Schubladendenken
Mädchen rechnen schlechter als Jungen und Blondinen sind blöd. Das sind reine Vorurteile, aber sie wirken seit Jahren. Der Sozialpsychologe Jens Förster hat untersucht, wie solche Vorurteile unser Leben beeinflussen. Das Buch ist eine kleine Sensation: Anekdoten mischen sich mit wissenschaftlichen Fakten, Witze leiten über zu komplexen Analysen. Jeder kann sich angesprochen und ertappt fühlen. Das allzu menschliche wird gefeiert, beweint, auseinander genommen und wieder zusammengesetzt. Gleichzeitig kommt Förster nie oberlehrerhaft daher, vielmehr stellt er sich dem Leser – ausweislich seiner Biografie, beispielsweise singt der Professor nebenbei am Weimarer Nationaltheater – als gänzlich unprätentiösen Zeitgenossen an die Seite.
Vorurteile sind ein so umfassendes Phänomen, dass sie irgendeinen Sinn haben müssen. Förster fasst die Forschung zusammen und sagt: ohne Vorurteile können wir die Welt gar nicht erfassen und wir könnten uns selbst nicht als Mensch definieren. Warum? Weil wir die Welt sekundenschnell begreifen müssen, dabei helfen uns grobe Kategorisierungen. Ein Schwuler? Der hat Geschmack!
„Ein Vorurteil ist ein Urteil auf Grund einer vorgefertigten Einstellung gegenüber Mitgliedern einer Gruppe, die man nicht genügend kennt“, definiert Förster. Derartige Schubladen erlauben es, sich von bestimmten Gruppen abzugrenzen und damit eine eigene Identität zu entwickeln. Die Kehrseite der Medaille: Vorurteile begünstigen diskriminierendes Verhalten und neigen dazu, sich selbst zu bestätigen. Wenn beispielsweise Lehrer vorab die Information erhalten, dass Dieter klug und Elke dumm ist, wird Dieter plötzlich zu einem guten Schüler und Dieter bekommt schlechtere Noten – auch wenn es eigentlich Elke ist, die mehr auf dem Kasten hat. Fazit: Trotz der vielen Alltagsbezüge und munteren Sprache kein Buch, das man in einem Rutsch begreift. Aber die Mühe des zweimaligen Lesens lohnt sich.
Jens Förster: Kleine Einführung in das Schubladendenken. Über Nutzen und Nachteil des Vorurteils.
Gebundene Ausgabe: 288 Seiten
2. Auflage, München 2007, DVA
ISBN-10: 3421042543
EUR 16,95