Kategorien
Drogenpolitik Interviews Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit Professor Sebastian Scheerer

HanfBlatt, November 2004

„Die soziale Realität muß die Normen durch Lächerlichkeit aushebeln“

Eine Unterhaltung zwischen Professor Sebastian Scheerer (S.), dem netten Kriminologen an der Universität Hamburg und den zwei unverdrossenen Mitarbeitern des HanfBlatt, AZ (A.) und Jörg Auf dem Hövel (J.).

Sebastian Scheerer
Sebastian Scheerer

 

J.

Sie weilten eine Zeit in Brasilien?

S.

Richtig. Bei einem Treffen mit einem Landtagsabgeordneten der Grünen Partei, Tota Agra, der aus einer Region im Nordosten Brasiliens kommt, in welcher traditionell Cannabis angebaut wird, ging es auch um den Faserhanf. Ich zeigte ihm Hanfprodukte aus Europa, die hier ja keine so große Besonderheit mehr, dort aber nahezu unbekannt sind. Hanfjacken, Mützen, Hemden, Hanföl und so weiter. Während einer Drogenkonferenz in Sao Paulo stellte er diese Produkte im Foyer aus – das kam riesengroß. Von großen Interesse wäre für ihn garantiert die holländische Grower-Szene. Ich hätte schon Lust mich in dieser Hinsicht einzumischen, aber nach meinem Forschungssemester ist die Zeit knapp. Jetzt steht die Lehre hier in Hamburg im Vordergrund. Ich bin also gar nicht „up to date“ was die Vorgänge in Deutschland angeht. Ist die Kriminalisierung der Cannabis-Samen eigentlich schon durch?

A.

Die ist seit dem ersten Februar Gesetz. Viele Händler haben ihre Samen schon aus dem Angebot genommen, andere verkaufen offen weiter, manche verkaufen Vogelfutter. Contact your local Bird-Shop.

S.

Am Spritzenplatz in Hamburg-Altona gab es einen Grow-Shop, ich weiß nicht, ob Sie den kennen?

J.

Doch, doch, ich wohne da um die Ecke.

S.

Hat der wegen des Samenverbots dicht gemacht?

A.

Ich glaube, der hat sich nicht etablieren können oder ist umgezogen. Es sprießen weiterhin Grow-Shops aus dem Boden.

S.

Und Coffie-Shops? Vor zwei Jahren gab es ja etwa 15 Stück in Hamburg.

A.

Heute eher mehr.

J.

Ich würde schon auf dreißig Stück im Hamburger Stadtgebiet tippen.

S.

Und was ist mit Rigo Maaß passiert?

A.

Nichts mehr gehört. Wenn man sich in diese rechtliche Grauzone begibt, hat man es ja nicht nur mit der Polizei zu tun, sondern auch mit Konkurrenz, mit Leuten die denken, daß hier viel Geld verdient wird. Die kommen dann eventuell auch mal vorbei und wollen was abhaben von dem Kuchen. Zum Teil gibt es ja auch Versuche, das Ganze zu monopolisieren.

J.

Die Coffie-Shop-Szene in Hamburg ist weitgehend in türkischer Hand. Zweieinhalb bis drei Gramm Gras für fünfzig Mark.

S.

Die werden aber mit fünf Gramm ausgezeichnet?

J.

He, he, he.

A.

Teilweise ist es auch mehr. Das geht bis vier Gramm hoch. Die Qualität ist auch unterschiedlich. Bei einigen ist es oft ein dröhniger Skunk, bei manchem anderen hat man schon eine richtige Auswahl, bis hin zu einer Tafel, die mehrere Sorten Hasch oder Gras anbietet.

J:

Es ist ja sehr einfach geworden, Gras anzupflanzen. Mit vier Lampen hat man schnell eine Überschußproduktion, die sich gut über den Laden eines Bekannten vertreiben läßt. Das Geschäft floriert.

A.

Überhaupt haben ja alle Drogen in den letzten Jahren einen Boom erlebt. Cannabis im Rahmen von Grunge, Hip-Hop, Jungle, Dub, Schlager, House und Techno. Fast alle Jugendkulturen haben Cannabis integriert, in manchen kommen dann andere Drogen dazu. Bei den einen Speed, bei den anderen Koks, bei den nächsten LSD oder Ecstasy. Cannabis scheint überall die Basis.

S.

Auch eine ideologische Basis.

A.

Das Wissen um den Hanf ist ebenfalls schnell gewachsen. Saatgut, Lampen, Erde, Anbau, Wirkung der Droge, darüber wußten die Leute früher nicht so gut Bescheid.

J.

Wäre interessant bei Philips oder Osram nachzufragen. Die müssen unglaubliche Absatzsteigerungen verbuchen.

A.

Letztendlich profitieren ganz seriöse Unternehmen davon. Lampenhersteller,

J.

Düngemittelindustrie,

S.

Steinwollehersteller

A.

Pumpenhersteller. Oder die Firma Steimel, die einen Heißluftfön produziert, der ideal zum verdampfen von Gras ist. Die wollen sicher nicht damit in Verbindung gebracht werden, werden sich aber trotzdem die Hände reiben, daß Tausende Kiffer ihren Fön im Baumarkt kaufen.

S.

Jetzt habe ich Sie ja hauptsächlich befragt. Worüber wollen wir denn sprechen?

J.

Ach, daß kann ruhig so weitergehen. Aber ich habe mich gut vorbereitet und einige Fragen notiert. Kann ich Sie nach einem Resümee der Kohl-Ära in Bezug auf die Drogenpolitik fragen?

S.

Warum nicht. Die Kohl-Ära begann 1982 mit der sogenannten „Wende“.

A.

Steinlange her.

S.

Zwei gegensätzliche Strömungen konnten in der Kohl-Ära beobachtet werden. Auf der Ebene der internationalen Konventionen und der Regierungspolitik ist alles schlimmer geworden. Man hat 1988 die Konvention von Wien beschlossen, die zu einer weiteren Verschärfung der Drogengesetze geführt hat. In der Bundesrepublik wurden Anti-Drogen Kampagnen ins Leben gerufen, wie „Keine Macht den Drogen“. Es kam zu einer Ausweitung des sachlichen Geltungsbereichs, wie die Juristen sagen: Immer mehr Substanzen wurden kriminalisiert. Auf der anderen Seite gab es aber eine reale Entwicklung, in die entgegengesetzte Richtung. Es wurde alles viel besser! Die Verfügbarkeit von Drogen ist sehr viel größer geworden. 1982 gab es noch nicht dieses differenzierte Angebot.

A.

Kokain war exklusiven Kreisen vorbehalten. Heute kostet es ein Viertel soviel wie damals.

S.

In der Jugend hat Cannabis einen Aufschwung genommen. Anfang der 80er Jahre war das die Droge der 68er, der alt werdenden Hippies. Inzwischen hat es wieder ein junges Image bekommen. Meine Neffen und Nichten, 15 Jahre alt, nehmen das und sind alle begeistert. Auch über die Symbolik, über die Blätter, darüber, Zuhause so eine Pflanze zu haben. Die Sichtbarkeit der Zubehörindustrie war in den 80ern natürlich auch nicht so ausgeprägt wie heute. Insgesamt kann man sagen, daß Drogen wieder „in“ sind, vor allem bei der jungen Generation. Man kann also in der Zukunft Gutes erwarten. Und das alles unter der Herrschaft eines konservativen Kanzlers und einer Gesetzgebung, die immer mehr an der Realität vorbeiläuft.

J.

Die SPD stand 1982 ebenfalls noch auf einem ganz restriktiven Standpunkt.

S.

Da gab es einen Konsens zwischen Union und SPD. Es gab nur eine Drogenpolitik und die hieß „draufhauen“. Erst später haben sich anläßlich der Methadonfrage und des Besitzes kleiner Mengen von Drogen zwei Richtungen in der Drogenpolitik entwickelt. Auch die Spaltung zwischen Bundespolitik und einer immer selbständiger agierenden Landespolitik fällt in diese Zeit. Die Vorstellung, daß Kommunen eine eigenständige Drogenpolitik machen, gab es Anfang der 80er Jahre noch nicht.

J.

Was ist von einer Regierung mit einem Kanzler Gerhard Schröder zu erwarten?

S.

Tja, ich erwarte da nicht soviel. Die Jusos hatten eine Zeitlang einen sehr rührigen drogenpolitischen Sprecher, Jürgen Neumeyer. Sehr kompetent. Die SPD selbst aber ist komplett puritanisch: anti-alkoholisch und ohne andere Drogen soll es durchs Leben gehen. Die Arbeiterbewegung war noch nie besonders hedonistisch oder post-materialistisch. Die Arbeiter sollen ja fleißig arbeiten und abends noch zum Ortsverein und Protokoll schreiben!

J.

Der aktuelle drogenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag ist Johannes Singer. Und der meint, daß es in einer Gesellschaft keinen vernünftigen Umgang mit Drogen geben kann.

S.

Geschäftsgrundlage des Regierungswechsels ist ja, daß sich nichts grundlegend ändern wird. Es heißt, daß wenn Wahlen was bewirken würden, sie schon lange verboten wären. Dieses Jahr habe ich den Eindruck ganz besonders.

J.

Auf die Grünen/Bündnis 90 kann man auch nicht setzen.

S.

Sehe ich genau so. Da gibt es ja auch sehr schlimme Frustanbeter. Zum Teil herrscht die Einstellung: Naturdrogen gut, Chemiedrogen schlecht. So ein Blödsinn!

A.

Manche Chemiedrogen entpuppen sich als Naturdrogen. Jüngst wies man Amphetamin in einer Akazienart nach. Damit ist auch das Amphetamin, welches als die klassische Chemiedroge galt, im Grunde eine natürliche Substanz. Unser Körper produziert auch Benzodiazepine, damit ist Valium praktisch körpereigen.

S.

Wie man sieht also eine sehr oberflächliche Theorie. Ich schreibe auch lieber mit künstlichen Kulis als mit natürlichem Blut.

A.

Wenn chemische Drogen was bewirken, sind sie ja den körpereigenen Drogen meist sehr ähnlich. Und letztendlich ist die Natur unteilbar, auch was wir in den Chemielabors herstellen gehört zur Natur, nicht nur der Nationalpark Wattenmeer.

S.

Zudem herrscht bei den Grünen noch eine Tradition, die sich gegen eine von außen herbeigeführte Bewußtseinsveränderung stellt. Bewußtseinsveränderung ist danach nur Vernebelung oder Flucht. Die größten Greueltaten der Geschichte werden aber von nüchternen Leuten begangen, nicht von Kiffern.

J.

Krista Sager von der GAL, zweite Bürgermeisterin in Hamburg, wäre ja ein Gegenbeispiel. Sie äußerte, daß die meisten Techniken zur Bewußtseinsveränderung der staatlichen Kontrolle entzogen sind. Sie macht Yoga…

S.

Na ja, sind ja nicht alle blind und blöd, und vielleicht stellen die Grünen in den Koalitionsverhandlungen einige Forderungen in Richtung auf eine vernünftige Drogenpolitik.

A.

Auch die SPD-regierten Länder stimmten dem Gesetz vom 1. Februar zu, das zwar die Verschreibung von Methadon erleichterte, zugleich aber Cannabis-Samen und andere Pflanzen, wie Pilze und Stechapfel illegalisierte, wenn sie denn der Berauschung dienen. Eine weitere Kriminalisierung des Natürlichen.

J.

Ein Schummel-Paket.

A.

Eine heuchlerische Einstellung, die auch für die Zukunft nichts Gutes erwarten läßt.

S.

Meine Hoffnung liegt für die Zukunft weniger in einer wie immer gefärbten Bundesregierung, sondern in einer autonomen Drogenpolitik der Bundesländer. Vor Ort geht es doch darum, die Probleme zu lösen und nicht durch weitere Repressionen weitere Probleme zu schaffen. Eine Fortsetzung der Spaltung zwischen Regierungsrethorik und Gesetzgebung einerseits und tatsächlichen Lebensverhältnissen andererseits wäre nicht das Schlechteste. Die soziale Realität muß die Normen durch Lächerlichkeit aushebeln.

J.

Wie sind die Gerichte in diesem Zusammenhang einzuordnen?

S.

Die spielen eine enorme Rolle. Es gibt ja Gesetze, die einfach nicht durchgeführt werden. Im Falle des Abtreibungsparagraphen 218 hat man jahrelang keine Prozesse gegen Frauen geführt, die abgetrieben haben. Es kam dann zum Skandal, als in Memmingen das erste Mal das Gesetz durchgeführt wurde. Wenn die Gesellschaft es immer lächerlicher findet, mit der Polizei hinter Graskonsumenten hinterherzulaufen, werden auch die Gerichte und die Staatsanwaltschaft das tiefer hängen. Jeder der in Hamburg oder anderen liberaleren Bundesländern in eine Polizei-Kontrolle geraten ist, kann ja davon berichten, daß die Beamten nicht mit aller Schärfe des Gesetzes gegen Kiffer vorgehen.

J.

Wenn man Zeitungen aus Süddeutschland verfolgt, sieht das ganz anders aus.

A.

Und in Sachsen geht die Polizei sehr streng vor. Dort hat sich vor allem Cannabis schnell verbreitet. Theo Baumgärtner befragte in einer Studie Dresdener und Leipziger Studenten. Die sind mittlerweile auf dem selben Genuß-Niveau wie die deutschen Kommilitonen. Und immerhin hat das Landeskriminalamt Sachsen vor kurzem ein Abonnement des HanfBlatt geordert.

S.

Ha, ha, ha.

J.

Sehr schön. Ein kleiner Themensprung: Die große Zeit des Coming-Out von Schwulen ist ja vorbei, wohl auch, weil es unspektakulär geworden ist. Folgt irgendwann das Coming-Out der Wissenschaftler und Drogenforscher, ob und welche Substanzen sie selber genießen?

S.

Ein schwuler Kollege, auch Kriminologe, veröffentlichte gerade einen Artikel, in welchem er darauf hinweist, daß er im Jahre 1984 auf Seite soundso eines Buches geschrieben hatte, daß er schwul ist. Die Drogenforscher in der Kriminologie haben das noch nicht geschafft zu sagen, was sie wann nehmen. Das Coming-Out läßt hier noch auf sich warten. Nun muß man aber sagen, daß 1984 die Homosexualität schon Jahre lang entkriminalisiert war und wir wohl erst die Zeit nach der Freigabe mit einem wunderschönen Sammelband rechnen dürfen, mit dem Titel „Drogenforschende Rauschgiftesser erzählen“ – oder „Rauschgiftessende Drogenforscher“ !?! Da gibt es doch lustige Geschichten. Ich erinnere mich daran, wie ich einmal mit einigen weltberühmten Legalisierern in einer eleganten Hotelsuite saß und die Utensilien für einen Joint immer weiter gereicht wurden, weil keiner in der Lage war einen Joint zu drehen. Extrem peinliche Sache.

A.

Ich bevorzuge als Nichtraucher auch die Pfeife. Grundsätzlich wünsche ich mir, daß man offen über die positiven und negativen Seiten -die ja alles hat- diskutiert. Und jeder ist ja unterschiedlich, dem einen gefällt die Droge nicht, dem anderen gefällt sie halt. Ein Abend mit Bier kann auch in einer Katastrophe enden. Wenn man es wissenschaftlich betrachtet, sind die meisten Substanzen nicht so gefährlich, wie sie in den Medien und der Anti-Drogen Propaganda dargestellt werden. Mit einem ehrlicheren Dialog ist auch den Gefährdeten besser geholfen.

S.

Es gibt ja selbst unter Wissenschaftlern die Unsitte, den Verteufelungsdiskurs einen Schönwetterdiskurs entgegenzusetzen. Nach dem Motto: Cannabis ist völlig ungefährlich. Das eine ist so unhaltbar wie das andere.

J.

Was dem Coming-Out von Forschern ja entgegensteht ist ein Problem, welches schon in der wissenschaftlichen Diskussion um LSD in den sechziger Jahren virulent war. Da konnte man als Forscher irgendwann nicht mehr zugeben, daß man selber Kontakt zu der Droge hat, weil die Fachkollegen die Objektivität in Frage gestellt haben.

A.

Die Erfahrung sollte -so der Vorwurf- die Rationalität für den Rest des Lebens in Frage gestellt haben. Schubladen sind halt sehr hilfreich. Ich habe Sie vor einigen Jahren bei einer Diskussion mit Sozialarbeitern erlebt, in welcher es um Kokain ging. Da haben Sie die relative Harmlosigkeit von Kokain herausgestellt.

S.

Das kam nicht so gut an.

A.

Stimmt. Die Sozialarbeiter haben ja ihre Klientel, ehemals Heroinabhängige, substituierte Methadonkonsumenten. Deren Sucht ist ja nicht mit einer Substanz zu heilen. Viele Leute haben ihre Schwierigkeiten auf Kokain verlagert, das sie nehmen, um ihren Kick zu kriegen und sie klauen und prostituieren sich nun, um Kokain zu kaufen. Für die Sozialarbeiter ist da jetzt Kokain der Dämon. Die sehen nicht die zahllosen von Freizeitkonsumenten, die mit der Droge umgehen können.

S.

Wenn ich mit stationär behandelten Alkoholikern zu tun habe, dann habe ich auch ein anderes Bild von Alkohol, als wenn ich und mein Freundeskreis ab und zu am Abend Wein genieße. Man müßte die Ambivalenz dieser Drogen und die Bedeutung des richtigen Umgangs mit ihnen klar machen und einüben. Und das muß bei den Kindern beginnen. Es kann ja nicht sein, daß einem ausgerechnet vom Staat ein bestimmter Lebensstil vorgeschrieben wird. Es gibt ein wunderbares philosophisches Buch dazu. Es handelt sich um „Drugs and Rights“ von Douglas N. Husak.

J.

Zurück zur Forschung. Die Diskussion hakt ja auch an dem Umstand, wie Wissenschaft heute immer noch betrieben wird. Da steht auf der einen Seite der Forscher und auf der anderen Seite das Objekt seiner Betrachtung. Den Rausch nur anhand objektiv feststellbarer Veränderungen der Transmitterausschüttungen im Gehirn zu analysieren ist eine Sache. Der interpretative Weg, was das für das einzelne Individuum bedeutet, ist doch was ganz anderes, sollte aber meiner Meinung nach als gleichberechtigter Forschungsbereich neben der objektiven Betrachtung stehen.

S.

Der Nachfolger von Professor Schmale im Institut für Psychologie an der Uni Hamburg, hat vor kurzem eine Tagung veranstaltet mit dem Titel: „Introspektion als Forschungsmethode“. Man katapultiert sich ja nicht automatisch aus der Wissenschaft heraus, wenn man über sich selber nachdenkt und versucht, sich selber zu erkennen. Im Gegenteil, daß ist eine legitime Quelle des Wissens und ich muß halt auch hier sehen, welche Methoden ich dazu anwende. Die Betroffenenperspektive hat ein Potential, mit der man in Ecken von Realität kommt, die anderen verborgen bleiben.

A.

Es kursiert ja der Verdacht, daß Drogengegner und Prohibitionisten nicht bereit sind, sich mit sich selber auseinanderzusetzen. Dieser These nach unterdrücken sie etwas in sich, was sie dann in die Außenwelt projizieren um dann dort andere Menschen für ihr abweichendes Verhalten bestrafen zu wollen.

S.

Plausibel.

J.

Die Systemtheorie glaubte ja schon, die Subjekt-Objekt Trennung überwunden zu haben, indem sie alles als ein großes Gewebe betrachtet, was miteinander verbunden ist. Gleichwohl betrachtet sie die Welt als Objekt und fragt nach Funktionen. Als Beispiel fragen sie nach der Funktion des Drogenkonsums bei Indianern im Regenwald. Sie entdecken dann, daß dies die Gemeinschaft zusammenhält, soziale Spannungen löst und so weiter. Wenn man sich dagegen als teilnehmender Beobachter in die Stammesgemeinschaft begibt, wird man gänzlich anderes entdecken, beispielsweise, daß hier die Verbindung zur Natur, Verstorbenen Mitgliedern oder höheren Wesen gesucht wird.

S.

Da sagt dann die Perspektive von draußen mehr über den Beobachter als über das Beobachtete.

A.

Deutlich wird das ebenfalls bei Reiseliteratur. Die sagt oft mehr über die psychische Verfassung des Reisenden aus, als über die Menschen, denen er begegnet. Der Forscher schützt sich durch seine Methoden vor dem Chaos, dem Tumult, in den er sich begibt. Er notiert Namen, sortiert Beziehungen, katalogisiert alles, was ihm in die Quere kommt.

S.

Angst. Unter Wissenschaftlern gibt es mehr Angst als auf der Achterbahn. Es gibt ein viel zitiertes und heute immer weniger gelesenes Buch von George Devereux, „Angst und Methode in den Verhaltenswissenschaften“, der diesen Zusammenhang gut aufbereitet.

A.

Wenn man es auf die Spitze treibt, kann man fast sagen, daß Wissenschaft in dieser Form was Zwanghaftes hat. Der zwanghafte Wunsch, die Welt zu kontrollieren, in Systeme zu zwängen und dort zu halten.

J.

Cannabis als Medizin. Da wird jetzt viel geforscht und so kommt Bewegung ins Spiel.

S.

Eine gute Entwicklung. Und nur ein Beispiel dafür, daß die Betäubungsmittelgesetzgebung in vielfacher Hinsicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet hat. Selbst wenn man zugestehen würde, daß Drogen nicht zu hedonistischen Zwecken gebraucht werden sollten, sagen doch die internationalen Konventionen, daß sie selbstverständlich die Befriedigung des medizinischen Bedarfs garantieren sollen.

A.

Da steckt eine verrückte Ideologie hinter. Die Natur bietet ein Konglomerat von Substanzen und im Cannabis tummeln sich über 500 verschiedene Inhaltsstoffe. Warum man nun nur das reine THC anwenden darf, ist doch völlig unklar. Gerade die anderen Inhaltsstoffe nehmen dem THC einen Teil der möglicherweise unangenehmen Nebenwirkungen. Es gibt Jahrtausende alte Erfahrungen mit der Pflanze Cannabis.

S.

Das ist dieses auf die Spitze getriebene analytische Denken.

A.

Da hat man Milligramm, rechts-oder linksdrehend und dann ab in die Kapsel.

J.

Und dahinter stecken auch finanzielle Interessen der Pharma-Industrie.

S.

Eine absurde Idee, Dinge, die seit Jahrtausenden zu medizinischen, sakralen oder hedonistischen Zwecken genutzt werden, einfach zu verbieten und allen Ernstes zu erwarten, daß alle Menschen auf der Erde sich daran halten.

Da werden Gesetze geschaffen und später muß man sehen, wie man die Folgen dieser Gesetze durch neue Gesetze in den Griff kriegt. Eine Flut von Verordnungen ist die Folge. Und irgendwann hat man sogenannte Drogengelder, die durch den Verkauf von Drogen eingenommen wurden. Wenn ich bei ALDI meinen Wein kaufe sind das ja auch keine Weingelder, bei Käse kein Käsegeld. Zu sagen, alles Geld was mit dem Drogenhandel in Beziehung steht, ist kriminell erwirtschaftet, ist Hexenverfolgung pur. Und wie wahnsinnig es ist, begreift man nur deshalb nicht mehr, weil es herrschende Ideologie ist. Doch die Realität bewegt sich von den Normen weg. In Richtung, Autonomie, Differenz, Pflege des Selbst und der Solidarität unter Drogennutzern. Das schafft viel positive Energie.

J.

Ein gutes Schlußwort. Danke sehr für das Gespräch.

Kategorien
Drogenpolitik Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit Jon Hanna über die neuen Entwicklungen auf dem Gebiet der unerforschten Substanzen

HanfBlatt, November 2004

Jon Hanna ist Autor und Herausgeber der „Psychedelic Resource List“, die nun in ihrer vierten Auflage erschien, einem Kompendium psychedelischer und halluzinogener Substanzen. Im Gespräch geht es um die neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet der psychoaktiven Substanzen, den ethnobotanischen Kräutermarkt und – wie so oft bei US-Amerikanern – den „Krieg gegen Drogen“.

Frage:
Als langjähriger Autor im Bereich der psychedelischen Substanzen hast du Zugang zu aktuellen Forschungsergebnissen. Was sind die relevanten Entdeckungen im wissenschaftlichen Studium der so genannten „research chemicals“, der „forschungsoffenen Substanzen“?

Hanna:
Die Bezeichnung „research chemicals“ bezieht sich meist auf Tryptamine und Phenethylamine, die nicht spezifisch im Betäubungsmittelgesetz der USA stehen. Während Drogen wie Meskalin oder Psylocybin verboten sind, stehen vergleichbare Substanzen wie 2C-I und 4-AcO-DET noch nicht auf der Liste der illegalen Drogen. Diese Substanzen sind zwar verboten, aber eben nur, wenn jemand sie für den Konsum verkauft oder sie jemand nutzt, um davon High zu werden. Es ist eine seltsame Art von Graubereich. Diese Chemikalien können zu Forschungszwecken genutzt werden, aber nicht, wenn die Erprobung das High-Werden beinhaltet.

JonHannaDie US-Regierung geht nicht besonders hart gegen diese Substanzen vor. Warum, denkst du, greift der Staat hier nicht stärker durch?

