HanfBlatt 03/1998
„I make you good price, man“
Kauf und Wirkung von Ganja in Costa Rica
Erkennt er es an unseren weißen Beinchen, die in Shorts und Sandalen stecken, leuchten unsere Augen so gierig oder riechen unsere Rucksäcke noch danach? Wie auch immer, als wir aus dem klapprigen Bus, der keines der Schlaglöcher zwischen Costa Ricas Hauptstadt San Jose und Puerto Viejo ausgelassen hat, wanken, federt ein Rastafa auf uns zu, in der rechten Hand eine Bierflasche und im sichtbaren Bereich vom Mund vier Zähne. „Hey man, what´s up, I am Charlie“, begrüßt er uns. Nach einer Woche Urlaub mittlerweile daran gewöhnt, daß die Menschen anscheinend auf der ganzen Welt freundlicher sind als in Deutschland, grüßen wir zurück. Mit wichtiger Geste beginnt Charlie mit meinen Händen rumzufuchteln und verstrickt sie in ein kompliziertes Begrüßungsritual, eine Art der Kontaktaufnahme, wie wir sie in den nächsten Wochen öfter erleben werden. Zeit für den Austausch von Höflichkeiten. Woher wir kommen, wohin wir wollen, wie uns Costa Rica gefällt: Charlie fragt, wir antworten. Er bietet sich an uns zu dem Haus zu begleiten, welches wir als erste Anlaufstation unseres Aufenthalts in der „Schweiz Mittelamerikas“ empfohlen bekommen haben. Plaudernd stolpern wir unter der Last unserer Rucksäcke weiter, Charlie latscht baren Fußes über den stockdunklen Schotterweg. „Hey man, you wan´t some good ganja?“, fragt er unerwartet. Nun will ich nicht gerade sagen, daß meine Freund Olaf und ich genau aus diesem Grund an die Karibik- und nicht an Pazifikküste gefahren sind, aber immerhin ist Urlaub, Zeit der Entspannung, und vertraute Reisende hatten unsere Vorfreude auf die rauchbaren Köstlichkeiten der Gegend geschürt. Also geben wir der Begeisterung ob dieses Angebotes unverhohlen Ausdruck. „Yeah, man“, versuche ich locker zurückzugeben. Auf meine Frage, wie teuer der psychedelische Spaß denn wird, versichert Charlie: „I make you good price, man“. Noch unsicher in der Handhabung der einheimischen Währung, drücke ich ihm umgerechnet fast 30 Mark in die Hand, verlangt hatte er über 50 Mark für „einen dicken Beutel Gras“. Inzwischen am Tor des Obdachs angekommen, verrät Charlie, daß er das Marihuana erst holen muß. Mmh, ungewöhnlich, „Bares gegen Ware“, heißt es normalerweise bei diesem flüchtigen Geschäft. Wir beschließen, ihm zu trauen (wo soll er in dem 200 Einwohnerdorf auch schon hin?), ziehen in unseren kleinen Raum ein und warten auf Charlies Rückkehr.
Daß sich Ganja an der Karibikküste des kleinen Staates so großer Beliebtheit erfreut, wohnt ein Grund inne: Während im übrigen Costa Rica 98 Prozent der Bevölkerung hellhäutig sind, es sind die Söhne und Töchter der spanischen Inquisitatoren, leben in der Provinz Limon ein Drittel Schwarze. Sie sind die Nachkommen der für die Arbeit auf den Plantagen und den Eisenbahnbau von den Westindischen Inseln verschleppten Menschen. Viele sprechen einen englischen Dialekt, der auf Jamaika gebräuchlich ist, die Worte klingen weich. Mit aus ihrer Heimat brachten sie die Vorliebe für die Wirkung des Hanfs. Auf kleinen Grundstücken hinter ihren Häusern oder auf Lichtungen im naheliegenden Regenwald bauen sie Ganja an – für sich und zunehmend auch für die rauschwütigen Touristen. Die Gegend um Cahuita, Puerto Viejo und Manzanillo, einem kleinem Dorf kurz vor der Grenze zu Panama, evolvierte auch aus diesem Grund zu einer Freak-Kommune. Traveller und andere zivilisationsmüde Personen aus den USA und Europa proben das „Easy Living“; hier, wo sich die menschliche Existenz nicht aus der Arbeit heraus definiert, läßt sich leben. Der lästige Ausspruch „Zeit ist Geld“ besitzt kaum Gültigkeit.
