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Reisen

Auf dem Suwannee River

Kanu Sport 12/1997

Auf dem Fluß der Alligatoren

Von Georgia nach Florida auf dem Suwannee River

Jörg Auf dem Hövel

Der Hamburger bietet den Zähnen keinen Widerstand und den Knospen kaum Geschmack. Wohl deswegen mampfen wir zufrieden am Exempel amerikanischer Eßkultur, welches wir uns aus dem Drive-In in unseren Van haben reichen lassen. Oder läßt uns das Wissen, daß dies die letzte Mahlzeit in der Zivilisation für die nächsten fünf Tage sein wird, noch beherzter in die pappigen Brötchen beißen? Wir sind auf dem Weg nach Fargo, einem kleinen Ort in Georgia, kurz hinter der Grenze zu dem südlich gelegenen Florida. Dort warten drei Kanus auf ihre Besatzung, um auf dem Suwannee River langsam flußabwärts zu treiben.

fluss

In den letzten Tagen sahen wir immer wieder erstaunte Gesichter, wenn Menschen in Miami oder Orlando von dem Plan hörten, eine Kanutour auf dem Suwannee zu unternehmen. „Oh, how nice“, sagte die Frau an der Kasse im Supermarkt. „What an amazing idea“, wunderte sich die Dame im Donut-Shop. Der Fluß ist allseits bekannt, zahllose Volkslieder besingen die Schönheit des Wasserlaufs und sogar die Hymne von Florida preist ihn als unvergeßliches Naturereignis. Doch das man auf dem oberen Teil des Suwannee River tagelang paddeln kann, ohne einem Menschen zu begegnen, daß man Tiere in freier Wildbahn beobachten und Pflanzen ungehemmt wachsen sehen kann – das wissen die wenigsten. Nicht nur für Touristen steht Florida noch immer für strandnahe Bettenburgen mit Sonnengarantie sowie riesige Freizeitparks. Wir machen uns auf, dass andere Florida zu entdecken.

Unser Van steht mittlerweile beim Kanuverleih. Der griesgrämige Besitzer erinnert durch seinen gestutzten Bart und den schwarzen Hut an einen Quäker. Unsere Wasserfahrzeuge auf dem Anhänger fährt er mit uns in seinem Bus zu einer kleinen Brücke, an welcher wir unseren Trip starten. Als wir den Fluß das erste mal sehen wissen wir, weshalb die Ureinwohner des Landes, die Seminolen, ihn „Suwannee“ tauften. Der Begriff steht für „schwarzes, schlammiges Wasser“. Mit über sechs Kilometer in der Stunde fließt das dunkelbraune Süßwasser und trägt vermodertes Laub und andere Schwebeteilchen in den Golf von Mexiko. Die sichtliche Geschwindigkeit des Flusses ermutigt uns, denn je stärker die Strömung, desto weniger leiden unsere Muskeln auf der Fahrt.

Zunächst heißt es aber anpacken. Vorräte müssen in den Kanus verstaut werden, zwei große Kühlboxen, Zelte, Rucksäcke. Die Boote liegen tief, aber stabil im Wasser. „See you in five days“, quäkt es vom Ufer und wir paddeln los. Geht alles gut, werden wir in fünf Tagen an seiner Kanustation ankommen. Schon nach der ersten Flußbiegung liegt die moderne Welt hinter und eine andere, von menschlicher Hand unberührte vor uns. Dichte Vegation läßt den Blick am Uferrand verharren, undurchdringlich scheint der Wald. Rechts und links stehen blühende Zypressen im Wasser und am Ufer, satt im grün. Ihre Wurzeln ragen aus dem Fluß um den Baum mit Sauerstoff zu versorgen. Wie kleine Familien gruppieren sich die knorrigen Hölzer um ihre riesigen Eltern, manche bis zu zwei Metern hoch. Verspielte, abstrakten Formen erinnern an Gesichter, mythischen Figuren, menschliche Genitalien. Natur macht Kunst. Das Paddeln fällt umso leichtern, desto weniger man daran denkt und die atemberaubende Umgebung fesselt wahrlich unsere Aufmerksamkeit.

sandbank

Ein schriller Pfeifton im Stakkato unterbricht die Bildübertragung im Kopf. Der kleine Vogel leuchtet knallrot und sitzt nur 10 Meter von der Bootsspitze entfernt. Warnt er die Bewohner der Tierwelt vor den unbekannten Eindringlingen? Das Holz der Zypressen ist äußerst haltbar, so dass es lange Zeit für den Haus- und Eisenbahnbau verwendet wurde. Heute sind die Bäume an diesem Fluß geschützt. Es beruhigt zu hoffen, dass diese Wunderwerke auch noch weitere Jahrhunderte bestehen werden.

