Ayahuasca
„Mutter Erde ist krank…Jeder Einzelne von uns wird sich der Pflicht stellen müssen, zu versuchen, das Gleichgewicht der Kräfte wiederherzustellen und Mutter Erde zu respektieren.“
Shuar-Schamane Hilario Chirip (S.228)
Seit sehr langer Zeit bereiten die Schamanen vieler indigener Kulturen und mittlerweile auch sogenannte Mestizo-Schamanen insbesondere im oberen Amazonasgebiet in den heutigen Ländern Kolumbien, Ecuador, Peru und Brasilien ein psychedelisches Gebräu zu. Dieses, bekannt unter dem Namen Ayahuasca, findet seit Ende der Achtziger Jahre zunehmendes Interesse unter westlichen Sinn- und Heilssuchern mit einer Affinität zu Grenzerfahrungen mit stark wirksamen psychoaktiven Substanzen. Iquitos in Peru ist Zentrum eines regelrechten Ayahuasca-Tourismus. Mit Ayahuasca praktizierende Schamanen werden auch in westliche Länder eingeladen, um dort Rituale abzuhalten. In Brasilien existieren mehrere synkretistische Religionen, in denen christliche, afrobrasilianische und indianische Elemente über die Visionen und den messianischen Anspruch ihrer Gründer zusammenfließen. In deren verbindenden Ritualen spielt Ayahuasca eine entscheidende Rolle. Die Bereitschaft zumindest von Teilen dieser Kirchen, sich neugierigen und erfahrungshungrigen Westlern zu öffnen, stieß besonders in Kreisen bekanntermaßen psychedelika-freundlicher Osho-Anhänger auf Begeisterung. Diese soll allerdings ob der hierarchischen Strukturen und des Dogmatismus, die nun einmal jeder organisierten Religion inhärent sind, schon wieder abbröckeln. Ayahuasca genießt derzeit aber immer noch den Ruf einer Art Wunderdroge. Es ist deshalb sehr zu begrüssen, dass drei kompetente Leute vom Fach mit dem vorliegenden Werk einen ausgezeichneten dreiteiligen Einstieg in die Welt des Ayahuascas bieten.
Christian Rätsch erläutert aus ethnobotanischer Sicht die im Ayahuasca, sowie die im schamanischen Ayahuasca-Ritual bedeutenden Pflanzen. Ayahuasca ist in der Praxis ein stark von der Intention des Zubereitenden abhängiges Gebräu, das so ungefähr das Gegenteil einer standarddosierten Pille aus dem Chemielabor darstellt, auch wenn sich die wichtigsten Ingredienzien chemisch als Harm(al)in und DMT subsumieren lassen. Die Ayahuasca-Erfahrung wird vom Schamanen durch den Einsatz einer ganzen Reihe von psychoaktiven Pflanzen, Räucher-, Duftstoffen etc. manipuliert und variiert. Was Rätsch hier gekonnt und wie ein Rap lesbar erläutert und dabei auch noch nachschlagetauglich ist, ist Grundlagenwissen. Lediglich zwei besserwisserische Anmerkungen seien mir gestattet: Die Opuntien enthalten nach Trout den bisherigen Analysen zufolge allenfalls Spuren von Meskalin (S.59), sind also für den ambitionierten Psychonauten nach derzeitigem Wissensstand wenig fruchtbar. Bei dem Hauptwirkstoff von Yopo (Anadenanthera peregrina-Samen) scheint es sich nach der Mehrzahl der von Trout und Ott gesammelten Analysen wie bei Cebil (Anadenanthera colubrina-Samen) um Bufotenin (nicht DMT) zu handeln (u.a. S.53ff). Dafür sprechen auch Selbstversuche. Bufotenin ist stark psychoaktiv, der Rausch aber anscheinend oft vom Körpergefühl her recht anstrengend.
Claudia-Müller Ebeling nähert sich der kaum in Worte zu fassenden Ayahuasca-Erfahrung über deren künstlerischen Ausdruck, den sie in den Objekten der sie nutzenden Kulturen ebenso wie in den Werken zeitgenössischer Künstler findet. Genial filmisch umgesetzt wurde sie übrigens von Jan Kounen in „Blueberry“. Hier nur eine Anmerkung: Albert Hofmann nahm einst nicht heroische 100 g, sondern ledigllich 2,4 g getrockneter Psilocybe mexicana im Selbstversuch ein (S.95), nicht dass das Einer nachmacht… Christian Rätsch streicht in einem eigenen Abschnitt aus seinem enormen Kenntnisfundus die Bedeutung der Musik im Ayahuasca-Ritual heraus und plaudert Einiges über den Einfluss auf populäre Musik aus.
Einen einzigartigen Einblick und einen hervorragenden Überblick über die real existierende Ayahuasca-Scene bietet der lange Beitrag von Arno Adelaars. Er war bei vielen Ritualen dabei und hat über Jahre ausführlichst recherchiert. Ob mit Ayahuasca praktizierende Schamanen in den oben erwähnten Ländern, die brasilianischen Ayahuasca-Kirchen oder Do it yourself-Rituale im Westen, seine sachlichen Berichte und persönlichen Interviews öffnen den Horizont. Wichtig auch Claudia Müller-Ebelings kritische Bemerkungen zum Schamanismus-Kulturtransfer. Schamanen beherrschen uralte Techniken des Heilens. Ayahuasca kann hierbei ein hochwirksames Hilfsmittel sein. Schamanen sind und bleiben Menschen und taugen nicht als exotische Ersatz-Erlöser. Man sollte sich hüten, sie mit all seinen westlichen Projektionen zu überfrachten und aufs Podest zu stossen, nur um sie bei Zeiten dann womöglich gar berechtigter Weise wieder hinunterstürzen zu können.
Ein Glossar, eine sehr gute Bibliographie und eine kleine Discographie schließen dieses sehr empfehlenswerte Werk ab.
az
Arno Adelaars/ Christian Rätsch/ Claudia Müller-Ebeling
Ayahuasca.
Rituale, Zaubertränke und visionäre Kunst aus Amazonien.
AT Verlag, Baden und München 2006
Geb., 312 S., 8 Tafeln mit 35 Farbabb., zahlreiche SW-Abb.
ISBN 3-03800-270-4
23,90 Euro