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Künstliche Intelligenz

Wo bleibt das Hirn?

Das europäische Human Brain Project steht vor der Spaltung

Das Human Brain Project (HBP) der EU ist mit dem Ziel initiiert worden, das vorhandene Wissen über das Hirn zu sammeln und in einem zweiten Schritt das menschliche Denkorgan nachzubauen. Dafür sollen über eine Milliarden Euro fließen. Sowohl am Anspruch wie an der Summe wird seit bekannt werden des Projekts Anstoß genommen. Zu utopisch, zu teuer.

Aus der Skepsis ist nun offene Ablehnung geworden. Eine anwachsende Gruppe von derzeit 800 Wissenschaftlern hat einen Brief an die EU unterzeichnet, in dem eine gründliche Überprüfung der Zielrichtung des HBP gefordert wird. Stein des Anstoßes ist die Arbeit des Exekutivkomitees und dessen Leiter Henry Markram. Dieses hatte jüngst beschlossen, den Forschungsbereich der kognitiven Neurowissenschaften aus dem Kern des HBP zu streichen. Welche Bereiche des Gehirn welche Funktionen übernehmen wird also nur noch am Rande erforscht. Für die Funktionalisten ein Skandal, für die Strukturalisten die logische Konsequenz aus dem IT-getriebenen Ansatz. Markram kommt nicht umsonst aus dem „Blue Brain“-Projekt, das er 2005 mit Hilfe von IBM gegründet hatte. Aus seiner Sicht geht es im HBP eben nicht um Neurowissenschaft, sondern um Computational Neuroscience.

Der Subtext ist deutlich: Die traditionelle Hirnforschung hat ihre Chance gehabt, jetzt übernimmt Big Data.

Dabei war das HBP zur Finanzierungsausschreibung der EU durchaus mit dem Anspruch angetreten, die Grundlage neurologischer Erkrankungen zukünftig besser erklären zu können. Dies war ein Grund, weshalb viele Forscher das Projekt unterstützten. IT und Medizin sollten verbunden werden. Davon ist nicht mehr viel übrig.

Durch die enorme Speicher- und Rechenleistung moderner IT ist es aus Sicht der Wissenschaftler des HBP möglich, eine digitale Kopie des menschlichen Hirns zu bauen. Eine Annahme, die von anderen Forschern nicht nur bestritten, sondern als absurd abgetan wird. Nicht nur das Zusammenspiel der Neuronen sei nicht ausreichend erforscht, auch die Rolle der grauen Substanz und anderer, nicht neuronaler Bestandteile des Gehirn seien unterbelichtet. Im Grunde, so der Vorwurf, würde man theorielos in eine Unternehmung starten und darauf hoffen, dass die pure Datensammlung zu neuen Erkenntnissen führt. Simulationen des Denkens ohne ein Basiswissen über das reale Zusammenwirken verschiedener Hirnregionen sei Geldverschwendung. Es fehle an biologischen Hypothesen um diese Simulationen zu testen.

Befürworter des HBP führen an, dass auch das Humangenomprojekt anfänglich kritisiert wurde. Dieses hatte später zur vollständigen Sequenzierung des menschlichen Genoms geführt. Allerdings waren die Ziele viel eindeutiger definiert und die Herausforderungen vor allem technischer Natur. Auch der Vergleich zum Teilchenbeschleuniger CERN ist irreführend, weil dort ein Instrument zur Verfügung steht, mit welchem experimentelle Daten gesammelt und Hypothesen getestet werden.

Wie geht es weiter mit dem HBP? Entweder wird das Vorhaben zu einem reinen Technologieprojekt ohne Anschluss an die biologische Neurowissenschaft. Dann müsste ehrlicherweise ein neuer Name gefunden werden. Oder das Projekt spaltet sich in seine neurowissenschaftlichen und hardwarebasierten Sektionen auf. Die dritte Möglichkeit scheint aufgrund der Kränkungen schon jetzt verbaut: Die theoretischen und klinischen Hirnforscher wieder einzubeziehen und mit theoriegeleiteten Experimente das Projekt stützen zu lassen.

 

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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