Wo haben wir die Spaghettis hingepackt? Und die Gewürze? Die Suche nach den Zutaten für unser Abendessen gestaltet sich kompliziert, denn die Nahrungsmittel sind über die Boxen verteilt. Einige Zeit später köcheln Wasser und Tomatensoße über dem Feuer, ab und zu klappert eine Gabel im noch leeren Blechteller. Die Zelte stehen auf weißem Sand, nur 10 Meter vom Wasser entfernt. Ein Glas Rotwein zum Essen sorgt für die endgültige Bettschwere.

Der Fluß schlängelt sich weiter. Hinter jeder Kurve offenbart sich eine neue natürliche Kathedrale, ausladene Äste bieten Schatten in Ufernähe. Wir staunen immer wieder über die Sandbänke, die der Fluß reingewaschen hat. Leuchtend weiß wie ein Strand in der Karibik liegen sie im Kontrast zum dunklen Wasser dar. Wir staunen still, nur das Zischen des Paddels ist zu hören, wenn es durch das Wasser gezogen wird, dazu ein leichtes Glucksen beim Herausziehen des Instruments aus seinem Element. Hinter unseren Booten schließt sich der Fluß wieder, findet zu seiner Unberührtheit zurück. Ein Paar Geier mit Spannweiten von über zwei Metern segelt über uns hinweg. In weiter Entfernung steigt ein Ibis aus einem Busch auf.

Vance, mein amerikanischer Freund und Steuermann, und ich hören plötzlich ein raschelndes Geräusch am Ufer. Wir schauen nach rechts und höchstens fünf Metern entfernt bewegt sich der schwere Körper eines Alligators. Ungefähr drei Meter Panzer gleiten die Böschung ins Wasser hinab – wir haben das archaische Tier beim Sonnenbad gestört. Erstaunlich flink bewegt sich der Koloß. Ein Gefühl der Angst durchzieht meinen Körper, das Wissen, das die Echse jetzt unter unserem Boot taucht, läßt mich mit dem Rudern aufhören. Ein faszinierender Moment, denn die scheuen Alligatoren zeigen sich nur äußerst selten dem Beobachter. Zudem beruhigt mich Vance: Die Tiere greifen nichts an, was die Größe eines Pudels überschreitet. Wir sparen uns das nächste Bad trotzdem für den Abend auf. Vorfälle mit Alligatoren sind in Florida äußerst selten und basieren zumeist auf der Überheblichkeit der Menschen, die die Tiere füttern oder schlicht ärgern wollen.

zeltstatt

Für das Feuer halten wir Ausschau nach einen speziellen Holz, welches extrem harzhaltig ist und selbst im feuchten Zustand gut brennt. „Ligther“, nennen es unsere amerikanischen Freunde nur. Im vergangenen Jahrhundert benutzte man dieses Holz sogar, um Schießpulver herzustellen. Häuser aus diesem Material waren zwar brandgefährdet, wurden aber nie von Würmern heimgesucht. Wir finden einen dicken Stamm und sägen uns ein mächtiges Stück ab, so dass wir für die nächsten Tage keine Probleme mehr mit dem Entzünden des Feuers haben. Als ich diese Nacht die Augen schließe, ranken Äste über den Fluß und das Kanu zusammen, umschließen mich, hüllen den langsam Körper ein.

Der Suwannee entspringt aus einem sumpfigen Areal namens Okefenokee, was in der Sprache der Indianer soviel wie „zitternde Erde“ heißt. Schwimmende, aber begehbare Inseln gaben dem Gebiet seinen Namen. Heute ist der Okefenokee Naturschutzgebiet und im Sommer ein Paradies für Insekten aller Art. In der heißen Jahreszeit kann auch die Tour auf dem Suwannee River zur Tortur werden: Hitze und Mücken setzen dem Kanuten zu. Die beste Reisezeit auf dem Fluß sind Frühling und Herbst.

Auch am dritten Tag sehen wir keinen Menschen, treffen jedoch auf ihre zerstörerische Spuren. Über einen kleinen Bach, der in den Suwannee fließt, entdecken wir eine gespannte Leine, an der kleine Seile befestigt sind die in das Wasser ragen. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich die zunächst als harmlos erscheinende Konstruktion als Anlage zum Schildkrötenfang. An den Enden der Seile sind Köder postiert. Wir fischen zwei Panzertiere aus dem Wasser. Eines ist bereist verendet, ein anderes hat den metallenen Haken tief verschluckt, lebt aber noch. Die Aufregung ist groß, Vance schimpft auf die „Rednecks“, die er „biersaufende Ignoranten“ nennt. Mithilfe einer spitzen Zange befreien wir das eine Tier von dem Grund seines Peins. Obwohl es aus dem Rachen blutet, wehrt es sich kaum – wahrscheinlich hängt es schon seit Tagen an dem Haken. Beide Reptilien werden zu Wasser gelassen, das Eine sinkt zu Boden, das Andere nimmt Bewegungen mit seinen Flossen auf und paddelt mitgenommen, aber lebend davon.

