Openair-Parties psiloc(yb)in-haltige Pilze offen angeboten. Außerhalb dieser „Temporär Autonomen Zonen“ ist man auf Grund der unklaren Rechtslage noch nicht ganz so mutig wie in den Niederlanden. Der Inhaber des Amsterdamer Smartdrugshops „Conscious Dreams“ wagten es im Sommer 1994 als erstes, offen über den Ladentisch, gezüchtete Psiloc(yb)inpilze vom Typ Psilocybe cubensis zu verkaufen. Die Polizei ließ nicht lange auf sich warten. Die Sache ging vor Gericht. Dort wie hier sind die nahezu identisch wirkenden Inhaltsstoffe der Pilze Psilocin und Psilocybin nach dem Opium- bzw. Betäubungsmittelgesetz verboten, nicht aber ausdrücklich die Pilze. Dem Gerichtsurteil zufolge, werde der Wirkstoffgehalt der Pilze aber erst durch Trocknen so hoch konzentriert (, nämlich etwa um den Faktor 10 gegenüber frischen Pilzen), daß es sich um eine verbotene Ware handle. Prompt wurden nur noch die frischen Pilze verkauft. Gerade Freitags herrschte Hochbetrieb im Laden. Dezente braune Papiertüten beherbergten eine gute Portion von 30 Gramm frischen Psilocybe cubensis zu 25 Gulden, auf daß es ein beschwingtes Wochenende würde. Die auf Touristen orientierten Headshops der Amsterdamer Innenstadt zogen nach. Sie boten allen Unkenrufen zum Trotz getrocknete Pilze an. Ein unglaublicher Boom setzte ein. Mittlerweile hat fast jede holländische Kleinstadt Shops, bei denen ethnobotanische Kräuter und energetisierende Aminosäurepräparate im Vergleich zum Pilzumsatz eher eine untergeordnete Rolle spielen. Viele Leute kamen auf die Idee sich selbst zu versorgen. So nahmen zahlreiche Growshops Pilzzuchtzubehör mit in ihr Programm auf. Es entstanden auch ausschließlich auf Pilzzuchtzubehör spezialisierte Läden. Ungeduldige können sich dann die frischen und mittlerweile auch wieder die getrockneten Pilze gleich mitnehmen. In der Schweiz hat es nun vor kurzem ein Gerichtsurteil gegeben, demnach dort Psilos in keiner Form illegal seien. Ja, in der Schweiz, in der Schweiz, tausche Psilos gegen Nazi-Gold. Traut man sich dagegen in der BRD aus Angst vor der Konfrontation mit den Justizbehörden (noch?) nicht die Pilze selbst zu verkaufen, so handeln doch zahlreiche deutsche Growshops und Händler ethnobotanischer Spezialitäten bereits mit dem entsprechenden Zubehör und schon von Mycel durchwachsenen Anzuchtboxen, bei denen nicht mehr ganz so viel schief gehen kann. Der Anbau von Psilos ist nämlich nicht gerade einfach und muß unter kontrollierten hygienischen Bedingungen erfolgen.

PSILOCYBIN

Die für die Zucht beliebteste, in subtropischen und tropischen Gebieten der ganzen Welt auf Rinder- und Büffelkacke gedeihende (und zum Beispiel Thailand-Reisenden von den Inseln Koh Samui und Koh Phangan bekannte) Art ist die oben erwähnte Psilocybe cubensis (früher auch Stropharia cubensis genannt). Obwohl die hier gehandelten Pilze dieser Art so gut wie nie aus der freien Wildbahn, geschweige denn aus Mexiko stammen, sondern praktisch immer laborartig gezüchtet wurden, werden sie häufig als „mexikanische“ angepriesen und verkauft. Sie hatten lange Zeit den Ruf besonders potent zu sein. Dies stimmt jedoch so nicht. Ihr Wirkstoffgehalt kann starken Schwankungen unterworfen sein, selbst von Pilz zu Pilz. Es gibt diverse Zuchtlinien. Die meisten sind nicht allzu potent. Auch liegt ein Teil der Wirkstoffe als leicht zerfallendes Psilocin vor. Das bedeutet meist einen deutlichen Potenzverlust durch Trocknung und Lagerung. Wer die erforderlichen hygienischen Voraussetzungen einer Cubensis-Zucht meistert, kann große Mengen dieser zu ziemlichen Größen heranspriessenden Pilze ernten. Sie dominieren deshalb den Markt, zumal sie auch geschmacklich und magentechnisch als recht verträglich gelten. Cubensis wird üblicherweise höher dosiert als die Kahlköpfe. In den Niederlanden gelten 3 Gramm getrocknete, entsprechend etwa 30 Gramm frischen Pilzen als eine gute Dosis. 5 bis 6,5 Gramm der getrockneten „Superburschis“ sollen für einen extremen Abflug garantieren.

„HAWAIIANISCHE PILZE!“

Psilocin
Psilocin

Eine weitere gezüchtete Pilzart ist seit einiger Zeit in den Niederlanden recht beliebt: Panaeolus cyanescens, früher auch Copelandia cyanescens genannt. Es handelt sich um eine kleine blauende Pilzart vom Typ der Düngerlinge, deren natürliches Verbreitungsgebiet sich keineswegs nur auf Hawaii beschränkt, sondern über weite Gebiete der Tropen und Subtropen erstreckt und mit dem des Cubensis überschneidet. Auf Bali wurde sie Touristen in psychedelischen Omelettes serviert. Sie gilt als besonders potent, was nicht unbedingt von allen veröffentlichten Analysen bestätigt wird. In den Niederlanden werden 20 Gramm der frischen Pilze als volle Dosis veranschlagt, für die dann meist dasselbe wie für das 30 Gramm-Cubensis-Äquivalent bezahlt werden muss. Immer neue teilweise in der Natur sehr seltene Arten erobern das Herz der Züchter. Zum letzten Schrei gehört die aus den USA stammende Psilocybe azurescens. In einzelnen Exemplaren wurden laut einer aktuellen Analyse ein Wirkstoffgehalt von insgesamt über 2 % auf die Trockenmasse ermittelt. Dies würde die obigen Sorten im Schnitt um mindestens das Doppelte übertreffen. Die Amis nennen sie „Flying Saucers“, „Fliegende Untertassen“. Vielleicht wird der Tag, an dem Du sie nimmst, „der Tag, an dem sie Kontakt aufnahmen“.
PSILOCIN

Gibt es eine einfach zu ziehende, fast von selbst, womöglich noch auf Holzspänen im eigenen Garten spriessende und reichlich fruchtende Art, die den Laborgezüchteten auch in der Potenz nicht allzusehr nachsteht? Naja, wer so fragt… Natürlich, die gibt es! Gestatten, Psilocybe cyanescens (, früher auch Hypholoma cyanescens genannt). Sie gedeiht gut auf allem möglichen verwesenden pflanzlichen Material, zum Beispiel an Flußufern und selbst auf früheren Müllhalden oder auf Holzstückchen in Rhododendronparks. Möglicherweise wurde sie irgendwann einmal aus den USA eingeschleppt. Sie kann praktisch guerillaartig an unauffällige Standorte in der Natur verbracht werden. Aber ein kleiner Dämpfer muß sein: Pilze sind schwer berechenbar, ihr Wachstum von vielen Umweltfaktoren abhängig, so daß es sein kann, daß vielleicht in einem Jahr fast überhaupt keine, in einem anderen Jahr Unmengen Pilze aus dem Boden schiessen. Vielleicht geht das Mycel (,der faserige unterirdische Teil, der den eigentlichen „Pilz“ darstellt,) auf Grund irgendwelcher Bedingungen zu Grunde oder der Wirkstoffgehalt der als Fruchtkörper sich aus dem Mycel entwickelnden Pilze ist plötzlich nur verschwindend gering. Je kontrollierter die Bedingungen ausfallen unter denen Mycel und Pilze wachsen, desto abschätzbarer und vor allem steigerbarer werden sowohl Potenz als auch möglicher Ertrag. Aber es kann gerade im Freien vieles dazwischen kommen. Das weiß auch jeder, der regelmässig einen bestimmten Pilzstandort in der Natur aufsucht. Bei den „Psilocyanos“ erweist sich auch, wie abhängig der Wirkstoffgehalt von der gewählten Sorte ist. Spezielle aus den USA stammende Zuchtsorten sollen zu den stärksten Psilos überhaupt gehören. 1 Gramm dieser getrockneten Powerpakete entspräche etwa 5 bis 6 Gramm durchschnittlicher Psilocybe cubensis! Wildwachsende einheimische Psilocyanos fallen, so sie denn überhaupt mal in der freien Flur entdeckt werden, lange nicht so extrem aus. Wie problematisch es sein kann, bestimmte wildwachsende Psilos von ihren unwirksamen oder gar toxischen Verwandten zu unterscheiden, zeigt die recht seltene, sich aber bei uns immer weiter in Richtung Westen ausbreitende, potente Art Inocybe aeruginascens, von der vor nicht allzu langer Zeit voller Begeisterung die Rede war, da ein Trip mit ihr aufgrund eines zusätzlichen Wirkstoffes („Aeruginascin“) von einer besonders euphorischen Note geprägt sein sollte. Sie ähnelt leider einer Reihe anderer giftiger Inocyben, die selbst vom Fachmann nur schwer zu unterscheiden sind. Wer also kein unnötiges Risko eingehen will, sollte sich sowieso generell vor und nach dem Sammeln ausführlich in der Fachliteratur informieren und sich von Kennern beraten lassen. Besser isses.

AZ

P.S.
Anne Stephanos vom Zauberpilzblog hat mich auf eine schöne Ergänzung zum Artikel aufmerksam gemacht. Sie weist darauf hin: „Hauptsächlich überliefert ist der Gebrauch psychogener Pilze von Mittel- und Südamerikanischen Schamanen. Für diese indigenen Kulturen waren die Zauberpilze das „Fleisch der Götter“ und eine hochheilige Angelegenheit – man berauschte sich damit nicht zu hedonistischen Zwecken wie heute junge Menschen im Westen. Die Sakraldroge wurde gezielt eingesetzt, um Visionen oder Heilungen zu ermöglichen.“ Quelle: http://zauberpilzblog.net/blog/2016/10/24/kulturgeschichte-psychogener-pilze-zusammenfassung-bisheriger-forschung/  Wer regelmäßig mehr über Zauberpilze erfahren möchte, dem kann ich Annes Blog nur ans Herz legen.

 

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Ich© liebe Dich®

telepolis v. 1.11.2004

Ich© liebe Dich®

Das Markenregister wird mit immer abstruseren Werbe-Slogans zugemüllt, der Markenschutz zur Allzweckwaffe gegen die Mitbewerber

Nicht immer, aber immer öfter melden Global Player und kleine Klitschen ihre Werbe-Slogans beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) oder dem europäischen Harmonisierungsamt (HABM) an. Die Einordnung aller möglichen Slogans als schützenswertes Gut nimmt groteske Formen an, das DPMA-Register gilt als verstopft und mit ungenutzten und unnützen Marken zugemüllt. „Heul doch!“, „Ich bin da“, „Du kannst“ – selbst Floskeln wie „Unter uns“ sind inzwischen in privater Hand und genießen den Schutz des Markengesetzes. Ist es nur noch eine Sache der Zeit bis die Hardware-Hersteller gleich neben das €-Zeichen das © auf die Tastatur legen?

Schuh
Es ist bekannt: Die Eroberung der Käuferherzen erfolgt heute nicht mehr über die Güte der Ware, sondern deren Prestige. Dass Unternehmen ihre Slogans, neudeutsch „Claims“, rechtlich sichern, ist Resultat der Entwicklung von der Qualität des Produkts zu dessen Image. Heute sind die Artikel-Assoziationen im Kopf des Kunden wertvoller als das Produkt selbst. Die Macht der Marke beruht weithin auf ihrem immateriellen Wert.

Wer muss bei dem Satzfragment „Nichts ist unmöglich…“ nicht automatisch an den japanischen Automobilhersteller denken? Wem es gelingt seine Werbe-Kampagne auf die sprachliche Essenz eines knackigen Slogans einzudampfen, der ist dem Herz des Kunden schon ein Stück näher gekommen. Jede noch so ausgebuffte Produkt- oder Dienstleistungsstrategie bleibt luftleer, wenn sie nicht mithilfe der Werbung mit den Wünschen und Vorstellungen des Kunden spielt. Geht das Kalkül auf, verselbstständigt sich der Slogan und ist in aller Munde; im Bewusstsein des Kunden verbindet dann stets ein dünner Bewusstseinsfaden den Slogan mit dem Produkt.

Unternehmen suchten schon früher ihre Kundenbindungssprüche rechtlich abzusichern. Nur stand dem Jahrzehnte lang die Eintragungspraxis des DPMA und die Rechtsprechung der Patentgerichte entgegen. Aber über die Jahrzehnte wurde die Schutzfähigkeit von Slogans immer mehr ausgeweitet und ein Ende ist nicht in Sicht.

Ein Blick zurück in die Geschichte der Slogans in Deutschland zeigt das Ausmaß der Veränderung. In der Zeit vor der Einführung des Markengesetzes im Jahre 1995 wurden nur solche Werbesprüche eingetragen, die auf einen spezifischen Geschäftsbetrieb hinwiesen. So erschien meist der Firmenname des Herstellers oder eine bereits als Marke geschützte Bezeichnung im Reklamespruch: „Genießer trinken Doornkaat.“-Slogans, die weder Firmenname noch eine Marke enthielten, wurden damals regelmäßig als eintragungsunfähig angesehen. DPMA, Bundespatentgericht und Bundesgerichtshof (BGH) stellten mehrmals fest, dass solche Spruchfolgen als „allgemein reklamehaft“ zu gelten haben, weil sie dem allgemeinen Sprachgebrauch entnommen wären.

