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Interview mit dem Buchautoren Hans-Christian Dany über die Rolle von Amphetamin in der modernen Gesellschaft

Telepolis v. 21.04.2008

Der Körper geht sich selbst

Interview mit dem Buchautoren Hans-Christian Dany über die Rolle von Amphetamin in der leistungsorientierten Gesellschaft

Der Hamburger Autor Hans-Christian Dany hat eine lesenswerte Geschichte des Amphetamins vorgelegt. Darin beschreibt er die wirtschaftlichen und kulturellen Hintergründe einer Droge, die als Stimulanz bis heute eine wichtige Rolle sowohl in der medizinischen Anwendung wie auch im illegalen Gebrauch spielt. Seiner Meinung nach konzentrieren sich in dem kristallinen Beschleuniger die Sehnsüchte des leistungsorientierten und geschwindigkeitsverliebten 20. Jahrhunderts. „Speed“, wie Amphetamin gemeinhin genannt wird, ist aus dieser Sicht eine Droge der Disziplinierung, um den Anforderungen des Fordismus gerecht werden zu können. Dany, Jahrgang 1966, spricht im Interview über die Droge der Nazis, den motorisierten Geschwindigkeitsrausch der Beatniks, das Wachbleiben als Hilfsmittel der Kunst und systemstabilisierende Drogenbenutzer.

Frage: Amphetamin erlebt seine erste Blütezeit als Asthmamittel mit Namen Benzedrine in den USA der frühen 30 Jahre. Wie kam es zu dieser erster Konjunktur?

Hans-Christian Dany: Benzedrine erweiterte wirkungsvoll die Bronchien und half gegen Asthmaanfälle. In der Zeit der großen wirtschaftlichen Depression erreichte das neue Produkt aber schnell weitaus mehr Menschen als es Asthma-Kranke gab und wird zu einem Antreiber für den ökonomischen Aufschwung.

Lässt sich vergleichbares im europäischen Raum feststellen?

Zunächst entwickelte ein Franzose das erste europäische Amphetamin, aber auch die Deutschen wollten unabhängig von den Lieferungen des Wundermittels aus den USA werden.

Aber Deutschland galt doch als Apotheke der Welt.

Ja, aber in dem Fall lagen die Deutschen zunächst hinten, sollten durch ihren Willen zu einer rohstoffabhängigen Alternative aber rasant aufholen. Kunststoffe waren im an Rohstoffen armen Dritten Reich, dass plante die Welt anzugreifen, ein zentrales Thema. Perlon oder synthetischer Treibstoff wurden mit Blut und Boden zusammengedacht. Vor diesem Hintergrund entwickelten deutsche Wissenschaftler auch ein Recylingverfahren um aus Industrieabfällen Methamphetamin herzustellen. Ein Produkt das Ende der dreißiger Jahre unter dem Namen Pervitin auf den Markt kam.

Und von den Temmler-Werken in großen Mengen hergestellt.

Zielrichtung des zivilen Projektes war zunächst ein Alternativprodukt zu dem erfolgreichen Benzedrine, auf den Markt lanciert wurde das Ergebnis dann eher als leichtes Antidepressiva und Gegenrauschgift. Man nutzte es als Substitutionsmittel bei Alkoholismus, Opiat, und Kokainabhängigkeit. Pervitin war ein Versuch den Drogenmarkt unter Kontrolle zu bekommen.

Und landete schließlich bei der Wehrmacht.

Die war hellhörig geworden und testete das neue Wundermittel. Während der Blitzkriege wurden innerhalb weniger Monate 29 Millionen Dosen von Pervitin ausgegeben. Teilweise nahmen die Soldaten ihre Methamphetamin-Rationen aber auch von der Front mit nach Hause und schenkten es ihren Frauen. Etwas Chanel Nr. 5 und ein paar rote Kapseln aus Paris. Nach dem Krieg bekamen dann Kinder die Reste des Pervitins aus dem väterlichen Sturmgepäck, um in ihren Not-Abituren gut abzuschneiden.

Der „Generalluftzeugmeister“ Ernst Udet war abhängig von Amphetamin, auch andere Nazi-Größen nahmen Drogen in hohen Mengen, bekannt ist Görings Morphinaffinität. Wurde das innerhalb der Gruppe nie problematisiert?

Die Nationalsozialisten agierten in dieser Hinsicht widerspüchlich. Einerseits wurde im Zuge ihres Krieges gegen Rauschgift der Alkoholkonsum gebrandmarkt, andererseits zeigen die Statistiken einen Anstieg des Konsums im Dritten Reich. Daneben galt, was auch heute noch gilt: Solange man in bestimmten Strukturen funktioniert, wirft einem ja niemand den Drogenkonsum vor.

Funktionieren tat zeitgleich auch die junge Schauspielerin Judy Garland.

Garland sang 1938 in den USA 16-jährig unter starkem Amphetamin-Einfluss „Somewhere over the Rainbow“. Bei Garland ging es dem Werksarzt der Filmfabrik darum den Körper der pubertierenden Darstellerin auf die Figur der 10-jährigen Dorothy in „Wizard of Oz“ herunter zu hungern. In der damaligen Faszination für die technologischen Möglichkeiten von Drogen schien die Medizin kein Problem bei der Behandlung von Kindern zu haben. Die bis heute
verbreitete Form Behandlung von Kindern mit Amphetamin hatte sogar schon früher angefangen: 1937 erprobte Charles Bradley erstmals die Medikation unkonzentrierter Kinder mit Speed. All das macht die enorme Geschwindigkeit deutlich mit der das erst 1933 auf den Markt gekommene Präparat zu den Verbrauchern gebracht wurde. 1937 erhalten es erstmals Kindern, 1938 singt Garland den ersten Amphetamin-verstärkten Superhit und 1939 marschiert die deutsche Wehrmacht unter Amphetamin-Einfluss in die Blitzkriege.

Benzedrine Werbung von 1945
Benzedrine Werbung von 1945

Und es geht weiter: 1947 schreibt Jack Kerouac „On the road“, einen Klassiker der Speed-Literatur.

Die militärische Erfahrung des Amphetamin-gestärkten Geschwindigkeitrausches dringt nach dem 2. Weltkrieg in Zivilleben eine. Es ist ein neuer Weg, Mensch und Maschine bis zum äußersten zu treiben. Die industriell-kapitalistische Ordnung liefert die Voraussetzungen dafür, den Menschen als optimierbares Teilchen eines großen Apparates zu betrachten. Speed fördert die Dressur des Einzelnen im Gefüge der Maschine. Erst in den 70er Jahren sollte es zu einer Krise dieser Sichtweise kommen. Die Grenzen des Wachstums werden diskutiert. Aber die Skepsis war nur von kurzer Dauer, schon in den 80er Jahren kommt es zu einem Comeback der technischen Verbesserungsvorstellung des Menschen, ein Bild, in dessen Rahmen wir bis heute leben. Das Bewusstsein für den Preis, der für diese technologische Idee von Fortschritt gezahlt werden muß, ist zwar größer geworden, aber die Alternativen sind nicht gegenwärtig.

Und die Beatniks um Kerouac und Konsorten haben, so schreibst du, eher ihren Egoismus gefrönt als politische Verhältnisse ändern zu wollen?

Vielleicht kann man sich heute nicht mehr vorstellen, was individuelle Freiheit und Optimierung damals bedeutet haben. Schon länger ist diese Haltung der beschleunigten Bedürfnisbefriedigung problematisch geworden, weil es eines der letzten Versprechen ist, die die Gesellschaft zu bieten hat: Wie kann ich aus meinem eigenen Leben das maximale rausholen? Dazu kommt die Verherrlichung von Technologie als Freiheitsbegriffs. Das haben die Beatniks auf romantische Weise verkörpert.

In den 60er Jahren folgten die Hippies. Deren Verhältnis zu Speed war ambivalent. Speed galt als unnatürliche Droge.

Der berühmte Slogan „Speed kills“ wurde damals in Haight Ashbury geprägt. Dahinter steckte, neben der konkreten Angst vor der Übertragung von Hepatitis, eine Technologieskepsis. Drogen dienen aber auch als Vehikel zur sozialen Unterscheidung. Die Hippies kamen vornehmlich aus der Mittelschicht und wollten sich von der Arbeiterklasse und dem „White trash“ unterscheiden. Sie wollten kultivierter Drogen nehmen. Und das böse Speed galt und gilt bis heute als Droge der armen Leute.

Andy Warhol evozierte als „Fabrikdirektor“, wie du ihn nennst, zur gleichen Zeit mit Hilfe von Speed eine Art Dauerhysterie in seinem Umfeld.

In einem permanenten Ausnahmezustand sollten massenhaft Ideen freigesetzt werden. Jeder einzelne sollte sich als Subjekt bis zum Äußersten in den Produktionsprozess einbringen.

Kann das klappen, kreative Schübe durch Speed?

Für die moderne Kunst spielt das Kreative nur eine nachgeordnete Rolle. Warhol oder andere Kunstbewegungen der sechziger Jahre, wie auch vieles was in den Zusammenhängen von Punk oder Techno entstand – kulturellen Bewegungen die ohne Speed kaum vorstellbar wären, verstanden sich bewusst antikreativ. Da ging es darum Energien zu bündeln, sich reinzusteigern, Gedanken extrem zu fokussieren und rückhaltlos auf den Punkt zu zusteuern. Die Ausgangsidee kann dabei ganz banal sein, man muss es halt nur mit der Letztgültigkeit isolieren und behaupten. Das braucht Zeit, in der man einfach wach sein muss. Häufig ist es weniger der Einfall die Leistung, sondern deren Behauptung. Warhol, dem selten was einfiel, ließ sich Ideen von anderen flüstern und hat sie dann auf die Spitze getrieben.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen seiner repetitiven Kunst und Amphetamin?

Auf Amphetamin zeigt sich bei vielen Benutzern das Phänomen des „punding“. Das ist die Faszination für Monotonie und Wiederholung. Deshalb entstanden unter Einfluss von Speed vielleicht soviele wunderbare Bild für die fordistische Revolution, deren Grundgedanke – die Wiederholung des immer gleichen Handgriffs am Fließband – sich durch den Gebrauch einer Droge übersteigert.

In den 80er Jahren kommt es dann zur Nutzung von Drogen auf breiter Ebene. Eine weiteres Amphetamin-Derivat, nämlich MDMA, ist hier Vorreiter.

Mit Ecstasy kommt es zur endgültigen Normalisierung chemischer Rauschmittel, wie wir sie heute kennen. Bevölkerungskreise unterschiedlichster sozialer Schichten haben ja heute Drogenerfahrung, wozu die Techno-Bewegung Anfang der 90er Jahre viel beitrug. Sie hat vorgeführt, wie Drogen als Spaß- und Arbeitsfaktor zusammen gehen. Lange schien Drogenkonsum ein „Außerhalb“ darzustellen; so fühlen sich ja heute noch manche Drogenbenutzer. Dem ist ja gar nicht mehr so.

hc-danyWozu werden Drogenkonsumenten dann heute noch verfolgt?

Um Migration zu kontrollieren, nicht gezahlte Steuern einzutreiben, geopolitische Interessen zu verpacken oder um die Eigentumsverhältnisse an Technologien zu wahren. In Thailand wurden vor fünf Jahren in wenigen Wochen über zweitausend Amphetamin-Schieber von der Polizei erschossen, die im Prinzip die gleichen Wirkstoffe verkaufen, die Pharmaunternehmen herstellen, um Medikamente auf den Markt zu bringen. Die United Nations lobten damals Thailands Drogenpolitik mit dem Argument: Kinder hätten das Recht in einer drogenfreien Umgebung aufzuwachsen. Auf Novartis, den Hersteller von Ritalin, werden solche Maßnahmen aber nicht angewendet.

Wie müsste Drogenpolitik aussehen, wenn sie nicht Kontrollpolitik sein will?

Dazu müssten sich die gesamten Verhältnisse des kapitalistischen Systems ändern. Die Tendenz geht aber eher dahin immer mehr Technologien – und Drogen sind eben auch eine Technologie – als Eigentum zu deklarieren. Es soll ja nicht nur Kontrolle über Drogen, sondern beispielsweise auch über landwirtschaftliche Produkte mittels Patente garantiert werden. Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Letzlich kommt man immer wieder auf den gleichen Punkt: nicht die Drogen sind das Problem, sondern die Umstände, in denen sie genommen werden.

Du schließt das Buch mit der Ansicht, dass es gute Gründe gibt, nüchtern zu bleiben. Warum?

Was ich damit zu beschreiben versuche ist die aktuelle Konjunktur bestimmter Drogen – zu denen ich auch den Hanf zählen würde – in einer Welt fremdbestimmter Arbeit. Drogen – legale, wie illegale fügen sich einfach erstaunlich gut in die Mechanismen der Kontrollgesellschaft ein. Wobei nicht die Drogen, bei denen es sich ja zunächst nur um Technologien handelt, das Problem sind, sondern wie sie vom Machtapparat mißbraucht werden. Da wird versprochen, man könne damit funktionieren. Dagegen zu funktionieren spricht viel, insofern gibt es gute Gründe in den falschen Umständen nüchtern zu bleiben.

 

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Psychoaktive Substanzen

Sexy Betel – Über den Betel-Boom auf Taiwan

 Über den Betel-Boom auf Taiwan

Die Frucht der Betelpalme liefert die psychoaktive Hauptzutat für eines der weltweit am meisten konsumierten Genussmittel, den Betelbissen. Das Kauen dieses Betelbissens ist besonders in Indien, Sri Lanka und bei der Landbevölkerung Indochinas und Indonesiens beliebt. Da das Betelkauen den Speichel rot und die Zähne im Laufe der Zeit schwarz färbt und abstumpft und zudem durch starke Anregung des Speichelflusses nicht ohne häufiges Ausspucken des an Blut erinnernden Speichels praktizierbar ist, ist diese Gewohnheit allerdings im Zuge des wirtschaftlichen Wachstums und der Anpassung dieser Länder an westliche Standards rückläufig und gilt zunehmend als unästhetisch, ungesund und hinterwäldlerisch.

Umso erstaunlicher, dass der Genuss des Betels dagegen in einem der wohlhabensten und modernsten Länder Asiens seit Anfang der Achtziger Jahre einen Boom erlebt. Taiwan, die demokratische chinesische Inselrepublik im äussersten Osten des Kontinents und am Rande des Pazifiks zwischen Japan und den Phillipinen gelegen, hat sich zur Hochburg der Betelafficionados gemausert. In dem subtropischen bis tropischen Klima der von Norden nach Süden 395 km langen und bis zu 144 km breiten Insel, durch die sich ein beeindruckender Gebirgszug mit Gipfeln bis zu einer Höhe von 3952 Metern zieht, gedeiht die Betelpalme optimal.

