AM RANDE DER LEGALITÄT
Der Begriff „Designerdrogen“ ist ja schon an sich fragwürdig. Man versteht darunter gemeinhin psychoaktiv wirksame noch legale chemische Substanzen, die von „Underground-Chemikern“ in der Absicht entwickelt, „designed“ wurden, bestehende Drogenverbote, bei uns also das Betäubungsmittelgesetz, zu umgehen und sich damit einer effektiven Strafverfolgung zu entziehen. Nun wurden aber die meisten der sogenannten „Designerdrogen“ zuerst im Rahmen ganz legaler Forschung in Laboren der pharmazeutischen Industrie oder von Wissenschaftlern an Universitäten entwickelt. „Underground-Chemiker“ brauchen nur in der einschlägigen Fachliteratur nachzuschlagen, um auf die Synthesewege potentiell psychoaktiver Substanzen zu stossen. Zugegeben, nicht zuletzt inspiriert durch die beiden von dem amerikanischen Chemiker Alexander Shulgin und seiner Frau Ann vorgelegten Meilensteine „Pihkal“ und „Tihkal“, Bücher, in denen Synthese und Wirkungen zahlreicher Phenyläthylamine und Tryptamine detailliert beschrieben werden, machen sich vermehrt Chemiekundige an die Synthese und Entwicklung noch rarer oder gar neuer „Psychodelikatessen“.
In grossem Masstab wird aber vor allem das produziert, was der Markt bereits verlangt, und das sind in erster Linie Amphetamin („Speed“), LSD („Acid“) und MDMA („XTC“). Die dem MDMA in Chemismus und Wirkung nahestehenden aber nicht so beliebten Substanzen (MDA, MDE, MDOH, MBDB, BDB), die am ehesten der Vorstellung von „Designerdrogen“ entsprechen, da sie in grossen Mengen als „Ecstasy“ verkauft wurden und zum Teil noch werden, sind mittlerweile alle dem deutschen Betäubungsmittelgesetz (BtmG) unterstellt.
Zwei Substanzen, die 1998 in holländischen Smart-Shops auftauchten, wurden noch im selben Jahr in die strengste Stufe Anlage 1 (nicht verkehrsfähige Betäubungsmittel) des BtmG aufgenommen.
2-CT-2 trat an die Stelle des 1997 in den Niederlanden verbotenen Sinnesverstärkers 2-CB. Der Amsterdamer Avantgarde-Smart-Shop „Conscious Dreams“ brachte, mutig wie immer, 2-CT-2 in weissen Tabletten zu 8 Milligramm, je zwei zu 25 Gulden, 3 zu 35 Gulden auf den Markt. Es handelt sich dabei um ein recht lang wirkendes leicht psychedelisches Phenyläthylamin, das bei den meisten Konsumenten keine allzugrosse Begeisterung auslöste, weil eine stärker stimulierende Komponente fehlte und oft Schwummrigkeit und eine gewisse Übelkeit besonders zu Beginn der Wirkung das Erleben beeinträchtigen.
Der Arnhemer Konkurrent „The Shamen“ schickte 4-MTA ins Rennen, ein Amphetamin-Derivat, dessen Wirkung an „Ecstasy“ erinnern sollte. Die Substanz fand deshalb schnell ihren Weg in die britische Club- und Rave-Szene. Viele Konsumenten beklagten allerdings einen fehlenden „Peak“ und legten nach, was zu mehreren Todesfällen geführt haben soll. Die Substanz entpuppte sich als voreilig auf den Markt geschmissen und im Vergleich zur Wirkung mit einem hohen gesundheitlichen Risiko behaftet.
Nicht gerade neu, aber dafür bei uns nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterstellt, ist Dextrometorphan, kurz DXM, ein Opiat, dass in rezeptfrei in der Apotheke käuflichen Hustenmitteln enthalten ist. In entsprechender „Überdosis“ (100 bis 250 Milligramm) wirkt es enthemmend und wahrnehmungsverändernd. Höhere Dosierungen wirken zunehmend halluzinogen-delirös bis narkotisch. Schon Rosa von Praunheim („50 Jahre pervers“) nahm es in den Sechziger Jahren als noch „Romilar“-Tabletten (die reines DXMHydrobromid enthielten) in Apotheken freiverkäuflich waren. Der „Missbrauch“ führte dazu, dass dieses Präparat in der BRD vom Markt genommen wurde. Manche holländischen Smart-Shops verkaufen die reine Substanz in psychoaktiver Dosis als „Robo“.