„Phantasievoller Überschuss“ ist der Zauberstab

Zu einer ersten Aufweichung dieser Praxis kam es nach Inkrafttreten des Markengesetzes. Das Bundespatentgericht gab Klagen von Firmen statt, die ihren Slogan unbedingt geschützt sehen wollten. Ab jetzt reichte es aus, Worte ungewöhnlich miteinander zu kombinieren oder sie in einen neuen Zusammenhang zu stellen. Das neue Zauberwort hieß „phantasievoller Überschuss“, und dieser war schon gegeben, wenn der Slogan mit seinem Wiedererkennungswert eine betriebliche Hinweiswirkung verband. Einfacher gesagt: Wenn der Slogan ungewöhnlich klang und keine im Sprachraum gebräuchliche Wortfolge für den Artikel darstellte, dann war er eintragungswürdig. Man gönnt sich ja sonst nichts.

LogoDuDarfstEin Beispiel: So erstritten ein Hersteller einer Margarine die Eintragung der Wortmarke „Du darfst“ ins Markenregister und eine Firma für Haushaltsgeräte den Begriff „Zisch & Frisch“. Die Richter waren der Meinung, dass „Du darfst“ eine unvollständige Aufforderung darstellte, deren gedankliche Ergänzung durch den Kunden den Kriterien des „phantasievollen Überschusses“ entsprach. Im Urteil zu den Küchenmaschinen machte die Lautmalerei des „Zisch“ in Zusammenhang mit dem „Frisch“ bei den Richtern Eindruck. Im selben Jahr (1997) hatten der 26. Senat des hohen Gerichts allerdings den Slogan „IS EGAL“ abgeschmettert. Da fragte sich der abgewiesene Getränkeabfüller, wenn „Du darfst“, warum „IS“ das dann nicht „EGAL“?

Zisch&Frisch öffnete die Schleuse, es folgte eine Flut von Klagen, die von den Gerichten mit immer spitzfindigeren Jurisdiktionen beantwortet wurden. Die Branchen bemühen sich um kurze, originelle und möglichst witzige Wortfolgen, um die begehrte Eintragung beim Markenamt zu erhalten. Diese gilt zunächst für zehn Jahre, ist aber beliebig oft verlängerbar und damit unsterblich.

Die Rechtsprechung des Bundespatengerichts wurde nahezu unberechenbar. Die Patenanwältin Alexandra Fottner spricht vorsichtig von einer „sehr subjektiven Auffassung“ des Gerichts hinsichtlich der Schutzfähigkeit von Werbeslogans. So wurde „Energie mit Esprit“ als eintragungsfähig angesehen, während „Partner with the Best“ diese Ehre nicht zuteil wurde. Einem Badener Radiosender wurde das zu bunt, er zog vor den BGH um seine kreative Wortfolge „Radio von hier, Radio wie wir“ durchzuboxen. Mit dem dann folgenden richtungsweisenden Beschluss des BGH trat die rechtliche Absicherung der Slogans in die dritte Phase ein.

Der BGH stellte in dem wegweisenden Urteil am 8. Dezember 1999 fest, dass an Slogans keine höheren Anforderungen als an andere Wortmarken (wie „IKEA“) gestellt werden dürfen. Seither können flotte Wortkombinationen für eine oder gar mehrere der 45 Produktklassen immer dann angemeldet werden, wenn sie eine deutliche Unterscheidungskraft besitzen.

Erst anmelden, dann weitersehen

Heute ist es nur noch die vermeintliche Originalität und Prägnanz des Slogans, die zur Entscheidung über die Eintragung herangezogen werden. So hob der BGH einen Beschluss des Bundespatentgerichts aus dem Jahre 1997 auf, der den Begriff „Unter uns“ noch als lexikalisch nachweisbare Redensart und allgemein gebräuchliche Redewendung angesehen hatte.

Dem entgegen sah der BGH in „Unter uns“ eine originelle Verkürzung des Satzes „unter uns gesagt“. Aus der Verkürzung resultiere, so der BGH, eine Mehrdeutigkeit, die der Kunde auflösen muss. Mehr noch, der Slogan könne auch in einem sozialen Sinne interpretiert werden, wonach der Kunde mit dem Erwerb des Produktes zu einer Gemeinschaft gehöre, wobei diese Gruppe unklar bliebe. Angesichts dieses juristischen Feinstricks murmelten einige Anwälte dann doch: „Ich bin doch nicht blöd.“

Die UFA nahm das Urteil dankbar an, sie hat sich den Titel ihrer Soap „Unter uns“ nicht nur in der Leitklasse 41 (Erziehung, Unterhaltung), sondern in 20 weiteren Klassen (darunter Seifenprodukte, Büromaterial und Schmuckwaren) schützen lassen.
Allein Elektro-Gigant Siemens hat über 3.000 Marken in allen möglichen Klassen angemeldet. Das Problem: Das DPMA überprüft nur die in § 8 des Markengesetzes genannten „absoluten Schutzhindernisse“, das sind solche Marken, die „ausschließlich aus Zeichen oder Angaben bestehen, die im allgemeinen Sprachgebrauch oder in den redlichen und ständigen Verkehrsgepflogenheiten zur Bezeichnung der Waren oder Dienstleistungen üblich geworden sind“. Um dies zu verdeutlichen: Die Wortmarke „Bester Regenschirm“ ist als Bezeichnung für Regenschutz gängig, besäße aber für Geldschränke (Klasse 6) durchaus die erforderliche Unterscheidungskraft.

Ist die Hürde des § 8 genommen, kann der Slogan theoretisch auf alle der 45 Klassen ausgedehnt werden. Erst wenn sich ein Mitbewerber daran stößt, dass diese Wortmarke in einer – aus seiner Sicht – falschen Klasse eingetragen ist, wird es spannend; es wird geklagt. Vor dem Bundespatentgericht kommt es jährlich zu über 2.000 Markenrechts-Prozessen über ähnlich lautende, abgewiesene oder unbenutzte Marken. Allerdings können sich kleinere Unternehmen diesen kostspieligen Rechtsweg nicht leisten, der Kampf gegen die Rechtsabteilungen großer Handelskonzerne wird gescheut.

Markenrechtsexperten wie Volker Jänich, Professor für Bürgerliches Recht und Gewerblichen Rechtschutz an der Universität Jena, weisen deshalb darauf hin, dass mit der Ausdehnung des Markenschutzes die Beschränkung des Verhaltenspielraums der Mitbewerber einhergeht. „Natürlich ist das Markenrecht auch ein Monopolisierungsrecht“, gibt Jänich zu bedenken, „und durch hohe Prozessrisiken sowie die immanente Drohfunktion eingetragener Schutzrechte droht heute eine Erlahmung der ökonomischen Entwicklung.“ Mit anderen Worten: Weil immer mehr Marken und Slogans geschützt sind, wird der Raum für die Ideen neuer Unternehmungen eng.

Die extreme Ausweitung des Schutzbereichs für Wortmarken lässt sich allerdings statistisch schwer untermauern. Beim DPMA schlüsselt man die eingetragenen Wortmarken nicht nach Slogans und normalen Wortmarken (NIVEA) auf. Über die Jahre ist die Zahl der angemeldeten Wortmarken konstant: Durchschnittlich werden im Jahr an die 60.000 dieser Marken angemeldet, beim europäischen Pendant, der HABM, noch einmal etwa 30.000. Zur Zeit sind in Deutschland rund 1 Million Marken geschützt.

Um ihren guten Namen gesichert zu sehen und Trittbrettfahrern, aber auch Wettbewerbern keine Chance zur Entfaltung zu geben, melden beispielsweise Konzerne wie der Autohersteller „Jaguar“ ihre Marke in für sie eigentlich abstrusen Markenklassen an. Der englische Fabrikant möchte vermeiden, dass ein Schokoladenhersteller auf die Idee kommt, seinen schnittigen Riegel „Jaguar“ zu nennen. Erst anmelden, dann weitersehen.

So werden ganze Branchen von der Nutzung eingängiger Produktbezeichnungen abgehalten. Auch hier muss das DPMA untätig zusehen, wie immer mehr Wortmarken das Register füllen. Das Amt sieht sich außerstande zu überprüfen, ob die angemeldete Marke überhaupt genutzt wird oder nur der präventiven Abwehr dient. Zwar wird eine Marke, wenn sie fünf Jahre lang nicht genutzt wurde, gelöscht, aber auch diesen Nachweis muss ein Konkurrent vor Gericht und nicht das DPMA führen.

Schwierig wird die juristische Interpretation des Markengesetzes auch dort, wo eine neue Wortkombination gerade erst auf dem Weg in den allgemeinen Sprachgebrauch sind. So trug das Markenamt in den euphorischen Tage der frühen Internet-Ära Marken wie „Explorer“ ein. Später löschte das DPMA einige der Eintragungen wieder, andere dieser Prosa, wie etwa „Site Promotion“, sind noch heute geschützt.

Aber nicht nur die Startups machen den Angestellten bei DPMA zu schaffen. Im September des vergangenen Jahres ließ sich die Firma Zentis die Marke „Caffe Latte“ schützen. Damit ist nun auch die Jahrzehnte alte und wohlbekannten Bezeichnung für Milchkaffee in Firmenbesitz. Der Trick bei der Anmeldung: Die Anwälte von Zentis meldete ihr Produkt in der Leitklasse 29 (Milchprodukte) an, unterließen aber in der Erläuterung die explizite Bezeichnung ihres Erzeugnis; von „Kaffee mit Milch“ oder einem Mixgetränk ist nirgendwo die Rede. Dennis Sevriens, Anwalt für Markenrecht in Berlin, spricht von „einem üblichen Vorgehen“, würden damit doch „die Prüfer beim DPMA auf die falsche Fährte gelockt werden“. Große Unternehmen würden vermehrt Trends beobachten, um aufkeimende Begrifflichkeiten gleich als Marke zu schützen.

Slogan- und Markenwahn

Letzter Höhepunkt des Sloganhypes ist die Eintragung des Gemeinplatzes „Ich liebe es“ durch McDonald’s. Das DPMA erklärte den Claim als ungewöhnlich genug zur Bezeichnung von Fast-Food und trug ihn brav ins Register ein. Die deutsche Werbeagentur Heye & Partner „erfand“ diesen Slogan und gewann einen von der Hamburger-Kette ausgeschriebenen Wettbewerb damit. Wo früher nur ausgedehnte Hirnakrobatik oder der geniale Einfall honoriert, geschützt oder patentiert wurde, landet heute jede morgendliche Eingebung unter der Dusche bereits am Nachmittag beim Markenamt. Grenzen dafür, das Sätze in den Besitz von jemand übergehen, scheint es zur Zeit kaum zu geben. Alles nach dem Motto: Geiz ist geil.

Nichts ist unmöglich. Das Markengrabbing wird durch die Arbeit des 1993 gegründeten Harmonisierungsamtes für den Binnenmarkt noch verstärkt. Hier reicht ein Eintrag und der Slogan ist für den gesamten europäischen Raum gesichert. Die im spanischen Alicante sitzende Institution hat seit Beginn ihrer Tätigkeit die Anforderungen an Reklamesprüche nicht hoch angesetzt. Sie gab den Grundsatz der bis dahin für Slogans nötigen Kürze, Prägnanz und Mehrdeutigkeit auf. 1999 gab das Amt einer Firma Recht, die den Satz „Beauty isn’t about looking young but looking good“ gesichert sehen wollte. Auch Satzungetüme wie „the best british clothing for the worst british weather“ sind mittlerweile eingetragen.

Fachanwälte wie Fottner sind überzeugt davon, dass im Zuge der europäischen Harmonisierung auch der BGH nicht mehr starr an dem Grundsatz der Slogan-Kürze festhalten wird und „zukünftig auch längere unterscheidungskräftige Wortfolgen zur Eintragung zulassen wird“.
Durch die Akzeptanz der Anglizismen werden die Werbesprüche international übergreifend. Mit dem Schuh ist auch die Nachricht vom „Just do it“ im hintersten Andendorf angekommen. Der Nike-Treter klebt am Fuß, die mit ihm vermittelte „Message“ haftet im Hirn. Heute kauft man weniger das Produkt selbst, sondern den damit verbundenen Lebensstil, der Gebrauchswert rückt merklich hinter den Symbolwert zurück. Deshalb ist die Frage für Unternehmen heute nicht „Was biete ich?“, sondern „Wie wirke ich?“. Aus der Mixtur von Vertrauen (statt Nutzen) und der Fokussierung auf die Stil-, statt die Zielgruppen wird heute das erfolgreiche Marketing-Rezept gebraut. Die Verbildlichung des Stils zum Image leistet das Logo, die Verbalisierung der Slogan.

Nicht umsonst heißt der Slogan unter Werbern auch „Claim“, ein Ausdruck aus dem Wilden Westen, der das Abstecken des eigenen Besitzes mit Grenzpfählen besagt. Slogan wiederum bedeutet soviel wie „Schlachtruf“. Das „Branding“ einer Marke lehnt sich ebenfalls an den Cowboyslang an. Damals brannte man dem Vieh sein Zeichen ein, auch heute steht der Kunde als Ochse auf der Weide der bunten Warenwelt, um von einer Firma ihren Code ins Hirn gebrannt zu kriegen.

Deutsche Kaufmänner zeigen keine Scheu vor der englischen Sprache, wohl wissend, dass die Bevölkerung sich mit den Anglizismen längst angefreundet hat. Auch hier sind es die seltsamsten Verheißungen, die ihren Eingang in die Kartei finden: „eat the best…“, „feel the best…“, „think the best…“, und natürlich auch „be the best…“ sind alle fest in deutscher Hand bei den Ämtern. Die deutsche Wirtschaft zeigt sich ohnehin äußerst markenfreudig. Rund 25% der beim europäischen HABM registrierten Marken stammen aus den USA, gleich dahinter liegen deutsche Firmen mit 17%.

Mittlerweile treibt der Eintragungswahn Blüten. Der Satz „Ich bin Christ“ ist seit einem Jahr als Wort-Bildmarke geschützt und befindet sich nicht in den heiligen Händen des Klerus, sondern in Klasse 41 (Erziehung, Unterhaltung) wieder. Ein kluger Mann aus dem Ruhrpott hat einen Trick angewendet, der unter Markenmaniacs immer beliebter wird. Da die Wortfolge „Ich bin Christ“ allein nicht schutzwürdig wäre, kombinierte er den religiösen Claim mit einem Logo und ließ sich die so entstandene Marke auch gleich für Schreibwaren und Bekleidungsstücke schützen.

