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Big-Brother Award

Internet World 1/00

Big–Brother–Awards erstmals in Österreich verliehen

Jörg Auf dem Hövel und Thomas Barth

Die Idee einer jährlichen Auszeichnungen von Personen und Institutionen, die sich um unsauberen Umgang mit Datenschutz und Privatsphäre verdient gemacht haben, stammt von Simon Davies. Der Wahlspruch des Leiters von Privacy International: „We’ll name them and we’ll shame them!“ Nach ersten Verleihungen in den USA und England ist jetzt Österreich seinen Daten–Schmutzfinken zu Leibe gerückt. Neben Innenminister Schlögl und abhör–begeisterten EU–Parlamentariern gehörte auch Microsoft zu den glücklichen Gewinnern des Big–Brother–Awards.

Der Big Brother AwardWer am Nachmittag des Jahrestags des Erscheinens von Orwells „1984“, am malerischen Wiener Donaukanal flanierte, konnte vor dem Szenelokal Flex die Gruppe temperamentvoller Diskutanden kaum überhören. Berge von Computerausdrucken, Briefen und Notizen auf dem Kaffeetisch vor sich hektisch durchwühlend, wurden neugierige Frager ungewohnt barsch abgewiesen. Doch Wiener Charme milderte die Reaktion: „Normalerweise sind wir viel netter, aber jetzt sind wir im Stress wegen der Preisverleihung heute abend… komm doch heute abend um neun!“ Von einer Jurorin so freundlich eingeladen, wollte man die Auswahl der Award–Gekrönten dann nicht weiter stören. Zumal das Flex, das die phonstärkste Anlage Österreichs sein eigen nennt, zur Big–Brother Party mit DJ Hell „Eintritt frei“ versprach. Und so ließ man die Jury in Ruhe ihres Amtes walten, die unter anderem aus Vertretern der „Österreichischen Gesellschaft für Datenschutz“ und dem „Verein zur Wiederherstellung der Bürgerrechte im Informationszeitalter“ bestand.

Am Abend konnte sich selbst die kleine Delegation des Groupware–Projekts Puplic Voice Lab dann beinahe nicht mehr in den überfüllten Konzertsaal hineindrängeln. In diesem amüsierte sich das Publikum und die Veranstalter mit sich selbst, denn die Preisträger glänzten allesamt durch Abwesenheit. Besonders begehrt ist diese Auszeichnung nicht: Sie zerrt jene Personen und Institutionen ans Licht der Öffentlichkeit, die sich am Grundrecht auf Datenschutz in besonders ehrloser Weise vergriffen haben.

Politisch prominentester Preisträger war Österreichs Innenminister Karl Schlögl, der mit dem „Livetime Achievement“ für sein ganzes Lebenswerk belohnt wurde, in dessen Zentrum die Juroren die Überwachung der Bürger des 8–Millionen–Staates sahen. In Schlögls Amtszeit wurden Grundrechte wie Schutz von Privatsphäre und persönlichen Daten oder das Redaktionsgeheimnis wenig geachtet, dafür aber die polizeilichen Befugnisse trotz sinkender Kriminalität kräftig ausgeweitet. Wie es aus dem Innenministerium verlautete, nahm der Minister den Preis „zur Kenntnis“.

Doch nicht nur Prominente, auch politische Hinterbänkler bekamen ihr Fett weg: Acht österreichische Abgeordnete im Europaparlaments erhielten den Big–Brother Award „Politik“ für ihre Zustimmung zu den „Enfopol“–Abhörgesetzen (siehe IW 8/99). In der Award–Rubrik Behörden gewann das Österreichische Statistische Zentralamt mit seinem Plan, bei der Volkszählung im Jahr 2001 die erhobenen Daten mit jenen des Innenministeriums abzugleichen, um dem „gläsernen Bürger“ Orwells etwas näher zu kommen. Die Preise konnten sich sehen lassen: Kleine Plastikroboter wurden –in solide Blumentöpfe einbetoniert– als „Spitzel–Oskars“ stellvertretend von Treuhändern entgegen genommen, die sie den abwesenden Gewinnern tags darauf überreichen sollten.

