Die Methode des Ungarn Andras Petö hilft behinderten Kindern
Maja braucht für den Weg vom Vorraum ins Spielzimmer eine Viertelstunde. Langsam und bedächtig geht sie die nur 15 Meter lange Wegstrecke, hält sich dabei am Sprossenstuhl fest und schiebt diesen Zentimeter für Zentimeter vorwärts. Hinter ihr achtet Edit Beke, 26, auf ihre Schritte. Sie unterstützt die spastisch gelähmte Maja nur wenig auf ihrem Weg, greift nur stabilisierend ein. Schliesslich erreicht das vierjährige Mädchen das Zimmer, wo es von den anderen begrüsst wird. Maja ist eines von neun hirnverletzten Kindern, welche im Institut „Schritt für Schritt“ in Hamburg-Rotherbaum nach der Methode des Ungarn Andras Petö sechs Wochen lang ein selbständiges Leben trainieren sollen.
Oft sind es Komplikationen bei der Geburt, die das Gehirn eines Säuglings schädigen. Sauerstoffmangel oder Hirnblutungen beeinträchtigen die Funktion des Denkorgans und führen später oft zu schweren Störungen der Koordination, zu Spastiken oder ständigen Muskelanspannungen. Betroffene Eltern stehen dann vor der Aufgabe, die richtigen Entscheidungen zu treffen; für viele Familien beginnt damit eine lange und kräftezehrende Suche nach einer geeigneten Methode zur Förderung ihres Kindes. In den meisten Fällen sind es technische Hilfsmittel wie Rollstühle und Schienen, welche die unkontrollierten Bewegungen des Kindes auffangen und so die Verletzungsgefahr mindern sollen. Klassische Krankengymnastik soll darüber hinaus helfen, den Bewegungsapparat geschmeidig zu halten. Allzu oft sind Eltern aber mit den Anforderungen, welches ein Leben mit einem behinderten Kind mit sich bringt überlastet. „Zum einen fehlt es an Kontakten zwischen den Eltern dieser Kindern, zum anderen führt eine zu umfassende technische Versorgung in der Regel zu Rückbildungen der Muskulatur beim Kind‘, erklärt Sigrid Hengvoß, 40, Ärztin am Institut „Schritt für Schritt“. Das grösste Problem allerdings sei, dass die unterschiedlichen Massnahmen untereinander nicht koordiniert werden.
Schon 1990 gründeten Eltern hirnverletzter und spastisch gelähmter Kinder deshalb den Verein „Schritt für Schritt“, aus dem später das Institut hervorging. „Um miteinander zu reden und sich gegenseitig den Rücken zu stärken‘, wie Wolfgang Vogt, 53, Gründungsmitglied der ersten Stunde, sich erinnert. Oft fehle bei Ärzten und im sozialen Umfeld der Glaube an deutliche Entwicklungsmöglichkeiten hirnverletzter Kinder. „Das wissenschaftliche Schrifttum in dem Bereich behauptet oft, dass es schon ein Erfolg sei, wenn der Status Quo gehalten wird“, ärgert sich Vogt. Kurz nach der Vereinsgründung hörten Vogt und seine Frau von den Erfolgen der Methode nach Andras Petö und reisten mit ihrer Tochter Victoria nach Budapest, wo das Petö-Institut seit 1984 staatlich geförderte Hochschule ist. Die Ausbildung ist gründlich: In einem vierjährigen Studium lernen die Studenten die Stränge der Bereiche der Physiotherapie, der Logopädie, der Ergo-Therapie und der Pädagogik zu verbinden und dürfen sich danach „Konduktoren‘ nennen. Für Familie Vogt stand nach kurzer Zeit der Entschluss fest, Konduktoren nach Hamburg zu holen, um die Petö-Methode in der Hansestadt zu etablieren.
Im Spielzimmer sitzt Maja mittlerweile am Tisch um zu frühstücken. Die drei anwesenden Konduktoren assistieren den Kindern bei der Mahlzeit. Die sechsjährige Merrit ist schon fertig, Edit Beke fordert sie zum Aufstehen auf, damit sie sich die Schuhe ausziehen kann. Wieder setzt ein Prozess ein, der viel Zeit braucht: Mit Mühe richtet sich das Kind auf, steht auf wackeligen Beinen, aber steht. Langsam bewegt sich Merrit vom Tisch weg, lässt sich auf die Erde nieder und öffnet die Schnürsenkel, zieht die Schuhe aus, dann die Socken. „Wir helfen so wenig wie möglich, so viel wie nötig“, bringt Beke ihre Arbeit auf den Punkt. Melanie hat mehr Mühe. Sie braucht den Sprossenstuhl um vom Tisch aufzustehen. „Kopf hoch, Popo nach vorne“, sagt Bela Mechtl, ein weiterer Konduktor, zu ihr, um im Anschluss zu fragen: „Wie gross bist Du?“. Das Kind ist deutlich angespornt, reckt sich, der Rücken ist gerade. Das Frühstück ist zu Ende, singend geht es nun weiter.
Im Gegensatz zu anderen Therapien geht Petös Ansatz von gänzlich anderen Voraussetzungen aus: Der Leitgedanke ist, dass es sich bei Hirnschädigungen nicht um eine Krankheit, sondern um eine Lernstörung handelt, die neben der Motorik die gesamte Persönlichkeitsentwicklung des Kindes beeinträchtigt. Nicht Fehler sollen korrigiert werden, sondern das Fehlende erlernt werden. In der Praxis bedeutet dies eine Orientierung an der Aneignung alltägliches Fertigkeiten, wie beispielsweise Anziehen und Essen. Ziel ist neben dem Erlernen motorischer Koordination die Integration ins gesellschaftliche Leben und vor allem die maximale Unabhängigkeit von Personen und Hilfsmitteln. Vogt legt den Ansatz in seinen Worten dar: „Jedes dieser Kinder will doch eigenaktiv am Leben teilnehmen. Und die konduktive Förderung nach Petö kommt und sagt: <Gut, Kind, ich zeige Dir, wie Du am Leben teilnehmen kannst. Auf deine ganz persönliche Art.>“
Auch Majas Mutter war zunächst über das Fehlen von Rollstühlen im Institut erschrocken. „Ich war skeptisch, weil Maja kaum Gleichgewichtssinn besass und zudem vor vielen Dingen einfach Angst hatte. Sie hat sich nichts alleine zugetraut“, erinnert sich Gabriele Münzer, 32*. Während der Wochen im Institut lernte Maja nicht nur das Gehen mit einer Vier-Punktstütze, sondern baute ein Selbstbewusstsein auf, welches sie heute Aufgaben positiver angehen lässt. Münzer: „Jahrelang war für mich klar, wie der Tag läuft. Ich hebe sie auf die Toilette, hebe sie wieder runter, ziehe sie an, trage sie zum Tisch. Auch ich habe hier gelernt, nämlich das ich Maja mehr zutrauen muss.“ Heute schiebt Maja ihren Kinderwagen alleine durch die Wohnung, sie geht alleine auf Toilette, das Essen geht ebenfalls leichter von der Hand. Münzer ist begeistert: „Das ist viel mehr, als ich mir erhofft habe.“
Eine Ursache für die Erfolge des Petö-Systems ist im zeitintensiven Programmaufbau zu sehen. Ein Blockkurs erstreckt sich über einen Zeitraum von sechs Wochen, wobei die Kindern täglich sechs Stunden im Institut verbringen. Das nachhaltige Training hat seinen Sinn, denn die Kinder sollen durchaus bis an ihre Grenzen gehen. Rita Mechtl, seit drei Jahren Konduktorin in Hamburg, erklärt ihr Ansinnen: „Wir verlangen viel, trauen den Kindern aber auch viel zu.“ Das gemeinsame Singen nach dem Frühstück gibt Rhythmus sowie gute Laune und hilft den Kindern das Tempo für die kommenden Bewegungsaufgaben zu finden. Das Ziel ist individuell unterschiedlich gesetzt, im Kern geht es aber darum brach liegende Körperfunktionen zu aktivieren. Nicht das Senken der Spastik, sondern der erleichterte Umgang mit ihr steht somit im Vordergrund des Lernens. Die These von Petö: Die noch gesunden Hirnpartien übernehmen die Funktionen der geschädigten Hirnteile am besten dann, wenn durch reproduzierte Bewegungsabläufe neue Muster im Gehirn geschaffen werden. „Die wichtigsten Routinen des Alltags können nur von einer aktiven Person erbracht werden“, sagt Mechtl und fügt hinzu: „Petö ist keine Wunderkur. Es muss über einen längeren Zeitraum konzentriert gearbeitet werden, um gesetzte Ziele zu erreichen.“
Einig sind sich Eltern und Ärzte darüber, dass ein Kind so früh wie möglich mit der Petö-Methode beginnen sollte. Während Kleinkinder zwischen einem und drei Jahren über einen Zeitraum von einem Jahr ein bis zwei Mal die Woche im Institut erscheinen, erhalten Jungen und Mädchen im Kindergartenalter Blockkurse von fünf bis sechs Wochen. Institutsärztin Hengvoß bindet die Eltern in den Lernprozess mit ein, am Anfang werden Ziele definiert, am Ende klärt ein Abschlussgespräch mit den Konduktoren welche Anschlusstherapien helfen und welche Übungen zu Hause durchgeführt werden können. Wie Hengvoß feststellt, ist ein häufig geäusserter Wunsch seitens der Eltern, dass ihr Kind laufen lernt. „Viele Kindern können allerdings nicht einmal sitzen, wenn sie zu uns kommen. Unser Ziel ist es daher, das aufrechte Sitzen zu lehren, denn dann kann gegessen, gelesen und geschrieben werden.“ Und die Konduktorin Mechtl ergänzt: „Eltern kommen mit hohen Erwartungen. Das ist ja auch gut so, denn man muss ja Hoffnung haben, aber man braucht auch viel Geduld.“
Der Tag am Institut ist vorbei. Maja ist erschöpft, aber zufrieden. Gabriele Münzer hat für den sechswöchigen Aufenthalt in Hamburg eine Wohnung angemietet, denn eigentlich wohnt sie mit ihrer Tochter und ihrem Mann in Bochum. „Das ist mir die Sache wert“, sagt sie, „denn Maja ist hier erheblich selbstsicherer geworden. Trotz ihrer Behinderung geht sie neuerdings Aufgaben ganz anders an. Sie versucht es, scheitert eventuell, aber versucht es dann halt noch mal.“
(* Name von der Redaktion geändert)
Weitere Informationen gibt das Institut „Schritt für Schritt“, Alsterterrasse 2, 20354 Hamburg, Telefon: 040 / 447262.
Die Petö-Methode
Das Prinzip der konduktiven Förderung nach Andras Petö geht davon aus, dass Bewegungsstörungen mit intensiven, die ganze Persönlichkeit des Kindes ansprechenden Fördermassnahmen gemildert und teilweise überwunden werden können. Das Konzept beinhaltet die tägliche Förderung der Kinder in der Gruppe unter Leitung von in Budapest ausgebildeten „Konduktoren“. Ziel ist die möglichst ausgeprägte Selbständigkeit des Kindes im Bewältigen alltäglicher Aufgaben. Dafür werden alltagsbezogene Aufgabenlösungen wiederholt durchgeführt. Dadurch lernen die Kinder eigene Problemlösungen zu erarbeiten, die eine weitere Entfaltung ihrer Persönlichkeit in motorischer, intellektueller und sozialer Hinsicht erlaubt.
In den USA etabliert sich die Erforschung der Cannabinoide
„Vor 1990 wußten wir nicht genau, wie Cannabinoide funktionieren“, gibt Norbert E. Kaminski, Professor für Pharmakologie an der Michigan State Universität zu. „Die meisten Forscher dachten, daß die Bestandteile des Cannabis unspezifisch wirken, indem sie aufgrund ihrer Löslichkeit in Fett die Zellmembranen durchdringen.“ Erst in den späten 80er Jahren gelang es, die für die Cannabinoide zuständigen Rezeptoren im Detail zu studieren. Neuen Aufschwung erhält die Erforschung der Hauptbestandteile des Cannabis nun durch Entscheidungen auf der politischen Bühne: Durch die Volksentscheide in Kalifornien, Arizona und anderen Bundesstaaten der USA, Marihuana als Medizin zuzulassen, sieht sich der Staat gezwungen, die Eigenschaften der einst verpönten Pflanze genauer unter die Lupe zu nehmen. Höchste Ebenen sind eingeschaltet: Das „Office of National Drug Control Policy“ hat die „National Academy of Science“ beauftragt in einer 18 Monate währenden Studie die wissenschaftliche Basis und den therapeutischen Nutzen des medizinalen Hanfs zu erforschen (www2.nas.edu/medical-mj/). Die Studie wird nicht vor Anfang 1999 veröffentlicht, fest steht aber schon jetzt, daß Cannabis damit in den erlauchten Kreis der soliden Wissenschaft eindringt.
Den großen Sprung machte das Wissen um den Rauschhanf mit der Entdeckung der Cannabinoid-Rezeptoren. Dies sind kleine Empfangsstationen in Hirn und Körper, an die zum Beispiel THC, der aktivsten Wirkstoff im Cannabis, andocken kann. Alle Substanzen, die an diese, CB-1 Rezeptor genannte Stationen andocken können, werden Cannabinoide genannt. Der 1988 entdeckte CB-1 Rezeptor kommt hauptsächlich im Hirn vor, der CB-2 Rezeptor wurde 1990 entdeckt und treibt sein Wesen im gesamten menschlichen Körper. Steven R. Childers, Professor für Physiologie und Pharmakologie an der Wake Forest Universität in Winston-Salem, ist begeistert: „Das schöne an den Entdeckungen ist, daß sie Chemiker auf der ganzen Welt dazu bringen, Derivate aller Art zu entwickeln.“ Die synthetisch hergestellten Cannabinoide wirken potenter und effektiver. Drei dieser Derivate gelten mittlerweile als Standard im Forschungsbetrieb. Sie hören auf die kryptischen Namen WIN 55212-2 sowie CP 55-940, die als Agonisten fungieren, und SR 141716A, der als Antagonist eingesetzt wird (siehe HANFBLATT April 98).