Wer nun aber glaubt, er darf auf dem nächsten Kirchentag seine Konfession nicht mehr auf dem T-Shirt zur Schau tragen, der liegt verkehrt. Das Markenrecht zielt allein auf den Geschäftsverkehr, der private Gebrauch und auch die Ironisierung von Slogans und Wortmarken ist legal. „Ich liebe es“ darf also bei Happenings auf vergammelten Burgern stehen und auch der Spruch „Die längste Praline der Welt“ darf auf einer Jeans prangen. Auf diese Steine können Sie bauen. Konfliktschwanger wird es erst, wenn ein kleiner Textilien-Fabrikant einen bekannten Slogan auf eine ganze Serie von T-Shirts druckt und diese vertreibt.

Heute reicht schon ein Buchstabendreher oder ein Akcent, damit eine ursprünglich Wortmarke zur Wort-Bildmarke aufgebläht wird. Statt „Marke“ wird dann „Márke“ reserviert, die Konkurrenz wird später bei Eintragungsversuchen von „Marke“ auf „Verwechselungsgefahr“ verklagt.

Hypertrophie der Schutzrechte

Kommunikations- und Werbeexperten wie der Hannoveraner Juniorprofessor Jannis Androutsopoulos erforschen die Kunst der Werbung sowie Lust und Frust der Kundschaft. Androutsopoulos sieht den kontinuierlich anwachsenden Schutz für Slogans schlichtweg als das Ergebnis der Evolution von Werbung: „Noch bis in die 70er Jahre hinein hätten die Normen der Werbung keine dialogische und umgangssprachliche Werbesprüche attraktiv erscheinen lassen.“

Auch die Kompetenz des Rezipienten, Lücken im Slogan zu schließen, nähme sicherlich im Laufe der Werbe-Sozialisation zu. „Insofern“, so der Fachmann für Medienkommunikation, „kann ‚Du darfst‘ nur in einer eingespielten Werbegesellschaft funktionieren“. Für die Zukunft sagt Androutsopoulos eine Werbung voraus, die immer fragmentarischer und kryptischer daherkommt.

Wohin die Okkupation der Wortfolgen führt, weiß zur Zeit keiner so genau. Androutsopoulos gibt Entwarnung. Er sieht die Alltagssprache als Fass ohne Boden, die sich ständig erneuert. Angst vor dem Ausverkauf der Worte bräuchte niemand zu haben: „Die Elemente der Sprache sind zwar finit, aber ihre Kombinationsmöglichkeiten unendlich. Und solang nur Kombinationen und nicht auch ihre Bestandteile patentiert werden, lässt mich dies doch noch hoffen.“

Juristen wie Volker Jänich sehen dagegen mit Sorge auf die Sonderrolle des Markenrechts, „dem einzigen Schutzrecht“, so Jänich, „das zeitlich unbegrenzt wirkt“. Trotz oft vergleichsweise geringer Mühen beim Entwurf eines Slogans stehe diesem ein ewiger Schutz zu. Dagegen ist die sogenannte „Schöpfungshöhe“ in anderen Bereichen des geistigen Eigentums nicht nur erheblich schwerer zu erreichen, das Urheber- und Patentrecht kennen auch zeitliche Begrenzungen, nach denen die Ergüsse des Erfinders an die Allgemeinheit fallen.

Auch die von Markengesetz und DPMA beschworene „Unterscheidungskraft“ von Slogans verkommt inzwischen zur Makulatur, ist doch selbst der Begriff, der dafür erfunden wurde eben keine Unterscheidungskraft zu besitzen, in diversen Markenklassen eingetragen: „Nichts“.

Bei den Domains geht es auch gegen Privatpersonen

Wo bislang nur Werbeagenturen und Firmen sich gegenseitig ihre Marken und saloppen Sprachfetzen streitig machten, zielen deren Rechtsabteilungen neuerdings auch auf Privatpersonen, um diese beispielsweise von dem Gebrauch von Internetadressen abzuhalten, die mit dem Firmennamen in Verbindung gebracht werden könnten. Die Registrierung einer Domain im weltweiten Netz ist Minutensache – und kostet knapp 20 Euro. Heerscharen von agilen Bürgern und Kleinunternehmern melden immer wieder Domains bei der DENIC, der deutschen Vergabestelle für die international erreichbaren Adressen, an, die als Bestandteil einen großen Namen führen. So nannte ein Autoteile-Händler seine Seite etwa www.bmw-teile.de, ein anderer seine Präsenz www.bmwwerkstatt.net.

Die Gerichte urteilen hier zumeist zugunsten der Marke. Begründung: Wo BMW draufsteht, da soll auch BMW drin sein. Es dürfe nicht, so die Richter, der Eindruck entstehen, als ob BMW die Tätigkeit der Inhaber überwachen und eine dauerhafte Vertragsbeziehung bestehen würde.

Wem dies noch klar erscheint, der wird bei den sprachlich stärker eingebundenen Domains schon eher zweifeln. Der Betreiber der Domain www.metrosexuals.de erhielt von dem Handelskonzern METRO die Aufforderung, seine Domain zügig zu löschen. Die Anwälte sehen in der Domain keinen Platz zum Austausch für gepflegt-urbane Männer a la David Beckham, sondern eine Gefahr für die Integrität der Firma.

Der Rechtsstreit läuft, der Kampf um das Eigentum an Worten und Sätzen geht in eine weitere Runde. Juristen werden zukünftig immer häufiger zu klären haben, wo der Schutzbereich einer Marke aufhört und wo die Freiheit eines anderen Unternehmen, die künstlerische Verwendung durch Künstler oder die pure Freizeitlust der Privatperson anfängt. Es droht eine rechtliche Grauzone, in der jeder Domaininhaber damit rechnen muss, Ziel der Verteidigungsstrategie großer und kleiner Wirtschaftsunternehmen zu werden. Wie würde die Metro wohl auf einen Dietmar Hamann Fanclub reagieren, der sich die „Metronomen“ nennt und eine gleichlautende .de Domain anmeldet? Oder gibt es bereits Bestrebungen bei der METRO, den Verein Namens „Pro-Bahn“ für den Begriff „Metro-Express“ abzumahnen, den dieser für die Einführung eines schnellen Zugstrecke zwischen Köln und Dortmund nutzt? Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen.

Der neueste Kniff unter Markengrabbern ist es, die Titel urheberrechtlich geschützter Werke, deren Schutz abgelaufen ist, als neue Marke eintragen zu lassen. So ist beispielsweise der Titel des Kinderbuches „Alice im Wunderland“, 1864 von Lewis Caroll veröffentlicht, in Händen einer Merchandising-Tochter der ProSiebenSat.1 Media AG. „Tom Sawyer“ wiederum haben sich verschiedene Firmen für Tabak, Wassersportgeräte und alkoholische Getränke schützen lassen. Das literarische Kulturerbe wird zur wertvollen Quelle für das Markendesign, bestehen doch beim Kunden bereits fest etablierte, positive Assoziationen zur Wortmarke.

Beliebt ist es neuerdings auch die Namen berühmter Personen als Marke anzumelden. Ob „Ludwig van Beethoven“ oder „Wolfgang Amadeus Mozart“, „John F. Kennedy“ oder „Konrad Adenauer“: Sie alle stehen mittlerweile mit ihrem Ruf für ein Produkt gerade. „Bill Clinton“ muss sogar für ein Aphrodisiaka herhalten. Um das ohnehin schon aufgeblähte Markenregister nicht zu einem Sammelsurium fragwürdiger Slogans und kulturell besetzter Bezeichnungen verkommen zu lassen, diskutieren die Juristen nun, ob solche Anmeldungen nicht den Tatbestand der „Bösgläubigkeit“ erfüllen und zukünftig vom DPMA schon im Vorwege abgelehnt werden sollten.

Was bleibt? Während es für Unternehmen zunehmend schwieriger wird eine neue Marke zu etablieren ohne in den Rechtskreis eines Mitbewerbers einzudringen, ändert die Schlacht um Worte für den Kunden wenig. Er ist weiterhin Ziel des die Marke umgebenen Marketings, seine soziale oder künstlerische Entfaltung behindert die Omnipräsenz der Marke kaum – sieht man einmal von den Verwechselungsgefahr bei Domainnamen und der juristisch schwer anfechtbaren mentalen Verschmutzung durch den alltäglichen Werbemüll ab.

Schon vor Jahren holte deshalb die Satire-Zeitschrift „Titanic“ zum polit-ökonomischen Gegenschlag aus. Ihre Antwort auf den mit einer Kampagne unterstützten Namenwechsel des Knusperriegels „Raider“ auf das heute bekannte „Twix“ hieß: „Haider heißt jetzt Wix, sonst ändert sich nix“.

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Interview mit Claudia Müller-Ebeling

HanfBlatt, November 2004

Von alten und neuen Hexen und einem neuen Naturverständnis

Interview mit der Ethnologin und Kunsthistorikerin Claudia Müller-Ebeling

Claudia Müller-Ebeling

Schnell noch in den Teeladen. Heute hat sich Frau Doktor Claudia Müller-Ebeling angesagt, die 45-jährige Kunsthistorikerin und Ethnologin, die wir duzen dürfen. Auch az scharrt schon mit den Hufen, denn selten erhalten wir die Möglichkeit mit einer Kapazität auf dem Gebiet schamanistischer Traditionen in Europa zu reden. Zudem brennt uns das Thema „Frauen und der Rausch“ unter den Nägeln. Die Erforschung schamanistischer und kunstethnologischer Traditionen auf der Welt sind Themenbereiche von Claudia. Um das Leben anderer Gesellschaften begreifen und darstellen zu können, tauchte sie immer tief in deren soziale und kulturelle Strukturen ein. Vor allem betrachtete und analysierte sie Bilder und fragte nach ihrem Kontext und ihrer Bedeutung. Feste Strukturen vermeidet sie beim Schreiben, dementsprechend verläuft unser Gespräch konzentriert, aber frei floatend.

HB: Was sind eigentlich Hexen?

Claudia: Zunächst ein gesellschaftlich-historisches Konstrukt. Im Buch „Hexenmedizin“ beantwortet jeder das auf eine andere Weise. Wolf-Dieter Storl vermittelt die mythische Bedeutung von Pflanzen und ihren Gebrauch in archaischer Zeit. Christian Rätsch beleuchtet die antiken Vorbilder. Das späte Christentum und die Renaissance haben in erster Linie die Konzepte und Erzählungen aus der Zeit der Antike und des frühen Christentums übernommen und dämonisierte die Naturmagie mehr und mehr. Von daher reicht das Bild, welches wir von Hexen haben, zeitlich tief zurück.

HB: Wir verbinden ja meist das düstere Mittelalter damit.

Claudia: Ich weiß nicht, wie sich das Vorurteil des sogenannten „düsteren Mittelalters“ so lange halten konnte. Eigentlich ist es die düstere Neuzeit, denn das Mittelalter war licht und hell. Hier war die Sexualität befreiter, die körperliche und vor allem geistige Liebe hatte einen hohen Stellenwert. Dies ist nicht zu verwechseln mit der platonischen Liebe, die ja wahrlich keine unkörperliche, sondern eine Liebe nach Knaben war. So sind viele Begriffe durch die Mühle der Renaissance gegangen, eine Art Neoplatonismus, der versuchte, die Ideen Platons an ein christliches Gedankengebäude ranzubinden. So entstand die Dichotomie zwischen dem entkörperlichten Geistigen und den irdischen Niederungen.

HB: Und damit wurde auch Platons Idee wiederbelebt, dass es klüger ist, nüchtern in die Irre zu laufen, als berauscht Weisheit zu erlangen.

Claudia: Ja, es scheint immer einfacher, den bekannten Mist zu ertragen als neue Wege zu wagen. Alles was Berauschung ist, das Dionysische betrifft, ist mit persönlichem Erleben verbunden. Man schmeißt sich ins Erlebnis hinein. Unser christlich-wissenschaftliches Weltbild hat was gegen dieses eigene Erleben. Es klammert diese Erfahrung aus, weil es davon ausgeht, dass eigene Erfahrungen nur Voreingenommenheit schüren und dich in deine eigenen Gefühle einkapseln. Dann kann man die Realität nicht mehr objektiv sehen und Objektivität ist die Hohepriesterin der Neuzeit. Man soll die Dinge von außen betrachten, analysieren, interpretieren. Diejenigen die sich am Suff, der Liebe oder der Extase berauschen, sind dann arme Irre, die eh nicht mehr wissen, was sie tun. Dieses Erbe spukt in uns allen rum, sicher auch ihn mir, auch wenn ich das schön sezieren kann.

HB: Ein Bild der bösen Hexe haben wir sicher alle in uns. Frauen wiederum nehmen das Hexenthema neu auf, gründen Hexenstammtische oder treffen sich zum Hexen.

Claudia: Davon halte ich wenig. Grundsätzlich ist nichts dagegen zu sagen, alte Hexenrituale wieder aufleben zu lassen, die zu einer neuen Wertschätzung der eigenen Natur und der um uns herum führen. Das Vermitteln von praktischen Erfahrungen ist positiv. Nur leider entwickeln diese Zirkel sich schnell zu elitären Gemeinden, die bestimmte Denklinien aufnehmen, die oft aus der Frauenbewegung stammen. Diese Linien werden dann eifrig verfolgt und nicht mehr weiter hinterfragt. De facto weiß man aber sehr wenig über historische Hexen, weil so viele Quellen verschütt gegangen sind. Die bruchstückhafte Zusammensetzung kann auf falsche Wege führen. Wendungen wie: „Ich bin eine moderne Hexe“ oder: „Ich bin ein Schamane“ sind immer problematisch, weil sie weniger auf Kenntnis historischer Zusammenhänge beruhen, als vielmehr auf Projektionen.
Die Umwertung eines ursprünglich als Diffamierung gemeinten Begriffs in etwas Positives ist ironisierend und eröffnet daher die Möglichkeit, spielerischer mit einer grausamen Vergangenheit umgehen zu können. Dann kann man besser daraus lernen und auf Defizite unserer Zeit hinweisen, beispielsweise auf die fortgesetzte Dämonisierung der Natur.

HB: Für uns ist es schon rein sprachlich problematisch, an alte Naturmythen anzuknüpfen, das zeigt das Beispiel der „modernen Hexen“ ja recht deutlich. Es müssten also neue Wege der Erfahrungsvermittlung gefunden werden.