Um ehrlich zu sein, bin ich selber überrascht, dass die Behörden die vertreibenden Firmen nicht aggressiver verfolgt. Wahrscheinlich befindet sich die DEA (Drug Enforcement Administration) in einer Datenerfassungsphase und beobachtet diejenigen, der in diesem Bereich verkaufen oder kaufen. Jedoch ist dies nicht das ganze Bild: Einige dieser Substanzen sind nicht besonders interessant, andere haben frappante Nebenwirkungen. Diese beide Tatsachen führen zu einem geringen Verbreitungspotenzial, der Grund zum Durchgreifen ist also gering. Aber hin und wieder wird eben doch eine Substanz entdeckt, die der Masse als „neue“ Form von Ecstasy (MDMA) verkauft werden kann.

Was mit 5-MeO-DIPT geschah.

Exakt. Diese Substanz kam sogar zur Ehre eines Berichts im „Playboy“, mit dem Fokus auf die aphrodisierenden Eigenschaften. „Foxy Methoxy“, wie es gerne genannt wird. Dort, zwischen den Seiten mit nackten Frauen, ist ein Bild von Sasha Shulgin, wie er in einer Phiole irgendwas braut! Wenn eine „neue“ Substanz viel Aufmerksamkeit von der Mainstream-Presse erfährt oder wenn die Raver-Szene darauf einsteigt, dann wird die Chance erheblich größer, dass sie kurz darauf verboten wird. Momentan ist mir kein solcher Hype bekannt. Es gibt jedoch ständig Fortschritte, immer vorangetrieben von denen, die gerne damit experimentieren. Jüngst wurde der Effekt einer pharmazeutische Ketamin-Creme entdeckt, die als schmerzstillende Salbe verschrieben wird. Als Einlauf genommen führt diese Salbe zu ähnlichen Effekten wie die intramuskuläre Injektion.

Hui, das klingt nach der großen Hafenrundfahrt. Und was tut sich im Untergrund bei der Erforschung der entheogenen Pflanzen?

Vor kurzem sind einige einfache Extraktionsprozesse, die durch jeden Küchenchemiker oder Keller-Schamanen durchgeführt werden können, veröffentlicht worden. Darunter war die Extraktion von Psilocybin und Psilocin. Mit 140 Proof-Äthanol und einem Prozess von Extraktion, Abkühlung, Dekantieren und Einfrieren kann ein relativ reines Puder hergestellt werden. Yachaj Paye berichtet davon in der Herbstausgabe der „Entheogen Review“.
Obwohl die Erforschung von „Salvia Divinorum“ keine Untergrundtätigkeit im engeren Sinne ist, da der Gebrauch in den meisten Ländern legal ist, werden die meisten Entdeckungen von Fans der Substanz und nicht von offiziellen Wissenschaftlern gemacht. Ein schneller Extraktionsprozess für relativ reines Salvinorum A. mit Hilfe von Aceton wurde letztes Jahr im Netz veröffentlicht. Und Daniel Siebert, das ist derjenige gewesen, der endgültig feststellte, dass Salvinorum A die Substanz ist, die für die Psychoaktivität von „Salvia Divinorum“ verantwortlich ist, beschreibt einen weiteren zügigen Extraktionsprozess. Der funktioniert mit Chloroform.
In den vergangenen Jahren wurde eine Anzahl von neuen Chemikalien aus dem Göttersalbei purifiert. Die meisten von diesen kommen nur in Spuren in der Pflanze vor. Siebert, wiederrum einen Schritt weiter gehend als alle vor ihm, hat nun die Wirkung von Salvinorum B und Salvinorum C im menschlichen Körper erprobt. Unglücklicherweise ist weder B noch C psychoaktiv, zumindest nicht in den Dosen, in denen Salvinorum A wirkt. Er nahm bis zu vier Gramm vaporisiertes Salvinorum B und bis zu drei Gramm Salvinorum C zu sich. Nichts. Wir erinnern uns: Salvinorum A ist schon bei Dosen unter einem Milligramm psychoaktiv.
Auch in der „Untergrund-Szene“ folgt der Forschung der Kommerz. Es gab im letzten Jahrzehnt eine explosionsartige Ausbreitung von Firmen, die halb legale psychoaktive Pflanzen verkaufen. Das Internet bietet die nötigen Informationen, der Enthusiasmus für Entheogene wächst und parallel dazu die Anzahl der Leute, die mit dem wachsenden Markt Geld verdienen möchten. Botanisch spezialisierte Firmen wollen vom nächsten großen Hype zu profitieren.

Diese Firmen konzentrieren sich zum Teil auf relativ obskure Pflanzen, weil das Seltene, Neue oder Ungewöhnliche die Leute anzieht.

Ja, vor kurzem sahen wir das bei „Kratom“, lateinisch „Mitragyna Speciosa“ genannt. Die Pflanze verursacht Effekte wie wir sie von Opiaten kennen. Es scheint so, dass dies an einem Indol-Alkaloid liegt, Mitragynin, welches nur in dieser Pflanze vorkommt. Die chemische Struktur ist mit Psilocybin verwandt, dennoch erzeugt „Kratom“ keine psychedelischen Effekte, jedenfalls nicht in den bisher getesteten Dosierungen. Leider ist die Pflanze in ihrem Ursprungsland, nämlich Thailand, illegal. Folglich ist es schwierig „Kratom“ zu exportieren, obwohl es in den meisten Teilen der Welt legal ist.
Wohl wissend, dass die Pflanze begehrt, aber schwer zu bekommen ist, flutete ein Franzose den botanischen Markt mit einer großen Menge getrockneter Blätter, von der er behauptete, es wäre „Kratom“. Daniel Siebert erkannte allerdings, dass die Blätter nicht der botanischen Beschreibung der Pflanze entsprachen, und schlug vor, dass ich die Leute vor dem Kauf der Blätter öffentlich warnen sollte. Ich beschaffte mir einen Referenz-Standard von Mitragynin Picrate von einer Pharma-Firma aus England und schickte diesen Standard und das vorgeblich „Kratom“ zu diversen Chemikern zum Testen. Es stellte sich heraus, dass die Refernz aus England Mitragynin enthielt…

… was zu erwarten war…

… der Scheiß aus Frankreich aber überhaupt kein Mitragynin enthielt. Nun gab es also nicht nur den botanischen, sondern auch den chemischen Beweis, dass die Blätter unkorrekt etikettiert waren. Mehr über diese Untersuchung findet sich in einer PDF-Datei auf der Webseite der Entheogen Review.
Leider arbeitet der ethnobotanische Markt auf unprofessionelle Weise, es existiert keine Qualitätskontrolle und keine staatliche Organisation wacht über die Anbieter dieser Produkte. Verbraucherschützer, so wie ich, sind gezwungen diese Art von Untersuchungen zu finanzieren und durchzuführen. Ich sollte vielleicht noch anmerken, dass korrekt gekennzeichnetes „Kratom“ jetzt in einigen Online-Shops erhältlich ist.

Kratom
Kratom

Ist diese Art von Desinformation im ethnobotanischen Kräutermarkt üblich?

In den meisten Fällen agieren die Leute ehrlich, wenn Fehler passieren, dann aus Versehen. Aber eben nicht immer. Erinnere dich an die Ereignisse mit dem mutmaßlichen „Lagochilus Inebrians“. Das kommerzielle Interesse an dieser Pflanze gründet auf einer kurzen Erwähnung in „Pflanzen der Götter“ von Richard Evan Schultes und Albert Hofmann. Aus psychoaktiver Sicht ist das vermutlich keine besonders interessante Pflanze; der Effekt ist mild sedativ und blutdrucksenkend. Aber allein die Tatsache, dass es ein Diterpenoid, nämlich Lagochilin, enthält und Salvinorium A ebenfalls ein Bestandteil von Diterpenoid ist, ließ die Händler aufhorchen. Ein paar Kilos getrockneten Materials tauchten jüngst in den USA auf, aber es stellte sich heraus, dass die Kräutermischung eine plumpe Fälschung war, sie stammte nicht einmal aus derselben botanischen Familie wie „Lagochilus“. Dankbarerweise wurde in diesem Fall die weitere Verbreitung des Produkts verhindert. Traurig war nur, dass der Verkäufer des Materials, ein gewisser Dr. Ashley Minas aus Russland, die Rückzahlung des Geldes für das falsche Kraut verweigerte. Wie bei „Kratom“ auch wird auch das originale Kraut wohl bald korrekt vermarktet werden, obwohl es zu früh ist, hierüber endgültige Aussagen zu treffen. Seltene Kräuter, gerade wenn sie getrocknet und zerkleinert sind, können sehr schwer korrekt zu identifizieren sein.

Lass uns von der Produktion zum Konsum übergehen. Der Genuss jeder Substanz birgt auch Gefahren. Stellt das alte Konzept von „Set und Setting“ noch immer den Kern der Risikovermeidung dar?

Die Berücksichtigung von „Set und Setting“, also der Erwartungshaltung und geistigen Situation der Person und die Umgebung, in der die Droge eingenommen wird, stellen nach wie vor die goldene Regel dar, speziell bei Psychedelika. Aber es gibt einen dritten Aspekt, den die frühe LSD-Forscherin Betty Eisner in die Diskussion einbrachte und welcher nie die verdiente Aufmerksamkeit erhielt. Dieser Aspekt wird „Matrix“ genannt und zielt auf die soziale Gemeinschaft, die die konsumierenden Person umgibt. Es muss eine Gruppe von unterstützenden, verständnisvollen und erfahrenden Leuten da sein, die eine Atmosphäre schafft, in der die psychedelische Erfahrung gelebt werden kann. Manchmal geraten Psychonauten in ein Muster des sich oft wiederholenden Konsums, ohne vorteilhafte Änderungen an ihrem Leben vorzunehmen. „Instanterleuchtungen“ durch eine Pille sind eine feine Sache, aber diese halten nicht an und berühren das nicht-trippende Leben nicht, wenn nicht daran gearbeitet wird. Wieder und wieder High werden zu wollen kann zu einer Krücke werden, eine Krücke, die vergessen lässt, dass eine innere Arbeit, eine Art Nachbereitung, im nüchternden Zustand erfolgen muss. Ich denke dass die „Matrix“ ebenso wichtig wie „Set und Setting“ ist, wenn nicht sogar wichtiger. Wir brauchen Menschen um uns herum, die uns die Erlebnisse in wertvoller Weise integrieren helfen, so dass wir uns positiv weiter entwickeln.

Gibt es neue Entwicklungen in der Risikominimierung beim Drogengebrauch?

Sicher, es gab große Fortschritte in den letzten Jahren, dafür sind Pillentests ein gutes Beispiel. Diese geben zumindest eine Ahnung davon, ob die auf einem Rave oder der Straße gekaufte Pille wirklich die gewünschte Substanz beinhaltet. Desinformation ist ein gefährlicher Aspekt des „War on Drugs“: Es ist doch völlig absurd zu behaupten, das die Drogen-Verbotsgesetze dafür da sind eine gesündere Gesellschaft schaffen zu wollen! Was die Prohibition wirklich verursacht ist eine Gesellschaft, in der der Konsument unnötige Gesundheitsrisiken auf sich nehmen muss. Pillen werden zum Teil nicht vorschriftsgemäß hergestellt, oftmals führen die schlechten Laborbedingungen zu einer falschen Synthese oder Verunreinigungen im Endprodukt. Eine standardisierte Produktion in einem kontrolliert pharmazeutischen Labor würde dieses Problem aus der Welt schaffen.
Und dann ist dort noch die Frage, wie hoch die verkaufte Dosis tatsächlich ist. Durch wie viele Hände ist das Produkt gegangen und wie sehr wurde es gestreckt? Und mit was? Die einfachen, auf dem Markt erhältlichen Pillentests können diese Fragen nicht alle beantworten, aber sie geben zumindest eine Idee davon, was ich mir da zuführe. Trauriger Weise schlagen skrupellose Dealer zurück. Beispielsweise beinhalteten einige Pillen 10 % MDMA und 90 % Koffein oder Pseudoephedrin. Ein einfacher Drogentest zeigt nur an, dass die Pille MDMA enthält, nicht aber, was deren Hauptbestandteile sind. Jüngere Konsumenten gewöhnen sich an die schwachen Dosierungen und nehmen teilweise zehn oder mehr dieser Pillen, um die erwünschten Effekte zu erzielen. Was aber ist mit den Wirkungen von Koffein und Pseudoephedrin? Und was ist, wenn der Konsument an eine voll dosierte, reine Pille gerät, von der er oder sie wie üblich zehn nimmt?

Die gesundheitlichen Auswirkungen des „War on Drugs“ liegen offen dar.

Es ist traurig, aber die fatalen Folgen dieser Politik haben sich immer noch nicht weit genug rumgesprochen. Unterstützt wird der Irrsinn auch noch durch staatlich geförderte Forscher, die fehlerhafte Daten veröffentlichen, so wie das bei Dr. George Ricaurte der Fall war. Ricaurtes Versuche an Ratten führten ihn zu dem Schluss, dass eine einzelne Dosis MDMA schwere Schäden am Dopamin-Haushalt verursachen kann. Sein Report führte zu verschärften Gesetzen gegen MDMA in den USA. Später stellte sich die Untersuchung als völliger Humbug heraus, denn man hatten versehentlich Methamphetamin genommen, was erheblich potenter ist, statt MDMA. Als der Fehler entdeckt wurde, gab Ricaurte zu Mist gebaut zu haben, aber die Gesetze waren schon verabschiedet. Im Endeffekt kommt als Nachricht bei drogeninteressierten Jugendlichen an, dass die Regierung sie eh nur anlügt und die Drogen ungefährlich sind. Aber sie sind eben nicht völlig ungefährlich. Die Folge: Es entsteht ein Klima des Misstrauens, denn aus Sicht der Kinder und Jugendlichen sind Erwachsene Lügner. Der sich entwickelnde Groll dient später eventuell dazu, die eigene Unehrlichkeit zu rechtfertigen. Was für eine beschissene Welt bauen wir da für unsere Kinder?

Um das einseitig negative Bild, welches die Regierungen über Drogen in die Welt setzen, zu bekämpfen, müssen da eventuell die Menschen, die von ihren Drogenerfahrungen profitiert haben eine Art positive Gegenpropaganda kreieren?

Genau. Das führt gut zu dem anderen Bereich meines Interesses: der psychedelischen Kunst. Das Kunst durch Psychedelika inspiriert wird ist alltäglich. Dieser „Kunststil“ wird von Leuten angewendet, die daraus Werbefilme im TV für Süßigkeiten, Getränke oder auch Autos kreieren. Immer mehr Künstler nutzen psychedelische Drogen als Werkzeug für die Inspiration und sind auch bereit, darüber offen zu reden. Das Thema „Psychedelika“ ist in diversen Produkten der Popkultur gegenwärtig. Ob in Episoden bei den „Simpsons“ oder den „X-Akten“ oder als Basis für ein Drehbuch, man denke an die „rote Pille“ in „The Matrix“.
Einige zeitgenössische Künstler haben an Filmen mitgewirkt, wie beispielsweise H.R. Giger, der das Design für „Alien“ entwarf oder der Kanadier Luke Brown, der jüngst von Steven Spielberg für dessen neuen Film angestellt wurde.
Aber auch in Bereichen abseits der hohen Künste spielen psychedelische Substanzen bei kreativen Prozessen eine Rolle. So hat etwa der Träger des Chemie-Nobelpreises von 1993, Kary Mullis, in seiner Autobiografie die Welt wissen lassen, dass seine Entdeckung der Polymerase Kettenreaktion (PCR) zur DNA-Synthese auf den Einfluss von LSD zurückgeht. Mark Pesce, Mitautor der Virtual-Reality Programmiersprache VMRL, gab zum Besten, dass ihm die Idee zu dem Code auf LSD kam, mehr noch, dass er LSD danach weiterhin nutzte, um den Code weiter zu entwickeln. Überhaupt war die gesamte Personal Computer Revolution von LSD angetrieben. Mensch, selbst Bill Gates von Microsoft sprach in einem Interview offen über seine LSD-Erfahrungen.
In meinem Leben agieren psychedelische Drogen als ein Fenster zu Wissensbereichen, an denen ich vorher wenig Interesse hatte: Botanik, Chemie, Geschichte, Studium von Religionen, Anthropologie und Soziologie, um nur einige zu nennen. Für mich ist klar, dass psychedelische Drogen ein wertvolles Werkzeug für positive Veränderungen sein können, persönlicher und gesellschaftlicher Art. Unser Job ist es, die „richtige“ Einstellung zu fördern. Wenn wir dies tun, so hoffe ich, beenden wir auch die herrschende falsche Einstellung gegenüber diesen Werkzeugen.

 

Kategorien
Psychoaktive Substanzen Specials

Pilze. Ein Special.

HanfBlatt, November 2004

SPASS ATTACKS

Die Invasion der lachenden Pilze

Auf dem Planeten Erde wurden bis dato etwa 1700 Atombomben gezündet, einige davon überirdisch, Atompilze, mit der tausendfachen Sprengkraft von Hiroshima. Ist das lustig? Wohl kaum. Aber Politiker, die für dergleichen verantwortlich sind (,und für noch viel mehr,) erdreisten sich, spezielle Inhaltsstoffe zahlreicher frei und unvorhersagbar in der Natur spriessender Pilze zu verbieten und deren KonsumentInnen damit in die Kriminalität zu drängen. Dabei können diese „Lachenden Pilze“, wie eine Art im Japanischen genannt wird, bei ihren KonsumentInnen nicht nur Lachstürme über die Absurdität des Seins und Glücksgefühle in tiefer Verbundenheit mit dem Körper, sich selbst, der Schönheit und Energie des Natürlichen und Frohsinn im Vorstoß zu den Urgründen der Gemütlichkeit, hervorrufen, sondern auch tiefe persönliche Erfahrungen bis ins poppende spirituelle Mark hinein (erschütternd) katalysieren. In dieser Hinsicht stehen sie dem Lysergsäurediäthylamid nicht nach, auch wenn sie nur gerade mal halb solange wirken, sehr ähnlich, aber doch irgendwie ganz anders. Pilze

Pilze, die die Wirkstoffe Psilocybin und Psilocin enthalten, erfreuen sich eines außerordentlich guten Rufes. Ihr Konsum erlebt seit einigen Jahren einen enormen Boom. Vielleicht handelt es sich mittlerweile um die verbreitetste psychedelische Droge noch vor dem halbsynthetischen LSD. Pilze stehen für Natur. Viele KonsumentInnen entwickeln zu ihnen eine ganz persönliche Beziehung. Es ist schwer zuoft Pilze zu nehmen. Sie weisen selbst ein individuelles Limit. Man merkt, wann erst einmal wieder genug ist. Psychisch unvorbereitet eingenommene Pilze sind nicht unbedingt ein gelungener Partygag. Sind Cannabisspeisen schon bedenklich, weil schwer einzuschätzen und nicht für jederman gleichermaßen gut verträglich, kann eine ahnungslos verspachtelte Pilz(über)dosis zu einem Horrortrip mit panischen Ängsten werden und aus Verzweiflung im Krankenhaus enden, dem denkbar ungünstigsten Ort für den Ausklang einer danebengegangenen Seelenreise.

Psilocybin
Psilocybin

Körperlich sind Psiloc(yb)inpilze im allgemeinen gut verträglich. Es kann bei einigen Leuten zu Magenbeschwerden und Übelkeit kommen. In Einzelfällen wurde auch von Kreislaufproblemen berichtet. Man kann aber davon ausgehen, daß von den richtig identifizierten gängigen Psilos (, wie sie liebvoll genannt werden,) selbst in höheren Dosierungen keine gesundheitlichen Risiken für den Körper ausgehen. Die verspeisten Mengen wildgewachsener Pilze sind üblicherweise so gering, daß selbst Umweltschadstoffe kaum zur Geltung kommen dürften. Der Rahmen für die Einnahme der Psilos muß stimmen. In Mexiko werden sie rituell in Heilungszeremonien unter Anleitung einer Schamanin oder eines Schamanen eingenommen. Das sollte uns zu denken geben. Ungestörter Freiraum mit Selbstentfaltungsmöglichkeiten, freundliche natürliche Umgebung bei gutem Wetter, vertraute erfahrene Freunde usw. sind eine gute Basis für eine Pilzreise, auf der sich die Seele öffnen soll. Dann klappt´s nicht nur mit dem Nachbarn, dann kommt vielleicht auch der Spaß nicht zu kurz.

Allseits bekannt ist mittlerweile das alljährliche herbstliche Erscheinen der kleinen Spitzkegeligen Kahlköpfe (botanisch Psilocybe semilanceata) auf unseren Wiesen und Weiden. Selbst an städtischen Strassenrändern, auf Heuballen, an Bundeswehrschießbahnen und dergleichen mehr wurden sie gesichtet und gesammelt, versteht sich von selbst. Typischerweise aber sondiert der meist städtische Pilzjäger vom Auto aus das Terrain, während er im Schleichtempo durch wenig befahrene Seitenwege in der stadtnahen ländlichen Provinz tuckert. Diese Wiese, etwas geschützt am Waldesrand mit kurzem, teils verrottendem und büschelweise wachsendem Gras, leicht uneben, von friedlichen Kühen oder gar Pferden beweidet, ja, die könnte in Frage kommen. Einmal als spitzkegelhöffig entdeckte Biotope werden dann regelmäßig wieder aufgesucht, bis die Grundstücksbesitzer an jeder Seite der Koppel Verbotsschilder anbringen. So erging es zumindest einer beschaulichen verschachtelten stadtnahen Weide, der Heimstatt eines neugierigen Pferdes. Sie wurde Anfang der Achtziger Jahre, beim Besuch zweier an ihrem Rande gedeihender Hanfpflanzen mit einem grüneheckeguerillagrowenden Freund durch Zufall entdeckt und erlebte im nächsten Jahr, durch Mund zu Mund-Propaganda in der Vorstadt populär geworden und zum Volkspilzsammelplatz aufgestiegen, ihren Count down. Dabei hatten wir längst ein paar Feldwege weiter rund um einen Pfadfindergrillplatz eine bei weitem ergiebigere Wiese entdeckt. Und in Zukunft radelten wir mit eingezogenen Köpfen an dem gutbesuchten Ausflugsziel vorbei, auf daß uns keiner erkenne und etwa heimlich die Verfolgung aufnehme. Denn es ist ein Geschenk, eine besondere Ehre, wenn Dir jemand seine ganz spezielle Wiese zeigt. Aber man weiß ja nur zu gut, daß sowas gern mit gierigen Füssen getreten wird.

Wer einmal ausgiebig Spitzkegelige Kahlköpfe gemeinsam mit einem erfahrenen „Fachmann“ gesammelt hat, wird keine allzu großen Schwierigkeiten mehr bei der Identifikation dieser charakteristischen Zipfelmützen haben. Alle Pilze, bei denen auch nur der leiseste Zweifel an ihrer Identität besteht, werden selbstverständlich verworfen. Die spitzkegeligen Kahlköpfe gelten als relativ gleichbleibend hochpotent. Kleine Pilze sollen etwas potenter sein als die größeren. Bei Analysen getrockneter Pilze wurden Psilocybingehalte um die 1% ermittelt. Da Psilocybin verhältnismäßig beständig ist, lassen sich die Pilze getrocknet, luft- und lichtabgeschlossen zu 1 Gramm-Päckchen verpackt und tiefgefroren ohne allzu großen Wirkungsverlust bis zur nächsten Sammelsaison aufbewahren. Auf nüchternen Magen genommen ist eine Dosis von 0,2 bis 0,4 Gramm der getrockneten Pilze bereits emotional spürbar. Ab einer Dosis von etwa 1 Gramm werden die Effekte bereits recht intensiv und „farbig“. 2 bis 3 Gramm gelten als volle Dosis.

Darüberhinausgehend kann der Trip recht anstrengend werden. Die Kahlköpfe enthalten noch andere dem Psilocybin nahestehende Substanzen, wie Baeocystin und Norbaeocystin, die wahrscheinlich an ihrer spezifischen Wirkung beteiligt sind. Psilocybe semilanceata ist der wahre „King of the Koppel“. Aber paß auf, er kann dich zum „Fool on the Hill“ machen. Ein weiterer kleiner „Psilo“ unserer Grünflächen ist der Panaeolus subalteatus, zu deutsch Dunkelrandiger Düngerling. Sein Wirkstoffgehalt ist vergleichsweise gering. Die Vermutung, er würde „auch törnen“, führt bisweilen dazu, daß Laiensammler alle möglichen ähnlichen Düngerlinge oder irgendwie glockenförmig wachsenden Kleinpilze einsammeln und womöglich auch noch schlucken. Da empfiehlt das Männlein aus dem Walde: Finger weg, es lohnt sich nicht, Übelkeit und dergleichen zu riskieren, wenn man von Pilzen (noch) keine Ahnung hat. Andererseits steht der „Dunkelrandige“ im Ruf ruhiger und noch erotisierender als die durchgeknallten Kahlköppe zu wirken. Dosierungen ab 2,7 Gramm getrocknet auf leeren Magen sollen für einen entsprechenden Törn notwendig sein.

„MEXIKANISCHE PILZE“!

