Rezension von az (Achim Zubke)
Zahlreiche mitunter schön illustrierte und anekdotenreiche Bücher wurden im Laufe der Zeit über das Genussmittel Tee und seine Geschichte geschrieben. Manche oft englischsprachige Werke widmen sich detailliert Teilthemen oder sind umfangreich und kostspielig. Wissenschaftlich hat sich auch in letzter Zeit noch und hierzulande Einiges getan.
Der Kieler Historiker Martin Krieger hat u.a. zu den Themen Kaffee und Tee geforscht und bereits 2009 eine Kulturgeschichte des Tees veröffentlicht. Jetzt (2021) ist von ihm ein aktuelles Werk zur Geschichte des Tees erschienen, das sowohl neue internationale Erkenntnisse, als auch Forschungen im deutschsprachigen Raum berücksichtigt.
Die Einleitung des Buches eröffnet den Blick auf die bisherige Teegeschichtsforschung und wichtige Quellen.
Im ersten Kapitel geht es um die abenteuerliche Geschichte der Klärung von botanischer Identität, Verwandtschaft und Herkunft der Teepflanze. Wie bei vielen anderen angebauten Nutzpflanzen ist jenseits von Mythen nichts Genaues über seine Erstkultivierung bekannt. Er stammt wahrscheinlich ursprünglich aus einer Region, die dem heutigen Südwesten Chinas und angrenzender Länder entspricht. Tee gehört zu den Pflanzen, von denen man nicht weiß, ob es heute überhaupt irgendwo noch echte wilde Pflanzen gibt oder vermeintliche Wildpflanzen tatsächlich von Kultivaren abstammen. Genetische Untersuchungen werfen aktuell und wahrscheinlich noch zunehmend neues Licht auf Verwandtschaften und Ursprünge.
Im zweiten Kapitel wird beleuchtet, was wir jenseits von Mythen relativ sicher vor Allem aus literarischen Quellen über die Geschichte der Verarbeitung und Zubereitung des Tees in China und Japan wissen. Korea, das dritte von den heutigen Ländern mit der längsten dokumentierten Teekultur, aber in der gängigen Teeliteratur für die internationale Ausbreitung historisch als weniger bedeutend angesehen, wird hier nicht genauer untersucht. Auch in den historisch unter dem Einfluss Chinas stehenden südostasiatischen Nachbarkulturen wurde bereits früh Tee als Getränk eingeführt oder lokal möglicherweise schon genutzt, so im heutigen Vietnam. Auch diese interessanten wohl auch noch nicht ausreichend erforschten historischen Bezüge finden hier keine nähere Betrachtung.
Im dritten Kapitel beschreibt der Autor die Diversifizierung der Teesorten und ihrer Zubereitung in China, dem ersten Zentrum für Teeanbau, und einen präkolonialen intra-asiatischen Handel, ausgehend vom wohl ursprünglichsten unter Hitze getrockneten und gepressten Tee, der analog zum heutigen Matcha zubereitet wurde, hin zu grünem Blatttee und wohl erst relativ spät teilfermentiertem Oolong und bei steigender Nachfrage besonders westlicher Länder fermentiertem schwarzen Tee. Er weist auf die asiatischen Handelswege hin, insbesondere die Seewege bis nach Persien, und erwähnt auch die Seidenstraße nach Zentralasien und den Austauschhandel Tee gegen Pferde, geht aber nicht genauer auf die Teepfade ein.
Im vierten Kapitel erfährt man, wie sich über europäische Handelskontakte in Asien, insbesondere durch portugiesische Jesuiten und Kaufleute und Angestellte der niederländischen Ostindienkompanie mit zahlreichen in ihrem Dienst stehenden Deutschen und hier besonders aus Japan bis ins 17. Jahrhundert das Wissen vom Tee als Getränk und Heilmittel und schließlich die Teepflanze über verschiedene Publikationen und vermutlich auch über nicht dokumentierte Berichte in Europa vermehrte.
In der Zeit als chinesischer und japanischer Tee bereits als Luxusgut aus dem intra-asiatischen Seehandel unter anderen damals noch bedeutenderen Waren nach Europa mitgebracht wurde, wuchs ab den 1660er Jahren die Zahl der Publikationen, die sich mit Tee beschäftigten. Insbesondere wurden medizinische Wirkungen diskutiert. Darum geht es im fünften Kapitel. Interessant, dass ein dänischer Forscher anhand der Optik ihm vorliegender Teeblätter vermutete, dass es sich bei Tee um den nordeuropäischen Gagelstrauch („Porst“, „Porse“, botanisch heute Myrica gale) handeln könne, den man in Nordeuropa als Bierzusatz kannte.
Im sechsten Kapitel erläutert der Autor wie der Tee, wie auch das für dessen Konsum erforderliche Geschirr, über die konkurrierenden Ostindienkompanien bei steigender Nachfrage in Europa und durch nunmehr auch direkten Export über den chinesischen Hafen Kanton im 18. Jahrhundert zum bedeutenden Handelsgut wird.