Nach dem aufwühlenden Erlebnis bemerken wir erst langsam, dass das Bild des Flußlaufs sich ändert. Wo sonst Sandbänke die Sonne reflektierten, ragen nun Felsen am Uferrand, an deren feuchten Hängen Moose und Flechten wachsen. Winzige Rinnsale entquellen dem Stein, tausende von Tropfen perlen aus dem Bewuchs und landen nach kurzem Flug im Flußwasser. Das Sonnenlicht reflektiert in flachen Höhlen, die nur wenig Platz und Schatten für die Kanus bieten, gleichwohl ist es in ihrer Nähe merklich kühler. Mit etwas Glück finden wir eine der letzten Sandbänke in der inzwischen felsigen Flußlandschaft um das Nacht-Camp aufzuschlagen.

Auch am nächsten Tag brennt die Sonne bereits um 10.00 Uhr so stark, dass wir ständige Abkühlung im Wasser suchen. Während des Paddelns bedecke ich Kopf und Nacken mit einem Nassen Tuch. Die mittlerweile auf schwache Geräusche geschulten Ohren nehmen ein weit entferntes Rauschen wahr – wir nähern uns den Stromschnellen. Nach einer Viertelstunde Fahrt sehen wir den weißen Schaum des aufgewühlten Wassers vor uns. Nun heißt es schnell handeln. Mit kräftigen Paddelschlägen bugsieren wir die Kanus aus der immer kräftiger werdenden Strömung Richtung Ufer und ziehen sie mit Mühe an Land. Unsere vollbeladenen Kähne würden den Ritt durch die reißenden Wellen kaum unbeschadet überstehen, die Gefahr, auf einen Felsen aufzulaufen oder zu kentern ist zu groß. Über einen bewaldeten Hügel tragen wir zunächst das Gepäck, später die Fahrzeuge an den Stromschnellen vorbei. Trotz dieses Kraftakts genießen wir den Einschnitt in unserer Tour, denn die Hitze läßt in Nähe des Katarakts erheblich nach. Das fließende und sprudelnde Wasser kühlt und frischt die Luft auf, lange hocken wir am Wasser und atmen kräftig durch.

Über glitschige Felsen rutschend lassen wir die Kanus wieder zu Wasser. Kurz darauf lädt ein Sandstrand zu einer weiteren Pause und einem ausgiebigen Bad ein. Die Strömung des Flusses ist jetzt so stark, dass ein Schwimmen gegen sie unmöglich wird, man bewegt sich bestenfalls auf der Stelle. Es dämmert und damit bricht für uns der letzte Abend auf dem Fluß an. Friedlich und still fließt er in der Abendsonne dahin, dass Konzert der Vögel, Frösche und Insekten verstummt langsam. Wir genießen die letzten hellen Stunden des Tages. „Best Time on the River“, sagt Sunny leise. Thunfisch mit Reis und Bohnen ist das Abendbrot, auch am vierten Tag spendet die Kühlbox noch ein eisiges Bier. Heute trennen wir uns nur ungern vom Feuer, mit etwas Wehmut denken wir an die morgige Rückkehr in die Welt der Neonreklame – nur die Aussicht auf eine warme Dusche lockt etwas.

gruppo sportivo

Kanuverleih

Es existieren mehrere Stationen für den Kanuverleih am Suwannee-River. Für ein Kanu müssen etwa 30 Mark pro Tag bezahlt werden, Paddel und Schwimmwesten inklusive. Der Transport zur Einsatzstelle kostet je nach Streckenlänge extra. Von ein paar Stunden bis zu fünf Tagen ist jede Fahrzeit möglich. Reservierungen sind erwünscht. Adressen:

  • Suwannee Canoe Outpost, 2461 95th Drive, Live Oak, 32060 Florida, Tel: 1-800-428-4147.
  • American Canoe Adventures, Route 1 Box 8335, White Springs, 32096 Florida, Tel: 904-397-1309.
  • Das Reisebüro „Sun Company“ bietet ein Komplettpaket an: Für einen zweiwöchigen Aufenthalt steht für die erste Woche ein Haus zur Verfügung, die zweite Woche wird mit einem Guide auf dem Fluß verbracht. Sun Company, Dorotheenstrasse 106, 22301 Hamburg, Tel: 040/2795037.

Anreise und Ausrüstung

Tägliche Flüge von Deutschland nach Miami und Orlando. Von dort mit einem Leihwagen zum Suwannee River. Die beste Reisezeit ist im Mai und im September. Eine nicht zu umfangreiche Campingausrüstung reicht aus: Zelt, Iso-Matte, Schlafsack, Kocher. Wichtig: Säge für das gesammelte Feuerholz, Müllbeutel, Sonnenschutz.