Chirurgen am Limit
Wie steht es um die Hirndoping-Affinität bei jungen Ärzten?
Der Arbeitsalltag vieler Chirurgen ist stressig, die Anforderungen hoch, Fehler können fatale Folgen haben. Eine umfangreiche Befragung der Universität Mainz unter über 1.100 Operateuren ging nun der Frage nach, ob diese Arbeitsbelastung dazu führt, dass die Ärzte zu sogenannten „cognitive enhancern“ greifen, um länger konzentriert arbeiten zu können. Die Ergebnisse zeigen neben der kaum wundersamen Tatsache, dass auch Ärzte Drogen nehmen, vor allem, dass die nötige Trennschärfe zwischen Aufputsch- und Hirndoping-Mitteln schwierig ist.
Die Untersuchungseinheit bestand aus Chirurgen aller Altersgruppen, die ihre wöchentliche Arbeitszeit mit 56,8 (± 13.0) Stunden angaben. Um möglichst ehrliche Angaben bei den heiklen Fragen zum Substanzgebrauch zu erhalten, setzten die Wissenschaftler neben offenen Fragen auch auf die Randomized-Response-Technik. Tatsächlich gaben mit dieser Fragetechnik 19,9% der Operateure zu, schon mindestens einmal im Leben zu pharmakologischem „kognitiven Enhancement“ gegriffen zu haben, während dies bei der herkömmlichen Fragetechnik nur 8,9% waren. Dieser Anteil kletterte bei dem Gebrauch von Antidepressiva noch einmal an. Unter Randomized-Response-Befragung gaben 15,1% gegenüber 2,4% an, schon einmal einen Stimmungsaufheller ohne ärtzliche Verschreibung benutzt zu haben.
Wie üblich stellen sich Fragen und Anschlussfragen: Ist das viel? Ist das wenig? Und wie so oft hilft der Blick auf die absoluten Zahlen. Bei den offenen Fragen gaben 29 Personen (3,03%) an, im letzten Jahr ein Medikament oder eine illegale Droge gebraucht zu haben, um besser funktionieren zu können. Dieser Wert fällt auf 13 Personen, wenn man nach dem Gebrauch im letzten Monat, und 8 Personen, wenn man nach dem Gebrauch in der letzten Woche fragt. Bei diesen zusammengenommen rund 2% dürfte es sich um die eigentlich interessante Gruppe handeln, denn sie nutzen anscheinend regelmäßig Pharmaka, um dem Job im Krankenhaus gerecht zu werden. Und auch dieser Prozentsatz muss relativiert werden, denn in diese Chirurgengruppe miteingeschlossen sind auch diejenigen, die mit den klassischen Aufputschmitteln arbeiten. Leider weist die Studie nur die Gesamtwerte für die verschiedenen Substanzen (hier) auf. Schon daraus ist allerdings ersichtlich, dass neben den eher unter die „cognitive enhancer“ fallenden Substanzen Methylphenidat („Ritalin“) und Modafinil („Provigil“) auch Ecstasy, Amphetamin (Speed) und Kokain zum Einsatz kommen. Warum die seit langem bekannten Drogen nun plötzlich als „cognitive enhancer“ gelten, bleibt unklar.
Dies weist auf die grundsätzliche Unschärfe des Begriffs „cognitive enhancer“ bzw. „cognitive enhancement“ hin. Da „kognitiv“ je nach Definition so ziemlich alle denk- und fühlbare Prozesse bedeuten kann, versteht die pharmakologische Neurowissenschaft zur Zeit darunter nicht nur die Steigerung von Intelligenz- oder Erinnerungsvermögen, sondern auch alle Effekte, die wach halten und den Körper auf Hochtouren laufen lassen. Um hier nicht zur Begriffsaushöhlung zu gelangen, dürfte es klüger sein, mit „cognitive enhancement“ oder „Hirndoping“ nur mentale Effekte zu benennen, die dem Gedächtnis mnemotisch (Arbeitsgedächnis, Langzeitgedächtnis) auf die Sprünge helfen. Dann, so zeigen die Studien, wird es allerdings eng für die meisten – wenn nicht gar alle – auf dem (Schwarz-) Markt befindlichen Arznei- und naturnahen Hirndopingmittel, denn so recht kann hier nichts überzeugen.
Eine Antwort auf „Hirndoping-Affinität von jungen Ärzten“
[…] Chirurgen am Limit. Wie steht es um die Hirndoping-Affinität bei jungen Ärzten? (Telepolis v. 19.05.2013) […]