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Psychoaktive Substanzen

Interview mit dem visionären Künstler Fred Weidmann

Interview mit dem visionären Künstler Fred Weidmann

Hanfblatt, Nr. 103, September 2006

Kunst war mir immer suspekt

Ein Interview mit dem visionären Künstler Fred Weidmann

Der Künstler Fred Weidmann ist an psychedelischer Kunst Interessierten ein Begriff durch seine faszinierenden Porträts psychoaktiver Pilze und inspirierende Hanfdarstellungen, wie sie z.B. der NachtschattenVerlag publiziert hat. Jüngst konnte man fantastische Bilder von ihm im Original und mitsamt anwesendem Schöpfer auf dem mittlerweile schon legendären „Spirit of Basel“-Symposium anlässlich des 100sten Geburtstages von LSD-Entdecker Albert Hofmann bewundern. Fred Weidmann hat aber noch weitaus mehr geschaffen und zu vermitteln. Grund genug, ihm Aufmerksamkeit zu schenken.

az: Du bezeichnest Deine Kunst als visionär. Das lässt sich aus dem Bauch heraus nachvollziehen, aber was verstehst Du selbst unter visionärer Kunst?

Fred Weidmann: Man findet Meinesgleichen am ehesten unter dieser Rubrik: Visionäre Kunst. Vielleicht ist das gut so. Mir wäre „Bewusstseinskunst“ lieber. Über die Jahre habe ich erlebt, dass alle vernünftigen Namen (auch „Visionary Art“) von gierigen Grüppchen für sich belegt worden sind. Wenn ich also antworten soll, was ich unter visionärer Kunst verstehe, dann müssen wir erst über „die Kunst an Visionen zu gelangen“ reden. Ich glaube grundlegend für visionäre Kunst ist: Man berichtet von Visionen. Der Künstler legt oder setzt sich hin und wartet auf Visionen, die er sich merkt, falls sie kommen. Er skizziert oder malt sie, weil es ihn treibt, davon zu berichten. Und er kann das, weil er eine Vision, ein inneres Gesicht, hatte oder gerade hat. Manche berichten live vom Land des inneren Lichts. Eigentlich sind nur das die echten visionären Künstler. Der echte Visionär schwebt an der Grenze zu anderen Bewusstseinszuständen, Träumen oder Halluzinationen. Dabei versucht er sein Beobachter-Bewusstsein wach zu halten, um noch Skizzen oder Notizen machen zu können. Der Visionär ist nicht einfach besoffen oder weggetreten. Er erfindet auch nicht voller Raffinesse die Zukunft, sondern er ist besonders wach im Jetzt und Hier. Bei den weniger Echten, scheinen die Visionen sich nicht einstellen zu wollen, so dass sie auf dem Weg dorthin alles Mögliche erdenken und erkünsteln. Auch das können nette Menschen sein, aber sie entlehnen gerne Dinge, benutzen abgegriffene Symbole und hängen in Trends, weil nichts Eigenes, Jetziges von Innen an ihren Schädel pocht. Ich weiss, ich verwende das Wort visionär sehr eng, weil ich mich über den inflationären Missbrauch des Wortes in Wirtschaft und Politik ärgere. Man muss ja nicht diesen mühsamen Weg der Bewusstseinsarbeit gehen. Man kann ja auch andere Motivationen für sein bildendes Tun finden.

az: Wie würdest Du diese Richtung gegenüber psychedelischer und fantastischer Kunst abgrenzen?

FW: Ich finde, alle Kunst, die diesen Namen zu Recht trägt, sollte psychedelische Kunst sein. Sie sollte die Seele ansprechen oder von besonderen seelischen Zuständen berichten. Der Begriff ist aber heimtückisch. Wenn einer von deiner Kunst sagt, sie sei psychedelisch, dann meint er, dass du Drogen nimmst. Der Name bezieht sich mehr auf den Weg der Ideenfindung hinter den psychedelischen Werken. Man unterstellt dir, du seist mit deinem Werk gedoped ins Ziel gegangen. Das ist wieder die Sache mit der Zuschreibung: Gibt es nüchterne Kunst? Ich glaube nicht, weil Kunst und Nüchternheit sich ausschließen. Die Anderen, die uns Bewusstseinsarbeiter anfeinden, sind meist dem Alk zugeneigt. Ein echtes psychedelisches Werk aber ist visionär, fantastisch, ehrlich, spontan, erleuchtet, ungekünstelt und einmalig, nicht wiederholbar. Ich selber bin nicht immer psychedelisch, also nicht visionär, erleuchtet, und nicht auf Drogen. Meistens arbeite ich wie ein Illustrator, setze Ideen illustrierend um. Dann wieder bin ich einfach der brave Protokollant eines Augenblicks in der realen Aussenwelt und versuche diese mit Respekt wiederzugeben. Wenn ich unterwegs bin, habe ich immer ein Tagebuch zum Aquarellieren dabei. Manche Experten meinen, Hanf – in Maßen verabreicht – sei dieser Art der Hinwendung zuträglich. Sorgfalt bei der Beobachtung hilft auf jeden Fall. Fantastische Kunst muss nicht visionär im engen Sinne sein.