Claudia:

Die Frauen suchen unter dem Eigen-Label „Hexe“ Selbstverwirklichung und Grenzen sich damit von der Gesellschaft ab. Es wäre produktiver, nach der Aufgabe zu fragen, die sie als „moderne Hexen“ für die Gesellschaft haben könnten.

HB: Was ist mit der „gereinigten Hexe“, die mit den bösen Kräutern nix am Hut hat?

Claudia: In den meisten der neueren Hexenratgebern sind die psychoaktiven Bestandteile fein säuberlich aussortiert worden. Da gibt es nur noch Kamillentee. Diese Trennung in „gute und böse Kräuter“ ist ein Erbe der christlichen Lehre. Die zugänglichen Quellen sind allesamt Fremdzuweisungen, es gibt kaum Aussagen von Hexen selbst. Von daher sagen die Quellen mehr über die Kirche und die Nachbarn als über die Hexen. Mit Sicherheit aber haben nicht nur Neid und Eifersucht den als Hexen diffamierten Frauen den Kopf gekostet, sondern auch die Tatsache, dass sie die Natur nicht als böse und sündig, sondern als Einheit aller Aspekte betrachtet haben; genau das heißt „ganzheitlich“.

HB: Wie haben Hexen gearbeitet?

Claudia: Die gründlich zerstörten schamanischen Traditionen Europas lassen sich ableiten von dem, was noch heute an Schamanismus auf der Welt existiert. Wenn man die Rolle der heutigen Schamanen in Asien und Südamerika berücksichtigt, dann stellt sich das Bild meiner Ansicht nach so da: Erstens gibt es da niemanden der sagt: „Ich bin ein Schamane“ und trommelnd durch die Gegend läuft. Der oder die sagt auch nicht: „Kommt zu mir, wenn ihr Probleme habt, ich habe Sprechstunde von 8.00 bis 14.00 Uhr und eine Behandlung kostet 300 Taler.“ Diese Menschen tun etwas und das hilft anderen, dann bildet sich der Ruf und andere Leute kommen. In den westlichen Ländern wird das sofort zu einem Business und einer Institution.

HB: „Das lohnt sich“, singt der Schamane…

Claudia: Sicherlich müssen wir alle von etwas leben. Die hauptberufliche Beschäftigung beinhaltet zumeist, dass wir daraus unser Geld beziehen. Einen hauptberuflichen Schamanismus gibt es fast nirgends auf der Welt. Dazu kommt, dass die Leute gerne andere Menschen auf den Sockel stellen, sie wollen dich verherrlichen, dich idealisieren. Wenn man denen sagt: „Das kann ich nicht“ oder „Das weiß ich nicht“, dann sind die stinksauer. Diese Projektion nach außen fällt dann brutal auf dich zurück. Oft gehen deshalb die meisten Schamanen und Hexen sich selbst in die Falle und denken irgendwann tatsächlich, dass sie ganz toll sind und als Hexe oder Schamane gut Geld verdienen können.

HB: Wenn wir den Faden im Mittelalter aufnehmen: Hat die Kirche mit ihrem Anspruch auf das Heil der Menschen die Kräuterfrau und ihre Heilkräuter verdrängt?

Claudia: Zunächst einmal gibt es auch männliche Hexer und Zauberer. Das Bild der Hexe war aber ein schillerndes und attraktives, das sich mit dem sinnlich-erotischen Komplex gut verbinden ließ. Das lustfeindliche christliche Weltbild ließ den Sex nur zur Fortpflanzung zu – die rein der Erotik wegen betriebene Lust ist aus dieser Sicht etwas Bitterböses. Noch heute haben Menschen, die unter diesen Moralvorstellungen aufwachsen, erhebliche Probleme bei der Entfaltung einer gesunden Sexualität. Diese Gespenster wurden ihnen angehext und nun müssen sie sehen, wie sie ihre eigene, entspannte, natürliche Erotik wiederfinden. Die Hexe war also eine Projektionsfigur, die mehr war als eine Kräuterkundige. Im 15. und 16. Jahrhundert lebten die Menschen mit spirituellen und heilerischen Kräften eher auf dem Land. Das lässt sich heute noch gut in Nepal nachvollziehen. Wenn man dort Kathmandu hinter sich lässt, dann lässt man auch Ärzte und Hospitäler hinter sich. Dann findest du Leute, die können vieles zugleich. Und manche können halt Menschen heilen und das sind die Schamanen. Die sind aber nicht nur und allein Schamanen, sondern auch Bauern oder was weiß ich…

HB: Der Bauer im Mittelalter merkte irgendwann „Ich kann helfen“?

Claudia: Ja. Lange Zeit ist es kein Problem gewesen, dass es in den Städten ausgebildete Ärzte und Apotheker gab. Das waren immer Männer, denn die Universitäten ließen keine Frauen zu. Die hatten ihr städtisches Klientel. Die armen Menschen auf dem Land gingen aber weiterhin zu ihrem Kräuterweib. Irgendwann ist dies im Zuge der Diffamierung der Frau zum Problem geworden. Witwen oder Frauen ohne Ehemann lebten außerhalb der Versorgungsstruktur und damit auch außerhalb der Gesellschaft. Die mussten sich alleine durchs Leben schlagen. Dieser Alleingang war gefährlich, denn ansonsten lebten sie unter der Haube, wie man so schön sagt, eben unter der Oberaufsicht des Mannes. Frauen, die ihr Leben alleine bewältigten und dazu noch Fähigkeiten der Heilkunst hatten, wurden wohl zunehmend als bedrohlich empfunden.
Hexe von Francisco Goya (1746-1828)

HB: „Sexy Hexy“, das klingt sogar ähnlich. Verdorbene Buhlerinnen des Teufels. Die Angst vor weiblicher Sexualität muss eine wichtige Rolle gespielt haben.

Claudia: Und ein Denken, welches allen monotheistischen Religionen, gleich ob Judentum, Christentum oder Islam, anhaftet. Diese Religionen beten einen Gott an und dieser eine Gott ist gut und alles was nicht gut ist, stellt den Teufel dar. Mit diesem dualistischen Bild ermöglichst du diese Ausgrenzung des Fremden, des anderen. All das, was du in dir selber nicht wahrnehmen willst, kannst du wunderbar nach außen projizieren. Dann kannst du davor warnen, es verfolgen und dich gleichzeitig dran ergötzen. Alles was du dir nicht traust, das kannst du den Hexen dann unterjubeln. Die Protokolle aus der Zeit zeigen ganz deutlich die überhitzten Fantasien von Leuten, die gewisse Sachen nicht ausleben durften.

HB: Und genau das erleben wir doch heute beispielsweise mit den Gebrauchern kriminalisierter Drogen.

Claudia: Genau. Es ist ja auch perfide: Gerade in der momentanen Medienwelt gehört zum Beispiel Koks zum Arbeitsalltag. Hinter den Türen wird gekokst und gleichzeitig wird ein Artikel über sogenannte „Teufelsdrogen“ verfasst. Was den modernen Medien fehlt, ist ein Nachdenken über die Mechanismen in den Medien.

HB: Da müsste mal ein Beobachter den Beobachter beobachten.

Claudia: In jedem Medium muss man doch in der Lage sein, selbstkritisch zu hinterfragen, was man tut und nicht immer nur zu hinterfragen, was andere tun. Kläre ich auf oder trage ich dazu bei, dass ein Vorgang weiterhin im Dunklen dümpelt? Ich bin schon der Meinung, dass heute viele Natursubstanzen verteufelt werden, weil keine Pharmaindustrie davon profitieren könnte. Wenn jeder sich sein Gras und seine Kräuter auf dem Balkon zieht, dann kann man ihm nichts mehr verkaufen.

HB: Als Frau, die sich mit den Hervorbringungen der Natur beschäftigt, wie siehst du da die bestimmende Rolle der Technik in der modernen Welt, die ja auch eine Männerdomäne ist? Heute geht es ja weniger darum, ob wir mit der Technik leben wollen, sondern wie wir mit ihr leben können.

Claudia: Den Gegensatz zwischen Natur und Technik gab es schon immer, nur wurde er früher anders bezeichnet. Alles, was wir Menschen schaffen, sei es Technik, Dichtung oder Bilder, ist Kultur. Die Männer waren und sind, eher als Frauen, damit beschäftigt, Dinge mit ihren Händen oder ihrem Kopf selber zu produzieren. Damit produzieren sie eine Alternativschöpfung, eine Schöpfung, welche ihnen ansonsten verwehrt ist. Der elementare Schöpfungsakt, die Schaffung neuen Lebens, ist ihnen verwehrt. Das Problem dabei ist, dass die Männer ihren Schöpfungen einen höheren Stellenwert zusprechen.

HB: Damit lässt sich eine direkte Linie zur Naturentfremdung und Naturzerstörung ziehen.

Claudia: Absolut. Das siehst du ja deutlich, wenn du dir Gesellschaften anschaust, die noch in einem Naturkontext stehen, Naturvölker eben. Die sehen unmittelbar, dass sie sich gegenüber der Natur so verhalten müssen, dass ihre eigene Kultur und die sie umgebende Natur in Balance sind. Dafür gibt es dann ganz viele Regularien: Wenn du auf die Jagd gehst, musst du mit den Herren der Tiere Kontakt aufnehmen und sie um ein Opfer bitten. Damit leben diese Menschen aber nicht in ständiger Angst vor Göttern und Dämonen. Sie haben nur ein Gefühl dafür, was ihr Handeln in der Natur für Auswirkungen hat. Jeder ist damit für seine eigenen Handlungen verantwortlich, das ist supersimpel. Dieser Zusammenhang ist uns verloren gegangen. Wir glauben, unser Handeln hat erst in 100 Jahren Auswirkungen.

HB: „Nach mir die Sintflut.“ Wie soll es weitergehen?

Claudia: Natur und Kultur müssen sich immer wieder neu arrangieren. Wir haben Welten geschaffen, die zum Teil unter völligem Ausschluss des Natürlichen existieren. In den Städten können wir ja tatsächlich auf die Idee kommen, unabhängig von den natürlichen Abläufen zu leben. Wir haben unser eigenes Licht, Heizung, Klimaregelung.

HB: Das Kernkraftwerk steht halt nicht im Wohnviertel. Die meisten Menschen in Westeuropa kennen nicht mehr die Lebenszyklen der Pflanzen und Tiere, die sie sogar essen. Die meisten Tiere haben sie nicht mal leben gesehen. Wie sollen sie dann die Wirkung oder Heilwirkung von Nahrung und Pflanzen kennen?

Claudia: Richtig. Bei allem, was wir eben beschrieben haben, klammern die Menschen die eigene Erfahrung aus. Wenn du dir bestimmte Pflanzen einverleibst, dann machst du eine Erfahrung, die dein Denken verändern kann. Ich finde es immer wieder sehr verblüffend: Egal, wohin man auch kommt auf der Welt, die Menschen, die psychoaktive Pflanzen nehmen, leben zwar alle in unterschiedlichen Kontexten, sie verbindet aber alle dasselbe: Sie haben ein ausgeprägtes Naturbewusstsein, sind ökologisch und an Mythen interessiert und stellen Religionen und andere hierarchische Systeme in Frage. Das ist keine organisierte Bewegung, das ist Folge der Veränderung, die dadurch entsteht, dass du dich auf psychedelische Art mit den Pflanzen verbindest, die du eingenommen hast. Und ich weiß, es klingt idiotisch, aber diese Pflanzen reden dann auf ihre Art mit dir. Dabei tritt man mit Wissensebenen in Kontakt, die analytisch nicht zugänglich sind. Sie entziehen sich der Logik und sind trotzdem nicht irrsinnig, sondern sehr richtig. Darin liegt auch eine Ursache für die Verteufelung dieser Pflanzen: Die Erfahrung mit ihnen erschüttert die Säulen DES logischen Weltbildes. Es existiert dann zum Beispiel plötzlich nicht nur regulierte Sexualität, sondern sinnliche Sexualität, die ausbricht.

HB: Zurück zur Natur?

Claudia: Wenn ich mir Werbung anschaue, dann wundere ich mich. Die Industrie macht sich die Tatsache zu Nutze, dass wir wesentlich durch unsere Emotionen motiviert werden. Wir tun nicht Dinge, weil wir einsehen, dass es vernünftiger und besser ist, sie zu tun, sondern wider besseren Wissens tun wir Dinge, die einfach Spaß machen. Wie uns die Werbung ständig erzählt, machen uns alle mögliche Dinge Spaß, die die Konsumkultur und den Absatz ankurbeln. Auf der anderen Seite sollen wir aber ganz vernünftig sein und der Natur zuliebe auf alles mögliche verzichten, was uns Spaß macht. Das kann so nicht klappen, das wird nie funktionieren.

HB: Also müsste man das Umweltbewusstsein mit dem Spaßfaktor kombinieren.

Claudia: Genau. Es macht ja auch tatsächlich Spaß in einem sauberen Fluss zu baden und reine Luft zu atmen. Manche Naturschutzverbände haben das mittlerweile kapiert und werben dementsprechend. Es ist deutlich: Leute aller Alterstufen werden am Strand zu buddelnden und planschenden Kindern. Sie verbinden sich mit dem Element Wasser.

HB: Als Frau kannst du uns garantiert etwas zum Thema „Frauen und Rausch“ sagen. Wie kommt es, dass Frauen meist viel vorsichtiger bei psychedelischen Rauscherfahrungen sind?

Claudia: Im Anschluss an das bisher Gesagte sind Frauen deutlich mehr in einen natürlichen Zyklus eingebunden. Ihr Körper verändert sich zyklisch, sie können Leben geben und ernähren und während dieser Zeit ist ihre Chemiefabrik und damit ihre Emotionen umgestellt. Bei den Männern ist der Wunsch nach Kreation genauso vorhanden, auch sie wollen Naturkräfte in sich erfahren. Nur müssen sie sich halt anderer Mittel bedienen. Meine Hypothese ist, dass Frauen Psychedelika nicht benötigen, weil sie den Naturkräften ohnehin mehr verbunden sind als die Männer. Andererseits spielen Ängste auch eine Rolle. Die meisten Autoren, die sich mit Psychedelika beschäftigen, sind Männer.

