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Ein Schritt vorwärts – und zwei zurück

 

HanfBlatt Nr.79

Ein Schritt vorwärts – und zwei zurück

Was ist gewachsen und was blüht uns? Vier Jahre rot-grüne Politik zeigen vor allem die Angst vor Veränderung.

Erinnern wir uns: Damals, 1998, versprach die SPD „Innovation und Gerechtigkeit“ und das sollte auch für die Drogenpolitik gelten. Daraus ist wenig geworden. Es sollte ein Aufbruch in eine Ära nach Kohl werden, schließlich saßen nun die 68er in den Ledersesseln des Kanzleramts. Was kam war nur ein weiterer Rückfall. Um es gleich auf den Punkt zu bringen: Zwar setzte die Koalition Fixerräume und die lange aufgeschobenen Abgabe von Opiaten an Schwerstabhängige durch, ansonsten stagnierte die Politik. Denn „gerecht“ ist es auf keinen Fall, dass Menschen aufgrund des Besitzes von ein paar Krümeln Haschisch den Führerschein oder Arbeitsplatz verloren. Es musste erst wieder richterliche Rauchzeichen aus Karlsruhe geben, um diesen gebührlichen Zustand zu beenden.

Eine gewisse Kontinuität lässt sich in der Drogenpolitik der SPD durchaus erkennen: Unter ihrer Ägide kam es bereits 1982 zu einschneidenden Verschärfungen im Betäubungsmittelgesetz und nun zu Samenverbot und der Praxis, Kifferinnen den Führerschein zu entziehen, obwohl diese gar nicht akut berauscht gefahren waren. Die Grünen haben sich, wenn überhaupt, nur zaghaft gegen diese eiskalte Repressionspolitik gewehrt. Ist es tatsächlich so, dass, wie Hans-Georg Behr es einmal so schön ausdrückte, „die Bundesregierung, egal welche gerade herrscht, fest entschlossen ist, den nun einmal eingeschlagenen Holzweg bis zum bitteren Ende weiterzugehen“?

Innenminister Schily laviert seit geraumer Zeit, mal will er die Legalisierung prüfen lassen, im nächsten Moment dementiert er dies. Würde er tatsächlich eine Kommission einberufen, dann würde er wohl sein grünes Wunder erleben. Selbst den verbohrtesten Sachverständigen ist nämlich mittlerweile klar, dass es in Deutschland eine Hanfkultur gibt, welche eben nicht aus rumhängenden, verelendeten Luschen besteht, sondern die wirtschaftlich und kulturell zu Tragen beginnt. Die vernebelten Video-Strips von Stefan Raab und Kiffer-Scherze von Harald Schmidt sind mediales Zeichen dieser Entwicklung. Nur ist es leider halt immer noch so: Wer seinen Kopf zu weit raus streckt, der kriegt was zwischen die Hörner; das musste nicht nur Xavier Naidoo erfahren. Die Boulevard-Medien sind Teil der Verlogenheit in der Drogenkultur des Landes.

Es ist ein Wunder, wie sehr sich die Grünen von ihren Wurzeln aus den 68er gelöst haben. Es kann doch kein Mensch, der die damalige Zeit mitgelebt hat glaubhaft versichern, dass die Kifferei in seinem Umfeld nur süchtige und sozial abgewrackte Typen hervorgebracht hat. Ist nicht vielleicht sogar das Gegenteil richtig? War diese böse Droge nicht vielleicht sogar Bestandteil des Antriebsstoffs, der den Motor der ideologischen Innovation antrieb, blumiges Versprechen auf eine bessere Welt? War die Revolte von 1968, die radikale Infragestellung der deutschen Nachkriegsgeschichte, nicht auch durch die gelebten Utopien der „Blumenkinder“ getragen? Wo sind sie denn, die Verweise auf die stilleren Vertreter einer Generation, die nicht nur im proklamativen Weg nach außen, sondern auch in der Introspektion den Weg zur Verbesserung der Lebensumstände einer Gesellschaft suchten?

Es scheint fast so, als ob diese Menschen heute nur noch aus dem esoterischen Untergrund heraus wirken, dabei haben sie das Lebensgefühl einer Generation mitbestimmt. Dies mag heute kaum einer der wortgewaltigen Weisenräte zugeben. Hier liegt vielleicht eine Ursache für die konstante Abschiebung von Nutzern psychoaktiver Pflanzen und Substanzen in den pathologischen Bereich. „Drogenkonsumenten“, dass sind aus dieser Sicht immer Menschen, die der Hilfe von außen bedürfen. Was für ein Blödsinn! Es ist oft genug formuliert worden, sei aber hier noch einmal zu mitsingen formuliert: Der Mehrheit aller Genießer von psychoaktiven Spurenelementen nimmt sozial integriert und autonom am sozialen Leben teil und ist auf keines der Hilfesysteme angewiesen. Die neuen Untersuchungen zeigen darum eben auch, dass für die meisten Frauen und Männern der Cannabiskonsum eine Phänomen der Jugendzeit ist.

