Aus der Petra
Reif für 115 Inseln
Mehr geht nicht: Wer auf der Suche nach dem perfekten Strand ist, findet auf den Seychellen sein Ziel. Und reist dafür mit zwei neuen Faibles wieder ab: Naturwunder und seltsame Insel-Geschichten.
„Tut mir Leid“, sagt Beate Sachse und streicht über die Baumrinde. Die Rangerin, die mich durch den dichten Urwald führt, entschuldigt sich bei einem Baum? Allein das ist verblüffend. Was mich aber noch mehr wundert: Es klingt ganz selbstverständlich. Denn hier auf Frégate und den anderen Seychellen-Inseln, wirkt die Natur so mystisch-lebendig, so beseelt, dass einen eher erstaunt, dass keine Antwort kommt. Von der alten Riesenschildkröte zum Beispiel, die einen müde anblinzelt und hier wahrscheinlich schon vor hundert Jahren im Schatten döste, als das Wort „Ferntourismus“ noch nicht mal existierte. Oder von den einzigartigen Granitfelsen, die wie „Herr der Ringe“-Gestalten wirken, und die von Piraten und Bacardi-Spot-Drehs erzählen könnten.
Warum Beate sich bei dem Baum entschuldigt? Sie hat seine Rinde angeritzt, um mir ein kleines Wunder zu zeigen: Denn die Bäume hier können bluten. Und vielleicht haben sie ja auch tatsächlich eine Seele? Beate, die seit einem halben Jahr auf Frégate lebt und arbeitet, gefällt der Gedanke. Sie lacht und erzählt mir, wie die seltsamen Drachenblutbäume auf die Insel kamen: „Sie wachsen eigentlich in Indien. Einwanderer haben ihr Holz nach Frégate mitgebracht, um Vanilleranken daran anzubauen. Doch die Geschäfte liefen schlecht, sie verließen die Insel wieder. Zurück blieben brachliegende Gewürzfelder, wo das Holz auf fast magische Weise neue Wurzeln schlug.“ Inmitten dichten Urwalds entstand so ein lichtes Wäldchen dieser seltsamen Pflanzen mit tiefrot durchtränktem Stamm.
Nicht das einzige Naturwunder der Insel: Im Winter finden seltene Wasserschildkröten aus fernen Gewässern den Weg hierher, um an den einsamen Stränden ihre Eier abzulegen. Und wer durch den Dschungel spaziert, trifft vielleicht auf einen furchtlos-frechen Magpie-Robin. Nur noch etwa 30 Exemplare dieses Vogels gibt es weltweit – alle leben auf Frégate.
Nach Auffassung der Geologen sind die Seychellen, die abgeschieden 1.000 km östlich von Afrika im Indischen Ozean liegen, ein versprengter Rest des Ur-Kontinents Gondwana. Oder, wenn man es poetisch ausdrücken möchte: eine Laune des lieben Gottes, der sie ins Meer streute, um schon mal für sein Meisterstück, den Garten Eden, zu üben.
Nicht nur die Natur der Seychellen bietet Wundersames – auch ihre Geschichte ist von Mythen durchzogen. Bis ins 18. Jahrhundert waren sie weitestgehend unbewohnt, boten Unterschlupf für Piraten. Ihre Raubschätze sollen noch heute vergraben liegen. Nur gefunden wird nie etwas. Offiziell zumindest. Erfolgreiche Schatzsucher müssten dem Staat 90% abgeben.
1740 wurde der Freibeuter Olivier Le Vasseur, der seine Reichtümer auf den Seychellen versteckt haben soll, hingerichtet. Vorher schleuderte er aber noch eine Karte voll undurchsichtiger Zeichen und verschlüsselter Hinweise in die Menge.
„Wir Seychellois lieben solche mystischen Geschichten“, erzählt Micheline Georges, die selbst Teil dieser Legenden ist. Die alte Dame bewirtschaftet den „Jardin Du Roi“ auf der Hauptinsel Mahé, früher eine Gewürzplantage, heute ein verträumtes Ausflugsziel für Botanikliebhaber und Romantik-Fans. Sie ist Nachfahrin des rätselhaften Monsieur Poiret, der Anfang des 19. Jahrhunderts unter mysteriösen Umständen aus Frankreich hierher kam. Noch heute hält sich das Gerücht, er sei letzter rechtmäßiger Erbe der französischen Krone gewesen. Ein schöne Geschichte, doch so recht scheint nicht mal Micheline dran zu glauben. Fest steht aber, dass sich im Besitz ihrer Familie Silber und Besteck mit französischen Königswappen befinden. Ob das wirklich als Beweis reicht? Egal: Micheline erzählt spannend, die Veranda ihres Cafés mit Blick auf Garten und Meer wirkt wie eine koloniale Puppenstube – und ihre „Daube de Banane“, Bananen in Kokosmilch, sind ein Gedicht.