HB: Wahrscheinlich die männliche Eigenart der permanenten und intensiven Grenzüberschreitung.

Claudia: „Psychedelisches Bodybuilding“ ist ein durchaus vorkommendes Phänomen. Damit bezeichne ich den unseligen Trieb vieler, sich möglichst viel einzuklinken, weil man ja stärker ist als die stärkste Dosis.

HB: Der Feminismus hat ja auf seine Art versucht, den Frauen mehr Geltung zu verschaffen, aber wohl nicht der Weiblichkeit. Wie siehst du die Entwicklung?

Claudia: „Der“ Feminismus hat lange Zeit primär versucht, männliche Qualitäten in Frauen zu aktivieren, um der Männerherrschaft etwas entgegenzusetzen. Viele Frauen haben sich dem angepasst und darüber weibliche Qualitäten vergessen. Mit „weiblichen Qualitäten“ meine ich, mal ganz klischeehaft: Warmherzigkeit, die breite Ebene der Gefühlspaletten, Intuition und eine weniger hierarchische Denkweise. Frauen haben eher das große Ganze im Blick und sehen welches Rädchen jeder darin ist. Männer tendieren zum linearen Denken – „das will ich und so komme ich dahin“. Der gerade Weg ist per se aggressiver, da schlägst du dir halt eine Schneise durch das Dickicht. Frauen mäandern eher zum Ziel, kommen damit meist besser mit der Natur der Dinge klar, verlieren aber oft im linear ausgerichteten Wettbewerb.

HB: Wie siehst du dich diesbezüglich?

Claudia: Ich bin zwar eine Frau, in erster Linie aber ein Mensch. Sicherlich habe ich weibliche Qualitäten, aber ich habe auch männliche. Ich fühle mich in einer Frauengemeinschaft nicht unbedingt solidarischer und wohler als unter Männern – oft im Gegenteil.

HB: Das geht uns Mimosen natürlich runter wie Honig. Vielen Dank für das Gespräch.

 

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telepolis01.11.2004

Das Markenregister wird mit immer abstruseren Werbe-Slogans zugemüllt, der Markenschutz zur Allzweckwaffe gegen die Mitbewerber

Nicht immer, aber immer öfter melden Global Player und kleine Klitschen ihre Werbe-Slogans beim Deutschen Patent- und Markenamt ( DPMA [1]) oder dem europäischen Harmonisierungsamt   HABM [2]) an. Die Einordnung aller möglichen Slogans als schützenswertes Gut nimmt groteske Formen an, das DPMA-Register gilt als verstopft und mit ungenutzten und unnützen Marken zugemüllt. „Heul doch!“, „Ich bin da“, „Du kannst“ – selbst Floskeln wie „Unter uns“ sind inzwischen in privater Hand und genießen den Schutz des Markengesetzes. Ist es nur noch eine Sache der Zeit bis die Hardware-Hersteller gleich neben das €-Zeichen das © auf die Tastatur legen?

Es ist bekannt: Die Eroberung der Käuferherzen erfolgt heute nicht mehr über die Güte der Ware, sondern deren Prestige. Dass Unternehmen ihre Slogans, neudeutsch „Claims“, rechtlich sichern, ist Resultat der Entwicklung von der Qualität des Produkts zu dessen Image. Heute sind die Artikel-Assoziationen im Kopf des Kunden wertvoller als das Produkt selbst. Die Macht der Marke beruht weithin auf ihrem immateriellen Wert.

Wer muss bei dem Satzfragment „Nichts ist unmöglich…“ nicht automatisch an den japanischen Automobilhersteller denken? Wem es gelingt seine Werbe-Kampagne auf die sprachliche Essenz eines knackigen Slogans einzudampfen, der ist dem Herz des Kunden schon ein Stück näher gekommen. Jede noch so ausgebuffte Produkt- oder Dienstleistungsstrategie bleibt luftleer, wenn sie nicht mithilfe der Werbung mit den Wünschen und Vorstellungen des Kunden spielt. Geht das Kalkül auf, verselbstständigt sich der Slogan und ist in aller Munde; im Bewusstsein des Kunden verbindet dann stets ein dünner Bewusstseinsfaden den Slogan mit dem Produkt.

Unternehmen suchten schon früher ihre Kundenbindungssprüche rechtlich abzusichern. Nur stand dem Jahrzehnte lang die Eintragungspraxis des DPMA und die Rechtsprechung der Patentgerichte entgegen. Aber über die Jahrzehnte wurde die Schutzfähigkeit von Slogans immer mehr ausgeweitet und ein Ende ist nicht in Sicht.

Ein Blick zurück in die Geschichte der Slogans in Deutschland zeigt das Ausmaß der Veränderung. In der Zeit vor der Einführung des Markengesetzes im Jahre 1995 wurden nur solche Werbesprüche eingetragen, die auf einen spezifischen Geschäftsbetrieb hinwiesen. So erschien meist der Firmenname des Herstellers oder eine bereits als Marke geschützte Bezeichnung im Reklamespruch: „Genießer trinken Doornkaat.“-Slogans, die weder Firmenname noch eine Marke enthielten, wurden damals regelmäßig als eintragungsunfähig angesehen. DPMA, Bundespatentgericht und Bundesgerichtshof (BGH) stellten mehrmals fest, dass solche Spruchfolgen als „allgemein reklamehaft“ zu gelten haben, weil sie dem allgemeinen Sprachgebrauch entnommen wären.

„Phantasievoller Überschuss“ ist der Zauberstab

Zu einer ersten Aufweichung dieser Praxis kam es nach Inkrafttreten des Markengesetzes. Das Bundespatentgericht gab Klagen von Firmen statt, die ihren Slogan unbedingt geschützt sehen wollten. Ab jetzt reichte es aus, Worte ungewöhnlich miteinander zu kombinieren oder sie in einen neuen Zusammenhang zu stellen. Das neue Zauberwort hieß „phantasievoller Überschuss“, und dieser war schon gegeben, wenn der Slogan mit seinem Wiedererkennungswert eine betriebliche Hinweiswirkung verband. Einfacher gesagt: Wenn der Slogan ungewöhnlich klang und keine im Sprachraum gebräuchliche Wortfolge für den Artikel darstellte, dann war er eintragungswürdig. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Ein Beispiel: So erstritten ein Hersteller einer Margarine die Eintragung der Wortmarke „Du darfst“ ins Markenregister und eine Firma für Haushaltsgeräte den Begriff „Zisch & Frisch“. Die Richter waren der Meinung, dass „Du darfst“ eine unvollständige Aufforderung darstellte, deren gedankliche Ergänzung durch den Kunden den Kriterien des „phantasievollen Überschusses“ entsprach. Im Urteil zu den Küchenmaschinen machte die Lautmalerei des „Zisch“ in Zusammenhang mit dem „Frisch“ bei den Richtern Eindruck. Im selben Jahr (1997) hatten der 26. Senat des hohen Gerichts allerdings den Slogan „IS EGAL“ abgeschmettert. Da fragte sich der abgewiesene Getränkeabfüller, wenn „Du darfst“, warum „IS“ das dann nicht „EGAL“?

Zisch&Frisch öffnete die Schleuse, es folgte eine Flut von Klagen, die von den Gerichten mit immer spitzfindigeren Jurisdiktionen beantwortet wurden. Die Branchen bemühen sich um kurze, originelle und möglichst witzige Wortfolgen, um die begehrte Eintragung beim Markenamt zu erhalten. Diese gilt zunächst für zehn Jahre, ist aber beliebig oft verlängerbar und damit unsterblich.

Die Rechtsprechung des Bundespatengerichts wurde nahezu unberechenbar. Die Patenanwältin Alexandra Fottner spricht vorsichtig von einer „sehr subjektiven Auffassung“ des Gerichts hinsichtlich der Schutzfähigkeit von Werbeslogans. So wurde „Energie mit Esprit“ als eintragungsfähig angesehen, während „Partner with the Best“ diese Ehre nicht zuteil wurde. Einem Badener Radiosender wurde das zu bunt, er zog vor den BGH um seine kreative Wortfolge „Radio von hier, Radio wie wir“ durchzuboxen. Mit dem dann folgenden richtungsweisenden Beschluss des BGH trat die rechtliche Absicherung der Slogans in die dritte Phase ein.

Der BGH stellte in dem wegweisenden Urteil am 8. Dezember 1999 fest, dass an Slogans keine höheren Anforderungen als an andere Wortmarken (wie „IKEA“) gestellt werden dürfen. Seither können flotte Wortkombinationen für eine oder gar mehrere der 45  Produktklassen [3] immer dann angemeldet werden, wenn sie eine deutliche Unterscheidungskraft besitzen.

Erst anmelden, dann weitersehen

Heute ist es nur noch die vermeintliche Originalität und Prägnanz des Slogans, die zur Entscheidung über die Eintragung herangezogen werden. So hob der BGH einen Beschluss des Bundespatentgerichts aus dem Jahre 1997 auf, der den Begriff „Unter uns“ noch als lexikalisch nachweisbare Redensart und allgemein gebräuchliche Redewendung angesehen hatte.

Dem entgegen sah der BGH in „Unter uns“ eine originelle Verkürzung des Satzes „unter uns gesagt“. Aus der Verkürzung resultiere, so der BGH, eine Mehrdeutigkeit, die der Kunde auflösen muss. Mehr noch, der Slogan könne auch in einem sozialen Sinne interpretiert werden, wonach der Kunde mit dem Erwerb des Produktes zu einer Gemeinschaft gehöre, wobei diese Gruppe unklar bliebe. Angesichts dieses juristischen Feinstricks murmelten einige Anwälte dann doch: „Ich bin doch nicht blöd.“

Die  UFA [4] nahm das Urteil dankbar an, sie hat sich den Titel ihrer Soap „Unter uns“ nicht nur in der Leitklasse 41 (Erziehung, Unterhaltung), sondern in 20 weiteren Klassen (darunter Seifenprodukte, Büromaterial und Schmuckwaren) schützen lassen.

Allein Elektro-Gigant Siemens hat über 3.000 Marken in allen möglichen Klassen angemeldet. Das Problem: Das DPMA überprüft nur die in § 8 des Markengesetzes genannten „absoluten Schutzhindernisse“, das sind solche Marken, die „ausschließlich aus Zeichen oder Angaben bestehen, die im allgemeinen Sprachgebrauch oder in den redlichen und ständigen Verkehrsgepflogenheiten zur Bezeichnung der Waren oder Dienstleistungen üblich geworden sind“. Um dies zu verdeutlichen: Die Wortmarke „Bester Regenschirm“ ist als Bezeichnung für Regenschutz gängig, besäße aber für Geldschränke (Klasse 6) durchaus die erforderliche Unterscheidungskraft.

Ist die Hürde des § 8 genommen, kann der Slogan theoretisch auf alle der 45 Klassen ausgedehnt werden. Erst wenn sich ein Mitbewerber daran stößt, dass diese Wortmarke in einer – aus seiner Sicht – falschen Klasse eingetragen ist, wird es spannend; es wird geklagt. Vor dem Bundespatentgericht kommt es jährlich zu über 2.000 Markenrechts-Prozessen über ähnlich lautende, abgewiesene oder unbenutzte Marken. Allerdings können sich kleinere Unternehmen diesen kostspieligen Rechtsweg nicht leisten, der Kampf gegen die Rechtsabteilungen großer Handelskonzerne wird gescheut.

Markenrechtsexperten wie Volker Jänich, Professor für Bürgerliches Recht und Gewerblichen Rechtschutz an der Universität Jena, weisen deshalb darauf hin, dass mit der Ausdehnung des Markenschutzes die Beschränkung des Verhaltenspielraums der Mitbewerber einhergeht. „Natürlich ist das Markenrecht auch ein Monopolisierungsrecht“, gibt Jänich zu bedenken, „und durch hohe Prozessrisiken sowie die immanente Drohfunktion eingetragener Schutzrechte droht heute eine Erlahmung der ökonomischen Entwicklung.“ Mit anderen Worten: Weil immer mehr Marken und Slogans geschützt sind, wird der Raum für die Ideen neuer Unternehmungen eng.

Die extreme Ausweitung des Schutzbereichs für Wortmarken lässt sich allerdings statistisch schwer untermauern. Beim DPMA schlüsselt man die eingetragenen Wortmarken nicht nach Slogans und normalen Wortmarken (NIVEA) auf. Über die Jahre ist die Zahl der angemeldeten Wortmarken konstant: Durchschnittlich werden im Jahr an die 60.000 dieser Marken angemeldet, beim europäischen Pendant, der HABM, noch einmal etwa 30.000. Zur Zeit sind in Deutschland rund 1 Million Marken geschützt.

Um ihren guten Namen gesichert zu sehen und Trittbrettfahrern, aber auch Wettbewerbern keine Chance zur Entfaltung zu geben, melden beispielsweise Konzerne wie der Autohersteller „Jaguar“ ihre Marke in für sie eigentlich abstrusen Markenklassen an. Der englische Fabrikant möchte vermeiden, dass ein Schokoladenhersteller auf die Idee kommt, seinen schnittigen Riegel „Jaguar“ zu nennen. Erst anmelden, dann weitersehen.

So werden ganze Branchen von der Nutzung eingängiger Produktbezeichnungen abgehalten. Auch hier muss das DPMA untätig zusehen, wie immer mehr Wortmarken das Register füllen. Das Amt sieht sich außerstande zu überprüfen, ob die angemeldete Marke überhaupt genutzt wird oder nur der präventiven Abwehr dient. Zwar wird eine Marke, wenn sie fünf Jahre lang nicht genutzt wurde, gelöscht, aber auch diesen Nachweis muss ein Konkurrent vor Gericht und nicht das DPMA führen.

Schwierig wird die juristische Interpretation des Markengesetzes auch dort, wo eine neue Wortkombination gerade erst auf dem Weg in den allgemeinen Sprachgebrauch sind. So trug das Markenamt in den euphorischen Tage der frühen Internet-Ära Marken wie „Explorer“ ein. Später löschte das DPMA einige der Eintragungen wieder, andere dieser Prosa, wie etwa „Site Promotion“, sind noch heute geschützt.

