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Elektronische Kultur

Interface 5

Erschienen in telepolis, 17. Oktober 2000

Jenseits von Gut und Böse

Auf der Interface 5 diskutiert man die Politik der Maschine – allerdings ohne Zuhörer

Interessant wird es auf Symposien ja oft erst, wenn die Zuhörer Fragen stellen oder Anmerkungen haben. Das sind die Momente, in welchen sie beweisen können, dass sie den Referenten verstanden haben oder sogar ein Stück schlauer sind als er. Auf der Interface 5 (www.interface5.de), einer medientheoretischen Veranstaltungsreihe der Kulturbehörde der Hansestadt Hamburg, musste keiner mit Verständnis- oder gar kritischen Fragen rechnen – die Experten blieben wieder einmal unter sich. Schade eigentlich, denn hier wurde die „Politik der Maschine“ diskutiert, die „Bilder, Phantasien und Wirklichkeiten der informierten Gesellschaft“. Immerhin stieg das Publikumsinteresse über die drei Tage sukzessiv an: Vier, zehn und fünfzehn zahlende Gäste verbuchte die Kasse.

Einstimmen auf den bunten Nachmittag will Wolfgang Coy, Professor für Informatik an der Humboldt-Universität Berlin, mit seinem Vortrag über „Die virtuelle Logik der Maschine“. Um „Logik“ geht es allerdings nicht, eher um „Imanigation“ und die historische Aufarbeitung der Überzeugungskraft von Bildern und Illustrationen. Von den geometrischen Beweisen eines Pythagoras oder Euklids, über die Seekarten, den mathematischen Beweisen bis hin zu den Schaltpläne der Elektronik; das Bild, so Coy, stand und steht als visuelle Argumentation gleichwertig neben der Schrift und kann durchaus dessen Präzision erreichen. Mit den technischen Instrumenten wie dem Mikroskop oder dem Fernglas eines Galileo Galilei erhielten die Bilder zwar eine neue Beweiskraft, sollten sie doch exakte Abbildungen des Wirklichen sein, zugleich wurde aber immer deutlicher, dass auch das berechnete Bild unscharf ist und der Interpretation bedarf. „Wobei die Trennung von logischer und emotionaler Argumentation oft schwierig ist“, wie Coy annimmt. Wem das im Raum nicht klar ist, dem hilft Coy mit einem Beispiel auf die Sprünge: Hersteller wie Siemens und Phillips verraten den Ärzten, dass ihre kernspintomografischen Geräte nicht nur Falschfarben integrieren, sondern auch vorinterpretieren und extrapolieren. „Kein Tumor hat solch exakte Grenzen wie uns eine Aufnahme weiß machen will.“ Simples Credo: Zum einen ist für Coy die Betrachtung eines Bildes nicht nur in der Kunst der Kontext (kursiv) relevant, zum anderen „kann der Text nicht alles ersetzen“, das Bild bleibt Stütze argumentativer Strukturen medialer Gesellschaften. Pause.

Zurück im Saal steht Friedrich Kittler auf dem Podium. Ist es dessen kaum verständliches Stakkato aus Militär-Metaphern oder die Tatsache, dass er keine eigene Präsenz im WWW besitzt, die ihn zum „führenden Vertreter der deutschen Medientheorie“ macht? Von Beruf ist Friedrich Kittler Professor für Ästhetik und Geschichte der Medien , ebenfalls an der Humboldt-Universität in Berlin. Während seines „Ausblicks in die nächste Computerzukunft“, welcher der Verteufelung von Microsoft und der historisch falschen Heroisierung von Linus Torvald weiter Vorschub leistet, kommt es zu fluchtartigen Abgänge der Zuhörer. Da staunen auch die Kollegen aus der scientific community nicht schlecht. Nach mehr oder weniger gelungenen Metaphern, „…und so stieß das Internet wie ein Falke auf unsere Schreibtische“, ist die Zeit für Tabakgenuss reif.

Lässig geht es Steven Johnson an. Der Autor von Interface Culture (http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/buch/3453/1.html) ist Fan von Slashdot , der Online Community, die als eine Quelle der Open-Source-Bewegung in den USA gilt. Sein Vortrag „The Internet from below“ kreist um die Frage, ob die Qualität der Kommunikation in Online Communities gehalten werden kann, wenn diese eine gewisse Größe übersteigen. Seine Antwort: Ja – und Slashdot zeigt seiner Ansicht nach auch wie.

Jede Mailing-Liste leide unter zwei Typen: Dem Lurker, der nur mit liest und damit zu wenig mailt und dem Crank, der gerne stänkert und zuviel mailt. „Wir kennen ihn alle, den Typen, der jede Diskussion auf sein Lieblingsthema zurück führt oder einfach nur spam erzeugt“, vermutet Johnson in den Saal hinein. Das Problem: Der Crank gibt die Themen vor. Auch Slashdot kämpfte mit diesen Problemen, bis, ja bis die Quality Filter eingeführt wurden. Zunächst Privileg einer Elite durfte später jeder User jede Mail auf einer Skala von eins bis fünf bewerten.

