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Interview mit Ronald „Blacky“ Miehling

Interview mit Ronald Blacky Miehling, Ex-Kokain Dealer

HanfBlatt, Nr. 83, Mai 2003 (mit Update 2007)

Der Lawinen-Lieferant

Interview mit dem ehemaligen Kokainhändler Ronald Miehling, der über Jahre den deutschen Markt mit Kokain versorgt hat.


Er kehrte in den Koka-Labors in den Wäldern Kolumbiens ein und aus, wies seinen Kurieren den Weg nach Deutschland und Europa und organisierte die kiloweise Verteilung von Kokain an die Zwischenhändler. Er wurde reich, seine Mitarbeiter auch, und zog ganz nebenbei noch „mindestens zwei Kilo durch die Nase“. Ein Leben im Rausch. Dann, 1994, war das „lustige Geschäft“, wie er den Kokainhandel selber nennt, vorbei. Observiert hatte man in schon zwei Jahre lang, ein Einsatzkommando nahm ihn in Venezuela hoch, nach der Auslieferung verurteilte man ihn in Deutschland zu 12 1/2 Jahren Haft. Der Richter vermutete, dass im Prozess nur an der „Spitze des Eisbergs“ gekratzt wurde. Über acht Jahre hat Ronald „Blacky“ Miehling nun hinter sich, davon die ersten zwei in Isolationshaft. „Ein Wunder, dass ich dabei nicht beknackt geworden bin“, sagt er. Jetzt ist seine Lebensgeschichte als Buch erschienen. Im Interview berichtet Miehling von der Kunst des Schmuggelns, der Moral des Dealens und dem ordnungsgemäßen Konsum von Kokain.

Frage
Wie fing deine Tätigkeit im Kokain-Business an?

Miehling
Tja, das waren Verknüpfungen glücklicher und unglücklicher Umstände. Angefangen habe ich hier in Hamburg mit Gramm-packets. Ein paar Jahre später stand ich auf der Plantage und noch ein viertel Jahr später stand ich direkt in der Koka-Küche. Das Prinzip ist doch immer das gleiche überall auf der Welt: Man lernt die richtigen Leute zum richtigen Zeitpunkt kennen.

Ronald Miehling, © Jörg Auf dem Hövel
Ronald Miehling, © Jörg Auf dem Hövel

Später waren Deine Kontakte so gut, dass Du in Kolumbien direkt vom Hersteller beziehen konntest. Welchen Weg nimmt das Kokain von dort aus?

Wie man weiß, wachsen in Kolumbien Bananen. Die werden dort geerntet, verschifft, kommen hier an und werden dann gegessen. Genau so läuft das bei Kokain ab. Der Unterschied ist nur, dass die Arbeit in geheimen Dschungel-Labors ablaufen muss. Die Bauern sammeln die Blätter, irgendein Konsortium backt das zu Koks zusammen und dann wird´s verkauft.

Und je direkter der Kontakt, umso preiswerter die Lieferung.

Klar, zuletzt habe ich 800 Mark für das Kilo bezahlt, und zwar direkt an die Polizei.

An den Beamten vor Ort?

Die verdienen dort unten halt sehr wenig und manchmal haben sie Glück und können Kokain beschlagnahmen. Ein Teil davon wird einfach gegen Attrappen ausgetauscht und meistbietend abgegeben. Wenn es ganz gut läuft, dann bringen sie einem das sogar noch auf´s Schiff.

Wo es dann unter falscher Deklaration nach Europa verschifft wird?

Oder es wird in wasserdichten Metallkästen an den Schiffsrumpf angeschweißt. Oder im Steuerkasten versteckt. Oder ein Crewmitglied nimmt es mit. Es gibt viele Wege, bekannte und unbekannte.

Dann bitte einen unbekannten.

Na, bleiben wir mal ruhig bei den bekannten. Zunächst gilt es zu wissen, wie die Leute an den Grenzen funktionieren. Und da kann ich sagen: Alle Zöllner dieser Welt funktionieren gleich, alle Bullen dieser Welt funktionieren gleich. Alle haben gewisse Konstanten in ihrem Verhalten. Jetzt muss man nur etwas finden, was in ihr Bild passt und daneben die eigentliche Ware durchschieben. Das ist der ganze Trick.