Goldgräberstimmung kam 1992 auf, als ein Team um Raphael Mechoulam an der Universität von Jerusalem entdeckte, daß in jedem menschlichen Körper ein körpereigenes Cannabinoid existiert. Das Team gab dem Neurotransmitter den Namen „Anandamide“, nach dem Sanskrit-Wort für „Glückseligkeit“. Und Jüngst entdeckte man ein anderes körpereigenes Cannabinoid (2-AG). „Sehr potent sind diese chemischen Verbindungen nicht“, stellt Childers fest, „in dieser Hinsicht haben sie Ähnlichkeit mit dem THC. Und sie sind extrem instabil.“
Noch eine große Überraschung wartete auf die Wissenschaftler: Entgegen den Erwartungen ist der CB-1 Rezeptor enorm häufig im Gehirn vertreten. Childers: „Niemand hat erwartet, daß der Rezeptor für Marihuana in so hoher Menge im Hirn existiert.“ Diese Entdeckung paßt für Childers trotzdem ins Bild der bisherigen Forschungsergebnisse. „Wir wissen durch eine Anzahl von Tierversuchen, daß Cannabinoide Auswirkungen auf das Kurzzeitgedächnis haben. Und das macht auch Sinn, denn im Hippocampus, einem Teil des Großhirns, kommen viele CB-1 Rezeptoren vor. Und der Hippocampus ist ein wichtiger Teil des Kurzzeitgedächnisses“, führt der Wissenschaftler aus.
Der Schritt von den Enthüllungen der Cannabinoid-Rezeptor Forschung zu konkreten medizinischen Anwendungen ist nicht immer einfach. Beim Glaukom, einer gefährlichen Erhöhung des Augeninndendrucks, hilft Marihuana nachgewiesenermaßen. Daß sich Gras nicht als Medikament durchgesetzt hat, hat seinen Grund nicht nur in der Illegalität der Droge und dem mangelnden Interessen der Pharmakonzerne.
Für Paul L. Kaufmann, dem Direktor des Glaukom-Zentrums an der Universität von Wisconsin in Madison, liegt dies eher an der Wirkungsdauer von Cannabis. Marihuana reduziert den Augeninnendruck nur für drei oder vier Stunden, muß aus diesem Grunde öfter am Tag angewendet werden. Was vom Konsumenten eventuell als angenehm empfunden wird, ist der Forscher Graus. Sie wollen ein Medikament, welches ohne psychoaktive Nebenwirkungen lange wirkt. Ein anderes Problem sieht Kaufmann darin, daß noch weitestgehend unbekannt ist, warum genau Cannabis den Augeninnendruck senkt. Kaufmann gibt zu bedenken: „Die Leute sagen, daß man Marihuana einfach legalisieren sollte. Dies ist nicht unsere Art ein Medikament zu entwickeln. Wir wollen die Mechanismen verstehen, die hinter den Vorgängen stecken, und dazu die Moleküle so verändern, daß man mehr von den positiven und weniger von den negativen Effekten hat. Dann folgen klinische Testreihen und am Ende hat man ein therapeutisches Produkt. So sollte auch beim Marihuana vorgegangen werden.“ Gleichwohl ist auch Kaufman von den neuen Erkenntnissen begeistert: „Wir können durch die Rezeptor-Forschung die hydrodynamischen Eigenschaften des Auges besser verstehen lernen.“
Ein weiterer Anwendungsbereich von Cannabinoiden sind deren schmerzstillenden Eigenschaften. Howard Fields, Professor für Neurology an der Universität von Californien in San Francisco, ist sicher: „Die momentane Explosion an Wissen über Cannabinoide, und hier vor allem das künstliche Herstellen von Agonisten und Antagonisten, wird uns befähigen, neue Schmerzmittel zu entwickeln.“ Seine Kollegin vom Medical College in Richmond, Virginia, stimmt zu: „Unser Ziel ist es, die Dosis der Cannabinoide soweit zu senken, daß kaum noch Nebeneffekte auftreten“, sagt Sandra Welch, Professorin für Pharmakologie. Wird Marihuana geraucht, nimmt der Konsument über 60 unterschiedliche Cannabinoide auf. Es ist zum Teil noch unklar, welche von diesen wie wirken, zudem muß noch erforscht werden, wie das Zusammenspiel der Cannabinoide funktioniert.
In den USA drängen mittlerweile immer mehr Forscher in das Gebiet der Cannabinoid-Forschung. Die Euphorie ist ungebremst: Angeheizt durch die gesellschaftlichen Umbrüche, die in Marihuana nicht mehr nur eine suchtbringende Droge sehen und den Fortschritten in der Rezeptor-Theorie erlebt das Wissen rund um die Cannabis-Pflanze einen enormen Aufschwung. Zunehmend werfen auch die großen Pharma-Konzerne ein Auge auf die Umtriebe, sie hoffen auf Medikamente, die die Kassen klingeln lassen. Auch namhafte Experten und Institute scheuen sich nicht mehr, Cannabis-Blüten ins Reagenzglas und unters Mikroskop zu packen. Mit der International Cannabinoid Research Society (ICRS) hat sich eine Organisation gegründet, die sich auf Cannabinoide konzentriert. Vor zwanzig Jahren galten Cannabinoide in erster Linie als Bestandteile einer Pflanze, mit der Mißbrauch (Rausch) betrieben wird. Heute steht dagegen die Erforschung eines der Hauptbestandteile des Neurotransmittersystems im Gehirn im Vordergrund.
Drogenpolitik schliesst den Umgang mit legalen psychoaktiven Drogen, wie Alkohol, Nikotin, Medikamente, Coffein-haltige Getränke etc. ein. Jedoch sind die Konsumenten illegaler Drogen auf Grund der bestehenden Gesetzeslage durch Strafverfolgung bedroht. Diese schafft erst viele der Probleme, die sich heute als „Drogenproblematik“ darstellen.
Die Trennung zwischen legalen und illegalen Drogen ist willkürlich. Dies gilt es zu belegen. Ziel muss es sein, die durch die gegenwärtige Rechtslage und den eingefahrenen gesellschaftlichen Umgang stigmatisierten und zumindest teilweise ausgegrenzten Gebraucher der „verteufelten“ Drogen aus dieser Situation zu befreien und die Trennung aufzuheben.
Dabei geht es letztlich nicht darum, zu beweisen, welche Droge, wie gefährlich oder harmlos ist, sondern um ein grundlegendes Menschenrecht: Das Recht, selbst zu entscheiden, welche Genussmittel oder Drogen man sich zuführt.
Um hierbei frei und verantwortungsbewusst handeln zu können, ist eine ausgewogene und fundierte Aufklärung vonnöten, die nicht auf unglaubwürdiger „Panikmache“ oder übertriebener „Verherrlichung“ beruht.
„Suchtkrankheit“ ist nicht ein Problem, das an bestimmte Substanzen gekoppelt ist. Die Ursachen für die Entwicklung abhängigen oder süchtigen Drogengebrauchs sind vielschichtig. Die gesellschaftspolitisch beeinflussbaren sozialen Umstände spielen dabei eine erhebliche Rolle.
Von der Drogenverbotspolitik Betroffene sind nicht nur die nach Jahren der Strafverfolgung verelendeten „Junkies“, sondern auch eine erhebliche Anzahl von Menschen, die weitgehend kontrolliert, genuss- oder selbsterfahrungsorientiert und relativ unproblematisch auch mit den illegalen Drogen umzugehen in der Lage sind. Diesen gilt es gerecht zu werden. Den anderen muss geholfen werden.
Wenn bestehende oder neue Institutionen zu aktuellen drogenpolitischen Themen kompetent Stellung beziehen wollen, dann sollten sie sich um eine unüberlegte Instrumentalisierung zu vermeiden, zuvor ausführlich mit den verschiedenen Aspekten der entsprechenden Thematiken auseinandersetzen.
Wie widersprüchlich und scheinheilig Drogenpolitik gemacht wird, spiegelt sich zum Beispiel konkret in der BtMG-Gesetzesänderung vom Februar 1998 wieder, bei der für eine erleichterte Methadonsubstitutionspraxis, die Kriminaliserung weiterer Gebraucher psychoaktiver Pflanzen in Kauf genommen wurde (Stichworte: Hanfsamenverbot, Verbot psiloc(yb)inhaltiger Pilze und meskalinhaltiger Kakteen = Kriminalisierung des Natürlichen). Insbesondere das Verbot der Einfuhr von Kath (Catha edulis-Zweigen), ein traditionelles Genussmittel somalischer und äthiopischer Flüchtlinge und Einwanderer, ohne Rücksprache mit den Betroffenen, muss sich den Vorwurf machen lassen, zumindest ausgesprochen ethnozentristisch zu sein, zumal es kaum deutsche Gebraucher dieser nur frisch geniessbaren Pflanze gibt. Die Folge ist ausserdem: Es blüht ein nunmehr illegaler Import aus unseren freundlichen kleinen Nachbarländern.
Über Orientalischen Mohn und andere Merkwürdigkeiten
Der hirnverbrannte und menschenverachtende „Krieg gegen Drogen“ treibt immer wieder absonderliche Blüten. Bei einer dieser Blüten geht es um eine äusserst beliebte und verbreitete Zierpflanze. So wurde in der Bundesrepublik Deutschland mit Wirkung zum 1. Januar 1982 nicht nur der Anbau von Hanf endgültig verboten, mit der einzigen Ausnahme, wenn er „als Schutzstreifen bei der Rübenzüchtung gepflanzt und vor der Blüte vernichtet“ würde. Auch der Anbau von Schlafmohn (Papaver somniferum) wurde verboten. Dies mag in der Logik der Prohibitionistesn noch verständlich sein, weil sich von den grünen Mohnköpfen, wenn auch unter Mühen, selbst hierzulande hochwertiges Opium ritzen und aus den getrockneten Mohnköpfen ein potenter morphinhaltiger Tee kochen lässt, der zu einem oral einnehmbaren Festextrakt eingedampft werden kann. In Polen und anderen Ländern des Ostblocks braute man aus dem sogenannten Mohnstroh unter Zusatz von Chemikalien ein gesundheitlich äusserst bedenkliches injizierbares Gemisch zusammen, das unter der Bezeichnung „Compot“ oder „Polnische Suppe“ bekannt wurde.
Seltsam ist dagegen das gleichzeitige Verbot einer anderen Mohnart, des Orientalischen Mohns oder Türkenmohns, im damaligen Betäubungsmittelgesetz botanisch Papaver orientale und Papaver bracteatum genannt. Ob es sich bei den sehr ähnlichen Pflanzen doch um zwei verschiedene Arten handelt, ist umstritten. Es gibt zahlreiche Sorten und Kreuzungen. Die mehrjährige Staude, die leicht über Samen und Wurzelstecklinge vermehrt werden kann und mit ihren grossen orangen, roten oder rosa Blüten im Mai und Juni eine Augenweide zahlloser Vorgärten darstellt, enthält weder Morphin noch Codein, die beiden in erster Linie für die berauschende Wirkung des Schlafmohns verantwortlichen Alkaloide. Kein einziger Fall des „erfolgreichen“ Mißbrauchs dieser Zierpflanze dürfte dokumentiert sein. Dennoch setzte man sie pauschal mit Cannabis und Schlafmohn gleich. Der Grund: Die Pflanze enthält in den reifen Samenkapseln mehr oder weniger Thebain. Dieses Alkaloid ist dem Codein und Morphin chemisch nahe verwandt. Es selbst gilt aber zumindest bei Tieren angewandt als „Krampfgift“. Es wirkt demnach nicht sonderlich berauschend sondern eher krampffördernd, eine Wirkung auf die Normalsterbliche in der Regel gerne verzichten. Findige Chemiker könnten allerdings auf die Idee kommen, das Thebain aus der Pflanze zu extrahieren und auf einem nicht ganz einfachen chemischen Wege in morphinähnlich wirkende Substanzen (wie z.B. Codein, Oxycodon, Etorphin oder Buprenorphin) umzuwandeln. In dieser Hinsicht wurde bis in die Siebziger Jahre nämlich von US-Regierungsseite aus eifrigst geforscht. Man hatte die grandiose Idee, diesen chemischen Prozess zu monopolisieren, statt Schlafmohn, der auf dem Weg vom Feld zur Pharmaindustrie überall abgezweigt und ohne grossen Aufwand illegal konsumiert werden kann, den nicht so locker konsumierbaren Orientalischen Mohn anzubauen. So wollte man in Zeiten des Kalten Krieges den medizinischen Bedarf an Codein und anderen Opiaten und die zur Vorbereitung eines drohenden Weltkrieges anzulegenden Vorräte dieser Schmerzstiller sichern, und gleichzeitig der Ausrottung des Schlafmohns, dessen Anbau dann ja eindeutig nur noch dem Zwecke liederlicher verbotener Berauschung dienen würde, freie Bahn geben.
Schlafmohnsamen als Quelle von Öl, Brötchenbelag, Würzmittel oder Bestandteil schlesischer Leckereien hielt man schlichtweg für ersetzbar, z.B. durch Samen anderer Mohnarten. Die Endlösung der Schlafmohnfrage erschien den Forschern in greifbare Nähe gerückt. Nun bleiben wissenschaftliche Erkenntnisse, die in jederman zugänglichen Fachzeitschriften publiziert werden, ja auch kriminellen Elementen nicht lange verborgen. Selbst in der „High Times“ wurde schliesslich darüber berichtet. So befürchtete man, dass die zunächst genialisch anmutende Idee auch nach hinten losgehen könnte. Was wäre, wenn chemisch versierte Übeltäter einfach Orientalischen Mohn anpflanzen, das Thebain extrahieren und in potente Opiate umwandeln würden. Irgendwie so muss man gedacht haben, als man auf die Schnapsidee kam, den Orientalischen Mohn in der BRD zu verbieten. Dieses Verbot blieb in der Öffentlichkeit praktisch vollkommen unbeachtet. Im Frühjahr blühte der Türkenmohn wie eh und je auch in den Gärten von Richtern, Polizisten, Politikern und Staatsanwälten, ohne dass sich jemand einer Schuld bewusst war. Am 1.September 1984 wurde dann sang- und klanglos der Anbau zu Zierzwecken wieder zugelassen. Ende einer absurden Episode möchte man meinen.
Nicht ganz, denn jetzt kommen aus den USA Meldungen über die zunehmende Verbreitung des Konsums eines „neuen“ und dabei doch mal wieder so alten „Superopiates“: Oxycodon (= früher Dihydroxycodeinon= heute Dihydrohydroxycodeinon) heisst die Substanz, die aus Thebain synthetisiert wird. Von dieser Teilsynthese wurde zuerst schon 1916 in Deutschlands Fachpresse berichtet. Als medizinisches Präparat wurde es von der Firma Merck 1919 unter dem Namen Eukodal zur Schmerzlinderung und Hustendämpfung eingeführt. Bereits 1920 berichtete man in der Fachliteratur von einem ersten Fall von „Eukodalismus“. Fälle von „Eukodalsucht“ hielten sich aber bis in die Dreissiger Jahre in Grenzen. Dennoch unterstellte man die Substanz schliesslich dem Opiumgesetz. Zu einem neu aufflammenden Interesse an diesem lange Zeit im Abseits dümpelnden Opiat dürfte jetzt auch das neue recht teure Buch des Chemieafficionados mit Undergroundattitüde Otto Snow beitragen. Er hat sein Werk schlicht und einfach „Oxy“ (ISBN 0-9663128-2-1, 31.95 US-$) genannt. Es handelt sich um eine Sammlung von Reprints überwiegend älterer englischsprachiger und sogar einiger deutscher wissenschaftlicher Texte rund um den Anbau von Schlafmohn, die Gewinnung von Morphium, die Extraktion von Thebain und die Teilsynthese von, man kann es schon erahnen: Oxycodon. Praktische auf eigenen Erfahrungen beruhende Anleitungen gibt er nicht. Das Ganze versteht sich eher als sammlerische Vorarbeit und Herausforderung an die Drogenpolitik – denn, indem Snow den Menschen ein gewisses Know How zur Gewinnung und Herstellung der wirksamsten und verträglichsten Gruppe von Schmerzmitteln, nämlich den Opiaten, zur Verfügung stellt, ermächtigt er sie, sich selbstbestimmt und unabhängig von staatlicher Gnade und restriktiven Gesetzen zum Beispiel in Zeiten der Krise von katastrophen- oder kriegsbedingten Schmerzen zu befreien. So gesehen sicherlich ein heroischer Akt.