Psilocybin
Psilocybin

Mittlerweile werden auf manchen Goa-Openair-Parties psiloc(yb)in-haltige Pilze offen angeboten. Außerhalb dieser „Temporär Autonomen Zonen“ ist man auf Grund der unklaren Rechtslage noch nicht ganz so mutig wie in den Niederlanden. Der Inhaber des Amsterdamer Smartdrugshops „Conscious Dreams“ wagten es im Sommer 1994 als erstes, offen über den Ladentisch, gezüchtete Psiloc(yb)inpilze vom Typ Psilocybe cubensis zu verkaufen. Die Polizei ließ nicht lange auf sich warten. Die Sache ging vor Gericht. Dort wie hier sind die nahezu identisch wirkenden Inhaltsstoffe der Pilze Psilocin und Psilocybin nach dem Opium- bzw. Betäubungsmittelgesetz verboten, nicht aber ausdrücklich die Pilze. Dem Gerichtsurteil zufolge, werde der Wirkstoffgehalt der Pilze aber erst durch Trocknen so hoch konzentriert (, nämlich etwa um den Faktor 10 gegenüber frischen Pilzen), daß es sich um eine verbotene Ware handle. Prompt wurden nur noch die frischen Pilze verkauft. Gerade Freitags herrschte Hochbetrieb im Laden. Dezente braune Papiertüten beherbergten eine gute Portion von 30 Gramm frischen Psilocybe cubensis zu 25 Gulden, auf daß es ein beschwingtes Wochenende würde. Die auf Touristen orientierten Headshops der Amsterdamer Innenstadt zogen nach. Sie boten allen Unkenrufen zum Trotz getrocknete Pilze an. Ein unglaublicher Boom setzte ein. Mittlerweile hat fast jede holländische Kleinstadt Shops, bei denen ethnobotanische Kräuter und energetisierende Aminosäurepräparate im Vergleich zum Pilzumsatz eher eine untergeordnete Rolle spielen. Viele Leute kamen auf die Idee sich selbst zu versorgen. So nahmen zahlreiche Growshops Pilzzuchtzubehör mit in ihr Programm auf. Es entstanden auch ausschließlich auf Pilzzuchtzubehör spezialisierte Läden. Ungeduldige können sich dann die frischen und mittlerweile auch wieder die getrockneten Pilze gleich mitnehmen. In der Schweiz hat es nun vor kurzem ein Gerichtsurteil gegeben, demnach dort Psilos in keiner Form illegal seien. Ja, in der Schweiz, in der Schweiz, tausche Psilos gegen Nazi-Gold. Traut man sich dagegen in der BRD aus Angst vor der Konfrontation mit den Justizbehörden (noch?) nicht die Pilze selbst zu verkaufen, so handeln doch zahlreiche deutsche Growshops und Händler ethnobotanischer Spezialitäten bereits mit dem entsprechenden Zubehör und schon von Mycel durchwachsenen Anzuchtboxen, bei denen nicht mehr ganz so viel schief gehen kann. Der Anbau von Psilos ist nämlich nicht gerade einfach und muß unter kontrollierten hygienischen Bedingungen erfolgen.

PSILOCYBIN

Die für die Zucht beliebteste, in subtropischen und tropischen Gebieten der ganzen Welt auf Rinder- und Büffelkacke gedeihende (und zum Beispiel Thailand-Reisenden von den Inseln Koh Samui und Koh Phangan bekannte) Art ist die oben erwähnte Psilocybe cubensis (früher auch Stropharia cubensis genannt). Obwohl die hier gehandelten Pilze dieser Art so gut wie nie aus der freien Wildbahn, geschweige denn aus Mexiko stammen, sondern praktisch immer laborartig gezüchtet wurden, werden sie häufig als „mexikanische“ angepriesen und verkauft. Sie hatten lange Zeit den Ruf besonders potent zu sein. Dies stimmt jedoch so nicht. Ihr Wirkstoffgehalt kann starken Schwankungen unterworfen sein, selbst von Pilz zu Pilz. Es gibt diverse Zuchtlinien. Die meisten sind nicht allzu potent. Auch liegt ein Teil der Wirkstoffe als leicht zerfallendes Psilocin vor. Das bedeutet meist einen deutlichen Potenzverlust durch Trocknung und Lagerung. Wer die erforderlichen hygienischen Voraussetzungen einer Cubensis-Zucht meistert, kann große Mengen dieser zu ziemlichen Größen heranspriessenden Pilze ernten. Sie dominieren deshalb den Markt, zumal sie auch geschmacklich und magentechnisch als recht verträglich gelten. Cubensis wird üblicherweise höher dosiert als die Kahlköpfe. In den Niederlanden gelten 3 Gramm getrocknete, entsprechend etwa 30 Gramm frischen Pilzen als eine gute Dosis. 5 bis 6,5 Gramm der getrockneten „Superburschis“ sollen für einen extremen Abflug garantieren.

„HAWAIIANISCHE PILZE!“

Psilocin
Psilocin

Eine weitere gezüchtete Pilzart ist seit einiger Zeit in den Niederlanden recht beliebt: Panaeolus cyanescens, früher auch Copelandia cyanescens genannt. Es handelt sich um eine kleine blauende Pilzart vom Typ der Düngerlinge, deren natürliches Verbreitungsgebiet sich keineswegs nur auf Hawaii beschränkt, sondern über weite Gebiete der Tropen und Subtropen erstreckt und mit dem des Cubensis überschneidet. Auf Bali wurde sie Touristen in psychedelischen Omelettes serviert. Sie gilt als besonders potent, was nicht unbedingt von allen veröffentlichten Analysen bestätigt wird. In den Niederlanden werden 20 Gramm der frischen Pilze als volle Dosis veranschlagt, für die dann meist dasselbe wie für das 30 Gramm-Cubensis-Äquivalent bezahlt werden muss. Immer neue teilweise in der Natur sehr seltene Arten erobern das Herz der Züchter. Zum letzten Schrei gehört die aus den USA stammende Psilocybe azurescens. In einzelnen Exemplaren wurden laut einer aktuellen Analyse ein Wirkstoffgehalt von insgesamt über 2 % auf die Trockenmasse ermittelt. Dies würde die obigen Sorten im Schnitt um mindestens das Doppelte übertreffen. Die Amis nennen sie „Flying Saucers“, „Fliegende Untertassen“. Vielleicht wird der Tag, an dem Du sie nimmst, „der Tag, an dem sie Kontakt aufnahmen“.
PSILOCIN

Gibt es eine einfach zu ziehende, fast von selbst, womöglich noch auf Holzspänen im eigenen Garten spriessende und reichlich fruchtende Art, die den Laborgezüchteten auch in der Potenz nicht allzusehr nachsteht? Naja, wer so fragt… Natürlich, die gibt es! Gestatten, Psilocybe cyanescens (, früher auch Hypholoma cyanescens genannt). Sie gedeiht gut auf allem möglichen verwesenden pflanzlichen Material, zum Beispiel an Flußufern und selbst auf früheren Müllhalden oder auf Holzstückchen in Rhododendronparks. Möglicherweise wurde sie irgendwann einmal aus den USA eingeschleppt. Sie kann praktisch guerillaartig an unauffällige Standorte in der Natur verbracht werden. Aber ein kleiner Dämpfer muß sein: Pilze sind schwer berechenbar, ihr Wachstum von vielen Umweltfaktoren abhängig, so daß es sein kann, daß vielleicht in einem Jahr fast überhaupt keine, in einem anderen Jahr Unmengen Pilze aus dem Boden schiessen. Vielleicht geht das Mycel (,der faserige unterirdische Teil, der den eigentlichen „Pilz“ darstellt,) auf Grund irgendwelcher Bedingungen zu Grunde oder der Wirkstoffgehalt der als Fruchtkörper sich aus dem Mycel entwickelnden Pilze ist plötzlich nur verschwindend gering. Je kontrollierter die Bedingungen ausfallen unter denen Mycel und Pilze wachsen, desto abschätzbarer und vor allem steigerbarer werden sowohl Potenz als auch möglicher Ertrag. Aber es kann gerade im Freien vieles dazwischen kommen. Das weiß auch jeder, der regelmässig einen bestimmten Pilzstandort in der Natur aufsucht. Bei den „Psilocyanos“ erweist sich auch, wie abhängig der Wirkstoffgehalt von der gewählten Sorte ist. Spezielle aus den USA stammende Zuchtsorten sollen zu den stärksten Psilos überhaupt gehören. 1 Gramm dieser getrockneten Powerpakete entspräche etwa 5 bis 6 Gramm durchschnittlicher Psilocybe cubensis! Wildwachsende einheimische Psilocyanos fallen, so sie denn überhaupt mal in der freien Flur entdeckt werden, lange nicht so extrem aus. Wie problematisch es sein kann, bestimmte wildwachsende Psilos von ihren unwirksamen oder gar toxischen Verwandten zu unterscheiden, zeigt die recht seltene, sich aber bei uns immer weiter in Richtung Westen ausbreitende, potente Art Inocybe aeruginascens, von der vor nicht allzu langer Zeit voller Begeisterung die Rede war, da ein Trip mit ihr aufgrund eines zusätzlichen Wirkstoffes („Aeruginascin“) von einer besonders euphorischen Note geprägt sein sollte. Sie ähnelt leider einer Reihe anderer giftiger Inocyben, die selbst vom Fachmann nur schwer zu unterscheiden sind. Wer also kein unnötiges Risko eingehen will, sollte sich sowieso generell vor und nach dem Sammeln ausführlich in der Fachliteratur informieren und sich von Kennern beraten lassen. Besser isses.

AZ

P.S.
Anne Stephanos vom Zauberpilzblog hat mich auf eine schöne Ergänzung zum Artikel aufmerksam gemacht. Sie weist darauf hin: „Hauptsächlich überliefert ist der Gebrauch psychogener Pilze von Mittel- und Südamerikanischen Schamanen. Für diese indigenen Kulturen waren die Zauberpilze das „Fleisch der Götter“ und eine hochheilige Angelegenheit – man berauschte sich damit nicht zu hedonistischen Zwecken wie heute junge Menschen im Westen. Die Sakraldroge wurde gezielt eingesetzt, um Visionen oder Heilungen zu ermöglichen.“ Quelle: http://zauberpilzblog.net/blog/2016/10/24/kulturgeschichte-psychogener-pilze-zusammenfassung-bisheriger-forschung/  Wer regelmäßig mehr über Zauberpilze erfahren möchte, dem kann ich Annes Blog nur ans Herz legen.

 

Kategorien
Drogenpolitik Psychoaktive Substanzen

Interview mit Claudia Müller-Ebeling

HanfBlatt, November 2004

Von alten und neuen Hexen und einem neuen Naturverständnis

Interview mit der Ethnologin und Kunsthistorikerin Claudia Müller-Ebeling

Claudia Müller-Ebeling

Schnell noch in den Teeladen. Heute hat sich Frau Doktor Claudia Müller-Ebeling angesagt, die 45-jährige Kunsthistorikerin und Ethnologin, die wir duzen dürfen. Auch az scharrt schon mit den Hufen, denn selten erhalten wir die Möglichkeit mit einer Kapazität auf dem Gebiet schamanistischer Traditionen in Europa zu reden. Zudem brennt uns das Thema „Frauen und der Rausch“ unter den Nägeln. Die Erforschung schamanistischer und kunstethnologischer Traditionen auf der Welt sind Themenbereiche von Claudia. Um das Leben anderer Gesellschaften begreifen und darstellen zu können, tauchte sie immer tief in deren soziale und kulturelle Strukturen ein. Vor allem betrachtete und analysierte sie Bilder und fragte nach ihrem Kontext und ihrer Bedeutung. Feste Strukturen vermeidet sie beim Schreiben, dementsprechend verläuft unser Gespräch konzentriert, aber frei floatend.

HB: Was sind eigentlich Hexen?

Claudia: Zunächst ein gesellschaftlich-historisches Konstrukt. Im Buch „Hexenmedizin“ beantwortet jeder das auf eine andere Weise. Wolf-Dieter Storl vermittelt die mythische Bedeutung von Pflanzen und ihren Gebrauch in archaischer Zeit. Christian Rätsch beleuchtet die antiken Vorbilder. Das späte Christentum und die Renaissance haben in erster Linie die Konzepte und Erzählungen aus der Zeit der Antike und des frühen Christentums übernommen und dämonisierte die Naturmagie mehr und mehr. Von daher reicht das Bild, welches wir von Hexen haben, zeitlich tief zurück.

HB: Wir verbinden ja meist das düstere Mittelalter damit.

Claudia: Ich weiß nicht, wie sich das Vorurteil des sogenannten „düsteren Mittelalters“ so lange halten konnte. Eigentlich ist es die düstere Neuzeit, denn das Mittelalter war licht und hell. Hier war die Sexualität befreiter, die körperliche und vor allem geistige Liebe hatte einen hohen Stellenwert. Dies ist nicht zu verwechseln mit der platonischen Liebe, die ja wahrlich keine unkörperliche, sondern eine Liebe nach Knaben war. So sind viele Begriffe durch die Mühle der Renaissance gegangen, eine Art Neoplatonismus, der versuchte, die Ideen Platons an ein christliches Gedankengebäude ranzubinden. So entstand die Dichotomie zwischen dem entkörperlichten Geistigen und den irdischen Niederungen.

HB: Und damit wurde auch Platons Idee wiederbelebt, dass es klüger ist, nüchtern in die Irre zu laufen, als berauscht Weisheit zu erlangen.

Claudia: Ja, es scheint immer einfacher, den bekannten Mist zu ertragen als neue Wege zu wagen. Alles was Berauschung ist, das Dionysische betrifft, ist mit persönlichem Erleben verbunden. Man schmeißt sich ins Erlebnis hinein. Unser christlich-wissenschaftliches Weltbild hat was gegen dieses eigene Erleben. Es klammert diese Erfahrung aus, weil es davon ausgeht, dass eigene Erfahrungen nur Voreingenommenheit schüren und dich in deine eigenen Gefühle einkapseln. Dann kann man die Realität nicht mehr objektiv sehen und Objektivität ist die Hohepriesterin der Neuzeit. Man soll die Dinge von außen betrachten, analysieren, interpretieren. Diejenigen die sich am Suff, der Liebe oder der Extase berauschen, sind dann arme Irre, die eh nicht mehr wissen, was sie tun. Dieses Erbe spukt in uns allen rum, sicher auch ihn mir, auch wenn ich das schön sezieren kann.

HB: Ein Bild der bösen Hexe haben wir sicher alle in uns. Frauen wiederum nehmen das Hexenthema neu auf, gründen Hexenstammtische oder treffen sich zum Hexen.

Claudia: Davon halte ich wenig. Grundsätzlich ist nichts dagegen zu sagen, alte Hexenrituale wieder aufleben zu lassen, die zu einer neuen Wertschätzung der eigenen Natur und der um uns herum führen. Das Vermitteln von praktischen Erfahrungen ist positiv. Nur leider entwickeln diese Zirkel sich schnell zu elitären Gemeinden, die bestimmte Denklinien aufnehmen, die oft aus der Frauenbewegung stammen. Diese Linien werden dann eifrig verfolgt und nicht mehr weiter hinterfragt. De facto weiß man aber sehr wenig über historische Hexen, weil so viele Quellen verschütt gegangen sind. Die bruchstückhafte Zusammensetzung kann auf falsche Wege führen. Wendungen wie: „Ich bin eine moderne Hexe“ oder: „Ich bin ein Schamane“ sind immer problematisch, weil sie weniger auf Kenntnis historischer Zusammenhänge beruhen, als vielmehr auf Projektionen.
Die Umwertung eines ursprünglich als Diffamierung gemeinten Begriffs in etwas Positives ist ironisierend und eröffnet daher die Möglichkeit, spielerischer mit einer grausamen Vergangenheit umgehen zu können. Dann kann man besser daraus lernen und auf Defizite unserer Zeit hinweisen, beispielsweise auf die fortgesetzte Dämonisierung der Natur.

HB: Für uns ist es schon rein sprachlich problematisch, an alte Naturmythen anzuknüpfen, das zeigt das Beispiel der „modernen Hexen“ ja recht deutlich. Es müssten also neue Wege der Erfahrungsvermittlung gefunden werden.

Claudia:

Die Frauen suchen unter dem Eigen-Label „Hexe“ Selbstverwirklichung und Grenzen sich damit von der Gesellschaft ab. Es wäre produktiver, nach der Aufgabe zu fragen, die sie als „moderne Hexen“ für die Gesellschaft haben könnten.

HB: Was ist mit der „gereinigten Hexe“, die mit den bösen Kräutern nix am Hut hat?

Claudia: In den meisten der neueren Hexenratgebern sind die psychoaktiven Bestandteile fein säuberlich aussortiert worden. Da gibt es nur noch Kamillentee. Diese Trennung in „gute und böse Kräuter“ ist ein Erbe der christlichen Lehre. Die zugänglichen Quellen sind allesamt Fremdzuweisungen, es gibt kaum Aussagen von Hexen selbst. Von daher sagen die Quellen mehr über die Kirche und die Nachbarn als über die Hexen. Mit Sicherheit aber haben nicht nur Neid und Eifersucht den als Hexen diffamierten Frauen den Kopf gekostet, sondern auch die Tatsache, dass sie die Natur nicht als böse und sündig, sondern als Einheit aller Aspekte betrachtet haben; genau das heißt „ganzheitlich“.

HB: Wie haben Hexen gearbeitet?

Claudia: Die gründlich zerstörten schamanischen Traditionen Europas lassen sich ableiten von dem, was noch heute an Schamanismus auf der Welt existiert. Wenn man die Rolle der heutigen Schamanen in Asien und Südamerika berücksichtigt, dann stellt sich das Bild meiner Ansicht nach so da: Erstens gibt es da niemanden der sagt: „Ich bin ein Schamane“ und trommelnd durch die Gegend läuft. Der oder die sagt auch nicht: „Kommt zu mir, wenn ihr Probleme habt, ich habe Sprechstunde von 8.00 bis 14.00 Uhr und eine Behandlung kostet 300 Taler.“ Diese Menschen tun etwas und das hilft anderen, dann bildet sich der Ruf und andere Leute kommen. In den westlichen Ländern wird das sofort zu einem Business und einer Institution.

HB: „Das lohnt sich“, singt der Schamane…

Claudia: Sicherlich müssen wir alle von etwas leben. Die hauptberufliche Beschäftigung beinhaltet zumeist, dass wir daraus unser Geld beziehen. Einen hauptberuflichen Schamanismus gibt es fast nirgends auf der Welt. Dazu kommt, dass die Leute gerne andere Menschen auf den Sockel stellen, sie wollen dich verherrlichen, dich idealisieren. Wenn man denen sagt: „Das kann ich nicht“ oder „Das weiß ich nicht“, dann sind die stinksauer. Diese Projektion nach außen fällt dann brutal auf dich zurück. Oft gehen deshalb die meisten Schamanen und Hexen sich selbst in die Falle und denken irgendwann tatsächlich, dass sie ganz toll sind und als Hexe oder Schamane gut Geld verdienen können.

HB: Wenn wir den Faden im Mittelalter aufnehmen: Hat die Kirche mit ihrem Anspruch auf das Heil der Menschen die Kräuterfrau und ihre Heilkräuter verdrängt?

Claudia: Zunächst einmal gibt es auch männliche Hexer und Zauberer. Das Bild der Hexe war aber ein schillerndes und attraktives, das sich mit dem sinnlich-erotischen Komplex gut verbinden ließ. Das lustfeindliche christliche Weltbild ließ den Sex nur zur Fortpflanzung zu – die rein der Erotik wegen betriebene Lust ist aus dieser Sicht etwas Bitterböses. Noch heute haben Menschen, die unter diesen Moralvorstellungen aufwachsen, erhebliche Probleme bei der Entfaltung einer gesunden Sexualität. Diese Gespenster wurden ihnen angehext und nun müssen sie sehen, wie sie ihre eigene, entspannte, natürliche Erotik wiederfinden. Die Hexe war also eine Projektionsfigur, die mehr war als eine Kräuterkundige. Im 15. und 16. Jahrhundert lebten die Menschen mit spirituellen und heilerischen Kräften eher auf dem Land. Das lässt sich heute noch gut in Nepal nachvollziehen. Wenn man dort Kathmandu hinter sich lässt, dann lässt man auch Ärzte und Hospitäler hinter sich. Dann findest du Leute, die können vieles zugleich. Und manche können halt Menschen heilen und das sind die Schamanen. Die sind aber nicht nur und allein Schamanen, sondern auch Bauern oder was weiß ich…

HB: Der Bauer im Mittelalter merkte irgendwann „Ich kann helfen“?

Claudia: Ja. Lange Zeit ist es kein Problem gewesen, dass es in den Städten ausgebildete Ärzte und Apotheker gab. Das waren immer Männer, denn die Universitäten ließen keine Frauen zu. Die hatten ihr städtisches Klientel. Die armen Menschen auf dem Land gingen aber weiterhin zu ihrem Kräuterweib. Irgendwann ist dies im Zuge der Diffamierung der Frau zum Problem geworden. Witwen oder Frauen ohne Ehemann lebten außerhalb der Versorgungsstruktur und damit auch außerhalb der Gesellschaft. Die mussten sich alleine durchs Leben schlagen. Dieser Alleingang war gefährlich, denn ansonsten lebten sie unter der Haube, wie man so schön sagt, eben unter der Oberaufsicht des Mannes. Frauen, die ihr Leben alleine bewältigten und dazu noch Fähigkeiten der Heilkunst hatten, wurden wohl zunehmend als bedrohlich empfunden.
Hexe von Francisco Goya (1746-1828)

HB: „Sexy Hexy“, das klingt sogar ähnlich. Verdorbene Buhlerinnen des Teufels. Die Angst vor weiblicher Sexualität muss eine wichtige Rolle gespielt haben.

Claudia: Und ein Denken, welches allen monotheistischen Religionen, gleich ob Judentum, Christentum oder Islam, anhaftet. Diese Religionen beten einen Gott an und dieser eine Gott ist gut und alles was nicht gut ist, stellt den Teufel dar. Mit diesem dualistischen Bild ermöglichst du diese Ausgrenzung des Fremden, des anderen. All das, was du in dir selber nicht wahrnehmen willst, kannst du wunderbar nach außen projizieren. Dann kannst du davor warnen, es verfolgen und dich gleichzeitig dran ergötzen. Alles was du dir nicht traust, das kannst du den Hexen dann unterjubeln. Die Protokolle aus der Zeit zeigen ganz deutlich die überhitzten Fantasien von Leuten, die gewisse Sachen nicht ausleben durften.

HB: Und genau das erleben wir doch heute beispielsweise mit den Gebrauchern kriminalisierter Drogen.

Claudia: Genau. Es ist ja auch perfide: Gerade in der momentanen Medienwelt gehört zum Beispiel Koks zum Arbeitsalltag. Hinter den Türen wird gekokst und gleichzeitig wird ein Artikel über sogenannte „Teufelsdrogen“ verfasst. Was den modernen Medien fehlt, ist ein Nachdenken über die Mechanismen in den Medien.

HB: Da müsste mal ein Beobachter den Beobachter beobachten.

Claudia: In jedem Medium muss man doch in der Lage sein, selbstkritisch zu hinterfragen, was man tut und nicht immer nur zu hinterfragen, was andere tun. Kläre ich auf oder trage ich dazu bei, dass ein Vorgang weiterhin im Dunklen dümpelt? Ich bin schon der Meinung, dass heute viele Natursubstanzen verteufelt werden, weil keine Pharmaindustrie davon profitieren könnte. Wenn jeder sich sein Gras und seine Kräuter auf dem Balkon zieht, dann kann man ihm nichts mehr verkaufen.

HB: Als Frau, die sich mit den Hervorbringungen der Natur beschäftigt, wie siehst du da die bestimmende Rolle der Technik in der modernen Welt, die ja auch eine Männerdomäne ist? Heute geht es ja weniger darum, ob wir mit der Technik leben wollen, sondern wie wir mit ihr leben können.

Claudia: Den Gegensatz zwischen Natur und Technik gab es schon immer, nur wurde er früher anders bezeichnet. Alles, was wir Menschen schaffen, sei es Technik, Dichtung oder Bilder, ist Kultur. Die Männer waren und sind, eher als Frauen, damit beschäftigt, Dinge mit ihren Händen oder ihrem Kopf selber zu produzieren. Damit produzieren sie eine Alternativschöpfung, eine Schöpfung, welche ihnen ansonsten verwehrt ist. Der elementare Schöpfungsakt, die Schaffung neuen Lebens, ist ihnen verwehrt. Das Problem dabei ist, dass die Männer ihren Schöpfungen einen höheren Stellenwert zusprechen.

HB: Damit lässt sich eine direkte Linie zur Naturentfremdung und Naturzerstörung ziehen.

Claudia: Absolut. Das siehst du ja deutlich, wenn du dir Gesellschaften anschaust, die noch in einem Naturkontext stehen, Naturvölker eben. Die sehen unmittelbar, dass sie sich gegenüber der Natur so verhalten müssen, dass ihre eigene Kultur und die sie umgebende Natur in Balance sind. Dafür gibt es dann ganz viele Regularien: Wenn du auf die Jagd gehst, musst du mit den Herren der Tiere Kontakt aufnehmen und sie um ein Opfer bitten. Damit leben diese Menschen aber nicht in ständiger Angst vor Göttern und Dämonen. Sie haben nur ein Gefühl dafür, was ihr Handeln in der Natur für Auswirkungen hat. Jeder ist damit für seine eigenen Handlungen verantwortlich, das ist supersimpel. Dieser Zusammenhang ist uns verloren gegangen. Wir glauben, unser Handeln hat erst in 100 Jahren Auswirkungen.

HB: „Nach mir die Sintflut.“ Wie soll es weitergehen?

Claudia: Natur und Kultur müssen sich immer wieder neu arrangieren. Wir haben Welten geschaffen, die zum Teil unter völligem Ausschluss des Natürlichen existieren. In den Städten können wir ja tatsächlich auf die Idee kommen, unabhängig von den natürlichen Abläufen zu leben. Wir haben unser eigenes Licht, Heizung, Klimaregelung.