Merkwürdig ist daher, dass Rot-Grün es tatsächlich für einen Verdienst hält, dass der Sektor „Drogenpolitik“ vom Innen- zum Gesundheitsministerium verlagert wurde. Abgesehen davon, dass damit nur der Zustand vor der Schreckensherrschaft von Kohl wieder hergestellt wurde, kann man nur sagen: „Ja, Wahnsinn, Danke, Kifferinnen sind jetzt nicht mehr kriminell, nur noch krank!“ Das durften die Schwulen und Lesben auch lange Zeit von sich behaupten. Wann wird eingesehen, dass der geregelte Genuss von Hanfprodukten ein Stück Lebensart ist, nicht mehr, nicht weniger? Das große Tabu ist nach wie vor, dass der Genuss von Cannabis, LSD und Kokain seine Gefahren birgt, aber eben auch mächtig Spaß bringt.

Seltsamerweise kommen die Grünen erst mit dem näher rückenden Wahltermin wieder in Fahrt: Ihr rechtspolitischer Sprecher Volker Beck, Mitglied im Fraktionsvorstand des Bundestages, will die Diskussion mit der SPD nach einer Wiederwahl neu aufnehmen: „Der Krankheitsdiskurs führt bei Cannabis nicht weiter. Hier geht es um das Verhältnis von Bürger und Staat beim Drogengebrauch“, sagt er und fährt fort, „diesmal muss die Entkriminalisierung von Haschisch in der Koalitionsvereinbarung stehen.“ Wie sagte meine Oma in solchen Fällen gerne: „Wer es glaubt, wird selig.“ Die glattgebügelten Ökologen versprachen schon vor vier Jahren die Legalisierung des Hanfs – dass sie an diesem Punkt so sang- und klanglos kapitulierten hat ihnen gerade unter ihren jungen Wählern eine Menge Sympathie gekostet. Fest steht und das weiß auch Volker Beck: Der drogenpolitische Neubeginn wäre nicht nur an die Legalisierung des Konsums geknüpft, innerhalb staatlich kontrollierter Rahmenbedingungen müssten auch Anbau und Handel freigegeben werden. Angesichts solcher Schritte kneifen SPD und Grüne. Schröder will die Legalisierung von Cannabis partout verhindern, das war schon vor vier Jahren so und wird so bleiben.

Es ist kein Zufall, dass nach Christa Nickels nun wieder eine SPD-Dame den Posten der Drogenbeauftragten der Bundesregierung einnimmt. Die SPD-Rechte Marion Caspers-Merk antwortete im Kölner-Stadt-Anzeiger auf die Frage, was sie denn für das neue Amt qualifiziere: „Die neue Gesundheitsminsterin hat mich gefragt und mich reizte das neue Tätigkeitsfeld.“ Danke, Frau Casper-Merk, dass reicht uns schon. Dabei gab es durchaus Ansätze zu kollektiven Erleuchtung der Sozialdemokraten: Die SPD-Bundestagsfraktion setzte sich 1992 für eine Straflosstellung aller Drogenkonsumenten ein und warb auf zwei Parteitagen (1993 und 1996) für den legalen Zugang zu Cannabisprodukten zum Eigenverbrauch. Auch Bedingungen eines kontrollierten Verkaufs sollten geschaffen werden. Aber auch diese Blase zerplatzte, übrig geblieben ist eine Politik, welche die ewige Leier der Prävention spielt und nicht einsieht, dass es die Illegalität ist, welche die meisten Probleme erst schafft.

Und der kreidefressende Stoiber? Die Verwandlung von Hardcore-Ede zum milden Mann der Mitte darf man getrost als taktischen Manöver abtun. Von ihm und seinen Mannen ist im Falle eines Wahlsiegs ein Rückfall in dunkelste Zeiten zu erwarten. Die CDU/CSU präsentiert sich in der Drogenpolitik seit Jahrzehnten genauso kompetenz- wie innovationslos. Kurzum: Stoiber & Co. gehen gar nicht.

Schon ohne einen Kanzler Stoiber ist die Republik von Visionen weit entfernt. Schröders Pragmatismus lässt in der Regierungspolitik keinen Platz für Ideen um aus den „geistig-moralischen Schrebergärten“ (Gerd Koenen) auszubrechen. „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Dieser Satz Erich Kästners wird nur allzu gerne von unserem Brioni-Kanzler zitiert – mittlerweile klingt dies wie die endgültige Verabschiedung des ideellen Untergrunds, auf welchem jedwede Handlung ja nun mal beruht. Aber für was macht Rot-Grün heute noch den Rücken gerade?