Mit der Cannabusiness etablierte er die größte Hanfmesse der Republik. Im E-Mail Interview mit dem HanfBlatt beschreibt Frank Zander den Stand und die Aussichten der deutschen Hanfwirtschaft und gibt Tips für junge Unternehmer.
HanfBlatt:
7500 Besucher auf der CannaBusiness 1996, 8.000 Besucher auf der CannaBusiness 1997. Es scheint fast so, als hätte sich in Deutschland eine „schwarze“ Messe etabliert.
Zander:
Nicht nur die Besucherzahlen belegen, daß sich die CannaBusiness als Messe und Marketinginstrument tatsächlich etabliert hat. In diesem Jahr stieg die eh schon hohe internationale Beteiligung ausländischer Aussteller um fast 6% auf einen Gesamtanteil von nunmehr 46,4%. Aber was meinen Sie mit „schwarzer“ Messe?
Ein Wortspiel. Aber um es ernst zu nehmen: Es handelt sich ja um eine Veranstaltung, in der es um den Verkauf von Produktlinien rund um die Cannabis-Pflanze geht. Zubehör zum Genuß einer illegalen Droge macht ein Viertel (23,3%) der Messe aus, Instrumentarium zum Züchten des verbotenen Gewächses ein weiteres Viertel (28,8%). Ist Ihnen nicht manchmal mulmig zumute?
Stoßen Sie mit dieser Frage nicht in das gegnerische Horn der Dämonisierung? Grundsätzlich sollten wir erst einmal davon ausgehen, daß Cannabiskonsumenten, eine immer größer werdende Zahl von Nichtrauchen den Sympathisanten und medizinischen Anwendern den Genuß von Haschisch und Marihuana als legal ansehen. Illegal ist und wird er per Gesetzeskraft „gemacht“ und durch Rest-Volkes Stimme als das angesehen. „Dieses“ Zubehör (Paraphernalia) zum Genuß wird auch auf anderen Messen gehandelt, nur nie im Hanfkontext behandelt. Viele dieser Artikel sind im konventionellen Handel erhältlich. Das „Instrumentarium“ zum Züchten… (Growing) kann natürlich zum erfolgreichen, aber illegalem Anbau von Drogen benutzt werden. Aber genauso gut können „legale“ Pflanzen mit diesem Instrumentarium erfolgreich gezüchtet werden. Nur lassen sich diese Produkte mit dem Spannungsgeladenen Image vom Cannabis besser verkaufen. Richtig, hier habe ich mit dem Auge gezwinkert – ich wollte lediglich verdeutlichen, das heutzutage alle diese Produkte, verstreut , aber in allen Lebensbereichen legal erhältlich sind. Warum sollte mir da also mulmig werden? Mit CannaBusiness nennen wir nur das Kind beim Namen.
Womit sie den Dämon erfolgreich verscheucht haben.
Davon kann ja wohl nicht die Rede sein.
Das zum Verbrennen von heilenden Kräutern genutzte Rauchzubehör geht ja wohl noch immer recht erfolgreich über die Ladentische.
… noch immer recht erfolgreich…? Immer erfolgreicher. Das liegt wohl auch darin begründet, das unter anderem auch durch die CannaBusiness die Rauchkulturen der Welt zusammenführt und dem europäischen Markt hautnah präsentiert werden.
Wie, denken Sie, sieht das Marktpotential von „rauschfreien“ Hanfprodukten aus?
Auf lange Sicht werden sich eine Reihe von Hanf-Produkten-Linien am Markt durchsehen, dessen sind wir sicher (siehe auch HPL, Nova-Institut). Kurzfristig muß aber zunächst der industrielle Einsatz von Hanfrohstoffen wie beispielsweise als Dämmstoff oder in der Autoindustrie gesichert werden. Die Aufschlußanlagen Zehdenick und BaFa sind da erst der Anfang. Vergessen wir nicht, welche Hürden Hanf-Rohstoffe zu nehmen haben: Starke Preis- und Ressourcenkonkurrenz anderer Rohstoffe, Forschungs- und Entwicklungsdefizite hinsichtlich technischer Parameter, Lobbies, deren Witschaftsgruppen die sie vertreten, die neue, starke Konkurrenz durch den Hanf erkannt haben, um nur einige zu nennen. Nicht zu vergessen, das Image, welches gelegentlich von einer intensiven Beschäftigung mit dem Thema zurückschrecken läßt. Aber gerade dieses junge, frische, herausfordernde Image des Hanfs war überaus erfolgreich bei der ersten Plazierung von Hanfprodukten im Konsumerbereich seit 1994. Die Produktlinien Textil, Kosmetik und immer stärker Food & Beverage (Nahrungsmittel) haben in den wenigen Jahren Marktanteile, wenn auch im Promillebereich, erobern können. Von einer Marktdurchdringung kann aber noch lange keine Rede sein. Dazu wäre es erforderlich, diese Hanfprodukte in die Vertriebsschienen großer, konventioneller Handelshäuser zu plazieren. Wie schwierig so ein Unterfangen ist, weiß jeder der es schon einmal versucht hat. Auch wären nur wenige der heutigen Hanf-Firmen in der Lage, die Lieferkonditionen in ihrem Umfang zu erfüllen. Versuche dahingehend aber gab es schon einige im Textilbereich. Sang und klanglos gingen die ersten Versuche von Otto und Quelle unter. Bei dem Quelle-Angebot seinerzeit dürfte der Mißerfolg auch in der Fehleinschätzung seitens Frau Steilmann hinsichtlich der weiblichen Zielgruppe begründet liegen. Das bei den „Großen“ dennoch an das ökologische Käuferpotential gegla ubt wird, zeigen neuere Kataloge, die eine breite Palette pro-ökologischer Textilien aus nachwachsenden Rohstoffen anbieten, wo dann auch der Hanf wieder dabei ist. Und hier liegt die Chance. Auch wenn der Hanf singulär über ein starkes Image-, sprich Marketingpotential verfügt, so sollte er immer im Kontext „nachwachsende Rohstoffe“ gesehen werden und das auch von den Mitbewerbern. Es ist nicht einfach für eine natürlich Ressource wie dem Hanf, der fast 50 Jahre dem Landwirtschafts-, Industrie- und Handelskreislauf entzogen war, erneut Fuß zu fassen und relevante Marktanteile zu erobern. Wir halten es da aber mit Bröcker’s „Schlachtruf“: Es gibt viel zu tun. Pflanzen wir es an! Nach 50 Jahren Abstinenz aus dem Wirtschaftskreislauf sieht sich der Hanf einer ständig gewachsenen, starker Interessensvertretung seiner Rohstoffkonkurrenz gegenüber. Unter technischen und ökologischen Aspekten besitzt der Hanf eine starke Ausgangsposition, um als
natürliche Ressource seinen Platz im Kreislauf der Wirtschaft zurück erobern zu können. Stünde dem Hanf oben beschriebenes Instrumentarium zur Verfügung, würde alles ein klein wenig schneller und effizienter gehen – nur sollte man nicht zu schnell ungeduldig werden.
Das klingt nach den Rahmenbedingungen des Kapitalismus, oh, Verzeihung, der Marktwirtschaft. Sehen Sie einen signifikanten Unterschied zwischen der Hanfszene und anderen Zweigen der Wirtschaft? Wird sich hier mit der Nettigkeit der Haschbrüder behandelt?
Klar sind das die Rahmenbedingungen der Marktwirtschaft oder sehen Sie eine Möglichkeit mit Hanf und seinen Produkten eine marktwirtschaftliche Weltrevolution zu starten?
„Hemp heals the world“, sagt der Mann mit dem Bart.
Hat er auch gesagt wie?
Rauchen, Rauchen, Rauchen.
Es gibt im gesamten Verlauf der Wertschöpfungskette von Zucht/Anbau bis zum Marketing und Vertrieb keine signifikanten Unterschiede in Hinsicht von Geschäftsabläufen und -regeln . Ich hoffte, dieses mit meinen voran gegangenen Erläuterungen schon deutlich hervorgehoben zu haben. Ich finde es aber gefährlich, wenn Sie durch Ihre Fragestellung implizieren, das die Hanfwirtschaftsszene durchweg von „Haschbrüder“ besetzt sei. So etwas nehmen andere Medienvertreter gerne auf. Meinen persönlichen Erfahrungen nach herrscht schon ein gemeinsamer Konsens, wenn es sich um den Hanf dreht, auch ist das Arbeiten generell mit der Hanfszene von einer angenehmen Atmosphäre geprägt. Geht es dann aber um das eigene Geschäft, kristallisiert sich die eigene Interessenwahrung schon deutlich hervor. Dagegen gibt es nichts einzuwenden.
Gut, daß Sie die Normalität der Hanfszene noch einmal so deutlich herausgearbeitet haben. Im übrigen stehen Haschbruder und -Schwester ja nicht nur für den von Ihnen nicht ausdrücklich genannten unmotivierten Hänger, sondern in meinen Augen auch für den kleinen Unterschied im Umgang miteinander, für ein anderes Verständnis der Zusammenhänge von Natur und Mensch und deswegen eben eventuell auch für ein in Ansätzen verändertes Geschäftsgebahren.
Verwechseln Sie bitte nicht Geschäftsgebahren und Geschäftsregeln.
Als Kenner der Szene: Würden Sie -aus ökonomischer Sicht- heute noch jemanden empfehlen einen Head- oder Hanf-Shop zu eröffnen? Wo liegen die größten Risiken für den ja meist jungen Unternehmer?
Erste Frage: Ja. Die Eröffnung eines Einzelhandelgeschäftes birgt – egal in welcher Branche – immer eine Reihe von Risiken, von denen sich aber schon in der Planung eine Vielzahl minimieren lassen. Grundsätzlich sollte kein Hanfbewegter annehmen, daß weder seine Afición zur Nutz- und Genußpflanze, noch die wachsende wirtschaftliche Bedeutung alleine der Garant für ein erfolgreiches Geschäft sind. Der steigende Bekanntheitsgrad der verschiedenen Produktlinien ist in der Berechnung des zu erwirtschaftenden Bruttoumsatzs ebenfalls vorsichtig zu bewerten. Eine kühle und sachliche Bewertung des Einzugsgebietes – Konkurrenz, Käuferpotential, -schichten, etc. – hat eine tragende Funktionen in der Planung. Die Vergangenheit auch hat gezeigt, daß häufig die Fehleinschätzung der persönlichen Möglichkeiten in Verbindung mit einem ungenügenden Finanzkonzept zu Geschäftsschließungen geführt haben. Gerne erinnere ich mich eines zutreffenden Kommentars von Matthias Bröckers während der Aufbaujahre des HanfHauses: „Wenn Du heute ’ne normale Pommesbude aufmachen willst, brauchst Du mindestens 50.000,- Mark. Hier rufen Leute an, die mit 10. – 15.000,- Mark ein HanfHaus aufmachen wollen. Wie soll das dann funktionieren?“ Es gibt aber noch eine ganze Reihe weiterer, statt Risiken möchte ich sie Voraussetzungen nennen, die erfüllt sein wollen, um als EinzelhändlerIn reüssieren zu können.
In welchen Bereichen wurde bislang der größte Umsatz erzielt? Grow-Zubehör, Konsumhilfen, Hanfmode? Gibt es Erkenntnisse darüber, wer welche Produkte kauft? Und wohin geht ihrer Ansicht nach die Entwicklung?
Es ist äußerst schwierig an verläßliche Umsatzzahlen zu kommen. 1996 versuchten wir über einen neutralen Fragebogen das Cannabusiness in erste Zahlen zu fassen. Leider erhielten wir nur wenige Antworten bei den Jahresbruttoumsaetzen. Auch das Käuferprofil und -verhalten ist unerforscht. Wenn ich wüßte wo die Entwicklung hingeht, würde ich Ihnen dieses E-Mail-Interview sicherlich von der Terrasse eines Südseedomiziles geben. Der wirtschaftlichen Weiterentwicklung des Cannabusiness‘ wäre es durchaus zuträglich, wenn sich ein Dachverband konstituieren könnte, der neben der Bearbeitung oben genannten Fragen, auch die Vertretung zumindest des kleinsten gemeinsamen Nenners der Hanf-, Grow- und Parphernaliaabteilungen übernommen sollte. Die Schwierigkeit, einen solchen, schon von einigen Seiten geforderten, Verband zu konstituieren, liegt nicht, wie Sie ja schon häufiger vermuteten, in einer „Haengermentalitaet“ der Haschbrüder und -schwestern begründet. Nüchtern betrachtet müßten sich Hanftextiler eher in den zuständigen Textilverbänden und Samenhändler eher beim Bundesverband Deutscher Samenhändler und Pflanzenzüchtern organisieren. Letzterer zählt auch zu seinen Aufgaben, die Mitglieder über rechtliche Änderungen ständig auf dem Laufenden zu halten.
Das Hanfnet versucht ja, über das Internet eine Organisierung der Hanf-Szene voranzutreiben. Welches Potential sehen sie im Netz?
Das Internet wird noch einige Jahre die Funktion als reine Informationsquelle innehalten. Sowie aber das E-Cash sicher und stabil etabliert worden ist, die Verbreitung von Internet-Zugängen relevante Formen angenommen hat, werden eine Vielzahl von Geschäftsvorgängen auch dort getätigt werden. Wir werden mit www.cannabusiness.com darauf vorbereitet sein.
Wenn Sie zum Abschluß den Gedanken mal freien Lauf lassen: Was wünschen Sie sich für die Hanfszene im Jahre 1998?
Wenn ich meinen Gedanken mal freien Lauf lassen würde, müßte Ihr Verlag wahrscheinlich einen Sonderband herausbringen. Somit mache ich es kurz: Achtung, an alle! Ich wünsche gesunden Start ins neue Jahr, persönliches Glück und erfolgreiche Geschäfte. Macht weiter so!
Vielen Dank für das Interview.