Eine der zugespitzten Fragen des Abends lautete: „Was ist der Unterschied zwischen einem totalitären und einem autoritären Staat? –Der totalitäre Staat bespitzelt, foltert und ermordet seine Bürger –der autoritäre Staat überlässt viele dieser Tätigkeiten dem privaten Sektor.“ Ganz in diesem Sinne wurden auch Big–Brothers kleine Helfer aus dem Bereich der Wirtschaft mit Preisen bedacht: Die „laufende Publikation von unklaren und veralteten Wirtschafts– und Schuldnerdaten“ brachten der österreichischen Schufa, dem Kreditschutzverband von 1870 den BB–Award im Bereich Business ein. Die Auszeichnung für Schnüffelei in Medien und Kommunikation gewann die Schober Direct Marketing–Agentur, die sich mit ihrer umfangreichen Datensammlung über fünf Millionen Bürger brüstet.

In der Kategorie „Peoples Choice“ obsiegte die österreichische Niederlassung von Microsoft. Bill Gates guter Ruf war jedoch nicht der alleinige Anlass: Geehrt wurde der Versuch des Software–Giganten, LINUX–User durch die illegale Verwendung ihrer persönlichen Daten auszuhorchen. Im Auftrag Microsofts hatte die Unternehmensberatung „G3“ von Österreich aus gegen das norwegische Urheberrechtsgesetz verstoßen. „G3“ filterte bei einem norwegischen LINUXcounter systematisch die österreichischen Mailadressen heraus, ohne sich darum zu kümmern, dass auf der norwegischen Website ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass die kommerzielle Nutzung ihrer Adressen verboten sei. Die LINUX–Gemeinde wurde dann flächendeckend mit Fragebögen belästigt, mittels welchen ihre Einstellungen zu und ihr Einsatz von LINUX ausgeforscht werden sollte. Gefragt wurde unter anderem, ob LINUX Know How aktiv weitergegeben wurde sowie nach Beruf, Branche und Größe des Arbeitgebers. Erst nach Protesten und Medienberichten stellte Microsoft Österreich diese Praxis schließlich ein, die man wohl als ängstlichen Versuch einer Konkurrenzbeobachtung werten muss. Unklar bleibt, ob die so gewonnene Publicity eher Microsoft oder LINUX nützen wird.

Deutsche Datenschützer haben die Big–Brother Award–Verleihung bislang verschlafen, aber im nächsten Jahr sollte der 26. Oktober im Kalender rot angestrichen werden: Die FoeBuD, der Bielefelder Verein für sozialverträgliche Technikgestaltung, will den Big–Brother Preis auch in Deutschland etablieren. An Anwärtern wird es nicht mangeln, und deutsche Computernutzer werden ihre Nominierungsvorschläge dann wohl an die www.foebud.org senden können. Computerkünstler padeluun kündigte für den Verein an, die Verleihung in Kooperation mit anderen Gruppen zu organisieren: „Wir machen das!“. Thilo Weichert, Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Datenschutz (DVD), sagte eine Beteiligung bereits zu und auch das FIfF (Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung) sowie der Chaos Computer Club werden sich der Aktion vermutlich anschliessen.

Siehe auch

http://www.foebud.org

http://anders-verlag.de/

 

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Lauschangriff durch Echelon

Das globale Ohr existiert

Das weltweite Lauschsystem Echelon hört das Internet ab. Jetzt beschäftigt sich das Europäische Parlament mit dem Großen Bruder.

US-Militärbasis in Bad Aibling bei München, Teil des weltweiten Lauschsystems "Echelon".
US-Militärbasis in Bad Aibling bei München, Teil des weltweiten Lauschsystems „Echelon“.