HB: Das Kernkraftwerk steht halt nicht im Wohnviertel. Die meisten Menschen in Westeuropa kennen nicht mehr die Lebenszyklen der Pflanzen und Tiere, die sie sogar essen. Die meisten Tiere haben sie nicht mal leben gesehen. Wie sollen sie dann die Wirkung oder Heilwirkung von Nahrung und Pflanzen kennen?

Claudia: Richtig. Bei allem, was wir eben beschrieben haben, klammern die Menschen die eigene Erfahrung aus. Wenn du dir bestimmte Pflanzen einverleibst, dann machst du eine Erfahrung, die dein Denken verändern kann. Ich finde es immer wieder sehr verblüffend: Egal, wohin man auch kommt auf der Welt, die Menschen, die psychoaktive Pflanzen nehmen, leben zwar alle in unterschiedlichen Kontexten, sie verbindet aber alle dasselbe: Sie haben ein ausgeprägtes Naturbewusstsein, sind ökologisch und an Mythen interessiert und stellen Religionen und andere hierarchische Systeme in Frage. Das ist keine organisierte Bewegung, das ist Folge der Veränderung, die dadurch entsteht, dass du dich auf psychedelische Art mit den Pflanzen verbindest, die du eingenommen hast. Und ich weiß, es klingt idiotisch, aber diese Pflanzen reden dann auf ihre Art mit dir. Dabei tritt man mit Wissensebenen in Kontakt, die analytisch nicht zugänglich sind. Sie entziehen sich der Logik und sind trotzdem nicht irrsinnig, sondern sehr richtig. Darin liegt auch eine Ursache für die Verteufelung dieser Pflanzen: Die Erfahrung mit ihnen erschüttert die Säulen DES logischen Weltbildes. Es existiert dann zum Beispiel plötzlich nicht nur regulierte Sexualität, sondern sinnliche Sexualität, die ausbricht.

HB: Zurück zur Natur?

Claudia: Wenn ich mir Werbung anschaue, dann wundere ich mich. Die Industrie macht sich die Tatsache zu Nutze, dass wir wesentlich durch unsere Emotionen motiviert werden. Wir tun nicht Dinge, weil wir einsehen, dass es vernünftiger und besser ist, sie zu tun, sondern wider besseren Wissens tun wir Dinge, die einfach Spaß machen. Wie uns die Werbung ständig erzählt, machen uns alle mögliche Dinge Spaß, die die Konsumkultur und den Absatz ankurbeln. Auf der anderen Seite sollen wir aber ganz vernünftig sein und der Natur zuliebe auf alles mögliche verzichten, was uns Spaß macht. Das kann so nicht klappen, das wird nie funktionieren.

HB: Also müsste man das Umweltbewusstsein mit dem Spaßfaktor kombinieren.

Claudia: Genau. Es macht ja auch tatsächlich Spaß in einem sauberen Fluss zu baden und reine Luft zu atmen. Manche Naturschutzverbände haben das mittlerweile kapiert und werben dementsprechend. Es ist deutlich: Leute aller Alterstufen werden am Strand zu buddelnden und planschenden Kindern. Sie verbinden sich mit dem Element Wasser.

HB: Als Frau kannst du uns garantiert etwas zum Thema „Frauen und Rausch“ sagen. Wie kommt es, dass Frauen meist viel vorsichtiger bei psychedelischen Rauscherfahrungen sind?

Claudia: Im Anschluss an das bisher Gesagte sind Frauen deutlich mehr in einen natürlichen Zyklus eingebunden. Ihr Körper verändert sich zyklisch, sie können Leben geben und ernähren und während dieser Zeit ist ihre Chemiefabrik und damit ihre Emotionen umgestellt. Bei den Männern ist der Wunsch nach Kreation genauso vorhanden, auch sie wollen Naturkräfte in sich erfahren. Nur müssen sie sich halt anderer Mittel bedienen. Meine Hypothese ist, dass Frauen Psychedelika nicht benötigen, weil sie den Naturkräften ohnehin mehr verbunden sind als die Männer. Andererseits spielen Ängste auch eine Rolle. Die meisten Autoren, die sich mit Psychedelika beschäftigen, sind Männer.

HB: Wahrscheinlich die männliche Eigenart der permanenten und intensiven Grenzüberschreitung.

Claudia: „Psychedelisches Bodybuilding“ ist ein durchaus vorkommendes Phänomen. Damit bezeichne ich den unseligen Trieb vieler, sich möglichst viel einzuklinken, weil man ja stärker ist als die stärkste Dosis.

HB: Der Feminismus hat ja auf seine Art versucht, den Frauen mehr Geltung zu verschaffen, aber wohl nicht der Weiblichkeit. Wie siehst du die Entwicklung?

Claudia: „Der“ Feminismus hat lange Zeit primär versucht, männliche Qualitäten in Frauen zu aktivieren, um der Männerherrschaft etwas entgegenzusetzen. Viele Frauen haben sich dem angepasst und darüber weibliche Qualitäten vergessen. Mit „weiblichen Qualitäten“ meine ich, mal ganz klischeehaft: Warmherzigkeit, die breite Ebene der Gefühlspaletten, Intuition und eine weniger hierarchische Denkweise. Frauen haben eher das große Ganze im Blick und sehen welches Rädchen jeder darin ist. Männer tendieren zum linearen Denken – „das will ich und so komme ich dahin“. Der gerade Weg ist per se aggressiver, da schlägst du dir halt eine Schneise durch das Dickicht. Frauen mäandern eher zum Ziel, kommen damit meist besser mit der Natur der Dinge klar, verlieren aber oft im linear ausgerichteten Wettbewerb.

HB: Wie siehst du dich diesbezüglich?

Claudia: Ich bin zwar eine Frau, in erster Linie aber ein Mensch. Sicherlich habe ich weibliche Qualitäten, aber ich habe auch männliche. Ich fühle mich in einer Frauengemeinschaft nicht unbedingt solidarischer und wohler als unter Männern – oft im Gegenteil.

HB: Das geht uns Mimosen natürlich runter wie Honig. Vielen Dank für das Gespräch.

 

az und adh

Kategorien
Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit Joseph R. Pietri dem König von Nepal

HanfBlatt, Nr. 91, Oktober 2004

Ein Interview mit dem Haschischschmuggler Joseph R. Pietri

Der 1947 geborene Amerikaner Joseph R. Pietri verdiente sich in den 60er Jahren als Hippie in New York durch den Handel mit Haschisch und Pot seinen Lebensunterhalt. Schliesslich entschied er sich 1970 direkt an die Quellen des besten Haschisch der Welt zu gehen und selbst Schmuggler zu werden. Er landete in Nepal, wo zu diesem Zeitpunkt Cannabisprodukte noch völlig legal waren und stieg dort groß ins Geschäft ein. Bereits seit Jahren verfolgt von den US-Behörden wagte er es schließlich 1991, sich als einer der ersten Westler kurz nach der Öffnung des kommunistisch regierten Laos in dessen Hauptstadt Vientiane niederzulassen und dort die erste Bar nach amerikanischem Vorbild zu eröffnen. Obwohl zum damaligen Zeitpunkt in Laos Ganja ganz legal auf den Märkten erworben werden konnte und kein Auslieferungsübereinkommen mit den USA bestand, wurde Pietri auf Druck der US-Behörden in Auslieferungshaft genommen. Seine langjährigen Erfahrungen als bedeutender Cannabisschmuggler und -feinschmecker brachte er dort ohne unnötiges Bedauern zu Papier und hat sie dann neun Jahre später im Jahre 2001, nachdem praktisch etwas Gras über die Sache gewachsen war, unter dem Titel „The King of Nepal“ veröffentlicht. Dieses aufregende Werk ist ein wahrer Leckerbissen und nicht weniger spannend als die abenteuerliche Autobiographie von „Mister Nice“ Howard Marks. Heute lebt Pietri in Colorado/USA und hat es tatsächlich geschafft, dass er auf Grund eines durch Nierenkrankheit bedingten Nervenschadens und Hepatitis C als Medizinischer Marihuana Patient mit offizieller Erlaubnis der Gesundheitsbehörde sein eigenes Gras anbauen darf!

az: Wer ist „Der König von Nepal“?

Pietri: Ich habe in Nepal das Leben eines Hippie-Königs gelebt. Der Titel repräsentiert auch die Königliche Familie von Nepal. Aber der wahre König von Nepal ist das legendäre Haschisch, das dort gewonnen wird. Ein alter Freund von mir, Rod Fry, brachte Mitte der Siebziger Jahre den Nepalis bei, wie man Haschisch nach der afghanischen Methode (mittels Siebung) herstellt, was eine enorme Verbesserung gegenüber handgeriebenem Haschisch bedeutet. Auf Grund meiner Verbindung zu seiner Heiligkeit dem Chine Lama und dessen Verbindungen zu König Mahendra war ich in Nepal praktisch unantastbar. Zeitweise arbeiteten die Polizei und das Militär für mich.

Joseph R. Pietri

az: In deinem Leben als Dealer und Schmuggler hast du alle möglichen Gras- und Haschischsorten genossen. Ein populärer Mythos behauptet, dass das Homegrown Sensemilla von heute stärker sei als die Importvarietäten der alten Hippiezeiten. Was entgegnest du darauf?

Pietri: Das Homegrown Sensemilla von heute ist nicht stärker als das Homegrown Sensemilla der 60er. Die Super Sativa Sorten, die aus Mexiko (in die USA) kamen, wie „Acapulco Gold“ und „Michoacan“ waren fantastisch. Ich hatte einen Kumpel, der flog sein Sensemilla, das er auf seiner Finca in Mexiko anbaute, verpackt in Styropor ein, jeder Blütenstand so groß wie ein Glied deines kleinen Fingers. Einer war wie „black frog´s lip“ und ein anderer „burnt orange“. Aber wirklich beherrschte in jenen Tagen Haschisch den Markt, genauso wie es das in Europa in den 60ern und 70ern tat. Es ist erst in den letzten 20 Jahren geschehen, das die Szene in Europa zu Gras gewechselt hat, und es war dasselbe in den Staaten. In den alten Zeiten hatte ich manchmal zwei Dutzend verschiedene Sorten Haschisch. Es ist ein Witz, das irgendjemand glauben könnte, dass das Dope von heute stärker ist als das in früheren Jahren. Aber die Regierungspropaganda marschiert weiter. Nebenbei bemerkt, die Super Sativa Sorten aus Mexiko wurden von Nixon zerstört, als er die Marijuana-Pflanzungen 1973 mit „Paraquat“ (einem Pflanzenvernichtungsmittel) besprühen ließ. Für ungefähr 10 Jahre konnte man wegen der Sprühungen kein mexikanisches Gras abgeben. Dafür begann zur selben Zeit kolumbianisches Weed den Markt zu übernehmen. Niemand wird vergessen, wie es war, als er das erste mal „Columbian Gold“ oder „Red Super Sativas“ geraucht hat. Zuletzt sollten wir nicht die ganzen super Thai-Sorten vergessen, die in den 70ern und 80ern reinkamen. Einige waren so stark, dass ein einziger fetter Joint dreissig Leute high machen konnte. Du brauchtest nur einen Zug. Erinnert sich irgendjemand da draussen an das unter Stickstoff vakuumverpackte Thaigras, das einen Doppeladler auf die 1000g-Packungen gestempelt hatte?

az: Kein erfahrener Langzeitraucher vergisst das beste Dope, das er mal geraucht hat. Kannst du deine Favoriten nennen, nur um die Münder des Publikums mal ein wenig wässerig zu machen? Pietri: Ich mochte besonders gern den „Roten Libanesen“, der in 6-Unzen-Säcken kam. Die hatten Kirschen oder ein Bild von King-Kong oder Kamele in der Wüste draufgestempelt. Der richtig schön klebrige Rote kam in kleinen Säckchen. Ich mochte sehr gern das rote und goldene Gras aus Laos, Super Sativas, die es bis zum heutigen Tag gibt, auf dem Markt in Vientiane neben den Tabakständen erhältlich. Aber mein Favorit für alle Zeiten ist Nepalese oder Kashmiri-Hasch, hergestellt auf afghanische Art. Ich bin immer noch ein Hasch-Man. Ihr könnt mir jederzeit ein Piece Afghanen geben. Aber leider muss ich mir heutzutage meinen Eigenen machen!

az: Ein anderer Mythos besagt, das besonders starkes oder einschläferndes Haschisch mit Opium versetzt wurde. Was hat es damit auf sich?

Pietri: Es ist ein Mythos, dass das Weiße, was man auf handgepresstem Haschisch sehen kann ein Zeichen für Opiat ist. Tatsächlich ist es Schimmel von der Feuchtigkeit der Pflanze, wenn man sie mit der Hand reibt. Normalerweise ist Haschisch nicht mit Opium verfälscht. Das einzige wirklich mit Opium versetzte Haschisch, das ich jemals gesehen habe, war einmal, als ich 40 Kilo hatte, die eine Zeit lang herumgelegen hatten. Ich mischte es mit 10 Kilo Opium, und es kam drüben in Cincinnati groß raus. Manchmal mixen sie in Bombay Opium in das Hasch und Gott weiß, was sonst noch. Sie nennen sie „Gullies“, kleine schwarze Bälle, 20 in einer Packung. Man kann sein Haschisch speziell mit Opium gemischt bestellen, aber das ist selten. Opium ist kostspieliger als Haschisch, das ist ein Grund.

az: Warum hast du dich 1970 entschieden nach Nepal zu reisen und selbst ein Haschischschmuggler zu werden?

Pietri: Ich war auf der Flucht und Nepal schien ein guter Platz zu sein um abzutauchen. Mehr oder weniger durch Zufall landete ich dort. Ich ging dort hin, um einen Deal zu machen und blieb. Es war Hippie-Nirvana, Kathmandu, keine Gewalt, kein Verbrechen. Alles was du als deine Medizin bezeichnet hast, war legal. Es war immer mein Pfeifentraum, einmal die Haschhöhlen von Asien zu besuchen. Tatsache ist, dass ich ein sehr lukratives Ding am laufen hatte und es bis zum Ende ausgespielt habe.

az: Wie waren die Bedingungen, die du damals in Nepal vorgefunden hast?

Pietri: Nepal war Hippie-Nirvana. Ich lebte in Boudha in einem der Häuser des Chine Lamas. In jenen Tagen lebten auch die dänischen Schmuggler in Boudha. Die meisten meiner Freunde damals waren Europäer. Ich wurde eine Industrie in Boudha und eine Menge Leute hingen von mir ab um Geld zu machen. Ich unterstützte soviele Leute dort, dass ich nach einer Weile das Gefühl hatte, ich würde für sie arbeiten. Ich hatte Privilegien, die ich niemals zuvor erfahren hatte. Ich saß zu Füßen des Groß-Lamas von Boudha, und durch ihn traf ich den König von Mustang, alle der höchsten Lamas, die aus Tibet entkommen waren. Irish Patrick, der sich durch die Jahre als großartiger Freund erwies, traf ich in Boudha, genauso wie Afghan Ted, manchmal auch Ted the Hun genannt. Detlef Schmidt war ein großer Freund. Wer könnte jemals Ted the Hun vergessen, wie er in seinem Mercedes-Krankenwagen nach Boudha reindonnerte mit seinen afghanischen Kampfhunden und seinem Harem und dem besten handgepressten Afghanen, den du jemals gesehen hast. Einmal hatte ich eine Barbecue-Party, auf der die Dänen ein Wildschwein rösteten, und ich röstete meine Interpol-Akte, die ich der Einwanderungsbehörde abgekauft hatte. Was für eine Party.

az: Und wie kam es in Nepal zu einem Ende?

Pietri: In der Mitte der 80er gab es eine Art Inquisition. Als ich 1981 nach Nepal zurückkehrte, benutzte ich meine wirkliche Identität, was die Nepalesen richtig verwirrte. Ich war immer noch Will, und wenn du nach Joe fragtest, wusste niemand von wem du sprachst. Ich glaube es war 1986 als Henry Kissinger nach Nepal kam. Sie kauften zwei Kilo reines Heroin auf der Straße und konfrontierten den Generalinspektor der Polizei (IGP) damit. Sie drohten alle fremden Hilfen abzuschneiden, wenn nicht der Heroinhandel aus Nepal unterbunden würde. Um Kissinger zu beschwichtigen ließ der IGP jeden Langzeitbewohner Kathmandus ausländischer Herkunft verhaften. Überfallkommandos mit Drogenspürhunden durchsuchten Wohnungen. Über Nacht kamen 200 Westler in den Knast und viele Nepalesen. Die Nepalesen wurden gefoltert, und auf die Frage, wer der größte amerikanische Dealer sei, gaben sie mich preis und schließlich fanden sie heraus, dass Joe Will war. Ich war Nummer Eins auf ihrer Liste derer, die aus dem Geschäft in Nepal rausgeschmissen werden sollten. Einige Leute entkamen der Inquisition und schafften es bis nach Bangkok. Ich auch. 1988 ging ich zurück, musste aber im Untergrund leben, weil es Haftbefehle auf mich gab. Ich blieb zwei Wochen, gelangte wieder zurück nach Bangkok und bin seitdem nicht mehr dortgewesen.

az: Was sind die größten Risiken, auf die du bei deinen Schmuggeloperationen getroffen bist?

Howard Marks und Jospeh R. Pietri
Howard Marks und Jospeh R. Pietri

Pietri: Ich hab mein Bestes versucht, keine Risiken einzugehen. Ich war immer im Hintergrund. Die größte Gefahr war, verraten zu werden. Ich erinnere den Moment als wir im Büro des Generalinspektors der Polizei in Srinagar Kashmir waren. Er befragte meinen Freund und mich über unser Geschäft. Wir hatten diesen riesigen Mercedesbus, der in Geheimfächern mit Haschisch gefüllt war. Wir erklärten, dass wir den Bus benutzen würden um Touristen aus Bombay hochzubringen. In diesem Moment zieht er ein paar Kilo Haschisch aus seiner Schublade und sagt uns, wir seien im falschen Geschäft und dass wir für ihn arbeiten und sein Haschisch zu seinen Verbündeten nach Bombay bringen sollten. Wir erzählten ihm, dass es zu gefährlich sei und wir zu ängstlich sein würden. In dieser Nacht bewachte die Polizei einen schon vollgeladenen Wagen. Das war ziemlich haarig.

az: Ist es das Aufregende am Schmuggeln oder nur das Geld oder die fehlenden Alternativen, die dich für so viele Jahre im Geschäft gehalten haben? Was ist das Geheimnis der Schmuggelerfahrung?

Pietri: Ich wurde abhängig von dem Geld und dem Lebensstil. Der Thrill ein Ding erfolgreich durchzuziehen ist einer der größten Thrills. Damit durchzukommen. Ich flog rein und raus aus Asien, manchmal zweimal im Monat. Das Dope-Geschäft war eines der ehrlichsten Geschäfte in denen ich jemals war. Da war Ehre und Stolz auf dein Dope und darauf es auf den Markt zu bringen. In den Staaten lief das Marihuana-Business auf Vertrauensbasis und einem Händeschütteln. Ich bekam Tonnen über Tonnen von Marihuana noch vor Bezahlung und verlor nie einen Joint. Es war ein fantastisches Geschäft solange es lief, aber 1990 hatte die DEA das Good Old Boy Marijuana-Netzwerk, das seit den 60ern operierte, ausgeschaltet. Heute ist es eine ganz andere Szene. Wir waren Gegenkulturhelden, die gegen die Blockade anliefen und die Cannabiskultur schufen, die ihr heute habt.

az: Du hast dein Leben in vollen Zügen genossen. Du hast ein Abenteuer gelebt für deine wahrscheinlich hochgradig faszinierten Leser. Würdest du jemandem einen Ratschlag geben, der dir gerne heute im Jahre 2003 in deinen Fußstapfen folgen würde um ein Haschischschmuggler zu werden?

Pietri: Ich würde niemandem raten heute in das Haschischschmuggel-Geschäft einzusteigen. Es ist zu gefährlich. Meine Empfehlung ist es, sein eigenes Gras anzubauen und sich sein Haschisch zu Hause zu machen. Das ist es, was ich tue. Ich habe einen von Mila´s Pollinatoren mit dem ich mein eigenes Hasch mache. Ich lass meine Freunde meinen Pollinator benutzen und sie lassen mir immer was zukommen, so rechnet es sich selbst. Ich hab ein bißchen großartiges Hasch aus einer Kreuzung Burmese/Fucking Incredible und aus einer Jack Herer gemacht. Ich bevorzuge den Pollinator gegenüber den Bubble Bags, weil er der afghanischen Tradition näher steht und nicht so umständlich ist. Die ganze Wasser- und Eiswürfel-Methode ist mir zu aufwendig. Wie kann man besser die Qualität kontrollieren, als wenn man selbst anbaut?!

az: Heute bist du auf einem anderen Level als in den alten Tagen aktiv im Kampf gegen den verrückten „Krieg gegen Drogen“. Was sind deine jüngsten Projekte? Wo können wir mehr von deinen Einsichten und Ansichten finden?

Pietri: Letzte Woche wurde ich von Kevin Booth von Sacred Arts Productions in Austin/Texas gefilmt. Er macht eine Drug War-Dokumentation, die 2004 im TV und auf DVD erscheinen wird. Ich wurde kürzlich auf Blackopradio.com interviewed. Ich hab außerdem eine Show auf Pot-tv.net gemacht mit dem Titel „Joe Pietri versus The not so free world“. Man kann meine Website (www.kingofnepal.net) besuchen. Da kann man auch mein Buch bestellen. Es kostet 27 USD via Paypal, und ich versende eine signierte Erstausgabe. Man kann mich auch über E-mail (jpietri@msn.com) erreichen, wenn man das Buch bestellen möchte. Aber ich möchte zum Abschluss nochmal ein klares Bild davon geben, was der „War on Drugs“ wirklich ist. Der Drogenkrieg ist ein rassistischer Krieg. Nach der Bürgerrechtsbewegung in 1965 und dem Wählerregistrierungs-Gesetz, demzufolge schwarze Menschen erstmals wählen durften, musste die herrschende Klasse dieses Landes mit etwas aufkommen, um bestimmten Teilen unserer Gesellschaft weiterhin Bürgerrechte zu entziehen. Nixon quält die Cannabiskultur immer noch von seinem Grab aus. Angenommen du wirst zum ersten mal gebustet, verlierst du all deine Besitztümer, gehst ins Gefängnis, wo du Sklavenarbeit verrichtest, wirst entlassen, bist ein Verbrecher und es ist hart einen Job zu finden. In manchen Fällen verlierst du das Recht zu wählen, eine Waffe zu tragen etc. etc.. Es ist eine WinWin-Situation für die Regierung. Man darf nicht vergessen, dass jede Region, in der harte Drogen gewonnen werden, von der CIA geschaffen wurde. Das erfolgreichste Drogenkartell aller Zeiten. Sie schufen das Goldene Dreieck, den Goldenen Halbmond, das Medellin-Kartell. Selbst heute schützen sie die Opiumfelder in Afghanistan, die praktisch das gesamte Heroin für Europa liefern. Der Hauptgrund für eine Drogenlegalisierung ist es, endlich die CIA aus dem Drogengeschäft zu kriegen. Die Realität ist, dass die CIA für jede Person in dieser Welt verantwortlich ist, die von Heroin oder Cocain abhängig ist. Die Wahrheit ist, dass die US-Regierung ihre eigenen Leute einsperrt für Drogen, die sie selbst liefert. Sie haben den Drogenhandel lange genug benutzt, um ihre politischen Ziele zu erreichen. Hier in Colorado ist Marijuana seit 1917 illegal. Zu dieser Zeit kontrollierte der Ku Klux Klan den Bundesstaat. Sie kamen ganz offen raus und sagten, wir wollen nicht, dass braunhäutige Spics und dicklippige Nigger Boden besitzen. Sie bemerkten, dass farbige Menschen Marijuana als Rauschmittel benutzten, und so kriminalisierten sie den Marijuana-Gebrauch um Mexikaner zu deportieren und Schwarze zu entrechten. Es ist dasselbe, was heute passiert. Der Drogenkrieg in den Staaten ist eine riesige Geldmachmaschine und der Preis des Ganzen ist, dass 20 % der Bevölkerung der USA zu Verbrechern gemacht werden. Über 50 Millionen Menschen haben seit 1971 ihre Rechte verloren. Jedesmal wenn sie einen Stoner abstrafen, ist es ein fauler doperauchender Commie weniger, der sie beunruhigen könnte. Das ist die Mentalität. Peace and Pot.

az: Piece and Peace.