Das Betelkauen hat auf dem Eiland, das auch unter dem von portugiesischen Seglern bei ihrer „Entdeckung“ vergebenen Namen Formosa bekannt ist, wahrscheinlich eine sehr lange Geschichte. Schon bei der Urbevölkerung, vermutlich überwiegend malaiisch-polynesicher Abstammung, soll diese Gewohnheit sehr populär gewesen sein. Christliche Missionare des Neunzehnten Jahrhunderts beklagten die aus ihrer Sicht ekelhafte Sucht, das ständige Kauen und Ausspucken des schrecklich gefärbten Rotzes. Weisse Reisende derselben Zeit bewunderten die Schönheit der eingeborenen Frauen, bedauerten aber ihren unappetitlichen vom Betelkauen blutigroten Mund. Heute, nach jahrhundertelanger Einwanderung von Festlandchinesen und ihrer Dominanz in allen Bereichen der Gesellschaft, stellen die Stämme der Ureinwohner lediglich noch eine Minderheit von zwei Prozent der Gesamtbevölkerung, die bei insgesamt 21,5 Millionen Menschen liegt.

Ihren Wohlstand hat die in dem von Nord nach Süd verlaufenden westlichen Flachland extrem dicht besiedelte Insel einer radikalen Industrialisierung in den letzten Jahrzehnten und der sprichwörtlichen Geschäftstüchtigkeit der Chinesen zu verdanken. Die Landwirtschaft steht allerdings nicht nach. Praktisch jeder nutzbare Flecken ist mit Reis, Zuckerrohr, Tabak, Gemüse und Obst bepflanzt, an der Küste auch zu Fischzuchtbecken umfunktioniert. Überall kann man Betelpalmanpflanzungen sehen. Im mittleren Westen und im Südwesten sind grosse Betelpalmenhaine unübersehbar. Die schlanke, ausgesprochen hübsche Betelpalme ist die Charakterpalme, wenn nicht sogar die Charakterpflanze von Taiwan schlechthin. An den Berghängen finden sich Teeplantagen und riesige Betelpalmpflanzungen, die vielerorts, und das ist einzigartig, so ineinander übergehen, dass die Betelpalmen den kleinen gestutzten Teesträuchern als Schattenspender dienen. Diese Art der vom ästhetischen Gesichtspunkt her beeindruckend schönen Mono- bzw. Duokultur wird durchaus auch kritisch betrachtet. Die Betelpalmen werden nämlich zunehmend an extra für sie vom Bergurwald gerodeten steilen Hängen gepflanzt. Vom Verlust an natürlichem Lebensraum abgesehen sind sie dort oft auch nicht in der Lage, dem Boden auf Dauer genügend Halt zu geben. Auf Grund der hohen Regenfälle in den Monsunzeiten auf der immer wieder von Taifunen heimgesuchten und von Erdbeben geschüttelten Insel kann es dadurch leicht zu Erosion und Bergrutschen kommen. Zweifellos eine ökologisch bedenkliche Entwicklung.

Betel-Box in Lugu
Betel-Box in Lugu

Der reife getrocknete Betelsame und seine faserige getrocknete Fruchthülle werden zwar schon seit langer Zeit in der chinesischen Medizin als vielseitige Heilmittel eingesetzt, seit Anfang der Achtziger Jahre ist aber der Anbau und Handel zu Genusszwecken auf Taiwan zu einem Milliarden-(US)-Dollar-Geschäft geworden. 1982 waren auf Taiwan lediglich 4.400 Hektar Land mit Betelpalmen bepflanzt, 1989 schon 36.000 Hektar und 1997 56.300 Hektar. Das ist mehr als eine Verzwölffachung der Anbaufläche in nur 15 Jahren! Schwerpunkt für diesen Boom waren die Provinzen Nantou, Chiayi und Pingtung am westlichen und südwestlichen Rand des zentralen Gebirgsmassivs. Die Produktion wurde 1997 auf 156 Millionen Kilogramm Betelfrüchte geschätzt, das wären mehr als sieben Kilogramm für jeden Einwohner! Für die Bauern lohnt sich das Geschäft. Das durchschnittliche Einkommen soll doppelt so hoch, aber manchmal bis zu zehn mal so hoch sein, wie das für den Anbau von Reis. Der Anbau von Betelpalmen ist auch schon bei kleinen Pflanzungen rentabel. Er erfordert nur vergleichsweise geringen Arbeitskrafteinsatz. Das macht ihn besonders für die zunehmend alternden Landwirte, deren Kinder sich immer weniger für die bäuerliche Arbeit interessieren und lieber in andere Berufszweige drängen, zusätzlich interessant. Diese Bedingungen machen den Boom von Seiten der Produzenten verständlich, die sogar schon vom Betel als dem „Grünen Gold“ sprechen, aber wie sieht es auf Seite der Konsumenten aus?

Auf den ersten Blick scheint in Grossstädten wie Taipeh, Tainan, Taichung oder Kaohsiung der Betelkonsum nicht sonderlich ins Auge zu stechen. Die Städte wirken recht sauber; die vielen modebewußten jungen Menschen scheinen eher dem Kaffeegenuss in überteuerten aber total hippen japanischen und amerikanischen Coffee-Shop-Ketten zu frönen. Bei ihnen gilt das Betelkauen als antiquiert. Doch wenn man genau hinsieht, erkennt man plötzlich im Strassenbild auch die Glaskästen, in deren Auslage sich die frischen Betelbissen oder täuschend echt aussehende Plastikmodelle der erhältlichen Varianten befinden. Dahinter meist Verkäuferinnen, seltener Männer, die die entsprechenden Bissen in Serie herstellen und abpacken. Dies geschieht im Vergleich zu anderen Ländern unter vergleichsweise hygienischen Bedingungen. Sogar Schutzhandschuhe werden oft benutzt.

Und dann stellt man bei genauer Betrachtung der Bissen noch zwei landestypische Besonderheiten fest: Der lokal konsumierte Betelbissen enthält nach meinen Beobachtungen keinen Tabak, wie es sonst in fast allen anderen Ländern der Fall ist, und noch wichtiger, er nimmt nicht den knackigen Samen aus der halbreifen noch grünen Nuss (Bali) oder den ungetrockneten Samen aus der reifen orangegelben bis braunen Nuss (Sri Lanka) oder den getrockneten reifen Samen (Indien, Thailand) als Grundlage, sondern die ganze noch blutjunge weissgrüne Frucht, die vom Samen gerademal den rudimentären Embryo beinhaltet!

Die Betelfrucht in diesem Zustand wird in drei verschiedenen Formen zum Kauen angeboten:

1. Die wie eine Eichel aussehende Frucht mit Stielansatz, vielleicht insgesamt 3,5 cm lang, wird mit einem speziell zugeschnittenen frischen Betelpfefferblatt eingewickelt, das zuvor mit ein wenig einer Paste aus gebranntem und mit Wasser versetztem Kalk bestrichen wurde. Der Stielansatz ragt raus, so dass man ihn zum Genuss abbeissen und ausspucken kann, um dann den ganzen Bissen in den Mund zu schieben und zu kauen. Er verhindert ein zu schnelles Austrocknen der saftigen Frucht vor dem Konsum und erhöht damit die Haltbarkeit. Diese Form des Betelbissens ist mit Abstand am beliebtesten. Ein Bissen kostet etwa 5 Taiwan-Dollar (ca. 40 Pfennig). Meist werden aber Ziplockbeutel verkauft, in denen sich etwa ein Dutzend der vorbereiteten Bissen befinden, zu 50 Taiwan-Dollar (ca. 4 DM).

Für den Hausgebrauch kauft man Früchte, Betelpfefferblätter und gebrannten Kalk auf dem Markt und verzichtet oft auf das Einrollen der Betelfrucht. Man schiebt sich stattdessen erst die vom Stielansatz durch Abbeissen befreite Frucht und dann das mit Kalkpaste bestrichene Betelpfefferblatt in den Mund.

2. Für „Hardcore-Betelkauer“ gibt es an einigen wenigen Ständen sogar gleich zwei, meist etwas kleinere, praktischerweise mit dem Messer schon vom Stielansatz befreite Früchtchen parallel nebeneinander in ein mit Kalkpaste bestrichenes frisches grünes Betelpfefferblatt eingewickelt.

3. Recht beliebt wiederum ist die dritte Variante: Der Stengelansatz der frischen Frucht wird mit dem Messer entfernt, die knackige etwa 2 bis 2,5 Zentimeter lange Frucht in der Mitte aufgespalten, ohne dass sie auseinanderfällt, in der Spalte mit ein wenig einer relativ geschmacksneutralen braunen Paste, vermutlich aus Catechu-Gerbstoff, gebranntem Kalk und Wasser, bestrichen und zuguterletzt ein kleines Scheibchen des grünen unreifen Fruchtstandes einer Pfefferart in der Mitte plaziert. Dieser Fruchtstand schmeckt übrigens genauso erfrischend pfeffrig, spearmintartig wie die frischen Betelpfefferblätter. Dieser Bissen wirkt optisch besonders ansprechend.

Ansprechend sind auch die Betelverkäuferinnen, wenn man ersteinmal über die städtischen Ausfallstrassen über Land fährt. Dann erkennt man, dass die Betelverkaufsstellen, die auffälligsten Läden überhaupt sind und wird sie nicht mehr übersehen können. Überall leuchtet und blinkert es wie bei einem bunten Grosseinsatz der Strassenverkehrswacht. Strahlenkränze aus Neonröhren, grosse Schrifttafeln, Abbildungen von Betelpalmen und -früchten deuten auf von bunten Neonröhren bekränzte Glaskästen hin, in denen oft hübsche junge Frauen auf Barhockern in bisweilen extrem aufreizenden ungewöhnlich freizügigen sexy Klamotten, oft Betelbissen vorbereitend, mehr oder weniger gelangweilt oder genervt dreinblickend auf Kundschaft warten. An manchen Strassen erinnert das mehr an einen Strich als eine sich bei einem mittlerweile hohen Angebot an Betel in gegenseitiger Konkurrenz übertrumpfende Betelverkaufsmeile, die hier um männliche Betelkauerkundschaft, vom Mopedraser bis zum LKW-Fahrer buhlt. Natürlich gibt es an den Ständen auch Zigaretten, manchmal Schmuddelbildchen, Getränke oder Eis. Sicherlich mag die Betel-Box für das ein oder andere Betel-Girl der Einstieg in die Prostitution sein, doch im Vordergrund steht im Allgemeinen der Betelverkauf, der meist recht flott, allenfalls mit einem kleinen Flirt am runtergekurbelten Wagenfenster, über die Bühne geht. Mit Speck fängt man halt Mäuse oder eben den typischen eher proletarischen männlichen Betelkauer. Als den Strassenverkehr störend scheint man diese Art der aufgetoppten Kundenwerbung nicht zu betrachten. Das gilt auch für das Betelkauen selbst. Manch ein Busfahrer auf dem Lande gehört zu den Dauerkauern. Im Süden des Landes kaut ein Grossteil der ländlichen Bevölkerung, egal ob Mann oder Frau. Die Frauen sind in Taiwan für asiatische Verhältnisse sowieso relativ emanzipiert. Die Zahl der Konsumenten geht in die Millionen, und wer kaut, der kaut den ganzen Tag, also eigentlich ständig. Im Schnitt wird vielleicht alle 30 bis maximal 60 Minuten nachgeschoben. Auf mich wirkten die Dauerkauer subjektiv oft etwas weggetreten und stumpf, zumindest nicht gerade geistig sonderlich flexibel. Aber das muss ja nicht unbedingt allein am Betel liegen. Lokale chinesiche Mediziner betrachten das Betelkauen zurückhaltend, lediglich als gewohnheitsbildend, und schreiben der Betelpalmfrucht selbst keine negativen Wirkungen zu, wenn sie nicht „exzessiv“ gekaut wird. Eine gehäufte Zahl von Mundkrebsfällen und Mundschleimhautschäden wird auf „Zusätze“ zurückgeführt. Die Kalkpaste mag hier ihren Anteil haben. Die seltene (siehe oben) Zugabe von Tabak dürfte in dieser Hinsicht bedenklich sein.

Nun fragt man sich natürlich, was das Besondere am Betelkauen ist. Wie wirkt das Zeug eigentlich?

Zunächst muss man klarstellen, dass der Betelgenuss ähnlich wie beim Zigarettenrauchen bei regelmässigem gewohnheitsmässigem Konsum ein anderer ist als beim gelegentlichen experimentellen Kauen eines einzelnen Bissens. Der Bissen, der dem Gewohnheitskauer genau den kurzen Kick gibt, den er braucht um ein gewisses angenehmes Dröhnlevel zu erhalten, das ihn nicht ausser Funktion setzt, sondern vielleicht erst über den Tag peppt, mag den Neuling aus den Socken hauen. Und dieses Risiko ist bei den Betelbissen, wie sie in Taiwan hergestellt werden, besonders hoch, denn es handelt sich um die mit Abstand potenteste Form eines reinen Betelbissens (ohne Tabak oder andere psychoaktive Zusätze) überhaupt!

Wenn man als Neuling einen ganzen knackigen Betelbissen Taiwan-Style in den Mund nimmt und zu kauen anfängt, dann dringt sofort der Saft aus der wässrigen Frucht, ihre feinen Fasern vermengen sich mit dem würzigen Betelpfefferblatt und der Kalkpaste zu einer orangeroten Masse. Innerhalb kürzester Zeit schiesst dazu Speichel im Überfluss in die Mundwinkel, man muss ausspucken. Gleichzeitig wird durch die Mundschleimhäute schon soviel Wirkstoff resorbiert, dass man einen mehr oder weniger heftigen an Nikotin erinnernden körperlichen Rush im Kopf erlebt, einen leichten Schwindel, gleichzeitig Druck auf der Magengegend, angeregten Stuhlgang, Schweissausbrüche, eine Art Adrenalinflash, dabei ein waches aber abgetretenes stumpfes Gefühl im Kopf, allerdings ohne Einschränkung der Handlungsfähigkeit bei Willensanstrengung. So erging es zumindestens mir bei meinen heroischen Selbstversuchen. Der ganze Rush dauerte 20 bis 30 Minuten, nach ca. 60 Minuten war die Wirkung im Wesentlichen vorbei. Eine gewisse Wachheit und Drömeligkeit hielt noch etwa eine zusätzliche Stunde an. Bei einem meiner Bissen, hatte ich schon nach wenigen Augenblicken das Gefühl, das wäre zuviel und spuckte den ganzen Bissen wieder aus. Ich hatte allerdings in kürzester Zeit schon soviel resorbiert, dass es mir vorkam als wäre ich an meinem Kopf kurz hochgehoben und in derselben und doch weil sich meine Befindlichkeit abrupt verändert hatte veränderten Umgebung wieder abgesetzt worden und müsse nun noch hektisch irgendetwas erledigen um dann entspannt und in Ruhe den anstrengenden Flash zu überstehen. Das Ende vom Lied war eine halbe Stunde Umtriebigkeit und als ich mich schliesslich hinlegte um endlich zu relaxen, liess das Zerren auch schon langsam nach. Es gibt sie also doch war meine Erkenntnis: Die Betel-Überdosis! Die Lektion lautete demnach: Kaue den Betelbissen behutsam und mit Respekt!