Den Spuren der Verbreitung des Teegenusses und des Teehandels in Europa und den USA mit Schwerpunkt Großbritannien im 17. und 18. Jahrhundert folgt das siebente Kapitel. Hierzu gibt es anscheinend besonders viele Geschichten und Mythen. Die Ausbreitung des Tees verlief parallel zu bzw. folgte der des Kaffees. Dementsprechend wurde er zuerst nicht nur von Wohlhabenden privat, sondern auch in Kaffeehäusern ausgeschenkt. Extra angefertigte Teetische ermöglichten auch den Konsum auf „Teaparties“, sogar im Außenbereich. Die vielleicht aus Asien stammende Sitte der Zugabe von Zucker beeinflusste das Kolonialwesen und die von Milch beförderte die lokale Rinderzucht im Umfeld der Städte.
In Deutschland verbreitete sich der Teegenuss vom Ende des 17. bis Anfang des 19. Jahrhunderts als Alternative zum Kaffee insbesondere in Norddeutschland über Hafenstädte wie Hamburg und Regionen mit guten Handelskontakten in die Niederlande. Auch Seeleute brachten wahrscheinlich ihre Kenntnisse von Tee als Genussmittel mit. So etablierte sich der Teekonsum ausgehend von wirtschaftlich privilegierten Kreisen, über die Braunschweiger Messe, sowie Adelige und gesellschaftliche Eliten, wie in Weimar. Import und lokale Produktion von repräsentativen Teeutensilien nahmen zu. Entgegen heutigen Mythen wurde in Ostfriesland von den gleichen Konsumenten auch Kaffee und das mengenmäßig mehr als Tee getrunken. Darauf weist der Autor hin. Auch Alkohol wurde konsumiert. Wie es sich mit Tabak in Relation zum Teekonsum und dem von Kaffee und Schokolade verhielt, ist auch ein interessantes Thema. Mythen um regional oder in Subkulturen angeblich reinen Konsum nur eines bestimmten Genussmittels, sowie auch der Mythos von den Coffein-Drogen als den Alkoholrausch verdrängende alternative Ernüchterer am historischen Übergang in die Industrialisierung und schließlich die Moderne erfüllen in Bezug auf ideologisch begründete Sichtweisen bestimmte Funktionen, müssten aber wissenschaftlich noch einmal revisitiert und genauer untersucht werden. In der Vermarktung und Anpreisung von Psychoaktiva, wie auch in deren Verteufelung waren und sind vereinfachte Sichtweisen populär und etablieren sich so auch in wissenschaftlichen Kreisen zumindest fragmentarisch leicht als Mainstream. Der Autor widersetzt sich voreiligen Schlüssen und ermuntert so mit seiner Arbeit zu tieferer wissenschaftlicher Recherche, auch, wenn die historische Realität so am Ende komplexer und vielleicht auch nicht leicht unter einfachen Thesen subsumierbar erscheinen mag. Das sind von mir herausgestellte Aspekte, die man, durch das achte Kapitel angeregt, subjektiv schlussfolgern könnte.
Im neunten Kapitel geht es um die Bemühungen, die Teepflanze aus China und Japan heraus zu bekommen, um sie anderenorts anzubauen. Es gelang zuerst 1825 den Niederländern mittels der Hilfe eines deutschen Arztes aus japanischem Saatgut Tee auf Java anzupflanzen. Im nepalesischen Kathmandu wurden von einem Briten Teepflanzen entdeckt. Aber erst als in Assam eine lokale im Tiefland gedeihende Teevarietät entdeckt wurde, begannen auf dieser Basis Bemühungen im britisch kolonialisierten Indien kommerziell Tee anzubauen. Um die negative Handelsbilanz mit China zu kompensieren, gerade auch in Bezug auf Tee, der mit Silber bezahlt wurde, hatten insbesondere die Briten begonnen, das Land mit günstig in Indien produziertem rauchbarem Opium zu versorgen, dessen Konsum sich in China stark verbreitete. Chinesische Regierungsversuche dies zu unterbinden, mündeten in zwei Opiumkriege, die von den Briten und westlichen Verbündeten gewonnen wurden, und von China die Abtretung einiger Städte und Regionen und die Öffnung für den internationalen Handel erzwangen. In der Folge gelang es britischen Expeditionen Mitte des 19. Jahrhunderts chinesische Teepflanzen in einem Akt, den man heute als Biopiraterie bezeichnen würde, zu exportieren und einige chinesische Teeexperten zu werben, die Basis für erfolgreichen Anbau mit Produktion grünen Tees in Indien. In der Zwischenzeit hatte sich der internationale Handel durch die Einführung schneller Schiffe wie der Tea-Clipper beschleunigt und brachte so nach Europa und Amerika frischeren Tee zu den Händlern auf die Märkte und schließlich zu den Verbrauchern.