Info
Frank Zander, Jahrgang 1956, geboren in Kiel, Industriekaufmann, begann im Alter von 25 Jahren eine rund 10-jährige Wanderschaft mit Lebensabschnitten auf den Bahamas, der Dominikanischen Republik und den USA sowie jeweils längere Aufenthalte auf Ibiza. Seit 1989 festes Domizil im Ruhrgebiet. Aufbau eines Jazzclubs und Magazin, erste Zusammenarbeit mit heutigen Geschäftspartner Emil Riechmann. 1993 Gründung der Tri Tec GmbH, die die jährliche Hanfmesse Cannabusiness ausrichtet. Bei wenig Freizeit bleiben seine Hobbies: Jazz, Essen & Trinken, Reisen.
Mit Enfopol soll im neuen Europa das Internet einheitlich überwacht werden
Jörg Auf dem Hövel
Der Codename „Enfopol“ steht seit ein paar Monaten für das Bestreben die Überwachungsmöglichkeiten des Internet in den Staaten der Europäischen Union zu harmonisieren. Über Monate werkelte eine Arbeitsgruppe abseits der Öffentlichkeit an der Empfehlung, die als Richtlinie für zukünftige Überwachungsmaßnahmen in den Ländern Europas gelten sollte. Doch es kam anders: Als die Papiere erst einmal veröffentlicht waren, gab es kein halten mehr (siehe IW 4/ 99, S.18). In ganz Europa liefen Datenschützer, Interessenverbände und Bürger Sturm gegen die Pläne, die nun erst einmal auf Eis gelegt wurden. Mit Erfolg: Der Rat der Justiz- und Innenminister will frühestens in sechs Monaten über Enfopol entscheiden. Zeit, das Zustandekommen der mysteriösen Dokumente und deren mögliche Auswirkungen genauer unter die Lupe zu nehmen.
Wie es in den Enfopol-Papieren selber heißt, thematisieren sie die „Überwachung von Telekommunikation in Bezug auf neue Technologien“. Mit der Bedeutung des Internet stieg auch die Besorgnis der Lauschwilligen, keinen Zugriff auf kriminell motivierten Datenverkehr zu haben. Wenn Datenpakete über inländische und ausländische Server geleitet werden, müssen sich die Abhörer international koordinieren. Die jetzt in der Kritik stehenden Enfopol 98-Papiere versuchen genau das: Die Überwachungsmöglichkeiten auch im neuen Jahrtausend zu sichern. Die spannende Frage dabei ist, ob es dabei nur um das rechtlich abgesicherte Abhören von Schwerkriminellen geht oder ob durch die Hintertür ein europäisches Überwachungssystem eingeführt wird, welches ohne parlamentarische Kontrolle den Geheimdiensten in die Hände arbeitet.
Nachdem das Netzmagazin Telepolis (www.heise.de/tp) die Enfopol-Dokumente im Oktober vergangenen Jahres veröffentlicht hatte, teilte das für Enfopol zuständige Innenministerium auf Anfrage mit, dass es die Aufregung um die Papiere nicht teilen könne. Die Mitarbeiter von Otto Schilly verwiesen darauf, dass Enfopol kein Gesetz, sondern nur eine Empfehlung und somit für Deutschland nicht rechtsverbindlich sei. Geltendes Recht dürfe nicht gebrochen werden. Richtig daran ist, dass es in Deutschland noch immer einer richterlichen Anordnung bedarf, um eine Abhörmaßnahme einzuleiten. Gleichwohl: Beschlüsse des EU-Rat besitzen eine enorme Signalwirkung, die sich in dem zusammenwachsenden Europa zukünftig noch verstärken wird. Der Vertrag von Maastricht setzt ausdrücklich eine gemeinsame Innen- und Justizpolitik als Ziel fest.
Der grüne Abgeordnete im Europa-Parlament, Johannes Voggenhuber, merkt an, dass Enfopol „jeden Telekommunikationsbetreiber dazu verpflichtet, für die Polizei eine Hintertür einzubauen“. Ein Argument, welches zwar korrekt, aber nicht schlagend ist. Lukas Gundermann, Jurist beim Kieler Landesbeauftragten für den Datenschutz, erklärt, dass er das ursprüngliche Problem nicht in den Enfopol-Papieren, sondern im bereits verbindlichen TKG sieht. „Das scheint in Teilen eine der aufgebauschten Internet-Aktionen zu sein. Der eigentliche Skandal ist im TKG zu suchen.“ Tatsächlich gehen die aktuellen Enfopol-Papiere kaum über das hinaus, was an Überwachungsmaßnahmen längst durch das TKG und die einzelnen Rechtsgrundlagen erlaubt ist und in naher Zukunft als TKÜV die technischen Einzelheiten der Überwachung von eMail und anderen IP-Verkehr festlegt. Gundermann: „Sehr bedenklich wäre es aber beispielsweise, wenn über Pre-Paid Telefonkarten nicht mehr anonym telefoniert werden kann, weil die Hersteller verpflichtet sind eine Identifizierung des Benutzers zu ermöglichen.“
Das Europäische Parlament in Strassburg. Die Parlamentarier ahnten lange Zeit nicht, dass die Enfopol-Papier ein Nachfolgeprodukt des FBI´s sind.
Völlig unklar ist gleichfalls, wie die konkrete Umsetzung für Provider aussehen wird, standardisierte Schnittstellen in ihren Räumen zur Verfügung stellen müssen, die von den berechtigten Behörden auch per Fernabfrage bedient werden könnten. Diese Einladung für jeden Hacker lädt zum Mißbrauch förmlich ein. Zudem will Enfopol die Verschlüsselung von Daten reglementieren, ein Versuch, der nach der ersten Aufregung um die Papiere gescheitert ist. Die neue Taktik: Enfopol ist in viele Einzeldokumente aufgesplittet worden, die gesondert das Parlament passieren sollen.
Bei den Verbänden und den betroffenen Providern steht das Thema bislang nicht auf der Agenda. Bernhard Reik vom Fachverband Informationstechnik (FVIT im ZVEI) sieht „Enfopol hinter den Nebel von Avalon“ verschwinden und beklagt damit die mangelhafte Informationspolitik der EU, weist aber zugleich darauf hin, dass die Papiere nur eine Aktualisierung der Empfehlung von 1995 seien. Jürgen Hoffmeister vom Hamburger Provider POP (Point of Presence) sieht „keinen Handlungsbedarf“. Wie andere ISP (Internet Service Provider) will man die TKÜV abwarten, bevor man an den eigenen Anlagen Schnittstellen für Abrufe durch Behörden einrichtet. Der Verband der europäischen Provider (www.euroispa.org) beklagt die lange Geheimhaltung der Papiere und die Bedingungen bei der Abstimmung im Parlament: „Ein Ausschuss sprach sich gegen den Entwurf aus, ein anderer durfte seine Meinung nicht veröffentlichen. Zudem fand die Abstimmung an einem Freitag statt, als drei Viertel der Abgeordneten abwesend waren. Dies ist der Sache nicht angemessen“, beschwerte sich der Sprecher der Provider-Vereinigung. Der Verband fordert nun die umfassende Diskussion der Papiere, die er für „verfassungsrechtlich bedenklich“ hält.
Die EU hatte zuvor versucht, die Sorgen der Provider zu zerstreuen: Nach deren Protesten wurde in das Papier ein Passus aufgenommen, der ausdrücklich darauf hinweist, dass nicht beabsichtigt ist, „einen Rechtsrahmen zu schaffen, der die Internet-Diensteanbieter zwingen würde, sich aufgrund der finanziellen, die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigenden Belastungen außerhalb der Union niederzulassen“. Die Experten in Brüssel wissen, dass die nicht nur die deutsche Wirtschaft äußerst empfindlich auf Regelungen reagiert, die das Prosperieren der jungen Internet-Ökonomie gefährden.
Die Arbeitsgruppe der europäischen Datenschützer konnte mit der Einfügung nicht zufrieden stellen. Sie forderten eine Präzisierung welche staatlichen Stellen eine Überwachung durchführen dürfen, zudem eine unabhängige Kontrolle der Behörden. In den USA ist beispielsweise gesetzlich verankert, dass ein Abgehörter benachrichtigt werden muß, wenn sich der Verdacht als unbegründet herausgestellt hat. Unklar bleibt bei Enfopol auch, was mit den Daten nach Abschluß der Überwachungsmaßnahme geschieht.
Erika Mann, Europaabgeordnete der SPD, im Parlament für die Neuen Medien zuständig, sieht weder die Gewinne der Provider noch die Bürgerrechte in Gefahr: „Für die deutschen Provider ändert sich durch Enfopol nicht, weil es nur eine Anpassung an bestehende Gesetze ist. Zudem wird Enfopol nicht zur anlaßunabhängigen, systematischen Überwachung des Internet führen.“ Der Internetexperter der SPD im Bundestag teilt die Meinung seiner Parteikollegin nicht: Jörg Tauss befürchtet, dass den europäischen Behörden ein „demokratisch und nationalstaatlich nicht mehr kontrollierbares Instrument in die Hand gegeben wird“. Die verfassungswidrige Vermischung von polizeilichen und nachrichtendienstlichen Tätigkeiten wird den Urhebern von Enfopol ebenfalls vorgeworfen. Ein nicht unbegründeter Verdacht, wenn man die Entstehungsgeschichte der Enfopol-Papiere nachvollzieht.
Erika Mann, Europaabgeordnete der SPD, sieht keine Gefahr in Enfopol.
Das FBI lud 1993 Vertreter befreundeter Staaten nach Quantico im US-Bundesstaat Virginia ein. Vertreter unter anderem aus Großbritannien, Australien und auch Deutschland trafen sich auf dem Marines-Stützpunkt, um mit dem FBI zu beraten wie auch im digitalen Zeitalter Personen und deren Kommunikation überwacht werden könnten. Ziel des FBI war und ist es, Zugang in Echtzeit zur Kommunikation von jedem zu erhalten, den man observieren will. Das Treffen gab sich den Namen ILETS (International Law Enforcement Telecommunications Seminar). Anfang 1994 traf sich die Gruppe wieder, dieses mal in Bonn. Ergebnis war ein Dokument, welches genaue Anforderungen an eine effektive und umfassende Realisierung von Abhörmaßnahmen enthielt. Diese Liste erhielt den Titel IUR 95 (International User Requirements). Bei dem Treffen beschloß man ebenfalls, auf die internationalen Standardisierungs-Organisationen ITU und ISO einzuwirken, die IUR in ihre Direktiven mitaufzunehmen. Damit wollte man erreichen, dass die mächtigen Normierungs-Körperschaften die Hersteller von Telefonanlagen und anderen Schaltzentralen dazu verpflichten, Abhörschnittstellen in ihre Geräte einzubauen. Schließlich übernahm die K4 Arbeitsgruppe der EU-Kommission für Strafverfolgungs- und Polizeiangelegenheiten die IUR in ihre Überlegungen ein neues Dokument entstand: Die Enfopol-Papiere. Innerhalb kurzer Zeit waren somit die Wünsche des FBI in einen Regelungswerk eingeflossen, welches jetzt die Abhörrichtlinie für ganz Europa werden soll. Und dies ohne Beteiligung von Datenschützern oder Telekommunikationsexperten, geschweige denn von betroffenen Internet-Nutzern. Europäische Minister oder Abgeordnete haben das Dokument nie diskutiert, zwei Jahre lang blieb das Papier geheim. Während in den USA die IURs bereits 1994 in den lange umstrittenen „Communication Assistance for Law Enforcement Act“ einging, weist in Deutschland nun die in Überarbeitung be findliche TKÜV denkwürdige Parallelen zu den IUR auf.
Historisch basiert Enfopol auf von Geheimdiensten gestellten Forderungen, die in den IUR ihre Geburt fanden. Seither lesen Strafverfolgunsbehörden in Europa und der ganzen Welt vom selben Skript soweit es um die Überwachung von Telekommunikation geht. Unter den Internet-Nutzern wächst damit wieder einmal die Besorgnis, dass die im Grundgesetz verankerte Trennlinie zwischen polizeilichen und nachrichtendienstlichen Tätigkeiten zusehends dünner wird. Das sensible Gleichgewicht zwischen innerer Sicherheit und den Grundrechten der Bürger ist nun auch auf europäischer Ebene eindeutig belastet worden. Wieder scheinen sich die parallel geschalteten Interessen von Strafverfolgungsbehörden und Geheimdiensten durchzusetzen, welche einseitig auf eine Ausweitung der Überwachung und nie auf eine Neubewertung ihrer Abhörmöglichkeiten drängen.
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Der laborärztliche Befund ist positiv. Während die werdende Mutter sich über solche Nachricht meist freut, ist dies für den Konsumenten von Cannabisprodukten oft der Beginn einer Odyssee durch die staatlichen Institutionen. Denn wer nicht nur Tabakrauch inhaliert und den Hütern der Ordnung in die Hände fällt, kann damit rechnen, in nächster Zeit freundliche Einladungen zum fröhlichen Zielpinkeln in Reagenzgläser zu erhalten. Aber der Reihe nach:
Wie fährt der Kiffer?
Es mangelt mittlerweile nicht an wissenschaftlichen Antwortversuchen auf die Frage, ob und wie sich das Fahrverhalten unter Cannabiseinfluß ändert. So legte Bernd Möller 1976 in seiner Dissertation über „Veränderungen der Fahrtauglichkeit unter Haschisch“ fest, daß „Kraftfahrer unter Haschischeinfluß grundsätzlich als fahruntauglich anzusehen sind.“ Dies sieht der US-Wissenschaftler A. Smiley anders. Nach Auswertung seiner Studien stellt er in Frage, ob Cannabis überhaupt verkehrsmedizinisch relevante Leistungseinbußen impliziere. Bei diesen konträren Ergebnissen stellt sich die Frage, wo die Wahrheit sich versteckt. Es gilt auch hier: Untersuchungsdesign, Auftraggeber und persönlicher Hintergrund der Forscher bestimmen maßgeblich das Resultat der Analyse – und natürlich die verabreichte Dosis. Dies gilt für die vielzitierte Studie von H.W.J. Robbe aus Maastricht ebenso. Ihr zufolge chauffieren leicht bekiffte Fahrer relativ sicher – jedenfalls im Vergleich zu angetrunkenen. Zudem erkennt der THC-Freund seine Ekstase und nimmt den Rausch länger wahr, als durch objektivierbaren Einbußen der Leistungsfähigkeit nachvollziehbar wäre.
Fest steht: Akuter Haschischeinfluß beeinträchtigt die Reaktionszeit; aber nicht in dem Maße wie Alkohol. Zugleich zeigen die Probanden aller bisherigen Untersuchungen eine reduzierte Risikobereitschaft. Innerhalb der ersten Stunde nach Genuß traten die Verschlechterungen der Leistung um so deutlicher hervor, je schwieriger die Aufgaben waren und je mehr Leistungen gleichzeitig erbracht werden mußten. Spätestens jenseits der zweiten Stunde nach Rauchbeginn wurden in allen Studien nur noch wenige Einschränkungen der Fahrtüchtigkeit eruiert.
