Kein Land in Sicht
Klar ist: Der Klimawandel ist Realität, die Erdatmosphäre erwärmt sich. Klar ist auch: Das wird globale Auswirkungen auf das Wetter und den Meeresspiegel haben. Auf einem Kongress in Hamburg wollten Experten nun klären, was auf Deutschland dabei zukommt.
Es ist amüsant und erschreckend zugleich, mit welcher Nonchalance die Klimaforscher mittlerweile die Ergebnisse ihrer Arbeit präsentieren. Dabei sie müssen einen Umbruch in der Erdgeschichte prognostizieren, der frappierender nicht sein könnte. Mojib Latif vom Leibniz Institut für Meereswissenschaften an der Universität Kiel wies auf dem Kongress „aqua alta“ im herrlichen Hamburger Slang darauf hin, dass der Meeresspiegel aufgrund der globalen Erwärmung bis 2100 um mindestens 50 cm ansteigen wird. „Ich gehe aber eher von einem Meter aus“. Dabei sind die schmelzenden Eiswüsten von Grönland noch gar nicht eingerechnet. Deren Reduktion ist schwer zu berechnen, durch Schneefall vereisen sie oben neu, während sie unten durch das warme Wasser abschmelzen. Sollte das gesamte Eis Grönlands abtauen, und es gibt Szenarien, die dies für wahrscheinlich halten, stiege der Meeresspiegel um sechs Meter an.
Zu diesem Anstieg gesellt sich eine Erhöhung der Regenmengen. Aus dem bayerischen Hohenpeißenberg, wo man seit 1876 jeden Tropfen Regen misst, kommt die Meldung: Die Niederschlagsmengen hat sich seit 100 Jahren verdoppelt. Und so wie es aussieht, es das erst der Anfang der vom Menschen verursachten Ereignisse.
Mit jährlich rund zehn Tonnen CO2 trägt jeder Deutsche zum globalen Treibhauseffekt bei. Das ist das 127fache eines Bauern in Mosambik, das Sechsfache eines Brasilianers und die Hälfte eines US-Bürgers. Das Klima ist träge und reagiert zeitversetzt auf diese Kohlenstoffdioxid-Emissionen, die der Mensch in die Atmosphäre bläst. Die aufgeheizte Atmosphäre gibt einen Teil der Energie an die Ozeane ab. Diese, im Schnitt vier Kilometer tief, speichern die Temperatur und bleiben nach einer Erhöhung der Temperatur wie jetzt mindestens 200 Jahre lang erwärmt. Selbst wenn ab Morgen das Kyoto-Protokoll von allen Ländern befolgt werden würde, wäre immer noch mit einem Anstieg der weltweiten Temperaturen um rund 2 Grad Celsius in den nächsten 100 Jahren zu rechnen. Das alles heißt zwar für die meisten Wissenschaftler noch nicht, dass die heißen Sommer von 2003 und diesem Jahr bereits Zeichen des Klimawandels sind. Vom Wetter auf das Klima zu schließen ist problematisch. Aber das sich viele Länder in den nächsten Jahrzehnten an ein verändertes Klima anpassen werden müssen, steht außer Frage.
Hans von Storch vom Institut für Küstenforschung am GKSS hat die möglichen Folgen für die norddeutsche Region anhand mehrerer Szenarien beschrieben. Bei hohen CO2-Emissionen sei bis 2085 mit einem Anstieg des mittleren Hochwassers an der Messstation in Hamburg St.Pauli von 50 bis 70 Zentimetern zu rechnen. Und selbst bei niedrigen Emissionen sind die Anstiege nicht viel geringer. „Man muss also unabhängig von der Emissionsentwicklung mit einem merkbaren Anstieg der mittleren und sturmbedingten Wasserstände in der Zukunft rechnen.“
Über die Folgen wollte man in Deutschland lange Zeit nicht nachdenken, aber die Küstenbundesländer sehen sich nun zum Handeln gezwungen. Im gesamten Nordseeraum leben 16 Millionen Menschen in tief liegenden Küstenregionen, die ohne Küstenschutz von den Fluten bedroht wären. Bremen und Niedersachsen wollen einen gemeinsamen Generalplan Küstenschutz aufstellen, unhängig davon wird im Projekt ComCoast noch bis Ende 2007 überprüft, wie man die Bürger vor Sturmfluten schützt und dies gleichzeitig sinnvoll in den ökologischen Raum einbettet. Natur- und Hochwasserschutz, das zeigten auch Katastrophen an den Binnenflüssen, müssen verknüpft werden.