Johnson kommt in Fahrt: „Denken sie an Norbert Wiener und seine Feedback-Schleifen, das System bewertet sich selbst!“ Heute arbeitet beispielsweise amazon (http://www.amazon.com) mit einem Rating System und Johnsons Ansicht nach wird in Zukunft kaum noch eine Webpage ohne Bewertungssystem arbeiten. „Das ist irgendwann so wie heute eine Website ohne Link.“

Damit ist das Stichwort für den zweiten Tag des Symposions gefallen, dass der „Selbstorganisation“. In der Liste der paradigmatischen Begriffshypes hat es der Begriff der „self organization“ auch bei den Medientheoretikern ganz nach oben und damit bis nach Hamburg geschafft. Hier war die zirkuläre Logik allerdings schon länger bekannt – die Hafenarbeiter dürfte es freuen, dass ihr „Wat mut, dat mut“ es bis in die höchsten Höhen der Elfenbeintürme geschafft hat.

So auch bei Klaus Mainzer, Philosoph, Wissenschaftstheoretiker und Professor. Die Analogie der Evolution, dem Gehirn und den Computernetzen ist Thema seines Vortrags und seine Reise durch zelluläre Automaten, DNA-Computing und genetische Algorithmen ist komplex und schnell. Neben einem Gruß an die Apologeten des gedruckten Buches („…und diejenigen, die das heilige Buch hochhalten, müssen sich vorhalten lassen, dass die Gutenberggalaxis eben auch nur eine sozialisierte Welt ist, zudem nur ein paar 100 Jahre alt, und lineare Wissensvermittlung kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein…“) führt er aus, dass die Zukunft des Computers in seiner Verlagerung in intelligente Umgebungen liegt. „Computer sollen den Kopf frei machen, uns nicht überlasten. Auch das Global Networking sollte als technischer Dienst am Nutzer entwickelt werden, nicht als dessen Vergewaltigung.“ Offenbar arbeitet der Mann mit Windows.

Begeisterung ist im Raum zu spüren, als Mainzer die suggestive Ähnlichkeit von Internet und neuronalen Netzen wie dem menschlichen Gehirn visualisiert. Das Netz als Ausstülpung des Hirn, da wartet Super-Intelligenz, aber auch verkopfter Größenwahn eines Marvin Minkys oder Hans Moravecs. Ob die von Mainzer geforderte Besinnung auf alteuropäische Werte angesichts der Hegemonie der US-amerikanische Ideologie des „it´s good because it works“ ausreicht? Und: Diejenigen, die das heilige Gehirn hochhalten, müssen sich vorhalten lassen, dass die Suggestionskraft der „Ausstülpung des Gehirns“ eben auch Ausfluss und Nachwehe des „Decade of the brain“ ist. Leerer Magen und krummer Rücken denken anders.

Womit der Übergang zu Hartmut Böhmes Vortrag gelungen ist, welcher über die historischen Vorläufer der Enträumlichung und Körperlosigkeit im Cyberspace referiert. Schon Emanuel Swedenborg entwarf 1758 in einer Erzählung eine Population, deren Mitglieder ihr Fleisch und Blut abstreifen mussten, um die Schwelle zu einer körperlichen Sphäre zu überschreiten. Akribisch malte Swedenborg das Bild einer himmlischen Gesellschaft, die den Konzepten des heutigen Cyberspace schon sehr nahe kam. Damals war es die aufkeimende Wissenschaft von der Elektrizität, die Phänomene wie den Mesmerismus hervorbrachte. Böhme, Professor für Kulturtheorie, unterstreicht damit anschaulich, dass an jedes neue technische Medium Heilserwartungen und auch transzendente Wünsche gestellt wurden. Böhme: „Noch sind wir meist Schamanen, die ins Netz mit ihrem Namen gehen uns zwischen den Realitäten wandern. Interessant wird es, wenn die Referenzadresse in der Realität fehlt. Dann hat man keine Adresse, man ist eine Adresse.“ Letztlich sei der Cyberspace aber „nur“ die Fortsetzung des Eintauchens in virtuelle Welten, wie sie die Menschen schon aus dem Lesen von Romane und dem Betrachten von Theaterstücken kennen. „Nur haben wir hier eine neue Art der Überwältigungsästhetik, die -multimedial komplex- die gesamten sensorischen Sinne aufgreift. So gesehen wäre der Cyber-Leib die Vollendung unserer Kultur, ihr wahrer Himmel – oder ihre wahre Hölle.“

Was bleibt mehr sagen am Ende der Interface 5? Um in der Sprache der Experten zu bleiben: Im selbstreferentiellen Reigen sich selbst bestätigen und im vorauseilenden Theoretisieren von der Praxis entfernen, dies wird vielleicht von der Kulturbehörde großzügig gesponsort, vom Publikum aber ignoriert. Völlig ausgeblendet blieb die „Stecker-Raus“-Problematik, denn bei fortschreitender Umweltzerstörung wird auch das Novum des ausgehenden Jahrtausend, der Cyberraum, nicht mehr existieren, basiert er doch wie letztlich Alles auf den Ressourcen der natürlichen Umwelt. Dies war nicht Ziel der Interface 5, wäre aber sicherlich für weitere Veranstaltungen dieser Art zu berücksichtigen, sieht man einmal von einer Öffentlichkeitsarbeit ab, die mehr als 30 Bürger in drei Tagen lockt.

 

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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