 

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Junggesellen und Haschisch- Graf von Baudissin plaudert drauf los

Graf von Baudissin plaudert drauf los (1925)

„Der Junggeselle“ war ein großformatiges Herrenmagazin, das unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg von 1918 an von Berlin aus für die Weimarer Republik publiziert wurde. Von zahlreichen Künstlern (insbesondere des Art Déco-Stiles) ansprechend illustriert spiegelte es bei wöchentlichem Erscheinen galant-erotisch einen der Zeitgeister der 20er-Jahre (den des modebewussten balzorientierten bürgerlichen heterosexuellen Mannes) wieder. Natürlich war auch „Haschisch“ ein Thema, das den Leser des „Junggesellen“ interessierte.
Im dritten Juliheft 1925 lieferte der Autor Karl Otto Graf von Baudissin mit „Haschisch“ einen Beitrag zum Thema.

„Das arabische Wort Haschisch bezeichnet ein im Orient vielfach gebrauchtes Berauschungsmittel, hergestellt aus den Blüten des indischen Hanf. Es hat in seiner Wirkung in mancher Hinsicht eine Aehnlichkeit mit dem Opium, jedoch in einer gewissen Beziehung ist seine Wirkung eine dem Opium direkt entgegengesetzte. Während nämlich das Opium auf die männliche Kraft lähmend wirkt, so ist der Einfluß des Haschisch…, jedoch das ergibt sich nachher aus meiner kleinen Geschichte.

Unser Schiff war gegen Abend in Port Said eingelaufen, um Bunkerkohlen und Süßwasser an Bord zu nehmen. Wir, die wir hiermit nichts zu tun hatten, und Herren unserer Zeit waren, benutzten die paar Stunden, um uns die Stadt anzusehen, die übrigens an orientalischen Reizen á la 1001 Nacht sehr arm ist.

Auf dem Place Lesseps promenierten wir ein halbes Stündchen umher und genossen das selbst für europäische Begriffe absolut nicht üble Freikonzert, dann begaben wir uns in das unmittelbar am Eingange des Kanals gelegene Casino Palace Hotel, wo wir bei einem eisgekühlten Jonny-Walker-Whisky und einer köstlichen Simon-Arzt-Zigarette mit Schaudern an die uns bevorstehende Glut des Roten Meeres dachten.

Im Laufe des Abends erschien der Schiffshändler an unserem Tisch, und auf meine Frage, ob er uns nicht irgendwo hinführen könne, wo etwas echt Orientalisches zu sehen sei, meinte er, das ließe sich schon machen.

Zwar sei das Betreten der Araberstadt für Europäer des Nachts aus Gründen der persönlichen Sicherheit streng verboten, jedoch kenne er einen eingeborenen Beamten der Polizei, und wenn wir uns nicht fürchteten, so sei er gern bereit, uns zu führen.

Wir zahlten und brachen auf.

Herrlich funkelten die Sterne am samtschwarzen Tropenhimmel, als wir die Rue au Village arabe betraten. Nach etwa 20 Minuten gelangten wir an die Mauer, die die Araberstadt umschloß. Da wir in Begleitung des Polizeibeamten waren, ließ uns der Posten ungehindert passieren.
Nun waren wir in der Arabetown. So habe ich mir immer ein Beduinendorf vorgestellt, kleine Holzhäuschen, windschiefe Lehmhütten, Dünen und Sand, Sand, Sand. Manch ermordeter Europäer – für seine Angehörigen und Freunde spurlos verschwunden – liegt hier verscharrt. Vielleicht hat er eine Tochter des Landes zu lange angesehen, vielleicht ist er das Opfer der Habgier eines Dorfbewohners geworden.

Wir gingen durch verschiedene krumme Straßen und Gassen, von denen eine wie die andere aussah, und betraten dann eine dieser Lehmhütten. In der Tür hockte ein altes, zahnloses, zum Skelett abgemagertes Araberweib, dem unser Freund in der Landessprache ein paar Worte zurief und ihr gleichzeitig ein Geldstück in die offene Hand warf.

Nach kurzer Zeit traten einige Arabermädchen in das dürftig erleuchtete Zimmer, jung und prachtvoll gewachsen, blitzende Augen, schneeweiße Zähne und blauschwarzes Haar.
Die Alte hatte sich in einer Ecke niedergekauert und fing an, ein tamburinartiges Musikinstrument zu schlagen. Die Mädchen begannen zu tanzen. Es war ein Bauchtanz – ein Hutschi-Kutschi -, den wir zu sehen bekamen.

Es war schön, herrlich schön. Wir verfolgten jede Bewegung und wagten kaum zu atmen.
Ich habe oft die Ansicht vertreten hören, der Bauchtanz sei unanständig. Wenn zwei dasselbe tun, so ist das bekanntlich durchaus nicht dasselbe. Was man so im Orient bei öffentlichen Darbietungen oft zu sehen bekommt, ist allerdings meistens alles andere als ästhetisch. Was hier getanzt wurde, war Kunst, unverdorbene, nicht angekränkelte Kunst. Ich habe jedenfalls selten etwas Reineres und Keuscheres zu sehen bekommen als diesen Tanz von jungen Frauen, der ja ursprünglich eine religiöse Handlung darstellte.

Der Tanz war zu Ende. Schweißüberströmt lagen die Tänzerinnen mit fiebrigen Augen und keuchendem Atem auf der Erde. Leise verließen wir das Haus.

Am Ausgang des Dorfes dankte ich dem Polizeibeamten für den uns gebotenen Genuß und belohnte ihn mit einigen Piastern.

Der Mann war offenbar sehr erfreut und zufrieden, denn er grinste wie ein fröhlicher Haifisch, als er immer und immer wieder versicherte: „Thank you, Sir! Thank you very much, Gentleman.“
Als ich ihn fragte, was er mit dem Gelde anfangen wolle, verklärten sich seine Züge: „Dafür kaufe ich mir Haschisch.“
„Haschisch?“
„Yes, Gentleman, Haschisch!“
Er sah es wohl meinem Gesicht an, daß mir Haschisch nicht bekannt war.

„O! Sie kennen Haschisch nicht? Wenn Sie Haschisch rauchen…,“ hier reckte er seinen muskulösen Unterarm in die Höhe und ließ seine Muskeln spielen. „Wenn Sie Haschisch rauchen, Gentleman, – ein kurzes verlegenes Lächeln – twenty five times, fünfundzwanzig Mal!“
Dieses kleine Erlebnis erzählte ich neulich mal so ganz beiläufig meiner Frau. Ich hätte auch was Klügeres tun können.

Sie sah mich groß an und fragte dann mit der größten Selbstverständlichkeit:
„Ja, sag mal mein Freund, warum rauchst du denn nicht Haschisch?“ –
Und jetzt besteht sie unerbittlich darauf, ich soll Haschisch rauchen. Wo soll ich nun in Berlin ausgerechnet Haschisch herbekommen?
Hätte ich ihr nur diese Geschichte nicht erzählt.
Meine Ruh´ ist hin…!“

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Cannabis

Vom Mut kranker Menschen – Cannabis als Medizin

HanfBlatt

Cannabis wird von vielen als Medikament genutzt. Das HanfBlatt sprach mit einigen.

Trotz einer mittlerweile etablierten Forschung über die medizinischen Anwendungsmöglichkeiten von Cannabis überwiegen Vorurteile gegenüber dem Hanf als Heilmittel. Es soll an dieser Stelle nicht die Diskussion um die historischen Wurzeln des Heilmittels Cannabis aufgerollt werden. [1] Fest steht, dass die Produkte der Hanfpflanze über Jahrhunderte, ja, Jahrtausende von den Menschen in ganz unterschiedlichen Regionen des Globus genutzt wurden. Erst im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde Cannabis ideologisiert und dämonisiert und in Folge dessen aus den medizinischen Lehrbüchern gestrichen.

Genauso wenig allerdings wie ein Verbot die Genießer und Neugierigen abschreckt, so verhindern unsinnige Gesetze, dass kranke Menschen auf der Suche nach Gesundheit und Wohlbefinden sich der Pflanze zuwenden.

Ideologisch präformierte Wissenschaftler suchen mit finanzieller Unterstützung puritanisch-kapitalistischer Konzerne und einer verblendeten Politik seit den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Entbehrlichkeit von Cannabis nachzuweisen. [2] Erfolglos.

Um es kurz zu machen: Heute werden die medizinischen Effekte von Cannabis nach dem Etablierungsgrad ihrer Nachweisbarkeit eingeordnet [3]. Als etabliert gilt die Wirksamkeit gegen Übelkeit und Erbrechen und damit gegen Essstörungen und den damit verbundenen Gewichtsverlust. Als relativ gut gesichert gelten die Effekte bei Spastiken, Schmerzzuständen, Bewegungsstörungen, Asthma und dem Glaukom (Grüner Star). Als weniger gut gesichert gilt die Wirksamkeit bei Allergien, Juckreiz, Infektionen, Epilepsien, Depressionen, Angststörungen, Abhängigkeit und Entzugssymptome.

Von der Diskussion um die Legalisierung von Cannabis einmal ganz abgesehen: Trotz der Ergebnisse der Forschung sieht die Politik keinen Anlass kranken Menschen den Zugang zu einem preiswerten und offensichtlich wirksamen Medikament zu gewähren. Man fürchtet den Dammbruch und sieht hinter den Argumenten der Medizinalhanf-Befürworter nur eine weitere Taktik, um der Legalisierung eines Rauschmittels Vorschub zu leisten.

Soviel vorweg. Um die Diskussion nicht nur den akademischen, parlamentarischen und berufsgenossenschaftlichen Zirkeln zu überlassen, ist es nötig die Menschen zu Wort kommen zu lassen, die Hanf als ihre persönliche Medizin bei einer schweren Krankheit anwenden. In der Juli Ausgabe suchten wir darum HanfBlatt-Leser und Leserinnen, die Cannabis als Medizin anwenden. Es meldeten sich daraufhin über ein Dutzend Menschen mit ganz unterschiedlichen Problemen im physischen und psychischen Bereich. Ihre Geschichten sollen hier Thema sein.

Spastik

Günther [4] aus Berlin beispielsweise wurde (wie viele andere auch) lange nicht von seinem Arzt ernst genommen. Anfang 1994 setzte bei ihm plötzlich tägliche  Kopfschmerzen ein, zudem Verspannungen in der Halsmuskulatur. Ein Neurologe diagnostizierte später einen „spastischen schiefen Hals“ (Cervicale Dystonie). Dabei zieht der rechte Halsmuskel den Kopf nach rechts weg, ständiges Kopfzittern und Schmerzen sind die Folge. Die chemische Keule sollte es -wie so oft- richten: „Aber diese Schmerzmittel sind unglaublich stark. Wenn ich die nehme, dann liege ich den ganzen Tag betäubt im Bett“, berichtet Günther.

Dann erinnerte er sich an seine Jugendzeit und die entspannende Wirkung von Haschisch. „Ein Freund besorgte mir was zu rauchen, ich rauchte das Haschisch und eine halbe Stunde später war das Reißen und Zittern fast weg.“

Seit dieser Zeit gestaltet sich der Tagesablauf von Günther immer ähnlich: Nach dem Aufstehen raucht er ein Gramm Cannabis und für rund vier Stunden sind seine Schmerzen gelindert. Gegen 15 Uhr nimmt er die zweite Dosis des Tages zu sich, gegen 20 Uhr die letzte. „Es verwundert mich immer wieder, wie entspannend und krampflösend dieses Mittel ist“, sagt Günther. Über eine lange Versuchsreihe sei er auf diese Dosierung gekommen: „Mehr Rauchen bringt nicht mehr Linderung.“

Durch die ständige Schiefhaltung des Kopfes sind Wirbelsäule und die Halswirbel verschoben. Da die Krankheit zur Zeit nicht heilbar ist, bezieht Günther EU-Rente – an eine regelmäßige Arbeit ist nicht zu denken. „Früher konnte ich nicht mal auf die Straße raus, heute schaffe ich das, zwar in Begleitung, aber immerhin.“ Und auf den Grad der Verbesserung angesprochen, sagt Günther: „Wenn es früher 100% Krankheit waren, dann sind es heute 60%.“

Dem Architekten sei Dank: Günthers Balkon ist auf der Südseite seiner Wohnung – es herrschen optimale Bedingungen für die Hanfzucht für den Eigenbedarf.

Seine Ärzte wunderten sich über Günthers Genesung, bis er das Geheimnis aufklärte: „Die sagen jetzt, ich soll es nehmen, wenn es denn hilft.“ Trotz der Besserung ist Günther alle drei Monate auf Spritzen mit dem Nervengift „Botalinum Toxin“ angewiesen. „Davor graut mir jedes Mal. Danach kann ich nicht richtig schlucken und um überhaupt Essen zu können muss ich enorm viel trinken.“ Zudem treten durch die Injektionen in die Halsmuskulatur zeitweise Lähmungen an Armen und Beinen auf.

Die Nebenwirkungen von Hanf stuft er dagegen als gering ein. Ein Rauschempfinden stelle sich für ihn kaum noch ein. „Losgelöst, aber nicht high“, fühle er sich, „aber der Rausch geht in den Muskel und die Entspannung“. Das Verbot von Cannabis hält der Mann für unsinnig. „Letztlich kann ich nur jedem raten, der Spastiken hat, es mit Cannabis zu probieren.“

Chron

Von Seiten einer pharmazeutisch orientierten Wissenschaft wird die unspezifische Wirkung von Marihuana oder Haschisch hervorgehoben. Obwohl mittlerweile als gesichert gilt, dass die synthetisch hergestellten Hanf-Ersatzmittel mit diversen Nebenwirkungen aufwarten, sieht dieser Zweig der Forschung den Einsatz von Marinol und Dronabinol als die ultima ratio an. Naturnahe Pflanzenmedizin, die ihre Wirksamkeit gerade aus der Kombination diverser Bestandteile zieht, scheint diesen Forschern keine Alternative. Das Gegenteil beweist Olaf aus Wolfsburg, der bereits im zweiten Lebensjahr an Morbus Chron erkrankte.

Morbus Chron ist eine chronische Entzündung des Verdauungstraktes, deren Ursachen weithin unbekannt sind. Deshalb beschränkt sich die Therapie auf die Behandlung der Symptome, die sich in immer wiederkehrenden starken Bauchkrämpfen, Durchfällen und Gewichtsabnahme ausdrücken. In Deutschland schätzt man die Zahl der Erkrankten auf etwa 300.000. Olaf ist einer von ihnen.

„Seit dem Ausbruch der Krankheit habe ich Cortison bekommen, zunächst wenig, später bis zu 120 Milliliter täglich“, erinnert sich Olaf. Neben dem Cortison wurden Beruhigungsmittel verabreicht. Die Krankheit verschlimmerte sich so sehr, dass sich Olaf mit 14 Jahren einer komplizierten Operation des Dickdarms  unterzogen wurde. Ein halber Meter des mit Geschwüren übersäten Verdauungsorgans wurden heraus geschnitten.

