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Interview mit Daniel Siebert, dem weltweit führenden Experten für Salvia divinorum

Interview mit Daniel Siebert, dem weltweit führenden Experten für Salvia divinorum, den Wahrsagesalbei

hanfblatt, Nr. 117, Januar 2009

„Salvia ist keine Eskapisten-Droge, im Gegenteil,
es ist ein philosophisches Instrument“

Interview mit Daniel Siebert, dem weltweit führenden Experten
für Salvia divinorum, den Wahrsagesalbei.

Daniel Siebert erforscht den Wahrsagesalbei (Salvia divinorum) seit über 20 Jahren. Er untersuchte die Pflanze in ihrer natürlichen Umgebung in Mexiko, arbeitete vor Ort mit Schamanen zusammen, entdeckte die Psychoaktivität des Inhaltstoffs Salvinorin A, veröffentlicht wissenschaftliche Aufsätze über den Göttersalbei und hält gut besuchte Vorträge. Salvinorin A gilt als das potenteste natürlich vorkommende Halluzinogen. Zur Zeit wohnt er mit Frau und jungem Kind im kalifornischen Malibu. Im Gespräch geht das Aussterben der bedrohten Pflanzenart und die besondere Qualität der Salvia-Erfahrung.

Daniel Siebert in seinem Labor

Herr Siebert, stimmt es nach wie vor, dass das gesamte auf dem weltweiten Markt erhältliche Salvia divinorum von einem Klon abstammt, der aus einer Ursprungspflanze aus der mexikanischen Sierra Mazateca gezogen wurde?

Daniel Siebert: Lebende Salvia divinorum Pflanzen werden seit Jahrzehnten in der Mazateca-Region gesammelt, es wird also unterschiedliche Klone geben. Die Mazateken vermehren die Pflanze per Setzling, denn sie produziert sehr selten Samen. Daher ist es gut möglich, dass die verschiedenen Exemplare identisch sind. Der überwiegende Teil von heute verkauften Salvia wird aus Mexiko importiert und davon wiederum stammt das meiste aus der Mazateca-Region. Aber es wird durchaus auch in anderen Ländern Salvia kommerziell angebaut. Es kann durchaus sein, dass die Pflanze nirgendwo mehr auf der Welt wild wächst. Sollte dies der Fall sein, liegt es in den Händen der Menschen sie vor dem Aussterben zu bewahren. Aus ökologischer Sicht ist es eine sehr seltene Pflanze. Die Tatsache, dass viele Länder Salvia divinorum verbieten gefährdet die gesamte Art.

Zur Zeit ist es äußerst populär seine Salvia-Trips auf Youtube zu veröffentlichen. Die meisten der Menschen scheinen eine außergewöhnliche Erfahrung zu machen. Was ist aus ihrer Sicht zu den Bedingungen zu sagen, unter denen Salvia genommen wird?

Die meisten der Youtube-Videos zeigen Menschen, die das Kraut unvorsichtig und in maßlos überhöhten Dosen nehmen. Ich bin verwundert: Warum sendet irgendjemand Videos in die Welt, auf denen man so töricht handelt? Die Leute blamieren sich nicht nur, sie sorgen auch für ein negatives Image von Salvia und das spielt genau in die Hände derjenigen, die die Pflanze verbieten wollen. Typischerweise zeigen die Filme Menschen in ihren Interaktionsversuchen mit Kamera und anderen Menschen im Raum. Dabei geht die eigentliche Qualität der Salvia-Wirkung verloren: Die innere Erfahrung. Es ist wichtig Salvia mit guter Vorbereitung, in angemessener Dosis und in friedlicher Atmosphäre zu nehmen, wobei die Aufmerksamkeit nach Innen gelenkt werden sollte. Dies ist nun garantiert nicht das, was die Leute auf Youtube tun.

Welche Einnahmeform würden sie empfehlen? Das Kauen oder Rauchen der Blätter, einen Alkoholextrakt oder pures Salvinorin A?

Ich persönlich bevorzuge die orale Aufnahme. So machen es auch die Mazateken. Oral flutet die Wirkung langsamer an und dauert zugleich beträchtlich länger als beim Rauchen. Dies macht den Übergang in die Erfahrung leichter, gibt mehr Zeit sie zu erforschen und konstruktiv mit ihr umzugehen. Die langsame Anflutung ermöglicht zudem ein Erinnern daran, warum man Salvia genommen hat und was man während des Erlebnis angehen wollte. Dies ist besonders dann wichtig, wenn jemand den Göttersalbei für ernsthafte Selbsterkenntnis und innere Arbeit konsumiert. Das ist aus meiner Sicht ohnehin die beste Art Salvia zu nutzen.

Wie lange dauert so eine Erfahrung?

Oral genommen hält die Spitzenwirkung zwischen 45 Minuten und 1,5 Stunden an. Das Abklingen dann noch einmal eine Stunde. Dagegen führt das Rauchen zu einem schnellen Effekt, der nur fünf bis sechs Minuten anhält, bevor er wieder abklingt. Das plötzliche Anfluten ist oftmals sehr desorientierend und bevor man dann überhaupt schnallt, um was es geht, verschwindet die Wirkung auch schon wieder. Gerade bei starken Extrakten kann das passieren. Manche Leute empfinden die orale Wirkung aber als zu schwach, daher rauchen sie lieber.