Faul liegen wir in den Hängematten die über den Terrassenboden schaukeln, das kühle Bier erscheint Sekunden nach dem Trinken als Schweißfilm auf der Haut. Obwohl die Nacht naht, umgeben uns tropische Temperaturen, aus dem unsichtbaren Wald dringen ungewohnte Geräusche. Würzige Noten wechseln mit blumigen, ein kardamonähnliche Duft wird plötzlich von einem süßlich-fauligen übertönt. Getragen wird dieser vegetative Aromateppich von einer schweren, feucht-muffigen Grundluft. Wir hören Schritte, Charlie betritt die Terrasse, in seiner Hand statt des Bieres einen Kaffeefilter mit Gras haltend. Das Marihuana ist dunkelgrün, mit bräunlichen Ton, fest gepreßt und riecht streng. Charlie gibt meiner Vermutung recht, daß es sich hier um kolumbianische Ware handelt. Die Menge erscheint mir gering, später teilt uns der Besitzer des Hauses mit, daß wir für das Geld eine Unze bei ihm bekommen hätten. Na ja, uns tut es nicht weiter weh. Die Feuchtigkeit läßt die mitgebrachten Blättchen aneinanderkleben, Olaf bemüht sich um eine passable Formung des Joints. Wir drehen ihn mit Tabak, was in den kommenden Tagen bei Einheimischen wie Zugereisten mehrfach auf Verwunderung stößt, frau bevorzugt hier den getrennten Konsum dieser Kräuter. Drei Züge an der krummen Tüte schicken uns auf die Bretter. Kann es sein, daß „Easy Living“ mit der Schwere des Seins verwechselt wurde? Wir jedenfalls rollen in die Betten, reden zusammenhangloses Zeug, oft unterbrochen von minutenlangen Pausen, in welchen wir wildesten Halluzinationen nachgehen. „Eh, Motherfucker, this is good stuff“, bemerkt Olaf trocken. Nur schweigend-grinsend kann ich ihm recht geben. Nach über einer Stunde der psychedelischen Dröhnung, der Bilderflut, des wortlosen Staunens, schlafen wir ein.
Nicht nur die Nachfahren der Sklaven wissen den Hanf zu schätzen. Die indigenas, die Indianer, bauen seit langer Zeit die magische Pflanze an. Im Gebiet der Karibikküste leben die Huertas, ein Stamm von dem vermutet wird, daß er von den Amazonas-Indianern abstammt. Wie im sonstigen Lateinamerika, gehören die Ureinwohner des Landes zur ärmsten Bevölkerungsschicht und versorgen sich traditionell selbst. Diejenigen, welche Jahrhunderte lang auf ihrem Grund und Boden daheim waren, drängeln sich heute in 35 kleinen Reservaten. Etwa 20 Tausend Menschen der ehemals drei Völker starken Gemeinschaft leben jetzt noch in Costa Rica. Diesen wurde in den letzten Jahren eben wegen des Anbaus von Marihuana hart zugesetzt. Auf Druck aus Washington fiel die Polizei in die Reservate des südlich gelegenen Talamanca Gebirges ein. Unter mysteriösen Umständen kamen bei der Aktion „Cobra“ mehrere Indianer um ihr Leben, mehrere kleine Hanfplantagen wurden zerstört und einige Ureinwohner verhaftet. Seit dieser Zeit sind die sonst sehr offenen Huertas Fremden gegenüber sehr vorsichtig. Ein Besuch einer Anpflanzung war nicht möglich.
Der floristische Tropenhammer besorgte uns noch einige nette Tage, jedesmal schickte er uns jedoch mit ungewaschenen Füßen ins Bett und damit in das Land der nicht erinnerbaren Träume. Zwei Wochen später -wir hatten unsere Vorräte ob ihrer Potenz gut eingeteilt- erstehen wir an einem anderen Ort ein sehr viel leichteres Mittel zur Erhighterung. Ein in einem Hintergarten angepflanztes Gras, nur dürftig getrocknet, mit langen Hanffäden in den Dolden versetzt, erregt unsere ungeteilte Aufmerksamkeit. Unklar, um welche Sorte es sich handelt, turnt dieser Leckerbissen sehr viel higher, gesprächiger. Über uns die Pelikane im Formationsflug, ein seichtes Wellenrauschen, die durch das zurücklaufende Wasser klickernden Kieselsteine, eine leichte Brise der Kühlung, blauer Himmel und weißer Sandstrand. Zu schön, um wahr zu sein, fast schon kitschig, wie aus einem Traum. Wir sitzen stoned auf einem angetriebenen Baumstamm, wachsen langsam mit der Umwelt zusammen, sind ein Teil von ihr. Ja, Hanf ist Grün, Hanf ist eine Pflanze, deren geistbewegende Kraft uns wieder mit dem zusammenführt, wo wir herkommen: Der Natur.
Jörg Auf dem Hövel