„Die bisher geltenden Grundlagen für die Bemessung der Küstenschutzeinrichtungen sind nicht mehr angemessen“, sagt Michael Schirmer von der Universität Bremen, der das Projekt „Klimawandel und präventives Risiko- und Küstenschutzmanagement an der deutschen Nordseeküste“ (KRIM) koordiniert. Zusätzlich zu dem Klimawandel, so Schirmer, müsse das tektonische Absenken der norddeutschen Küstenlandplatte berücksichtig werden – ungefähr zehn Zentimeter im Jahrhundert. Schirmers Kalkulationen gehen davon aus, das sich die Chancen auf Wellenüberlauf bis Mitte des Jahrhunderts versiebenfachen. Er möchte einige Deiche an der Unterweser um 20 Zentimeter, andere gar um mehr als zwei Meter erhöhen. In Schleswig-Holstein ist bereits beschlossen, in zukünftigen Deicherhöhungen 50 Zentimeter allein für den Klimawandel einzuplanen. In Niedersachen ist man vorsichtiger, die 508 Kilometer langen Hauptdeiche sind im Schnitt heute schon 8 Meter hoch, eine Aufstockung würde Millionen kosten. Aber auch Skeptiker der Flutangst wie Hans von Storch plädieren dafür, über eine Erhöhung der Deiche nachzudenken und gegebenenfalls bestimmte Gebiete bei Sturmfluten sogar vorübergehend aufzugeben und als Überschwemmungsgebiet zu nutzen.
Die Bibel des Klimawandels, der neue Report des IPCC, wird Anfang 2007 erscheinen, die Eckdaten werden gegenüber dem vorherigen Bericht kaum anders aussehen. Der Meeresspiegel, so wird es auch hier heißen, steigt bis 2100 um einen halben Meter an. Das jüngste Gutachten des „Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen“ (WBGU) spricht von einer „besonders bedrohlichen“ Gefährdung rund um die Nordsee.
Das Problem der Klimamodelle ist, dass die Vorhersagbarkeit der genauen globalen Wetterlagen schwierig ist. Es wird trockener in einigen Gebieten Deutschlands im Sommer, aber wie trocken, dies ist nicht ehrlich zu beantworten. Diese Unsicherheit verführt einige Forscher zu lauten Warnungen, andere reagieren mit Beschwichtigungen – die Gesellschaft ist irritiert.
Über die Prognosen für Deutschland sind sich die Experten weitgehend einig: Zu milden, regenreichen Wintern werden sich warme Sommer gesellen. Gleichzeitig nimmt die Wahrscheinlichkeit von Extremereignissen zu, alle paar Jahre ist mit einem „Jahrhundertsommer“, „Jahrhundert-Hochwasser“ oder einem extrem kalten Winter zu rechnen. Die Auswirkungen auf die Fauna sind noch nicht abzusehen, aber schon jetzt beobachten Biologen eine Wanderung wärmeliebender Arten nach Nord-Ost.
In Hamburg lief neben dem Kongress eine Fachausstellung zum Thema Hochwasserschutz. Die nötige Anpassung an den Klimawandel wird praktisch: Der Renner waren mobile Schutzwälle, die binnen kurzer Zeit mit nur wenig Helfern aufgebaut werden können.