Krähenaugen, auch Brechnuss oder pharmazeutisch Semen strychni genannt, das sind die auf Grund ihres Strychningehaltes hochwirksamen Samen eines tropischen Baumes, des Krähenaugen- oder Brechnussbaumes, der englisch Poison nut-tree und botanisch Strychnos nux-vomica heisst. Der bis zu 25 Meter hohe Baum, der in seinen Früchten jeweils zwischen einem und neun der schönen eben an die Augen von Krähen erinnernden Samen enthält, ist in Asien auf Sri Lanka, vom tropischen Indien (Orissa, Südindien) bis nach Tibet, Südchina, Vietnam und Nordaustralien verbreitet. In diversen Tropenländern, so in Südostasien und Westafrika, wird er angebaut. Er bevorzugt den Rand trocken-heisser dichter, insbesondere küstennaher Wälder, sowie Flussufer und kommt bis zu einer Höhe von 1300 Metern vor. Hauptproduzenten der Krähenaugen überwiegend aus Wildbeständen sind Indien und Sri Lanka.
Die Samen dienten früher als Grundlage für Pfeilgift.
In der traditionellen chinesischen Medizin sind die Krähenaugen wohlbekannt. Sie heissen hier Ma-chíen-tzu oder auch Fan-muh-pieh. Als übliche medizinische Dosis gelten 0,006 bis 0,009 Gramm der Samen, also eine sehr geringe Menge. Oft werden die Samen vor ihrer Einnahme durch eine Hitzebehandlung teilweise „entschärft“.
In Indien stellen die Krähenaugen ein wichtiges nervenstimulierendes Heilmittel der ayurvedischen Medizin dar. Die in Hindi Kucla genannten Samen haben zahlreiche Indikationen, unter anderem gelten sie als herzstimulierend, blutdrucksteigernd, antidiuretisch, aphrodisierend und ejakulationshemmend. Die Dosierung der gemahlenen Samen schwankt zwischen 0,03 und 0,24 Gramm. Häufig wird den Samen allerdings zuvor in einem langwierigen Prozess ein Grossteil des Strychnins entzogen!
Als Krähenaugen bei uns noch medizinisch eingesetzt wurden, was zur Zeit als obsolet gilt, wurden Dosierungen zwischen 0,02 und 0,05 Gramm gegeben. Als höchste Einzelgabe wurden 0,1 Gramm der Nuss veranschlagt, 0,2 Gramm als höchste Tagesgabe.
Für homöopathische Nux-vomica-Zubereitungen gibt es nachwievor eine Reihe von Indikationen. Von besonderem Interesse dürfte sein, dass die D6-Form gut gegen Alkohol-Kater helfen soll.
Krähenaugen können einen Gesamtalkaloidgehalt von 0,24 bis 5 % aufweisen, enthalten aber im Schnitt 2,5 bis 3 %. Der Strychningehalt beträgt 1,2 bis 1,5 %. Er kann aber bis 2,3 % hochgehen. Das sehr bitter schmeckende Strychnin ist der Hauptwirkstoff der Samen. Das zweitwichtigste nahe verwandte Alkaloid Brucin schmeckt zwar auch extrem bitter, hat aber nur 1/50stel der Wirkstärke des Strychnins.
Strychnin wirkt als spezifischer kompetitiver Antagonist des inhibierenden Transmitters Glycin. Es lähmt hemmende Neuronen, insbeondere im Rückenmark. Es führt durch die Ausschaltung von Kontroll- und Hemmmechanismen bei gleichzeitigem Reizeinstrom zu einer Sensibilisierung bis hin zu heftigen schmerzhaften Krampfanfällen bei vollem Bewusstsein. Auch höhere Zentren wie Kreislauf- und Atemzentrum werden leichter erregbar. Strychnin wird schnell aus dem Verdauungstrakt aufgenommen, in der Leber umgewandelt und normalerweise relativ rasch ausgeschieden.Tödlich verlaufene Vergiftungen mit Strychnin sind bekannt. Dosierungen ab etwa 1 mg Strychnin pro Kilogramm Körpergewicht gelten als tödlich. Kinder sind erheblich empfindlicher. Schon 5 mg sollen eine lebensgefährliche Dosis darstellen können. Herz-, Leber- und Nierenkranke sind einem stark erhöhten Risiko ausgesetzt. Strychnin kann sich bei längerer wiederholter Anwendung und bei Leberschäden ausserdem gefährlich anreichern. Von den Samen sollen schon 0,75 bis 3 Gramm tödlich wirken können.
Strychnin ist bei uns berüchtigt als Ratten- und Nagetiergift, wahrlich ein schlechter Ruf.