„Mit 16 habe ich dann zufällig mit Freunden Haschisch probiert und die Koliken verbesserten sich noch am selben Abend.“ Zunächst glaubte er an einen Zufall, aber eine Wiederholung des Experiments zeigte die wiederum die Entkrampfende Wirkung der Wirkstoffe des Cannabis-Produkts. Was als netter Abend begann wurde so zur Institution. „Ich rauche rund ein Gramm Haschisch vermischt mit Tabak am Tag.“

Seine Eltern klärte er früh auf, sie reagierten gelassener als der damalige Arzt: „Der lief brüllend durch die Praxis und rief: <Mein Gott, ich habe einen Kiffer als Patienten>“, erinnert sich Olaf amüsiert. Seine aktuellen Ärzte können sich die Wirkung des medizinal eingesetzten Rauschhanfs nicht erklären, wollen die Anwendung aber auch nicht ablehnen. „Schließlich hilft es besser als alles andere zuvor“, sagt Olaf. Heute benötigt der 27-Jährige nur noch bei akuten Kolik-Schüben Cortison. „Dann aber auch nur noch 20 Milligramm.“ Insgesamt hätten sich, so Olaf, die Krämpfe, aber auch seine mentalen Probleme enorm verbessert:

„Seit ich Cannabis rauche hat sich mein Leben in die richtige Bahn geleitet.“

Erbrechen

Methadon ist zur Zeit das Mittel der Wahl bei der Behandlung heroinabhängiger Menschen. Viele berichten aber von Übelkeit und Erbrechen nach der Einnahme der Substanz. So erging es auch Nils aus Recklinghausen, der fünf Jahre lang Heroin konsumiert hatte, bevor er mit dem Ersatz-Opiat therapiert wurde. „Wenn ich Methadon morgens nahm, dann habe ich sofort gekotzt.“ Eine Freundin erzählte ihm von der Wirkung von Cannabis, Nils probierte eine Tüte vor der Methadoneinnahme, und „mir war zwar immer noch leicht schlecht, aber kotzen musste ich nicht mehr“. Heute dosiert er sich morgens mit einem Joint mit rund 0,1 g gutem Haschisch. Abends kommt etwas mehr in die Tabak-Mischung, rund 0,4 g. „Blöd ist natürlich, dass ich morgens schon immer stoned bin. Ich stehe deswegen um 6 Uhr auf, damit ich nach dem ersten Rausch arbeiten kann.“

Der Herr Doktor von Nils sieht die gestiegenen THC-Werte des Patienten gelassen. Allen Methadonsubstituierten die kiffen, denen gehe es besser, soll er gesagt haben. „Wenn Cannabis legal wäre, würde mein Arzt mir das verschreiben“, behauptet Nils sogar. Ähnlich lässig reagierte vor einiger Zeit ein Polizist, der Nils mit etwas Haschisch in den Taschen erwischte. „Der hat nur kurz daran gerochen und es mir wieder gegeben.“ Ob es an Haschisch-Beikonsum liegt oder nicht, zumindest ist Nils entschlossen, nie mehr Heroin zu nehmen.

Hepatitis

Mögen auch noch so viele Betroffene von ihren individuellen Heilerfolgen mit Cannabis berichten – Schulmedizin, Wissenschaft und Politik nennen diese Erfahrungen gemeinhin „anekdotisch“ und sprechen ihnen ein Potential zur Verallgemeinerung ab – mit fatalen die Folgen für den Einzelnen. Gesetze und tradierte Forschungsparadigmen führen dazu, dass in Deutschland keine systematische Erforschung der positiven Wirkungen des naturbelassenen Rauschhanfs existiert. Ein Skandal, wenn man denn so will, und so nimmt es kein Wunder, dass an allen Ecken der Republik erkrankte Lebewesen die Gesetze ignorieren.

So auch Kurt aus Bremen. Er leidet seit 1995 an chronischer Hepatitis C, einer Entzündung der Leber. „Abgeschlagenheit, chronischer Durchfall und schnelle Ermüdbarkeit“, nennt er als Symptome. Neben der medikamentösen Behandlung, einer sogenannten „Interferon Alpha Therapie“, versuchte es Kurt auch mit Mariendiestel – ohne Erfolg. Besserung trat erst auf, als er eine Kombinationstherapie mit Interferon, Pegintron und Rebetol aufnahm. Die Nebenwirkungen der Medikamente führten allerdings zu starker Appetitlosigkeit und Depression. So sollte Cannabis helfen und es half, wie der 38-jährige Mann erzählt.

Dies ist kein Einzelfall. In der Redaktion meldeten sich drei Personen, die ihre Hepatitis C mit Cannabis behandeln. Karl aus Herne beispielsweise lindert damit nicht nur die Nebenwirkungen der Medikamente, inhalierter Marihuanarauch führt bei ihm dazu, dass die typischen Symptome der Hepatitis, nämlich ständige Müdigkeit und Erschöpfung, eingedämmt werden. „Nach dem Rauchen habe ich kaum noch Schweißausbrüche bei Körperbewegungen“, erzählt er. Alle drei bis vier Stunden raucht Karl, 35, einen Joint, wobei die Dosis des Hanfkrauts niedrig ist: “Ich muss bei weitem nicht soviel rauchen, dass ich stoned bin – am Tag komme ich mit einem Gramm Gras aus.“ Die Justiz hatte im letzten Jahr kein Verständnis für den ungewöhnlichen Medikamentengebrauch von Karl. Ein Richter verurteile ihn wegen des Besitzes von Cannabis zu einer Bewährungsstrafe.

Depression

Der Hanf als Stimmungsaufheller, als „Beschwichtiger des großen Kummers“, wie es in Indien heißt, ist bekannt. Gegen den Alltagsfrust kann ein Pfeifchen helfen, wie sieht es aber mit wirklich schweren psychischen Beeinträchtigungen aus? [5] Zumindest bei Christine aus Hamburg half Cannabis, neben anderen Maßnahmen, bei der Wiederentdeckung der Freude. Die Studentin litt lange an einer endogen Depression, sah nur noch wenig Sinn im Leben und fühlte sich in ihrem Körper gefangen. Sie berichtet: „Mit 18 bin ich aus eigenem Antrieb heraus zu einem Psychiater gegangen, der mir Fluctin/Prozac verschrieben hat. Die Wirkung hat auch eingesetzt und ich nahm die Welt eine Weile mit einer rosaroten Chemiebrille wahr. Neue Wege haben sich mir dadurch nicht eröffnet.“ Später lernte Christine Cannabis kennen, kiffte viel und verdrängte mit exzessiven Konsum die Depression, ohne sich deren Ursachen zu nähern. „Es ist bestimmt nicht empfehlenswert nonstop breit zu sein, nur um sich nicht selbst begegnen zu müssen“, weiß sie heute. Trotzdem hält sie Haschisch für einen Schlüssel für ihre Gesundung. „Ich habe durch Kiffen und Tanzen gelernt, mich wieder um meinen Körper zu kümmern.“ Der entscheidende Knackpunkt sei aber eine homöopathische Therapie gewesen. Noch heute raucht sie täglich, ist sich der Nebenwirkungen („Verpeiltsein“) zwar bewusst, will aber noch nicht aufhören. Das Verhältnis zu ihrem Arzt ist gut: „Er wusste von Anfang an Bescheid über meinen außerordentlichen Cannabiskonsum und hat betont, er habe da nix gegen, nur dass ich es benutzen würde, um was anderes zu überdecken, wäre nicht in Ordnung, womit er auch recht hat.“ Trotzdem sieht sie sich selbst heute als weitgehend gesund an. „Ich habe einen langen Weg hinter mir, doch heute atme ich ein, ich atme aus und bin, was ich bin.“

Ergo

Um Irrtümer zu vermeiden: Das Voranstehende soll nicht dazu führen in Cannabis das allheilende Wundermittel zu sehen. Gerade die psychischen Krankheiten sind weder in ihren Ursachen noch in ihrer Therapierung hinreichend erforscht. Immer mehr in den Vordergrund rückt allerdings, dass monokausale Ursachen selten sind. Um das eine Krankheit umgebenen Geflecht aus physischen und psychischen Wurzeln zu entwirren ist meist kompetente Hilfe notwendig. Aber wer ist kompetent?

Die aufgeführten Fälle zeigen neben dem Mut der Menschen die Hilflosigkeit der Ärzte, die der cannabinoiden Zusatztherapie ihrer Patienten bisweilen akzeptierend, gelegentlich ablehnend, immer aber ratlos gegenüber stehen, weil auch sie, die vermeintlichen Experten, keine hinreichenden Informationen zu diesem Naturstoff haben. Damit ist auch die Problemlage eines Gesundheitssystems angesprochen, welches im ausgeprägten Abhängigkeitsverhältnis zur pharmazeutischen Industrie steht. Dass aber die legale Chemie alleine nicht allen hilft steht fest. Für den Einzelnen auf der Suche nach einer umfassenden Behandlung seiner Krankheit bleibt daher oft nur der Gang in die Illegalität.

Die unbestreitbaren positiven Effekte der Cannabinoide im Körper dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Einzelne auch mit diesem Medikament verantwortungsvoll umgehen muss, um den Erfolg nicht in eine Schaden umkippen zu lassen. Denn nicht allein die Dosis bestimmt das Gift, auch die mentale und soziale Verfasstheit des Konsumten. Positiv ist daher die Zielgerichtetheit, mit der die hier beschriebenden Patienten Cannabis anwenden. Obwohl das hedonistische Spektrum der Droge bekannt ist, liegt der Augenmerk bei ihnen deutlich auf der Linderung der Krankheit. Und, wenn diese persönliche Bemerkung erlaubt ist, das HanfBlatt wünscht auf diesem Wege weiterhin gute Besserung!

 

[1] Siehe dazu C. Rätsch: Hanf als Heilmittel.

[2] Das immer noch erschreckenste Beispiel hierfür ist das in seiner Fülle von angehäufter Desinformation beispiellose Buch von Peggy Mann: Haschisch. Zerstörung einer Legende. Bitte nicht kaufen, höchstens mal zu Ansicht ausleihen!

[3] Vgl. zum folgenden Franjo Grotenhermen: Cannabis und Cannabinoide. 2001, Bern: Hans Huber. Für einen Überblick über Hanf als Medizin siehe auch Lester Grinspoon: Marihuana – Die verbotende Medizin. 1994, Frankfurt a.M.: 2001, zudem http://www.cannabislegal.de/cannabisinfo/medizin.htm und die Seite der Arbeitsgemeinschaft für Cannabis als Medizin unter http://www.acmed.org/.

[4] Alle Namen wurden von der Redaktion geändert.

[5] Einen Überblick gibt http://www.chanvre-info.ch.

 

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Grower Area Psychoaktive Substanzen

Plantagen-Bilder aus dem All

Plantagen-Bilder aus dem All

Google Earth macht vor, was Bilder aus dem All inzwischen leisten können. Einige Ballungsgebiete der Erde sind so hoch aufgelöst, dass Leute ihren Balkon wiedergefunden haben. Die französische Firma Spotimage (www.spotimage.com) bietet Satelliten-Bilder an, die mit einer Software zusammen illegale Anpflanzungen aufspürt. Noch sind diese und andere Systeme auf Opium-Felder ausgerichtet, es dürfte aber nur eine Frage der Zeit sein, bis auch größere Cannabis-Plantagen damit gefunden werden können. Häufige Updates von Satelliten-Aufnahmen und Auflösungen bis unter einen Meter werden bisher nur von den Militärs genutzt. Aber die sogenannten GIS-Systeme sind kommerziell erfolgreich, die Kartierung der Welt mittlerweile ein Riesengeschäft, der technische Fortschritt in dem Bereich rasant. Freiluftbauern stehen eventuell harte Zeiten ins Haus.

 

 

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Der LSD-Entdecker Albert Hofmann verstarb im Alter von 102 Jahren

Hanfblatt Nr. 114, April 2008

Chemiker und Naturphilosoph

Der LSD-Entdecker Albert Hofmann verstarb im Alter von 102 Jahren

Geistig klar bis zum letzten Moment: Im Alter von sagenhaften 102 Jahren verstarb am 29. April 2008 der Entdecker des LSD, Albert Hofmann, in seinem Haus in Burg im Kanton Basel-Land. Hofmann war nicht nur ein ausgezeichneter Chemiker, sondern auch eine ausgleichende Persönlichkeit mit Weitblick: Schon früh erkannte er die Abhängigkeit der Drogenerfahrung vom kulturellen Kontext. Er wies zudem darauf hin, dass ein Psychedelikum wie LSD für Jugendliche und junge Erwachsene ungeeignet sei, weil damit eine psychische Plattform aufgelöst würde, die im jungen Alter noch gar nicht solide aufgebaut wäre.

albert hofmann
Rolf Verres, Albert Hofmann, Christian Rätsch, Basel 2006.
Hinter Hofmann stehend: Dieter Hagenbach

Hofmann selber nahm LSD in einem Selbstversuch am 19. April 1943 zum ersten Mal bewusst ein. Es folgte der berühmte Bicycle-Day. Die hohe Dosis von 250 Mikrogramm ließ die Welt neu erscheinen, in dem Versuchsprotokoll notierte er: „Kaleidoskopartig sich verändernd drangen bunte phantastische Gebilde auf mich ein, in Kreisen und Spiralen sich öffnend und wieder schliessend, in Farbfontänen zersprühend, sich neu ordnend und kreuzend, in ständigem Fluss.“

Weitere Trips folgten, die Wissenschaft war von der kraftvollen Substanz angetan, schnell wurde klar, die Substanz erzeugt nicht nur farbiges Theater, sondern kann zu den individuellen Wurzeln der Persönlichkeit und darüber hinaus führen. Ein Einsatz als Psychotherapeutikum bot sich an. Aber als die Gegenkultur der 60er Jahre das LSD für sich entdeckte, griffen die Mechanismen der Kontrollgesellschaft. LSD wurde verboten, die Konsumenten kriminalisiert. Hofmann bewahrte Ruhe und blieb der psychedelischen Szene bis zuletzt freundschaftlich verbunden. Parallel zu seiner Arbeit an anderen Entheogenen (Zauberpilze, Salvia divinorum) entwickelte er eine Naturphilosophie, die eine Synthese zwischen objektiver Naturwissenschaft und subjektiv mystischer Welterfahrung propagierte. Das naturwissenschaftliche, rationale Weltbild sei zwar wahr, so Hofmann, es beinhalte aber nur die eine Hälfte der Wirklichkeit, nämlich den materiellen, messbaren und damit objektivierbaren Teil. Wichtig wäre aber auch die anderen wesentlichen Merkmale des Lebendigen in ein Weltbild zu integrieren. Diese Merkmale seien nicht messbar: Freude, Schönheit, Schöpfergeist, Ethik, Moral und nicht zuletzt die Liebe. Den „Schöpfer“ sah er überall in der Natur tätig, er empfahl jedem Sinnsucher und Wissenschaftler daher, sich an den Wundern der Natur zu erfreuen.

