Berliner Zeitung v. 8. November 2003
Geschichtsträchtiges Klaustrophobie-Drama
Vor 40 Jahren ereignete sich „Das Wunder von Lengede“. SAT 1 erinnert mit einem technisch aufwendigen Zweiteiler an das Bergwerkunglück, bei dem elf Kumpel nach zwei Wochen doch noch gerettet wurden.
Ein schmuckes Messingschild musste sein, schließlich ist man stolz auf das Geschaffene. „Water Studios“ ist eingraviert, es hängt an einer schmuddeligen Halle im niedersächsischen Goslar. Nicht weit von hier kam es in den feucht-nebligen Wochen des November 1963 zu einer Rettungsaktion, welche später als das „Wunder von Lengede“ in die deutsche Geschichte einging: Durch einen neu gebohrten Schacht wurden elf Arbeiter aus der Erzgrube „Mathilde“ gerettet, nachdem sie fast zwei Wochen vom Wasser eingesperrt in völliger Dunkelheit ausgeharrt hatten. Mit einem Zweiteiler will SAT 1 am 9. und 10. November zur Prime Time an das Bergwerkunglück erinnern – und zugleich an den Erfolg des ähnlich gestrickten Klaustrophobie-Dramas „Der Tunnel“ anknüpfen.
Für die Dreharbeiten musste nicht nur die beklemmende Situation in 60 Meter Tiefe, sondern auch die einstürzenden Wassermassen simuliert werden – ein Leckerbissen für Filmarchitekten. So auch für eine der Größen der Branche, Götz Weidner („Das Boot“). Das Team um den Münchener Filmarchitekten und der Produktions-Firma „Zeitsprung“ schuf in dreimonatiger Arbeit für rund eine Million Euro in der Haupthalle der ehemaligen Erzwäscherei Goslar ein Studio mit deutschlandweit einmaligen Möglichkeiten. Das Set-Design ist so ausgefeilt, dass die Film-Branche bereits Interesse an einem Erhalt angemeldet hat, stehen hier doch gut erprobte Fazilitäten zur Verfügung, um Über- und Unterwasseraufnahmen im Studio abzudrehen. So entstand auf der unteren Ebene der Halle ein Becken, aus dem 280.000 Liter Wasser innerhalb von einer halben Stunde in den zweiten Stock des Gebäudes hochgepumpt werden können. Hier formten die Designer den stillgelegten Stollen nach, in welchen sich die Kumpel 1963 vor Wassermassen und einstürzenden Wänden in trügerische Sicherheit gebracht hatten. In dem bergmännisch so genannten „Alten Mann“ steht den Schauspielern wie Heino Ferch, Axel Prahl, Jürgen Schornagel und Jan Josef Liefers das Wasser bis zum Hals. Ihnen steht die diffizile Aufgabe zu, den halluzinativen Irrsinn eines Gruben-Gefängnis zu mimen – mit milder Strenge geführt von Regisseur Kaspar Heidelbach, der nie „Action“, sondern immer „Bitte“ ruft.
Dieser erlebte das Unglück – wie viele andere auch – als eine der ersten Live-Übertragungen der deutschen Fernseh-Geschichte mit. Der NDR dirigierte damals nicht nur 460 Radio- und TV-Mitarbeiter auf den Rübenacker über der Grube, er stellte sogar die Mikrofone, die in das Bohrloch geführt wurde, um den Kontakt mit den Eingeschlossenen zu ermöglichen. Es entstand die moderne Krisen- und Katastrophenberichterstattung. Heidelbach saß währenddessen bei „Sinalco und Salzstangen in der Kneipe, in die mein Vater mich mitgenommen hatte“. Regisseur wie Schauspieler sind begeistert von dem detailgetreuen Nachbau des Bergwerks in der Hallen. Von der zweiten Etage aus können die Wassermassen durch zwei dicke Fallrohre innerhalb von nur 60 Sekunden in die darunter liegende Halle strömen, um hier mit enormen Schub ein weiteres nachgeformtes Stollensystem zu fluten. Um die Sicherheit des Teams zu gewährleisten wurde der 100 Meter umfassende, aus Metall geschweißte Unter-Tage-Irrgarten zunächst von der Münchener Firma Magic FX als Holz-Modell gebaut und einer Strömungsanalyse unterzogen. Gleichwohl rissen die ungestümen Fluten gleich bei der Premiere im Studio einen der handgeschälten Kiefern-Stützen im Stollen mit. Schotten wurden eingebaut, um die Gewalt des Wassers zu bändigen. Heidelbach selbst steig in die Fluten, zum einen aus Interesse an der Kraft des Mediums, zum anderen „um den Schauspielern von vornherein das Argument zu nehmen, dass die Szene zu gefährlich sei“, wie er lächelnd sagt. Im Film spült das Wasser nun effektvoll einen Bergmann aus dem Bild – ohne ihn wirklich zu gefährden.
Die „Schullandheimatmosphäre“ (Heidelbach) am Set wurde durch die ausgefeilte Technik und die verschworene Männergemeinschaft der Schauspieler verstärkt. Einmal aber, da wurde es still bei den Dreharbeiten zu dem Eventfilm. Da betraten die realen Überlebenden des Unglücks zusammen mit ihren Ehefrauen das Gebäude. Schweigend sahen sie die Simulation ihrer Tragödie. Manche wollten den Ort, an dem ihre Kollegen und Freunde gestorben waren nicht näher betrachten, andere weinten. Kein Wunder, das Trauma ist verständlich: Während über Tage die Rettungsarbeiten bereits abgeschlossen und der Trauergottesdienst abgehalten war, tranken die Männer im „Alten Mann“ das faule Wasser aus den Pfützen. Mergelplatten stürzen immer wieder in den alten Stollen. Neben ihnen erkalteten die erschlagenen Kollegen, Bernhard Wolter, gespielt von Heino Ferch, schläft aufgrund der Enge sogar auf den Toten. Wahn griff um sich. Einige Ehefrauen wollen nicht an den Tod der Männer glauben und veranlassten eine letzte Bohrung. Diese trifft tatsächlich auf die Gefangenen. Zunächst wird Karottenbrei herab gelassen, später können die Überlebenden durch ein dünnes Bohrloch gerettet werden. Wolter erblickt als erster der Männer wieder das Licht der Welt. Zum 40. Jahrestag des Wunders hofft SAT 1 auf hohe Quoten und Anerkennung. Den Sendetermin hat man so nah wie möglich an den Tag Tag der Bergung (7. November) gelegt. Trotz der Rettung blieben die Fahnen in Lengede damals auf Halbmast, denn 29 Bergleute kehrten nicht aus der Grube zurück.