Weniger bekannt dürfte der gelegentliche Einsatz in niedriger Dosis als Dopingmittel im Sport sein.
Besonders skrupellos ist das Strecken oder Fälschen von Heroin oder Kokain mit Strychnin durch Schwarzmarkthändler. Hier soll mit Hilfe des Strychnins eine erhöhte Wirksamkeit vorgetäuscht oder der bittere Geschmack von Heroin imitiert werden. Eine injizierte strychninhaltige Drogenmischung ist unberechenbar. Auch hier soll es bereits zu Todesfällen gekommen sein. Das Gerücht, LSD-Trips seien bisweilen mit Strychnin gestreckt worden, liess sich bis dato nicht belegen. Der ausgeprägt bittere Geschmack des Strychnins ist schon in minimaler noch nicht psychoaktiver Dosis zu erkennen und sehr verräterisch. Ein bitterer LSD-Trip sollte in jedem Fall verworfen oder zur Analyse gebracht werden.
Bei einer Strychninüberdosierung oder -vergiftung sollte in jedem Fall ein Arzt zur Hilfe geholt werden. Um Krampfanfälle zu unterdrücken werden beispielsweise Benzodiazepine oder Barbiturate gegeben. In Ozeanien wurde Kava-Kava als Gegenmittel eingesetzt. Selbst Curare wurde zur Unterdrückung der Krampfanfälle eingesetzt. Für eine reizarme Umgebung wird gesorgt. Substanzen mit zentral erregender Wirkung und starke äussere Reize können bei einer schon vorhandenen Übersensibilisierung Krampfanfälle auslösen und müssen gemieden werden.
Auf der anderen Seite gelten Krähenaugen in Asien auch als Gegenmittel bei bestimmten Vergiftungen, zum Beispiel Alkohol- oder Opiumvergiftung.
Eine Strychninüberdosierung ist geprägt von angstvoller Ich-Auflösung, erst Muskelsteifigkeit, dann schweren schmerzhaften Krämpfen in wiederkehrenden Anfällen bei vollem Bewusstsein und schliesslich Tod durch Atemlähmung, wahrlich kein angenehmes Ende. Erbrechen ist übrigens selten, der Name Brechnuss demnach nicht ganz angebracht.
Niedrige Strychnindosen wirken tonisch und analeptisch und schärfen die Sinnesfunktionen, insbesondere Sehkraft, Geruchssinn und Geschmackssinn. Wenn dies allein schon aphrodisisch sein kann, so scheint es im Einzelfall auch die Erektionsfähigkeit des Mannes verstärken zu können. Bei gefährlichen Überdosierungen wurde von starken Erektionen berichtet, die in diesem Zustand allerdings wenig erfreulich gewesen sein dürften.
Aus Indien und Persien sind eine Reihe aphrodisierender Rezepturen bekannt, in denen Krähenaugen wirksamer Bestandteil sind. Typischerweise enthalten diese Zubereitungen auch Rauschhanfblätter, -blüten oder Haschisch, meist zusätzlich Mohnblätter oder Rohopium, Stechapfelblüten, -blätter oder -samen und Gewürze.
In Nepal wird anlässlich Shiva´s Geburtstag ein aphrodisierendes Rauschhanfgetränk (Bhang) gereicht, das Krähenaugen enthält.
Im experimentierfreudigen Underground werden vereinzelt geringe Mengen (0,02 bis 0,1 Gramm) der geraspelten Samen als Aphrodisiakum oder als Anregungsmittel auf Parties eingenommen, meist in Kombination mit dem Rauchen von Rauschhanf. Als höchste deutlich psychoaktive Dosis gelten 0,2 Gramm, entweder in mehreren kumulativen Kleinstdosen oder einer Portion. Diese Menge würde noch helfen können, eine leicht psychedelische euphorische Trance zu induzieren. Das Überschreiten dieser Menge gilt als leichtsinnig und womöglich lebensgefährlich! (siehe oben)
Ein aktuelles Underground-Szene-Rezept empfiehlt eine Mischung von 0,05 bis 0,1 Gramm Krähenaugenraspeln, 0,2 bis 0,4 Gramm hochwertigem Haschisch, 0,1 Gramm bestem Rohopium und 5 bis 10 Datura stramonium-Samen (alternativ 1 bis 2 Datura suaveolens-Samen) eingearbeitet in eine Paste aus Trockenfrüchten, Nüssen, Honig, Gewürzen und Butter als hochpotenten, euphorisierenden und aphrodisierenden Ersatz für traditionelle Orientalische Fröhlichkeitspillen, die von ähnlicher Zusammensetzung gewesen sein sollen. Derartige Rezepturen unterstehen hierzulande allerdings dem Betäubungsmittelgesetz. Über die speziellen Risiken derartiger Kombinationen gibt es keine Informationen. Von Experimenten mit Krähenaugen ist auf Grund des hohen Risikos einer Überdosis sowieso generell abzuraten.