Hofmann folgt seiner Frau Anita, die im Dezember vergangenen Jahres im Alter von 95 Jahren verstarb. Die beiden waren 73 Jahre lang ein Paar. Ein anderer Traum war für ihn 2007 in Erfüllung gegangen: Der Schweizer Psychotherapeut Peter Gasser erhielt die Erlaubnis, LSD zu therapeutischen Zwecken versuchsweise zu benutzen. Mit Hofmann geht ein glücklicher Mann von dieser Welt. Seine fried- und gleichsam kraftvolle Persönlichkeit und seine nüchternen Analysen werden der psychedelischen Gemeinde fehlen.

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Vor zehn Jahren kam das Potenzmittel Viagra auf den Markt

Welt am Sonntag v. 25. März 2008

Dem Manne kann geholfen werden

Vor zehn Jahren kam das Potenzmittel Viagra auf den Markt

Jörg Auf dem Hövel
(in der Welt am Sonntag erschien eine gekürzte Version. Am Ende des Beitrags habe ich einen Leserbrief von Günther Steinmetz von der Selbsthilfegruppe Erektile Dysfunktion angefügt)

Das Medikament wurde schnell zur erfolgreichen Stütze für den unter Erektionsstörungen leidenden Mann und geriet zugleich in den Ruf einer Lifestyle-Droge. Ein Jahrzehnt später ist die große Aufregung zwar vorbei, Wirkstoffe für den unbeschwerten Sex haben aber weiterhin Konjunktur.

Jack Nicholson soll gesagt haben: „Viagra? Das nehme ich nur, wenn ich mit mehr als einer Frau zusammen bin.“ Dies beschreibt die Vor- und Nachteile der Potenzpille recht gut, denn Männern mit Erektionsstörungen hilft sie dabei den Schwellkörper zu aktivieren – Männer ohne solche Probleme beschreiben das Phänomen des nicht nachlassende Dauerhochs als eher lästig. Vor zehn Jahren kam Viagra auf den Markt. Es folgte eine pharmakologisch-sexuelle Revolution, wie es sie seit der empfängnisverhütenden „Pille“ nicht mehr gegeben hatte.

Die Angst vor Impotenz bringt Männer seit jeher um den Schlaf, gilt Sex doch als Kit oder gar Grundlage jeder Beziehung. Mit Viagra scheinen sich solche Probleme erledigt zu haben. Das Medikament soll in manches erschlaffte Verhältnis die Spannung zurück bringen. Das zeigt schon der Verkaufserfolg. Im April 1998 kam das Mittel in den USA auf den Markt, innerhalb der nächsten vier Wochen unterschrieben Ärzte mehr als 300.000 Viagra-Rezepte. Schnell entwickelte sich die Arznei zum sogenannten „Blockbuster“, einem jener Medikamente, die mehr als eine Milliarde Dollar im Jahr umsetzen. In der Dekade seit der Einführung 1998 haben sich mehr als 30 Millionen Menschen in 120 Ländern Viagra verschreiben lassen. Millionen haben es sich über das Internet oder auf dem Schwarzmarkt besorgt.

Ein Milliardengeschäft für den Hersteller, den Pharma-Konzern Pfizer, der das Patent auf den Viagra-Wirkstoff Sildenafil bis 2011 besitzt. Denn obwohl sich die ganz große Aufregung um Viagra gelegt hat, wächst der Markt für die Firma weiterhin. 2007 gab das Unternehmen an, im vorangegangen Jahr weltweit blaue Pillen im Wert von 1,7 Milliarden Dollar verkauft zu haben. Sechs Prozent mehr als im Vorjahr. Viagra schien von Anfang an das Bedürfnis eines riesigen Marktes zu befriedigen, Pfizers Mitbewerber wollten partizipieren. Wer über Viagra spricht muss daher heute auch über Cialis reden. Eli Lilly brachte 2003 ebenfalls ein Erektionshelfer in die Apotheken. Wie Viagra wirkt auch Cialis als PDE-5 Hemmer. Das Enzym PDE-5 ist dafür verantwortlich, dass eine Erektion wieder abgebaut wird. Durch die Hemmung von PDE-5 kommt das männliche Glied daher bei einer sexuellen Stimulation leichter in Wallung. Und: Dieser Zustand hält auch länger an. 2006, so Lilly, nahm man mit dem Cialis 971 Millionen Dollar ein. Mit Levitra, einem Gemeinschaftsprodukt von Bayer und GlaxoSmithKline, ist ein weiteres Erektionsmedikament auf dem Markt. Die Konzerne wollten ebenfalls Blockbuster-Spitzenumsätze generieren. Man setzte weltweit 2004 aber nur 200 Millionen Euro um.

Obwohl immer von Viagra die Rede ist, führt im deutschen Erektionsmarkt Cialis vor Viagra und Levitra. Dies liegt vor allem an der längeren Wirkungsdauer von Cialis, das den Mann bis zu 36 Stunden lang in Bereitschaft hält. Insgesamt, so der der Pharma-Dienst IMS Health, wurden 2007 rund zwei Millionen Packungen der Erektionshelfer in deutschen Apotheken verkauft, der Umsatz betrug knapp 117 Millionen Euro. Die Marktanalysten mokieren sich über den seit ein paar Jahren stagnierenden Markt.

Ikonen

Hat Viagra die Welt verändert? Gestützt durch eine massive Werbekampagne herrschte in den ersten Jahren nach Einführung von Viagra ein medialer Rummel um die Substanz. Der ehemalige Präsidentschaftskandidat Bob Dole warb für Viagra, andere Prominente stellten sich ihm an die Seite, Playboy-Urgestein Hugh Hefner sprach von einem Lebenselixier. Morgan Stanley prophezeite einen Umsatz von 2,6 Milliarden Dollar in 2000, Gruntal & Company gingen noch weiter, die Börsenexperten sprachen von 4,5 Milliarden Dollar in 2004. Die Welt war für kurze Zeit im Viagra-Fieber. Impotenz war plötzlich aus der gesellschaftlichen Schattenecke heraus geholt. Potenzprobleme, vor allem aber ihre schnelle Beseitigung, waren probates Party-Gespräch. Zwar sprach sich schnell herum, dass das Medikament nicht luststeigernd war, sondern nur eine eh schon vorhandene Libido in harte Fakten umsetzen kann. Aber das schien den meisten Männern zunächst egal. Denn, so die einfach- funktionale Schlussfolgerung, steht erst einmal der Kolben ergibt sich der Rest wie von selbst.

Nicht alle waren begeistert. Einige Krankenversicherungen weigerten sich umgehend, die Kosten für eine Viagra-Behandlung zu übernehmen. Man mutmaßte, dass hier nur Männer im besten alten ihren Spaß haben wollten ohne wirklich unter erektiler Dysfunktion zu leiden. Die auf den Plan gerufenen Kulturkritiker wiesen auf Krankheitserfindung und das Problem hin, dass ein Medikament zur Lifestyle-Droge werden könne. Aber zu spät, Viagra war bereits in die Kultur eingedrungen. Die Auswirkung des Viagra-Hypes lassen sich bis heute nicht zuletzt daran ablesen, dass eine ganze Spam-Generation auf den Durchblutungs-Versprechungen basiert. Jeder hat schon einmal Mails mit Verhärtungsversprechungen erhalten. Auch dieser Text musste aus dem Spam-Ordner der Redaktion gefischt werden. Die Substanz ist innerhalb des letzten Jahrzehnts zum weltweit bekannteste Medikament geworden. Es ist aber nicht das am häufigsten verkaufte. Zum Vergleich: In den USA werden Potenzmittel jährlich an die 20 Millionen mal verschrieben, Knochenschwundmittel schon 40 Millionen mal und Antidepressiva über 100 Millionen mal.

Gleichwohl verändert Viagra die Verhaltensmuster der Gesellschaft. Durch das Arzneimittel gestärkt fühlen sich manche Männer berufen ihren zweiten Frühling einzuläuten, jüngere Frauen sind dann das Ziel des Begehrs. Das pharmazeutisch induzierte Selbstbewusstsein führt zu geschürter Krisenstimmung in der Ehe oder gar zu Untreue. So wird berichtet, dass es in den USA immer wieder zu Scheidungen kommen soll, weil graumelierte Herren sich durch Viagra noch einmal zu höherem berufen fühlen. In Floridas Altersheimen sollen Geschlechtskrankheiten zugenommen haben, weil rüstige Rentner sich nach Viagra-Konsum mit Prostituierten vergnügen.

Nach einer Studie der Universität Köln haben in Deutschland vier bis fünf Millionen Männer Probleme mit der Erektion. Warum bleibt oft unklar. Einige Ärzte sehen eher organische Ursachen, andere verweisen auf psychologische Hintergründe. Dabei ist es wahrscheinlich wie so oft: Richtig eingesetzt kann Viagra oder eine anderes Liebesmittel die sexuelle Beziehung eines Langzeitpaares durchaus stimulieren; eine schlechte Ehe wird es indes nicht retten können. In anderer Hinsicht hat Viagra sicher dafür gesorgt, dass Männer das Gefühl haben immer und überall können zu müssen.

Es wurde angenommen, dass der demographischer Wandel den Markt für Potenzmittel weiter beflügeln wird. Noch steht aber nicht fest, ob die Generation 60 Plus ein ausgewiesenes Interesse an der Beibehaltung oder Wiederbelebung ihrer sexuellen Aktivität hat. Viele ältere Paare sind mit penetrationslosen Zärtlichkeiten durchaus zufrieden. Weiterhin ist unklar, welche zukünftige Rolle Viagra & Co. als Lifestyle-Droge bei den unter 50-Jährigen spielen werden. Zum einen sind Potenzpillen fast überall verschreibungspflichtig, zum anderen muss der Patient sie aus eigener Tasche bezahlen, denn die Krankenkassen übernehmen die Kosten nicht. Mit der Gesundheitsreform vom Januar 2004 hat der Gesetzgeber festgelegt, dass Medikamente zur Behandlung von Erektionsstörungen nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden dürfen. Manche Ärzte behaupten gegenüber ihren Patienten, dass auch die Diagnostik der ED nicht mehr von der Krankenversicherung übernommen wird. Dies ist allerdings nicht richtig.

Für den gesunden Mann ändert sich im praktischen Liebesverkehr wenig, er weiß, dass dessen Qualität nicht in Härtegraden gemessen werden sollte. Oder, wie der amerikanische Sexualpsychologe Michael A. Perelman es einmal ausdrückte: „Ob man nun einen vollen Tank oder nur einen halb vollen Tank hat – das Auto fährt gleich gut.“

 

Wie Viagra & Co. wirken

Die für eine Erektion nötige Blutzufuhr in den Penis wird durch kleine Muskeln gesteuert. Im nicht erigierten Zustand sind diese Muskeln angespannt und verschließen die Blutgefäße des männlichen Schwellkörpers. Eine sexuelle Stimulation führt beim Mann innerhalb dieser Muskelzellen zur Ausschüttung einer chemischer Substanz mit der Abkürzung cGMP (cyklisches Guanosinmonophosphat). Dadurch entspannt sich der Muskel, Blut fließt ein und das männliche Glied richtet sich auf. Damit dieser Zustand nicht ewig anhält muss das cGMP wieder abgebaut werden. Dies übernimmt eine Enzym mit Namen PDE-5 (Phosphodiesterase-5).

An dieser Stelle setzen Medikamente wie Viagra an. Sie hemmen den Abbauprozess, indem sie die Wirkung des Enzyms PDE-5 blockieren. Dies gelingt ihnen, in dem sie an das Enzym binden und dieses dadurch nicht mehr zur Aufspaltung an cGMP andocken kann. Das Ergebnis: In den Zellen steht mehr muskelentspannende Substanz zur Verfügung, dadurch fließt mehr Blut in den Schwellkörper ein. Alle drei der zugelassenen Arzneimittel gegen krankhafte Erektionsstörungen (so genannte „erektile Dysfunktion“) wirken auf diese Weise. Die Krankheit beschreibt die Unfähigkeit, über lange Zeiträume hinweg trotz sexueller Erregung eine Erektion zu bekommen. Oft sind die Ursachen organischer Natur, Lecks in den Schwellkörpern können ebenso dafür verantwortlich sein wie Verkalkung der Blutgefäße.

Die Geschichte der Potenzmittel auf Basis der Hemmung des Enzyms PDE-5 beginnt 1985. In den Forschungslabors der Firma Pfizer im britischen Sandwich war man auf der Suche nach einem neuen Wirkstoff für die Behandlung von Brustengegefühl (Angina Pectoris) und der damit zusammen hängenden Herz-Durchblutungsstörung. Nach vielen Versuchen synthetisierte man eine Substanz, die sehr zielgerichtet PDE-5 blockierte und nannte sie Sildenafil. Die Halbwertszeit im menschlichen Körper war mit vier Stunden allerdings zu gering, um als Mittel gegen Angina Pectoris eingesetzt zu werden, zudem waren die durchblutungsfördernden Eigenschaften nicht so ausgeprägt wie erhofft. Einige der Testpersonen berichteten allerdings von einer starken Nebenwirkung: Sie hatten schon nach geringfügigen erotischen Reizen eine Erektion bekommen. Analysen ergaben, dass PDE-5 vor allem im Penisschwellkörper des Mannes vorkommt und Sildenafil daher in erster Linie hier wirkt. Die Marketingabteilung schlug den Namen „Viagra“ vor, das Potenzmittel des neuen Jahrhunderts war gefunden. Bis dahin beruhte die Behandlung der organischen Impotenz auf umstrittenen Naturmitteln oder dem Einsatz von Implantaten und Vakuumpumpen.

Die pharmakologische PDE-5-Hemmung ist so effektiv und mit relativ wenigen Nebenwirkungen verbunden, dass nach der Jahrtausendwende zwei weitere Medikamente auf den Markt kommen: 2002 zunächst Cialis mit dem Wirkstoff Tadalafil, 2003 Levitra mit dem Wirkstoff Vardenafil. Wie die Wirkstoffbezeichnungen schon andeuten ist die chemische Struktur der Medikamente ähnlich. Sie alle blockieren PDE-5, wirken aber unterschiedlich lang. Über weitergehende Unterschiede wie beispielsweise dem Härtegrad der Erektion herrscht Uneinigkeit. Viele der wissenschaftlichen Studien werden durch einen der drei Hersteller finanziert.

Levitra ist für den eiligen Patienten geeignet. Es wirkt bereits nach 40 Minuten, eine Studie unter Alltagsbedingungen will sogar eine Anfluten innerhalb von 10 Minuten bei einigen Männern nachgewiesen haben. Viagra-Nutzer brauchen mit rund einer Stunde etwas länger, dafür soll anekdotischen Berichten zufolge die Erektion auch kräftiger ausfallen als bei den anderen Mitteln. Cialis benötigt zwar etwas mehr Zeit bei der Entfaltung im Körper des Mannes, wirkt dafür aber länger. Während die gedeihliche Wirkung bei Viagra vier bis sechs Stunden und bei Levitra acht bis 12 Stunden anhält, kann sie bei Cialis bis zu 36 Stunden betragen. Aus diesem Grund ist das Arzneimittel in Deutschland mittlerweile beliebter als Viagra. Morgens genommen besteht den ganzen Tag die Möglichkeit zum Koitus, dosisabhängig sogar noch am nächsten Morgen.