Ein Beispiel, bitte.

Am Flugplatz stehen die Scouts der Zöllner rum und achten darauf, dass sich jemand auffällig benimmt. Der wird dann rausgepickt und untersucht. Was sie nicht mit kriegen ist, dass nebenan eine ganze Karawane durchläuft. Das nennt man den Hasen jagen. Das hat früher gut funktioniert, heute wohl nicht mehr.

Hört sich eher nach Kleinhandel an.

Na ja, das ging um bis zu 70 Kilo in einer Fuhre. Das ist kaum noch Kleinhandel.

Damit war der Monatsbedarf für Euren „Verein“ gedeckt?

Ungefähr. Unser damaliger Monatsbedarf lag zwischen 50 und 200 Kilo.

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Welches Gebiet konntest Du damit abdecken?

Das hat mich nie interessiert. Ich habe nur bemerkt, dass der Preis erheblich fiel, wenn ich den Markt voll geschmissen habe und anstieg, wenn ich es zurück hielt. Teilweise habe ich darum unter Preis verkauft, dann solange gewartet, bis die anderen Händler, die in Holland teuer gekauft hatten, an den niedrigen Preisen erstickt sind und verzweifelt in andere Städte abtransportiert haben. Dann habe ich den Markt zugemacht, den Preis erhöht und mein Defizit doppelt wieder drin gehabt. Das nennt sich Marktwirtschaft.

Wobei die Illegalität Eure Gewinnspannen in die Höhe trieb.

Wenn du ein Kilo in Südamerika kaufst und hierher transportierst, dann gibst du maximal 5000 Euro aus, eher sogar 2500 Euro. Hier erzielst du im schnellen Verkauf 30.000 Euro, im Großhandel 20.000 Euro und im Straßenverkauf, tja, rund eine viertel Million. Da fließen enorme Gelder. In Deutschland liegt heute so viel Kokain rum, dass selbst bei einer Schließung aller Grenzen der Markt noch mindestens drei Monate beliefert werden könnte. Würde man Holland noch dazu rechnen, dann würde dieser Zeitraum sogar auf ein halbes Jahr anwachsen.

Wenn man Dich so hört, dann könnte man auf die Idee kommen, dass der Handel mit Kokain eine großer Spaß für die ganze Familie ist.

Du musst es mal so sehen: Ich habe in Holland immer zwischen zwei und vier Leuten nur zum Knallen gehabt.

Knallen?

Ja, Leute, die Probleme mit der Waffe bereinigen. Aber die habe ich nie gebraucht und darauf bin ich stolz. Alle meine Konkurrenten haben die benutzt, weil es halt ein hartes Business ist. Ab einer gewissen Größenordnung gibt es nur noch zwei Arten von Geschäftsleuten: Gerade oder Tote.

Und wie sichert man sich da ab?

Du kannst dich nicht absichern, kein Menschen kann sich absichern, nicht mal der amerikanische Präsident kann sich absichern. Das heißt: entweder du hast einen Namen in der Branche und bist als korrekt bekannt oder du bist ein toter Geschäftspartner.

Wurde irgendwann das Geschäft zu groß oder woran lag es, dass die Polizei aufmerksam wurde?

Das lag an meinem falschen Personal. Siehst Du, ob ich eine Mark oder eine Million in der Tasche habe, das merkst du mir nicht an. Ich bin immer der gleiche Mensch…

Das kommt selten vor.

Ja, aber für mich ist Geld nur ´ne Menge Chips und die tausche ich gegen Spaß ein. Mehr ist das nicht. Ab einer bestimmen Summe ist Geld uninteressant. Mit 5000 Euro im Monat kannst du alles abdecken um normal zu leben, alles darüber ist Luxus. Wenn der da ist – gut, wenn nicht – auch gut. Einige Leute, die mit mir zusammen gearbeitet haben, die sahen das anders. Die hatten vorher noch nie einen Tausender gesehen und plötzlich hatten sie ´ne Million in der Tasche. Und plötzlich waren alle anderen nur noch Penner für sie. Wenn man so denkt, dann überschätzt man sich.

Und das ist schlecht für das Geschäft?

… dann geht das irgendwann nach hinten los. Das war ein Grund, weshalb das Geschäft scheiterte: die Leute haben nicht richtig funktioniert.