So weit, so gut. Doch
wie reagiert die Obrigkeit?
Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gab vor ein paar Jahren einem Autofahrer recht, welcher sich in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt sah, weil er sich nach dem kompletten Inhalieren eines Joints einem medizinisch-psychologischen Gutachten (MPU, kurz: Idiotentest) unterziehen mußte. Der Vorsitzende der Zweiten Kammer des Lübecker Landgerichts, Wolfgang Neskovic (später bekannt aus Funk und Fernsehen), vermutete daraufhin in der TAZ, daß die „allgemeine Hatz von Gerichten und Straßenverkehrsbehörden auf Haschischkonsumenten erheblich erschwert wird.“ Fehlurteil, Herr Richter! Auch nach dem Spruch des obersten Gerichts kam und kommt es in der Bundesrepublik zu massiven behördlichen Angriffen auf die Lizenz zum Karren.
Wer einen mobilen Untersatz steuert und dabei von der Polizei mit Cannabis in den Taschen überrascht wird, dem droht folgendes Szenario: Ob Urin-, Haar-, oder Blutprobe; die Meister der Wacht prüfen auf körperfremde Substanzen. Allen Berichten über „HaschoMaten“ oder sonstige „sichere Indikatoren“ zum trotz, gibt es allerdings bisher keinen Apparat, der Drogenkonsum sicher und exakt feststellen kann. Zwar kann Mithilfe moderner Meßtechniken angezeigt werden, daß der Mensch irgendwann in den vergangenen 30 Tagen Cannabis konsumiert hat – es kann aber nicht festgestellt werden, wann (Stunden, Tagen oder Wochen?) und in welchem Umfang. Und: Auch die kulinarische Verarbeitung von Hanfprodukten, wie etwa durch geröstete Hanfsamen oder durch den Einsatz von Hanföl, führt bei einem kommenden Test zum Nachweis von THC-Metaboliten. Unter Umständen wird also sogar der Zugriff auf nachweislich gesunde Nahrungsmittel bestraft. Nur am Rande sei hier erwähnt, daß selbst Labore, die nach ähnlichen Arbeitsweisen vorgehen, häufig zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Eine merkwürdige Praxis spielt sich ein: Trotz der Tatsache, daß keine Testmethode existiert, die den Zeitpunkt des Konsums auch nur annähernd exakt bestimmt, führt der positive Laborbefund in den meisten Fällen zum Entzug der Fahrerlaubnis. Die Chancen hierzu steigen noch, wenn der überführte Bösewicht offen eingesteht, ein Liebhaber der verbotenen Pflanze zu sein. In der Praxis ist das Vorgehen gegen die Konsumenten von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Während in Bayern mit freistaatlicher Härte jeder sanktioniert wird, der jemals Marihuana oder Haschisch gekostet hat, kommen aus den Großstädten Hamburg und Berlin -Metropolen mit Problemstoffen härterer Natur- nur wenige Meldungen über restriktive Verfolgungen.
Bei der „Grünen Hilfe“ gehen in den Länderbüros zwischen zehn und 30 Anrufen täglich ein. Der Verein bemüht sich seit Jahren um Betroffene, deren Führerschein aufgrund von Haschischkonsum eingezogen wurde. Christiane Eisele bemerkt: „Es herrscht ein enormes Informationsdefizit bei den Kiffern.“ Einmal in eine Kontrolle geraten, im schlimmsten Falle eingeschüchtert durch die Uniformierten, schimmert bei vielen nur wenig Ahnung über ihre Rechte und Pflichten. Dabei tut Aufklärung dringend not, denn inzwischen lädt das Amt fast jeden, der auch nur einmal als Haschraucher aufgefallen ist, zur MPU. Wer hier nicht auf die Knie fällt und glaubhaft versichert, das Hanf ein Machwerk des Bösen ist, darf sich in den nächsten Jahren auf die Qualität seiner Schuhsohlen verlassen. Nicht genug damit: „Uns sind auch Fälle bekannt, wo das Arbeitsamt Drogenkontrollen durchführt und schon zugesagte Umschulungen storniert, das Arbeitslosengeld sperrt und den Menschen als dem Arbeitsmarkt nicht zumutbar deklariert“, berichtet Eisele.
So weit, so schlecht, doch
was ist zu tun?
Ein böser Verdacht verdichtet sich. Nicht nur, daß die Bonner Regierung bisher die Entscheidung des Verfassungsgerichts stillschweigend ignoriert; konservative Kräfte suchen allem Anschein nach einen Ausweg aus der Liberalisierungsfalle. Durch die Hintertür kann so der Haschischkonsum doch noch sanktioniert werden. Erste Schritte leitete die Verwaltung jüngst ein: Seit dem 1. Juli dieses Jahres eichen die amtlichen Prüfungsfragen den Fahrschüler auf Prohibitionskurs. Als Kraftfahrer sind danach alle Personen ungeeignet, die „regelmäßig Drogen, (wie z.B. Haschisch, Heroin, Kokain) nehmen, auch wenn sie zum Zeitpunkt der Fahrt nicht fahruntüchtig sind.“ Andere, ähnliche Fragen und unstatthafte Behauptungen lassen den Fragebogen zu einem Instrument der Desinformation geraten, der jedweden wissenschaftlichen Erkenntnissen widerspricht. Eine weitere flankierende Maßnahme, um Menschen den Genuß der Cannabis Pflanze zu versauern, ist die Hoffnung, daß wiederholte Urinkontrollen bei den sogenannten Drogendeliquenten ein Therapiemodell mit Zukunft sei.
Die „Grüne Hilfe“ fordert einen anderen Weg. „Haschisch muß aus dem Betäubungsmittelgesetz verschwinden“, sagt Eisele knapp. Ein Führerscheinentzug nur aufgrund des Nachweises von THC im Körper verstößt nach ihrer Ansicht ferner gegen das Gleichheitspostulat des Grundgesetzes (Art.3 GG), denn Alkoholtrinkern würde auch nicht generell der Führerschein entzogen. Daß die Behörde die Fahreignung von Kiffern strenger prüft als bei Konsumenten legaler Drogen, stellt nach Ansicht von Harald Hans Körner, Herausgeber des Standardkommentars über das Betäubungsmittelgesetz, jedoch keinen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz dar, „da im Sicherheitsrecht Gefahren ohne Rücksicht darauf begegnet werden muß, ob andere Gefahren mit gleichem Nachdruck begegnet werden kann.“ Knackpunkt der staatlichen Argumentation ist weiterhin die Chance auf den „Flash-Back“. Dieses umstrittene Phänomen soll den Raucher Tage nach Haschlabsal urplötzlich wieder in den Rauschzustand katapultieren. Da kann man wohl nur sagen: Schön wär´s. Eisele nimmt an: „Solange das Verfassungsgericht nicht feststellt, daß es den Echorausch nicht gibt, wird das Alles so weiterlaufen.“ Das Verkehrsministerium überholt die Wissenschaft rechts und brachte jüngst einen Entwurf ein, welcher der herrschenden Praxis rechsstaatliche Legalität verschafft. Danach soll der- oder diejenige, deren Blut mit THC belastet ist, mit einem bis zu drei Monaten währenden Fahrverbot und einem Bußgeld zur Besserung gebracht werden. Im Blut läßt sich die berauschende Substanz indes maximal zwei Tage lang nachweisen. Danach fällt der THC-Metabolitenwert im Blutplasma auf unter 1.0 ng/ml und nach geltender Rechtsprechung ist dann von keiner Wirkung mehr auszugehen.
Wie groß muß nun die Angst sein, mit THC im Leib erwischt zu werden? Dies hängt maßgeblich von der konsumierten Menge, dem Körpergewicht und den Konsumgewohnheiten ab. Wer Abends einen Joint raucht, der kann am nächsten Morgen immmer noch über 1,0 ng/ml im Blut haben. Wer sich dann aus Sicht der Polizei auch noch ungeschickt benimmt, der kann den Lappen durchaus verlieren. Besser ist es mindestens 24 Stunden zwischen Konsum und Fahrtantritt verstreichen zu lassen. Dauerkonsumenten sollten sich sogar noch mehr Zeit nehmen.
Nachtrag 2007: Mittlerweile existieren durchaus genaue Methoden zur Messung der THC-Werte im Blut. Einen Einblick in den akutellen Sachstand von Messbarkeit, juristischen Folgen und MPU gibt:
„An mir hat sich die Eso-Szene schnell die Zähne ausgebissen.“
Es ist schon vier Jahre her, dass das HanfBlatt das letzte Mal mit dem Ethnobotaniker Christian Rätsch sprach. Inzwischen ist viel passiert, sei es in der Drogenpolitik, sei es auf dem Markt der psychoaktiven Pflanzen. Christian Rätsch reist zu Schamanen auf der ganzen Welt, hält Vorträge und leitet Seminare, die sich mit geistbewegenden Pflanzen beschäftigen und hat jüngst ein in der Erdgeschichte einmaliges und hochgelobtes Kompendium, die „Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen“ veröffentlicht. Wir trafen den „Meister“ in leicht grummeliger, aber offener Stimmung in seinem Apartment in Hamburg an. Seine begehrenswerte Frau und nicht minder aktive Mitstreiterin, die Kunsthistorikerin Claudia Müller-Ebeling bereitete uns einen leckeren grünen Tee zu, während sich Christian mit einem Urbock in Wallung brachte.
Christian Rätsch (Cr)
AZ (Az)
Jörg Auf dem Hövel (Jh)
Jh:
Was gibt es denn so Neues auf dem Markt der Genusserfahrungen?
Cr:
Ich habe jüngst ein paar Mal eine Methode der Indianer angewandt, die Wirkung des Ayahuasca-Trankes zu verlängern. Wenn die Wirkung des DMT nachlässt, trinken sie einen Schluck Whiskey oder ein Bier. Dann kommt nach fünf Minuten der DMT-Flash zurück.
Az:
Also schon mal ein Bierchen fürs nächste Mal bereitstellen, falls man sowas plant.
Cr:
Das würde ich niemandem empfehlen wollen. Dieser Art „Booster“ ist für manche Leute gefährlich. Die Witoto in Kolumbien sind ganz begeistert von der Kombination. Überhaupt war der Schnaps ja das, was die Schamanen auf der ganzen Welt an der westlichen Kultur am meisten geschätzt haben. Das entspricht ja ihrem Prinzip, die Zubereitung immer konzentrierter zu machen. Mich würde nicht wundern, wenn Schamanen irgendwann Labors haben, um DMT-Extrakte herzustellen. Schamanen sind vorzügliche Naturwissenschaftler.
Az:
Vor einiger Zeit hast du dich ja relativ kritisch gegenüber dem westlichen Schamanenkult geäussert.
Cr:
Das tue ich auch immer noch. Schamanismus ist eine soziale Definition in traditionellen Gesellschaften. Man braucht ein Berufungserlebnis, man muss von einem amtierenden Schamanen geprüft werden, ob das Erlebnis echt ist, dann muss man in die Lehre und schliesslich muss man öffentlich initiiert werden. In Korea beispielsweise muss die neue Schamanin über neun Stufen eine Leiter hochsteigen und dann mit nackten Füssen auf zwei rasierklingenscharfe Metallschneiden steigen. Wenn sie wirklich in schamanischer Trance ist dann passiert ihr nichts.
Az:
Unsere als Schamanen gepriesenen Techno-DJs würden also ohne Füsse rumrennen?!
Cr:
Wahrscheinlich. Der Schamane opfert sein Leben den Menschen. Er oder sie ist nur noch für sie da. Zudem darf man seine Leistungen nicht in Rechnung stellen und muss angstfrei und unkonditioniert leben. Dies sind Eigenschaften, welche ich bei keinem der selbsternannten Schamanen in unseren Breiten jemals auch nur annähernd beobachten konnte. Die hauen auf die Trommel und meinen das induziert die Trance. So ein Unsinn. Das kann zwar zu einem veränderten Bewusstseinszustand führen, dies ist aber nicht mit der schamanistischen Reise gleichzusetzen.
Jh:
Also sollte man den Begriff des Schamanismus im Westen nicht so ohne weiteres benutzen?!
Cr:
Richtig.
Az:
Bei uns wird immer schnell mit den grossen Begriffen gearbeitet.
Cr:
So ähnlich wie beim Begriff des Tantra. Das ist dann Ringelpietz mit Anfassen.
Jh:
Interessant ist ja dabei, dass dieser Markt nur entstanden ist, weil bei den Menschen der Wunsch nach Erlebnissen dieser Art vorhanden ist.
Cr:
Klar, das kann ich auch verstehen, dass dieser Wunsch da ist, nur wird er halt von Scharlatanen scheinbefriedigt. Leider sind die Suchenden oft zu leichtgläubig und fallen auf den marktschreierischen Unsinn rein.
Jh:
Bei den ganzen Angeboten des esoterischen Marktes ist die Trennung von Spreu und Weizen nicht einfach. Az:
Genau, zumal es soviel Spreu gibt, dass „Weizen“ in Deutschland eine Seltenheit ist.
Jh:
Aber nicht alle können doch sonstwohin fliegen. Es muss doch in Deutschland Möglichkeiten geben, die Suchenden zu befriedigen.
Cr:
Das grösste schamanistische Erlebnis, was man in unserer Kultur haben kann, ist, sich den „Ring der Nibelungen“ von Richard Wagner reinzuziehen.
Jh:
Aha.
Cr:
Das ist ein schamanisches Kunstwerk mit unglaublicher Tiefe. Die germanische Kultur war eine Schamanische. Die germanischen Völker lebten wie die Indianer Nord-West-Amerikas. Mythologie, heilige Tiere und Pflanzen weisen Parallelen auf. Wahrscheinlich kommt daher auch unsere Indianerfreundlichkeit.
Jh:
Ich dachte das wäre eine Konditionierung durch Karl May.
Cr:
Das geht tiefer. Bis ins Mittelalter existierten auch bei uns nur Wald und Wiesen. Der Wisent ist biologisch kaum unterscheidbar vom Bison. Das Leben der Germanen wurde wesentlich durch die Seherin, eine Frau, bestimmt. Die Germanen haben die Frauen noch als was besonderes verehrt und ihnen geglaubt. Das waren nicht solche Frauen wie bei uns heute die Politikerinnen, da ist ja nicht viel vom weiblichen übrig geblieben. Diese Seherinnen haben die heiligen Kräuter gekannt, das Bier gebraut, den Hanf, Bilsenkraut, Flachs und Leinen benutzt. Die Hanfernte war ein erotisches Ritual, der Hanf wurde zum Orakeln benutzt.
Jh:
Also kann es für die Suchenden auch heute noch Sinn machen, sich den Ritualen zuzuwenden, die dem eigenen Kulturkreis entstammen?