az: Wer sind Deine wichtigsten künstlerischen Vorbilder und warum?

FW: Ich fühle mich der deutschen Romantik (Philipp Otto Runge) und einigen Ansätzen im 20sten Jahrhundert verpflichtet. M.C. Escher könnte in 100 Jahren noch relevant sein, vielleicht der einzige Nüchterne der Kunstgeschichte. Escher hat praktisch für alle regelmäßigen Flächenfüllungen Sinn-gebende Lösungen gefunden. Das klingt nicht weiter berauschend, ist aber für den, der im Tun etwas wie er finden will, ein Weg zur Erleuchtung. Beim Ornamentieren beschäftigt sich das Gehirn erst mal nur mit Kanten von Vielecken, mit geraden, krummen und gebrochenen Linien, spiegeln, drehen, verschieben.
Dabei geschieht das Figuren finden fast automatisch, weil die Gesetze der Pflasterung selbsttätig wirken. Dein Gehirn ist beurlaubt.
Ohne die Surrealisten wäre meine Arbeit nicht denkbar. Aber es ist eher die Reibung mit den Bekenntnissen hinter dieser Kunstrichtung, die mich zu Surrealismus-Anspielungen angetrieben hat. Noch immer geistert der ungelesene Freud durch jene Reihen. Noch immer bilden Surrealisten exklusive Gralshütervereinchen.
Vorbilder darf man in der Jugend haben. Später hat man genug zu tun, um bis an seine individuellen Grenzen zu gelangen. Da ist man zwangsläufig einsam. Besser als andere Künstler im Auge zu haben, ist es, ab und zu ein Buch zu lesen. Ich darf das vielleicht an einem Beispiel illustrieren: Seit alters her gibt es die Weisheit, dass die Welt im Großen sei wie im Kleinen. 1980 kam Mandelbrots erste Publikation über den fraktalen Aufbau der Welt. Es war die Geburt einer neuen Mathematik, und sie erzeugte ganz wie die Ornamentik automatisch die wunderbarsten Pflasterungen, Seepferdchenalleen etc.. Manch ein Künstler riss die Gelegenheit an sich und gebrauchte die neue Ästhetik. Solche Leute können nicht Vorbild sein. Vorbild ist der Gedanke, dass in der Natur Fraktales geschieht, dass ein Apfel näher an der Dreidimensionalität liege, als die Blattrosette eines Löwenzahns. Auch ist die Anwendung Fraktale schreibender Programme noch keine Kunst, das Programm schreiben dagegen schon eher.
Natürlich gibt es Einflüsse von bildenden Künstlern, aber die kommen von vielen Seiten. So verdanke ich einem zu früh verstorbenen Wiener Maler, Richard Matuschek, die Geheimnisse der Abklatschtechnik. Auch kann ich mich begeistern, wenn Renaissance Künstler mit Weiß auf getöntem Grund gezeichnet haben. Die haben auf dem Papier nach dem Licht getastet. Das ist ganz etwas Anderes als eine Bleistift- oder Tusche-Zeichnung, die die Schatten einzufangen versucht. Oder, wenn Tiepolo Schatten mit der Komplementärfarbe zum Licht malt, und nicht einfach mit Dunkel, dann lass ich mir das nicht entgehen. Aber mir ist wohler, wenn die Erleuchtung aus meiner Situation gedeiht, nicht aus Vorbildern.

fredweidemann

az: Unter Pilzfreunden hast Du Dir zweifellos durch deine faszinierenden Porträts einer Serie verschiedener „Magic Mushrooms“ (im Jahr 2000 als Kalender, sowie als Postkarten im Nachtschatten-Verlag erschienen) einen Namen gemacht. Zwölf Pilzarten haben ihre individuelle einzigartige Darstellung erhalten. Woher hast Du die Inspiration zu diesen Werken bezogen und wie bist Du technisch an die Sache herangegangen?

