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Zwischen Mode und Tierschutz

Zwischen Mode und Tierschutz

Pelz und Tierhaltung stehen nach wie vor im Zwielicht

Unterliegt der Pelz den gleichen Gesetzen wie die breiten und schmalen Krawatten? Der erfahrene Mann gibt seine unmodern gewordenen Binder schon längst nicht mehr zur Altkleidersammlung, weil er ahnt, daß sie in ein paar Jahren wieder total hip sind. Und die bewußte Frau? Holt sie ihr Schmuckstück aus Fell trotz eines schlechten Gewissens ebenfalls erneut aus dem Keller, weil es der Trend vorgibt? Das pelzverarbeitende Gewerbe jedenfalls meldet für 1996 Umsatzsteigerungen von über 15 Prozent. Die Tierschützer sind alarmiert und rufen mit immer ausgefalleneren Aktionen zum Boykott von Naturpelzen auf, die Politik verschärft die Auflagen für Tierhaltungen. Der Streit ist neu entbrannt, es geht nicht nur um die Frage, ob der Pelz in den modischen Kreislauf zurückkehrt.

Lange, kalte Winter erwärmen seit je her das Herz der Pelztierbranche. Der strenge Winter der letzten beiden Jahre bescherte den über Tausend deutschen Kürschnern einen deutlichen Anstieg ihrer Umsätze, auf ihren Auktionen verkauften sie innerhalb kürzester Zeit das gesamte Fellangebot. Das Deutsche Pelz Institut (DPI) feierte die „Rückkehr des Pelzes ins Modebild“. Eine Entwicklung, die nicht an den Grenzen Deutschlands halt macht, denn vor allem in den osteuropäischen Ländern steigt der Wunsch des Verbrauchers, sich mit einem Fell zu wärmen, rapide an. War Rußland bis vor kurzem eines der Hauptlieferländer für Nerz- und Fuchsfelle, stellt sich die jüngste Situation verändert dar: Rußland importiert heute Mengen von fertig verarbeiteter Pelzmode, daneben aber auch Felle zur Verarbeitung im Land selbst. Lange Zeit litt die europäische Pelzbranche unter den massiven Protesten der Tierschützer, aber mit den Zeiten ändert sich auch die Mode, und die Designer wagen sich wieder vermehrt an die Gestaltung von wertvollen und wärmenden Mänteln und Jacken. Stolz behauptet das DPI, daß heute so viele Modemacher wie nie zuvor mit Pelz arbeiten. Die französische Elle kommentiert: „Es ist kein Tabu mehr, einen echten Pelz zu tragen.“

Organisierten Tierschützer halten den Jubel der Pelzindustrie für Schwanengesang. Zwar sei nicht zu verhehlen, daß die Branche seit 1991 einen leichten Aufstieg zu verzeichnen hätte, dieser müsse aber in den Zusammenhang mit den letzten 12 Jahren gesehen werden. Bis Anfang der 80er Jahre war die Bundesrepublik führend im Pelz-Business, bis Tier- und Artenschützer mit Protesten auf die qualvolle Lage der Tiere auf den skandinavischen Pelztierfarmen hinwiesen. Filmbeiträge folgten, einige Firmen aus der Branche wurden als wirtschaftskriminell entlarvt, wissenschaftliche Arbeiten dokumentierten die Mißstände auf bundesdeutschen Nerz-, Iltis- und Nutriafarmen. Die Folge: Zwischen 1987 und 1991 verlor die Pelzwirtschaft zwei Drittel ihres Produktionswertes, die Geschäfte mit dem Tierfell konnten kaum schlechter gehen. Nur noch selten erhielt der Pelz Auslauf, nur noch selten trug man das kostbare Stück öffentlich zur Schau. Der tierische Flaum war als Schmuckstück von den Prachtstraßen der europäischen Metropolen nahezu verschwunden, tauchte er dann und wann doch noch mal auf, fristete er als dezente Applikation an Ärmel oder Kragen ein betont unauffälliges Dasein. Trotz des 1991 zu verzeichnenden Anstiegs lagen die Umsätze des Kürschnerhandwerks, des Bekleidungseinzelhandels und der Waren- und Versandhäuser 1991 mit rund 2 Milliarden DM ca. 50 % unter denen des Jahres 1980. Von den Anfang der 80er Jahre noch bestehenden 170 Nerz-, Iltis-, Fuchs- und Sumpfbiberfarmen bestehen heute noch höchstens die Hälfte, ein dramatischer Rückgang war auch hier zu verzeichnen. Edmund Haferbeck vom Bundesverband der Tierversuchsgegner nennt die Erfolgsmeldungen der Pelzbranche aus diesem Grunde eine „irreführende und burschikose Trotzreaktion“.