Mitte des 19. Jahrhunderts nahm im britisch kolonialisierten Indien der Teeanbau Fahrt auf. Es wurden mit Hilfe lokaler und chinesischer Sorten und Kreuzungen und europäischer Investoren und Pflanzer Anbaugebiete in Assam, Darjeeling und den südindischen Bergen erschlossen. Dafür wurden Wälder gerodet, Einheimische marginalisiert, auszubeutende Teearbeiter in die Anbauregionen gelockt, die mit Hilfe von Eisenbahnen infrastrukturell an die Märkte angebunden wurden. Die Verarbeitung zu in Europa besonders nachgefragtem Schwarztee wurde zunehmend mechanisiert und standardisiert. Auch auf der niederländisch kolonialisierten Insel Java folgte man diesen Innovationen und Expansionen. Nach dem in Folge einer Pflanzenkrankheit auf Ceylon zusammen brechenden Kaffeeanbaus gewann auch die von den Briten beherrschte Insel einen wichtigen Status in der Teeproduktion. Teeanbau wurde zudem in Ostafrika und anderenorts etabliert. Der Handelsweg von Asien und Ostafrika nach Europa verkürzte sich schließlich durch Aufkommen der Dampfschifffahrt und den Bau des Suezkanals. In China mit verbreiteter Kleinproduktion und vielen Zwischenhändlern sank dagegen die Qualität des Tees, und die lokale Ökonomie zeigte sich den durch die Konkurrenz erwachsenen Anforderungen gegenüber immer weniger gewachsen. Russland blieb ein Abnehmer. Um diese Entwicklungen geht es im zehnten Kapitel.
Der internationale Teehandel explodierte unter den neuen Bedingungen. Tee war vom Luxusgut zur Massenware geworden. Die Entwicklung von Marken, Marketing, Versandhandel und der Teebeutel-Maschine hatten daran ihren Anteil. Zwar war Großbritannien das Zentrum des Teehandels, aber ab Entstehung des Kaiserreichs 1871 erhielt der Teehandel auch in Deutschland einen Schub. Erst jetzt wurde in Ostfriesland Tee in einem Umfang konsumiert, dass er zum Identifikation stiftenden Kulturgut wurde. Hamburg wurde der wichtigste deutsche Umschlagplatz für Tee. Die folgenden Entwicklungen mit Markenbildung, Ersatzmitteln während des 1. Weltkrieges, Inflationszeit in der Weimarer Republik, Stabilisierung in den folgenden Jahren, Einschränkungen des Teehandels während der nationalsozialistischen Diktatur, Unterbrechung während des von Deutschland vorbereiteten und angezettelten Zweiten Weltkrieges, Wiederverwertung bereits aufgebrühten Tees in der britischen Besatzungszone der Nachkriegszeit und Neukonstituierung des Teehandels in der demokratischen Bundesrepublik, aber auch in kleinerem Umfang in der sozialistischen DDR-Diktatur werden im elften Kapitel geschildert.
Im Schlusskapitel stellt der Autor noch einmal heraus, dass Tee in der Vergangenheit bei mangelndem Wissen über seine Herkunft und Qualität nicht so ein Naturprodukt war, wie es Konsumenten heute gerne hätten. Tee wurde obendrein in mit Blei ausgeschlagenen Kisten transportiert, mitunter verfälscht oder mit giftigen Farbstoffen optisch aufgewertet, und war langen Seereisen ausgesetzt. Erst mittels der Entwicklungen im 19. Jahrhundert erhielten die Verbraucher ein qualitativ zuverlässiges Produkt, oft unter Markennamen. Die Wurzeln des Bildes vom Tee und der Kultur um seinen Genuss hierzulande liegen in Ostasien. Heute haben wir eine Vielfalt an Teeprodukten, eine hohe Verfügbarkeit diverser Qualitäten und Angebote schnellen, sowie kultivierten Genusses. Der Teemarkt wird allerdings dominiert von großen Unternehmen. Hier gibt der Autor einen Überblick über die aktuelle Situation und wirft auch einen kurzen Blick auf Probleme wie den Einsatz von Pestiziden und die problematische Situation von Teearbeitern in den Herkunftsländern.
In einem Anmerkungsverzeichnis finden sich die nummerierten Quellenangaben für die einzelnen Kapitel. Ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis regt zu weiterer Recherche und Kenntnisvertiefung an. Zu den Schwarz-Weiß-Abbildungen, die den Text zwischendurch auflockern und begleiten, folgt dann noch ein entsprechendes Herkunftsverzeichnis. Ein Register ermöglicht bei späterer zur Handnahme des Werkes das Wiederfinden wichtiger Persönlichkeiten und Themen.
Zusammenfassend lässt sich schlussfolgern: Ein ansprechend aufgemachtes, in Anbetracht der vorgelegten faktischen Fülle sehr gut lesbares aktuelles und wissenschaftlich fundiertes deutschsprachiges Werk ideal für einen bereits tiefen Einstieg in die Kulturgeschichte des Tees, aber auch eine unverzichtbare Bereicherung für jeden belesenen an hoher Informationsdichte interessierten Teekenner zur Rekapitulation, Korrektur und Erweiterung seines teehistorischen Wissens, das zu weiterer Beschäftigung mit Fragen zum Thema Teegeschichte anregt.
Martin Krieger
Geschichte des Tees.
Anbau, Handel und globale Genusskulturen
Böhlau Verlag, Wien Köln 2021
Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
ISBN 978-3-412-52204-9
Gebunden, Lesebändchen, 302 Seiten, 38 SW-Abb.