von Jeremy Narby und Rafael Chanchari Pizuri
Wertvolle Lektüre zu aktuellen Fragen des traditionellen und modernen Gebrauchs von Ayahuasca und Tabak
Bis in die 1990er Jahre fristete das als Ayahuasca bekannte im nordwestlichen Amazonasraum als Heil- und Zaubermittel genutzte psychoaktive Gebräu, aus einer Harmala-Alkaloide enthaltenden Liane und dem Zusatz anderer Pflanzen zusammen gekocht, ein eher obskures Dasein. Psychedeliker auf der Suche nach dem ultimativen Trip folgten den Spuren des Kultautors William S. Burroughs in den Regenwald. Traveller und Backpacker nahmen es in Kolumbien, Ecuador und Peru im Rahmen von Urwaldtouren quasi als Mutprobe. Übelkeit, Schwindel, Erbrechen und eventuell Durchfall gehören zum Wirkungsspektrum. Die psychischen Wirkungen sind nicht vorhersagbar. Im Rausch ist der Berauschte relativ hilflos seiner Umgebung ausgeliefert. Erst durch zwei brasilianische Ayahuasca-Kirchen, einen organisierten Ayahuasca-Tourismus und neoschamanische Gruppen breitete sich der Gebrauch international aus. Heute ist das Internet voll mit Berichten, und es gibt zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema.
Eines der ersten Bücher einer ganzen Fülle von Publikationen, das die Aufmerksamkeit auf dieses Heilmittel konzentrierte, war „Die kosmische Schlange“ (1997 französisch, 2001 deutsch) von dem kanadischen Anthropologen Jeremy Narby, der 2 Jahre bei den peruanischen Ashaninka geforscht hatte. Nun hat er den „Ayahuasca-Komplex“ noch einmal besucht. Zu diesem gehört auch die bedeutende aber auch gefährliche Schamanenpflanze Tabak. Im vorliegenden Werk berichtet er gemeinsam mit dem peruanischen Heilkundigen Rafael Chanchari Pizuri davon. Dabei schlagen die Beiden einen Bogen zwischen zwei konträr erscheinenden Sichtweisen, der des indigenen Heilers und der Wissenschaft. Sogenannte Meisterpflanzen werden in Südamerika sowohl zu heilenden, wie auch zu böse manipulativen Zwecken eingesetzt. Das widerspricht dem esoterischen Ansatz, der nur das Positive sehen will, und der Realität, in der es zu Missbrauch, psychischen Krisen und vereinzelt Todesfällen unter KonsumentInnen im Zusammenhang mit Ayahuasca und stark nikotinhaltigem Tabak gekommen ist. Es leugnet aber nicht die Heilungspotentiale, die den am „Ayahuasca-Komplex“ beteiligten Pflanzen, die längst nicht ausreichend erforscht sind, auch aus pharmakologischer und therapeutischer Sicht, wenn sie im Kontext bewusst und bedacht Handelnder eingenommen werden, zukommen können. In den synkretistischen Ayahuasca-Kirchen und im Westen hat man sich bei der Begeisterung für Ayahuasca auf einen vergleichsweise sicheren Cocktail kapriziert, der neben den Alkaloiden aus der Ayahuasca-Liane lediglich DMT aus den Blättern jeweils einer von zwei Pflanzen enthält. Den Ayahuasca-Wirkstoffen wird dabei im Wesentlichen zugesprochen als MAO-Hemmer das DMT oral aktiv zu machen, wodurch ein starker bunter an Visionen und psychedelischen Effekten reicher Trip generiert wird. DMT, pur als Base geraucht ein stark und kurz wirkendes Psychedelikum, wird aus dieser Sicht in gewisser Weise fetischisiert. Die wertvolle indigene Entdeckung der oral wirksamen Kombi wird dabei überzeichnet gerne als psychedelisches Dschungel-Wunder dargestellt.
Heute besteht unter westlichen Konsumenten tendenziell eine machistische Nachfrage nach einem möglichst hohen DMT-Gehalt und trippigen bunten und überwältigenden Effekten. Das basiert auch auf der Autorität und den verbreiteten Ansichten einiger früher westlicher Ayahuasca-Forscher, widerspricht aber indigenen Sichtweisen. Für diese steht demnach die Ayahuasca-Liane im Zentrum der Heilwirkung. Man unterscheidet verschiedene Varianten, womöglich Chemotypen, und variiert deren Wirkung mit einem weiten Spektrum an pflanzlichen Zusätzen. Die als Hauptwirkstoffe der Liane angesehenen Harmala-Alkaloide allein können in niedrigen Dosierungen antidepressiv, in höheren die Sinne sensibilisierend und in hohen visionär und halluzinogen wirken, allerdings mit starken körperlichen Wirkungen, regelmäßig dabei Erbrechen und Durchfall, die im schamanischen Kontext als reinigend angesehen werden. Auch Tabak kann in Heilungszeremonien unter Umständen, mitunter auch mit gefährlich hohen Dosierungen zusammenhängend, visionär wirken. Die eher nikotinarmen industriellen Tabakprodukte, wie Zigaretten, die weltweit beiläufig in abhängiger Weise konsumiert werden, unterscheiden sich erheblich von ursprünglichen, aber auch nicht unbedenklichen Tabakzubereitungen. Hier und in einer Reihe anderer angesprochener Themen können wissenschaftliche Ansätze bei der Untersuchung der Pflanzen und deren therapeutischer Anwendung sicherlich eine Menge Inspirationen von traditionellen Heilern bekommen. Interessant in diesem Zusammenhang auch, dass die Personifizierung und Feminisierung von Ayahuasca unter westlich-esoterischen Nutzern als „Mutter“ oder „Großmutter“ dem indigenen Konzept einer zweideutigen Sicht auf die „Seelen“ von Meisterpflanzen widerspricht. Zu diesen und einer ganzen Reihe weiterer Themen liefert das vorliegende sehr gut lesbare Buch einen wertvollen Diskussions-Beitrag.
Dieses kleine geistreiche, gut übersetzte, ansprechend illustrierte, mit einem Index, einer wertvollen Bibliographie und einem zur Vorsicht bei gegenwärtig populären Nikotin-Applikationsformen (Vape, Schnupftabak, Snu, Rape) gemahnenden Anhang versehene, in vier Kapitel mit Einleitung und Epilog aufgeteilte Werk stellt einen wichtigen aktuellen Beitrag zu Fragen rund um Ayahuasca und Tabak dar und gehört in jede gute Ayahuasca-Bibliothek.
Jeremy Narby / Rafael Chanchari Pizuri
„Ayahuasca und Tabak.
Meisterpflanzen vom Amazonas“
Nachtschatten Verlag, Solothurn, Schweiz, 2021
www.nachtschatten.ch
116 S., 30 farbige Abb.
ISBN 978-3-03788-473-7
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