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Die sozialistischen Staaten und das Internet

Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 28.01.2003

Gehemmter Cyber-Sozialismus

Wie passen sozialistische Werte und die elektronische Modernisierung des Staates zusammen? Die sozialistischen Staaten streiten um den Umgang mit dem Internet.

Nha Trang ist keine Schönheit, Hotelbauten verschandeln die Strandpromenade der rund eine viertel Million Einwohner zählenden Stadt an der Ostküste von Zentralvietnam. Durch die breiten Straßen knattern unzählige Mopeds, zunehmend auch Autos und immer weniger Fahrräder. In den gläsernen Hotels begegnen sich junge Unternehmer und Parteifunktionäre, in den Straßen hängen neben Coca Cola-Schildern vergilbte Plakate, die an Volksgesundheit und sozialistische Tugenden erinnern. Auf kaum einen anderen Bereich wirkt sich die Gemengelage aus Marktwirtschaft und Sozialismus aber so offensichtlich aus wie auf die Telekommunikationspolitik des Landes. Das Internet soll den ökonomischen Aufschwung bringen, allerdings nicht die als degeneriert erachteten westlichen Werte. Mit diesem Spagat zwischen Zensur und telekommunikativ angeregten Wirtschaftswachstum steht Vietnam nicht alleine.

Erst seit Ende 1997 ist das Land an das Internet angeschlossen, wobei der gesamte Datenverkehr über zwei Server läuft, die in Hanoi und Ho Chi Minh Stadt, dem ehemaligen Saigon, stehen. Diese Zentralisierung ist kein Zufall, ermöglicht sie doch die effektive Kontrolle des Datenflusses. Nur die Vietnam Data Communications (VDC), eine 100prozentige Tochter der staatlichen Telekommunikationsgesellschaft VNPT (Vietnam Post & Telecommunications Corporation) ist in Besitz einer Lizenz anderen Firmen den Zugang zum Internet zu ermöglichen.

Strassenschild ins Nha Trang
Straßenschild ins Nha Trang

Zur Zeit verfügt das Land über genau vier solcher Internet Service Provider. Diese führen ihre Betriebe unter restriktiven Bedingungen. Sie müssen dafür sorgen, dass bestimmte Adressen im ausländischen Internet aus Vietnam heraus nicht zu erreichen sind. Dies dient zum einen der Sperrung von Websites vietnamesischer Dissidenten, zum anderen soll so der weiteren „Indoktrination der Bevölkerung“ Einhalt geboten werden. Nach Angaben der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ werden rund 2000 Webseiten blockiert.

Eine der Homepages, die ganz oben auf der Liste der VDC steht, ist die der „Allianz Freies Vietnam“. Die Organisation von Exil-Vietnamesen setzt sich für die Demokratisierung des Heimatlandes ein und bemüht sich unter anderem den Informationsfluss aufrecht zu erhalten. „Politische Nachrichten und kritische Stimmen aus Vietnam werden von uns gesammelt und wieder ins Land zurück geschickt, um so Informationssperren und Zensur der Regierung zu umgehen“, erklärt H. Tran, außenpolitischer Sprecher der Organisation in Deutschland. Das Internet biete hierfür ideale Bedingungen, und mit dem anwachsenden Datenaufkommen wird die Kontrolle der Inhalte immer schwieriger. An den zwei Gateways ins Ausland ist seinen Aussagen nach eine Schnüffelsoftware installiert, die einkommende und ausgehende elektronischen Briefe auf verdächtige Inhalte überprüft.

Diktaturen und andere Regierungen ohne demokratische Basis haben seit jeher ein gespaltenes Verhältnis zum freien Informationsfluss. So wird im benachbarten China der Zugang ins Web noch restriktiver gehalten. Wer ins Internet will, muss seinen Anschluss an die weite Welt bei gleich mehreren staatlichen Stellen registrieren lassen. In den Großstädten florieren legale und und vor allem illegale Internet-Cafes. Aber auch dort sind Botschaften aus und in die weite Welt nicht gewährleistet, unterliegt doch das einzige Gateway ins Ausland der Kontrolle des chinesischen Postministeriums. Je nach politischer Großwetterlage und Gutdünken der Parteiführer sind Seiten der britischen BBC oder der Nachrichtenagentur Reuters zuweilen erreichbar, zuweilen gesperrt.