 


Online-Leserbrieg v. 28.03.2008 von Günther Steinmetz von der Selbsthilfegruppe Erektile Dysfunktion:

Dieser Artikel hebt sich wohltuend von vielen Artikeln ab, die am 27.3. in fast allen Tageszeitungen zu lesen waren. Inhaltlich fehlt mir, dass zu wenig darauf eingegangen wird, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit Viagra und Co. einem Paar wieder zu einer erfüllten Sexualität
verhelfen können. Kurz gesagt, geht es dabei um folgende Punkte:

1. Die Medikamente müssen wirken, was längst nicht bei allen Männern der Fall ist. Besonders nach Operationen im kleinen Becken ist die Erfolgsrate gering.
2. Es dürfen keine Kontraindikationen vorliegen. Das ist allerdings entgegen der weitverbreiteten Meinung, dass Viagra für alle Herz-Kreislauf-Patienten gefährlich ist, nur selten der Fall.
3. Die Nebenwirkungen müssen erträglich sein. Zum Glück lassen oft die Nebenwirkungen nach mehrmaliger Einnahme nach.
4. „Mann“ hat sich über die Voraussetzungen für die Wirkung dieser Medikamente informiert. Bei der Einnahme kann man einige Fehler machen: zu kurze Zeit zwischen Einnahme und Beginn der sexuellen Aktivität, ein vorangegangenes fettreiches Essen (nur bei Viagra und Levitra), fehlende oder unzureichende sexuelle Stimulierung, zu geringe Dosis. Oft führen auch die ersten Versuchen zu keinem Erfolg, weil die ersten Tests auch viel Stress und Angst erzeugen können.
5. Die Partnerin muss damit einverstanden sein, was längst nicht immer der Fall ist. Der heimliche Einsatz dieser Mittel ist besonders konfliktträchtig: er wird irgendwann einmal auffliegen und dann mit Recht von der Partnerin als Vertrauensbruch aufgefasst.
6. „Mann“ kann sich diese Medikamente auch finanziell leisten

Für alle Männer, für die Viagra und Co. nicht in Frage kommen, gibt es aber auch noch andere Möglichkeiten. Manchmal ist die Einnahme von Viagra auch mit der Hoffnung verbunden, dass damit die Beziehung wieder aufblüht. Das ist in aller Regel ein Trugschluss, ein Medikament kann keine Beziehung beleben.

Günther Steinmetz
Selbsthilfegruppe Erektile Dysfunktion (Impotenz)

 


 

 

 

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Interview mit Hans Cousto von Eve & Rave

 

HanfBlatt

TECHNO, TANZEN, TÖRNEN, FICKEN – WEGBEREITER DER EKSTASE

Ein Interview mit dem Mathematiker, Musiker („Die kosmische Oktave“) und vor allem Eve & Rave-Urgestein Hans Cousto

Hanfblatt: Seit wann gibt es Eve&Rave?

Hans Cousto:  Im Sommer 1994 entwickelten ein paar Raver in Berlin die

Idee von Eve & Rave. Auf wöchentlichen Treffen wurde das Konzept

entwickelt. Am 27. September 1994 wurde das Konzept und die

„Party-Drogen-Broschüre – Safer Use“ im Rahmen einer Pressekonferenz im

E-Werk in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt. Am 12. Oktober 1994

wurde der Verein Eve & Rave zur Förderung der Party- und Technokultur

und zur Minderung der Drogenproblematik offiziell gegründet.

 

Hanfblatt: Wie finanziert sich der Verein?

 

Hans Cousto:  Vor allem sind zwei Einnahmequellen zur Finanzierung der

Arbeit von Eve & Rave zu nennen: Beiträge der Mitglieder (Schüler und

Studenten DM 5.- pro Monat. Erwerbstätige DM 10.- pro Monat) und

Spenden (Eve & Rave Verein, Kto. Nr. 5809907009, Berliner Volksbank,

BLZ 10090000). Die Arbeit der Mitglieder von Eve & Rave Berlin ist nach wie

vor ausschliesslich ehrenamtlich. Dies gilt auch, von ganz wenigen

Ausnahmen abgesehen, für alle Eve & Rave Vereine.

 

Hanfblatt: Was kann man bei Eve&Rave machen?

 

Hans Cousto:  Die Augabenbereiche sind vielfältig. Das Organisieren,

Aufbauen und Betreuen von Informationsständen an Parties wie auch das

Planen und Durchführen von Fortbildungskursen für Mitarbeiter und

Szenemultiplikatoren sind zentrale Aufgabenbereiche bei Eve & Rave.

Hinzu kommt das Erstellen von Informationsmaterialien, die Gestaltung

von Internetseiten, die Bearbeitung der Post und E-mails und das

Veranstalten von Parties.

 

Hanfblatt: Und seit wann bist du dabei?

 

Hans Cousto: Ich bin Gründungsmitglied von Eve & Rave.

 

Hanfblatt: Wie bist du als menschliches Wesen Hans Cousto dazu gekommen, dich

ausgerechnet drogenpolitisch zu engagieren, in den trüben Ozean der

Drogenpolitik zu tauchen, und dann auch noch von der Seite aus, die die

Verhältnisse nicht gerade im Sinne der herrschenden Meinung betrachtet, und

von daher mit staatlichen finanziellen Segnungen zu rechnen hätte?

 

Hans Cousto: Prinzipell: Ob ich Haschisch rauche oder nicht, ob ich Zauberpilze esse

oder nicht oder ob ich LSD geniesse oder nicht, diese

Entscheidung will ich frei nach eigener Überzeung treffen. Diese

Entscheidung betrifft nur mich. Sie betrifft grundsätzlich keinen

anderen Menschen. Diese Entscheidung treffe ich für mich nach

individual-ethischen Prinzipien auf Grund meiner Erfahrungen und

Erkenntnisse betreffend der Wirkungsweise dieser Substanzen.

Das Recht ist die verbindliche Ordnung des Verhaltens,

das der Einzelne gegenüber anderen äussert. Das Recht reguliert

menschliche Beziehungen. Mein Drogenkonsum betrifft nur mich.

Nur ein Verhalten, das die Rechtsgüter anderer Menschen oder einer ganzen Gruppe unmittelbar

beeinträchtigen könnte, kann strafwürdig sein.

Nur solange sich das im Gesetz verankerte Recht, insbesondere das Strafrecht,

auf die Regelung menschlicher Beziehungen nach Massgabe sozial-ethischer

Prinzipien beschränkt und nicht, wie das beim Betäubungsmittelgesetz der Fall ist,

die Gebote der individuellen Sphäre oder gar der individual-ethischen

Grundprinzipen tangiert, ist gewährleistet, dass die

praktizierte Gesetzestreue nicht unwürdig entartet, wie das Wüten des

Strafrechts in totalitären Staaten (der Stalinismus in der Sowjetunion,

der Volksgerichtshof im III. Reich, u.s.w.) oder das Wirken der Inquisition

der römisch-katholischen Kirche (Hexenverbrennungen, Bücherverbrennungen).

Also, erstens bin ich nicht bereit, die durch das heutige

Betäubungsmittelgesetz bedingten freiheitlichen Einschränkungen

individueller Lebensgestaltung zu tolerieren oder gar zu akzeptieren,

und zweitens sehe ich die freiheitlich-demokratische Grundordnung durch

das Betäubungsmittelgesetz gefährdet. Darum setze ich mich politisch für

eine grundlegende Änderung dieses Gesetzes ein.

Generell: Das Betäubungsmittelgesetz gibt vor, die individuelle als auch

die öffentliche Gesundheit zu schützen, wirkt sich aber in der Realität

als gesundheitsschädigend aus. Bezugnehmend auf das

Betäubungsmittelgesetz wurde z.B. bis in die 90er Jahre hinein die

Abgabe von sterilen Spritzen an Fixer be- und verhindert. Dies

begünstigte nicht nur den Gebrauch bereits verwendeter Spritzen, sondern

nötigte die Fixer zum gemeinsamen Gebrauch ihrer Sprtzen. Dadurch haben

sich Tausende mit HIV infiziert, sind Tausende an AIDS erkrankt und

Tausende in jungen Jahren verstorben.

Bezugnehmend auf das Betäubungsmittelgesetz wurde z.B. auch in vielen

Städten die Einrichtung von Fixerstuben verhindert, obwohl seit langem

bekannt ist, dass die Überlebenschancen nach einer Überdosierung in

einer Fixerstube bei weitem grösser sind als in einer Privatwohnung. In

Deutschland geschehen 70% der Todesfälle, zumeist durch eine

Atemdepression bedingt, in Wohnungen, dem gegenüber ist weder in

Deutschland noch in der Schweiz jemand nach einer Überdosierung in

einer Fixerstube verstorben, da dort beim Auftreten einer Atemdepression

rechtzeitig Hilfe geleistet werden kann. Auch hier haben die

drogenpolitischen Hardliner Menschenleben auf dem Gewissen.

Heute wird z.B. in Deutschland das Drug-Checking, die chemische Analyse

von auf dem Schwarzmarkt erhältlichen Drogen und die Veröffentlichung der

Testergebnisse, be- und verhindert, was die Vergiftungsgefahr von

Drogenkonsumenten erhöht. Allein diese drei Beispiele offenbaren

deutlich, dass das Betäubungsmittelgesetz von der Grundstruktur her

nicht geeignet ist, die individuelle als auch die öffentliche

Gesundheit zu schützen. Deshalb ist das Grundkonzept der

Betäubungsmittelpolitik zu überdenken und neu zu strukturieren.

Zum letzten Punkt betreffend der finanziellen staatlichen Segnungen sei

hier angemerkt, dass ich etliche Drogenberater, die ihren Lohn

von staatlichen Institutionen beziehen, kenne, die leider aus Angst ihren

Arbeitsplatz zu verlieren, nicht sagen was sie denken oder was ihrer

Erfahrung und Überzeugung entspricht, sondern sich in

selbstverräterischer Weise zu opportunistischen Formulierungen verleiten

lassen. Nicht zuletzt trübt eben dieser Opportunismus den Ozean der

Drogenpolitik!

 

 

Hanfblatt: Eve & Rave war ein Phänomen früher Technopartystunden, sozusagen der

intellektuelle Extrakt des Technofeierspirits zum Verein gefasst, die

Botschaft: Friede, Freude, Pillentesten (Drug-Checking). Du als Veteran der

Bewegung kannst sicher auf eine bewegte Vergangenheit zurückblicken. Wie hat

sich die Technoszene und ihr Genussmittelgenuss über die Jahre gewandelt und

wie veränderte sich Eve & Rave?

 

Hans Cousto: Vorweg: Ich gehe immer noch gerne feiern, liebe es nach wie vor

nächtelang zu tanzen und dabei mit anderen die ekstatischen Gefühle der

Lebenslust zu geniessen. Dies gelingt mir vor allem in kleineren Klubs,

die eher der alternativen Szene zuzurechnen sind, da sich hier auch

heute noch häufig Partyfamilies mit einer ausgeprägt reifen Partykultur

treffen. In grossen komerziellen Klubs – ich denke, dies gilt nicht nur für

Berlin – kann es einem jedoch leicht passieren, dass man zwischen

Tausenden von sich modisch präsentierenden Schaulustigen und TänzerInnen

so wenig wahrgenommen wird, dass man nicht selten auf dem Dancefloor

angerempelt wird und so auf äusserst unangenehme Weise aus der Ekstase

herausgerissen wird. Die merkantilistische Vereinnahmung grosser Teile

der Technoszene hat einen unübersehbaren kulturellen Flurschaden

hinterlassen, so dass viellerorts die Voraussetzungen für echtes

Partyfeiern nicht mehr gegeben sind, ja vielerorts ist die Kunst des

gemeinsamen Geniessens erschreckend schnell verwelkt und verdorrt.

Der Gebrauch psychoaktiver Genussmittel entwickelt sich von Szene zu

Szene sehr unterschiedlich. In bestimmten Kreisen wird sehr bewusst mit

den psychedelischen, die Seele erhellenden und ästhetischen, die

Sinneswahrnehmung betreffenden Wirkungen verschiedener Pflanzen und

synthetischer Substanzen experimentiert. Hier trifft man oft auf Leute,

die in subtiler Weise unterschiedliche psychoaktive Substanzen

miteinander kombinieren, so dass ein ausgewogenes Wirkungsprofil zur

Entfaltung kommen kann und die Genussfähigkeit beflügelt wird. In

anderen Kreisen hingegen werden vor allem die Drogen konsumiert, die in

den Massenmedien unter reisserischen Überschriften hochstilisiert

werden. Ecstasy – weil es einfach gemäss Medien dazugehört – und viel

Speed, Amphetamin, zum Durchhalten, in letzter Zeit auch immer mehr

Methamphetamin, da auf Grund der Gewöhnung normaler Speed kaum noch eine

Wirkung hervorrufen kann. Für das Ego werden dann noch ein paar Nasen

Kokain reingezogen, und da man auf Dauer ein solches Übermass an

Aufputschmitteln nicht mit Genuss aushalten kann, wird der entstandene

Frust mit reichlich Alkohol ertränkt. Auf dieses Gebrauchsmuster trifft

man vor allem in kommerziellen Klubs, wo die Schönlinge aus der

sogenannten „High Society“ sowie jene, die den Schein erwecken wollen,

sie gehörten auch dazu, verkehren.

Um der Verwahrlosung der Genusskultur bezüglich Drogen und Rausch in

gewissen Kreisen entgegenzuwirken, wäre es sinnvoll, in Schulen das Fach

Drogen- und Rauschkunde einzuführen. Hier sollte nicht nur ein

theoretischer Unterricht anvisiert werden, sondern auch den jungen

Menschen die Möglichkeit geboten werden, im Rahmen von professionell

geführten praktischen Übungen eigene Erfahrungen zu sammeln. Ein solcher

Unterricht wäre sicherlich für viele Menschen ein wertvoller Beitrag zum

Erlernen einer kompetenten Drogenmündigkeit. Da jedoch das

Betäubungsmittelgesetz in der heute rechtskräftigen Fassung einen

derartigen praktischen Unterricht verbietet, ist eine Änderung dieses

Gesetzes eine unabdingbare Notwendigkeit, um der Verwahrlosung der

Drogenkultur entgegenzuwirken.

Die Verbotspolitik vermochte weder die Verfügbarkeit bestimmter

Substanzen noch die Nachfrage nach denselben einzudämmen. Einige

Untersuchungen zeigten sogar, dass eine verstärkte Repressionspolitik

eine beschleunigte Verbreitung des Drogenkonsums nach sich zog. So haben

z.B. in der welschen Schweiz mehr Jugendliche und junge Erwachsene

Erfahrungen mit illegalisierten Drogen als in der deutschsprachigen

Schweiz, obwohl oder vielleicht gerade weil in der welschen Schweiz der

polizeiliche Verfolgungsdruck auf Drogenkonsumenten wesentlich grösser

ist als in der deutschsprachigen Schweiz.

