Erschienen in „der Freitag“ v. 23.04.2014
Von Jörg Auf dem Hövel
Drogen sind hierzulande verboten. Es wird Zeit, dass sich das ändert, die Gesellschaft ist längst weiter als die Politik. Andere Länder sind da mutiger
Seit langem erzeugt die Diskussion um den Umgang mit Drogen mehr Rauch als Feuer. Diejenigen, die darauf pochen, dass der Besitz von Drogen auch künftig strafbar sein soll, weisen auf den abschreckenden Charakter strenger Gesetze hin. Vater Staat wacht über seine Kinder. Dem gegenüber stehen die Befürworter einer Legalisierung „weicher“ oder sogar aller Drogen. Sie fordern die Freiheit, selbst entscheiden zu können, welche Rauschmittel sie konsumieren, und vergleichen den momentanen Zustand mit den Zeiten der Alkohol-Prohibition in den USA der 20er Jahre.
In dieses Spannungsfeld stieß kürzlich eine Resolution von über 120 deutschen Strafrechtsprofessoren. Sie sehen das geltende Betäubungsmittelrecht von der sozialen Wirklichkeit überholt. Die Drogenpolitik des Verbietens und Strafens sei „gescheitert, sozialschädlich und unökonomisch“. Die Opposition im Bundestag hat bereits angekündigt, sie wolle sich des Themas annehmen. Der Zeitpunkt für eine Wende in der Drogenpolitik ist günstig, die Argumente sind zudem stichhaltig.
Seit Jahren schon kann man in einigen Ländern einen Umbruch in der Drogenpolitik beobachten. Still und leise verabschiedet sich beispielsweise die Obama-Administration aus dem „War on Drugs“ – zu teuer, zu nutzlos, zu aufreibend ist der globale Krieg gegen die Drogen. Im eigenen Land erlauben mittlerweile die Bundesstaaten Colorado und Washington den privaten Konsum von Cannabis, in weiteren 19 Staaten ist der Hanf für den medizinischen Gebrauch legalisiert. Einen Schritt weiter ging Uruguay im vergangenen Dezember. Es verstaatlichte den Anbau von Cannabis, um die Drogenmafia auszubremsen.
Das lehrreichste drogenpolitische Experiment findet allerdings seit 13 Jahren auf europäischen Boden statt. Weitgehend ignoriert von der deutschen Öffentlichkeit ist in Portugal seit 2001 der Konsum aller Drogen entkriminalisiert. Der Besitz geringer Mengen landet als Vergehen gegen die öffentliche Ordnung vor einem Gremium, bestehend aus einem Rechtsexperten, einem Sozialarbeiter und einem Arzt. Die Vereinten Nationen zeigten sich 2001 entsetzt. Erst 2004 bereiste eine UN-Delegation Portugal und fand Anzeichen dafür, dass sich das Land weder in eine dauerkiffende Hippie-Kommune noch in eine Ecstasy-lastige Rave-Party verwandelt hatte. Man brauchte wiederum ein paar Jahre, um den Schock zu verarbeiten, im Weltdrogenbericht 2009 kommt man für Portugal zu dem Schluss: „Es scheint, als hätte sich eine Reihe von drogenbezogenen Problemen verringert.“ Und die Schweiz, die Niederlande, Tschechien? Die Vergabe von Heroin oder die liberalisierte Zugänglichkeit zu Cannabis führte auch in diesen Ländern eben nicht zur Ausweitung des Konsums.
Designerdrogen sind schneller als Verbote
Und noch etwas spricht für einen Neuanfang in der Drogenpolitik. Abseits der klassischen natürlichen und synthetischen Drogen produziert der hochtechnisierte, globale Markt seit rund zehn Jahren ständig neue psychoaktive Substanzen, deren Kontrolle nahezu unmöglich ist. Angedeutet hatte sich das bereits 2004 mit „Spice“, einer obskuren Mischung aus Pflanzenteilen und synthetischen Cannabinoiden. Das Verbot führt dazu, dass die Dealer den Stoff leicht modifizierten und das Verbot so umgehen konnten. Seither läuft hier und bei anderen psychochemischen Drogen ein Katz-und-Maus-Spiel.
Den Unterzeichnern des Aufrufs – es handelt sich immerhin um die Hälfte aller Strafrechtler und Kriminologen im Land – kennen natürlich diese globalen Entwicklungen. Außerdem ist ihnen der Cannabis-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts noch gegenwärtig. Die Richter hatten 1994 die Strafbarkeit des Cannabisbesitzes zwar für grundsätzlich legitim erklärt, gleichzeitig aber angemahnt, dass eine „selbstverantwortliche Eigengefährdung“ straflos bleiben soll. Seither entscheiden die Gerichte vor Ort, ob Eigenbedarf vorliegt. Die vom Bundesverfassungsgericht eigentlich gewünschte Rechtseinheitlichkeit konnte so nie erreicht werden.
Um nun endlich Bewegung in die Debatte zu bringen, müsste erst einmal allen Beteiligten klar werden, dass eine Entkriminalisierung des Konsums gerade nicht die Legalisierung aller Drogen bedeutet. Ein totales Verbot ist mit liberalen Staatsideen kaum vereinbar, eine Legalisierung unter den Bedingungen der Konsum- und Leistungsgesellschaft wäre ein gewagtes Experiment. Eine ganz zentrale Frage müsste noch im Vorfeld geklärt werden: Spricht man zunächst nur über Cannabis, weil sie die am weitesten verbreitete illegale Droge ist; oder traut man sich sogar an das große Paket heran, also auch an Kokain, Speed, LSD. Sinnvoll wäre das, schließlich gibt es wissenschaftlich fundierte Ansätze, die verschiedenen Drogen in Gefährdungsklassen einteilen.
Mit all diesen Fragen müsste sich eine Enquete-Kommission des Bundestages befassen – so wie in dem Aufruf vorgeschlagen wird. Sie könnte die Auswirkungen der Strafbarkeit evaluieren, sich mit alternativen Regulierungsmodellen beschäftigen und einen Ausweg aus der leidvollen Ironie aufzeigen, dass die Drogengesetze primär erlassen wurden, um den Konsumenten vor sich selbst zu schützen, diese Gesetze selbst aber die größte Gefahr für ihn sind.