Wer hier oben in dem feinen Gärtchen in den Bergen der Hauptinsel Mahé glaubt, bereits im Paradies angekommen zu sein, war noch nicht ein paar Inseln weiter auf La Digue. Eine Welt, deren Lebenstakt von den langsam am Strand auslaufenden Wellen bestimmt zu sein scheint. Dagegen wirkt Mahé mit der Hauptstadt Viktoria wie eine quirlige Metropole. Viktoria ist der einzige Flecken hier, der den Titel Stadt überhaupt verdient.
Auf La Digue versteht man zum ersten Mal, was „Entschleunigung“ bedeuten könnte. Ochsenkarren holpern über die Wege, Autos gibt es kaum, 3.000 Menschen leben hier. Wer in eine andere Ecke der Insel möchte, mietet ein Fahrrad und ist spätestens nach 20 Minuten an jedem beliebigen Ziel. Wobei es einen als erstes fast wie ferngesteuert zum „Anse Source à Jean“ zieht. Zu spektakulär ist sein Ruf, zu unglaublich die Bilder seines von Granitfelsen gesäumten Strandes, die jeder kennt. Bilder, die immer dann auftauchen, wenn Träume verkauft werden sollen. Ein Symbol für die Sehnsucht nach dem perfekten Platz.
Nichts wie hin! Gleich am ersten Abend. Warten will keiner mehr, wenn er hier erst mal an Land gegangen ist. Verblüffenderweise ist es trotzdem still und einsam hier. Vielleicht haben wir auch nur Glück. Die Brandung plätschert auf dieser Seite der Insel zahm. Der Weg schlängelt sich durch Mini-Schluchten zu immer neuen Buchten. Irgendwann hört man auf, irgendeine davon zur schönsten erklären zu wollen. Die Steine wechseln im Abendlicht von Zartrosa zu leuchtend Violett. Von den wenigen Menschen, die einem begegnen, spricht keiner. Als sei ihnen plötzlich bewusst, dass sie endlich am Ziel sind. Dass es schwierig sein wird, Schöneres zu entdecken.
Und trotzdem: Auf den Seychellen gibt es immer noch eine Steigerung von einsam und friedlich. Auf Frégate weiter süd-östlich hat man die Ruhe zum Marketingkonzept erklärt. Oder vielleicht auch nur dem Wunsch des Besitzers der Privatinsel inklusive Luxusressort nachgegeben, dessen Haus auf einer Klippe am Meer thront. Nur alle paar Monate kommt er selbst vorbei. Sein Name wird verschwiegen. Gerüchteweise hört man, es sei ein reicher Deutscher, der sein Vermögen einsetzt, um eines der letzten, kaum berührten Paradiese zu erhalten.
Sein Luxusressort zählt gerade mal 16 Villen – 32 Gäste und die Insel ist ausgebucht. Außerdem leben und arbeiten 115 Menschen hier, die sich um das Hotel und die Plantagen kümmern. Früher gab es auch mal ein kleines, einfaches Hotel am Strand. Der Schriftsteller Ian Fleming soll dort James Bond erfunden haben. Sicher hat die Insel der Film-Figur das Faible für exotische Abenteuer-Ziele eingehaucht.
Pierce Brosnan hat sich nach seinem letzten 007-Dreh hier erholt. Paul McCartney war auf Flitterwochen da. Brad Pitt, Jennifer Aniston und Michael Douglas sollen ebenfalls zu Gast gewesen sein. Aber auch hierzu schweigt die Hotel-Crew eisern. Vielleicht haben sie ja von den Seychellois gelernt: Interessante Halbwahrheiten ergeben oft den spannendsten Gesprächsstoff.
Am Tag der Abreise treffe ich noch mal Beate. Sie strahlt, weil sie im Wald gerade Eier eines Magpie-Robin entdeckt hat – ein Stück neue Hoffnung für die vom Aussterben bedrohten Tiere. Wir strahlen gemeinsam. Ihr Enthusiasmus für die Natur steckt an – nicht nur uns.
Zweimal im Jahr muss die ganze Hotel-Crew vom Direktor bis zum Zimmermädchen Kokosnüsse einsammeln. Die haben nämlich erst die Menschen auf die Hügel der Insel gepflanzt. Sie würden heute die ganze Insel zuwuchern, wenn man sie ließe – und könnten das natürlich Gefüge, Grundlage für viele Tiere und Pflanzen, zerstören. Deshalb passiert es manchmal, dass die reichen und berühmten Gäste der Insel, die Luxuspreise zahlen, um auf der privaten Insel absteigen zu dürfen, mitschuften beim großen Kokosnuss-Sammeln. Trotz Urlaub. Weil die einzigartige Natur sie verzaubert hat.