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Grenzüberschreitend übers Ziel hinaus

Artikel über Timothy Leary

 Grenzüberschreitend übers Ziel hinaus

Galilei des Bewußtseins oder Verführer der Jugend? Timothy Leary,
Prophet der Bewußtseinserweiterung, starb im Alter von 75 Jahren.

Das konservative Amerika der 60er Jahre sah in ihm den Verführer der Jugend, einen Drogenapostel, dessen angepriesene Substanzen und fernöstlichen Praktiken ihre Kinder, wenn nicht in den Tod, so doch in den Wahnsinn trieben. Die keimende Jugend- und Studentenbewegung dagegen sog seine -meist in Ekstase entstandenen- Ideen auf, sie dienten als Basis für den Protest gegen die bigotten Lebensweise eines in seinen Strukturen patriarchal-hierarchisch aufgebauten Staates.

Timothy Leary, ehemaliger Professor für Psychologie an der Harvard Universität, Künder der ständigen Erweiterung des Bewußtseins, Opa im Cyberspace und Uropa der Hippies, verstarb vor einer Woche an einem Krebsleiden. Was bleibt von Leary außer einem leblosen Hirn im Tiefkühlsarg und seiner Asche im Weltraum?

Timothy Leary hat viel gesagt, aber nur ein Satz schwebte als Konstante durch sein Leben: „Glauben Sie nichts von dem was ich sage, ich bin auch bloß neugierig.“ Dürstend nach neuen Erfahrungen, setzte er immer wieder neue Trends – nur um Jahre darauf wieder von ihnen Abstand zu nehmen. Propagierte er zunächst, daß die wahre Freude von den Sinnen, vom eigenen Körper und den menschlichen Beziehungen kommt, hörte er kurz darauf auf Albert Hofmann, den Schweizer Chemiker, welcher 1943 das mysteriöse Lysergsäurediethylamid (LSD) zum ersten mal synthetisierte: Der Einklang mit den Kräften der Natur bestimme das psychedelische Erlebnis, Maschinen brächten nicht sehr viel Freude, die großen Städte würden bald veröden, die Zukunft läge im friedlich, ökologisch orientierten Leben auf dem Land. Ende der 70er Jahre kündigte sich ein Paradigmenwechsel (Thomas Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, 2. Aufl. 1976, hatte Leary inzwischen auch gelesen) an. Maschinen waren von nun an „nötig, um Menschen einander näher zu bringen, ihnen eine Möglichkeit zum Lachen, zum vermehrten Aufnehmen zu geben, die Intelligenz zu erweitern und Informationen zu streuen.“ Diese Glaube an den kontinuierlichen technischen Progreß schritt fort in Learys Hoffnung auf die „Space Migration“ der Menschheit. Nur der Weltraum gäbe den Humanoiden eine Chance auf das Überleben ihrer Art, ja, Leary nahm sogar an, „daß der einzige Platz, wo wir in Zukunft noch Natur haben werden, in kleinen Raumkolonien sein wird“. Damit nahm er endgültig die Kraft aus seinem Denken und Handeln, die auf eine Verbesserung der (menschlichen) Umwelt auf dem Planeten Erde zielte. Ökologische Themen standen von nun an nicht mehr auf seiner Agenda.

