Kategorien
Drogenpolitik

Sohn des britischen Innenministers handelte mit Cannabis

Cannabis, Großbrittannien

Setzt Großbritannien seine harte Linie in der Drogenpolitik fort?

Die englischen Gazetten zeigten sich schon immer äußerst trickreich, wenn es darum ging an eine brisante Story zu kommen. Der jüngste Fall: Eine Reporterin des Daily Mirror, Dawn Alford, kaufte vom Sohn des Innenministers Cannabis. Strohdumm von William Straw, könnte man meinen, gleichwohl lastet man der Journalistin nun an, daß sie den 17jährigen Straw zu der Tat verführt haben soll. Kurz vor Weihnachten trafen sich die Beiden in einer Gaststätte in London, William Straw verkaufte Cannabis im Wert von sage und schreibe 25 Mark an die Pressefrau. Diese händigte das Kraut der Polizei aus und wurde -Ironie der Geschichte- auf der Stelle verhaftet.

Das Massenblatt veröffentlichte die Geschichte umgehend, konnte den Namen des Jugendlichen wegen seiner Minderjährigkeit nach britischem Gesetz aber nicht nennen. Dies übernahmen nun Zeitungen in Schottland, Irland und Frankreich. Ein Richter am High Court in London verfügte deshalb, daß auch in England der Name des Betroffenen genannt werden kann. William Straw besucht eine Gesamtschule in London, wo er gerade sein Abitur macht. Er will in Oxford studieren.

Der besorgte Vater Jack Straw, der im Kabinett von Tony Blair für die Drogenpolitik zuständig ist und als Hardliner gilt, sprach in einer eilig einberufenen Pressekonferenz von „Schock und Betroffenheit“, die er über die Vorwürfe gegen seinen Sohn empfunden habe. Er hatte William persönlich zur Polizeistation begleitet. Eine Anklageerhebung gegen den jungen Kiffer ist nach Angaben aus Justizkreisen unwahrscheinlich.

Der Chefredakteur des Daily Mirrors verteigte inzwischen das Vorgehen seiner Zeitung, welche die Reporterin ausgesandt hatte, um von einem Minderjährigen Drogen zu kaufen. „Hier liegt doch ein eindeutiges öffentliches Interesse vor“, sagte Piers Morgan. „Der Sohn des Innenministers verkauft Drogen und dieser Minister ist bekannt für seine harte Linie in Sachen Drogenkonsum.“

Die Politik auf der Insel nahm den kuriosen Fall zum Anlaß, auf die verfehlte Drogenpolitik des Landes hinzuweisen. Paul Flynn, Abgeordneter der Labour-Partei im Unterhaus, ging sogar soweit, die Legalisierung des Rauschhanfs zu fordern. „Vielleicht begreifen sie jetzt, daß weiche Drogen zum Alltag vieler junger Leute gehören – auch von Mittelklasse-Kindern von Ministern.“ Flynn behauptete, daß der Krieg gegen die Drogen verloren sei. „Die Wahrheit ist, daß 50 Prozent der jungen Frauen und 70 Prozent der Männer zwischen 20 und 24 schon einmal illegale Drogen genossen haben.“ Der einzige Weg um den Drogenkonsum zu mindern und die Drogenkriminalität wirkungsvoll zu bekämpfen sei, so der dem linken Flügel seiner Partei zugehörige Flynn, die Austrocknung des illegalen Marktes durch den Ersatz mit einen legalen Markt. „Dieser kann überwacht, reguliert und kontrolliert werden“, spann der Hinterbänkler seinen Gedanken weiter.

Die Reaktion von Jack Straw ließ nicht lange auf sich warten. Der Innenminister machte in einem Interview mit der BBC deutlich, daß die Regierung nicht beabsichtige, die Drogenpolitik grundsätzlich zu ändern. „Marihuana ist eine gefährliche Droge und sollte natürlich nicht legalisiert werden“, erzählte Straw den Journalisten. Erst wenn nachgewiesen werde könne, daß Cannabis ungefährlich sei, müsse diese Haltung überdacht werden. „Die Berichte der Vereinten Nationen sagen aber immer wieder, daß diese Droge narkotisch wirkt und gefährlich ist“, meinte Straw weiter. Aus dem Dunkeln tauchte am Tag nach dem Interview plötzlich Steve Grant auf, Herausgeber des Londoner Magazins „Time Out“. Er gab der Öffentlichkeit bekannt, daß er in den 60er Jahren mit dem Bruder des heutigen Innenministers, Ed Straw, Joints geraucht habe. Und trotz dieses Umstands sei Ed heute ein ganz normaler Bürger in Essex, mit einer Familie und einem festen Job.

In Großbritannien formieren sich immer mehr Kräfte, die auf die Entkriminalisierung des Cannabis-Konsum drängen. Paul McCartney, mittlerweile geadelt und mit „Sir“ anzureden, fordert dies ebenso wie Alan Yentob, Direktor des Fernsehsenders BBC, Sir Kit McMahon, ehemaliger Vorsitzender der einflußreichen Midland Bank, Schauspieler Richard Wilson und die Inhaber der auch in Deutschland florierenden „Body-Shop“ Kleinkaufhäuser. Mit vorsichtigen, aber doch bestimmten Worten schaltete sich jüngst auch der „Lord Chief Justice“, einer der höchsten und wichtigsten Richter im Lande, in die Diskussion ein. Lord Bingham wünschte „objektive und unabhängige Überlegungen“ zu dem Themenkreis. Ob aber tatsächlich -wie vorgeschlagen- eine Royal Commission eingesetzt wird, muß bezweifelt werden. Schon 1969 hatte ein vom Unterhaus eingesetzte Cannabis-Kommission festgestellt, daß Cannabis keine physische oder psychische Abhängigkeit verursacht. Der Wootton-Report und seine Vorschläge der Entkriminalisierung fanden ein weites Echo, wurden aber vom damaligen Innenminister Jim Callaghan rundweg abgelehnt.