Cr:
Unbedingt. Wir haben drei Jahrzehnte Propaganda hinter uns, dass Hanf oder Cannabis, wie man sagte, eine kulturfremde Droge sei. Eine unfassbare Lüge. Hanf ist erst durch die imperialistische Drogenpolitik der USA dazu erklärt worden. Die Konsequenz: In der Zeit des Verbotes hat sich auch aus anthropologischer Sicht eine Hanfkultur entwickelt. Diese schliesst natürlich an alte kulturelle Wurzeln an, die nach und nach wieder freigelegt werden.
Jh:
Die Kirche verliert immer mehr an Bedeutung, aber was tritt an die spirituelle Stelle?
Cr:
Ich habe mit Schamanen auf der ganzen Welt zu tun und wenn ich denen vom „Ring der Nibelungen“, den Bruchstücken der nordischen Mythologie der Edda und den Berserkern erzähle, dann fragen die mich: „Was wollt ihr eigentlich von uns, ihr habt doch alles?“ Aber: Wir haben zwar diese Wurzeln, aber keine sozial definierte Rolle eines Schamanen. Zudem haben wir nur Texte und Musik, aber keine praktischen Rituale. Also ist meine Antwort an diese Schamanen: „Wir brauchen euch als Geburtshelfer!“ Momentan sehe ich tatsächlich einen Prozess der Globalisierung des Schamanismus und vielleicht passiert es ja, dass Schamanen hierher kommen und jemanden sehen, der ein Berufungserlebnis hatte, dieses aber nicht deuten kann. Diese Person müsste dann bei verschiedenen Schamanen in die Lehre gehen…
Az:
…. bevor sie in die Psychiatrie kommt!
Cr:
Ja, ja. In der Ethnologie wurden die Schamanen ja auch lange als psychiatrische Fälle betrachtet. Dabei sind Schamanen die gesündesten Menschen des Planeten.
Az:
Weil sie mehr in sich aufnehmen können und einen erweiterten Zugang zu den Dingen haben. Da haben wir viel mehr Mauern.
Jh:
Da steht eine Menge Angst davor.
Cr:
Klar, das hat immer mit Angst zu tun. Siegfried zog aus das Fürchten zu lernen. Weil er keine Angst hatte, konnte er sogar gegen Wotan antreten. Das ist die wichtigste Eigenschaft des Schamanen: Angstfrei zu sein. Daran kann ich immer die Pappmache-Schamanen erkennen – wenn ich denen einen Trank von mir vorsetze und sie den nicht anrühren, dann sind sie durchgefallen: Schamanen-Test nicht bestanden. Ein richtiger Schamane würde gar nicht fragen, sondern kippen.
Az:
Den nächsten Tag hat er dann aber auch frei.
Cr:
Schamanen haben nie frei.
Jh:
Nie Urlaub?
Az:
Sie sind frei, haben aber nie frei.
Cr:
Ja, genau.
Jh:
1995 unterhielten wir uns das letzte mal. Damals nahmst Du an, dass bei einer rot-grünen Regierung Cannabis legalisiert werden würde.
Cr:
So stand es damals auch im Programm. Es ist ein Jammertal mit den Grünen. Die dürften sich nicht mehr „Die Grünen“ nennen. Das Problem ist, dass viele der grünen Politiker intelligenter sind als ihre Kollegen, aber genauso bestechlich. Das gesamte politische System ist marode, die Gesellschaft wird in erster Linie durch die grossen Konzerne gesteuert. Von denen sind auch die Politiker abhängig. Es gibt keinen unbestechlichen Politiker mehr. Alleine 15 Tausend Mark Monatsgehalt und dann die Jobs in Aufsichtsräten und steuerlich absetzbaren Sonderaufwendungen, Unsere Politik ist bestimmt von den buddhistischen Grundgiften: Gier, Hass und Ignoranz.
Az:
Mehr „politricks“ als „politics“, wie man auf Jamaika sagt. Irgendwann setzt sich vielleicht die Einsicht durch, dass man die Kiffer bei einer Legalisierung des Hanfmarktes genauso aussaugen könnte wie andere Steuerzahler.
Cr:
Ich bin gar nicht sicher, ob ich das wirklich will. Ich weiss nicht, ob ich auf Haschisch Steuern zahlen will, zudem an eine Regierung, die sich als Kriegstreiber offenbart hat.
Az:
Wie bei Tabak und Alkohol wären die Steuern ja nicht an einen guten Zweck zum Wohle der Verbraucher gebunden. Wenn eine Abgabe so organisiert wäre, dass das Geld im Sinne der Konsumenten verwendet würde, wäre das vielleicht nicht verkehrt. Wenn die Steuern zu hoch sind, wird ja trotzdem geschmuggelt wie wild. Das sieht man ja bei Alkohol und Tabak.
Cr:
Die Politiker sollten die Verhaltensmuster von Parasiten studieren. Dann wüssten sie, dass dort der Wirt nie zu sehr ausgenutzt wird. Es gibt dort eine natürliche Schmerzgrenze und die ist bei uns längst überschritten. Niemand hat doch mehr Bock auf Politik. Die CDU wirbt inzwischen mit Plakaten, die man in den 80er Jahren bei den Grünen gesehen hat. Von politischer Aussage keine Spur, da geht es doch nur um Personalkult. Und gerade die CDU-Politiker und Politikerinnen gehören nicht zur schönen Seite der menschlichen Art.
Az:
Politik ist nichts für Ästheten.
Cr:
Und nichts für Menschen mit geistigem Feinsinn.
Jh:
So ist es leider. Darum sollten wir das Thema auch abschliessen.
Az:
Es gibt beim Hanf ja zwei Arten von Puritanern. Zum einen die Faserhanfpuritaner, die unbedingt eine Trennung zum Rauschhanf haben wollen, obwohl sich nur mit dem Image des berauschenden Hanfes vernünftige Verkaufszahlen erzielen lassen. Dann gibt es die Rauschhanfpuritaner, denen es nur um Cannabis geht. Ob man andere „Drogen“ Verboten lässt, ist ihnen egal oder sie befürworten es sogar.
Cr:
Puritanismus ist eine Krankheit. Puritaner sind arrogant und uneinsichtig und haben kein Interesse an der Welt ausserhalb ihrer Bedürfnisse. Und sie übernehmen weder für sich oder irgend etwas anderes Verantwortung. Bei den klassischen Puritanern wird alles Gott ueberlasse, dann ist man die eigene Verantwortung los. Puritanismus unter Kiffern ist erschreckend. Das sind letzlich genausolche Spiessbürger wie diejenigen, die jeden Kiffer am liebsten in die Anstalt einweisen wollen. Wenn man keine Toleranz im Leben walten lässt, dann wird man in der „Hölle“ brutzeln…
Jh:
….um eines ihrer christlichen Bilder zu benutzen.
Az:
Die Welt funktioniert halt nicht so, wie sie sich das vorstellen. Man sollte wohl ohnehin von der Konfrontation zwischen dem guten Hanf und dem bösen Alkohol wegkommen.
Cr:
Es gibt kein „Gut und Böse“. Das sind alles von Menschen erfundene und anerzogene Werte, an denen man sich festklammert, damit man ein Gerüst für sein eigenes Leben hat. Moralische Bewertungen sind Erfindungen. Wenn man es nicht schafft, das zu erkennen, dann hat anscheinend auch jahrelanges Kiffen nichts geholfen.
Jh:
Kiffen macht nicht klug?
Cr:
Manche Leute glauben, durch Kiffen würde man zum besseren Menschen werden. Bei einigen Individuen stimmt das, in der Masse ist das aber nicht ersichtlich.
Jh:
Wie hängt das mit der Legalisierung der Hanfpflanze zusammen?
Cr:
In der Legalisierungsfrage haben wir es nicht mit der Frage um die Wirkung einer Pflanze zu tun, sondern damit, dass eine bestimmte Gruppe eine andere Gruppe unterdrücken und kontrollieren will. Das ist das Phänomen der hierarchischen Kontrolle. Das Grundproblem ist die hierarchische Gesellschaft und der Glaube daran, dass manche Menschen über andere bestimmen sollen. Als dieser Gedanke das erste mal in der Geschichte der Menschheit auftrat, begannen die Probleme. Jede Form hierarchischer Kultur ist unglaublich zerstörerisch. Es zerstört das Individuum in seiner freien Entfaltung, weil es Denkmuster -meist per Gesetz- vorgibt. In allen hierarchischen Kulturen wurde sofort der Schamanismus verboten. Überall wurden Techniken und Substanzen verboten, die den Menschen befreien können. Dabei ist es völlig egal, was es ist. Überall gab es dann Substitute, die zentral vergeben oder selbst hergestellt wurden. Als in Russland der Schamanismus und die Fliegenpilzeinnahme verboten wurden, haben die Schamanen halt ein paar Liter Wodka getrunken, um in die schamanische Trance zu fallen. Mit Fliegenpilzen ist das aber einfacher und gesünder.
Jh:
Substanzen sind also nicht an sich gut oder schlecht?
Cr:
Das ist eine unfassbare Anmassung des Menschen. Nach zweitausend Jahren christlicher Gehirnwäsche ist die Annahme, dass es sowas wie „Gut und Böse“ gibt, weit verbreitet. Die hierarchische Gesellschaft hat als Prämisse, dass es bessere und schlechtere Menschen gibt.
Jh:
Nun geben sich Menschen in einem Verbund aber doch Regeln, wie man miteinander umgehen will.
Cr:
Ja sicher, aber das kann man auf anarchischer Ebene viel besser. Ein Arrangement, wie man miteinander lebt, ohne einander zu stören. Das lässt sich in Stammesgesellschaften gut beobachten.
Jh:
Und diese Fähigkeiten werden schon früh unterdrückt?
Cr:
Alle Formen des Denken und Handelns, die mit der Aufhebung hierarchischer Strukturen zu tun haben, werden unterdrückt und verboten. Das fängt in der Familie an, zieht sich durch den Kindergarten bis hin zur Schule. Die Schule ist doch heutzutage nichts weiteres als eine Gehirnwäschestation um Steuerzahler zu erzeugen: Eigenes Denken unerwünscht. Die Tendenz setzt sich an den Universitäten fort, die mittlerweile zu Grabesstätten der Wissenschaft geworden sind. In unserer Gesellschaft blüht eine Kultur der Unterdrückung der Befreiungsmöglichkeiten des Menschen, na sagen wir mal, von der Last des Seins.
Jh:
Womit wir wieder beim Buddhismus wären.
Cr:
Die buddhistischen Grundgifte werden durch unsere Kultur gefördert: Gier, Hass und Ignoranz. Ignoranz ist die Angst, ausserhalb der Schulmeinung zu stehen, Gier ist der Keim allen kapitalistischen Strebens, Hass wird durch Intermezzi wie Golf-Krieg, Jugoslawien-Einsatz oder den Krieg zwischen Indien und Pakistan geschürt. Man braucht in einer hierarchischen Gesellschaften immer einen Teufel, das „Böse“. Und der wird „gut gewindelt“ am Leben erhalten.
Az:
Da bieten sich ja „Drogen“ an. Erst recht jetzt wieder, wo das Gespenst des Kommunismus verschwunden ist. In Deutschland hat sich das über dreissig Jahre lang bewährt.
Cr:
Wir haben es nicht mit dem Verbot einer Pflanze, sondern dem Verbot einer Geisteshaltung und -entwicklung zu tun, ein Verbot der Psychoaktivität. Dabei ist beispielsweise die Hanfpflanze nur „perfekt“, d.h. wenn sie ein „Bueffel“ ist, also eine Pflanze ist, von der man jeden Teil nutzen kann. Man muss akzeptieren, dass es gerade das THC ist, mit dem sich die Pflanze gegen Ungeziefer schuetzt. Wenn man die Pflanze „kastriert“, d.h. ihr den THC-Gehalt nimmt, offenbart man damit auch die Aufspaltung des Geistes, die sich in der kulturellen Schizophrenie manifestiert.
Jh:
Wenn wir aber nun das Gute suchen, den Silberstreifen am Horizont? Was sagst du zum Internet? Information kann frei fliessen…
Cr:
Ich hoffe sehr, dass das Internet zur Verbreitung anarchischer Ideen beiträgt. Allein die Tatsache, dass es sowas gibt, ist köstlich und wichtig. Aber man muss die Informationen, die man im Internet findet, mit Vorsicht geniessen. Jeder Idiot kann Nachrichten in die Welt setzen: Ich habe da drin Rezepturen gefunden, die lebensgefährlich waren. Da man nicht weiss, was für einen Hintergrund die Leute haben, liegt da eine potentielle Gefahr. Überhaupt gibt es in der sogenannten psychedelischen Bewegung -was immer das auch ist- viele Idioten, die einer Entspannung der Lage nur im Wege stehen. Zugleich ist das Internet ein piratisches System, welches dazu beiträgt, dass freischaffende Autoren beklaut werden: Copyright-Verletzungen am laufenden Band. Ich als Autor kann damit nicht einverstanden sein.
Jh:
Das sehe ich für mich anders. Ich schreibe zwar bei weitem nicht so viel wie Du, aber wenn ich meine Texte einmal verkauft habe, stelle ich sie danach ins Netz, damit noch mehr Menschen was davon haben.
Cr:
Das ist was anderes. Da entscheidest Du Dich selbst dafür. Copyright auf Eigene Bücher ist nunmal da. Und bildende Künstler werden zum Beispiel durch das Internet noch mehr ausgebeutet.
Az:
Wie stehst Du eigentlich zu dem Boom, der auf dem Markt der psychoaktiven Pflanzen herrscht?
Cr:
Ein komplexes Gebiet. Zum einen ist es natürlich schön, wenn der Zugang zu psychoaktiven Pflanzen erleichtert wird. Ich kenne einige wirklich verantwortungsbewusste Unternehmer auf diesem Gebiet, die korrekte Infos weitergeben, beispielsweise Concious Dreams in Amsterdam. Zum anderen zweifle ich an der Kompetenz vieler Smart-Shop und Versandhandelbetreiber. Die Behauptungen über die Wirkung mancher Sachen sind haarsträubend. Oft kommt hinzu, dass der Inhalt der Tüten oft nicht mit dem Aufdruck übereinstimmt. Zudem finde ich die Überteuerung unangemessen. Manches von dem Kraut bekommt man schon in der Apotheke billiger. Es scheint, dass da mancher skrupellos auf ein kommerzielles Ross aufspringt, um die schnelle Mark zu machen.
Az:
Das Einzige was in Amsterdam in dieser Hinsicht wirklich wirkt, sind die Pilze, 2-CT-2 und DXM.