Gab es noch andere Gründe?

Ich hatte verboten auf St.Pauli zu verkaufen und ich hatte verboten an Kleindealer und Junkies zu verkaufen. Einer meiner Leute garantierte aber immer häufiger für irgendwelche Kleindealer und sprach diese „gut“. So nach dem Motto: „Der ist in Ordnung.“ Dieses ewige Gutsprechen. Na ja, und dann hat er einen erwischt, der war nicht gut. Dieser V-Mann hatte selbst Probleme mit seinem Drogenkonsum, er stand unter Druck, er musste also was liefern. Mein Mann hatte ihm sehr Reines gegeben und behauptet, er können davon mehr besorgen. So hat der V-Mann die passende Geschichte dazu erfunden und bei der Polizei gesungen: „Ein Schiff wird kommen.“

Aber es kam gar keines.

Jedenfalls nicht das, auf welches die Polizei in Bremerhaven wartete. Leider traf ich den V-Mann ebenfalls und so entstand meine Akte. Zwei Jahre lang haben sie mich beschattet – ohne etwas nachweisen zu können. Dann kam der nächste Fehler und wieder nur, weil Leute nicht richtig funktioniert haben.

Wie viele Schritte sind es vom Labor in Südamerika bis zur Linie auf dem Spiegel?

In den Labors in Kolumbien wird Kokain mit einem Reinheitsgehalt von 88 bis 96 Prozent hergestellt. Dann landet es in Europa und wird zum Beispiel in den Labors in Holland sofort in die große Mischmaschine geworfen und um 50 Prozent gestreckt.

Streckmittel?

Unterschiedlich. Koffein, Mannitol, Lidocain, Speed – einmal Bayer Leverkusen hoch und runter. Alles was knallt. Die Koks-Konsumenten brauchen diesen Kick. Reines Kokain macht keinen Kick, das wissen die nur nicht. So, dann fahren die Zwischenhändler rüber und kaufen das in Kilo-Portionen für 20 bis 25 Tausend Euro. Ist es in Deutschland gelandet, wird es wieder Eins zu Eins gestreckt. Dann geben diese Dealer das weiter an ihre Kleinhändler und die, nun die strecken wiederum Eins zu Eins. Bis es auf dem Markt ankommt hat es – wenn man Glück hat – also noch 10 Prozent. Wenn du eine Top-Quelle hat, dann kriegst du vielleicht mal 20-prozentiges. Da ist doch einfacher in die Apotheke zu gehen, sich ein paar Chemikalien zu holen und sich die in die Birne zu knallen. Billiger ist es zudem.

Und gesünder.

Wahrscheinlich auch. Dabei lässt sich reines sehr einfach von unreinem Kokain unterscheiden.

Wie?

Wenn sie auf Steine, also stark gepresstes, krümeliges Kokain treffen, denken viele, sie hätten gutes Koks vor sich. Quatsch. Gutes Kokain ist immer Pulver und wird höchstens dadurch gepresst, dass es feucht verpackt wird. Es ist nie steinig. Im Gegenteil, bestes Kokain ist kristalin, staubfein oder flockig. Zum Testen nimmt man eine sehr, sehr kleine Menge, streut es auf ein Stück Silberfolie und erwärmt diese von unten mit einem Feuerzeug. Dann fängt es an zu schmelzen und muss – das ist wichtig – einen scharfkantigen Hügel bilden. Wenn es an den Seiten brodelt, dann ist es mit Mannitol gestreckt. Zudem darf die erwärmte Masse nicht chemisch oder süß stinken. Wer einmal gutes Kokain gerochen hat, erkennt es immer wieder. Nach dem vorsichtigen, mehrmaligen Erwärmen darf nur ein Nagellacktupfer übrig bleiben. Streicht man über diesen mit dem Finger, dann darf das nicht kratzen, sondern muss wie lackiert sein.

Aber wer kriegt solches Kokain unter den Nagel?

Klar, der Test kann den Leuten nur zeigen, was sie sich für einen Müll reinziehen.

Ronald Miehling, © Jörg Auf dem Hövel
Ronald Miehling, © Jörg Auf dem Hövel

Ist es Deiner Meinung nach die chemische Verunstaltung der Substanz, die die Probleme für den Konsumenten schafft?