FW: Ich erzähl Dir jetzt aus dem Herzen von Bayern die Wahrheit, die volle Wahrheit: …but I didn’t inhale! Es gibt Mykologen in Universitätskreisen, die von Berufswegen die Genießbarkeit und die chemische Beschaffenheit von Pilzen erkunden müssen. In diesem Fall hatte ich wunderbare Unterstützung von den kompetenten Fachleuten Dr. Jochen Gartz und Dr. Christian Rätsch. Ich habe deren differenziertes Wissen und ihr Fotomaterial eingebaut. Man hört, dass die Gewichtung der Wirkstoffe bei den verschiedenen Arten von Schleimlingen unterschiedlich sei, das aber sei nicht so wichtig wie der Standort und der Stand deiner Herzensdinge. Jedenfalls als wir den Kalender planten, gab es bereits ein paar Bilder, die so sehr zum Thema passten, dass wir nur noch ein Pilzfoto hineinpappen mussten, um die Wissenschaftlichkeit zu signalisieren. Um zwölf verschiedene Pilze zu behandeln, mussten auch Exoten herhalten, die kein Mensch kennt – ich auch nicht. Da weiss ich gar nicht mehr, wie der göttliche Funke zu mir übersprang. So ist die Mayastele (Psilocybe cubensis) aus dem Bedürfnis entstanden, die grausige, blutige historische Wahrheit der Mayakultur zu verfälschen. Wenn das Werk von einem Anderen wäre, würde ich sagen, der hatte was geraucht.

az: Welche Bedeutung haben Psychedelika für Deine künstlerische Entwicklung gehabt?

FW: Im Jahre 1968 bin ich gerade 30 geworden – das richtige Alter, um einem strebsamen Bildungsbürger den mehrdimensionalen Spiegel in die Hand zu geben. Ich arbeitete damals als Soziologe in einem Projekt der Harvard- Universität, wo Timothy Leary und die Anderen, die man kennt, so vehement Interesse für Selbsterfahrung weckten. Hanf konnte damals noch Visionen auslösen. LSD kam über Umwege von Sandoz. In meinen Kreisen war das Erkenntnisinteresse sehr groß, gaben wir doch vor, etwas von Kommunikation zu verstehen. In den 70ern gab es Menschen, die glaubten an der Realität der realen Welt zweifeln zu müssen. Man durfte an Allem zweifeln, am Ende blieben da nur die eigenen Visionen, für die man das uneingeschränkte Copyright hatte. Kunst war mir immer suspekt, Berichterstattung aus meinem wie auch immer unfertigen Kosmos war jedoch sehr mein Ding. Wie ich dann vom Verkaufen der inneren Wahrheiten zu leben lernen musste, wurde mir klar, dass das in Galerien und mit Einrahmungen zu geschehen hatte. Also ward ich Künstler. Eigentlich bin ich noch immer kein Künstler, sondern noch immer ein Forschender. Das Attribut Künstler kriegt man zugeschrieben. Wenn’s denn stimmt, ist das hoffentlich eine Ehre.

az: Deine Kunst wirkt in der Art der Darstellung, wie in ihren Motiven oft ziemlich erotisch. Man könnte im Künstler geradezu einen Erotomanen wittern. Sind Erotik und Kunst gar letztlich nicht voneinander zu trennen?

FW: In meinem Rechner ist immer eine Rubrik „Erotomanes“. Da tu ich die Arbeiten hin, von denen ich denke, dass sie nicht in Dubai ausgestellt werden können. Ein Leben voller Erotik ist ein schönes Leben – ich steh auf Schmusesex und monogames Vertrauen. Man kann da Erlebnistiefe erreichen, von der man gerne singen würde. Da man aber nicht mit Pinseln und giftigen Farben hantieren und gleichzeitig Sex betreiben kann, kommt immer auch ein Hauch von Sehnsucht nach Erotik ins Werk. Du hast schon Recht mit deiner Frage; Malerei hat etwas von Erotik. Als früh pubertierender Junge malte ich heimlich geile Szenen – anstatt. Und noch immer befällt mich jenes prickelnde Glück wenn ich Themen der Liebe anfasse. Ölfarbe hatte den Vorteil, dass sie sofort verwischt werden konnte, wenn Mutter ins Zimmer kam. Profan aber wahr.

az: Du hast Anfang der Siebziger Jahre den Doktor der Soziologie gemacht und Dich als Kommunikationswissenschaftler mit Missverständnisforschung beschäftigt. Hast Du eine Idee, wie man es als Künstler vermeiden kann, dass man missverstanden wird?