Auch Länder wie der Iran, Yemen und Saudi-Arabien suchen die negativen Aspekte des Internet von seinen Bürgern fernzuhalten. Speziell eingesetzte Gremien legen in Abständen fest, welche Seiten als „unmoralisch“ gelten oder aber die politischen und religiösen Werte des Landes verletzen. Ländern wie Libyen und Irak gähnen gar als schwarze Löcher im Netzraum – in ihnen existiert für die Öffentlichkeit kein Zugang zum Internet.

Die IuK-Politik dieser Länder gleicht sich: Man ist um die Hegemonie seiner Informationspolitik bemüht, weiß aber zugleich, dass die ökonomischen Reformen vom Wachstum des Technologiesektors abhängig sind. Aber: Das Informationsmonopol ist unter den Bedingungen der IuK-unterstützen Marktwirtschaft kaum zu halten. Die Begriffe „nationale Sicherheit“ und „wirtschaftliche Internationalisierung“ stehen für diese Quadratur des Kreises.

Um dennoch Wachstumsschübe durch Datenaustausch zu gewährleisten setzen Alleinherrscher und Parteiführer auf Kontrolle auf drei Ebenen: Zum einen unterliegt der wachsende Telekommunikationsmarkt staatlicher Aufsicht, zum anderen wird der Datenaustausch innerhalb des Landes und vor allem mit dem Ausland überwacht. Als drittes Standbein setzen einige Regimes zudem noch auf die Überwachung der Internet-Nutzer. Alle diese Maßnahmen drohen aber entweder am technischen oder personellen Mangel zu scheitern.

Im Westen hofft man noch immer auf das umfassende Demokratisierungspotential des Internet, einem Medium, welches nicht nur einseitige Kommunikation vom Sender zum Empfänger ermöglicht, sondern in welchem jeder zum Sender werden kann. Aber die Theorie der „Demokratisierung durch die Steckdose“ funktioniert nur, wenn Alphabetisierung und technische Infrastruktur gleichermaßen ausgebaut sind. In China besitzen aber nicht einmal 8 Prozent der Haushalte einen Telefonanschluss, von einem PC mit Internet-Connection ganz zu schweigen. In Vietnam haben rund 170 Tausend Vietnamesen einen eigenen Zugang zum Netz der Netze, das sind 0,2 Prozent der Bevölkerung. Zum Vergleich: In Deutschland sind 43 Prozent der Bevölkerung über 14 Jahren online.

Selbst bei einem weiterhin rasant prosperierenden IuK-Markt wäre es verfehlt allzu hohe Erwartungen in die freiheitsbringende Kraft des Internet zu setzen. Ob Vietnam, China, Saudi-Arabien oder Kuba: Die Idee, dass jeder Bürger uneingeschränkten Zugriff auf ausländische Informationen hat, kommt für die Lenker und Denker im Staat einer Schreckensvision gleich. Und so übt sich die Politik in einer ständigen „Ja-aber Taktik“. Dazu kommt, dass das Potential der Demokratiebewegungen in diesen Länder im Westen oft überschätzt wird. Ein Großteil der Bürger Vietnam und China steht westlichen Demokratievorstellungen gleichgültig oder skeptisch gegenüber.vietnam12

Unzufriedenheit in der Bevölkerung erregt allenfalls die weit verbreitete Korruption und Behördenwillkür. Damit fordern sie wie die ausländischen Investoren, ohne die der Ausbau der Telekommunikationsnetze nicht zu bewältigen ist, den Rechtsstaat. Ohne Rechtssicherheit wagt sich kein Unternehmen ins Land. Die „sozialistische Marktwirtschaft“ bringt einen neuen, selbstbewussten Mittelstand hervor, der sein Augenmerk weniger auf freie Meinungsäußerung als auf berechenbare und nachvollziehbare Entscheidungen des Staates legt. Der Wunsch nach einer Begrenzung der Kreise bestechlicher Beamter und das aufblühende Geschäftsleben werden zukünftig Hand in Hand gehen. Zugleich wird mit dem verschleppten, aber steten Wachstum der virtuellen Netze die Möglichkeiten der Zensur schrumpfen.

Jörg Auf dem Hövel

 

 

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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