Zum einen sicher. Zum anderen: Welcher Wein- oder Whiskeyliebhaber kommt auf die Idee, sich seinen Alkohol intravenös zu spritzen? Keiner.

Also sind – wenn man schon Drogen nehmen will – die natürlichen Wege vorzuziehen?

So ist es. Ich habe mindestens zwei Kilo durch meine Nase geblasen. Und? Ich habe kein Bedürfnis, sehe klar aus und bin hell in der Birne.

Das klingt nach einem Hohelied auf Kokain.

Es ist doch einfach so: Jeder Mensch hat seine persönliche Dosierung. Wenn ich meine Dosierung treffe, dann bin ich tatsächlich das Monster im Bett, der Weltmeister in der Disco und habe auch noch eine Bewusstseinserweiterung. Nehme ich aber ein bisschen zu viel, dann geht das direkt nach hinten los. Richtiges Kokain wirkt rund vier Stunden, bei korrekter Dosierung kann man alle paar Stunden nachtanken und den Zustand so über zwei Tage erhalten.

Um sich danach direkt in die psychiatrische Anstalt zu begeben?

Nach einem solcher Tour muss man mindestens eine Woche Pause machen. Ich habe oft zwei, sogar vier Wochen nichts genommen und hatte danach wieder mit äußerst geringen Mengen von einem Zehntel Gramm meinen Spaß. Man muss Genießer sein und dann ist diese Droge in Ordnung.

Unter der Voraussetzung, dass man mit der reinen Substanz hantiert.

Das ist natürlich richtig. Jeder Dealer, der das mit irgendwelchen linken Mitteln streckt ist für mich ein Verbrecher. Ganz einfach. Ansonsten ist der Handel mit Kokain für mich kein Verbrechen. Die Alkohol- und Tabakdealer werden ja auch nicht bestraft.

Warum dann die Kokaindealer?

Weil das Kokaingeschäft ein riesiger Wirtschafts- und damit Machtfaktor ist. Ab einer gewissen Größenordnung nimmt man nicht nur viel Geld ein, man hat auch bestimmte Kontakte, Verbindungen und es entstehen gegenseitige Abhängigkeiten. Wenn eine Gruppe die enormen Geldströme bündeln würde, was dann? Dann könnte diese sich Politiker und Beamten kaufen. Jeder Mensch hat seinen Preis. Hier in Europa sind die Leute ein wenig teurer, in Südamerika sind sie ein wenig billiger. Nicht die Schädlichkeit der Droge stinkt dem Staat, sondern die politische Macht in ihrem Dunstkreis.

Wusstest Du, dass einige deiner Kunden mit der Droge nicht richtig umgehen können?

Nein, dass war mir nicht klar, denn wir haben in die Schickeria geliefert. Zudem müsste, wenn man so denkt, jeder Alkoholhersteller den Moralisten raushängen lassen und seinen Laden schließen. Ich zum Beispiel bin nikotinsüchtig, aber dafür mache ich doch nicht den Zigarettenhersteller verantwortlich. Klar, Moral ist gut, aber wo fängt sie an und wo hört sie auf?

Das fragt sich wohl auch die CIA, die in den Kokainhandel in Kolumbien verstrickt ist.

Ja, damit werden Kriege sowie halb- und ganz illegale Aktionen in Südamerika finanziert. Die Gewinnspannen sind einfach so hoch, dass einige Regierungen überhaupt kein Interesse daran haben, die Illegalität von Kokain abzuschaffen. Wenn du von zehn Transporteinheiten á einem Kilo nur zwei durchkriegst, dann hast du immer noch Gewinn. Bei dem Geschäft kann man nicht verlieren.

Außer die Freiheit.

Genau, und die habe ich verloren, weil ich nicht monströs genug war. Ich verstehe zwar, wie die Kolumbianer denken, aber selbst so denken kann man als Mitteleuropäer nicht. Die Illegalität ist ein Mordsgeschäft und wird von den Regierungen benutzt, um Politik zu machen. Denen geht es nicht um die Droge.

Das Verbot trifft demnach die Falschen?

Der Mensch sitzt da und denkt, „das ist nicht alles“. Dann macht er Sex, trinkt Alkohol, geht in die Disco, raucht und probiert anderes aus. Das kriegt man durch Verbote nicht aus ihm raus, dieses Verlangen. Er muss also lernen, was und wie viel davon gut für ihn ist.