Mittlerweile kämpft eine breite Front von Tierschützern weltweit gegen die Jagd und Haltung von Pelztieren. Mit aufsehenerregenden Aktionen wendet man sich an die Öffentlichkeit und bedient sich dabei gekonnt der Massenmedien. Zu Trägern der tierfreundlichen Botschaft werden immer wieder Stars und Sternchen, die ihre Popularität für die „gute Sache“ einsetzen. Die amerikanische PeTA („People for the Ethical Treatment of Animals“) läßt Prominente unter dem Motto „Lieber nackt als Pelz“ unbekleidet vor der Kamera posieren. Topmodels wie Nadja Auermann, Cindy Crawford und Christy Turlington ließen bereits die Hüllen fallen, Frauenschwarm Markus Schenkenberg ebenso. Die internationale Agentur „BOSS Models“ erklärte kürzlich, daß sie ihre Modelle ab sofort nicht mehr in Produktionen schickt, in denen Pelze eine Rolle spielen. Kim Basinger setzt ihre Schönheit ebenso für PeTa ein wie Schauspielkollege Hugh Grant seinen Charme. Und Magiergattin Claudia Schiffer erzürnte im letzten Jahr ihren Arbeitgeber Karl Lagerfeld mit der Ankündigung, nicht mehr in seinen Fellkreationen über den Laufsteg wandeln zu wollen.

In Deutschland fungierte die Interpretin des Chaos´, Nina Hagen, lange Zeit als Aushängeschild der Tierrechtler. Gespeist aus einem Trivial-Buddhismus, propagiert die Sängerin die universelle Liebe zwischen Mensch und Tier. Angeschlossen hat sich nun die „Lukas Familie“ um Komiker Dirk Bach, die seit dem Januar durch das Abendprogramm des ZDF geistern. Auch sie demonstrieren mit der PeTA gegen den Mißbrauch von Pelzen.

PeTA-Chef Dan Mathews weiß ob der Wirkungskraft seiner prominenten Flagschiffe, er bezeichnet seine Organisation als „Marketingagentur“. Protest gegen das Establishment liegt ihm fern: „Wir leben nicht mehr in den Sechzigern“, sagt der Mann, der als Telefonist bei der PeTa begann, „heute gilt es, die Botschaft raffiniert zu verpacken“. Mathews bemerkte schon früh seine Bestimmung: Als kleiner Junge in den USA rettete er zusammen mit seinem Bruder junge Katzen, die von den Nachbarkindern gequält wurden. Die Peiniger bezogen dabei ein kräftige Tracht Prügel. Schnell bemerkte er, daß Tierschutz eine Sache der Konsumenten, weniger der Politiker ist und entwickelte die Prämisse seiner Arbeit: „Tierrecht heißt, daß zu respektieren, was lebt und fühlt. Und was man respektiert, daß rührt man nicht an.“

Seit ihrer Gründung im Jahre 1980 unterstützen vor allem jüngere Leute die gemeinnützige Organisation, freiwillige Helfer arbeiten zumeist unentgeldlich zum Schutz der bedrohten Kreaturen. Die Mitarbeiter verweisen auf diverse Erfolge: Auf Druck von PeTA stellten die Unternehmen Revlon, Avon und Estèe Lauder Tierversuche für ihre Produkte ein und der Autogigant General Motors stoppte die Verwendung von Schweinen und Frettchen für Crash-Tests.

Die Anti-Pelz Kampagne ist aber nach wie vor die Populärste der professionellen Tierfreunde, denn den meisten Menschen fällt der Verzicht auf den Pelz ebenso leicht, wie die Boykottierung eines bestimmten Tankstellentyps. Pelzindustrie und Tierschützer streiten sich indes um jeden einzelnen Modedesigner und veröffentlichen in kurzen Abständen Listen, auf welchen die Namen derjenigen Schneider-Künstler vermerkt sind, die den Pelz nutzen oder eben nicht verwenden.