Verfolgt man die öffentliche Drogen-Diskussion herrscht Befangenheit: Unterschiedliche Typen, Inhalte und Wirkqualitäten von unterschiedlichen Drogenarten kommen nicht zur Sprache. Das englische Wort für das schöne deutsche Wort „Rausch“ ist „intoxication“, also Vergiftung. Würde es helfen vernünftige Charakterisierungen von Drogenerlebnissen einzuführen, trotz der Tatsache, das die Wirkung so individuell verschieden ist?

Generalisierungen führen oftmals zu oberflächlichen und inakkuraten Vorstellungen über bestimmte Drogen. Das sehe ich regelmäßig bei Salvia divinorum. Weil es visionäre Effekte verursacht nennen es die Menschen „halluzinogen“, „psychedelisch“ oder „entheogen“. Das sind zwar alles angemessene Generalisierungen für Vision-induzierende Substanzen, es ist aber wichtig zu verstehen, dass die Wirkung von Salvia sich von allen ähnlich kategorisierten Drogen unterscheidet. Bedauerlicherweise übertragen die Menschen ihr Vorwissen über andere Drogen auf Salvia. Aber Salvia ist einzigartig.

Und als was für eine Art von Erfahrung würden sie Salvia beschreiben?

Üblicherweise nenne ich Salvia divinorum ein Vision-induzierendes Kraut und Salvinorin A als Vision-induzierende Diterpenoid. Die Begriffe „halluzinogen,“ „psychedelisch“ oder „entheogen“ versuche ich zu vermeiden, hauptsächlich, weil dies die Menschen an Alkaloide wie LSD und Psilocybin denken lässt. Salvia Trips variieren in ihrem Charakter, abhängig von Set, Setting und Dosierung, aber generell gesagt sind es traumartige, visionäre Erfahrungen.

Über die Qualität dieser Erfahrungen läuft eine lang anhaltende Diskussion. Von den einen werden sie als chaotische Zustände des Gehirn beschrieben, als irreale Halluzinationen. Andere beschreiben sie dagegen als wertvolle Verfassungen des Bewusstseins, aus denen zu lernen ist. Gibt es so etwas wie einen Trick um die Erfahrungen so zu übersetzen, dass sie in Leben und Alltag hilfreich sind?

Salvia divinorum species from Oaxaca (Mexico). Photographed at the Conservatory of Flowers in San Francisco

Salvia ermöglicht Zugang zu Teilen der Psyche, die sich normalerweise außer Reichweite befinden. Aus diesem Grund lernen viele Menschen oftmals etwas über sich. Um das zu ermöglichen ist es sehr wichtig, während der Erfahrung fokussiert und achtsam zu bleiben. Die Bilder und Szenen die auftauchen sind häufig bedeutungsvoll. Nicht immer ist diese Bedeutung sofort zugänglich, dann hilft es abzuwarten und nach der Sitzung das Erlebte zu reflektieren. Es kann hilfreich sein bereits kurz nach dem Abklingen eine Zusammenfassung aufzuschreiben. Salvia kann nützlich sein, gerade wenn es um die Einsicht in den weiteren Lebensweg oder Freundschaften geht.

Aber sind die Einsichten nicht manchmal überwältigend? So dass die Nachricht gar nicht zu extrahieren ist?

Ja, das kann vorkommen. Häufig ergibt das Material was nach oben kommt keinen Sinn. Das kann aus mehreren Gründen passieren: Fehlende Reife, fehlender Fokus, zu viel Ablenkung, mangelnde Vorbereitung, fehlende Erfahrung, um einige Beispiele zu nennen.

Wenn Sie die Vorteile von Salvia mit anderen therapeutischen Optionen vergleichen müsstest, mehr über sich und die Welt zu erfahren, was wäre Ihr Fazit? Kann man die Gefahren eines Salvia-Trips mit anderen Therapien vergleichen?

Ich bin eigentlich nicht qualifiziert diese Frage zu beantworten, denn ich weiß nicht viel über Psychotherapie. Ich weiß, dass Menschen tiefe Einsichten während eines Salvia-Trips haben und das sie sich danach oft vitalisiert und mental erfrischt fühlen. Sicherlich kann Salvia vielen Menschen helfen, vorausgesetzt Set, Setting und Dosierung stimmen. Aber ich würde es nicht jedem empfehlen. Obwohl es viel Potential hat ist der Nutzen von Salvia als therapeutisches Werkzeug kaum erforscht.

In einem Interview mit Hans-Christian Dany, Autor eines lesenswerten Buches über Amphetamin, behauptet dieser, dass es gute Gründe geben kann, unter den falschen Umständen nüchtern zu bleiben. Dany denkt dabei an das kapitalistische System, in dem Drogen wie Speed zur Kontrolle der Gesellschaft beitragen. Ist dies ein Argument, welches sich aus deiner Sicht auf den Salvia-Konsum übertragen lässt?

Ich denke die sozial-ökonomischen Bedingungen haben wenig damit zu tun, ob eine Person sich entscheidet Salvia zu nehmen oder nicht. Salvia ist keine Eskapisten-Droge, im Gegenteil, es ist ein Philosophen-Instrument. Es motiviert die Menschen das eigene Leben zu betrachten und positive Veränderungen herbeizuführen. Der gezielte und gelegentliche Einsatz von Salvia kompromittiert nicht die Fähigkeit ein gesundes, produktives Leben zu führen, geschweige denn ein fruchtbares Mitglied der Gesellschaft zu sein.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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