FW: Ja, das ist ganz einfach: Man erwartet nicht, dass man verstanden wird. Hundert Prozent Missverständnis garantiert. In der Tat war das einer der schwierigsten Schritte auf dem Weg der Befreiung. Man hofft immer verstanden zu werden. Jeder von uns versteht ja irgendwie die innere Konsequenz seines Wortens und Tuns und denkt, man könne Solches auch von der Aussenwelt erwarten. So funktioniert das aber nicht. Alltagskommunikation geht ganz anders: Man redet so lange aneinander vorbei, bis genügend Worte aus dem gemeinsamen Wortschatz gefallen sind. Dann kann man aufhören, weil man annimmt, das Gegenüber würde diese ebenso entziffern wie man selbst. Schließlich leitet man daraus ab, es habe Verständigung stattgefunden. Ich schwimme in diesem Ozean von Missverständnissen, Desinformation und Trugschlüssen so einigermassen wohlig. Das geht natürlich nur, wenn man an etwas Wesentlicheres glaubt. Wir kommunizierenden Menschen messen nämlich das nicht Perfekte am Idealen. Wir haben einen Hintergrund, wo wir uns keine Fehler erlauben können, wo wir alle eins sind und totales Verständnis Voraussetzung ist. Vor diesem unfehlbaren Lebensstrom können wir uns den Luxus vordergründiger Missverständnisse leisten. Das ist die Art von Pfauenschwanz oder Hirschgeweih, die uns die Evolution auferlegt hat. Meine Bewusstseinsmalerei will gar nicht zu etablierten Inhalten führen, sie zeigt einen Schritt ins Lockerlassen. Meine Suggestionen sollen nur gespürt werden, ohne dass da jemandem ein Verständnis diktiert wird.

az: Eines Deiner Werke hast Du „Evolution ohne Ziel“ genannt. Ein tolles Bild und ein interessanter Gedanke. Lauert da etwa eine Philosophie absoluter Freiheit um die Ecke?

FW: Das ist schon so. Das Konzert der Evolution ist chaotisch, lässt also keine Voraussage zu. Leider sind wir nicht absolut frei. Aber das ist eine andere Geschichte.

az: Gibt es etwas, was Du in Zukunft noch unbedingt gerne ausdrücken oder womit Du dich gerne noch beschäftigen würdest?

FW: Ja. Jetzt mit 68 Jahren ist es mein sehnlichster Wunsch, wie Albert Hofmann, 100 Jahre zu leben. So lange hätte ich gerne, um ein Spätwerk zu schaffen, weise zu werden. Da sind so viele ungemalte Bilder, so viele Herzensdinge, die ich noch nicht ausgedrückt habe. Aber als Erstes ist ein Werkkatalog in Sicht, der zu meinem 70sten Geburtstag erscheinen soll. Bis es soweit ist, wird meine Homepage die lieben Interessierten auf dem Laufenden halten. Und sollte jemand die eierlegende Wollmilchsau, die der Gravitation trotzt, erfinden, dann wird das meine Pläne ändern.

 


 

Homepage: www.fredweidmann.com

Publikationen:

– Frühe wissenschaftlichen Arbeiten, wie „Grundlagen einer Kommunikationssoziologie“ und Verwandtes (bis 1972, mit späteren Auflagen), gelegentlich antiquarisch erhältlich.
– Ein Bildband „Fred Weidmann“ (1984, Bonn, Troja Verlag), einige Exemplare noch beim Autoren.
– In „Die berauschte Schweiz“ (1998, Nachtschattenverlag, CH-Solothurn)
– Kalender „Magic Mushrooms 2000“ (Nachtschattenverlag), für Sammler haben Verlag und Autor noch einige Exemplare.

 


 

 

 

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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