Auch der Hamburger Modezar Wolfgang Joop meint, auf Pelz verzichten zu können, gibt aber zugelich zu bedenken, daß Tatsache bleiben wird, daß „Tiere gezüchtet werden, um sie zu verwenden – ob als Speise oder Kleidung“. Damit spricht Joop ein Grundproblem des Tierschutzes an. Denkt man die Forderungen der Organisationen nämlich bis an ihr Ende, dürfte sich der Mensch grundsätzlich nicht mehr am Tier vergreifen. Ob im Zoo, als Pelz oder im Tierversuch – überall zwingt der Homo sapiens einer anderen Spezies seinen Willen auf. Vorerst begnügen sich die viele Tierschützer allerdings damit, auf die Situation der Nutztiere hinzuweisen. Annähernd fünf Millionen Pelztiere -Waschbären, Luchse, Biber, Nutri Otter und andere Tiere- werden jährlich von Fallenstellern in den USA getötet. Dies geschieht meist mithilfe des Tellereisens, dessen beiden Zahnreihen bei Berührung am Bein des Tieres zusammenklappen. Oft versucht das Geschöpf dann freizukommen – manche beißen oder drehen sich dabei das gefangene Glied ab und verenden später. In Deutschland sind Tellereisen mittlerweile verboten, nicht aber der Import von Pelzen, die mit dieser Methode gefangen wurden. Silke Berenthal von der PeTA in Hamburg sieht darin eine „nicht zu übersehende Doppelmoral“. Weitere dreieinhalb Millionen Pelztiere leben in den USA auf Farmen. Ungeachtet ihrer Größe oder ihres Standortes ist die Art, wie Nerze und andere Pelztiere gezüchtet werden, auf der ganzen Welt relativ einheitlich: Füchse hält man in bis zu 250 Quadratzentimeter kleinen Käfigen, Nerze und ihre nahen Verwandten warten auf 30 x 100 Zentimeter auf ihre Verarbeitung.

Erbitterter Streit herrscht darüber, inwieweit die Tiere unter diesen Umständer ihrer Gefangenschaft leiden. Quält das animalische Wesen der Entzug seiner Freiheit ebenso wie den Menschen? Tierschutzorganisationen halten es für selbstverständlich, daß die Gefangenschaft jedweder Kreatur nicht nur gegen dessen „Recht auf Wohlbefinden“ verstößt, sondern zudem Ursache von Krankheiten und Verhaltensstörungen bishin zum Kannibalismus sei. Nach Ansicht der Befürworter der intensiven Tierhaltung ist dagegen schon der Begriff des „Wohlbefindens“ eine unzulässige Übertragung menschlicher Kategorien auf das Tier. Im Laufe seiner Domestizierung hätte sich nicht nur das Haus-, sondern auch das Pelztier an seine Lebensbedingungen in der Nähe des Menschens gewöhnt. Demnach dürfe, so die Meinung, das Verhalten von Tieren in Gefangenschaft, welche seit Generationen mit dem Menschen leben, nicht mit dem Verhalten ihrer Artgenossen in der freien Wildbahn verglichen werden. Der dänische Wissenschaftler Knud Erik Heller behauptet, daß „Domestizierung und Selektion von Nutztieren zu derart tiefgreifenden Änderungen geführt haben, daß ein Vergleich mit Wildformen unsinnig ist.“ Der Forscher von der Universität Kopenhagen will herausgefunden haben, daß Pelztiere unter normalen Zuchtbedigungen keinerlei Langzeitstreß ausgesetzt sind. Heller: „Es deutet nichts darauf hin, daß Wildtiere ein höheres Wohlbefinden haben als entsprechende Zahmformen.“