Das Buch: Joseph R. Pietri „The King of Nepal.
high adventure hashish smuggling through the kingdom of Nepal.“
138 Seiten, Softcover
Publication Services by Indiana Creative Arts
5814 Beechwood Avenue Indianapolis, IN 46219 USA
ISBN 0-615-11928-X
19.95 USD

Kategorien
Cannabis Drogenpolitik Interviews

Interview mit dem Coffee-Shop-Veteran Nol van Schaik

HanfBlatt, Nr. 91, Oktober 2004

Der Coffeeshop-Virus breitet sich aus

Interview mit dem niederländischen Coffeeshop-Betreiber und Cannabis-Aktivisten Nol van Schaik

Nol van Schaik hat nicht nur einen guten Namen, sondern hat sich auch einen guten Namen gemacht. Einst 1989 beim Schmuggel von 200 Kilogramm Marokkaner nur knapp den französischen Strafverfolgungsbehörden entkommen, und seitdem von diesen gesucht, eröffnete der ehemalige Bodybuilder und American Football-Spieler 1991 in seiner schönen Geburts- und Heimatstadt Haarlem, nur 15 Bahnminuten von Amsterdam entfernt, den ersten von drei „Willie Wortel“-Coffeeshops. Mit seiner Partnerin Maruska de Blaauw gründete er 1998 das „Global Hempmuseum“ und einen Growshop in Haarlem und setzt sich für ein patientengerechtes Abgabesystem für medizinisch genutztes Cannabis über Coffeeshops ein. Im Jahr 2001 versuchte er gemeinsam mit dem mutigen britischen Medical Marijuana-Kämpfer Colin Davies und anderen den ersten Coffeeshop nach niederländischem Vorbild in Stockport bei Manchester zu etablieren und riskierte dabei seine Freiheit. Ein Hanfmuseum im Belgischen Antwerpen einzurichten, scheiterte ebenfalls am Widerstand von Polizei und reaktionären Politikern. Unermüdlich engagiert er sich für Erhalt, Verbesserung und Ausweitung des erfolgreichen niederländischen Coffee-Shop-Systems, 2002 mit der Gründung eines „Coffeeshop-College“, eines Kurses für angehende Coffeeshop-Betreiber. Sein letzter Coup ist „The Dutch Experience“, ein äußerst lesenswertes Buch eines Insiders über 30 Jahre Coffeeshop-Geschichte, von der Gründung des ersten Hippie-Coffeeshops „Mellow Yellow“ 1972 durch Cannabis-Pionier Wernard Bruining (förderte praktisch als „Johnny Appleseed“ des psychoaktiven Hanfes schon 1981-1985 den Nederwiet-Eigenanbau mit der „Lowlands Seed Company“ und in den Neunzigern mit dem „Positronics Sinsemilla Fanclub“), sowie der kommerziellen Unternehmen „Bulldog“ und „Rusland“, bis zu den Problemen, mit denen sich Coffeeshop-Betreiber wie Nol bis heute konfrontiert sehen. Für die Zukunft ist ein kleines „Bud, Bed and Breakfast“ über seinem „Sativa“-Coffeeshop geplant. Und auch in Spanien engagiert sich Nol in Sachen Cannabiskultur. Nol van Schaik

az: Eines vorweg, auch wenn der Coffeeshop-Betrieb natürlich ein Geschäft ist, dass sich lohnen muss, so möchte ich die Gelegenheit nutzen, dir und allen anderen Coffeeshop-Aktivisten im Namen Vieler für eure Standhaftigkeit und euer Engagement in dieser Sache zu danken. Die Coffeeshops, wie sie in den Niederlanden existieren, scheinen eine praktikable Möglichkeit zu bieten und ein Vorbild dafür zu sein, wie man mit dem Verkauf und Konsum von Cannabisprodukten umgehen kann. Absurderweise werden in anderen Ländern wie Deutschland immer wieder Kommissionen gegründet, die andere Wege untersuchen, den Konsumenten selbst meist zutiefst suspekt, wie das Apothekenabgabemodell oder der Vetrieb über Drogenfachgeschäfte mit Fachpersonal. Ist der Coffeeshop nun tatsächlich das beste Modell für die Abgabe und den Konsum von Cannabis?

Nol: Sehr freundlich von dir uns eure Anerkennung für unseren Kampf auszudrücken; ich hoffe er mag euch in naher Zukunft als Beispiel dienen! Das Coffeeshopmodell beabsichtigte damals bei seiner Einführung wie auch heute die Cannabisgebraucher, meist junge Leute, von den harten Drogen und ihren Konsumenten fernzuhalten. Das funktionierte und funktioniert immer noch. Verglichen mit den Ländern rund um uns herum, hat Holland prozentual weniger Konsumenten von Cannabis, obwohl es frei erhältlich ist, und als eine Konsequenz dieses Systems auch weniger Konsumenten harter Drogen. Auch wenn das Niederländische Coffeeshopsystem beispielhaft sein mag, so ist die Niederländische Cannabis- und Coffeeshoppolitik aus meiner Sicht fern davon realistisch zu sein. Wie auch immer, unsere Kunden bemerken unsere Probleme nicht. Sie können Cannabis innerhalb unserer Öffnungszeiten frei kaufen und konsumieren. Wenn man das Niederländische Coffeeshopmodell mit all den Nicht-Politiken auf der Welt vergleicht, muss ich sagen, dass wir die beste Lösung für die Cannabisverteilung haben.

az: Welche Bedingungen müssen für den Betrieb von Coffeeshops noch verbessert werden?

Nol: Die Niederländische Regierung verlangt von uns mit nur 500 Gramm Vorrat zu arbeiten, was schwierig zu machen ist, insbesondere, wenn man 25 verschiedene Cannabisprodukte auf dem Menü hat. Das sollte abgeschafft werden. Jeder Laden, der alkoholische Getränke führt, kann soviel Alkohol kaufen, lagern und verkaufen, wie er will, obwohl der Alkoholkonsum jeden Tag allein in Europa den vorzeitigen Tod von hunderten Menschen zur Folge hat. Zusätzlich sollte das Mindestalter für das Betreten eines Coffeeshops auf 16 Jahre herabgesetzt werden, so wie es bis 1996 der Fall war. Die Heraufsetzung der Altersgrenze auf 18 Jahre hielt die jungen Menschen nicht vom Cannabisrauchen ab, es zwang sie lediglich auf der Straße zu kaufen, von Leuten, die auch harte Drogen verkaufen! Coffeeshops decken nur 20 Prozent der holländischen Städte ab, es sollten aber 100 Prozent sein! Nur 104 von 502 Niederländischen Stadtbezirken haben Coffeeshops in ihren Stadtgrenzen! Das ist verursacht durch die meistens der CDA angehörenden Bürgermeister der Städte ohne Coffeeshops. Wie ihre Partei wollen sie die Nulllösung in Sachen Coffeeshops. Und noch immer bezeichnet unsere Regierung Holland als Demokratie…

az: Wie sieht die Zukunft des Coffeeshop-Modells aus? Wird es liquidiert oder ersetzt werden, oder werden es andere Länder übernehmen?

Nol: Die Coffeeshops als solche können nicht liquidiert oder ersetzt werden, nicht in den nächsten zwanzig Jahren. Es ist wahrscheinlicher, dass es sich ausbreiten wird, overground, das heißt, der Coffeeshop-Virus ist nämlich schon underground gesichtet worden, zum Beispiel an den Orten, wo ihr euer Rauchzeug besorgt…

az: Ein sympathischer Virus! Muss man denn hart sein, um sich im Coffeeshop-Geschäft behaupten zu können?

Nol: In gewisser Weise ja, aber nicht im Geschäft an sich, sondern mehr gegenüber dem ständigen Druck durch die Veränderungen in der Politik. Du musst stark sein, um einen Coffeeshop zu eröffnen, stark gegen das negative Image, das geschaffen worden ist, gegen die Autoritäten, die dich nicht mögen und gegen dumme Leute, die zufällig Justizminister sind. Das Cannabusiness in Holland ist O.K.; es wurde angefangen von einem Hippy, was die Standards gesetzt haben muss, Danke, Wernard!

az: Was macht einen guten Coffeeshop aus?

Nol: Ein guter Coffeeshop hat freundliches erfahrenes Personal, das Hasch und Marihuana guter Qualität verkauft, bevorzugt über die Waage, nicht in vorabgepackten Tütchen. Die Lüftung ist ausreichend; der Ort ist schön dekoriert und hat eine warme einladende Atmosphäre. Alle Arten von Rauchzubehör sollten vorhanden sein, ebenso wie ein guter Vaporizer. Selbst ein kleiner Shop sollte einige Brettspiele, Zeitung(en) und einen Cookie mit einer Tasse Kaffee bieten können.

 

]]>

 

az: Natürlich kann er oder sie zu dir kommen, aber wie findet man den passenden Coffeshop ohne zu lange zu suchen, ganz allgemein?

Nol: Coffeeshops unterscheiden sich sehr im Stil oder kulturellem Vorherrschen, wie Bars oder Discos. Ein Hard Rock-Fan wird in keinem Fall in einen Reggae-Style-Coffeeshop gehen. Mein Tip: Geh an einen Ort mit vielen lokalen Stammkunden, weil die deine Preis-Leistungsverhältnis-Garantie sind. Ortsansässige werden keine hohen Preise für niedrige Qualität akzeptieren, deshalb tust du besser daran, dort zu kaufen, als an einem Ort, der hauptsächlich von Touristen besucht wird. Der erste Kontakt mit dem Personal sagt dir auch eine Menge; wenn sie freundlich sind, spiegelt sich das in der Kundschaft des Coffeeshops.

affe raucht

az: Wie alt muss ein Kunde sein? Wieviel darf er einkaufen? Darf er an den Thresen für wiederholte Käufe gehen? Darf er mehrmals am Tag wiederkommen? Was geschieht, wenn er mit seinem Kauf von der Polizei geschnappt wird? Gibt es außerhalb oder innerhalb der Coffeeshops Kontrollen?

Nol: Jeder Kunde über 18 Jahren kann 5 Gramm pro Coffeeshop pro Tag kaufen. Sie können für mehrere Käufe wiederkommen, aber tatsächlich müssen wir uns daran halten, pro Person pro Tag 5 Gramm zu verkaufen. In Wirklichkeit verkaufen wir dir, was du rauchen kannst…Die Polizei hat keine Zeit, kein Personal und keine Motivation die Verkäufe der Coffeeshops zu überprüfen. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies geschieht, ist nur real in der Grenzregion zu Belgien.

az: Wie sollte sich ein Coffeeshop-Besucher benehmen?

Nol: Wie einer von uns, baue, inhaliere und genieße die Gesellschaft anderer Raucher. Es funktioniert immer. Cannabis ist auch eine Art Sprache, die jeder Raucher versteht. Benimm die einfach natürlich…

az: Wie kann man als Kunde die richtige Wahl aus den umfangreichen Menüs treffen? Wie sollte er wählen, und was sollte er meiden?

Nol: Das hängt von deinem Geschmack und Toleranzlevel ab. Wenn du also ein erfahrener Raucher bist, wag dich ans ganze Menü! Es ist ganz normal, den Dealer zu fragen. Sie können dich dabei beraten auszuwählen, wenn du ihnen erklärst, was du von dem Cannabis willst, ein helles High oder einen entspannenden Buzz. Mehr als eine Frage der Auswahl, ist es eine Frage der Dosierung. Jeder kann das stärkste Ice Hasch rauchen, wenn er seine Pfeife oder seinen Joint entsprechend seiner Bedürfnisse dosiert.

az: Gibt es noch importiertes Haschisch oder Gras, das mit dem kräftigen heimangebauten Nederwiet und Nederhasch konkurrieren kann?

Nol: Zur Zeit können sie nur unser Menü ergänzen. Hasch ist jetzt nur noch 15 bis 20 Prozent unserer Verkäufe. Es waren vor zwölf Jahren 90 Prozent. Einige Hasch-Varietäten, wie Nepalesische Tempelbälle und Indischer Charas, sind unvergleichlich. Manche Leute werden sie immer gegenüber Nederwiet bevorzugen.

az: Manche sagen, das importierte Gras und Hasch in den früheren Tagen vor der Einführung von Nederwiet seien nicht so stark und von solcher Qualität gewesen, wie das Homegrown-Zeug heute. Was sagst du dazu?

Nol: Wahr, aber das war gewöhnlich (von) samenreichem Weed. Die Sinsemilla-Anbautechniken haben die Qualität der Buds und des extrahierten Hasch verbessert.

az: Sind immer noch qualitativ hochwertige Sorten wie Afghane, Nepalesische Tempelbälle und Thaisticks erhältlich wie in den Siebzigern und frühen Achtzigern, oder gehören sie ins Reich der Legenden? rund 3 gramm haschisch

Nol: Wir haben Nepalesische Tempelbälle auf unserem Menü und zwei Sorten Afghanen, also sind sie immer noch am Leben und qualmen. Ich hatte bis vor zwei Jahren Thaisticks, hab aber seitdem keine Guten mehr gesehen. Ich hoffe, wir werden auch in der Zukunft in der Lage sein, gute ausländische Haschsorten zu führen. Wir haben außerdem Indischen Charas und etwas Malana Cream, alles abhängig von unseren guten Kontakten mit den Lieferanten, die wir jetzt seit vielen Jahren kennen.

az: Welche Sorten sind definitiv vom Markt verschwunden? Gehören Türkisches und Libanesisches Haschisch dazu?

Nol: Da war nie eine große Ladung Türkisches Hasch erhältlich. Es kommt immer in kleinen Mengen, wenn es kommt. Es ist keine konstante Sorte. Libanese wird wahrscheinlich bald wieder zurück sein. Das Bekaa-Tal ist wieder voller Cannabis. Aber was uns kürzlich als Libanese angeboten wurde, kam wahrscheinlich aus Syrien, nicht so gut.

az: Mit Cannabis ist es ähnlich wie mit Wein, Kaffee oder Zigarren. Der Feinschmecker liebt ausgefallene Varietäten aus aller Welt. Hast du jemals Chinesisches, Philippinisches oder Haschisch von anderen exotischen Lokalitäten getestet?

Nol: Ich habe Chinesisches Hasch probiert, gebracht von einem Freund, der dort aus geschäftlichen Gründen war, nicht schlecht, aber nichts Besondres. Ich wünsche mir, ich könnte das Unbekannte testen…

az: Hat es im Laufe der Jahre Veränderungen in den Vorlieben bezüglich der verschiedenen Sorten gegeben? Bevorzugen bestimmte Subkulturen spezielle Cannabisprodukte? Haben Menschen aus unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Favoriten?

Nol: Nicht dass ich wüsste, insbesondere nicht mit der Auswahl, die wir bieten. Die Leute lieben es, eine Menge verschiedener Varietäten auszuprobieren. Coffeeshops sind die Orte, wo du das kaufst, was du in deiner Gegend nicht kriegen kannst.

az: Du hast zweien deiner Coffeeshops die Namen „Indica“ und „Sativa“ gegeben. Was ist der Unterschied zwischen einem Indica-Freund und einem Sativa-Liebhaber?

Nol: Der einzige Unterschied ist ihre Vorliebe für Sorten, von denen sie das kriegen, was sie wollen. Am Ende sind sie beide einfach Genießer von Cannabis; einer braucht ein stärkeres Gras um auf ein bestimmtes Level zu kommen, aber sie beide werden das Level erreichen, was sie sich wünschen. Oh, und ihre Joints riechen recht unterschiedlich!

az: Was kann ein Kunde tun, wenn er sich angeschissen vorkommt? Ich weiß, das in den meisten Fällen, insbesondere heute, die meisten Produkte der meisten Coffeeshops von einer relativ guten Qualität sind, zumindest machen sie stoned, obwohl die Preise angestiegen zu sein scheinen. Aber es ist nicht unmöglich, dass jemand importiertes Hasch oder Gras kauft, das zu alt, zu schwach, ausgetrocknet oder verschimmelt ist, oder im Falle von Nederwiet mit Pestiziden behandelt. Es gibt außerdem Gerüchte über die falsche Bezeichnung von Gras- und Haschsorten oder der Streckung und Mischung von Hasch um die Nachfrage nach bestimmten Varietäten zu befriedigen. In den Achtzigern gab es auch Betrügereien, den Verkauf von Hasch-Fälschungen („Afghan“, „Malana Cream“) an unwissende und schüchterne Touristen, meist in kurzlebigen Hanfblatt-Cofffeeshops im Zentrum von Amsterdam, aber ich beobachtete dies sogar einmal bei dem heute nicht mehr existierenden Hausdealer im berühmten Melkweg.

Nol: In unseren Shops kannst du immer zurückkommen und umtauschen, wenn du die Buds oder das Hasch, das du gekauft hast, nicht magst. Ich kann sagen, dass wir so wie viele unserer Kollegen kein schlechtes Cannabis haben. Ich weiss, dass andere, seit Jahren immer die selben Sorten auf dem Meü haben, was praktisch unmöglich ist. Du magst White Widow ordern und Power Plant kriegen, das ist wahr. Ich gehe dann und wann auf kleine Shoppingtouren durch Holland und unglücklicherweise gibt es immer noch Shops, die Weed und Hasch niedriger oder schlechter Qualität verkaufen. Der einzige Grund, den ich mir vorstellen kann, ist dass der Besitzer eines solchen Ladens selbst kein Cannabis raucht. Ein Raucher würde Seinesgleichen kein schlechtes Zeug anbieten. Wieauchimmer, wenn ich es mit 7/8 Jahren davor vergleiche, hat sich das sehr verbessert. Das ist der sich selbst regulierende Weg, nach dem das System funktioniert. Wenn du nur schlechte Ware hast, wird der Raucher zum nächsten Kollegen gehen, so dass du gutes Zeug verkaufen musst, um nicht bankrott zu gehen. Die Leute sollten eine Site im Internet haben, wo sie von schlechtem Cannabis berichten könnten, findest du nicht auch?

az: Sicher, sicher, eine gute Idee, und dazu noch umsonst, also ran an die Kartüffeln…Wie du es in deinem wunderbaren Buch erzählst, bist du sehr offen mit deinem Geschäft. Jeder kann weltweit den Verkauf von Cannabis in einem deiner Shops über Webcam fast live beobachten. Hat mal jemand deiner Kunden dagegen protestiert, oder lächeln sie alle nur, weil ein freier Mensch nichts zu verbergen hat, auch wenn es dumme Menschen nicht verstehen?

]]>

Nol: Wir hatten nie eine Beschwerde darüber. Einige Leute wollen austesten, ob es echt ist, also winken wir ihnen oder halten einen Geldschein vor der Kamera hoch, so dass sie sehen können, dass wir lebendig sind.

az: Beabsichtigst du mal eines Tages ein Fachbuch über Management und Warenkunde für Coffeeshop-Gründer und -Mitarbeiter zu veröffentlichen? Du könntest der Richtige dafür sein.

Nol: Ich arbeite zur Zeit in Spanien gerade genau da dran, und ich bereite einen neuen Kurs vor: „Cannabis Noledge“. Ich werde euch auf dem Laufenden halten…

az: Und wer zum Teufel ist „Willie Wortel“?

Nol: „Willie Wortel“ ist der holländische Ausdruck für eine erfinderische Person, die ständig mit neuen Dingen kommt. Es ist auch ein Charakter in „Donald Duck“, der erfinderische Storch, ein Neffe von Donald. Viele Leute nennen mich Willie, aber ich nenne nur einen bestimmten Teil meines Körpers so.

az: Möchtest du etwas hinzufügen?

Nol: Kämpft weiter gegen die Prohibition. Wir können die Lügen besiegen!

Das Buch:

Nol van Schaik
The Dutch Experience.
The inside story: 30 years of hash grass coffeeshops, 1972-2002
2002, Real Deal Publishing (www.realdealpublishing.com)
323 Seiten

Weitere Informationen:
www.hempcity.net

 

Kategorien
Psychoaktive Substanzen

Interview mit Gerhard Seyfried

HanfBlatt, Nr. 91, Oktober 2004

Von der Spaßguerilla in den deutschen Herbst

Comic-Sponti Gerhard Seyfried hält die Historie neuerdings lieber schriftlich fest. Letztes Jahr debütierte er mit „Herero“, einem Tatsachenroman über Namibia, sein neues Buch spielt in der Zeit der Schleyer-Entführung. Im Interview mit dem HanfBlatt spricht er über die 68er-Zeiten, die Kolonialgeschichte der Deutschen und chinesisches Opium.

Seyfried Sicher, die Berge, das schmucke Barock-Örtchen Solothurn, und die freundlichen Schweizer, das alles trägt zum Wohlfühlen bei. Aber bevor es ihn in die schweizerische Provinz verschlug, lebte Gerhard Seyfried 26 Jahre in Berlin. In den 70er Jahren gestaltete er die radikalen Zeiten mit und wurde mit seinen Karikaturen zum Liebling der Haschisch- und Hausbesetzer-Szene.

Der Wechsel vom Kiez zur Kuh, 2002 vollzogen, war weniger eine Suche nach neuen Wegen oder Eindrücken als vielmehr eine Abkehr von Berlin. Dessen Hauptstadtallüren hatten aus Sicht Seyfrieds, 56, die Reste der anarchischen Subkultur der 80er Jahre zersetzt. In seinem Heimatbezirk Kreuzberg hatten die Autos die Herrschaft über die Straßen übernommen und mit den zahllosen Döner-Buden und Handy-Läden war, so Seyfried, „Monokulti entstanden“.

Vor zwei Jahren hattest du noch behauptet, nie einen Roman über Berlin schreiben zu können, weil du „kein Nostalgiker“ wärst. Und nun doch ein Buch über die 70er Jahre in Berlin und München. Liegen Heimweh und Nostalgie dicht beieinander?

Das hat wenig mit Heimweh zu tun, sondern damit, eine zum großen Teil erlebte Geschichte aus den 70ern zu erzählen. Ich bleibe damit der Geschichtsschreibung treu, wie mit den Comics begonnen und mit Herero fortgesetzt.

„Der schwarze Stern der Tupamaros“ beschreibt eine Liebe in den Zeiten der Stadt- und Spaßguerilla sowie des nachfolgenden Terrorismus. Wie hast du die Radikalisierung der Szene damals erlebt? Musste der Widerstand in einer dogmatischen Sackgasse enden?

Seyfried Staat und militante „Szene“ haben sich ja gegenseitig aufgeschaukelt, wobei dem Staat das Verdienst gebührt, angefangen zu haben. Der Widerstand hat zwar teils in der Sackgasse geendet, hat aber auch seine Fortsetzung in anderen Formen gefunden.

„Wie konntet ihr die Nazis zulassen?“, das war eine der wichtigen Fragen in der Zeit.

So notwendig die Auseinandersetzung war, so ungerecht war sie teilweise auch. Sicher, die Alten waren begeisterte Nazis gewesen, aber eben aus einem fatalen Irrtum heraus. Und wer dagegen war, dem waren oft die Hände gebunden. Wir müssen uns ja jetzt schon fragen lassen, warum wir nicht mehr gegen Atomkraftwerke getan haben.

Wenn du das Gefühl der damaligen Zeit in einen Satz fassen müsstest? … würde zu wenig dabei heraus kommen. In zwei Sätzen: Man hat uns gesagt, wir leben in einer Demokratie. Das haben wir ernst genommen, womit scheinbar niemand gerechnet hat.

Du willst wieder zurück nach Berlin. Genug der guten Luft hier?

Ein deutlicher Nachteil ist, dass jeder automatisch denkt man lebt in der Schweiz, weil man zu viel Geld hat. Das ist bitter, wenn es nicht stimmt.

Mit „Herero“ hast du einen Roman über den deutschen Kolonialkrieg in Südwestafrika geschrieben. Was hat dich an dem Thema so beeindruckt, dass ein 600 Seiten-Roman daraus wurde?

Zum einen ist Geschichte ohnehin mein Steckenpferd, und als ich für das Goethe-Institut in Namibia war, da wusste ich schon einiges über das Land. Vor Ort hat mich dann das schöne Land begeistert, die ungeheure Spannung, die sich aus der Suche nach deutschen Spuren ergab. Der momentane Häuptling der Hereros heißt aber halt „Alfons“. Das Land ist wie unser eigener Wilder Westen; mit dieser endlosen Illusion von Freiheit. Und wie bei den Indianern spielte sich auch die Kolonialzeit ab: Betrug, Planwagen, Rinderkrankheiten, Alkohol.

Warum die detailgetreue Darstellung der technischen Szenerie vor Ort, wie beispielsweise der damals benutzten Geschütze und Eisenbahnen?

Tatsächlich kann ich mich in die Zeit nur rein versetzen, wenn das Detailwissen stimmt. Der Traum würde zerplatzen, wenn ich nicht genau wüsste, was die Hereros damals anhatten, wie die Gewehre funktionierten und wie das Wetter war.

Diese Tiefenschärfe wendest du auf die Menschen nicht an. Warum nicht?

Da will ich dem Leser mehr Spielraum lassen. Die Historie ist vorgegeben und die will ich möglichst genau schildern.

Kurz gehalten ist auch die Beschreibung über Dagga, den Hanf. Wie ist es heute in Namibia, wie gegenwärtig ist Dagga?
Haschisch!© Nachtschattenverlag
Es ist zwar verboten, aber man kriegt es und man raucht es. Durch die Wasserarmut ist Gras aber relativ selten. Aus den fruchtbareren Nachbarländern wird etwas Dagga importiert, während Haschisch so gut wie unbekannt ist. Dass ich es im Buch erwähne kommt daher, weil es mir im Laufe der Recherche aufgefallen ist, dass Hanf damals etwas ganz Normales war. Die Nil-Zigaretten hatten damals einen Anteil von 15-25% ungarischem Hanf und die ehemaligen Hottentotten und Buschleute haben es sowieso geraucht.

Und das spätere Verbot kann durchaus als Teil einer rassistischen Politik verstanden werden.

Das machen sie eben überall auf der Welt. Das ist eine Parallele zur Unterdrückung und Lächerlichmachung ethnischer Religionen und Gebräuche. Da wird alles genutzt, was der Zerstörung der urspünglichen Identität dient. Das Kiffen wird ebenfalls nicht ohne Grund verfolgt wie verrückt. Diese ungerechtfertigten Verbote grenzen für mich an Faschischmus.

 

War das ein Grund für deine Auswanderung von Deutschland in die Schweiz?