Tony Blair und seine Regierung haben sich der Aufgabe einer Revision der Drogenpolitik bislang noch nicht gestellt. Noch vor vier Jahren, als Labour in der Opposition weilte, schlug Clara Short, heute Staatssekretärin für Ministerium für Entwicklungshilfe, die Legalisierung von Cannabisprodukten vor. Heute gibt sich das Kabinett ahnungslos und befindet sich damit auf gleicher Ebene wie die Konservativen, deren innenpolitischer Sprecher Brian Mawhinney (auch geadelt) zur Diskussion seinen Teil beitrug: „Diese Partei meint nicht, daß Drogen legalisiert werden sollten.“ Brian Mackenzie, Präsident der Vereinigung der Polizeichefs, stieß ins gleiche Horn: „Jede Änderung der Einstellung, Menschen wegen Drogenbesitz anzuklagen, wäre ein Schritt in die falsche Richtung. Das würde ein völlig falsches Signal senden.“ Nur die britischen Grünen sprechen sich offen für eine Entkriminalisierung des Hanfs aus.

Inzwischen mischen sich Wissenschaftler und Mediziner in die Diskussion ein. Wie in den USA und anderen Ländern fordern auch britische Therapeuten den Einsatz von Marihuana als Medizin freizugeben. Die „British Medical Association“ drängt seit einiger Zeit darauf, den wissenschaftlichen Umgang mit der natürlichen Substanz zu erleichtern. In einer Resolution, veröffentlicht auf ihrer jährlichen Tagung in Edinburgh (Schottland), forderten die Mediziner die Legalisierung zumindest der Inhaltsstoffe der Pflanze, die nachgewiesenermaßen Linderung bei Schwerkranken bringt. Bis 1971 war dies den Doktoren in Britannien ohnehin erlaubt. 74 Prozent der Mitglieder der Association sprachen sich jetzt in einer Umfrage dafür aus, Pot wieder verschreibungsfähig zu machen. Mike Goodman, Direktor der einflußreichen „National Drugs and Legal Advice Charity Release“, deutete nun ebenfalls an, daß eine Reform der bestehenden Gesetze notwendig sei. Das Gesundheitsministerium kann bislang nur Lizenzen vergeben, die es Wissenschaftlern erlauben, die therapeutischen Effekte der Cannabinoide zu erforschen. Momentan sind 19 solcher Lizenzen an Forschungseinrichtungen vergeben.

Harte Strafen

Der Umgang mit Cannabis wird in England noch immer hart bestraft. Allein der Besitz kann mit bis zu fünf Jahren, der Handel mit bis zu 14 Jahren Gefängnis enden. Das Aufziehen von Pflanzen ist natürlich ebenfalls verboten, der Import, Besitz und Verkauf von Samen ist allerdings nicht illegal, es sei denn, die Ordnungshüter weisen nach, daß die Samen für Kultivierung an die Frau gebracht werden sollen. Wer das erste Mal mit einer kleinen Menge Marihuana oder Haschisch erwischt wird, kommt zumeist mit einer Verwarnung oder Geldstrafe davon. Diese kann aber durchaus empfindliche Ausmaße annehmen. Den Sohn vom Minister wird’s weniger kratzen. In einem Londoner Außenbezirk hob die Polizei im vergangenen Jahr die größte Indoor-Marihuana-Plantage der Geschichte Englands aus. Insgesamt rupften die Beamten 1205 Hanfpflanzen aus der Steinwolle. Der Trend ist eindeutig: Die Briten kiffen gerne und bauen ihr Kraut auch selbst an. Während im Jahre 1977 rund 10 Tausend Pflanzen beschlagnahmt wurden, waren dies 1984 bereits 23.592 Pflanzen. Diese Zahl schnellte bis 1994 auf über 100 Tausend hoch (genau 107.629 Pflanzen). Wie aus der Tabelle deutlich wird, stieg auch die Menge der verfolgten Straftaten enorm an. 1992 machten die Cannabis-Vergehen 84.5 Prozent aller Drogenstraftaten aus, rund 1000 Menschen landen jährlich wegen Cannabis in Haft.

Gegenüber Kiffern hat sich vor allem in den Großstädten -ähnlich wie in einigen deutschen Bundesländern- eine informelle Politik der Polizei durchgesetzt, die von restriktiver Verfolgung absieht. Das Kiffen wird von den Beamten geduldet, so lange es nicht in aller Öffentlichkeit geschieht. Wenn die Situation keine formellen Aktionen fordert, wird auch nichts unternommen. Verlassen auf diese Gnade kann sich aber auch auf dem grünen Eiland niemand.

Die Pointe für den Schluß: Im nächsten Monat wird Jack Straws „Eltern-haften-für-ihre-Kinder-Gesetz“ im Oberhaus debattiert. Eltern, so will es Minister Straw, sollen Strafe zahlen, wenn die Kids etwas anstellen. Straw mache sich zum Gespött des Landes, wenn er das durchziehe, bemerkte Lord Russell von den Liberalen voller Vorfreude.

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.