Es tut sich ausserdem etwas im nicht ganz so leicht zugänglichen Chemikalienhandel: Einige kleinere Schweizer und Deutsche Chemikalienhändler führen in ihrem Sortiment neuerdings psychoaktive Substanzen aus der Reihe der Tryptamine, die nicht den jeweiligen Betäubungsmittelgesetzen unterstehen. Ähnlich wie zuvor die Händler ethnobotanischer Spezialitäten versuchen sie bestehende Gesetzeslücken zu nutzen und die Zugänglichkeit psychoaktiver Spezereien zu erhöhen. Selbstverständlich werden die entsprechenden Substanzen in keiner Weise zum Konsum angeboten. Im Gegenteil: Vor dem Konsum wird entweder ausdrücklich gewarnt, oder die Kundschaft muss sich gar schriftlich verpflichten, die bestellte Ware nicht in unerlaubter Weise anzuwenden.
5-Meo-DIPT (5-Methoxy-N,N-Diisopropyl-Tryptamin) ist eine dieser Substanzen. In geringen Dosierungen zwischen 6 und 12 Milligramm oral eingenommen wirkt es vier bis acht Stunden lang leicht psychedelisch und emotional öffnend. Ein gewisser Ruf als sinnlichkeits- und hingabeverstärkendes Aphrodisiakum eilt ihm (im Internet) voraus. Jedoch wissen Konsumenten auch von eher umangenehmen Wirkungen wie Übelkeit und Schweissausbrüchen zu berichten. Schon leichte Überdosierungen können zu als ausgesprochen anstrengend empfundenen Rauschzuständen führen. In Form der freien Base kann 5-Meo-DIPT in Dosen von wenigen Milligramm auch geraucht werden. Das „High“ ist dann lediglich ein bis drei Stunden spürbar. 5-Meo-DIPT lässt sich unter Umständen auch psychotherapeutisch einsetzen, z.B. im Rahmen einer psycholytischen Therapie.
DPT (N,N-Dipropyl-Tryptamin) zählt zu den besonders eifrig im Internet diskutierten psychedelischen Substanzen. Es wird sowohl oral eingenommen, als auch geschnupft, geraucht und intramuskulär injiziert. Obwohl es schon seit den 60er Jahren bekannt ist und die chemisch nahe verwandten Substanzen DMT und DET seit dieser Zeit dem BtmG unterstehen, blieb DPT bislang von dieser Einschränkung verschont. Dennoch ist kaum etwas über seinen Gebrauch in den letzten drei Jahrzehnten bekannt geworden. Eine obskure New Yorker Sekte „The Temple of the True Inner Light“ benutzt seit Jahren in den U.S.A. unbehelligt DPT als Sakrament. In psychotherapeutischen Kontexten wurde DPT gelegentlich auch bei uns eingesetzt.
Kompliziert wird es für Chemikalienhändler und ihre Kundschaft, wenn eine Substanz beispielsweise in der Schweiz (noch) gehandelt werden kann, während sie in Deutschland dem Betäubungsmittelgesetz untersteht und nicht verkehrsfähig ist, wie dies bei Alpha-Methyl-Tryptamin der Fall ist, das in den 60er Jahren in der UdSSR als langwirkendes Antidepressivum „Indopan“ in Tabletten zu 5 und 10 Milligramm auf dem Markt war und in Dosierungen von 5 bis 20 Milligramm geraucht stimulierende und leicht psychedelische Effekte induzieren soll.
Einige der gehandelten und dem BtmG entgangenen Substanzen sind noch weniger „Designerdrogen“ im obigen Sinne, sondern Naturstoffe in reiner Form, die allerdings meist nicht extrahiert, sondern vollsynthetisch hergestellt werden.