Ich rauche jetzt seit 35 Jahren und irgendwie habe ich mich an den illegalen Zustand gewöhnt. Ich renne nicht mit Riesentüten auf der Straße rum und habe bisher auch keine Probleme bekommen. Aber die Schweizer haben gutes Gras, stimmt.

Du sitzt bereits an deinem neuen Roman, er handelt in der Zeit des Boxeraufstands in China.

Ja, und wiederum ist es eine anstrengende, aber spannenden Recherchearbeit.

Ist der Boxeraufstand tatsächlich ein Resultat der Opiumkriege im ausgehenden 19. Jahrhundert, die Großbritannien mit China führte, um das Land weiterhin zur Einfuhr von Opium zu zwingen?

Nur zum Teil. China war für die „Westmächte“ ein riesiger Markt, voller Bodenschätze und militärisch schwach. Das galt es auszunützen. Die Boxerbewegung richtete sich ursprünglich gegen die herrschenden Mandschu, danach gegen die fremden Teufel, die als Ursache allen Unglücks angesehen wurden. Boxer war übrigens ein Spitznahme der Engländer für die Bewegung, die sich „Faustkämpfer für Gerechtigkeit“ nannte. Die beiden Opiumkriege hatten der chinesischen Führung die Überlegenheit Großbritanniens vorgeführt. Es ging darum, die Bevölkerung vor dem „Gift“ zu schützen. Da man gegen den mit Gewalt durchgesetzten britischen Import nicht ankam, versuchte man, selbst anzubauen, um die Kontrolle über den Verbrauch zu gewinnen. Gleichzeitig spaltete sich China in Traditionalisten, die von den Fremden nichts wissen wollten, und Modernisten, die der Ansicht waren, China müsse, ähnlich wie Japan, zu einer modernen Macht werden, um den aggressiven Kolonialmächten gewachsen zu sein. Diese Spaltung prägte auch den Bürgerkrieg während der sogenannten Boxerwirren.

Darf man schon mehr vom Inhalt des Romans wissen?

Eine Liebesgeschichte zwischen einer jungen deutschen Frau und einem Seeoffizier, vor dem Hintergrund der geschichtlichen Ereignisse in China, die ich sorgfältig recherchiere. Ein Teil spielt im von Deutschland besetzten Tsingtau, heute Qingdao, was ja eine Art deutsches Hongkong werden sollte. Die Deutschen haben dort ihre Aktivitäten damals anders organisiert als ein Jahrzehnt zuvor in Afrika. Gründliche Ausbeutung: ja, aber mit weniger Gewalt. Es wurden sogar Krankenhäuser und eine deutsch-chinesische Universität gebaut. Das Paar gerät dann in die Wirren des Boxeraufstands in Peking und die 55-tägige Belagerung der Gesandtschaften. Schon das ist spannend, mehr noch, weil das ja von den beteiligten Mächten zum Anlass genommen wurde, sich riesige Happen aus dem chinesischen Kuchen rauszusäbeln. Gleichzeitig war es der ersten große internationale Einsatz auf der Welt, bei welchem sich Nationen zusammen geschlossen hatten, um ein Ziel zu verfolgen. Es ging um die Sicherung wirtschaftlicher Interessen, wie man gewalttätigen Imperialismus damals wie heute nannte und nennt.

Wie näherst du dich der Denkweise der Deutschen von damals an?

Liest man Reiseberichte aus der Zeit um 1900, fällt einem schon die Überheblichkeit der Deutschen, Engländer, Franzosen etc. auf. Trotzdem nähere ich mich ihnen neutral. Man kann sich nicht hinstellen und sagen: „Ihr ward Arschlöcher“. Sind sie vielleicht von unserem heutigen Standpunkt aus, klar, aber wenn man als Autor so denkt, dann versteht man sie, und damit die Geschichte nicht. Sie haben halt geglaubt es richtig zu machen, nicht anders als wir heute.

Woher diese Lust am Schreiben und die Abkehr von den Comics?

Zum einen habe ich das Medium Comics sehr lange ausgeschöpft und nie genug damit verdient. Zum anderen ist es eine Herausforderung für mich eine Geschichte ohne Bilder zu beschreiben. Aus meiner Sicht gebe ich dem Leser einen größeren Freiraum für die Fantasie, wenn ich ihm kein fertiges Bild vorgebe.

 

Die wichtigsten Werke aus der Seyfried-Biographie

Verdammte Deutsche, Albrecht Knaus Verlag, München 2012

Gelber Wind oder Der Aufstand der Boxer, Eichborn, Berlin 2008

Seyfried & Ziska: Die Comics. Alle! Zweitausendeins. Frankfurt a.M. 2007

Herero, Eichborn Berlin 2003 Der schwarze Stern der Tupamaros, Eichborn Berlin 2004

Wo Soll Das Alles Enden, Rotbuch-Verlag Berlin 1978

Flucht aus Berlin, Rotbuch-Verlag Berlin 1990

Seyfrieds Cannabis Collection, Nachtschatten Verlag Solothurn 2003

Comic-Alben mit Ziska Riemann:

Future Subjunkies, Rotbuch-Verlag Berlin 1991

Space Bastards, Rotbuch-Verlag Berlin 1993


 

Kategorien
Drogenpolitik Interviews Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit dem Kriminologen Sebastian Scheerer

Aus dem HanfBlatt, 2004

„Rauschkultur als Form der Religiösität und des Hedonismus“

In den verwirrenden Gängen der Universität versteckt sich eine besondere Gattung: Der hängen gebliebene Student, gemeinhin Professor genannt. Gespräche mit dieser Spezies sind oft nicht spaßig – zu hoch ragt der Turm aus Elefantenstoßzähnen, zu dick die Mauer der Arroganz, zu verschlungen die Gänge der Gedanken. Aber es geht auch anders.

Ein Gespräch zwischen Sebastian Scheerer, Professor für Kriminologie an der Universität Hamburg und Jörg Auf dem Hövel.

HanfBlatt: Schön, daß Sie für das HanfBlatt Zeit haben.

Scheerer: Für das HanfBlatt doch immer.

Als Kriminologe beschäftigen Sie sich unter anderem mit der historischen Entstehung von Rechtsnormen, die heute den Umgang mit Cannabis, Alkohol und anderen Drogen bestimmen. Ein in der Rechtswissenschaft bisher nicht sehr populäres Forschungsgebiet, auf dem Sie Pionierarbeit leisten.

In Deutschland war ich wohl einer der Ersten, der sich genauer mit der Historie der Drogengesetzgebung auseinandergesetzt hat. In den USA gibt es David Musto, einen Medizinhistoriker an der Yale-University, der in seinem 1973 veröffentlichten Buch „The American Disease“ die amerikanische Betäubungsmittelgesetzgebung sehr genau untersucht. Inzwischen habe ich mich eingehender mit der Verbotsgeschichte einzelner Drogen beschäftigt. Opium, Morphium, Heroin und Kokain sind zwar in dem „1. Internationalen Opium Abkommen“ von Den Haag im Jahre 1912 zusammengepackt worden – welche Umstände aber zur Aufnahme der einzelnen Drogen in die Konvention geführt haben, ist kaum bekannt. Daß Kokain mit im Opium-Abkommen aufgeführt wurde, ist ja nicht selbstverständlich. Und auch weshalb man 1925 Cannabis in das Abkommen mitaufgenommen hat, ist relativ unbekannt.

Und wie kam Cannabis zu der Ehre?

Sebastian Scheerer
Sebastian Scheerer

Die übliche Geschichte wird von Howard S. Becker und Jack Herer erzählt: Da spielt der „Marihuana Tax Act“ von 1937 eine Rolle, ein Gesetz, welches formell ein Marihuana-Steuergesetz sein sollte, dem Inhalt nach aber das erste die gesamten USA umfassende Strafgesetz gegen Cannabis war. Dieses Gesetz wird dem sogenannten Moralunternehmer und Chef des damaligen „Federal Bureau of Narcotics“, Harry J. Anslinger, zugeschrieben. Das Problem dabei ist nur, daß dies 1937 war; international verboten war Cannabis aber schon seit 1925. Die Aktivitäten von Anslinger haben also keine Auswirkungen auf die Tatsache gehabt, daß Cannabis in einem Topf mit Opium und Heroin landete.

Der Vorschlag kam auf internationaler Ebene vielmehr aus den Ländern Türkei, Ägypten und Südafrika.

Mit welcher Motivation?

Das soll meine Forschung noch erhellen. Bekannt ist bisher folgendes: In Südafrika rauchten die schwarzen Bergarbeiter Cannabis. In Mosambique und Angola war Cannabis seit langer Zeit ein übliches Genußmittel. Das war für die Machthaber nicht interessant und exotisch, sondern irgendwie unheimlich. In der Geschichte der berauschenden Genußmittel ist immer wieder zu beobachten, daß Vorurteile gegen fremde „Rassen“ Hand in Hand gingen mit Vorurteilen gegen fremde Drogen. Irgendwann steht dann das eine für das andere und man glaubt, daß von der Droge selbst eine Gefahr ausgeht.

Und die Türkei und Ägypten?

In diesen Ländern spielten religiöse Gründe eine wichtige Rolle. Es gab immer wieder Sufi-Orden oder schiitische Minderheiten, die einen mystischen Weg der Erkenntnis wählten, in dem auch Rausch, Ekstase und Drogen eine wichtige Rolle spielten. Da diese Mystiker zugleich sehr kritisch gegenüber der Kirchenhierarchie, der sunnitischen Orthodoxie, waren, stand Cannabis in diesen Ländern dann als Synonym für Häresie. Aber nicht nur Cannabis, sondern auch Kaffee – jedenfalls noch im 16. Jahrhundert. Damals war in Konstantinopel Kaffee verboten, Kaffeehäuser wurden dem Erdboden gleich gemacht und Kaffeetrinker umgebracht. Dasselbe galt nebenbei auch für Tabakraucher. Und da Religion und Politik dort deckungsgleich waren…

Eine Säkularisierung hatte nicht stattgefunden…

…war eine religiös-häretische Richtung damit immer auch eine politische Bedrohung. In Ägypten lag der Fall anders: Dort und auch in Griechenland wurden Geisteskrankheiten und Cannabiskonsum in Verbindung gebracht.

Lassen sich allgemeine Aussagen über die Stellung von Cannabis im Islam treffen?

Der Status von Cannabis war und ist im Islam kontrovers: Cannabis war eine bevorzugte Droge der Armen und auch der armen religiösen Orden. Beide Gruppen stellten eine Gefahr für die herrschende Klasse da die Reichen die Cannabis-Konsumenten abschätzig betrachtete. In Rahmen dieser Politik war es einfacher und konsensfähiger, nicht die Leute, sondern die Droge zu verfolgen.

Das erinnert an Vorgänge in Europa und Amerika.

Ja. Während der Jugendrevolte von ´68 trampelte man auch gerne unter Vorhaltung medizinischer Gründen auf Cannabis herum. Schließlich konnte man schlecht sagen, daß einem die gesamte Art der Jugendlichen nicht gefiel. Das gab den Ressentiments einen objektiveren Anschein.

]]>

Ein gewisses Muster ist wiedererkennbar. Immer wieder meint der Staat, für seine Bürger sagen zu müssen, welche Genußmittel sie zu konsumieren haben und welche nicht. Da hat sich auch für uns in Europa seit dem Mittelalter nicht viel geändert.

Praktisch hat sich Nichts verändert. Aber: Seit der französischen Revolution besteht der Anspruch, daß den Bürgern das erlaubt ist, was die Rechte andere nicht verletzt. Nur was die Realisierung dieses Rechts im Bereich der Genußmittel angeht, ist man auf der faktischen Ebene soweit wie vor 400 Jahren. Die allgemeine Handlungsfreiheit ist hier außer Kraft gesetzt.

Wie kam es später dazu, daß die Ärzte entscheiden, was gut ist und was nicht? Kann man sagen, daß die Wissenschaft immer nur das nachvollzogen hat, was auf sozial-moralischer Ebene schon vorentschieden wurde?

In dem Maße, in dem die Götter an Bedeutung verloren, wuchsen die Ärzte als „Halbgötter“ in die Rolle der Schiedsrichter zwischen Gut und Böse hinein. Allerdings segnen Sie meist nur pseudo-wissenschaftlich ab, was jeweils gerade „herrschende Meinung“ ist. Zu einer Zeit, als es hieß, daß Onanieren zum Rückenmarkschwund führe, fanden sich immer auch Mediziner, die das in dicken Büchern nachgewiesen haben. Und zu einer Zeit als der Nationalsozialismus bestimmte Vorstellungen von lebenswertem und lebensunwertem Leben verbreitete, fanden sich auch immer Mediziner, die das „bewiesen“. Was Drogen angeht, segnet die Medizin auch heute im wesentlichen die herrschenden Vorurteile ab, beziehungsweise hängt ihnen das Mäntelchen der Wissenschaft um.

Auch deswegen kommt Hans-Georg Behr ja zu der Behauptung: „Ich sehe keine Bewegung“. Was denken Sie, bewegt sich nichts in der Legalisierungsfrage von Cannabis?

Es passiert etwas in der Stimmung, in der öffentlichen und veröffentlichten Meinung. Über die Hanfhäuser und die sonstige Vermarktung von allem, was mit Hanfblättern verziert ist, ändert sich die Sicht auf den Hanf. Das Hanfblatt ist nicht nur mehr ein Symbol der schweigenden Mehrheit, wie schrecklich gefährlich die Droge ist, sondern hat sich zu einem Symbol für das Gegenteil, nämlich für Natur und Ökologie und auch für eine gewisse Lässigkeit im Umgang mit diesem Genußmittel, gewandelt. Und insofern hat sich auf der symbolisch-kulturellen Ebene etwas bewegt. Nur: Von der symbolischen Ebene tröpfelt wenig runter in die Köpfe der Politiker. Selbst bei den Grünen sehe ich zu wenig Liberalität.

Dann ist die Kluft zwischen der Hanf-Bewegung, den Verfechtern des rauscharmen Hanfs, und den Streitern für eine Legalisierung der Droge ja obsolet.

Die betont harmlose Vermarktung weicht unter Umständen die Vorurteile gegen die Pflanze und auch die Leute, die diese Pflanze anders nutzen als zum anziehen, auf. Ansonsten bin ich kein Freund solcher Spaltungen. Dies gilt für die Leute, die sagen, sie wären für wirkstoffarme Anpflanzungen und gegen Rauschhanf genauso wie für den Gruppenegoismus von Cannabiskonsumenten gegenüber Kokain- oder Opiatkonsumenten. Ich habe früher mit Opiatkonsumenten gearbeitet. Dort habe ich viele Vorurteile gegenüber Alkoholkonsumenten erlebt. Dazu nur: Jede Droge hat ihre potentiellen Gefahren und Opfer. Es gibt keinen Grund zu sagen: „Auf die Leute, die mit Alkohol nicht zurecht kommen, schaue ich runter.“ Die Mehrheit der Opiat-, Kokain-, Alkohol- und Cannabiskonsumenten kommt mit den jeweiligen Substanz gut zurecht. Nur weil jemand ein gewisses Genußmittel präferiert, darf man ihn doch nicht strafrechtlich verfolgen. Das ist die grundlegende Absurdität!

Im Kern geht es allen Gruppen ja nur um den kurzzeitigen Rauschzustand. Der Konsument wird heute trotzdem mit strafrechtlichen Mitteln vor sich selber geschützt. Funktioniert dieser Schutz?

Ich kann eingeschliffene Frage und Antwortspiele nicht leiden. Es scheint ja eine Binsenweisheit zu sein, daß dieser Schutz nicht funktioniert. Aber gerade eine solche „Gewißheit“ sollte uns herausfordern, darüber neu nachzudenken…

… nun, ich kann meine Frage auch dahingehend konkretisieren, wie denn besserer Schutz aussehen könnte.

… ob es nicht doch Aspekte gibt, unter denen dieser momentane Schutz funktioniert. Sicher verschafft das straftrechtliche Verbot der Droge ein so schlechtes Image, daß viele Menschen mit ihr nicht in Verbindung kommen, die doch einmal in Versuchung kommen könnten, wenn es sie an jeder Ecke legal zu erwerben gäbe. So gesehen schützt man viele Menschen vor der Droge Cannabis. Zugleich nimmt man diesen Menschen aber das positive Potential der Droge und ein Stück Autonomie. Da müssen wir uns doch fragen: Wollen wir eine Gesellschaft, in der wir die Autonomie per Strafrecht abschneiden? Der momentane Schutz funktioniert nur in einem paternalistischen, entmündigenden Sinne.

Und der andere Schutz?

Bei der Sexualität sagt man ja auch nicht: „Du darfst nie Sex haben!“ Sondern man sieht ein, daß Sex eine wichtige Erfahrung ist, obwohl dabei Menschen immer wieder psychisch tief verletzt werden und sich ja zum Beispiel auch deswegen umbringen. Da sind sehr gewissenhafte Informationen, Verständnis und Hilfestellung gefragt – und das ist leider bei der Erziehung zu einer „guten Sexualität“ nicht anders als bei der Erziehung zum kundigen, vernünftigen Umgang mit Drogen.

Christian Rätsch schlägt so etwas wie einen Rauschkundeunterricht vor.

Sicherlich eine gute Idee. So wie der Staat eine Sexualaufklärung leistet, könnte er dies auch bei den Rauschmitteln tun. Zukünftig werden veränderte Wachbewußtseinszustände eine immer größere Rolle spielen. Es gibt ein gesellschaftliches Bedürfnis nach unterschiedlichen Erlebnissphären, nach inneren, seelischen Abenteuern. Im normalen Arbeitsalltag wird man einseitig gefordert und überfordert und es ist eine gute und richtige Entwicklung, daß man unter anderem durch eine Vielfalt von unterschiedlichen Bewußtseinszuständen, die man gezielt, aber auch kundig, anstrebt und erlebt, ein Gegengewicht zu diesen Normalwelten schafft. Dies hält das Bewußtsein von anderen Möglichkeiten wach oder schafft es neu.

Sie schreiben, daß sich die Gesellschaft daran gewöhnen muß, daß sich „im Zuge der allgemeinen Differenzierung der Lebensstile immer mehr Gruppen mit speziellen Genußpräferenzen herausbilden werden“. Die ravende Jugend mit ihrem Ecstasy und LSD-Konsum ist erst der Anfang?

Ja. Und für mich ein sympathischer Anfang. Ich teile nicht die Meinung, daß das den Weltuntergang bedeutet, wenn Leute eine Nacht lang durchtanzen. Die Leute sind risikobewußt und nicht risikofreudiger als Leute die Motorrad fahren. Viele Politiker und Polizisten glauben allerdings, das sei eine Bedrohung der Jugend und der gesamten Gesellschaft.

Die Angst der Mächtigen vor dem Rausch der Masse ist geblieben. Warum wird die Obrigkeit unruhig, wenn unter ihnen Ekstase herrscht?

Anthropologisch ist es so, daß der Rausch seine Faszination aus der Mischung von Risiko und Grenzüberschreitung bezieht. Der Mensch will als reflexives Tier diese Grenzen kennenlernen und periodisch überschreiten, ob im Karneval oder durch Drogen. Vor den Risiken dabei hat er aber -zurecht- Angst. Der Rausch ist ambivalent und nicht wegzudenken aus der menschlichen Existenz. Herrschaft und Machtwille bringen politische Ängste dazu, die in letzter Zeit eher größer als kleiner geworden sind. Das ist dann mehr der Blick des Fremden auf den Berauschten. Der Beobachter, der mit Vergrößerung der Distanz auch die Fähigkeit der Empathie verliert, hat eine chronische Angst, die Kontrolle über andere Menschen zu verlieren.

Wenn wir von Grenzüberschreitung sprechen, nähern wir uns den religiösen Erfahrungen. Welcher Zusammenhang besteht zwischen Drogen und mystischer Welterfahrung?

Diese Bereiche durchwirken sich. Es gibt zwar voll säkularisierte Rauschkulturen, aber man findet nur wenige mystische Erfahrungen, wo Drogen keine Rolle spielen und andererseits wenig Rauschkulturen, wo spirituellen Beweggründe keine Rolle spielen. Insofern können die heutigen Rauschkulturen nicht nur Zeichen der Ausdifferenzierung von Lebensstilen sein, sondern auch eine neue Form der Spiritualität und Religiösität. In Deutschland ist dies allerdings nicht so ausgeprägt, weil hier die Säkularisierung ausgesprochen erfolgreich gewesen ist. Hier steht der Hedonismus im Vordergrund.

Interessant ist auch der Zusammenhang von Drogenkultur und dem Internet. Ist darüber schon nachgedacht worden?

Von mir nicht. Aber sagen Sie mal was dazu.

Gesellschaftliche Randgruppen fanden im Internet schnell eine Plattform, um ihre Anliegen an eine spezielle Öffentlichkeit zu bringen. An keinem anderen Ort gibt es so vorurteilsfreie, fundierte Informationen über psychoaktive Substanzen. Und das ohne moralische Bewertung. Die Ideen der amerikanische Cyber-Bewegung fußen zum großen Teil auf Erfahrungen mit Drogen. Faszinierend scheint auch hier -wie bei den religiösen Erfahrungen- die gedachte Möglichkeit zu sein, als reale und virtuelle Person gleichzeitig zu existieren. Ich sitze vor dem Rechner, bin aber gleichzeitig als Diskussionsteilnehmer in Asien. Es erfüllt sich also der Wunsch nach Transzendenz.

Die die Menschen immer schon gesucht haben. Und es war immer schon mit das aufregendste und tiefreichendste Erlebnis für Menschen, die sonst unausweichlichen Bedingungen unserer Wahrnehmung, nämlich Raum und Zeit, zu überwinden.

Kant nahm ja an, daß Raum und Zeit a priori gegeben sind. Und es gibt ja durchaus Zustände, in denen das Subjekt feststellt, daß dem nicht so ist.

Kant sah Raum und Zeit eben als Bedingungen unserer Wahrnehmung und nicht als gegebene Objekte an. Ob Raum und Zeit existieren, darüber hat Kant nichts gesagt. Nur waren Raum und Zeit für ihn unverrückbare Teile unseres Bewußtseins; wir sind nach Kant unfähig, anders als in Zeit und Raum zu denken und wahrzunehmen. Die mystischen Erlebnisse, die Kant nur unzureichend gewürdigt hat…

…er saß ja lieber in seiner Stube in Königsberg.

…zeigen aber gerade die Möglichkeit, an diesen Gitterstäben unseres Gedankengefängnisses zu sägen. Und warum sollte es illegitim sein, aus diesem Gefängnis ausbrechen zu wollen? Und die mystischen Erfahrungen gehen seit Jahrhunderten ganz beharrlich genau auf diesen Punkt ein.

Zurück zu Konkretem. Wie wird juristisch begründet, daß der Staat in das durch das Grundgesetz normierte Persönlichkeitsrecht, welches ja auch die Wahl der Genußmittel einschließt, eingreifen darf?

Auch dieses in der Verfassung stehende Grundrecht hat Schranken. Dies sind zum einen die Rechte anderer, aber auch die allgemeinen Gesetze. Wenn also ein anderes Gesetz das Persönlichkeitsrecht einschränkt, dann ist das eine legitime Grenze. Dieses Gesetz wird dann bei Bedarf vom Bundesverfassungsgericht daraufhin untersucht, ob es im Lichte des allgemeinen Persönlichkeitsrecht dieses zu sehr einschränkt.

Die Schranken haben also ihre Schranken.

Nach den Gesetzen der formalen Logik kommt man da nicht sehr viel weiter. Letztlich wird geprüft, ob die Schranken verhältnismäßig sind. Nach 500 Seiten juristischer Argumentation ist man faktisch nicht sehr viel weiter, denn es stellt sich natürlich die Frage: Was sind die Kriterien für die Verhältnismäßigkeit? Das Verfassungsgericht stellte im Zusammenhang mit der Cannabis-Entscheidung dann zwei Fragen: Einerseits: Wie wichtig ist die Freiheit, psychoaktive Substanzen zu sich zu nehmen? Gehört Sie zum Kern des Persönlichkeitsrechts? Und andererseits: Wie groß ist das Risiko? Diese beiden Güter wurden gegeneinander abgewogen, wobei das Gericht sagte: die freie Wahl der Rauschmittel ist kein zentrales Recht, aber die damit verbundenen Risiken wären enorm hoch. Also darf der Gesetzgeber das verbot aussprechen beziehungsweise beibehalten.

Und ihre Meinung?

Ich halte es für den Kern des Kernbereichs, daß man darüber entscheiden darf, wie man sich nach außen darstellt: Ob man rote oder grüne Kleidung trägt, ob man die Haare lang oder kurz hält, ob man zum Mittag Kartoffelbrei, Tütensuppe oder einen griechischen Hirtensalat ißt; diese Entscheidungen sollten dem Menschen selbst überlassen bleiben. Und dies gilt für die Zusammenstellung aller Genußmittel.

Der Hüter der Verfassung ging einen anderen Weg.

Das Gericht zählte das Recht auf Rausch nicht zum Kernbereich der Freiheit. Das Gewicht des Rechts auf Rausch wog für die Richter nicht so schwer wie die Risiken, die auch benannt wurden: Drogenhandel, Gefährdung der Jugendlichen und unklare medizinische Auswirkungen. Für diese Argumentation braucht man eigentlich keine Juristerei. Die spezifisch juristischen Begründungen sind genaugenommen Vernebelung, denn sie führen von der Sache her nicht weiter. Auch die Quellen und Beweisaufnahmen die für die Entscheidungsfindung benutzt wurden, waren unter Niveau und nicht auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand.