Cr:
In Holland nennen sich die Geschäfte „Smart-Shops“ und in den meisten Laeden sieht man nicht ein einziges Buch. Dabei muss die Information unbedingt mitgeliefert werden. Der Trost ist nur, dass man von dem meisten Zeug dort die ganze Packung fressen kann, ohne dass man Gefahr läuft, was zu merken. Diese „Herbal-Ecstasy“-Geschichte beispielsweise halte ich für Betrug.
Az:
Da wurde eine Idee in Pillenform verkauft. Der Konsument hat dann wieder den Horror einer Unterdosis.
Cr:
Terence McKenna hat mal gesagt: „Legal Highs means it doesn´t work.“ Natürlich gibt es legale, pflanzliche Substanzen die hochpotent sind, aber die Verkaufsbezeichnung „Legal High“ ist irreführend. Das Interessante ist: Die Käufer wollen die Illusion, denn echte Erfahrungen sind ihnen viel zu gefährlich!
Jh:
Wenn Du auf die letzten Jahre zurückblickst, wie hat sich die an deinen Büchern und Vorträgen interessierte Szene verändert?
Cr:
Früher wollte mich die Eso-Szene vereinnahmen. Aber wenn ich denen meinen Walkman-Kopfhörer mit Dark-Metal rübergereicht habe, ging bei denen der Rolladen runter. Wenn ich bei esoterischen Veranstaltungen bin, ziehe ich mir meist Totenkopfringe über die Finger, damit die gleich wissen, wo es langgeht. Wenn dann die weissgekleideten, schwebenden Lichtgestalten auf mich zukommen, werden sie durch diesen Schutzbann gegen die esoterische Leichtigkeit abgeschreckt. Wer nicht auf einen Totenkopf schauen kann, der braucht gar nicht erst von Spiritualität zu reden.
Az:
Der braucht auch gar nicht erst in den Spiegel zu gucken.
Cr:
An mir hat sich die Eso-Szene schnell die Zähne ausgebissen. Sie wollten natürlich auch nicht hören, was ich zum Schamanismus zu sagen habe. Die haben recht seltsame Vorstellungen von „sanfter Heilung“, dabei ist Schamanismus brutal, da geht es um Leben und Tod. Wenn man da nicht durchwill, braucht man sich mit dem Thema erst gar nicht zu beschäftigen. Neuerdings erreiche ich ein ganz anderes Publikum: Zum Beispiel habe ich beim Kongress der kardiologischen Gesellschaft den Eröffnungsvortrag über das Herzchakra im nepalesischen Tantra gehalten. Ich war beim Saechsischen Landesapothekertag und habe über geistbewegende Pflanzen in Peru gesprochen. Ich war sogar bei den Jesuiten eingeladen, um was über psychoaktive Pflanzen zu berichten. Es freut mich dass ich diese Leute erreiche, denn ich sehe mich als ernsthaften Forscher und Wissenschaftler mit interdisziplinärem Ansatz an. Für mich ist die Naturwissenschaft das universelle Erkenntnisstreben um die Geheimnisse unserer Natur, zu der wir ja gehören; das gilt es zu erkennen.
Jh:
Es besteht also ein Bedürfnis bei diesen Leuten nach einer anderen Perspektive.
Cr:
Unbedingt. Fast jedesmal nach solchen Vorträgen stehen sie mit offenen Mündern da und warten darauf, dass ich ihnen was reinträufel. Was ich natürlich nicht tue, weil ich auch nichts habe. Aufgrund der Tatsache, dass ich promovierter Wissenschaftler bin, besitze ich eine gewisse Power Dinge zu sagen, die sich die Leute auch anhören. Ich habe am Institut für Lehrerfortbildung mal ein Seminar über LSD gegeben. Nach dem Seminar wollte die eine Hälfte mal probieren, die andere Hälfte war schockiert, weil ich ihnen gesagt habe, sie sollen den Schülern den richtigen Gebrauch von LSD erklären und nicht verbieten.
Jh:
Und die jüngere Generation unter 25?
Cr:
Da scheint es wie immer zu sein: Da gibt es die Typen, die sich einfach nur volldröhnen lassen wollen und diejenigen, die mehr an Erkenntnissen interessiert sind. Als ich an der Uni gelehrt habe und in meiner Einführung für Ethnologie 120 Studenten sitzen hatte, war ich überrascht. Als ich die gefragt habe, was sie hier eigentlich wollen, sagten sie: „Wir brauchen den Schein!“ Diejenigen die den Schein brauchen, sagte ich da, die gehen am besten nach Hause.
Jh:
Scheinstudium ist Scheinstudium.
Cr:
Scheinstudenten. Die haben lange Gesichter gemacht, weil sie dachten, och, der Rätsch ist ein Freak, bei dem kriegen wir den Schein ohne was zu tun. Wenn man in sich nicht den Drang nach Erkenntniszuwachs spürt, ist man an der Universität verkehrt. Das Universitätswesen ist verkorkst. Viele Professoren beschäftigen sich nur damit, wie sie den Kollegen an der Nachbar-Uni in die Pfanne hauen können. Das ist schade, denn dadurch haben es die wahren Forscher um so schwerer. Bei meinem Seminar standen die Studenten Schlange, damit ich ihnen ein Thema für die Hausarbeit gebe, obwohl ich ihnen zuvor gesagt hatte, sie sollen sich selbst ein ethnologisches Thema ausdenken.
Az:
Gib mir etwas, wofür ich mich interessieren soll!
Cr:
Das ist furchtbar, das sind Zombis.
Jh:
Zum Abschluss: Kannst du dein Interesse am Thema „Drogen und Bewusstseinsveränderung“ in drei Sätze packen? Was ist das Credo deiner Erfahrung?
Cr:
Psychoaktive Pflanzen und Substanzen sind für mich lebenswichtig. Sie haben mir vielfältige Erkenntnisse, Einblicke in meine und die mich umgebene Natur gegeben und sie haben mein Leben unendlich bereichert. So in der Art meintest du?
Jh:
Ja, denn es ist doch wichtig, dass das mal deutlich gesagt wird! Az:
Denn das ist das eigentliche Tabu: „Drogen“ bringen auch Spass und können das Leben bereichern.
Cr:
Diese Pflanzen können das Leben verschönern, Perspektiven aufzeichnen, heilen, der Sexualität und Erotik eine neue, ungeahnte Tiefe verleihen und die wissenschaftliche Erkenntnis fördern.
JAdh und AZ:
Vielen Dank für das Interview.
Christian Rätsch hat eine Fülle von Büchern veröffentlicht. Sein Hauptwerk ist sicherlich die „Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen“, in der Botanik, Ethnopharmakologie und Anwendungen der weltweit genutzten Pflanzen aufgeführt sind.
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In Arizona darf gekifft und gedealt werden – wenn man Steuern zahlt
Langsam steuert Jeff seinen Van durch den Vorort von Tucson. Aus dem Radio klingt die blecherne Stimme Willi Nelsons, der Aschenbecher ist randvoll und das geöffnete Seitenfenster bringt nur wenig Kühlung. Zu heiß ist die Luft, als daß die Haut von Jeff ihre Bewegung als erfrischend empfindet.
Das kurze Aufheulen einer Sirene reißt den jungen Mann jäh aus seinen Träumen, im Rückspiegel erkennt er die blinkenden Warnleuchten eines Polizeiautos – anhalten! Betont lässig schlurft einer der beiden Cops zu Jeffs Vehikel. „Kann ich mal Führerschein und Fahrzeugpapiere sehen?“ Die Papiere sind in Ordnung, aber ein Blick auf die Ladefläche des Vans zeigt dem Cop, daß Jeff mit vier ausgewachsenen Marihuanapflanzen an Bord durch seinen Diskrikt fährt. „Und was ist das?“ fragt der Sheriff. „Vier Cannabispflanzen. Hier ist die nötige Lizenz, die dazugehörigen Steuermarken und eine Kopie vom Präzedenzfall des Amtsgerichts“, antwortet Jeff und überreicht die Dokumente. Nach kurzer Überprüfung wünscht der Cop „weiterhin eine gute Fahrt“.
Eine Fiktion? Eine nette gute-Nacht-Geschichte? Ein Kiffermythos? Nein, unlängst so geschehen in Arizona. Nach einer Entscheidung eines Gerichts in Phoenix, ist der Besitz und Verkauf von Marihuana legal, wenn die Bürgerin die staatliche Konzession sowie gültige Steuermarken ihr Eigen nennt. Und die erhält jedefrau beim Finanzamt. „Wir sind sicher, daß die Entscheidung des Gerichts wieder umgeworfen wird“, hofft Barnet Lotstein, Assistent des Staatsanwalts, welcher Berufung gegen das Urteil eingelegt hat. Das Gesetz sei nicht entworfen worden, um die Produkte der Cannabispflanze zu legalisieren, sondern um Drogenhändler zu bestrafen. Den Rechtshändel angezettelt hatte Peter Wilson, Vorsitzender des Ablegers der „National Organization for the Reform of the Marijuana Laws“ (NORML) in Arizona. Wilson war des Besitzes von Haschisch angeklagt, trotzdem er die staatlichen Lizenz besaß. Der Vorsitzende Richter, John Barclay, wollte nicht einsehen, warum Wilson auf der einen Seite Steuern für Rauschmittel zahlt, auf der anderen Seite für ihren Besitz bestraft werden soll.
Seit dem Urteilsspruch pilgern Scharen von Liebhabern der Hanfpflanze in den 48. Staat der Vereinigten Staaten von Amerika. Legalisierungsbefürworter verkaufen Cannabis direkt vor dem Regierungssitz und Rich Davis, Inhaber des mobilen Hanfmuseums, welches mit ihm seit Jahren durch die USA zieht, brachte Ein-Gramm Beutel unter den Augen von Polizeioffizieren an Frau und Mann. Verhaftet wurde niemand. Ron Kiczensky kündigt die Eröffnung einer Firma an, welche ausschließlich Cannabis vertreibt. „Das wird die erste legale Marihuana-Zigaretten-Company“, freut sich der bekannter Marihuana-Aktivist.
Wilson triumphiert: „Holt Euch eure Lizenz, die Marken und eine Kopie des Gerichtsentscheids“, fordert er seine Hänflinge auf. Die einzige Einschränkung bevor man als legaler Dealer aktiv wird: Die Steuern sind im voraus zu entrichten. 100 amerikanische Taler für die Lizenz und 500 für die Marken berechtigen somit beispielsweise zur Rücklage von annähernd 1,4 Kilo Cannabis. Der Staat verpflichtet den Interessenten, mindestens 50 Ein-Gramm-Marken zu erstehen; schon eine Investition von 117.50 Dollar dürfte damit den Eigenbedarf decken.
„Dieses Gesetz gibt den Anschein, daß wir Marihuana-Konsum in diesem Bundesstaat legalisiert hätten“, wütet Scott Bungaard. Mit einem jetzt in das lokale Parlament eingebrachten Änderungsantrag will der republikanische Abgeordnete das muntere Treiben im Wilden Westen beenden. Zur Verwunderung aller Cannabisfreunde unterließ der Gouverneur des Staates, Fife Symington, es bislang, den zuständigen Behörden per Exekutivorder die weitere Ausgabe von Lizenzen zu untersagen. Nicht ohne Grund, vermutet man bei NORML, denn offiziellen Statistiken zufolge beschlagnahmte die Grenzpolizei Arizonas im Jahre 1994 fast 57 Tonnen Marihuana. Wären die Steuern hierfür ins Staatssäckel geflossen, könnte Symington für seinen nächsten Wahlkampf 18 Millionen Dollar mehr ausgeben. Dazu kommt, daß der aufgegriffene Hanf nur einen verschwindend kleinen Teil der Menge ausmacht, die jedes Jahr über die Staatsgrenze geschmuggelt wird…- eine unversiegbare Quelle steht dem Wüstenstaat in Aussicht.
Inzwischen erfährt dem Richterspruch Unterstützung durch juristischen Kollegen. Die obersten Gerichte von Illinois und Indiana sprachen ebenfalls Personen frei, die -wie Wilson- trotz einer staatlichen Legitimiation des Besitzes von Marihuana angeklagt waren. „Um die Marihuanasteuer zu bezahlen, muß man ein Verbrechen begehen“, begründete Richter Harrison aus Illinois seine Entscheidung.
„One Night in Bangkok“, reicht dann wohl tatsächlich aus. Wo unser Geld im Laufe der Nacht gelandet ist, bleibt im Nebel. Drei Flaschen Whiskey am Flughafen gekauft, Marc begrüßt und ab ins Taxi. Der Fahrer rast mit 120 km/h in die Stadt, Fußgänger am Rand. Eine Dunstglocke schwebt über dem Moloch. Lärm, Verkehrschaos, aber alle gut drauf. 33 Stock im Sheraton, Eiswürfel für den Whiskey bestellen, Chivas Regal, gern auch mit Cola. Die Stadt glitzert an allen Ecken. Bunte Lampen, natürliche Entwicklung der Mosaikkunst in den Tempelanlagen.