Die Schröder-Chor schmettert im Tenor einer Republik, in der schnöde Pop-Literaten wie Christian Kracht und Florian Illies („Generation Golf“) deutlich herausstellen, dass die richtigen CDs im Schrank wichtiger sind als soziale Schieflagen. Stichwort: Spaßgesellschaft. Deren Ende ist auch nach dem 11. September nicht in Sicht. Noch nie war die Halbwertszeit von medial aufbereiteten und konstruierten Hypes so kurz. Vorgestern Essig-Diät, gestern Rinderwahnsinn, heute 80er Revival, morgen klaut Strunz Effe die Frau zurück. Alles begleitet von einer Talkshow-Tyrannei, deren Intimität von der eigenen Gefühlsunfähigkeit ablenken soll. Statt Visionen zu leben werden halbschlaffe Erektionen von platten Oberflächen gesogen. Von daher ist der Stillstand der von Schröder beschwörten „Neuen Mitte“ nur Teil einer Gesellschaft, die sich stets auf der Suche nach dem nächsten Event in narzisstischer Anmut vor dem Spiegel dreht.

Noch steht der Beweis aus, dass ein nennenswerter Anteil von Anwendern psychoaktiven Substanzen deren Potential zur vielbeschworenen „Bewusstseinserweiterung“ dazu nutzt aus diesem egozentrischen Reigen auszubrechen. Die Leute, die abseits der legalen Mainstream-Drogen Lust auf „better living through chemistry“ haben, sind zudem zu einem großen Teil völlig desinteressiert an der politischen Durchsetzung ihrer Vorlieben. Sie kiffen sowieso, und wenn es passt fliegt auch mal ´ne Pillen in den Rachen. Legal – illegal – scheißegal.

Niemand müsste die Ideale von der Selbstbestimmung des Individuums bemühen, um zu einem Wandel in der Drogenpolitik zu kommen. Nein, es würde vollkommen reichen einen analytisch sauberen Blick auf die Realität zu werfen, um die Auswüchse einer fehlgeleiteten Politik gegenüber Substanzbenutzern aller Art einzusehen. Am augenfälligsten ist das seit jeher bei Cannabis, einer Pflanze, deren Wirkstoffe vergleichsweise harmlos auf den Menschen wirken.

Zukünftig kann es also nur darum gehen, dass die gesellschaftlichen Institutionen wie Schule und Elternhaus tabulos über Drogengebrauch aufklären und auch dazu anleiten. Dazu sind sie bislang nicht in der Lage, zum einen, weil Unwissen herrscht, zum anderen, weil ihnen Gesetze im Wege stehen, zum dritten, weil die eigene Abhängigkeiten und Süchte (Alkohol, Zigaretten, Fernsehen) selten thematisiert werden. Hier liegt ein weiteres markantes Problem der Diskussion: „Drogenkonsumenten“, dass sind immer die anderen. Damit wird der Komplex aus dem eigenen Verantwortungsbereich geschoben und als abhandelbares Objekt interpretiert. Nicht umsonst gab es größere Anschübe zu Reformen immer dann, wenn Familienmitglieder oder Menschen im Bekanntenkreis von Politikern Drogen konsumierten. Das Apothekenmodell von Heide Moser und der nachhaltige Einsatz von Henning Voscherau für die Heroinvergabe sind Beispiele hierfür.

Also alles wie gehabt? Nein, wohl nicht. Trotz Samenverbot und anderen verschärfenden Maßnahmen, die wohlgemerkt alle während der Legislaturperiode von Rot-Grün durchgesetzt wurden, floriert die Hanfszene. Hanf ist heute mehr denn je Mode, Ernährung, Droge, Kult, Musik, Schmuck, Weltanschauung. Kiffen und alles rund ums Kiffen ist normaler denn je, das Geseier von der „kulturfremden Droge“ schon lange widerlegt. In den Bars und Clubs des Landes wird munter eingerollt und der eine zieht an der Sportzigarette, der andere halt nicht. Früher wurde die Tüte noch mit verschwörerischen Blick weitergereicht, dass tut heute nicht mehr Not. Eine wenig erwähnte Tatsache ist zudem, dass Kiffen nach wie vor eine Kultur des Teilens ist. Der Eine besorgt oder baut an, die Nächste baut, geraucht wird zusammen. Und auch die ideologischen Fehden innerhalb der ökonomisch orientierten Hanf-Szene nehmen ab. Mittelfristig wird die Null-Bock-80er Generation in die Institutionen tanzen und es bleibt abzuwarten, ob sie ihre rauchgeschwängerten Wurzeln nicht verleugnet. Die vielen Cannabis-Connaisseure werden bis dahin weiterhin vor allem eines haben (müssen): Ausdauer.

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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