Trotz offener Fragen: Die Steuer fürs Internet wird kommen
Der Fiskus will im Internet mitverdienen
Die Zahlen sprechen für sich: Im Jahr 2002 werden voraussichtlich Waren und Dienstleistungen im Wert von 300 Milliarden US-Dollar im Internet umgesetzt werden. Dies sagte jüngst das Marktforschungsinstitut Forrester Research voraus. Der Online-Buchhandel amazon.com, Paradebeispiel für lukratives E-Commerce, meldete für 1997 Buchverkäufe in der Höhe von 148 Millionen US-Dollar. Angesichts solcher Umsätze erwachen nun auch die nationalen und internationalen Finanzverwaltungen aus ihrem Dornröschenschlaf und denken über die Besteuerung der gewaltigen Transaktionsmengen nach. Das Bonner Finanzministerium will in Zusammenarbeit mit den Industrieverbänden bis zum Herbst Pläne erarbeiten, welche die Wirtschaftsaktivitäten im Netz regeln sollen. Im Gegensatz zu anders lautenden Meldungen betont man aber, daß es keinen nationalen Alleingang in dieser Frage geben wird. Karl-Heinz Selling, Leiter der Steuerabteilung im Bundesfinanzministerium, stellt klar: „Das Problem kann nur auf globaler Ebene gelöst werden. Wir setzen auf eine internationale Zusammenarbeit.“ Völlig unklar ist allerdings bislang, wie der Staat an seinen Anteil vom Kuchen des elektronischen Handels gelangen will. Die Liste der Fragen ist lang und Antworten sind rar. Kommt es beispielsweise zu einem Download von Software von einem außereuropäischen Land nach Deutschland, stellt sich die Frage nach dem Ort der Steuerpflicht. Glaubt man den Experten, wird es durch den Online-Handel zu einer langsamen Aushöhlung des bislang herrschenden Ursprungslandprinzip kommen. Danach werden Steuern in dem Land erhoben, in welchen die Güter oder Dienstleistungen erstellt werden. Lutz Fischer, Professor am Institut für ausländisches und Internationales Finanz- und Steuerweisen der Universität Hamburg, nimmt an, daß zukünftig die Umsatzsteuern dort eingetrieben werden, wo das Produkt genutzt wird. „Es gibt eine eindeutige Tendenz in Richtung einer Ve rbrauchsortbesteuerung“, nimmt Fischer an. Das Bundesfinanzministerium hält sich in dieser Frage bedeckt, widerspricht den Aussagen von Fischer aber nicht.
Das wohl größte Problem der Besteuerung des E-Commerce ist die zweifelsfreie Feststellung der Betriebsstätte. In den wissenschaftlichen Fachmagazinen herrscht Streit darüber, ob eine Homepage als feste Geschäftseinrichtung gilt. Im Zeitalter des mobilen Computing kann ein findiger Unternehmer leicht mit der auf seinem Notebook befindlichen Homepage durch die Welt reisen. Auch können die Server in unterschiedlichen Ländern stehen. Die Fälle zeigen deutlich: Wie außerhalb des Cyberspace suchen die Steuerpflichtigen immer die günstigste Form einer Einkommensart. Und das Internet lädt hier zu den abenteuerlichsten Konstruktionen ein.
Deswegen haben die wichtigen internationalen Organisationen bereits Ansätze für die Regelung der Steuererhebung im Internet ausgearbeitet. Das „US Department of the Treasury“ plädiert dabei für eine vorsichtige Weiterentwicklung entlang des bislang geltenden internationalen Steuerrechts. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) ist dagegen eher bereit von den bisherigen Wegen abzuweichen. Steuerfachmann Fischer nimmt an, daß sich die USA durchsetzen werden und es zu keiner Rundumerneuerung des global geltenden Steuerrechts kommen wird.
Die extrem hohe Mobilität und Anonymität der Beteiligten jagt den Finanzverwaltungen aller Länder Schrecken ein. Dies gilt zudem für die Anonymität der Transaktionsinhalte. Jeden einzelnen Steuerpflichtigen zu erfassen, könne demnach auch nicht, so hört man aus dem Finanzministerium, das Ziel sein. Wohl aber die Erfassung des endgeltlichen Vorgangs. An dieser Stelle will das Ministerium nun die Banken und Kreditinstitute in die Pflicht nehmen. Sie sollen ein automatisches Steuerabzugsverfahren in ihre Zahlungssysteme implementieren, ein Vorschlag, der auf wenig Gegenliebe bei den Fiskalunternehmen stößt. Sie zeigen wenig Lust für Theo Waigel die Internet-Umsatzsteuer einzutreiben. Der Deutsche Industrie – und Handelstag (DIHT) erteilte den Plänen ebenfalls eine Absage. In einer Stellungnahme wurde von „gravierenden steuersystematischen und praktischen Bedenken“ gesprochen, sogar von „willkürlichen und umsatzsteuerlich völlig systemfremden“ Plänen.
Bündig kürzt Regierungsdirektor Heinz-Jürgen Selling die Diskussionen ab: „Niemand kann erwarten, daß die Steuerverwaltung sich aus dem Internet raushält.“ Zugleich gäbe es aber durchaus eine Meßlatte für die massiven Überprüfung des E-Commerce. „Die Frage ist, ob die Aufwendungen für die Steuererhebung zu hoch sind.“
Jörg Auf dem Hövel