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Drogenpolitik

Die europäische Drogen-Beobachtungsstelle legt ihren Bericht für 2007 vor

Der Drogenbericht 2007 der EU/

Koksen ist 80er? Weit gefehlt.

Die europäische Drogen-Beobachtungsstelle legt ihren Bericht für 2007 vor

Jörg Auf dem Hövel

Same procedure as every year: Die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD) legt ihren Bericht für das europäische Drogenjahr vor. Die EBDD überwacht im Auftrag der EU die Entwicklung im Drogensektor in den Mitgliedstaaten. Einige Zahlen lassen aufmerken: Jeder siebte Erwachsene hat im letzten Jahr mindestens einmal zum Joint gegriffen – das sind rund 23 Millionen Menschen. Damit bleibt Cannabis die beliebteste illegale Droge Europas. Trotzdem der Konsum nach wie vor auf hohem Niveau liegt, schöpft die EBBD Hoffnung: „Nach einem stark ansteigenden Cannabiskonsum in den 90er Jahren und einem leichteren Anstieg nach 2000 weisen die jüngsten verfügbaren Daten darauf hin, dass sich der Cannabiskonsum insbesondere in den Ländern mit hohen Prävalenzraten stabilisiert oder sogar rückläufig ist“, schreibt die EBDD. Im Klartext: Der große Hype ist nach Ansicht der Experten vorbei. In einigen Mitgliedstaaten gäbe es Anzeichen für eine „sinkende Popularität der Droge unter jüngeren Menschen“.

Laut Drogenbericht haben durchschnittlich 13 % der jungen erwachsenen Europäer (das sind die zwischen 15 und 34 Jahren) in den letzten zwölf Monaten Cannabis konsumiert. Der höchste Konsum wird in Spanien (20 %), der Tschechischen Republik (19,3 %), Frankreich (16,7 %), Italien (16,5 %) und dem Vereinigten Königreich (16,3 %) verzeichnet. Die aktuellen Daten für Länder mit mittlerem Konsum zeigen eine Stabilisierung in Dänemark und den Niederlanden sowie sinkende Raten in Deutschland. Unter jüngeren Erwachsenen stieg der Konsum in Ungarn, der Slowakei, Norwegen und Italien.

Laut Drogenbericht konsumiert nur ein relativ geringer Anteil der Konsumenten Cannabis „regelmäßig und intensiv“. Was heißt das? Schätzungsweise ein Prozent (ja, 1 %) der europäischen Erwachsenen, also rund 3 Millionen Menschen, kiffen nach Ansicht der EBDD möglicherweise täglich oder fast täglich. Die Prävalenz ist unter männlichen Jugendlichen im Allgemeinen höher.

Damit kommt auch der EBDD zum neuen Steckenpferd aller Statistiken über Cannabis, den „behandlungswürdigen Kiffern“. Zwischen 1999 und 2005 habe sich die Zahl der Europäer, die eine Behandlung wegen Cannabisproblemen nachfragten, etwa verdreifacht. In diesem Zeitraum stieg die Zahl der Behandlungsnachfragen wegen Cannabisproblemen von 15 439 auf 43 677 an. Allerdings, so die Beobachtungsstelle, scheint sich dieser Aufwärtstrend jetzt zu stabilisieren. Unklar ist nach wie vor, inwieweit die zunehmende Behandlungsnachfrage auf einen Anstieg eines intensiven Konsums und des damit verbundenen Behandlungsbedarfs zurückzuführen ist. Oder aber andere Faktoren eine größere Rolle spielen, wie eine größere Zahl von Zuweisungen aus dem Justizsystem, ein besseres Berichtswesen oder die Eröffnung spezifischer Behandlungsdienste für Cannabiskonsumenten.