Während die „neuen Kathedralen“ im All sich als Luftschlösser erwiesen, enstand Learys Neubau auf elektronischem Grund. Ihn, der Intelligenz als „Empfangen und Weitergeben von Information“ definierte, faszinierten Anfang der 90er Jahre die entstehenden Möglichkeiten der Kommunikation im Internet. War es zunächst nur zwischenmenschlicher Austausch, versprach die „Virtuelle Realität“ noch mehr. Waren die Drogen nur Schlüssel für die Pforten zu transzendenten Ebenen, konnte der Mensch jetzt, so Leary, sich eine andere Realität an einem anderen Ort selbst schaffen. Und endlich konnte auch die nutzlose Hülle des Körpers abgestreift werden. Nicht mehr der klassisch-mühsame Pfad eines religiösen Weges mußte gegangen werden, um das Ich sterben zu lassen, den Körper von der Lust zu befreien und in reines Bewußtsein überzugehen. Sollte es möglich sein die Essenz des Menschseins in die Weiten der elektronischen Sphären zu transformieren? Dies fragte sich mit den Netzjüngern auch Leary. Im Mekka der späteren Cyberkultur sitzend, sah Leary im Netzwerk den zukünftigen, anzustrebenden Aufenthaltsort für das menschliche Bewußtsein. Der Computer als Schnittstelle zwischen Mensch und Cyberspace: Paradiesische Zustände lockten die Technokraten. Den Pfad des Wissenschaftlers verließ Leary in seinem Leben meist nur scheinbar, für ihn lagen Gebetsraum und Laboratorium stets nebeneinander, eine Einsicht, für die der französische Philosoph Jean Guitton immerhin 93 Jahre nachgedacht hat.

Im Herbst 1960 kostete der Sohn irischer Einwanderer das „göttliche Fleisch“ eines Pilzes in Mexiko, ein einschneidendes Erlebnis, denn er glaubte das göttliche Wesen der Welt erkannt zu haben. Kurz zuvor zum Professor für Psychologie an der Harvard Universität ernannt, suchte er von dort an den Geheimnissen der mystischen Welterfahrung durch halluzinogene Substanzen mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden auf die Spur zu kommen. „Der Sinn des Lebens liegt darin, die vergessene Göttlichkeit wiederzuentdecken“, stellte Leary für sich fest. Waren es zunächst nur kleine Studentengruppen, denen Leary und seine Mitarbeiter den Wirkstoff des Pilzes (Psilocybin) verabreichten, veranstaltete er später zweiwöchige „psychedelische Kurse“ mit der weitaus stärkeren bewußtseinserweiternden Substanz LSD, zu denen mehr und mehr junge Personen pilgerten. Seinen Forschungsauftrag hatte er mittlerweile zurückgeben müssen. Dabei waren die Ergebnisse ermutigend: Von den 35 Insassen eines Gefängnisses, zumeist sogenannte Gewohnheitsverbrecher, wurden nur 32 Prozent nach einer mit Psilocybin begleiteten Therapie wieder rückfällig; eine Zahl, die sonst bei 67 Prozent lag. Die amerikanische Öffentlichkeit registrierte die wissenschaftlichen Ergebnisse nicht mehr, sie war durch Pressemeldungen über die Gefahren des LSD-Konsums aufgebracht. Immer mehr Amerikaner gingen auf ihren ersten „Trip“, zu ernsthaften Unfällen unter dem Einfluß der 1943 erstmals synthetisierten Droge kam es aber erst, als der amerikanische Geheimdienst Personen ohne deren Wissen die Substanz verabreichte. Während die Droge so zum „Sorgenkind“ für ihren Entdecker, dem Schweizer Chemiker Albert Hofmann, wurde, nahm Leary seinen medialen Kampf gegen das Establishment und für die psychedelische Revolution auf. Zusammen mit der entstehenden Hippie-Bewegung glaubte Leary zutiefst daran, daß sich die Menschheit schnell zu höherer Weisheit entwic keln kann. Die Kinder aus den 60er Jahren, so hoffte Leary damals noch, „werden LSD nur noch für die Geisteskranken brauchen – die Geisteskranken in der zweiten Generation danach werden die sein, die an Symbolen festhalten und nach Macht streben. Aber schon die dritte Generation nach uns wird LSD nicht mehr brauchen. Sie wird in so vollständiger Harmonie und jeder Form der Energie leben, daß LSD unnötig wird.“