Zum Ende: Wagen Sie einen Ausblick auf die zukünftige Entwicklung in Sachen Cannabis?

Die Befürchtung die ich früher stark hatte, daß die Cannabis-Legalisierungsdebatte zu Lasten der anderen Drogen geht, hat sich zerstreut. Die Pro-Cannabis Aktivitäten haben bisher nicht dazu geführt, daß Cannabis liberaler behandelt wird und andere Drogen stärker sanktioniert werden. Ich wollte nie reine Cannabis-Fälle politisch wie justiziell verarbeitet sehen, sondern die Freiheit jedweden Drogenkonsums erreichen.

Behr beispielsweise will das unbedingt getrennt behandeln.

Ich sehe nur, daß es offensichtlich sehr viel erfolgreicher war, Cannabis von den anderen Drogen zu trennen und einen Sonderweg zu gehen. Der ist zwar auch nicht so durchgreifend, wie ich erhofft hatte, aber ich habe heute nicht mehr die Befürchtung, daß diese Trennung zu Lasten der sogenannten harten Drogen ausschlägt. Insgesamt läßt sich feststellen, daß die veröffentlichte Meinung über Cannabis günstiger und teilweise objektiver als früher ist. Und das liegt maßgeblich an der Initiative von Wolfgang Neskovic. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist trotz allem immerhin ein winziger Schritt in Richtung auf die Normalisierung der Cannabis-Frage. Gegenreaktionen der Konservativen bleiben natürlich nicht aus, aber ich möchte bezweifeln, daß man die Debatte auf den Stand vor Neskovic zurückschrauben kann.

 

Sebastian Scheerer, geboren 1950, ist Mitherausgeber des Buches „Drogen und Drogenpolitik“, Frankfurt am Main, 1989. Im Rowohlt Verlag ist 1997 „Sucht“ erschienen.

Kategorien
Drogenpolitik Interviews Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit James S. Ketchum über chemische Kriegsführung

telepolis, 15.08.2004

Chemische Kriegsführung

Ein Interview mit James S. Ketchum über fast vergessene Geheimnisse

Eine Menge wurde über die geheimen Experimente geschrieben, die die CIA während der Fünfziger und frühen Sechziger mit psychoaktiven Drogen, insbesondere LSD, durchgeführt hat. Diese Projekte namens „Bluebird“, später „Artichoke“ und „MKULTRA“ testeten den möglichen Einsatz zur Bewusstseinskontrolle und als Wahrheits-Serum. In zahlreichen Fällen wurden unwissenden Versuchspersonen diese Drogen verabreicht allein um zu beobachten, was passieren würde. Zu diesem Zweck führte die CIA sogar ein Bordell. Diese ziemlich anarchischen Aktivitäten im Rahmen des Kalten Krieges wurden in den Siebzigern öffentlich bekannt. Der Fall von Frank Olson, der kurz nachdem er LSD verabreicht bekommen hatte aus einem Fenster sprang oder geworfen wurde und starb, geriet ins Zentrum vieler Spekulationen. Außerdem wurde ein erheblicher Teil der umfangreichen wissenschaftlichen Forschung an LSD während dieser Zeit durch getarnte CIA-Fonds subventioniert.

Weniger bekannt ist die Tatsache, dass die US-Armee ihr eigenes chemisches Forschungszentrum hatte, das Edgewood Arsenal nordöstlich von Baltimore, wo sie auf wissenschaftlicher Basis eine Reihe von psychoaktiven Substanzen und ihre Anwendung als handlungsunfähig machende Wirkstoffe testete, darunter BZ und andere Belladonnoid-Glycolate und LSD.

Der Psychiater James S. Ketchum hat tatsächlich dort gearbeitet und den ersten umfassenden Bericht darüber geschrieben, was dort in den Sechzigern geschah. Sein kürzlich im Selbstverlag in Englisch veröffentlichtes autobiographisches Buch „Chemische Kriegsführung. Fast vergessene Geheimnisse. Eine persönliche Geschichte der Medizinischen Tests an Armee-Freiwilligen mit handlungsunfähig machenden chemischen Wirkstoffen während des Kalten Krieges (1955-1975)“ ist, reich bebildert und mit einzigartigen wissenschaftlichen Daten und Dokumenten bezüglich einiger ziemlich obskurer Substanzen vervollständigt, eine wahre Fundgrube sowohl für Sechziger Jahre-Historiker als auch Psychoaktiva-Afficionados.

Frage: Viele Menschen fürchten sich mehr vor psychoaktiven Substanzen, wenn sie als Waffen benutzt werden um Feinde in einer Kriegssituation handlungsunfähig zu machen, als vor den „traditionellen“ Waffen, Kugeln, Granaten und Bomben, die schwere körperliche Verletzungen oder den Tod sowohl von Soldaten als auch Zivilisten verursachen. Wie erklärst du dir diesen offensichtlichen Widerspruch?

James S. Ketchum: Meinem Gefühl nach hat die Öffentlichkeit im Angesicht exzessiver Geheimniskrämerei ein Mißtrauen gegenüber Regierungsabsichten entwickelt und wird dadurch von Kritikern in den Medien leicht dazu verführt zu glauben, dass jeder Gebrauch einer Chemikalie als Waffe zwangsläufig grausam und unmoralisch sei. Mangel an Wissen über handlungsunfähig machende Substanzen ist ein weiterer wichtiger Grund. Chemische Kriegsmaterialien mit geringem Tötungsrisiko werden unangebracht als Massenvernichtungswaffen klassifiziert. Das allgemeine Versäumnis, diese Unterscheidung zu treffen, ist bedauerlich. Es ähnelt dem Fehler Marijuana nicht von wirklich schädlichen Drogen wie Kokain und Heroin (ganz zu schweigen von Alkohol und Tabak) zu unterscheiden.

Frage: Von 1955 bis 1975 wurden insgesamt 3200 Freiwillige chemischen Wirkstoffen ausgesetzt, die ihnen zum Zwecke militärischer Forschung verabreicht wurden. Wie müssen wir uns vorstellen, was im Edgewood Arsenal geschah?

James S. Ketchum: Ich denke, das Bild sollte eines von ernsthafter Forschung sein, die mit bereitwilligen Freiwilligen gemacht wurde, mit dem Ziel angemessene Abwehrmöglichkeiten gegen möglicherweise einsetzbare chemische Waffen zu finden, indem man ihre Wirkungen auf den Menschen in einer Laborumgebung studierte, die darauf angelegt war, Sicherheit zu gewährleisten und widrige Wirkungen zu minimieren. Ein zweites Ziel war es alternative, humanere Waffen zu liefern, um bestimmte Missionen mit minimaler Todesrate durchführen zu können.

Frage: Du hast ausführlich BZ und andere Belladonnoide untersucht, die ähnlich den Nachtschatten-Alkaloiden Atropin und Skopolamin wirken, aber viel länger, 72 Stunden und mehr. Die Menschen unter ihrem Einfluss tendieren dazu lächerliche und sinnlose Dinge zu tun, zumindest aus Sicht eines Beobachters, und erinnern nicht viel, wenn sie wieder in die Normalität zurückkehren. Hast du jemals länger anhaltende Komplikationen nach den kontrollierten Tests mit den Belladonnoiden oder LSD beobachtet oder davon gehört?

James S. Ketchum: Ich weiss, dass einige Veteranen heute behaupten, 30 bis 50 Jahre nach einem kurzen Kontakt als Freiwilliger mit einer oder mehrerer Chemikalien in Edgewood, dass sie in Folge eines unerwarteten verzögerten toxischen Effektes auf Grund ihrer damaligen chemischen Erfahrung verschiedene Krankheiten entwickelt hätten. Wie auch immer, umfassende Nachuntersuchungen 1980 (für LSD) und 1982 (für Belladonnoide) haben keinen signifikanten Anstieg der Erkrankungsziffer oder der Sterblichkeit unter früheren Freiwilligen festgestellt, die eine Substanz erhielten, gegenüber denen, die keine bekamen. Man kann etwas Negatives niemals beweisen, aber es wäre meiner Ansicht nach bemerkenswert, wenn eine winzige Dosis einer Droge, die während der medizinischen Auswertung zwei Wochen nach der Zufuhr keine schädlichen Wirkungen erkennen ließ, auf irgendeine Weise Jahre später Schäden verursachen würde. So ist zum Beispiel nichts über verzögerte Schäden als Folge des persönlichen Gebrauchs von LSD in höheren Dosierungen oder größerer Frequenz, als wir sie getestet haben, bei diesen Konsumenten bekannt. (Geschätzte 10% der US-Bevölkerung haben LSD zumindest einmal genommen.) LSD ist heute nach wie vor als Freizeit- und psycho-spirituelle Droge beliebt.

Frage: Hat irgendjemand die Belladonnoid-Erfahrung genossen?

James S. Ketchum: Ein Individuum, ein früherer Heroin-Süchtiger, erlebte einen ruhigen, angenehmen Zustand nach einer handlungsunfähig machenden Dosis Atropin. Tatsächlich sagte er, die beiden Drogen fühlten sich ähnlich an. Wie auch immer, im Allgemeinen fanden die Freiwilligen, die Belladonnoid-Drogen erhielten (im Gegensatz zu dem manchmal Euphorie hervorrufenden LSD) kein Vergnügen an den frühen Wirkungen der Droge, hauptsächlich auf Grund der Ruhelosigkeit, die große Dosierungen während der Anfangsphase meist bewirken. Im Anschluss an die Erholungsphase erinnerten die Probanden allerdings meist kein ernsthaftes Unbehagen mehr, und einige fühlten sich sogar belebt.
Wie ich in meinem Buch herausstelle, wurde Atropin um 1950 herum in der „Koma-Therapie“ in den USA, Japan und Polen (und vielleicht noch woanders) in Dosierungen bis zu 20 mal so hoch wie die handlungsunfähig machende Dosis benutzt. Es wurde psychiatrischen Patienten verabreicht, ohne dass es zu drogenbedingten Todesfällen oder bleibenden Hirnschäden kam. Ein hoch qualifizierter Akademiker, der als von schweren Zwangsvorstellungen geplagter Arzt beschrieben wurde, war in der Lage, in verbessertem Zustand erfolgreich in seine Praxis zurückzukehren nachdem er ein Dutzend oder mehr Behandlungen mit Atropin in Dosierungen von 50 bis 200 mg erhalten hatte (4 – 16 mal so hoch wie die höchste Dosis, die wir jemals unseren Freiwilligen verabreicht haben). Auch wenn sie üblicherweise nicht genossen, bis zu 72 oder 96 Stunden lang delirös zu sein, so waren zumindest ein Dutzend der Freiwilligen bereit, den Test (ohne irgendeinen Zwang) zu wiederholen. Ich fragte eine Versuchsperson, was er dafür verlangen würde, wenn wir ihm anbieten würden, ihn dafür zu bezahlen, eine zweite Dosis zu nehmen, und er antwortete nach einigem Nachdenken: „Etwa 25 Dollar“.

Frage: Was sind die hauptsächlichen Risiken des Gebrauchs von Belladonnoiden als handlungsunfähig machende Wirkstoffe?

James S. Ketchum: Wie ich es sehe, bestehen zwei Gefahren: Erstens kann in einer heißen Umgebung ein Hitzschlag drohen, wenn nicht rechtzeitig Behandlung erfolgt; zweitens könnte desorganisiertes Verhalten, besonders nach Wiedererlangen der Bewegungsfähigkeit, zu unbeabsichtigten Verletzungen und Tod führen. In beiden Fällen sind strenge medizinische Überwachung und unverzügliche Behandlung die Schlüssel um solche Probleme zu verhindern, wenn sie bevorzustehen scheinen.

Frage: Die Armee hat große Mengen BZ hergestellt. Was für eine Art von Szenario könnte das Vorspiel für den Einsatz von BZ als psychochemischer Waffe gewesen sein?

James S. Ketchum: Ich denke, BZ (oder jedes andere Belladonnoid) könnte nur effektiv sein, wenn es in einem definierten, vorzugsweise beschränkten Gebiet eingesetzt werden würde, aus dem ein Entkommen verhindert werden kann, und ausreichend Zeit besteht um die erwünschten Wirkungen zu erreichen. Wenn zum Beispiel feindliche Kämpfer eine Botschaft besetzen würden, könnten BZ-artige Wirkstoffe benutzt werden, um es sicherer zu machen einzudringen und Geiseln zu befreien, während man gleichzeitig die „Übeltäter“ festnimmt. Logistische und operative Entscheidungen würden taktische Experten erfordern, um die Details auszuarbeiten. Ich persönlich würde nicht vorschlagen, solch eine Waffe für den Gebrauch durch den normalen Soldaten zur Verfügung zu stellen, außer er hätte eine umfassende Spezialausbildung erhalten.

Frage: Ihr habt den Gebrauch des Kalabarbohnen-Alkaloides Physostigmin als ein effektives Gegenmittel um die Belladonnoid-Wirkungen zu verkürzen wiederentdeckt, eine ziemlich interessante Errungenschaft. Wurden im Edgewood Arsenal noch andere wissenschaftlich wertvolle Entdeckungen gemacht?

James S. Ketchum: Ich denke, dass die systematische Charakterisierung verschiedener Belladonnoid-Wirkstoffe (und einiger anderer) eine akademische Basis bietet, um für diese Substanzen Struktur-Aktivitäts-Beziehungen in einem Maß abzuleiten, wie es zuvor nicht möglich war, außer für Tiere. Die Entwicklung des ersten zuverlässigen Bluttestes für LSD und das Herausfinden, dass Thorazin-artige Drogen hier als Behandlung ungeeignet sind, sind andere Beispiele. Viele neue Evaluations- und Test-Prozeduren wurden erarbeitet, die bei zukünftigen Humanstudien an Freiwilligen behilflich sein könnten.

Frage: Wie verliefen die LSD-Trips in der kontrollierten Umgebung eines Armee-Forschungslabors? Wurden zumindest einige der Versuchspersonen während ihrer Trips spirituell beeindruckt oder erleuchtet?

James S. Ketchum: Es ist schwer zu sagen. Wir waren hauptsächlich an den Leistungsänderungen unter verschiedenen Dosierungen interessiert. Auf Grund sorgfältiger Auswahl und Vorbereitung sowie ausreichend Zeit, um mit dem Personal und den anderen Freiwilligen vertraut zu werden, fühlten sich die Versuchspersonen in der Testsituation normalerweise wohl. Wir beobachteten viele Variationen in den Details ihrer Reaktionen, aber wenige schlechte Trips. Ich beobachtete eine vorteilhafte Veränderung im Selbstbild eines Soldaten nachdem er das, was ein schlechter Trip zu sein schien, mit seinen Kameraden diskutiert hatte. Sie boten ihm Unterstützung, und er war in der Lage, seine Sorgen bezüglich seiner sexuellen Fantasien gegenüber den Krankenschwestern zu offenbaren, was seine Angst linderte. Als er in seine Heimat-Einrichtung zurückgekehrt war, erfuhren wir indirekt, dass seine Persönlichkeit weniger introvertiert geworden war und seine sozialen Kompetenzen sich verbessert hatten.
Weil es unsere Absicht war, Veränderungen in der Leistungsfähigkeit zu messen und nicht persönliche Erleuchtung, ist es schwer zu sagen, welche persönlichen Vorteile in der spirituellen Dimension stattgefunden haben mögen. Es wäre schön, glauben zu können, dass sie zumindest in einigen Versuchspersonen auftraten, aber wir haben zu diesem Aspekt keine systematischen Daten gesammelt.

Frage: Hattet ihr irgendeine Medikation um einen angsterfüllten und erschreckenden LSD-Trip zu beenden oder abzukürzen?

James S. Ketchum: Wie erwähnt, waren schlechte Trips selten. Ich kann mich nicht erinnern, bei den Versuchspersonen, die ich getestet habe, jemals Tranquilizer (wie Valium oder ein Barbiturat) geben zu müssen, aber da einige der Tests von anderen Ärzten überwacht wurden, kann ich keine definitive Antwort geben. Natürlich hätten wir ein Beruhigungsmittel verabreicht, wenn eine wirklich verstörende Wirkung aufgetreten wäre. Wie auch immer, die Dosierungen des LSD waren normalerweise klein oder moderat (das heißt 50-150 mcg), und panische Reaktionen treten in diesem Dosisbereich selten auf.
Frage: Was habt ihr über die Einsatzfähigkeit von LSD in einer Kampfsituation herausgefunden?

James S. Ketchum: Ich beobachtete, dass bei einem Test, der an der chemischen Forschungsanstalt in England in Porton Down gefilmt worden war, bei einer trainierten Gruppe britischer Kommandos LSD in Dosen von 150 mcg totale Desorganisation hervorrief. In sowohl den britischen als auch den amerikanischen Tests mit LSD wurden keine gewalttätigen Aggressionen beobachtet. Höhere Dosierungen tendierten allerdings dazu, mehr Reizbarkeit und verbale Feindseligkeit hervorzubringen. Mein Hauptbedenken bezüglich der Einsatzfähigkeit von LSD in einer Kampfsituation wäre der Verlust an Hemmungen und Disziplin. Weil der Betroffene noch in der Lage sein mag, Waffen abzuschießen oder Raketen abzufeuern. LSD würde gegen schwer bewaffnete Gegner eine gefährliche Wahl darstellen. Die Kommandeure am Edgewood Arsenal empfanden ebenso, und LSD wurde niemals zur Bewaffnung zugelassen.

]]>

Frage: Seltsamerweise schafftest du es von 1966 bis 1968 eine zweijährige Studienphase an der Stanford Universität einzuschieben und hast so die Chance erhalten, den „Sommer der Liebe“ in San Francisco persönlich zu bezeugen. Du hast sogar an der Haight-Ashbury Free Clinic gearbeitet. Wie hast du den „Sommer der Liebe“ erlebt? Was hast du über diese jungen Leute gedacht, die einige der Drogen nahmen, die du als handlungsunfähig machende Wirkstoffe getestet hattest, insbesondere LSD?

James S. Ketchum: Ich war fasziniert vom Sommer der Liebe und schaffte es einige Male von Palo Alto nach San Francisco zu fahren und ihn aus erster Hand zu beobachten. Indem ich eine Nacht in der Woche als freiwilliger Arzt in der Klinik arbeitete, begegnete ich einer ziemlichen Vielfalt an LSD-Reaktionen. Ich versuchte außerdem mit einigen wenigen Individuen auf einer wöchentlichen Basis Psychotherapie zu machen. Es war mein Eindruck, dass diese frühen Hippies oft spirituell veranlagt waren und LSD für Einsicht und Selbst-Erleuchtung nutzten. Unglücklicherweise nahmen sie es manchmal zur falschen Zeit und am falschen Ort und oft in exzessiv hohen Dosen, was zu einer Welle von Notaufnahmestationsbesuchen führte.
Ich glaube nicht an die Sinnhaftigkeit einer Politik, die es Privatpersonen verbietet psychedelische Drogen einzunehmen, aber ich empfehle kenntnisreiche Supervision und gebührende Absichten. Wie auch immer, der Gebrauch bewusstseinsverändernder Drogen durch Teenager ist nicht ratsam und sollte aus Gründen der psychischen Gesundheit mißbilligt werden; Drogen können das Lernen beeinträchtigen und das Studium durch „High werden“ ersetzen, sich der Zeit und des klaren Verstandes für mehrere Stunden bemächtigen. Medizinische Behandlung für die, die nicht vom Drogenmißbrauch Abstand nehmen können, macht für mich viel mehr Sinn als Gefängnis, außer im Falle der Individuen, die sich auf gefährliches antisoziales Verhalten einlassen oder Anderen Schaden zufügen.
Frage: In den Sechzigern begann die Einnahme psychoaktiver Substanzen zur Unterhaltung Bestandteil westlicher (Jugend-)Kultur zu werden. Was denkst du, wie wir mit diesem Phänomen umgehen sollen?

James S. Ketchum: Die Politiker unseres Landes haben die negativen Auswirkungen von Drogen bis zu dem Punkt propagiert, an dem wir tausende ansonsten unschuldiger Individuen einsperren und Milliarden ausgeben um Drogen unerhältlich zu machen. Diese Strategie hat tatsächlich unsere Probleme verschlimmert, Kartelle bereichert, Morde gefördert und Geld aus unserer Ökonomie abgezogen, das besseren Zwecken gedient haben könnte. Von allen drogenbedingten Todesfällen, so schätzt man, werden 99 Prozent durch Zigaretten und Alkohol bedingt, während die den illegalen Drogen zuzuschreibenden Todesfälle nur 1 Prozent umfassen. Diese Strategie der Prävention zu überdenken und bessere Erziehung und attraktive Optionen zum Drogengebrauch zu bieten, würde gleichzeitig rationaler erscheinen und eine weniger kostspielige Herangehensweise an Drogenmißbrauchsprobleme darstellen.

Frage: Was denkst du im Rückblick über die Moralität und den Nutzen deiner Arbeit am Edgewood Arsenal?

James S. Ketchum: Ich war stolz auf die Arbeit, die wir in Edgewood machten, und glaubte, sie wäre moralisch gerechtfertigt, insbesondere im Kontext der Zeit. Wir befanden uns inmitten eines Kalten Krieges, dessen zukünftige Ausrichtung ungewiss war. Nichtsdestotrotz war es unsere Absicht, chemische Methoden der Schadensbegrenzung zu finden. Wir taten alles, was wir konnten, um wahre Informationen für mündige Entscheidungen zu liefern. Als abschließende Überlegung sollte die Wichtigkeit zu Lernen, wie man die Drogen, die wir studiert haben, behandelt und sie, wenn notwendig, einsetzt, gegen das minimale Risiko der Schädigung der Freiwilligen abgewogen werden.
Risiken sind jedem Experiment inhärent. Die Soldaten, die an unseren Studien teilnahmen, verrichteten einen wichtigen Dienst für ihr Land und sollten geschätzt werden für ihre Bereitwilligkeit Risiken einzugehen im Interesse der nationalen Verteidigungsfähigkeit im Falle einer psychochemischen Kriegsführung. Insofern da wir alles taten, was wir konnten, um die Tests so sicher wie möglich zu machen und uns um Zustimmung auf Basis wahrer Informationen bemühten (trotz Behauptungen des Gegenteils), glaube ich, dass unsere Arbeit tatsächlich ethisch war.
Das Buch:

James S. Ketchum
Chemical Warfare. Secrets almost forgotten. A Personal Story of Medical Testing of Army Volunteers with Incapacitating Chemical Agents During the Cold War (1955-1975)
Foreword: Alexander Shulgin
Hardcover, Großformat, 360 S., zahlreiche Abb.
Santa Rosa, California 2006
49.95 US-Dollar
ISBN 978-1-4243-0080-8

Kategorien
Drogenpolitik Interviews Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit Günther Amendt über Doping und die Pharmakologisierung des Alltags

telepolis, 15.08.2004

„Der Leistungssport wird seine ‚Unschuld‘ nie wieder zurückgewinnen“

Interview mit Günter Amendt, Experte für Drogenökonomie und Drogenpolitik, über Doping, die Pharmakologisierung des Alltags und das Scheitern der Prohibition

Amendt

Seit nunmehr 30 Jahren untersucht Günter Amendt die Wirkung von Drogen auf Menschen – auf diejenigen, die sie verkaufen, auf die, die sie konsumieren, und auf die, die sie kontrollieren. Schon 1972 veröffentlichte er das inzwischen mehrfach aktualisierte Buch „Sucht. Profit. Sucht“. Darin analysierte er zusammen mit Ulli Stiehler die politische Ökonomie des Drogenhandels. Seine Analyse des internationalen Kampfes gegen die Drogen führte Amendt über die Jahre immer mehr zu dem Schluss, dass die Prohibition einer der größten politischen Fehler des 20. Jahrhunderts gewesen sei. Sein Argument: Erst das Verbot schaffe den globalen Drogenhandel, darum sei dieser Schaden größer als das Risiko der Legalisierung. Im Interview lässt der Hobby-Radsportler Amendt, Jahrgang 1939, die Ereignisse der Tour de France Revue passieren, wagt einen Ausblick auf das Doping bei den Olympischen Spielen und weist auf die Gefahren einer medikamenten- und substanzfixierten Gesellschaft hin.

Herr Amendt, bei der diesjährigen Tour de France waren sich Radfahrer, Organisatoren und Sponsoren mal wieder einig: Doping ist die Ausnahme, Doping ist das, was die anderen machen. Ist das nicht ein bewusster Irrtum? Und wenn ja, warum wird er so vehement verteidigt?

Günter Amendt
Außer dem jungen Thomas Voeckler, der möglicherweise für eine neue Generation von Fahrern steht, die ohne chemische Hilfsmittel vorankommen wollen, war unter den Spitzenleuten der diesjährigen Tour kaum einer, der nicht bereits des Doping überführt worden wäre oder unter Dopingverdacht geraten ist. Juristisch gilt die Unschuldsvermutung, moralisch die Schuldvermutung, denn die Tour de France wird, wie der französische Sportminister es ausdrückte, beherrscht von einer „Kultur des Doping“. Daran hat sich nichts geändert. Niemand bei klarem Verstand glaubt dem Geschwätz der Funktionäre und der Sponsoren-Sprecher, wenn die das Gegenteil beteuern.
Wie gehen wir als Publikum und Radsportler mit diesem Wissen um? Diese Frage hat mich bei der diesjährigen Tour besonders beschäftigt. Da wir ein Gespräch über Doping im Sport verabredet haben, sollte ich zum besseren Verständnis vorausschicken, dass ich mich schon als Junge für Sport zu interessieren begann und dass ich seit Jahren auf dem Niveau eines Freizeitsportlers alleine oder mit einer Gruppe von Freunden auf dem Rennrad unterwegs bin. Ich lebe also im ständigen Widerspruch einer Leidenschaft für den Radsport (und den Fußball) und dem Wissen und den Erkenntnissen über deren Schattenseiten. Vor diesem Hintergrund kann ich nicht umhin, Armstrongs sechsten Toursieg als eine gigantische sportliche Leistung zu bewundern. Armstrongs Auftritt war die ebenso beeindruckende wie abstoßende Demonstration eines unbeugsamen Leistungswillens.