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Interessant ist aus dieser Sicht vor allem der Beliebtheitsgrad von Cannabis unter Schülern und Schülerinnen. Die europaweit höchste Lebenszeitprävalenz („habe schon mindestens einmal im Leben gekifft“) des Cannabiskonsums unter 15- und 16-jährigen Schülern wurde in Belgien, der Tschechischen Republik, Irland, Spanien, Frankreich und dem Vereinigten Königreich und Spanien verzeichnet, die allesamt Raten zwischen 30 % und 44 % meldeten. Deutschland, Italien, die Niederlande, Slowenien und die Slowakei verzeichneten Raten von über 25 %. Dagegen wurden aus Griechenland, Zypern, Rumänien, Schweden, der Türkei und Norwegen Schätzungen für die Lebenszeitprävalenz von unter 10 % gemeldet.

Laut Drogenbericht wird die Bewertung der Cannabissituation in Europa durch Marktfaktoren erschwert. Mehr als die Hälfte der Mitgliedstaaten der EU berichteten 2007 über die Herstellung beträchtlicher Mengen von Cannabis im eigenen Land. Der Trend zur Selbstversorgung und Home-Growing scheint sich fortzusetzen.

Rechtslage

In Europa ist auch 2007 die Tendenz fortgesetzt worden, alternative Maßnahmen zu strafrechtlichen Verurteilungen zu finden, wenn es um den Besitz kleiner Mengen Cannabis für den persönlichen Gebrauch geht und keine erschwerenden Umstände vorliegen. Stattdessen setzt man auf Geldbußen, Verwarnungen, Bewährungsstrafen, Straffreiheit und Beratung. Es gibt deutliche Hinweise: die Abschaffung der Haftstrafen in Luxemburg (2001) und Belgien (2003) sowie die Verringerung der Haftstrafen in Griechenland (2003) und in Großbritannien (2004). Entspannte Leitlinien für Polizei oder Staatsanwälte wurden in Belgien (2003 und 2005), Frankreich (2005) und im Vereinigten Königreich (2004 und 2006) verabschiedet. 2006 war man in der Tschechischen Republik nahe daran, unterschiedliche Klassen nicht-medizinischer Drogen einzuführen.

Pulvermanie

Trotz großer Unterschiede zwischen den Ländern scheinen die neuen Daten zu belegen, dass Kokain zu einer Primärdroge in Europa geworden ist. Es ist nach Cannabis die am zweithäufigsten konsumierte illegale Droge, und hat damit Ecstasy und den Amphetaminen den Rang abgelaufen hat. Die EBDD schätzt, dass rund 12 Millionen Europäer, das sind 4 % aller Erwachsenen, einmal in ihrem Leben Kokain ausprobiert haben. Rund zwei Millionen Europäer haben in den letzten 30 Tagen Kokain konsumiert, das ist mehr als das Doppelte der Schätzung für Ecstasy.

Über psychedelische beziehungsweise entheogene Drogen macht der EBDD-Bericht kaum Angaben. Trotzdem sie immer mal wieder durch das mediale Sommerloch getrieben werden, scheint entweder ihre Mengenrelevanz auf dem gesamteuropäischen Markt zur Zeit unbedeutend zu sein oder aber die Konsumenten fallen nicht unangenehm auf. In Zahlen: In den letzten 12 Monaten haben laut EBDD in nur sieben Ländern mehr als ein Prozent (1 %) der 15-24-Jährigen LSD genossen. Das war in Bulgarien, der Tschechischen Republik, Estland, Italien, Lettland, Ungarn und Polen. Die Lebenszeiterfahrung des LSD-Konsums liegt bei Erwachsenen in Europa zwischen 0,2 % und 5,5 %, wobei zwei Drittel der Länder sogar nur Prävalenzraten zwischen 0,4 % und 1,7 % melden. Unter jungen Erwachsenen (15 bis 34 Jahre) liegt die Lebenszeitprävalenz des LSD-Konsums zwischen 0,3 % und 7,6 %, während er in der Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen zwischen 0 % und 4,2 % beträgt.

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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