Aber nicht nur die Startups machen den Angestellten bei DPMA zu schaffen. Im September des vergangenen Jahres ließ sich die Firma Zentis die Marke „Caffe Latte“ schützen. Damit ist nun auch die Jahrzehnte alte und wohlbekannten Bezeichnung für Milchkaffee in Firmenbesitz. Der Trick bei der Anmeldung: Die Anwälte von Zentis meldete ihr Produkt in der Leitklasse 29 (Milchprodukte) an, unterließen aber in der Erläuterung die explizite Bezeichnung ihres Erzeugnis; von „Kaffee mit Milch“ oder einem Mixgetränk ist nirgendwo die Rede. Dennis Sevriens, Anwalt für Markenrecht in Berlin, spricht von „einem üblichen Vorgehen“, würden damit doch „die Prüfer beim DPMA auf die falsche Fährte gelockt werden“. Große Unternehmen würden vermehrt Trends beobachten, um aufkeimende Begrifflichkeiten gleich als Marke zu schützen.

„Ich liebe es“: Slogan- und Markenwahn

Letzter Höhepunkt des Sloganhypes ist die Eintragung des Gemeinplatzes „Ich liebe es“ durch McDonald’s. Das DPMA erklärte den Claim als ungewöhnlich genug zur Bezeichnung von Fast-Food und trug ihn brav ins Register ein. Die deutsche Werbeagentur Heye & Partner „erfand“ diesen Slogan und gewann einen von der Hamburger-Kette ausgeschriebenen Wettbewerb damit. Wo früher nur ausgedehnte Hirnakrobatik oder der geniale Einfall honoriert, geschützt oder patentiert wurde, landet heute jede morgendliche Eingebung unter der Dusche bereits am Nachmittag beim Markenamt. Grenzen dafür, das Sätze in den Besitz von jemand übergehen, scheint es zur Zeit kaum zu geben. Alles nach dem Motto: Geiz ist geil.

Nichts ist unmöglich. Das Markengrabbing wird durch die Arbeit des 1993 gegründeten Harmonisierungsamtes für den Binnenmarkt noch verstärkt. Hier reicht ein Eintrag und der Slogan ist für den gesamten europäischen Raum gesichert. Die im spanischen Alicante sitzende Institution hat seit Beginn ihrer Tätigkeit die Anforderungen an Reklamesprüche nicht hoch angesetzt. Sie gab den Grundsatz der bis dahin für Slogans nötigen Kürze, Prägnanz und Mehrdeutigkeit auf. 1999 gab das Amt einer Firma Recht, die den Satz „Beauty isn’t about looking young but looking good“ gesichert sehen wollte. Auch Satzungetüme wie „the best british clothing for the worst british weather“ sind mittlerweile eingetragen.

Fachanwälte wie Fottner sind überzeugt davon, dass im Zuge der europäischen Harmonisierung auch der BGH nicht mehr starr an dem Grundsatz der Slogan-Kürze festhalten wird und „zukünftig auch längere unterscheidungskräftige Wortfolgen zur Eintragung zulassen wird“.

Durch die Akzeptanz der Anglizismen werden die Werbesprüche international übergreifend. Mit dem Schuh ist auch die Nachricht vom „Just do it“ im hintersten Andendorf angekommen. Der Nike-Treter klebt am Fuß, die mit ihm vermittelte „Message“ haftet im Hirn. Heute kauft man weniger das Produkt selbst, sondern den damit verbundenen Lebensstil, der Gebrauchswert rückt merklich hinter den Symbolwert zurück. Deshalb ist die Frage für Unternehmen heute nicht „Was biete ich?“, sondern „Wie wirke ich?“. Aus der Mixtur von Vertrauen (statt Nutzen) und der Fokussierung auf die Stil-, statt die Zielgruppen wird heute das erfolgreiche Marketing-Rezept gebraut. Die Verbildlichung des Stils zum Image leistet das Logo, die Verbalisierung der Slogan.

Nicht umsonst heißt der Slogan unter Werbern auch „Claim“, ein Ausdruck aus dem Wilden Westen, der das Abstecken des eigenen Besitzes mit Grenzpfählen besagt. Slogan wiederum bedeutet soviel wie „Schlachtruf“. Das „Branding“ einer Marke lehnt sich ebenfalls an den Cowboyslang an. Damals brannte man dem Vieh sein Zeichen ein, auch heute steht der Kunde als Ochse auf der Weide der bunten Warenwelt, um von einer Firma ihren Code ins Hirn gebrannt zu kriegen.

Deutsche Kaufmänner zeigen keine Scheu vor der englischen Sprache, wohl wissend, dass die Bevölkerung sich mit den Anglizismen längst angefreundet hat. Auch hier sind es die seltsamsten Verheißungen, die ihren Eingang in die Kartei finden: „eat the best…“, „feel the best…“, „think the best…“, und natürlich auch „be the best…“ sind alle fest in deutscher Hand bei den Ämtern. Die deutsche Wirtschaft zeigt sich ohnehin äußerst markenfreudig. Rund 25% der beim europäischen HABM registrierten Marken stammen aus den USA, gleich dahinter liegen deutsche Firmen mit 17%.

Mittlerweile treibt der Eintragungswahn Blüten. Der Satz „Ich bin Christ“ ist seit einem Jahr als Wort-Bildmarke geschützt und befindet sich nicht in den heiligen Händen des Klerus, sondern in Klasse 41 (Erziehung, Unterhaltung) wieder. Ein kluger Mann aus dem Ruhrpott hat einen Trick angewendet, der unter Markenmaniacs immer beliebter wird. Da die Wortfolge „Ich bin Christ“ allein nicht schutzwürdig wäre, kombinierte er den religiösen Claim mit einem Logo und ließ sich die so entstandene Marke auch gleich für Schreibwaren und Bekleidungsstücke schützen.

Wer nun aber glaubt, er darf auf dem nächsten Kirchentag seine Konfession nicht mehr auf dem T-Shirt zur Schau tragen, der liegt verkehrt. Das Markenrecht zielt allein auf den Geschäftsverkehr, der private Gebrauch und auch die Ironisierung von Slogans und Wortmarken ist legal. „Ich liebe es“ darf also bei Happenings auf vergammelten Burgern stehen und auch der Spruch „Die längste Praline der Welt“ darf auf einer Jeans prangen. Auf diese Steine können Sie bauen. Konfliktschwanger wird es erst, wenn ein kleiner Textilien-Fabrikant einen bekannten Slogan auf eine ganze Serie von T-Shirts druckt und diese vertreibt.

Heute reicht schon ein Buchstabendreher oder ein Akcent, damit eine ursprünglich Wortmarke zur Wort-Bildmarke aufgebläht wird. Statt „Marke“ wird dann „Márke“ reserviert, die Konkurrenz wird später bei Eintragungsversuchen von „Marke“ auf „Verwechselungsgefahr“ verklagt.

Hypertrophie der Schutzrechte

Kommunikations- und Werbeexperten wie der Hannoveraner Juniorprofessor Jannis Androutsopoulos erforschen die Kunst der Werbung sowie Lust und Frust der Kundschaft. Androutsopoulos sieht den kontinuierlich anwachsenden Schutz für Slogans schlichtweg als das Ergebnis der Evolution von Werbung: „Noch bis in die 70er Jahre hinein hätten die Normen der Werbung keine dialogische und umgangssprachliche Werbesprüche attraktiv erscheinen lassen.“

Auch die Kompetenz des Rezipienten, Lücken im Slogan zu schließen, nähme sicherlich im Laufe der Werbe-Sozialisation zu. „Insofern“, so der Fachmann für Medienkommunikation, „kann ‚Du darfst‘ nur in einer eingespielten Werbegesellschaft funktionieren“. Für die Zukunft sagt Androutsopoulos eine Werbung voraus, die immer fragmentarischer und kryptischer daherkommt.

Wohin die Okkupation der Wortfolgen führt, weiß zur Zeit keiner so genau. Androutsopoulos gibt Entwarnung. Er sieht die Alltagssprache als Fass ohne Boden, die sich ständig erneuert. Angst vor dem Ausverkauf der Worte bräuchte niemand zu haben: „Die Elemente der Sprache sind zwar finit, aber ihre Kombinationsmöglichkeiten unendlich. Und solang nur Kombinationen und nicht auch ihre Bestandteile patentiert werden, lässt mich dies doch noch hoffen.“

Juristen wie Volker Jänich sehen dagegen mit Sorge auf die Sonderrolle des Markenrechts, „dem einzigen Schutzrecht“, so Jänich, „das zeitlich unbegrenzt wirkt“. Trotz oft vergleichsweise geringer Mühen beim Entwurf eines Slogans stehe diesem ein ewiger Schutz zu. Dagegen ist die sogenannte „Schöpfungshöhe“ in anderen Bereichen des geistigen Eigentums nicht nur erheblich schwerer zu erreichen, das Urheber- und Patentrecht kennen auch zeitliche Begrenzungen, nach denen die Ergüsse des Erfinders an die Allgemeinheit fallen.

Auch die von Markengesetz und DPMA beschworene „Unterscheidungskraft“ von Slogans verkommt inzwischen zur Makulatur, ist doch selbst der Begriff, der dafür erfunden wurde eben keine Unterscheidungskraft zu besitzen, in diversen Markenklassen eingetragen: „Nichts“.

Bei den Domains geht es auch gegen Privatpersonen

Wo bislang nur Werbeagenturen und Firmen sich gegenseitig ihre Marken und saloppen Sprachfetzen streitig machten, zielen deren Rechtsabteilungen neuerdings auch auf Privatpersonen, um diese beispielsweise von dem Gebrauch von Internetadressen abzuhalten, die mit dem Firmennamen in Verbindung gebracht werden könnten. Die Registrierung einer Domain im weltweiten Netz ist Minutensache – und kostet knapp 20 Euro. Heerscharen von agilen Bürgern und Kleinunternehmern melden immer wieder Domains bei der DENIC, der deutschen Vergabestelle für die international erreichbaren Adressen, an, die als Bestandteil einen großen Namen führen. So nannte ein Autoteile-Händler seine Seite etwa www.bmw-teile.de, ein anderer seine Präsenz www.bmwwerkstatt.net.

Die Gerichte urteilen hier zumeist zugunsten der Marke. Begründung: Wo BMW draufsteht, da soll auch BMW drin sein. Es dürfe nicht, so die Richter, der Eindruck entstehen, als ob BMW die Tätigkeit der Inhaber überwachen und eine dauerhafte Vertragsbeziehung bestehen würde.

Wem dies noch klar erscheint, der wird bei den sprachlich stärker eingebundenen Domains schon eher zweifeln. Der Betreiber der Domain www.metrosexuals.de erhielt von dem Handelskonzern METRO die Aufforderung, seine Domain zügig zu löschen. Die Anwälte sehen in der Domain keinen Platz zum Austausch für gepflegt-urbane Männer a la David Beckham, sondern eine Gefahr für die Integrität der Firma.

Der Rechtsstreit läuft, der Kampf um das Eigentum an Worten und Sätzen geht in eine weitere Runde. Juristen werden zukünftig immer häufiger zu klären haben, wo der Schutzbereich einer Marke aufhört und wo die Freiheit eines anderen Unternehmen, die künstlerische Verwendung durch Künstler oder die pure Freizeitlust der Privatperson anfängt. Es droht eine rechtliche Grauzone, in der jeder Domaininhaber damit rechnen muss, Ziel der Verteidigungsstrategie großer und kleiner Wirtschaftsunternehmen zu werden. Wie würde die Metro wohl auf einen Dietmar Hamann Fanclub reagieren, der sich die „Metronomen“ nennt und eine gleichlautende .de Domain anmeldet? Oder gibt es bereits Bestrebungen bei der METRO, den Verein Namens „Pro-Bahn“ für den Begriff „Metro-Express“ abzumahnen, den dieser für die Einführung eines schnellen Zugstrecke zwischen Köln und Dortmund nutzt? Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen.

Der neueste Kniff unter Markengrabbern ist es, die Titel urheberrechtlich geschützter Werke, deren Schutz abgelaufen ist, als neue Marke eintragen zu lassen. So ist beispielsweise der Titel des Kinderbuches „Alice im Wunderland“, 1864 von Lewis Caroll veröffentlicht, in Händen einer Merchandising-Tochter der ProSiebenSat.1 Media AG. „Tom Sawyer“ wiederum haben sich verschiedene Firmen für Tabak, Wassersportgeräte und alkoholische Getränke schützen lassen. Das literarische Kulturerbe wird zur wertvollen Quelle für das Markendesign, bestehen doch beim Kunden bereits fest etablierte, positive Assoziationen zur Wortmarke.

Beliebt ist es neuerdings auch die Namen berühmter Personen als Marke anzumelden. Ob „Ludwig van Beethoven“ oder „Wolfgang Amadeus Mozart“, „John F. Kennedy“ oder „Konrad Adenauer“: Sie alle stehen mittlerweile mit ihrem Ruf für ein Produkt gerade. „Bill Clinton“ muss sogar für ein Aphrodisiaka herhalten. Um das ohnehin schon aufgeblähte Markenregister nicht zu einem Sammelsurium fragwürdiger Slogans und kulturell besetzter Bezeichnungen verkommen zu lassen, diskutieren die Juristen nun, ob solche Anmeldungen nicht den Tatbestand der „Bösgläubigkeit“ erfüllen und zukünftig vom DPMA schon im Vorwege abgelehnt werden sollten.

Was bleibt? Während es für Unternehmen zunehmend schwieriger wird eine neue Marke zu etablieren ohne in den Rechtskreis eines Mitbewerbers einzudringen, ändert die Schlacht um Worte für den Kunden wenig. Er ist weiterhin Ziel des die Marke umgebenen Marketings, seine soziale oder künstlerische Entfaltung behindert die Omnipräsenz der Marke kaum – sieht man einmal von den Verwechselungsgefahr bei Domainnamen und der juristisch schwer anfechtbaren mentalen Verschmutzung durch den alltäglichen Werbemüll ab.

Schon vor Jahren holte deshalb die Satire-Zeitschrift „Titanic“ zum polit-ökonomischen Gegenschlag aus. Ihre Antwort auf den mit einer Kampagne unterstützten Namenwechsel des Knusperriegels „Raider“ auf das heute bekannte „Twix“ hieß: „Haider heißt jetzt Wix, sonst ändert sich nix“.