Stärkung der Eigenverantwortlichkeit ist demnach das Thema.

Das ist der Weg. Restriktionen führen auf Dauer zu nix, im Gegenteil; es gibt genug Leute, die lassen sich immer wieder was neues einfallen, wie man diese Verbote umgehen kann. Ein Kolumbianer sagte mal zu mir: „Eine Tür geht zu, zehn andere öffnen sich. Wo ist das Problem?“ Er hatte Recht.

Wie siehst du den Kokain-Markt heute?

Früher war das eine Art Gentleman-Geschäft. Es gab Räuberbanden, so wie ich eine hatte. Dann hat die Polizei fast alle deutschen Gruppen weggefangen und jetzt haben wir ausländische Gruppen. Die haben bekanntlich eine etwas andere Mentalität. Toll, sage ich da, jetzt haben wir die organisierte Kriminalität, die so lange beschrieen wurde. Selbst Schuld. Jetzt wird bei jeder Gelegenheit geballert und die Gewinne werden sofort ins Ausland transferiert. Da kann man den Behörden nur zu ihren unbestreitbaren Erfolgen beglückwünschen – gute Arbeit, Jungs!

Hast du noch Kontakt zu den alten Geschäftspartner?

Blöde Frage.

Klingelt mal jemand? Schreibt mal jemand einen Brief?

Ich habe keine Feinde und viele Freunde. Denn ich verrate keine Wege und keine Freunde. Das habe ich nie und werde ich auch nicht. Ich hätten diesen Knast gar nicht antreten müssen, die DEA hat mir ein Angebot gemacht, da hätten andere nicht nein gesagt.

Über zwei Drittel der Strafe hast du um. Sind die Zustände im Knast so bestürzend, wie oft beschrieben?

Schlimmer. Das ist Villa Kunterbunt da.

Drogen aller Art?

Ein Wunschkonzert. Alles vorhanden, da wird jeder glücklich. Was in letzter Zeit weniger geworden ist, ist Alkohol, der ist zu groß zum transportieren. Wir haben ein Top-Strafvollzugsgesetz, da drin ist alles geregelt – es hält sich nur keiner danach. Es herrscht Gutsherrenmentalität unter den Beamten. Die wollen, dass man losgeht und den reuigen Sünder spielt und sich von ihnen sagen lässt, wie man zu leben hat. Die Knakis werden so belogen und schikaniert, bis sie den Glauben an die Gerechtigkeit verlieren und nach ihrer Entlassung bald wieder als treue Kunden zurückkehren. Große Firmen nennen so was „Kundenbindung“.

Das nennt sich Resozialisierung.

So ist es. Aber ich habe einen dicken Kopf und ich bin in meinem Leben immer gut klar gekommen. Wo ich hingekackt habe, da haben die noch nie hingerochen. Ich sage mir, wenn ich mir jetzt den Finger in den Arsch stecken lasse, dann steckt mir draußen jeder den Finger in den Arsch.

Mit dieser Einstellung wird es sicher nicht einfacher dort.

Klar. Ihr Versuch mich zu beugen fing ja schon mit der Isolationshaft an. Zwei Jahre lang habe ich nur den Schließer gesehen und mit niemanden gesprochen. Weißt du, in der Türkei, da werden die Leute verhauen, da siehst du blaue Flecken, aber hier ziehen sie so ´ne Nummern mit dir durch, denn auf der Seele siehst du keine Narben.

Danke für das Gespräch.

Literatur

Im Rowohlt Verlag ist von Ronald Miehling und Helge Timmerberg ein Buch mit dem Titel „Schneekönig“ erschienen. Leicht neu oder gebraucht zu bestellen über Amazon:

Update 2007

Drei Jahre nach seiner Freilassung wurde Ronald Miehling im November 2006 in Hamburg wieder verhaftet. Der Vorwurf: Schmuggel von mindestens 40 Kilogramm Kokain von Kolumbien nach Deutschland. Im Mai 2007 wurde er erneut verurteilt, das Landesgericht Hamburg sprach knappe acht Jahre Haft aus.

Update 2013

Ein Doku-Film über Ronald Miehling ist erschienen. Der Schneekönig.

 

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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