Dazu gehört 5-Meo-DMT (5-Methoxy-N,N-Dimethyl-Tryptamin), das in Dosierungen von 5 bis 20 Milligramm geraucht wird, um auf einen sehr schnell einsetzenden, aber nur zehn bis zwanzig Minuten anhaltenden, ins Innere gerichteten stark energetischen Trip, in der Regel ohne ausgeprägte Farbvisionen, zu gehen. Bekannt geworden ist 5-Meo-DMT als Hauptwirkstoff im rauchbaren getrockneten Sekret der Bufo alvarius-Sonora-Wüsten-Kröte. In zahlreichen Pflanzen wurde es nachgewiesen. Einige von Ihnen werden vermutlich seit Jahrtausenden von südamerikanischen Schamanen als bewusstseinsverändernde Schnupfpulver eingenommen. Andere haben erst in den letzten Jahren als Bestandteil von Ayahuasca-Analogen Bedeutung erlangt. 5-Meo-DMT ist kurzfristig mit der 13. BtmG-Änderungsverordnung, unterschrieben von der Grünen Gesundheitsministerin Andrea Fischer, zunächst befristet für den Zeitraum eines Jahes und wirksam ab Oktober 1999, dem deutschen Betäubungsmittelgesetz unterstellt worden, allerdings unter der Bezeichnung 3-Methoxy-DMT (2-(5-Methoxy-indol-3-yl)-ethyl)-dimethyl-azan).
Harmalin ist ein interessanter antidepressiver, innerhalb von einer halben Stunde und nur vier bis fünf Stunden lang wirkender reversibler Monoaminoxidase (MAO)-Hemmer, der gemeinsam mit dem sehr ähnlich wirkenden Harmin und weiteren verwandten Alkaloiden in hoher Konzentration in Steppenrautensamen (botanisch Peganum harmala), in niedrigerer Konzentration in der Ayahuasca-Liane (bot. Banisteriopsis Caapi) vorkommt. Die Pflanzenprodukte sind viel preiswerter als die Reinsubstanzen und werden seit Jahrtausenden genutzt. Allerdings lässt sich reines Harmalin oder Harmin effektiver dosieren. Üblich ist die Einnahme von z.B. 150 Milligram des Harmalin-Hydrochloridsalzes eine halbe Stunde vor Einnahme anderer Substanzen, um diese erst oral psychoaktiv wirksam zu machen, wie dies bei DMT und DMT-haltigen Pflanzenextrakten der Fall ist, oder aber deren psychedelische Wirkungen zu verstärken, wie dies beispielsweise bei Meskalin und meskalinhaltigen Kakteen oder psiloc(yb)inhaltigen Pilzen der Fall ist.
Die Reinsubstanzen DMT, Meskalin, Psilocybin und Psilocin unterstehen allerdings dem deutschen BtmG, die diese Substanzen enthaltenden Pflanzen und Pflanzenteile seit dem 1.2.1998 mit Hilfe von SPD- und SPD/Grünen-regierten Ländern auch, „wenn sie als Betäubungsmittel mißbräuchlich verwendet werden sollen“, wie es so schön heisst.
Wer allen möglichen, insbesondere den weitgehend unbekannten gesundheitlichen Risiken zum Trotz, den Umgang mit den oben erwähnten (noch) „legalen“ Substanzen beabsichtigt, sollte vorher alle verfügbaren Informationen einholen und sich mit den auf dem aktuellsten Stand befindlichen Gesetzestexten (BtmG, Arzneimittelgesetz, Gefahrstoff-Verordnung, Chemikalien-Verbotsverordnung) vertraut machen und wissen, dass er auf eigenes Risiko handelt. Im Falle des beabsichtigten Handels sollte vorher ein kompetenter Rechtsanwalt zu Rate gezogen werden.
Die Händler lehnen sich in jeder Hinsicht am weitesten aus dem Fenster und begeben sich aufs drogenpolitische Glatteis. Einerseits sind sie Pioniere, die ernsthaft Interessierten die Zugänglichkeit zu psychedelischen und psychotherapeutisch einsetzbaren Sakramenten erleichtern, andererseits leiten sie vielleicht durch eine mögliche Popularisierung das Auge des Gesetzes beschleunigt auf die entsprechenden Substanzen. Letzten Endes lässt sich aber der fatale Antidrogenkrieg eh nicht gewinnen, selbst wenn am Ende alle Chemikalien der Welt in den Anlagen des BtmG erfasst würden.