Nun zu Eve & Rave: Nebst Förderung der Techno- und Partykultur sind

Aufklärung und Informationsvermittlung nach wie vor Leitmotiv der

Tätigkeit der Eve & Rave Vereine. Früher konzentrierte sich das

Betätigungsfeld hierfür vor allem auf Informationsstände an Parties,

heute gewinnt das Internet immer mehr an Gewicht in diesem Bereich.

Mehrere Eve & Rave Vereine betreuen eine Homepage, wobei die

Schwerpunkte der Inhalte sich unterschiedlich entwickelten. Eve & Rave

Schweiz konzentriert sich vor allem auf Drug-Checking (in der Schweiz

völlig legal) und Substanzinformationen (http://www.eve-rave.ch), Eve &

Rave Münster auf „safer use“ und Szeneinformationen

(http://www.eve-rave.de), Eve & Rave Berlin auf Technokultur,

Drogenrecht und Drogenpolitik (http://www.eve-rave.net). In Kassel

konzentriert man sich nach wie vor auf die vor Ort Arbeit in Klubs, die

Homepage von Eve & Rave Kassel ist im Aufbau (http://www.eve-rave.org).

Die Kölner sind noch nicht im Netz, dafür noch immer auf Parties

präsent. Das kulturelle und drogenpolitische Engagement wird durch die Vernetzung

mit anderen Vereinen wie Eclipse e.V Berlin und Projekten wie

Drug-Scouts in Leipzig, Alice in Frankfurt am Main oder dem

Party-Projekt in Bremen im bundesweit tätigen Sonics Netzwerk

koordiniert.

 

Hanfblatt: Siehst du Chancen, dass legales Drug-Checking einmal so selbstverständlich

werden wird wie Kiffen, Spritzentausch, Oktoberfest und Koksen auf dem

Reichstagsklo? Wohin wird und will sich Eve & Rave bewegen?

 

Hans Cousto: In den Niederlanden ist Drug-Checking schon lange so selbstverständlich

wie Spritzentausch. In der Schweiz hat ausser Eve & Rave auch die

Stiftung Contact in Bern mit dem Project-e (Drug-Checking an Parties mit

mobilen Labor vor Ort) positive Erfahrungen gemacht. In Österreich führt

der Verein Wiener Sozialprojekte mit dem Projekt Check-it mit grossem

Erfolg ebenfalls seit Jahren chemische Analysen von Partydrogen vor Ort

an Parties durch. Die Testresultate werden im Internet dokumentiert

(http://www.checkyourdrugs.at). Auch in Belgien ist ein grosses

Drug-Checking-Programm im Aufbau. Auf Dauer wird sich auch Deutschland

trotz seiner vornehmlich repressiv-konservativ ausgelegten Drogenpolitik

nicht mehr gegen vernünftige Lösungsansätze zur Schadensminimierung im

Umfeld der Drogenkonsumenten verschliessen können. Zum Leidwesen der

Betroffenen kommt in Deutschland die Einsicht des Gesetzgebers bezüglich

der Notwendigkeit einer Legalisierung vernünftiger Massnahmen in der

Drogenpolitik oft reichlich spät. Die Spritzenabgabe wurde erst 1992 und

die Fixerstuben erst 2000 legalisiert!

 

Hanfblatt: Was ist das Geheimnis von MDMA? Warum wird es allen Unkenrufen und

Horrormeldungen zum Trotz immer noch beliebter?

 

Hans Cousto: MDMA verstärkt das Auftreten wie auch das Empfinden von Gefühlen. Die

eigenen inneren Gefühle werden angeregt und stärker wahrgenommen. Darum

bezeichnet man MDMA auch als Entaktogen von griechisch en gleich innen und gen gleich

erzeugen und lateinisch tacto, ich fühle, ich empfinde. Des weiteren wird die

Wahrnehmung der Gefühle anderer Menschen ebenfalls angeregt. Darum

bezeichnet man MDMA auch als empathische Droge. In einer gefühlsarmen

rein leistungsorientierten Gesellschaft ist das Bedürfnis nach einer

Gefühlsdroge gross.

 

Hanfblatt: Gibt es neue psychedelische Highlights bei den JüngerInnen der Tanzkultur,

auf die man sich schon mal geistig-moralisch vorbereiten sollte?

 

Hans Cousto: Biogene Substanzen, also pflanzliche Stoffe, werden nicht nur in der

Technoszene immer beliebter. Der Garten der Natur ist reichhaltig und

vielfältig. Vor allem Zauberpilze, aber auch Ayahuasca, ein

Pflanzentrunk mit den Wirkstoffen Harmalin und DMT, werden heute von

weit mehr Leuten als psychoaktive Stimulans geschätz als dies vor ein

paar Jahren der Fall war. Zauberpilze und Ayahuasca wurden von Schamanen seit

alters her bei rituellen Zeremonien eingesetzt. Somit kann man hier auf eine lange

Tradition aufbauen, die es zu pflegen gilt und auf einen grossen

Erfahrungsschatz zurückgreifen, den es zu vermitteln gilt.

 

Hanfblatt: Wie geht man am besten an psychoaktive Substanzen heran, ein kurzer,

knackiger Tip vom Fachmann?

 

Hans Cousto: Erst informieren, dann konsumieren. Neue Substanzen nie alleine nehmen,

sondern nur in Begleitung von einem oder mehreren Menschen, zu denen man Vertrauen hat

und die bereits Erfahrungen mit dieser Substanz haben. Vor

dem Mischkonsum sollte man auf jeden Fall erst die Wirkungsweise der

einzelnen Substanzen gut kennen lernen.

 

Hanfblatt: Schon fast seit Anbeginn der Technobewegung wird behauptet,

Techno sei eigentlich schon lange tot. Wann ist Techno tot und was kommt

dann?

 

Hans Cousto: Derzeit ist Techno eine gelebte Kultur – und das geniesse ich. Ich kann

weder den „Tod“ von Techno voraussehen, noch kann ich sagen was danach

kommen wird.

 

Hanfblatt: Was haben Sex und Drogen und Tanzmusik miteinander am Hut?

Hat das was mit Leitkultur zu tun?

 

Hans Cousto: Ein Mantra ist ursprünglich eine magische Formel der Inder, die als

wirkungskräftig geltender Spruch durch ständige Wiederholung Erlösung

herbeiführt. Der englische Punk-Musiker Ian Dury setzte mit seinem Song

„Sex and Drugs and Rock’n’Roll“ ein ausgeprägt rhythmisch betontes

Mantra in die Welt, wobei er durch die stetige Wiederholung der Worte

„Sex and Drugs and Rock’n’Roll“ in einer eingängigen Melodie eine

magische Wirkung bewirkte, die so manchem neue Dimensionen des Glücks

ebnete. Über Jahre hinweg erinnerte ich mich immer wieder an diesen Song

und er ging mir oft minutenlang durch den Kopf. Im Wandel der

kulturellen Vorlieben prägte sich mir wie aus dem Nichts auf dem

Dancefloor ein neues Mantra ein, das im 4/4-Takt simultan zu Technomusik

über Stunden durch den Kopf kreisen kann:

Techno, Tanzen, Törnen, Ficken – Wegbereiter der Ekstase!

 

az

 

 

Lesetips:

H. Cousto: „Techno – Eine neue Kultur mit alten Traditionen. Vom Urkult

zur Kultur – Drogen und Techno“

2. erweiterte Fassung, Berlin 2000 (im Netz bei http://www.eve-rave.net)

1. Aufl., Nachtschatten Verlag, Solothurn 1995; ISBN 3-907080-10-6

H. Cousto: „Drug-Checking – Qualitative und quantitative Kontrolle von Ecstasy und anderen Substanzen“

Nachtschatten Verlag, Solothurn 1997; ISBN 3-907080-23-8

 

 

Adressen von Eve & Rave:

Berlin: Eve & Rave e.V. Berlin, Postfach 450519, D-12005 Berlin

(http://www.eve-rave.net)

Kassel: Eve & Rave e.V. Kassel c/o Beate Marx, Gottschalkstr. 31,

D-34127 Kassel

(http://www.eve-rave.org)

Köln: Eve & Rave NRW e.V. c/o Ralf Wischnewski, Postfach 250349, D-50519

Köln

Münster: Eve & Rave Münster, Schorlemerstr. 8, D-48143

(http://www.eve-rave.de)

Eve & Rave Schweiz, Kronengasse 11, Postfach 140, CH-4502 Solothurn

(http://www.eve-rave.ch)

 

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Cannabis Psychoaktive Substanzen

Im krisengeschüttelten Afghanistan wird wieder Cannabis angepflanzt und Haschisch produziert

hanfblatt, Nr.111, Januar 2008

Die Wiedergeburt einer alten Bekannten

Jörg Auf dem Hövel

Im krisengeschüttelten Afghanistan wird wieder Haschisch produziert

Die Bauern im nördlichen Afghanistan finden zu einer alten Tradition zurück: Sie bauen Cannabis Indica an. Für sie ist es oft der letzte Ausweg aus bitterer Armut. Im Westen darf man sich freuen, das Haschisch wird 2008 den deutschen Markt erreichen.

Das Haschisch aus den nördlichen Berg-Regionen Afghanistans galt schon immer als exzellent, Händler und internationale Connaisseure greifen jetzt wieder gerne zu: Außen schwarz-glänzend, innen dunkelbraun, gut knetbar und vor allem bretthart in der Wirkung. Die Afghanen sind stolz darauf, ein extrem stoned machendes Naturprodukt herstellen zu können.

Seit den 80er Jahren ist man an schlechte Nachrichten aus Afghanistan gewöhnt. Damals fiel die sowjetische Armee in das Land ein, ein bis heute währender Bürger- und Stellvertreterkrieg begann, in dem sich die Sowjetunion und die USA auf fremden Gebiet gegenüberstanden. Nach dem Abzug der Russen 1989 bekämpften sich zunächst Mudschaheddin-Gruppierungen, später eroberten die Taliban das Land und errichteten einen äußerst restriktiven Staat. Seit 2001 soll eine internationale Afghanistan-Schutztruppe (ISAF) über den Frieden wachen. Aber die Rivalitäten zwischen den Stämmen und Völkern sind extrem, die ausländischen Interessen gespalten. Es ist nicht absehbar, das das Land zur Ruhe kommt.

In diese Krise hinein arbeitet die Drogenpolitik der Vereinten Nationen. Ihr Motto: Vernichtung der Schlafmohn-Felder, mit denen sich die Bauern über Wasser halten, der wahre Profit mit Opium und Heroin wird an ganz andere Stelle erwirtschaftet. Aber: Afghanistan gilt als der Opium-Lieferant der Welt, über 80% des weltweit konsumierten Heroins soll aus Opiumlieferungen aus Afghanistan stammen.

Noch vor zwei Jahren blühten in der nördlichen Provinz Balkh, die an Usbekistan grenzt, die Schlafmohnfelder. Auf internationalen Druck ließ der Gouverneur die Felder vernichten. Farhad Munir, Sprecher des Gouverneurs erläuterte stolz: „Wir haben es geschafft, den Opiumanbau in Balkh auf Null herunterzufahren.“ Die Bauern versuchten es auf Anordnung für eine Saison mit Weizen, dieser gedieh zwar, brachte aber kaum Einnahmen. Man versprach den Bauern finanzielle Unterstützung, die nie ankam. Unter diesen Rahmenbedingungen haben sich die Bauern in der Provinz notgedrungen auf eine Tradition besonnen, sie pflanzen eine alte Kulturpflanze: Hanf.

Vor Ort wiegen sich nun die grünen Dolden im Wind. Die Cannabis-Kultivierungsflächen seien in 2007 um 40% gestiegen, jammert denn auch die UN in einem Report. Man spricht von über 50.000 Hektar Anbaufläche. Die Bauern dagegen sind begeistert. Die Hanfpflanze ist nicht so kompliziert in der Aufzucht wie der Mohn. Gesät wird nach alter Tradition im April und Mai, geerntet im November und Dezember.

Ein Reporter der New York Times berichtet von erstaunlichen 2,70 Meter hohen Pflanzen, der interviewte Hanfbauer sagt: „Das ist noch gar nichts, die müssen sie mal sehen, wenn die den richtigen Dünger kriegen.“ Mit dem Anbau verdiene er doppelt so viel wie mit der Kultivierung von Baumwolle, die zudem arbeitsintensiver sei. Wie viele andere in der Region steht er in einer Tradition: Schon sein Vater und sein Großvater hätten hier Cannabis angebaut, berichtet er.

Verkauft wird das Haschisch an lokale, vertrauenswürdige Zwischenhändler. Fotos zeigen ölig-schwarze, etwa handflächengroße Platten. An den Straßen rund um die größte Stadt im nördlichen Afghanistan, Mazar-i-Sharif, wird das wohlduftende Harz relativ offen in kleinen Straßenbuden verkauft. Der Preis: Rund ein Dollar. Nein, nicht pro Gramm, sondern Einheit. Sogar auf einigen Wochenmärkten soll es einfach zu erhalten sein. Die afghanische Bevölkerung sieht im Haschisch ohnehin nicht ein Teufelszeug, seit Jahrhunderten wachsen die Indica-Pflanzen im Land wild. Nach der Schreckensherrschaft der Taliban gehört Hasch rauchen heute wieder zum Alltag, lokalen Schätzungen zu Folge kifft die Hälfte der Bürger in der Provinz Balkh mehr oder minder regelmäßig. Die UN spricht allerdings von nur „rund 520.000“ Cannabis-Konsumenten im gesamten, 30 Millionen Bürger starken Land.

Bis Ende der 70er Jahre war Afghanistan für leckeres Haschisch bekannt, mit dem Beginn des Krieges in den 80er Jahren hörten die Bauern auf Cannabis anzupflanzen. Lange war kaum noch Haschisch auf dem internationalen Markt erhältlich, vieles, was als „Afghane“ angepriesen wurde war (schlechtes) Hasch aus Pakistan. Das sieht heute wieder anders aus. Ein Bauer aus dem Charbolak-Distrikt im Norden Afghanistans berichtet dem „Institute for War and Peace Reporting“ von zwei Sortierungen von Haschisch, dem hochqualitativen „Shirak“ und dem nicht so guten „Khaka“. Pro Pound (453 Gramm) Shirak könne er 20 Dollar verlangen, pro Pound Khaka 10 Dollar. Die Zwischenhändler liefern das Haschisch dann zunächst nach Pakistan, Iran und Tadschikistan geschmuggelt, von dort aus erreicht es dann die Welt.

