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Rezension zu Bita Moghaddam „Ketamine“

Wissenschaftlich fundiertes Basiswissen zur medizinischen Anwendung von Ketamin als Anitdepressivum

Bita Moghaddam hat sich als Neurowissenschaftlerin, Professorin und Wissenschaftsautorin in den USA seit über 30 Jahren mit psychoaktiven Substanzen wie Ketamin beschäftigt. Im vorliegenden Taschenbüchlein vermittelt sie über 152 Seiten plus Glossar, Quellenangaben, Leseempfehlungen und Stichwortverzeichnis anschaulich fundiertes Basiswissen zur medizinischen Anwendung von Ketamin als Antidepressivum.

Sie erläutert die Erstsynthese 1962, die Entdeckung der Wirkungen und der Geschichte von Ketamin als kürzer wirksame und risikoärmere Alternative zum 1956 entdeckten PCP (Straßenname als Droge ab den 1960er Jahren „Angeldust“) als schnell wirksames und in Bezug auf Überlebensfunktionen wie Atmung und das Herz-Kreislauf-System relativ sicheres Narkosemittel in der Notfallmedizin und im Kriegseinsatz inklusive eines kurzen Blicks über den pharmaziehistorischen Kontext.

Kurz geht sie auch auf die ab den 1980er Jahren zunehmende missbräuchliche Anwendung von Ketamin als Rauschmittel ein.

Kern des Buches ist die Diskussion der Einführung von Ketamin als Medikation zur Behandlung von therapieresistenten Depressionen.

Die Autorin beleuchtet, wie Ketamin wo im Nervensystem wirkt, und was bisher zu möglichen antidepressiven Wirkungen durch wissenschaftliche Arbeiten belegt ist: Demnach ist bisher nur ausreichend dokumentiert, dass in Einzelfällen bei Patienten mit therapieresistenten Depressionen nach Einnahme von Ketamin, z.B. als Nasenspray, bis zu mehrere Tage danach eine subjektive Besserung aufgetreten ist.

Zu den möglichen Wirkmechanismen als potentielles Antidepressivum gibt es dagegen bereits diverse Erklärungsansätze. Hierzu erläutert die Autorin kontextuell die Geschichte der Antidepressiva und ihrer Erforschung. Da Ketamin nicht spezifisch und an vielen Orten im Nervensystem gleichzeitig und unterschiedlich wirkt, kann bisher keine einfache Theorie als belegt gelten. Zu möglichen Nebenwirkungen und Risiken bei regelmäßigem Konsum als verordnetes Antidepressivum liegen noch keine ausreichenden Untersuchungen vor. Bereits bekannte beobachtete negative Folgen anhaltenden missbräuchlichen Konsums (wie Abhängigkeit, Gedächtnisprobleme, Blasenprobleme) werden erläutert.

Ausgehend von den USA wird Ketamin als Antidepressivum bereits im Rahmen von Pharma-Lobbyismus angepriesen und vermarktet. Die Autorin öffnet hier die Augen für einen kritischen Blick auf aktuelle und kommende Entwicklungen.

Deshalb stellt das Werk einen wichtigen Einstieg und Beitrag zur Diskussion des Einsatzes von Ketamin als Antidepressivum dar.

Nicht erwarten darf man eine genauere Betrachtung von konkreten Vorgehensweisen bei der Behandlung, der geeigneten Dosierung und der subjektiven Erfahrungen von Versuchspersonen und Patienten (auch bei unterschiedlichen Dosierungen und Herangehensweisen), wie auch der Einschätzungen von Ärzten, die bereits mit Ketamin als Antidepressivum Erfahrungen gemacht haben. Wer sich aber insbesondere für neurowissenschaftliche und medizinhistorische Hintergründe interessiert, wird hier fündig.

Abschließend erwähnt die Autorin, dass bekannte Psychedelika ohne narkotische Wirkungen wie Psilocybin vielleicht risikoärmer als Ketamin in ähnlicher Weise bei therapieresistenten Depressionen eingesetzt werden könnten. Aktuelle Forschungen hierzu laufen derzeit.

Mehr neurowissenschaftlich fundierte Forschung zu Nutzung, Risiken, sowie Bedingungen zu deren Reduktion oder Vermeidung, von potenten Psychoactiva möglichst unabhängig von Lobbyisten mit kommerzieller oder ideologischer Agenda wäre demnach wünschenswert, damit ihr eventuell möglicher Einsatz den schwer kranken Betroffenen baldigst zu Gute kommen kann oder falsche Hoffnungen genommen werden können, um sich auf andere Optionen zu konzentrieren. Auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen sollten hierfür verbessert werden.

Bita Moghaddam
„Ketamine“
The MIT Press Essential Knowledge Series
Cambridge/Massachusetts-USA, London-England
Taschenbuch, 182 S., 9 Figuren, 26 Seiten mit Herausstellungen
ISBN 978-0-262542241

az

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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