Bei uns sind die optisch attraktiven Krähenaugen nicht ohne weiteres erhältlich. In Indien und anderen asiatischen Ländern kann man sie aber sehr günstig und problemlos im Kräuterhandel erwerben.
Die Samen sind kühl, trocken und unter Lichtabschluss gelagert einige Jahre haltbar.
Eine Hand voll der charakteristisch diskussförmigen, grünlichgrauen bis beigen, durch feinste Härchen samtig glänzenden Samen aus Indien wies Trockengewichte von 1,1 bis 2,9 Gramm auf, bei einem Schnitt von 1,8 Gramm. Der Durchmesser der Samen reichte von 1,5 bis 2,6 cm. Die Dicke lag bei 5 bis 6 mm. Die geruchlosen Samen sind innen sehr hart und hornig, von grauer Farbe und schmecken extrem bitter. Mit einem guten Messer können die Härchen entfernt und Samenflocken abgeschabt werden. Bei Verwendung einer Reibe ist unbedingt darauf zu achten, diese nach Gebrauch gründlich zu reinigen. Ist die Einnahme der Flocken oder des Pulvers geplant, werden diese auf einer geeichten Milligram(!)-Waage ausgewogen, um Fehldosierungen zu vermeiden.
Samen, Samenpulver und -zubereitungen sind deutlich als giftig zu kennzeichnen und unbedingt von Kindern oder Ahnungslosen fernzuhalten.
Krähenaugen werden dennoch, wie oben erwähnt, durchaus immer mal wieder als Genußmittel eingenommen. Lassen wir deshalb einen Konsumenten zu Worte kommen:
`Ich habe Krähenaugen in zweierlei Kontexten benutzt. Einerseits als Aphrodisiakum, wenn ich mich eher abgelenkt und körperlich nicht ganz so präsent gefühlt habe. Die Dosis betrug in diesem Falle zwischen 0,03 und 0,1 Gramm. Es erhöht bei mir dann Wachheit, intensiviert das Körpergefühl, enthemmt leicht, verstärkt die Spannkraft, die Energie, die beim Sex von der Wirbelsäule ausgeht, macht aus nem eher lahmarschigen Fick ein standhafteres, sexuell reizvolles Erlebnis. Die andere Situation ist als Anregungsmittel auf Technoparties. Die Dosis belief sich dann auf 0,05 bis 0,1 Gramm maximal zweimal am Abend. Die Krähenaugen wirken einige Stunden und potenzieren sich in der Wirkung, wenn man nachlegt. Eine erhöhte Wachheit paart sich mit einer Sensibilisierung der Sinne. Besonders die Optik ist leicht psychedelisch verändert, farbiger, klarer. Tanzen fällt leichter. Die spezielle Muskelstimulation bewirkt aber auch eine gewisse Anspannung in bestimmten Bereichen, eine gewisse Steifigkeit im Nacken, eine Zusammenklauung der Hände, aber alles noch im erträglichen Bereich. Man ist auch enthemmt und selbstbewusster. Raucht man dazu noch Rauschhanf, läßt sich die Nacht auf unterhaltsame Weise rumkriegen, aber insgesamt schon eher ne glorreiche Ausnahme oder ne Notlösung.´
Dass der Konsum von Krähenaugen bzw. Ehrlichkeit zu Missverständnissen führen können, beweist folgende wahre Geschichte eines anderen fröhlichen Polytoxikomanen:
`Auf einer Party, auf der ich ziemlich abgebrannt war und schließlich nur ein Krähenauge hatte, war ich gerade dabei mir mit meinem Messerchen etwas von dem Samen herunterzuraspeln und mit verzogener Miene runterzuspülen, als ein Mädel mich fragte: „Was nimmst du da gerade?“ „Krähenaugen, die enthalten Strychnin, törnt gut!“ war meine korrekte Antwort. Sie verschwand und kam wenig später mit zwei besorgt dreinblickenden Fraggles zurück:“Du, wir haben gehört, du nimmst Strychnin, stimmt das? Können wir dir irgendwie helfen?“ Mein schallendes Gelächter verschreckte die wohlmeinenden Gemeindemitglieder noch mehr: „Klar, wenn ihr vielleicht noch n büschen was zum Rauchen habt?!“´