Der Anbau ist und bleibt illegal, das Katz und Maus Spiel wird weiter gehen. Die Regierung in Kabul hat angekündigt keine in 2008 keine Ernte zuzulassen. Die Ernte 2007 habe man deshalb nicht zerstört, so die Offiziellen, um den Bauern nicht die Lebensgrundlage zu nehmen. Diese haben auf die Ankündigung schon reagiert – sie wollen wieder Cannabis aussähen. Nebenbei: Im Rahmen ihres ISAF-Einsatzes ist die deutsche Bundeswehr auch in der Region Balkh stationiert. Es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis den Damen und Herren das neue Entspannungsangebot dort auffällt.

 

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Cannabis

Cannabis und Straßenverkehr

Hanfblatt, März 2008

Knüppelschaltung oder Fahrrad

Welche Fehler fahrende Kiffer in Polizeikontrollen und danach machen

Eines der größten Probleme für Menschen, die ab und zu Cannabisprodukte genießen, ist das unfreiwillige Zusammentreffen mit der Polizei. Dies ist vor allem dann unangenehm, wenn neben den möglichen Problemen mit Eltern oder Arbeitgeber plötzlich der Führerschein in Gefahr ist. Aber wer sich einige Regeln und Tipps rund um Rauschhanf und die kraftfahrzeuggestützte Lebensweise zu Herzen nimmt, der lebt weiterhin glücklich und mobil.

schutzmann

Die Landstraße rollt unter einem hinweg, die Sonne lugt zwischen den Wolken hervor, ein geschenkter Tag geht seinen freundlichen Gang. In der nahen Ferne kündigt eine rot-weiße Pilonenreihe Ungemach an. Eine Kelle winkt, man bremst, „Verkehrskontrolle“ steht auf einem dreieckigen Schild. Schon in diesen ersten Sekunden entscheidet sich sehr viel. Erster Tipp: Ruhe bewahren, einmal tief einatmen, langsam ausatmen. Man wird kontrolliert, das heisst zunächst einmal, dass man die Kontrolle behalten soll.

Die Maxime heißt: Den Gegenüber einschätzen, genau so, wie dieser das ja auch tut. Beamte spulen ein Routineprogramm ab, das mit Schubladen arbeitet. 1. Schublade: Das Automobil. Stichworte: Freakiger VW-Bus mit langhaarigen Bombenlegern als Insassen. Alter Mercedes mit Peace-Zeichen. Tiefer gelegter Golf mit wummernden Techno-Bässen. Die Musikwahl kann entscheidend sein, leise Klassik lässt Pflanzen blühen und beruhigt vielleicht Beamtenhirne. Der erste Eindruck zählt. Einige Polizisten sehen es nicht so gerne, wenn man ihnen bei der Kontrolle entgegenkommt und aus dem Wagen steigt. Die USA lassen grüßen, dort muss man sitzen bleiben. Auf der anderen Seite ist Aussteigen proaktives Verhalten und kann damit Teil der angesprochenen Souveränität sein.

2. Schublade: Der Kontrollreigen beginnt fast immer mit der Aufforderung, Fahrzeug- und Führerschein vorzuzeigen. Diese Papiere sollten ohne viel Gefummel zugänglich sein. Oft kommt parallel die Frage, ob man etwas getrunken oder sonstige Rauschdrogen zu sich genommen hätte. Nun muss der Fahrer zwei Dinge gleichzeitig tun, Stresshormone fluten an. Da heisst es wiederum Ruhe bewahren, ruhig antworten, alles vorzeigen. Sind die Papiere in Ordnung, der Beamte aber gelangweilt oder hat er aus irgendeinem Grund Verdacht geschöpft, geht die Aktion in die nächste Runde. Der Verbandskasten dient als Enterhaken, um den Fahrer aus dem Auto zu ziehen. Ein aufgeräumtes Mobil, vor allem aber ein leicht zugänglicher (nicht durch Gepäck verbauter) und vollständiger Verbandskasten sind jetzt wichtig. Letztlich prüft der Beamte damit nicht nur den technischen Zustand des Autos, sondern auch den motorischen Zustand des Chauffeurs. Fast unnötig zu erwähnen: Gerötete Augen sind eine schlechte Sache, unsicheres Verhalten sowieso.

Ist bis hierhin alles gut gelaufen, sollte der Beamte nun eine gute Weiterfahrt wünschen. Fordert der Schutzmann allerdings zum Tanz auf oder lädt gar in den Dienstwagen ein ist die 3. Schublade erreicht. Ab hier weiß man, dass dem Beamten irgend etwas spanisch vorkommt. Schwierig, aber umso wichtiger ist es nun weiterhin die Ruhe zu bewahren. Manches Mal wird dem Proband vorgeschlagen einen motorischen Test zu absolvieren. Beliebt ist beispielsweise das Zusammenführen der Finger auf Nasenhöhe mit gestrecktem Arm. Gerne wird auch der so genannte Romberg-Test angewandt. Dabei soll der Betroffene nach einem Startzeichen der inneren Uhr folgend 30 Sekunden abzählen. Wichtig ist: Kein Menschen muss diese Tests über sich ergehen zu lassen. Die meisten Anwälte raten dazu, diese Tests zu verweigern, vor allem dann, wenn man in der letzten Zeit tatsächlich Cannabis konsumiert hat. Denn fällt man durch wird die Angelegenheit vor Gericht meist noch arger. In manchen Bundesländern ist es durchaus üblich, den Delinquenten bei Verdachtsmomenten gleich vor Ort in ein Röhrchen pinkeln zu lassen oder dessen Haut mit der Drugwipe abzustreichen. Gerne werden auch Feuerzeug, Schlüssel oder Portemonnaie mit den sensiblen Drogen-Detektoren kontrolliert. Wer Stunden vorher wild gebröselt und sich nicht gründlich die Hände gewaschen hat, der wird den Ausschlag auf den Streifen gut erkennen können. Dann ist das Kind in den Brunnen gefallen. In die 4. Schublade sollte man möglichst nicht fallen, denn auf deren Etikett steht „Eindeutiger Kiffer“.

Um vom Kiffer-Verdacht abzulenken geben einige Fahrer an, Alkohol getrunken zu haben, selbst wenn dies gar nicht der Fall ist. Denn: Erwähnt man den Konsum auch nur einer kleinen Menge Bier, Wein oder Wodka Red-Bull sind die Beamten verpflichtet zum Pusten zu laden. Dies kann ein gewitztes Manöver sein, auf der anderen Seite wird die Zeit, die man mit den netten Damen und Herren in Uniform verbringen darf, dadurch erheblich verlängert. Stellt man dabei im Umgang ungeschickt an, wächst die Gefahr auf andere Substanzen überprüft zu werden. Das Zauberwort heißt Souveränität. Und damit ist nicht Selbstüberschätzung gemeint. Dazu neigen viele Kiffer eh nicht, aber seien wir ehrlich: Viele Menschen der heutige Zeit leben polytoxisch, haben also zumeist zum Joint eh ein Bier genossen. Souveränität bedeutet, einen offenen, selbstbewussten Umgang mit den Ordnungshütern zu pflegen. Verhuschtes in die Ecke drücken, verblödetes Gekichere oder fahriges Rumnesteln an Jacke und Portemonnaie sind zu vermeiden. Großkotziges Alki-Gelaber natürlich ebenso. Wer eh zu nervösen Handlungssträngen neigt, sollte sich des schlechten Eindrucks auf Staatsdiener bewusst sein. Gerade jüngeren Polizeibeamten braucht man mit kessen Sprüchen meist nicht kommen.

An dieser Stelle sei der Schauplatz des automobilen Straßenverkehrs kurz verlassen. Denn auch, wenn man als Radfahrer oder Fußgänger mit Gras oder Haschisch von der Polizei aufgegriffen wird, ist der Lappen in Gefahr. Oft gibt die Polizei ihre Erkenntnis über den Spaziergänger an die zuständige Führerscheinstelle (oft das Landratsamt) weiter. Die Damen und Herren dort werden sich nun fragen, ob eine Kraftfahreignung überhaupt gegeben ist und dies gegebenenfalls überprüfen.

Aber zurück zu unserem Auto- oder Motorradfahrer. Der nächste Schritt auf der Eskalationsstufe ist die Blutabnahme durch einen Arzt. Hier hilft kein Zetern, die muss man über sich ergehen lassen. Gemotze und Gejammer hilft sowieso nicht weiter, denn das Blut wird dadurch nicht sauberer. Nachdem man um eine Spritzenfüllung Lebenssaft erleichtert wurde wird man wahrscheinlich mit Bus oder Bahn nach Hause fahren müssen. Es folgen Tage, Wochen und Monate der Unsicherheit, denn die Behörden lassen sich meist Zeit.

Was für Folgen drohen, sollte die Analyse tatsächlich THC im Blut aufgespürt haben? Die Antwort lautet: Es kommt darauf an. Nach rund 2-3 Wochen liegt der Polizei das Ergebnis der Blutuntersuchung vor. Dieses gilt es möglichst schnell in Erfahrung zu bringen, denn davon hängt das weitere Vorgehen ab. Zwei Werte sind entscheidend: Zum einen der Wert der THC-Carbonsäure (THC-COOH). Dieses Abbauprodukt ist im Urin bei starkem Konsum bis zu drei Monate, im Blutplasma bis zu vier Wochen nachweisbar. Zum anderen ist dies der Wert des THC-OH. Dieses Abbauprodukt ist nur wenige Stunden nach dem Konsum nachweisbar, es wird gerne auch „aktives THC“ genannt. Mal ganz abgesehen von den Maßnahmen, die die Polizei vollziehen möchte, weil aus ihrer Sicht eventuell eine Straftat vorliegt – sie wird den Vorgang auf jeden Fall an die Führerscheinstelle weiter leiten. Diese kann drei verschiedene Instrumente einsetzen – und diese sind abhängig von den oben genannten Werten.

  1. Die MPU. Die „Medizinisch Psychologische Untersuchung“ wird durchgeführt, wenn die Damen und Herren vor Ort davon ausgehen, dass der Führerscheininhaber aufgrund seines nachgewiesenen THC-Konsums nicht geeignet ist ein Fahrzeug zu führen. Die MPU besteht aus einem medizinischen Test, einem Reaktionstest, einem Gespräch mit einem Psychologen und einem Drogenscreening. Wichtig ist: In der MPU muss man durch einen sogenannten Abstinenznachweis zeigen, dass man in den letzten Monaten sauber gelebt hat.
  2. Das ärztliche Gutachten. Dieses wird angeordnet, wenn die Führerscheinstelle erst einmal prüfen will, ob eine MPU durchgeführt werden soll. Das ist oft der Fall, wenn nur eine geringe Menge von THC im Blut gefunden wurde. Das Gutachten ist also eine Art Vorstufe zur krasseren MPU. Bei einem ärztlichen Gutachten überprüft ein Arzt über einen längeren Zeitraum, ob man Cannabis oder andere Drogen konsumiert.
  3. Screening. Bei den sogenannten Screenings wird man einmal oder auch mehrmals sehr kurzfristig zu einem Drogenscreening eingeladen.

Einige Fallbeispiele verdeutlichen, was nun folgen kann. Fangen wir mal bei dem kleinstmöglichen Schaden an, nennen wir ihn Fall 1: Die Blutuntersuchung ergab kein aktives THC, wohl aber eine THC-COOH von 3 ng/ml. Damit weiß man, es ist lange her, dass dieser Fahrer gekifft hat. In den meisten Fällen drohen hier keine weiteren Konsequenzen, man darf weiterhin die Gegend mit dem fahrbaren Untersatz unsicher machen. Schon anders sieht es im zweiten der Beispielfälle aus: Findet die Polizei nämlich wiederum kein aktives THC, wohl aber THC-COOH in einer Konzentration zwischen ungefähr fünf und 75 ng/ml ist aus Sicht der Behörden deutlich, dass dieser Fahrer im letzten Monat mindestens einmal, wahrscheinlich aber öfter gekifft hat. Man wird also die Fahreignung anzweifeln und ein ärztliches Gutachten, mit etwas Glück aber keine MPU einfordern. Fall 3: Wiederum kein aktives THC, aber eine Menge von mehr als 75 ng/ml THC-COOH. Konsequenz: Der Lappen wird eingezogen. Die Behörde denkt, dass regelmäßig konsumiert wird, daher wird eine MPU angeordnet. Der vierte und häufigste Fall: Im Blut findet sich sowohl aktives THC wie auch ein Wert von mehr als fünf ng/ml Blut THC-COOH. Damit ist aus Sicht der Beamten klar, dass der Fahrer in den letzten Stunden vor Fahrtantritt einen Joint geraucht hat. Wenn keine erschwerenden Ausfallerscheinungen dazu gekommen sind (Schlangenlinie oder gar ein Unfall) ist dies eine so genannte Verkehrsordnungswidrigkeit. Das bedeutet zunächst: Ein Monat Fahrverbot, vier Punkte in Flensburg, Bußgeld, Auslagen der Polizei bezahlen. Kosten: Rund 600 Euronen. Den Führerschein gibt es erst wieder, ja, man ahnt es, nachdem man die MPU bestanden hat.

Über das geschmeidige Durchgleiten durch diesen legendären Test wurden schon ganze Bücher verfasst, im Internet kursieren Tipps. Das wichtigste ist zunächst einmal: Wer Lust auf mobilen CO-2 Ausstoß hat sollte sofort jeglichen Cannabiskonsum einstellen. Es wäre fatal während einem – auf welche Zeit auch immer befristeten – Fahrverbot munter weiter zu rauchen. Denn im Rahmen der MPU verlangt die Behörde später den Nachweis, dass man mindestens sechs Monate clean gewesen ist.

Die oben genannten Fälle decken nicht das gesamte Spektrum der Möglichkeiten ab, denn die Länderbehörden agieren unterschiedlich. Erschwerend kommt hinzu, wie oben bereits erwähnt, wenn während der Kontrolle Cannabis im Wagen oder am Körper gefunden wurde. Dann ist die Wurst warm, denn die Verwaltungsgerichte berechnen Konsumeinheiten und sind recht erfolgreich darin vor Gericht zu beweisen, dass man viel mehr rauchen würde als man selbst angibt.

Die Fünf „Nie“ im Straßenverkehr

  • Nie unter Cannabiseinfluss ein Auto, Motorrad oder Fahrrad steuern. Verwaltungsrechtlich auf der sicheren Seite ist man erst, wenn zwischen Konsum und Fahrtantritt 48 Stunden liegen.
  • Nie Cannabis im Auto mitführen. Denn das zeigt den Beamten, dass hier anscheinend ein Kiffer fährt und später dem Richter, dass jemand nicht in der Lage war, Konsum und Kraftfahren auseinander zu halten.
  • Nie besonders witzig, besonders eloquent oder besonders sonderlich rüberkommen. Denn: Du-bist-normal.
  • Nie den Konsum von Cannabis oder anderen Rauschmitteln zugeben. Auch nicht, wenn dies ein Monat oder Jahr her ist.
  • Nie vergessen: Das Fahrrad ist nicht nur das Fortbewegungsmittel mit der höchsten Energieeffizienz, seine Aktivierung führt auch zu Fitness und einem Wahnsinns-CO2-Karma.