„Turn on, tune in, drop out“. Diese Verkürzung seiner Ideen auf einen Satz verstanden die staatlichen Stellen nicht nur als Aufforderung zum illegalen Drogenkonsum, sondern auch, und erst dies zwang sie zum Handeln, als Aufruf zum Ausstieg aus dem bestehenden gesellschaftliche System. Die Regierung nahm den Kampf gegen den zum „Staatsfeind Nummer Eins“ beförderten Revolutionär auf. Unwillig, für den Besitz von ein paar Gramm Marihuana zehn Jahre die Welt nur durch Gitterstäbe zu sehen, floh er aus dem Gefängnis und dem gelobten Land, setzte sich nach Nordafrika und Europa ab, bevor ihn 1973 der CIA aus Afghanistan in die Heimat zurück verfrachtete. Die Brandmarkung zum „Drogenapostel“ und „LSD-Papst“ ließ Learys Schriften zumeist ungelesen und dies obwohl sie die philosophischen Konzepte des radikalen Konstruktivismus sowie der modernen Hirnforschung enorm bereichern könnten. Seine Thesen: Jeder Mensch ist mit verschiedenen Formen des Bewußtseins ausgestattet, die Leary als Schaltkreise definiert. Diese Stufen treten nicht nur zwangsläufig im Laufe jeder menschlichen Entwicklung auf, sie können auch selektiv ein- und ausgeschaltet werden. Das Bewußtsein ist, so Leary, die von der Struktur empfangene Energie. Seine Forschungen brachten ihn dazu anzunehmen, daß es ebenso viele Dimensionen des Bewußtseins wie Strukturen im Körper gibt, die Energie empfangen und entziffern können. Diese Annäherung an die fernöstlichen Philosophien vollzieht die Neurowissenschaft heute nach. So nimmt Franzisco J. Varela vom „Institut des Neuroscience“ in Paris an, daß beim Tod das Ich auf der Strecke bleibt, während das Bewußtsein auf einer anderen Stufe von Zeit und Raum landet. „Die Existenz findet in verschiedenen Dimensionen statt, und die meisten liegen vermutlich jenseits der Individualität.“

Der Tod sollte Learys letzter Trip werden. Abermals ein Tabu der Gesellschaft aufgreifend, vermarktete er auch diesen Trip, zelebrierte er auch hier seine Person, kündigte sogar an, sein letztes Röcheln live im Internet zu übertragen. Sicher, wohin die finale Reise geht, war selbst Leary nicht. Seiner Theorie nach müßte sein Bewußtsein inzwischen als reine Energie weiterbestehen, eine Art der Unsterblichkeit, die ihm nicht genügte. Schon vor einigen Jahren legte Leary fest, daß sein Körper nach dem Ableben tiefgefrostet wird. In einem Metallsarg wartet momentan allerdings nur sein Materie gewordener Verstand darauf, von Wissenschaftlern der Zukunft wiederbelebt zu werden, die Asche seines Körpers unternimmt in einer Rakete die Flucht ins All. Die Furcht vor der Stabilität des amerikanischen Präsidialsystems hatte ihn auch kurz vor seinem Tod nicht verlassen: Das Testament verbietet sein Auftauen, wenn ein Republikaner Präsident ist.

Jörg Auf dem Hövel

 

Literatur:

  • T. Leary, R. Metzner, R. Alpert: Psychedelische Erfahrungen
  • T. Leary: Politik der Ekstase
  • T. Leary: Neurologik
  • T. Leary: Neuropolitik
  • T. Leary: Was will die Frau?
  • T. Leary: Höhere Intelligenz & Kreativität
  • T. Leary: Info-Psychologie
  • T. Leary: Über die Kriminalisierung des Natürlichen
  • E. Reavis (Hrsg.): Rauschgiftesser erzählen, Frankfurt 1967.
  • „Neue Kathedralen im Weltraum“, Interview mit Timothy Leary in der „Esotera“ v. 14.9.1980.

 

JENSEITS DES SELBST

Das Spiel der Energie

dauert länger

als unsere Wünsche

Das Spiel der Energie

dauert länger

als unser Körper

Das Spiel der Energie

dauert länger

als unser Leben

Hier draussen

sind Zeit

und Wünsche

ohne Bedeutung

 

Timothy Leary: Gebete

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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