Aber was unterscheidet Armstrong von Voeckler? Der Glaubwürdigkeitsgrad seiner Beteuerungen? Anders gefragt: Kann man ohne Doping bei 3400 Kilometern mit über 40km/h Durchschnittsgeschwindigkeit überhaupt vorne mitfahren?

Günter Amendt
Armstrong ist ein Mann unter Verdacht. Voeckler nicht – vielleicht auch nur: noch nicht. Natürlich kann ich mir nicht vorstellen, wie man solche Spitzenleistungen ohne chemische Hilfsmittel zustande bringen soll. Ich werde jedoch den Verdacht nicht los, dass sich Teile des Publikums und der Medienöffentlichkeit längst mit der Dopingrealität arrangiert haben. In Europa findet eine Anpassung statt an US-amerikanische Verhältnisse, wo der Sportler als Gladiator wahrgenommen und akzeptiert wird. Armstrongs Status in Europa, die Antipathie, die ihm entgegenschlägt, hat weniger mit dem Dopingverdacht zu tun, dem er – zugegeben – massiv ausgesetzt ist, was ihm verübelt wird, ist diese spezifisch US-amerikanische Siegermentalität, die er cool nach außen trägt, was ihm den Ruf der Arroganz einträgt. Armstrong ist ein kalter Sportheld. Doch man muss sich entscheiden – wer professionellen Leistungssport will, muss in Kauf nehmen, dass unter den Bedingungen des Neoliberalismus sportethische Kriterien nichts mehr zählen. So ist das System. Das Gerede von Armstrongs Kannibalismus ist einfach nur lächerlich. Das ganze System ist kannibalisch. Und dazu gehört: der Gegner muss nicht nur besiegt, er soll auch gedemütigt werden. The winner takes it all für sich und für sein hierarchisch geführtes Team, das sich ganz in den Dienst seines Kapitäns zu stellen hat und im Gegenzug die Siegprämie beanspruchen darf. Das nennt man Professionalismus. Ich wüsste nicht, was es daran zu kritisieren gäbe. Und doch hat Armstrong die Schraube überdreht. Sich bei einem Ausreißversuch seines italienischen Intimfeindes an dessen Hinterrad zu hängen und den Sheriff zu spielen, war too much. Das hat ihn beim Buhlen um die Gunst des Publikums Punkte gekostet und selbst Sympathisanten abgestoßen. Dieser Typ von Amerikaner hat derzeit schlechte Karten in Europa.

Sportliche Großereignisse, Doping, die Massenmedien und der Staat

Wie bekommt der Sport das Doping in den Griff?

Günter Amendt
Doping ist mehr als nur ein sportinternes Problem. Bei allen sportlichen Großereignissen ist der Staat involviert. Weil sportliche Leistungen noch immer als Ausdruck der nationalen Leistungsfähigkeit weit über den Sport hinaus gelten, fördert der Staat seine Hochleistungssportler – oft über den Umweg der Armee und der Polizei. Olympische Spiele sind immer auch Armee- und Polizeifestspiele – innerhalb wie außerhalb der Stadien. Erhält ein Land den Zuschlag als Veranstalter eines Großereignisses, werden zusätzlich gigantische Summen aus Steuermitteln in Stadionneubauten und in Infrastrukturmaßnahmen gesteckt. Nach dem „Event“ stehen die Stadionbauten allzu oft als Investitionsruinen in der Landschaft herum. Jüngstes Beispiel für einen skandalösen Fehleinsatz staatlicher Mittel ist Portugal, das nach der Fußball-Europameisterschaft zwar überdimensionierte Stadien vorzuweisen hat, dafür aber nicht genügend Wasserflugzeuge und Hubschrauber bei der Waldbrandbekämpfung zur Verfügung hatte.

Folgt man dieser Logik, dann können Großveranstaltungen dieser Art nur noch in voll entwickelten Industrienationen stattfinden, wo Markt und Fans eh nach neuen Stadien rufen.

Günter Amendt
Ob die Fans tatsächlich nach neuen Stadien rufen, sei dahingestellt. Ich habe da meine Zweifel, wenn ich etwa an das Fan-Publikum von 1860 München denke, das sich gegen den Umzug vom Grünwalder- ins Olympiastadion stemmte. Wenn man mit Mitgliedern von Fan-Gruppen kleinerer Bundesligavereine spricht, wird man in seinen Zweifeln bestärkt. Da wird oft der Verdacht geäußert, mit dem Neubau von Stadien solle gleich auch das Publikum ausgetauscht werden. Aber das ist ein anderes Thema. Was die Veranstaltung von sportlichen Großereignissen betrifft, stimme ich Ihnen zu: nur entwickelte Industrienationen sind dazu in der Lage. Das heißt aber noch lange nicht, dass sich der ganze Aufwand am Ende ökonomisch rechnet. Mangelnde Auslastung, Leerstand und enorme Folgekosten belasten die Haushalte der kommunalen Träger oft über Jahre hinaus. Handelt es sich um private Träger, dann schlagen sich deren Verlustabschreibungen in Form von Steuermindereinnahmen in den Haushalten nieder.

Heißt das, der Staat soll sich aus der Sportförderung zurückziehen?

Günter Amendt
Als Gegenleistung für sein finanzielles Engagement verlangt der Staat einen „sauberen Sport“, denn nur ein „sauberer Sport“ kann die ihm zugedachte Rolle als Vermittler von Werten wahrnehmen. Doch um welche Werte geht es da eigentlich? In der diesjährigen Tourberichterstattung von ARD und ZDF wurde deutlich, dass es darüber keinen Konsens gibt. Als der Chef von T-Mobile Jan Ullrich bescheinigte, er sei keine „Bestie“ und kein „Killer“, gab der Ex-Profi Rolf Gölz als Co-Kommentator des ZDF zu bedenken, man könne das auch als Kompliment verstehen, während sein Kommentatoren-Kollege wie auch der Chef der ZDF-Sportredaktion sich diesen Vorwurf voll zueigen machten. Und kaum war ein Mitglied des T-Mobile-Teams an Ullrich vorbeigezogen, wurde die Frage aufgeworfen, ob Ullrich nicht die Kapitänsbinde an Andreas Klöden abgeben müsse. Mit seiner Weigerung, diesem Vorschlag auch nur gedanklich nahezutreten, setzte sich auch Klöden dem Verdacht aus, keine Bestie und kein Killer zu sein. Die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten, die ihrerseits erhebliche Mittel für die Berichterstattung einsetzen, brauchen deutsche Siege, um ihren Mitteleinsatz zu rechtfertigen und das Publikum am Bildschirm zu halten. Über das T-Mobile-Team wird berichtet, als sei es die deutsche Radsport-Nationalmannschaft.

Nun, Ullrich, das „schlampige Genie“, wie er ja gerne genannt wird, ist ja nun mal auch ein nationaler Held. Und wenn es eine Nationalmannschaft gäbe, wäre Ullrich der Kapitän.

Günter Amendt
Mir ist es völlig egal, ob die Fans schwarz-rot-goldene oder magentafarbene Fahnen schwenken. Ich würde weder das eine noch das andere tun. Tatsache ist jedoch, dass Ullrich seinem Beruf als Radrennfahrer im Dienste eines Konzerns und nicht im Dienste der Bundesrepublik Deutschland nachgeht. Das ist einer der vielen Widersprüche in der Diskussion, den ich im Dopingkapitel meines Buches „No Drugs – No Future. Drogen im Zeitalter der Globalisierung“ bereits thematisiert habe: „Das Bemühen, Sport im Zeitalter der Globalisierung als nationale Klammer zu benutzen, ist eher gewachsen, steht allerdings in Konkurrenz zu den Anstrengungen global operierender Konzerne, an die Stelle von nationalen Symbolen die Logos von Firmen zu setzen.“
Dass eine öffentlich-rechtliche Anstalt als Sponsor eines Firmen-Teams auftritt, zu dessen Mitgliedern des Doping überführte oder des Doping verdächtigte Radsportler gehören, und dann auch noch anfeuernd über den Wettkampfeinsatz dieses Teams berichtet, ist und bleibt ein Medienskandal, auch wenn sich die Öffentlichkeit damit abgefunden hat. Was sich der ARD-Kommentator leistete, als er die nationale Karte zog, und dem CSC-Profi Jens Voigt vorwarf, den Etappensieg von Jan Ullrich, der für T-Mobile im Sattel saß, verhindert zu haben, hat mit kritischem Journalismus nichts aber auch gar nichts zu tun. Diese Art von Berichterstattung trägt zur Vermobbung der Massen am Straßenrand bei, wie sie beim Aufstieg nach Alpe d’Huez und dem Verhalten deutscher Fans gegenüber Lance Armstrong zu beobachten war.

Die US-amerikanische Leichtathletik befindet sich seit Monaten im größten Doping-Skandal ihrer Geschichte, Hunderte von Sportlern haben illegalen Muskelaufbau betrieben. Bei den nun beginnenden Olympischen Spielen in Athen will das IOC hart durchgreifen. Ist der Wille tatsächlich da, entschlossen gegen Doping vorzugehen? Und wie ist die Rolle der Anti-Doping-Agentur der USA (USADA) einzuschätzen?

Günter Amendt
Es wird den Fernsehanstalten auch diesmal gelingen, das Publikum vor dem Bildschirm zu versammeln. Getrommelt wird ja genug. Aber mal ehrlich: Wer interessiert sich noch für die Olympiade? Es gab einmal eine Zeit, als „die Sommerspiele“ ein geradezu festliches Ereignis waren, das alle Sportinteressierten in eine kindliche Vorfreude zu setzen vermochte. Das ist schon lange vorbei. Die inflationäre Aneinanderreihung von großen Events – die Fußball-Europameisterschaft, die Tour de France, die Sommerspiele – wertet die Olympiade zusätzlich ab. Und selbstverständlich stehen die Leichtathletikwettkämpfe, die als der Höhepunkt olympischer Sommerspiele gelten, für jeden einigermaßen informierten Zuschauer im Schatten des US-amerikanischen Dopingskandals. Das IOC will durchgreifen – hart und unerbittlich. Dabei weiß doch jeder, dass ein bei den olympischen Spielen des Doping überführter Sportler nur ein Depp ist, der es einfach nicht geschafft hat, seine Aufbausubstanzen rechtzeitig abzusetzen. Ich rechne mit einigen Dopingfällen bei sogenannten Randsportarten. Auch in der Leichtathletik wird es den einen oder anderen Dopingfall geben. Einige der US-Doper treten erst gar nicht an, weil sie von ihrem Verband gesperrt wurden. Der Rest ist zum Zeitpunkt des Wettbewerbs entweder clean oder auf dem aller neuesten Stand der Dopingtechnik, der einen Nachweis unmöglich macht. Dass die US-Anti-Doping-Agentur und die US-Sportverbände über Jahre hinweg eine äußerst dubiose Rolle spielten, ist hinlänglich bekannt. Ob man das auch jetzt noch, nach dem Bullenmastskandal (THG), weiter behaupten kann, weiß ich nicht. Diese Skandalgeschichte ist noch nicht zu Ende erzählt. Ich traue mir da im Augenblick kein Urteil zu.

Saubere Spiele und die Pharmakologisierung des Alltags

Sind denn „saubere Spiele“ ein realistisches und sind sie überhaupt ein wünschenswertes Ziel?

Günter Amendt
Der Leistungssport wird seine „Unschuld“ nie wieder zurückgewinnen. Den Anspruch auf einen „sauberen Sport“, soweit er sich auf den professionellen Hochleistungssport bezieht, sollte man schnellstens vergessen. „Sauberer Sport“, das ist eine Propagandaformel, und „propaganda all is phony“, erkannte schon Bob Dylan.

Aber was ist die Konsequenz? Die Freigabe des Dopings?

Günter Amendt
Es gibt Profisportler und Verbandsfunktionäre, die genau das fordern. Bei nüchterner Betrachtung liegt ihre Forderung, Doping freizugeben, in der Logik eines total pervertierten Hochleistungssports, der sich als Zirkusveranstaltung den Spielregeln der Unterhaltungsindustrie unterworfen hat. Diese Diskussion macht Sportlerinnen und Sportler, die clean sind, rasend, denn mit der Forderung, Doping zu legalisieren, wird der Generalverdacht, unter dem heute jeder steht, der sich am sportlichen Wettbewerb beteiligt, verstärkt und bestätigt.

Welche Rolle fällt dem Staat in einer mit Medikamenten gesättigten Gesellschaft zu, deren substanzorientierte Institution „Sport“ ja nur ein logischer Teil ihrer selbst ist?

Günter Amendt
Gegen staatliche Sportförderung ist nichts einzuwenden. Doch der Staat fördert nicht den Sport, er fördert die Höchstleistung. Wer die Pharmakologisierung des Alltags, die sich schleichend vollzieht, für einen Fortschritt hält, wird nichts dagegen einzuwenden haben, wenn der Staat und dessen politische Klasse chemisch erzeugte Höchstleistungen als Ausdruck des Leistungswillens der Bevölkerung aus Steuermitteln fördert. Das nennt sich dann Standortpolitik.

Nennen Sie bitte Zahlen, die diese kontinuierliche Pharmakologisierung untermauern.

Günter Amendt
Die These von der Pharmakologisierung des Alltags stützt sich auf allgemein zugängliche Quellen, wie die Geschäftsberichte der Pharmaindustrie, die Berichterstattung der Wirtschaftspresse und den jährlichen Report des Suchtstoffkontrollrates der Vereinten Nationen, der für diese Entwicklung, die leichtfertige Verschreibungspraxis der Ärzte und die Parallelproduktion der Pharmaindustrie zur Belieferung des illegalen Marktes verantwortlich macht. Das im Detail darzustellen, würde den Rahmen eines Interviews sprengen. Hinzu kommt, dass der Medikamentenhandel sich zunehmend in der Grauzone von Legalität und Illegalität abspielt. Denken Sie nur an den Handel im beziehungsweise über das Internet, wo Viagra der Renner ist. Viele Vertreter der Pharmabranche geben unumwunden zu, dass sie daran arbeiten, bestimmte Stoffe vom Image eines Medikamentes zu befreien und unter dem großen Dach des Life-Style-Segments zu vereinen. Das beginnt bei der Vitaminpille und führt zur Raucherentwöhnungspille, der Verhütungspille vor und nach dem Geschlechtsverkehr, der Entfettungspille, der Potenzpille und endet bei angstlösenden Pillen und Antidepressiva. Hinzu kommt die breite Palette der Anti-Aging-Produkte. In einer Analyse des Pharmamarktes bescheinigt das Wirtschaftsmagazin „Capital“ den Life-Style-Produkten ein „sicheres Wachstum“. Lag der Umsatz im Jahr 2000 noch bei 19,5 Milliarden Dollar, so sei für 2010 mit einem Umsatz von 41 Milliarden Dollar zu rechnen.

Der chemisch optimierbare Mensch

Was sind die Konsequenzen der Ausweitung dieser Pillenzone? Was spricht dagegen, dass sich Menschen mit geeigneten Mitteln Alltag oder Freizeit gestalten? Das gab es doch schon immer.

Günter Amendt
Dagegen spricht, dass viele Pillen nicht die Wirkung zeigen, die sie versprechen, dass sie Nebenwirkungen haben, die nicht tragbar sind, und dass sie über ein Suchtpotential verfügen, welches die Konsumenten abhängig macht. Darüber hinaus hat die Ausweitung der Pillenzone eine gesellschaftliche Dimension, die man nicht vernachlässigen sollte. Wenn Heranwachsende schon in frühester Kindheit daran gewöhnt werden, alle körperlichen und psychischen Probleme mit Hilfe einer Pille zu regeln, wird das Hirn so programmiert, dass die Fähigkeit, Probleme aus sich heraus zu lösen, verloren geht. Eine Jugendbefragung in Luxemburg hat herausgefunden, dass die Bereitschaft, illegale Substanzen wie Ecstasy und andere sogenannte Partydrogen zu schlucken, um so größer ist, je mehr Vorerfahrung die Betreffenden mit Pillen und Tabletten in ihrer Kindheit hatten. Der routinierte Griff zur Pille schließt die Bereitschaft ein, sich mit der Bekämpfung von Symptomen zu begnügen, und nach den Ursachen der Müdigkeit, des Stresses, der Antriebslosigkeit, des Schmerzes, der Traurigkeit, der Angst und der Depressivität nicht mehr zu fragen. Das führt zu einem Verlust aller gesellschaftlichen und politischen Bezüge.
Ich kann mich auch hier nur wiederholen: „Die schrankenlose Pharmakologisierung des Alltags führt dazu, dass wir den Menschen nicht mehr als soziales, sondern als manipulierbares und chemisch optimierbares Wesen wahrnehmen.“ Wem das keine Probleme bereitet, der ist bei den Sozialingenieuren der Pharmaindustrie gut aufgehoben.

In welcher Hinsicht hängen das ungebändigte Doping im Sport, die fortschreitende Pharmakologisierung des Alltags und der vehemente Pilleneinwurf der „Raving Society“ zusammen?

Günter Amendt
Den übermäßigen Konsum von Amphetamin und Amphetaminderivaten, wie des in der Raver-Szene so beliebten MDMA, habe ich schon immer als eine Form von Alltagsdoping verstanden. Insofern besteht da ein Zusammenhang. Die außerordentlichen körperlichen Leistungen, die sich ein hard-core Raver zumutet, verlangen nach einem Antriebsmittel. Freizeit ist Arbeitszeit, wobei der Energieverbrauch im Freizeitsektor oft weit über dem im Berufs- und Schulalltag liegt.

Die Raver-Generation der 90er Jahre hat die letzten Reste eines chemiekritischen Bewusstseins eliminiert

Die „psychedelische Bewegung“ der 90er sah – wie Teile der 68er-Generation – den „Weg nach Innen“ als die erfolgversprechende Variante zur Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse an. War das ein Trugschluss?

Günter Amendt
Es ist durchaus nicht abwegig, die 60er Jahre als das Jahrzehnt der Drogen zu bezeichnen. Doch anders als der öffentliche Diskurs glauben machen will, waren nicht Haschisch, Marihuana und LSD die damals bestimmenden Drogen, es war die Einführung von Valium und artverwandten Stoffe, die alle auf die Beeinflussung des Zentralnervensystems zielen, welche die 60er Jahre zu einem Drogenjahrzehnt machten. Was die 68er Generation betrifft, so gab es drei Strömungen in der Drogenfrage. Große Teile der Linken lehnten jeden Gebrauch von Drogen rundweg ab – dabei ging es vorwiegend um Cannabis und natürlich nicht um Alkohol. Unter den Drogenbefürwortern waren solche, die synthetische Drogen grundsätzlich ablehnten und solche, die für deren Gebrauch eintraten – dabei ging es vor allem um LSD und andere Trips. In der politisierten LSD- und Kifferszene war der Gedanke populär, mit Hilfe von drogenindizierter Bewusstseinsveränderung oder gar Bewusstseinserweiterung gesellschaftliche Veränderungen zu bewirken. Ich persönlich habe davon nie viel gehalten. Es ist jedoch unbestreitbar, dass sich die kollektive Drogenerfahrung jener Jahre in der Wahrnehmung der Gesellschaft niedergeschlagen hat. Ein Beispiel ist die veränderte Wahrnehmung des Verhältnisses von Mensch und Natur, die wiederum Rückwirkungen hatte auf das sich in den 70er Jahren entwickelnde ökologische Bewusstsein. Zwischen der 90er Jahre Partyszene und der 68er Szene sehe ich nur wenige Gemeinsamkeiten. So viel ist aber sicher, die Raver-Generation der 90er Jahre hat es geschafft, unter den Jungen von heute die letzten Reste eines chemiekritischen Bewusstseins, das sich in den 70er Jahren herausgebildet hatte, zu eliminieren.

Aber auch unter den jungen Drogennutzern gibt es doch den Trend „Zurück zur Natur“. Ephedra statt Ecstasy, Coffein anstelle von Speed, lieber Kiffen als Koksen und Psilos seien besser als LSD. Was ist davon zu halten?

Günter Amendt
Auch ich habe diesen Trend registriert und interpretiere ihn als Abwehrreflex auf das, worum es in diesem Interview unter anderem geht – die schleichende Pharmakologisierung des Alltags. Diesem „Zurück zur Natur“ liegt die Erfahrung zugrunde, dass Drogen besser beherrschbar – sprich: besser dosierbar – sind, deren Rauschwirkung einzig auf dem Wirkstoffgehalt der Pflanze beziehungsweise auf einem Gärungs- und Fermentierungsprozess beruht. Schon vor Jahren bin ich in den Wäldern Nordkaliforniens auf eine Gruppe von Hippies gestoßen, die ihr Interesse an Rauschsubstanzen in Einklang mit ihrem ökologischen Bewusstsein zu bringen versuchten und deshalb alles Synthetische vehement ablehnten. Bezogen auf die Gesamtzahl aller Drogenkonsumentinnen und Konsumenten, handelt es sich hierbei jedoch um eine kleine Minderheit ökobewusster User. Hinzuzufügen wäre, dass auch der Konsum von psychoaktiven Pilzen und anderen Naturdrogen Risiken beinhaltet, die zu verringern Erfahrungswissen und die Bereitschaft sich zu informieren erfordert.

Der „Krieg gegen die Drogen“

Sie haben sich jetzt über 30 Jahre mit Drogen und Drogenpolitik beschäftigt und die sozialen und ökonomischen Auswirkungen der Prohibition erforscht. Trauen Sie sich eine Prognose zu, wie lange Deutschland und wie lange andere Länder noch am Dogma des Drogenverbots festhalten werden?

Günter Amendt
Das Ausmaß der Irrationalität in der drogenpolitischen Auseinandersetzung ist bedrückend. In meinem Buch habe ich Vorschläge gemacht, wie das so genannte Drogenproblem zu entschärfen wäre. Mit meinen Vorschlägen stehe ich im Kreis der internationalen Drogenfachleute nicht alleine. Auch bin ich davon überzeugt, dass die Mehrheit der Bevölkerung in den meisten westeuropäischen Staaten einen drogenpolitischen Kurswechsel mittragen würde, etwa in der Frage der Cannabis-Legalisierung. Das Problem ist die Politik. Die Zeichen stehen auf Kontrolle und Repression. Große Teile der politischen Klasse bis tief hinein in die Sozialdemokratie will sich diesen Repressionsknüppel nicht aus der Hand nehmen lassen. Drogen sind noch immer ein hoch emotionalisierendes Thema. Mit dem Angstpotential, das dem Thema innewohnt, lässt es sich politisch gut spielen. Doch die Hauptverantwortung für die herrschende Drogenpolitik, die ich für eine der gravierendsten Fehlentwicklungen des Globalisierungsprozesses halte, trägt die US-Regierung, egal welche Partei gerade den Präsidenten stellt. Drogenpolitik ist ein Instrument der US-amerikanischen Außenpolitik, der „war on drugs“ ein Übungs- und Rekrutierungsfeld der US-Geheimdienste. Voraussetzung für einen Kurswechsel wäre das Eingeständnis, dass der mit terroristischen Mitteln geführte „war on drugs“ gescheitert ist, soweit es um den Kampf gegen Drogen geht. Doch es geht eben um mehr. Es geht um die Sicherung von Einflusssphären, die militärische Kontrolle von Unruhegebieten, die Sicherung von Ölbohrstellen und von Verkehrsverbindungen. Das alles im Namen des „war on drugs“. Solange die in der UN versammelte Weltöffentlichkeit diesen Krieg aktiv mitträgt oder teilnahmslos geschehen lässt, wird das Prohibitionstabu, aus dem dieser Krieg seine Legitimation bezieht, nicht angetastet werden. Darauf wird man noch lange warten müssen.

 

Literatur:
Günter Amendt: No Drugs. No Future. Drogen im Zeitalter der Globalisierung. Aktualisierte Neuausgabe 2004. 207 Seiten plus 48-seitige Beilage, Frankfurt a.M.: 2001, 15,90 EUR.

* Nachtrag 15. März 2011: Günther Amendt verstarb am Samstag, dem 12.3.2011, bei einem Autounfall in Hamburg Eppendorf. Damit fehlt eine der wichtigsten Stimmen für eine genauso vernünftige wie menschliche Drogenpolitik. Amendt war scheu und zugleich im persönlichen Umgang von ausgesprochener Herzlichkeit, immer an der Sache interessiert, den Blick auf das Ganze gerichtet, nämlich die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse, in denen Drogen und Medikamente konsumiert werden. Er nahm eine einmalige Stellung ein, nie zu nah an den Apologeten eines übermäßigen Konsums, die von globalen Drogenkultur reden, aber das irre Zuballern der vereledeten Randgruppen gerne übersehen. Und ein überzeugter Gegner einer Drogenverbotspolitik, die alles nur noch schlimmer macht. Mit Amendt ist ein Mann mit profunden Wissen aus dem Leben gerissen worden. Es ist nicht zu sehen, wie diese Lücke wissenschaftlich und menschlich geschlossen werden kann.