Achtung, Flachland!
Thomas L. Friedman will beschreiben, wie sich der Westen auf die Globalisierung einstellen muss
Über ein Jahr lang stand ein Werk von Thomas L. Friedman auf der Bestsellerliste der New York Times, es wurde in 25 Sprachen übersetzt, jetzt ist es auf deutsch erschienen: „Die Welt ist flach. Eine kurze Geschichte des 21. Jahrhunderts.“ Die These: Durch die Kommunikationstechnologien ist die Welt eine Scheibe geworden, auf der heute jeder Mensch und jedes Unternehmen zu gleichen Bedingungen agieren kann. Die Frage sei nur, wer preiswerter ist. Friedman unterfüttert seine Beobachtung von der Einebnung der Weltwirtschaft mit zahlreichen Beispielen und Anekdoten, allesamt flüssig zu lesen, ein Plauderton durchzieht das Werk.
Für eine ganze Reihe von in diesem Jahr veröffentlichten Büchern ist die Rezeptvorlage folgende: Zunächst etwas Globalisierungsgemüse in ungeklärter Effektbutter anschwitzen, dann mit 20 Seiten Expertenbrühe anreichern. In diesem Saft das gut abgehangene Wesen eines menschlichen Individuums bei lauer Temperatur auf seinen ökonomische Zusammenhänge reduzieren. Schon während des Kochens kräftig mit Prozessorkraftbrühe und Internetkraut würzen. Zum Abschluss einen Viertelliter Bildungsreformsahne zugeben und möglichst heiß servieren.
Sein Ruf als Kolumnist der New York Times und Pulitzer-Preisträger öffnete Friedman Türen zu Bill Gates, Colin Powell, Google, Wal-Mart, der japanischen DoCoMo und indischen Callcentern, die Anrufe aus den USA abarbeiten. Friedmans Mentor ist der indische Software-Millionär Nandan Nilekani, Infosys, der seit Jahren darauf hinweist, dass eine Revolution läuft, von der die Europäer nichts merken.
Denn tatsächlich: Alle Dienstleistungen, die nicht an einen Raum gebunden sind und online verschickt werden können, lassen sich überall auf der Welt ausführen. Englische Steuererklärungen werden so immer öfter in Bangalore, fMRI-Aufnahmen in Bombay analysiert. Indien und China sind in dieser Hinsicht die großen Herausforderungen für die USA und Europa. Seit Mitte der 90er Jahre stehen, zählt man die geöffneten lateinamerikanischen Märkte dazu, nicht nur 3 Milliarden neue Konsumenten, sondern auch 1,5 Milliarden arbeitswillige und teilweise hochqualifizierte Arbeitskräfte auf dem Weltmarkt.
Das alles ist so neu nicht und auch der notorische Optimismus der Autoren jenseits des Atlantiks ist bekannt. So wurde Friedman schon als „Cheerleader der Globalisierung“ bezeichnet. Interessanter ist das gewagte Manöver, das er, ausgehend von seinen vielfältigen Beobachtungen in allen Teilen der Welt (sieht man mal vom afrikanischen Kontinent ab), vollführt, um zu einer These zu gelangen, die höchst umstritten ist: Der Globalisierung ist mit Optimismus zu begegnen, denn sie bringt Wachstum, persönliche Freiheit, sie überwindet Armut und Krieg.
Wer von Globalisierung spricht, so viel sollte auch Friedman klar sein, ohne religiöse Phänomene und aufkeimenden Nationalismus zu erwähnen, der hat das Thema verfehlt. Interessanter als die Litaneien vom Ende des Sozialstaats wäre es, wenn Friedman das Konfliktpotential zumindest erwähnen würden, das im Aufstieg von China und Indien zu Großmächten des 21. Jahrhunderts liegt. Vielleicht wird die Welt flacher, aber wird sie damit automatisch friedlicher?
Aber Friedman ergeht sich lieber im Voraussagen einer rosigen Zukunft: „Wenn Indien und China sich weiterhin in Richtung freie Marktwirtschaft bewegen, wird die Welt nicht nur flacher, sondern meiner Überzeugung nach auch wohlhabender werden denn je.“
Die Kur für den maladen Westen hat Friedman ebenfalls parat: Zum einen muss „horizontales Denken“ geübt werden, was nichts anderes als die Wiederaufnahme des Slogans von den „flachen Hierarchien“ ist. So beginnt er auf S. 261: „Angenommen, ich bin als General im Irak eingesetzt und wünsche mir bessere Echtzeit-Aufklärung über Kampfvorgänge.“ Friedman hat keine Berührungsängste und legt den Militärs horizontal geeichte Handlungsoptionen zu Drohnensteuerung ans Herz.
Zum anderen müsse die Jugend durch bessere Bildung fit für den Kampf um globale Marktanteile gemacht werden. Anders formuliert: Sie muss sich stromlinienförmig in die Wertschöpfungskette einreihen.
Nur selten schimmert in dem Buch eine Idee vom Leben abseits ökonomischer Zwänge durch, beispielsweise, wenn er den ehemaligen IBM-Mitarbeiter John Swainson zitiert, der den Kontakt zur Open-Source Gruppe herstellte, die in den 90er Jahren den Apache Web-Server entwickelten. „An Geld waren die Leute von Apache nicht interessiert“, wunderte sich Swainson, „sie wollten den bestmöglichen Beitrag zu ihrem Projekt“.
Friedman hält sich lieber an Bill Gates, den er ein paar Seiten später zitiert: „Eine Bewegung, die den Standpunkt vertritt, Innovationen sollten keinen ökonomischen Gewinn abwerfen dürfen, steht im Widerspruch zur Entwicklung der Welt.“ Friedman umgeht durch das Buch hinweg die Beantwortung der Anschlussfrage: Von welcher Welt reden wir? Eine Antwort kann sein: Es ist eine Welt des Fressen oder gefressen werden.
Das alles soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass Friedmans Beschreibung globaler Wirtschaftsphänomene wichtige Ansatzpunkte für die Diskussion liefert, wohin die Globalisierung führen kann. Bislang aber, und das will Friedman nicht sehen, sind vor allem die global agierenden Konzerne die Gewinner dieses Spiels mit Umweltressourcen und Arbeitskräften. Dass die sogenannten Entwicklungsländer über die Globalisierung am Reichtum des Westens partizipieren ist richtig. Die offene Frage ist aber, ob durch Globalisierung nicht nur der Wunsch, sondern auch die Möglichkeit einer gerechteren Verteilung von Reichtum entsteht.
Thomas L. Friedman: Die Welt ist flach
Eine kurze Geschichte des 21. Jahrhunderts
720 Seiten, Gebunden
Suhrkamp Verlag
Euro 26,80