Auch diese Ergebnisse der nordischen Forscher werden in ihrer Substanz von den aktiven Tierschutzengeln angezweifelt. Sie beharren darauf, daß trotz generationsübergreifendender Gewöhnung an Gefangenschaft in jedem Tier ein Trieb nach Bewegung und Aktivität vorhanden sei. Die moralische Verpflichtung der Menschheit bestehe darin, Mitmenschen und andere Kreaturen so zu behandeln, daß ihnen unnötiges Leid erspart wird. Und so bezieht die Moral der Tierschützer die „niederen“ Kreaturen bewußt mitein. Ihr Hauptargument: Nichts, weder wissenschaftlichen Untersuchungen, noch philosophischen Überlegungen rechtfertigen die Annahme, das ein Unterschied im moralischen Status von Mensch und Tier existiert. Im Kern streiten die Befürworter der Tiernutzung und ihre Gegner um die Frage, welche Gemeinsamkeit die auf christlichen Vorstellungen beruhende „Krone der Schöpfung“ (noch) mit den anderen lebenden Geschöpfen hat. Weisen Tierschützer in der Auseinandersetzung immer wieder auf die Gemeinsamkeiten von Mensch und Tier hin, heben Tiernutzer deren Unterschiede hervor.

Die neuere Verhaltensforschung zeigt zunehmend, daß Tiere ein ebenso bewegtes Innenleben haben wie Menschen: Sie wissen genau, was sie wollen und was sie nicht wollen und besitzen vielfach Fähigkeiten des Bewußtseins und sind damit durchaus „Subjekte eigener Lebensführung“. Verhaltensforscher und Nobelpreisträger Konrad Lorenz (Der „Gänsevater“) nannte Tiere „Gefühlsmenschen mit sehr wenig Verstand“.

Abseits solch tiefgreifender Erörterungen hängt das Mäntelchen der öffentlichen Meinung in der steifen Brise der weitgehenden Ablehnung der Pelztierzucht. Glaubt man den neuesten Auslegungen der Auguren von Emnid, so behaupten 70 Prozent der Bevölkerung in Deutschland, daß es heutzutage unschicklich sei, ein Kleidungstück aus Tierfell zu tragen. Diese eindeutige Tendenz ist unter jüngeren Menschen noch weit ausgeprägter, denn über 80 Prozent der bis 29jährigen meinten „Niemand sollte mehr Pelzmäntel kaufen“, während dieser Anteil bei den über 60jährigen auf nur 57 Prozent schrumpfte. Die Pelzbranche dürfte ihr größtes Käuferpotential also noch immer in der reiferen Generation finden, schwierig dürfte es indes sein, Stola, Cape, oder Muff an den wertegewandelten Großstadtbewohner unter 30 zu vertreiben.

Nach Volkes Wille richten sich mittlerweile vermehrt Parteien und Politiker: Der Bundesrat verschärfte bereits 1992 die Vorschriften für die Haltungsbedingungen von Pelztieren, die Pelzgegner hoffen seit dieser Zeit darauf, daß die Gefangenschaft von Felltieren so unrentabel wird, daß bald keine Farmen mehr auf deutschem Boden stehen. Auch das Europäische Parlament bemüht sich um einen Schutz von Nutz- und Pelztieren – jüngst forderte das Gremium seine Mitgliedsländer auf, effektive Gesetze zu erlassen, die mithilfe von Überwachungsmaßnahmen durchgesetzt werden. Diese Forderung erfüllt das deutsche Tierschutzgesetz zum Teil schon heute, wichtige Vorschriften des Gesetzes werden aber, so Rechtsanwalt Eisenhart von Loeper, vom Grundgesetz ausgehebelt. Dieses entziehe dem Einzeltier die „Anerkennung seiner Schutzwürdigkeit“, im Konflikt mit in der Verfassung fest verankerten Rechten, wie beispielsweise der Freiheit der Wissenschaft, sei somit „der Tierschutz für Behörden und Gerichte notwendig unbeachtlich, so daß eine rechtsstaatliche Kontrolle nicht mehr stattfinden kann“, interpretiert der Jurist und Tierschützer. Die Folge: Forscher pochen mit Recht auf ihre Tierversuche, Pelztierzüchter stehen auf dem sicheren Fundament der Verfassung.

Andere Wege zeichnen sich in der Schweiz und den neuen Bundesländern ab. Die Konföderation der Helvetier verankerte die „Würde der Kreatur“ bereits in der Verfassung, den Verfassungsrang des Tierschutzes anerkennen ebenfall die vier Bundesländer Brandenburg, Sachsen, Thüringen und Berlin. Setzt sich die Idee einer weiter durch, daß das jedes höher entwickelte Tier Träger eigener Rechte ist, dürften die Zeiten für die Pelztierbranche wieder schwerer werden.

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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