Links

[1] http://www.dpma.de/
[2]
[3] http://www.dpma.de/
[4] http://www.ufa.de/

Telepolis Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/special/eco/18689/1.html

 

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Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit Joseph R. Pietri dem König von Nepal

HanfBlatt, Nr. 91, Oktober 2004

Ein Interview mit dem Haschischschmuggler Joseph R. Pietri

Der 1947 geborene Amerikaner Joseph R. Pietri verdiente sich in den 60er Jahren als Hippie in New York durch den Handel mit Haschisch und Pot seinen Lebensunterhalt. Schliesslich entschied er sich 1970 direkt an die Quellen des besten Haschisch der Welt zu gehen und selbst Schmuggler zu werden. Er landete in Nepal, wo zu diesem Zeitpunkt Cannabisprodukte noch völlig legal waren und stieg dort groß ins Geschäft ein. Bereits seit Jahren verfolgt von den US-Behörden wagte er es schließlich 1991, sich als einer der ersten Westler kurz nach der Öffnung des kommunistisch regierten Laos in dessen Hauptstadt Vientiane niederzulassen und dort die erste Bar nach amerikanischem Vorbild zu eröffnen. Obwohl zum damaligen Zeitpunkt in Laos Ganja ganz legal auf den Märkten erworben werden konnte und kein Auslieferungsübereinkommen mit den USA bestand, wurde Pietri auf Druck der US-Behörden in Auslieferungshaft genommen. Seine langjährigen Erfahrungen als bedeutender Cannabisschmuggler und -feinschmecker brachte er dort ohne unnötiges Bedauern zu Papier und hat sie dann neun Jahre später im Jahre 2001, nachdem praktisch etwas Gras über die Sache gewachsen war, unter dem Titel „The King of Nepal“ veröffentlicht. Dieses aufregende Werk ist ein wahrer Leckerbissen und nicht weniger spannend als die abenteuerliche Autobiographie von „Mister Nice“ Howard Marks. Heute lebt Pietri in Colorado/USA und hat es tatsächlich geschafft, dass er auf Grund eines durch Nierenkrankheit bedingten Nervenschadens und Hepatitis C als Medizinischer Marihuana Patient mit offizieller Erlaubnis der Gesundheitsbehörde sein eigenes Gras anbauen darf!

az: Wer ist „Der König von Nepal“?

Pietri: Ich habe in Nepal das Leben eines Hippie-Königs gelebt. Der Titel repräsentiert auch die Königliche Familie von Nepal. Aber der wahre König von Nepal ist das legendäre Haschisch, das dort gewonnen wird. Ein alter Freund von mir, Rod Fry, brachte Mitte der Siebziger Jahre den Nepalis bei, wie man Haschisch nach der afghanischen Methode (mittels Siebung) herstellt, was eine enorme Verbesserung gegenüber handgeriebenem Haschisch bedeutet. Auf Grund meiner Verbindung zu seiner Heiligkeit dem Chine Lama und dessen Verbindungen zu König Mahendra war ich in Nepal praktisch unantastbar. Zeitweise arbeiteten die Polizei und das Militär für mich.

Joseph R. Pietri

az: In deinem Leben als Dealer und Schmuggler hast du alle möglichen Gras- und Haschischsorten genossen. Ein populärer Mythos behauptet, dass das Homegrown Sensemilla von heute stärker sei als die Importvarietäten der alten Hippiezeiten. Was entgegnest du darauf?

Pietri: Das Homegrown Sensemilla von heute ist nicht stärker als das Homegrown Sensemilla der 60er. Die Super Sativa Sorten, die aus Mexiko (in die USA) kamen, wie „Acapulco Gold“ und „Michoacan“ waren fantastisch. Ich hatte einen Kumpel, der flog sein Sensemilla, das er auf seiner Finca in Mexiko anbaute, verpackt in Styropor ein, jeder Blütenstand so groß wie ein Glied deines kleinen Fingers. Einer war wie „black frog´s lip“ und ein anderer „burnt orange“. Aber wirklich beherrschte in jenen Tagen Haschisch den Markt, genauso wie es das in Europa in den 60ern und 70ern tat. Es ist erst in den letzten 20 Jahren geschehen, das die Szene in Europa zu Gras gewechselt hat, und es war dasselbe in den Staaten. In den alten Zeiten hatte ich manchmal zwei Dutzend verschiedene Sorten Haschisch. Es ist ein Witz, das irgendjemand glauben könnte, dass das Dope von heute stärker ist als das in früheren Jahren. Aber die Regierungspropaganda marschiert weiter. Nebenbei bemerkt, die Super Sativa Sorten aus Mexiko wurden von Nixon zerstört, als er die Marijuana-Pflanzungen 1973 mit „Paraquat“ (einem Pflanzenvernichtungsmittel) besprühen ließ. Für ungefähr 10 Jahre konnte man wegen der Sprühungen kein mexikanisches Gras abgeben. Dafür begann zur selben Zeit kolumbianisches Weed den Markt zu übernehmen. Niemand wird vergessen, wie es war, als er das erste mal „Columbian Gold“ oder „Red Super Sativas“ geraucht hat. Zuletzt sollten wir nicht die ganzen super Thai-Sorten vergessen, die in den 70ern und 80ern reinkamen. Einige waren so stark, dass ein einziger fetter Joint dreissig Leute high machen konnte. Du brauchtest nur einen Zug. Erinnert sich irgendjemand da draussen an das unter Stickstoff vakuumverpackte Thaigras, das einen Doppeladler auf die 1000g-Packungen gestempelt hatte?

az: Kein erfahrener Langzeitraucher vergisst das beste Dope, das er mal geraucht hat. Kannst du deine Favoriten nennen, nur um die Münder des Publikums mal ein wenig wässerig zu machen? Pietri: Ich mochte besonders gern den „Roten Libanesen“, der in 6-Unzen-Säcken kam. Die hatten Kirschen oder ein Bild von King-Kong oder Kamele in der Wüste draufgestempelt. Der richtig schön klebrige Rote kam in kleinen Säckchen. Ich mochte sehr gern das rote und goldene Gras aus Laos, Super Sativas, die es bis zum heutigen Tag gibt, auf dem Markt in Vientiane neben den Tabakständen erhältlich. Aber mein Favorit für alle Zeiten ist Nepalese oder Kashmiri-Hasch, hergestellt auf afghanische Art. Ich bin immer noch ein Hasch-Man. Ihr könnt mir jederzeit ein Piece Afghanen geben. Aber leider muss ich mir heutzutage meinen Eigenen machen!

az: Ein anderer Mythos besagt, das besonders starkes oder einschläferndes Haschisch mit Opium versetzt wurde. Was hat es damit auf sich?

Pietri: Es ist ein Mythos, dass das Weiße, was man auf handgepresstem Haschisch sehen kann ein Zeichen für Opiat ist. Tatsächlich ist es Schimmel von der Feuchtigkeit der Pflanze, wenn man sie mit der Hand reibt. Normalerweise ist Haschisch nicht mit Opium verfälscht. Das einzige wirklich mit Opium versetzte Haschisch, das ich jemals gesehen habe, war einmal, als ich 40 Kilo hatte, die eine Zeit lang herumgelegen hatten. Ich mischte es mit 10 Kilo Opium, und es kam drüben in Cincinnati groß raus. Manchmal mixen sie in Bombay Opium in das Hasch und Gott weiß, was sonst noch. Sie nennen sie „Gullies“, kleine schwarze Bälle, 20 in einer Packung. Man kann sein Haschisch speziell mit Opium gemischt bestellen, aber das ist selten. Opium ist kostspieliger als Haschisch, das ist ein Grund.

az: Warum hast du dich 1970 entschieden nach Nepal zu reisen und selbst ein Haschischschmuggler zu werden?

Pietri: Ich war auf der Flucht und Nepal schien ein guter Platz zu sein um abzutauchen. Mehr oder weniger durch Zufall landete ich dort. Ich ging dort hin, um einen Deal zu machen und blieb. Es war Hippie-Nirvana, Kathmandu, keine Gewalt, kein Verbrechen. Alles was du als deine Medizin bezeichnet hast, war legal. Es war immer mein Pfeifentraum, einmal die Haschhöhlen von Asien zu besuchen. Tatsache ist, dass ich ein sehr lukratives Ding am laufen hatte und es bis zum Ende ausgespielt habe.

az: Wie waren die Bedingungen, die du damals in Nepal vorgefunden hast?

Pietri: Nepal war Hippie-Nirvana. Ich lebte in Boudha in einem der Häuser des Chine Lamas. In jenen Tagen lebten auch die dänischen Schmuggler in Boudha. Die meisten meiner Freunde damals waren Europäer. Ich wurde eine Industrie in Boudha und eine Menge Leute hingen von mir ab um Geld zu machen. Ich unterstützte soviele Leute dort, dass ich nach einer Weile das Gefühl hatte, ich würde für sie arbeiten. Ich hatte Privilegien, die ich niemals zuvor erfahren hatte. Ich saß zu Füßen des Groß-Lamas von Boudha, und durch ihn traf ich den König von Mustang, alle der höchsten Lamas, die aus Tibet entkommen waren. Irish Patrick, der sich durch die Jahre als großartiger Freund erwies, traf ich in Boudha, genauso wie Afghan Ted, manchmal auch Ted the Hun genannt. Detlef Schmidt war ein großer Freund. Wer könnte jemals Ted the Hun vergessen, wie er in seinem Mercedes-Krankenwagen nach Boudha reindonnerte mit seinen afghanischen Kampfhunden und seinem Harem und dem besten handgepressten Afghanen, den du jemals gesehen hast. Einmal hatte ich eine Barbecue-Party, auf der die Dänen ein Wildschwein rösteten, und ich röstete meine Interpol-Akte, die ich der Einwanderungsbehörde abgekauft hatte. Was für eine Party.

az: Und wie kam es in Nepal zu einem Ende?

Pietri: In der Mitte der 80er gab es eine Art Inquisition. Als ich 1981 nach Nepal zurückkehrte, benutzte ich meine wirkliche Identität, was die Nepalesen richtig verwirrte. Ich war immer noch Will, und wenn du nach Joe fragtest, wusste niemand von wem du sprachst. Ich glaube es war 1986 als Henry Kissinger nach Nepal kam. Sie kauften zwei Kilo reines Heroin auf der Straße und konfrontierten den Generalinspektor der Polizei (IGP) damit. Sie drohten alle fremden Hilfen abzuschneiden, wenn nicht der Heroinhandel aus Nepal unterbunden würde. Um Kissinger zu beschwichtigen ließ der IGP jeden Langzeitbewohner Kathmandus ausländischer Herkunft verhaften. Überfallkommandos mit Drogenspürhunden durchsuchten Wohnungen. Über Nacht kamen 200 Westler in den Knast und viele Nepalesen. Die Nepalesen wurden gefoltert, und auf die Frage, wer der größte amerikanische Dealer sei, gaben sie mich preis und schließlich fanden sie heraus, dass Joe Will war. Ich war Nummer Eins auf ihrer Liste derer, die aus dem Geschäft in Nepal rausgeschmissen werden sollten. Einige Leute entkamen der Inquisition und schafften es bis nach Bangkok. Ich auch. 1988 ging ich zurück, musste aber im Untergrund leben, weil es Haftbefehle auf mich gab. Ich blieb zwei Wochen, gelangte wieder zurück nach Bangkok und bin seitdem nicht mehr dortgewesen.

az: Was sind die größten Risiken, auf die du bei deinen Schmuggeloperationen getroffen bist?

Howard Marks und Jospeh R. Pietri
Howard Marks und Jospeh R. Pietri

Pietri: Ich hab mein Bestes versucht, keine Risiken einzugehen. Ich war immer im Hintergrund. Die größte Gefahr war, verraten zu werden. Ich erinnere den Moment als wir im Büro des Generalinspektors der Polizei in Srinagar Kashmir waren. Er befragte meinen Freund und mich über unser Geschäft. Wir hatten diesen riesigen Mercedesbus, der in Geheimfächern mit Haschisch gefüllt war. Wir erklärten, dass wir den Bus benutzen würden um Touristen aus Bombay hochzubringen. In diesem Moment zieht er ein paar Kilo Haschisch aus seiner Schublade und sagt uns, wir seien im falschen Geschäft und dass wir für ihn arbeiten und sein Haschisch zu seinen Verbündeten nach Bombay bringen sollten. Wir erzählten ihm, dass es zu gefährlich sei und wir zu ängstlich sein würden. In dieser Nacht bewachte die Polizei einen schon vollgeladenen Wagen. Das war ziemlich haarig.

az: Ist es das Aufregende am Schmuggeln oder nur das Geld oder die fehlenden Alternativen, die dich für so viele Jahre im Geschäft gehalten haben? Was ist das Geheimnis der Schmuggelerfahrung?

Pietri: Ich wurde abhängig von dem Geld und dem Lebensstil. Der Thrill ein Ding erfolgreich durchzuziehen ist einer der größten Thrills. Damit durchzukommen. Ich flog rein und raus aus Asien, manchmal zweimal im Monat. Das Dope-Geschäft war eines der ehrlichsten Geschäfte in denen ich jemals war. Da war Ehre und Stolz auf dein Dope und darauf es auf den Markt zu bringen. In den Staaten lief das Marihuana-Business auf Vertrauensbasis und einem Händeschütteln. Ich bekam Tonnen über Tonnen von Marihuana noch vor Bezahlung und verlor nie einen Joint. Es war ein fantastisches Geschäft solange es lief, aber 1990 hatte die DEA das Good Old Boy Marijuana-Netzwerk, das seit den 60ern operierte, ausgeschaltet. Heute ist es eine ganz andere Szene. Wir waren Gegenkulturhelden, die gegen die Blockade anliefen und die Cannabiskultur schufen, die ihr heute habt.

az: Du hast dein Leben in vollen Zügen genossen. Du hast ein Abenteuer gelebt für deine wahrscheinlich hochgradig faszinierten Leser. Würdest du jemandem einen Ratschlag geben, der dir gerne heute im Jahre 2003 in deinen Fußstapfen folgen würde um ein Haschischschmuggler zu werden?