Jahre lang fehlten handfeste Beweise, nun sind erstmals Dokumente aufgetaucht, welche die Existenz des globalen Abhörsystems Echelon bestätigen. Unter Führung des us-amerikanischen Geheimdienstes NSA (National Security Agency) haben die traditionellen West-Alliierten an den wichtigsten der Internet-Knotenpunkten Abzweigungen eingerichtet. In den USA läuft seit 1995 Sniffer-Software an den Knoten FIX East und FIX West, sowie an MAE East und MAE West. Auch E-Mail aus Deutschland wird zum Teil über diese Router weiter geleitet. Aber nicht nur das Internet, auch die Kommunikation über Satelliten wird angezapft (siehe IW 6/98). Der Name Echelon steht nicht für den Verbund der Abhörstationen, sondern für das System zum Austausch der Daten, die mit Hilfe dieser gewonnen werden. Die USA, Kanada, Großbritannien, Australien und Neuseeland sammeln in ihren Stationen Informationen und liefern sie im Bedarfsfall an die Alliierten weiter. Ausgerichtet ist das System zwar in erster Linie auf Wirtschaftsspionage, aber auch persönliche Mails und Faxe können abfangen und ausgewertet werden. Die Überraschung: Eines der globalen Ohren steht in der Nähe von München in Bad Aibling, auf dem Gelände einer us-amerikanischen Militärbasis. Noch Mitte des vergangenen Jahres hatte der Geheimdienstkoordinator im Bundeskanzleramt, Ernst Uhrlau, Bad Aibling besucht und nichts auffälliges entdecken können. Uhrlau berichtete, dass er einen „vollständigen Überblick“ über alle Erfassungsaktivitäten in Bad Aibling erhalten habe. Anscheinend nicht, denn mittlerweile verdichten sich die Informationen, dass Bad Aibling in einer Reihe mit anderen zentralen Abhörstationen steht: Menwith Hill in Großbritannien, Pine Gap in der Nähe von Alice Springs in Australien und Rosman in North Carolina.

Schon im letzten Jahr klaffte die erste Lücke im Netz der Geheimhaltung um Echelon auf: Martin Brady, Leiter des australischen DSD (Defence Signals Directorate), eröffnete in einem Interview Einblicke in den australischen Teil von Echelon (www.heise.de/tp). Im September bestätigte der dänische Verteidigungsminister Hans Haekkerup, dass sein Land an einem „globalen Überwachungssystem“ beteiligt sei. Anfang diesen Jahres veröffentlichte dann ein Forschungsinstitut an der George Washington Universität Dokument, welche es im Rahmen des „Freedom of Information Act“ -einem Veröffentlichungsgebot für Regierungsakten- angefordert und erhalten hatte. In einem der Dokumente wird Echelon offiziell erwähnt. In den USA hat darauf hin die älteste und größte Bürgerrechtsorganisation, die ACLU, ein Echelonwatch-Website eröffnet (www.aclu.org/echelonwatch). Auf dieser wird regelmäßig über neue Entwicklungen im Fall Echelon informiert.

Während die Bundesregierung zu dem Thema weiter schweigt, ist das Europäische Parlament aktiv geworden: Bei einer ersten Anhörung informierten sich die Abgeordneten über das Ausmaß von Echelon, die Grünen forderten darauf hin die Einsetzung eines Untersuchungsauschusses. Der britische Premierminister Tony Blair wies in einer ersten Stellungnahme die Behauptung zurück, dass abgefangene Mails zugunsten britischer Unternehmen verwendet würden: „Nein ist die kurze Antwort.“

Hans-Joachim Otto, medienpolitischer Sprecher der FDP im Bundestag, kündigte an die Bundesregierung zu mehr Offenheit drängen zu wollen. Sein Kommentar: „Falls es sich bewahrheiten sollte, dass die Telekommunikation auch der deutschen Bevölkerung jahrzehntelang von Diensten befreundeter Staaten abgehört und belauscht wurde, wäre dies ein Skandal ersten Ranges und eine erschreckende Missachtung der Bürgerrechte und der demokratischen Spielregeln.“