Wir treiben durch die Menschenmenge. Ein kleiner Stand nach dem anderen: Uhren, Textilien, Leder, CDs, Schmuck. Alles Kopien. Der Thai kennt kein Nein, er will Dich zufriedenstellen. Selbst wenn er oder sie keine Ahnung hat, wird sich bemüht, Dir zu helfen. Fickfänger am Rand: „Massage?“ ist die Frage der Fragen. Die Tuk-Tuks sind unglaublich, wildes Geknatter, luftige Fahrt ins Sea-Food Market. Welch ein Essen! Wir drehen allmählich durch. Hoppsi am Boden, Reis fliegt. Weiter geht’s. Der Tuk-Tuk-Fahrer hat tatsächlich gewartet. Nun von Nachtclub zu Nachtclub. Die Frauen lächeln. Käuflich oder freundlich? Hose runter im Tuk-Tuk. Das erste und letzte Mal sehe ich einen Thai entsetzt. Aber Hoppsi muß halt kacken. Halt vorm nächsten Nachtclub. „Nein, Hoppsi, unter Dir liegt nichts, Du kannst aussteigen.“ Höflicher Rauswurf. Nana-Hotel. Die Dinger wirken jetzt. Müdes geschiebe auf der Tanzfläche. Ich spiele Theater. Frauen umschwirren uns an der Bar. Ich fliehe auf die Straße und lasse mich vom Gewimmel aufsaugen. Warme Luft, alles bunt, ich treibe durch die Nacht, unterhalte mich mit einem freundlichen Thai, entdecke spielende Kinder (ca. zwei Uhr Nachts). Kirmes. Und immer wieder 50-jährige Langnasen mit jungen Thai-Mädchen. Gekauft für eine Woche oder länger. Beide sind froh, echtes Gefühl entsteht. Wirklich? Die Frauen lockt wohl eher der reiche Westen. Die AIDS-Rate ist hoch (40 Prozent bei den registrierten Prostituierten), das verdiente Geld kommt der Familie im Norden zu, es gibt kaum ein zurück in das normale gesellschaftliche Leben Thailands. Marc will acht Damen besorgen. „Fürs Hotel“, wie er sagt. Chiang Mai. Nur etwas ruhiger als Bangkok. Aber auch hier öffnet ein Lächeln alle Türen. Trotz der griesgrämigen Touristenscharen übe ich mich in Faszination. Garküchen am Straßenrand: Lecker. Überall in der Stadt Tempelanlagen (Wat). Mönche wässern Sträucher und Bäume. Mildes Lächeln. Das Wetter ideal zum Wandern, neudeutsch: Trekking. Die Besitzerin des „Chiang Mai Garden“ ist mir ein Stück zu geschäftstüchtig. So oder so landet man wahrscheinlich in dem Schlauch, der sich da Trekking-Tour nennt. 12 Leute auf dreitägiger Tour, bis auf einen Belgier alles verkniffene Deutsche. Wir sorgen für Amüsement. Ausgetretene Pfade durch den leicht steppigen Wald. Originärer Regenwald existiert hier (und in fast ganz Thailand) nicht mehr. Die Vegetation ist trotzdem interessant. Weite Felder mit rosa Blumen: Jah Koh Lah, wie mir Chang, unser Guide, versichert. Wenn er bloß nicht so rennen würde. Die Thais haben sich angewöhnt, englische Wörter immer doppelt auszusprechen: „Joking, joking.“ Chang erzählt deutsche Witze. Wir sitzen am Feuer, dunkel wie im Bärenarsch ist die Nacht. Ich jongliere vor ein paar Dorfkindern. Die Karen-Frau trennt mit eine großen Hammereinrichtung die Hülsen vom Reis und siebt danach aus. Spärlicher Ertrag. Elefanten sind beeindruckende Tiere. So riesig, so ruhig, so gemächlich. Kleine Augen, Riesen Körper. Ich sitze auf dem Kopf des Tieres, welches steile Abgänge zum Fluß sicher nimmt. Die Haut fühlt sich seltsam an, so dick und fest, aber atmend. Die Borsten kitzeln. Meine Knie hinter seinen Ohren, später baumeln meine Füße über seinem Rüssel. Die vor uns wackelnde Kuh entläßt riesige Fladen aus ihrem After. Besuch eines weiteren sogenannte Bergstamms an der Grenze zu Burma. 20 Hütten im Dorf, davon drei für Touristen. Geldquelle Nr.1. „Yes, Yes, you can try Opium, try, try“. Die Atmosphäre in der Hütte des Bauern macht mächtig Eindruck, wir liegen vor ihm und er stopft Pfeifen. Fünf Stück jeder, nix passiert. Wieder nur Fake, aber das Essen war gut. Übernachtungen auf harter Unterlage im Gemeinschaftsraum. Fahrt auf Bambus-Floß, uns kommt dabei ein Idee, die später noch für viel Spaß sorgen wird. Nette Stromschnellen. Steile Hänge am Rand. Wenig Vögel, wilde Tomaten. Wir kaspern weiter rum, um das Gemoser der Gruppe zu ertragen. Erst erwischt es Hoppsi, später mich: Fieber. Die Aktion in Bangkok war wohl etwas viel für uns. Nach zwei Tagen ist es überstanden. Die (traditionellen!) Thai-Massagen sind eingehend. Besonders empfehlenswert sind die Fußreflexzonenmassagen. Danach gehen wir wie auf Wolken. Ich träume von hölzernen Elefanten. Ko Phi Phi. Insel in der Südsee. Sonne, Sand, kesse Krabben. Der Tauschein lockt. Tatsächlich das Ein-Tauchen in eine andere Welt. Mein Lehrer ist relaxed, im Gegensatz zu meinem Tauchpartner, einem dänischen Erstligafußballer. Süße Freundin hat der. Unterwasser rückwärts. Drei Dimensionen, ich schlage Purzelbäume mit Schrauben. Und alles so schön langsam. Das Atmen bekommt was meditatives. Ganz langsam ein, ganz langsam aus. Man muß viel weniger atmen unter Wasser. Unsere Flaschen sind schon fast leer, die unseres Lehrers noch fast halb voll. Relax. Fische, so dünn wie ein Blatt Papier (!), aber DIN A4 Blatt groß. Ein Moräne schaut aus ihrem Bau. Der Lions-Fisch tentakelt vor sich hin. Da, ein Schwarm von schwarzen Fischen, etwa 50 Stück, in Begleitung einige Regenbogenfische, die ihre Farbe je nach Lichteinfall ändern. Ich folge ihnen, kann sie fast greifen. Ach ja, das Buddy-System, immer beim Partner bleiben. (Eine Woche später erlebt Ruthi einen Tiefenrausch (Stickstoffanreicherung im Blut) in nur 30 Meter Tiefe. „Leichte Euphorie, mehr Farben, alles Gut“, beschreibt er die lebensgefährliche Abfahrt. Er wäre immer tiefer gegangen, wenn ihn der Diving-Instructor nicht eingeholt hätte.) Korallen, wunderschön. Gefächert, wie Tuben, grazile Kelche, Kobaltblau, knallrot. Ein gelbes Riesengebilde erscheint, geformt und strukturiert wie ein menschliches Gehirn, nur halt vier Meter groß. Neben mir eine Korallenwand, 15 Meter hoch, überall wächst und gedeiht es. Ich schaue nach oben, 20 Meter Wasser über mir. Wow. Anemonefische, rot mit weißen Streifen, nur 5 Zentimeter groß, bewachen ihre Mutterpflanze. Ein riesiger Hummer in einer Felsspalte. Und immer wieder Druckausgleich, die Ohren schmerzen sonst. Kontrolle der Instrumente. 22 Meter Tiefe, noch genug Luft, alles klar. Eine Unterwasserurwald, alles scheint unberührt. Unbeschreiblich schön. Ein Stück weiter aber ein totes Riff. Eine weiße Schicht überzieht die ehemals leuchtenden Lebewesen. Kaum noch Fische hier. Die Erwärmung der Ozeane, der Tourismus, der Dreck. Eine Flaniermeile für die Touris, Kneipen, Geschenkartikel. Alle bieten nebenbei das Gleiche an: Pringels, Snickers, Cola. Die kleinen Läden, besetzt nur mit einer runzeligen Oma, gehen nach und nach im grellen Glanz ihrer Neon-Nachbarn unter. Und langsam läßt auch das Lächeln nach, das immer währende Lächeln der Thais, die liebevolle Hilfsbereitschaft, die kindliche Neugier, die offene Art, die ehrliche Unbekümmertheit. In diesen Tropen fehlt der südamerikanische Machismos. Das gefällt. All das droht von der mächtigen Walze der internationalen Reisewut plattgemacht zu werden. Hier brauchen die Menschen zwei Sätze mehr, um aus ihrem Touristen-Abfertigungs-Modus herauszukommen. Aber dann ist es wieder da, das aus Frauenmündern so zärtlich klingende kop kun kap. Und sonst? Vati aus Gelsenkirchen stürzt gewohnheitsmäßig seine drei Bier am Abend und wundert sich über den Schädel am nächsten Tag. Versicherungskaufmann Andreas (35) schlüpft in Batic und Shorts. Für drei Wochen Freak sein. Es ist aber auch an alles gedacht, Bundesliga zeitversetzt, Marihuana, E-Mail, Aspirin für den Morgen danach. Und trotzdem ist es die Südsee, lieblicher Duft, braune Haut, leichtes Dasein. Und nicht weit vom Budenzauber herrscht die Kraft der Natur: Hölzer, Gräser, alleiniger Sand, Vögel, Geckos. Das Essen weiterhin eine Abfahrt im Mundraum, falscher Biß – Elefantenschiß, unbekanntes Gaumenterrain will erschlossen werden. Ich sitze bis zum Hals in Seafood, esse ohne satt zu werden, scheißen ohne Schmerz oder schlechten Geruch. Hui, drei Bodybuilder schieben sich in knackigen Shorts und freiem Oberkörper durch die niedrige Menge. Die Frauen aus dem Massage-Salon quieken vor Vergnügen. Alles lacht fröhlich über den Auftritt, selbst die mundwinkelgeschädigten Körperkranken bewegen den untrainierten Lachmuskel kurz. Ok, ok, nur halt nicht mein Stil. Wohin mit dem Müll? Nein, nicht dem Seelenmüll der tausend Frustrierten, sondern dem Konsummüll der tausend Touristen, die Tonnen von Plastik und Papier hinterlassen? Ein Teil liegt einfach in den Büschen und zwischen Palmen. Auch die Thais scheinen wenige Gefühl für dieses Problem zu haben: Neben ihren Häusern türmen sich Berge. Opiumgag im Regenwald. Ha! Chang wird gewußt haben, daß das Zeug nicht wirkt. Zurück im Cafe auf der Flaniermeile. Schicksal der Pärchen auf Reisen: Schweigen im Walde? Miesepetrige Gewohnheitsopfer oder lautlose Verbundenheit? However. Auf der Terrasse unserer Behausung, sinnierend im Stuhl, Zirp, Zirp. Abschalten, die ewige Denk-Maschine ganz langsam laufen lassen, eventuell sogar abschalten. Innerer Friede und die diversen mich schüttelnden und wärmenden Gefühle zu vereinbaren ist nicht einfach. Die Mönche haben es da einfacher, he, he. Ich schalte das TV ein. Thai-Frauen in traditionellen Gewändern tanzen zu Techno. Welch´ Anpassungsfähigkeit. So wie die Thai-Wirtschaft: Adaptieren und dann eine preiswerte Kopie herstellen. Eine Insel weiter, Ko Lanta. Endlich am Ziel: Die Hängematte. An den Tod von Niklas Luhmann gedacht. Die von den Hanseaten schon immer praktizierte zirkuläre Logik: „Wat mut, dat mut“. John, ein 50jähriger Ami, trägt ein Teleskop mit sich rum. Wir sehen die Ringe des Jupiters. Diskussionen über das Weltall. Was ist Gravitation? „Nur ein weiteres Erklärungsprinzip“, äffe ich G. Bateson nach. Schlimm, wenn ich rede ohne wirklich zu verstehen, aber ich bin halt in Urlaubsstimmung und ein kleiner Dämpfer tat dem Hobby-Astrologen gut. Wir spielen am nächsten Tag Fußball am Strand. Plötzlich 15 Thais dabei, wildes Gebolze. Am nächsten Tag gehen wir mit dem Typen fischen und fangen von ihrem Long-Tail-Boot aus einige Fische. Ab in die Küche damit. Lecker. Die Fischer sehen nicht mehr so thailändisch aus. Es sind Nachfahren von „Seezigeunern“, die hier früher die Gewässer spannender gemacht haben. Stolz, etwas ruhiger, die Menschen. Wir treffen ein großes, dschunkenartiges Fischerboot mir zweistöckigem Aufbau. Es gibt Reis für die Familie an Bord. Es wird vor allem Nachts gefischt. Zurück in der Hängematte. „Hey, Jungs, laß uns das Bambus-Floß bauen.“ Mr. Chang, der Besitzer des Bungalow-Ressort, leiht uns seinen Pick-Up. Unvorstellbare Straßenverhältnisse, nur Schrittempo ist möglich. Na, wir haben ja Zeit. Inmitten der Insel ein kleines Bambuswäldchen, wir zahlen den Besitzer, der zunächst die Genehmigung bei der „Behörde“ im Ort einholen mußte. Mit den Fischerjungs schlagen wir sechs dicke Bambusbäume aus dem Wald. Schnittwunde. Der Saft einer Pflanze hilft. Mordsschwer, die Stämme, 500 Meter bis zum Auto. Transport zum Ressort. Tage der Arbeit folgen. Blödsinnig wie wir sind, stehen wir immer erst um 11h auf und werkeln dann in der Mittagshitze an dem Bambus rum. Löcher in alle Stämme, oben und unten, dann zwei Querstangen an beiden Enden, dann erst Vertäuung. Vollmond. Um den Mond eine riesige Corona. Wow. 31.12.1998. Während des Stapellaufs wird Hoppsi von einem Stingray (Rochen) gestochen. Der Unhold fühlt sich belästigt und sticht mit seinem Schwanz zu. Der Fuß schwillt an, unglaubliche Schmerzen, wenn ich Hoppsis Gesichtsausdruck so sehe. Halbstündige, ruckelnde Fahrt ins Krankenhaus. Der Arzt kommt aus dem Norden und hat keine Ahnung. Schmerzmittel, Whiskey, Joint, nichts hilft. Erst David, ein immer leicht angetrunkener 55jähriger Schotte weiß Rat: „Fuß in heißes Wasser.“ Und tatsächlich, der Schmerz ist wie weggeblasen. Die Schotten feiern Silvester, wir tanzen ohne Kilt nach Folklore aus dem Casettenrecorder. Immer im Kreis. Die Thais staunen. Bücherwurm: (1) Matt Ruff: GAS. Super Buch, unbedingt zu empfehlen. Leichte Schreibe (Ami halt), witzige Ideen, nie zäh. Im Gegensatz zu (2) Umberto Eco: Die Insel des vorigen Tages. Inhaltsschwanger, lateinisch, der Herr Professor mußte ich mal wieder austoben. (3) Theodor Fontane: Schach von Wuthenow. Deutsche Literatur vom Feinsten. Der Mann hats raus gehabt. Ein Mann zerbricht am Standesdünkel, obwohl er die Frau liebt. Seufz. (4) Philipp Roth: Sabbaths Theater. Wow, so was ordinäres und schonungsloses habe ich lange nicht mehr gelesen. Der Held, Sabbath, fickt sich durchs Leben (und will nicht alt werden.) Herrliche Psychogramme von Ehen, Beziehungen und sexuellem Verlangen. Macht Lesesüchtig. Ah, hier ein Zitat aus dem Eco: „Ich habe in meinem Leben ein kluges Maß gehalten. Immer ernsthaft zu sprechen verursacht Überdruß. Immer zu spotten Verachtung. Immer zu philosophieren Trübsinn. Immer zu scherzen Unbehagen. Ich habe alle Rollen gespielt, je nach Zeit und Gelegenheit, und manchmal bin ich auch der Hofnarr gewesen. (…) Eine Stunde nach dem Tod ist unsere dahingegangene Seele das, was sie eine Stunde vor dem Leben war.“ Wir leihen uns Mopeds. Mit 80 km/h über die Schotterpiste. Wir sitzen im Sonnenuntergang und der Thai-Kiffer schenkt uns sein Bong. Wir kochen in der Küche des Ressort. Besitzer genervt, das Personal jubiliert. Alle probieren artig, ,an lächelt, aber ich kann mir nicht vorstellen, das die Bratkartoffeln wirklich schmecken. Erholung. Leerer Blick in den Wald, ein Schluck Wasser, und weiterschauen. Es gibt nichts zu sehen, es gibt nichts zu leisten. Spaziergänge, Essen, wieder in die Hängematte. Irgendwann dann plötzlich Rückflug.
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