Pietri: Ich würde niemandem raten heute in das Haschischschmuggel-Geschäft einzusteigen. Es ist zu gefährlich. Meine Empfehlung ist es, sein eigenes Gras anzubauen und sich sein Haschisch zu Hause zu machen. Das ist es, was ich tue. Ich habe einen von Mila´s Pollinatoren mit dem ich mein eigenes Hasch mache. Ich lass meine Freunde meinen Pollinator benutzen und sie lassen mir immer was zukommen, so rechnet es sich selbst. Ich hab ein bißchen großartiges Hasch aus einer Kreuzung Burmese/Fucking Incredible und aus einer Jack Herer gemacht. Ich bevorzuge den Pollinator gegenüber den Bubble Bags, weil er der afghanischen Tradition näher steht und nicht so umständlich ist. Die ganze Wasser- und Eiswürfel-Methode ist mir zu aufwendig. Wie kann man besser die Qualität kontrollieren, als wenn man selbst anbaut?!

az: Heute bist du auf einem anderen Level als in den alten Tagen aktiv im Kampf gegen den verrückten „Krieg gegen Drogen“. Was sind deine jüngsten Projekte? Wo können wir mehr von deinen Einsichten und Ansichten finden?

Pietri: Letzte Woche wurde ich von Kevin Booth von Sacred Arts Productions in Austin/Texas gefilmt. Er macht eine Drug War-Dokumentation, die 2004 im TV und auf DVD erscheinen wird. Ich wurde kürzlich auf Blackopradio.com interviewed. Ich hab außerdem eine Show auf Pot-tv.net gemacht mit dem Titel „Joe Pietri versus The not so free world“. Man kann meine Website (www.kingofnepal.net) besuchen. Da kann man auch mein Buch bestellen. Es kostet 27 USD via Paypal, und ich versende eine signierte Erstausgabe. Man kann mich auch über E-mail (jpietri@msn.com) erreichen, wenn man das Buch bestellen möchte. Aber ich möchte zum Abschluss nochmal ein klares Bild davon geben, was der „War on Drugs“ wirklich ist. Der Drogenkrieg ist ein rassistischer Krieg. Nach der Bürgerrechtsbewegung in 1965 und dem Wählerregistrierungs-Gesetz, demzufolge schwarze Menschen erstmals wählen durften, musste die herrschende Klasse dieses Landes mit etwas aufkommen, um bestimmten Teilen unserer Gesellschaft weiterhin Bürgerrechte zu entziehen. Nixon quält die Cannabiskultur immer noch von seinem Grab aus. Angenommen du wirst zum ersten mal gebustet, verlierst du all deine Besitztümer, gehst ins Gefängnis, wo du Sklavenarbeit verrichtest, wirst entlassen, bist ein Verbrecher und es ist hart einen Job zu finden. In manchen Fällen verlierst du das Recht zu wählen, eine Waffe zu tragen etc. etc.. Es ist eine WinWin-Situation für die Regierung. Man darf nicht vergessen, dass jede Region, in der harte Drogen gewonnen werden, von der CIA geschaffen wurde. Das erfolgreichste Drogenkartell aller Zeiten. Sie schufen das Goldene Dreieck, den Goldenen Halbmond, das Medellin-Kartell. Selbst heute schützen sie die Opiumfelder in Afghanistan, die praktisch das gesamte Heroin für Europa liefern. Der Hauptgrund für eine Drogenlegalisierung ist es, endlich die CIA aus dem Drogengeschäft zu kriegen. Die Realität ist, dass die CIA für jede Person in dieser Welt verantwortlich ist, die von Heroin oder Cocain abhängig ist. Die Wahrheit ist, dass die US-Regierung ihre eigenen Leute einsperrt für Drogen, die sie selbst liefert. Sie haben den Drogenhandel lange genug benutzt, um ihre politischen Ziele zu erreichen. Hier in Colorado ist Marijuana seit 1917 illegal. Zu dieser Zeit kontrollierte der Ku Klux Klan den Bundesstaat. Sie kamen ganz offen raus und sagten, wir wollen nicht, dass braunhäutige Spics und dicklippige Nigger Boden besitzen. Sie bemerkten, dass farbige Menschen Marijuana als Rauschmittel benutzten, und so kriminalisierten sie den Marijuana-Gebrauch um Mexikaner zu deportieren und Schwarze zu entrechten. Es ist dasselbe, was heute passiert. Der Drogenkrieg in den Staaten ist eine riesige Geldmachmaschine und der Preis des Ganzen ist, dass 20 % der Bevölkerung der USA zu Verbrechern gemacht werden. Über 50 Millionen Menschen haben seit 1971 ihre Rechte verloren. Jedesmal wenn sie einen Stoner abstrafen, ist es ein fauler doperauchender Commie weniger, der sie beunruhigen könnte. Das ist die Mentalität. Peace and Pot.

az: Piece and Peace.

Das Buch: Joseph R. Pietri „The King of Nepal.
high adventure hashish smuggling through the kingdom of Nepal.“
138 Seiten, Softcover
Publication Services by Indiana Creative Arts
5814 Beechwood Avenue Indianapolis, IN 46219 USA
ISBN 0-615-11928-X
19.95 USD

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Elektronische Kultur

RFID in der Warenwelt

Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 19.10.2004

Die funkenden Etiketten

Vollkommene Kontrolle über ein Produkt: Handel und Logistik prüfen den Einsatz von RFID-Chips

Der Barcode ist in die Jahre gekommen. Statt Warenmerkmale über einen Scanner einzulesen, sollen künftig die Informationen auf modernere Weise übertragen werden. Dazu werden an Gebinden oder einzelnen Gütern RFID-Chips (Radio Frequency Identification) angebracht, deren Daten von Antennen gelesen werden. Großhandel und Logistikunternehmen testen zur Zeit den Einsatz dieser oft nur wenige Millimeter großen Transistoren. Noch herrscht Skepsis, denn die Kosten für das Implementieren in den Produktionsablauf oder gar in die gesamte Warenkette sind enorm, fehlende Standards erhöhen das Risiko.

In RFID-Centern indes zeigt die IT-Branche den Großkunden die Potentiale der Transponder-Technik auf. Steht die Handelsgüterindustrie vor dem Umbruch? Eines dieser Praxis-Labors betreiben die Chiphersteller Intel und Siemens in Feldkirchen bei München. Um die Praxistauglichkeit der Transponder zu überprüfen, bringen einige der in Frage kommenden Kunden ihre zu etikettierenden Produkte gleich mit ins Labor. „Für uns ein Glücksfall“, sagt Christian Schmidt, Manager für strategische Kundenbeziehungen bei Intel. Aus einem mit Transformatoren enggepackten Karton zieht Schmidt einen der länglichen Spannungswandler heraus. „Wenn wir da einfach nur ein RFID-Tag draufkleben würden, könnte das keine Leseeinheit erkennen.“ Metalle und auch Flüssigkeiten schirmen die Signale ab, es kommt zu Fehlerkennungen. Das Labor zielt auf Großkunden, die entweder ihren internen Produktionsablauf oder mit anderen Unternehmen zusammen eine gesamte Warenkette auf RFID umstellen wollen. Bei den Kunden herrscht Sorge darüber, den Anschluß zu verlieren, Sorge aber auch, daß die Kosten den Nutzen übersteigen. Genaue Angaben darüber, was RFID im Betrieb kostet, sind schwer zu treffen. Den schnellsten „Return of Investment“ erhofft sich der Handel, schließlich sucht er die Kosten für die Smart Labels und die damit verbundene Infrastruktur auf Lieferanten und die produzierende Industrie abzuwälzen. Die Handelsgiganten Wal-Mart und Metro haben ihre wichtigsten Zulieferer schon jetzt verpflichtet, bis 2005 ihre Ware mit Funketiketten auszustatten.rfid chip

Lagerengpässe sollen dann der Vergangenheit angehören, Möglichkeiten der Rückverfolgung, Diebstahlsicherung und Bestandsoptimierung zählen zu den weiteren Vorteilen von RFID. Stecken die Waren in großen Gebinden oder Containern, lohnte bisher die Zerlegung der Ladung nicht, Schwund wurde in Kauf genommen. Fährt dagegen eine Palette mit RFID-Transpondern durch eine Antennenschleuse, soll binnen Sekunden jedes Produkt registriert werden. So die Theorie, in der Praxis hapert es meist noch mit der schnellen und sicheren Erkennung der sogenannten Tags. Die in Europa üblichen Chips funken auf einer Frequenz von 13,56 Megahertz, die dazugehörigen Hand-Lesegeräte können Signale aus maximal 20 Zentimetern empfangen. „Stationäre Antennen kommen auf 60 Zentimeter, und erst die großen, heute nur an Lagereingängen eingesetzten Gate-Antennen erfassen RFID-Etiketten in bis zu 2 Meter Entfernung“, erklärt Gerd vom Bögel vom Fraunhofer-Institut. Sind die Transponder aber von Metall umgeben, dringen die Signale nicht bis zur Antenne durch. Auch Flüssigkeiten bremsen die Übertragung. „Dazu kommt“, ergänzt vom Bögel, „daß zwei Transponder nicht genau aufeinanderliegen dürfen, denn dann kommt es zu Funkkollisionen.“

Im Gegensatz zum Bar- oder auch Strichcode, bei dem eine ganze Serie von Produkten den gleichen Code aufgeklebt bekommt, soll in Zukunft jeder auf dem Globus gefertigte Artikel einer eindeutig identifizierbaren Nummer zugeordnet werden. Egal ob ein deutsches Automobil, ein Turnschuhpaar aus Vietnam oder eine Getränkedose aus Australien – jedes dieser Produkte soll einen individuellen Code erhalten. Um dies zu ermöglichen, ist die RFID-Technik in Zukunft nur in Verbindung mit dem elektronischen Produktcode (EPC) sinnvoll. In der Produktion können durchaus spezielle Tag-Frequenzen und eine interne Identifikationsnummer genutzt werden, sobald aber das etikettierte Produkt das Firmengelände verläßt, muß klar sein, daß Transporteur und Empfänger die RFID-Signale und die Informationen lesen können.

Die Idee für den elektronischen Produktcode entstand 1999 im Massachusetts Institute of Technology (MIT). Der Informationsinhalt des 64 oder 96 Bit langen Codes ist variabel, beinhaltet aber zumindest Rahmendaten wie den Hersteller, die Objektklasse und eine Seriennummer. Die Organisation EPC-Global verwaltet die Produktcodes. Sie bietet eine einheitliche Infrastruktur für die per RFID erhobenen Daten und hat für den neuen Standard schon jetzt die wichtigsten internationalen Unternehmen im Boot. Das als Internet-Domainverwalter bekannte Unternehmen Verisign hat im Auftrag von EPC-Global einen Verzeichnisdienst entwickelt, der sich in seiner Struktur an das aus dem Internet bekannte DNS (Domain Name System) anlehnt. So wie im Internet keine Webadresse doppelt vergeben wird, soll auch diese Datenbank dafür sorgen, daß jeder Produktcode nur einmal in einem RFID-Chip landet.

Mittlerweile dringt EPC-Global auch auf die Standardisierung der unterschiedlichen RFID-Frequenzen und setzt dabei aller Voraussicht nach auf Tags im Ultra-High-Frequenzbereich, den sogenannten UHF-Transpondern. Diese funken im Spektrum zwischen 868 und 956 Megahertz. Ob mit 13,56 MHz oder UHF mit 900 MHz – zunächst wird sich RFID, da sind sich die Fachleute einig, an Fahrzeugen und großen Transportverpackungen durchsetzen.

„Bei der Verfolgung von Ladeeinheiten mit Hilfe von RFID dürfte es innerhalb der nächsten fünf Jahre zu einer nennenswerten Durchdringung kommen“, sagt Winfried Krieger, Professor für Logistik und E-Business an der Fachhochschule Flensburg. Hierbei sei der Vorteil, daß die teuren RFID-Transponder nach Gebrauch zum Lieferanten zurückgesandt werden könnten, um dort aufs neue beschrieben zu werden.

Im RFID-Center von Intel und Siemens sind derweil individuelle Lösungen gefragt. So will ein süddeutscher Hotelwäscheverleih Funk-Tags in Bademäntel und Bettwäsche einweben, um diese besser verwalten zu können. Bisher überstehen die robusten Tags zwar den Waschvorgang, nicht aber die zwölf Tonnen Druck der Wasserpresse. Die Kaufhof AG prüfte jüngst in einem Praxistest ein neues Lagersystem, bei welchem die Fabrikate des Textilherstellers Gerry Weber mit RFID-Tags ausgestattet waren. Der Test verlief, nach Angabe von Gerd vom Bögel vom Fraunhofer-Institut für Mikroelektronische Schaltungen, das den Praxiseinsatz wissenschaftlich begleitete, „für alle Beteiligten sehr zufriedenstellend“. Der Serieneinsatz sei für Anfang 2005 geplant. Noch sind die Tags für den Masseneinsatz viel zu teuer, sie liegen bei rund 50 Cent das Stück. Aber Analystenhäuser und Hersteller übertreffen sich mit Nachrichten, die das schnelle Sinken der Herstellungskosten prognostizieren. Wann also wirklich jeder Frischkäse im Supermarkt und jeder Rasierapparat im Kaufhaus mit einem smarten Chip etikettiert ist, bleibt abzuwarten.

Spätestens wenn die RFID-Etiketten vom Lager in den Verkaufsraum gelangen, stellt sich für Hersteller und Händler die Frage, ob und wie der Endverbraucher an die elektronische Warenkette mit angeschlossen werden soll. Datenschützer sehen – ähnlich wie vor 20 Jahren bei der Einführung des Barcode – hochkontrollierte Welten auf die Gesellschaft zukommen. Sieht man von der Bewegungserfassung des Produkts im Verkaufsraum ab, ist der außerhalb des Ladens funkende Chip das Kernproblem. Bleibt nämlich der RFID-Tag nach dem Einkauf aktiv, kann die gekaufte Ware auch außerhalb des Ladens noch einmal gescannt werden. EPC-Global hat reagiert und in ihren Datenschutzrichtlinien verankert, daß Käufer von RFID-Produkten stets darüber informiert werden sollen, daß sie die Möglichkeit haben, die Tags außer Funktion zu setzen oder sie abzutrennen. Teile der RFID-Branche haben sich diesen Richtlinien bereits angeschlossen.