Im „Meridian“ schrammt die Info-Elite an der Entspannung vorbei
Plötzlich spülte mich die Wellness-Welle ins „Meridian“, einer Fitness-Oase in Hamburg-Eimsbüttel. Diese neue Art der Erholungsstätten will den Schweissgeruch vom Aerobic-Image abspülen, sich reinwaschen vom proletarisch verkommenen Body-Building. Hier soll den gestressten Shareholdern die nötige Dosis von Körperkraft und Ruhe verabreicht werden. Und zwar schnell.
Schon der Eingangsbereich glänzt wie eine Hotel-Lobby, hinter dem marmornen Front-Desk wieseln glattgehobelte Duftwasserträger. Wozu die Damen am Empfang meinen Namen in den Computer hackt, ist mir nicht verständlich. Tagesgäste sind hier ungern gesehen, man will lieber unter sich bleiben, scheint es. Vorbei sind die Zeiten, in denen man noch vom Bademeister persönlich die pappige Eintrittskarte unter der Glaswand hindurchgeschoben bekommen hat. Hier ist Transparenz angesagt, die nach innen gekehrte Architekturtaktik der Versicherungskonzerne, die durch gläserne Fassaden ihr undurchsichtiges Spiel kaschieren wollen. Die mich anwidernde Pseudo-Wächter-Funktion der Medienbranche wird auch hier konterkariert, in dem für die gepuderten „Pissecke der Literatur“-Vertreter ein spezieller Check-In Counter eingerichtet ist. Da scheint mir doch objektive Berichterstattung garantiert.
Meine dummen Scherze lassen die Dame am Counter kalt, sie gibt sich humorlos. Die Unsitte, die Gäste erst beim Verlassen des Etablissements zur Kasse zur bitten, habe ich das erste Mal vor zwölf Jahren im Mic Mac Moisburg erlebt. Schön, wenn sich provinzielle Bauernfängerei auch im urbanen Raum durchsetzt. Dafür gibt es ein Armband mit Transistor, der Tür, Tor, Umkleideschrank und Geldbörse öffnet. Wahrscheinlich überträgt das Mistding auch meine Schüttelbewegungen unter der Dusche an die Zentrale.
Ambiente ist das Zauberwort der Branche und das Wort „Sparen“ wurde dem Innenarchitekten nicht ins Brevier geschrieben. Mir soll es recht sein, denn der Schuppen umhüllt mich tatsächlich wie ein Tag am Meer.
Immer das gleiche in der Sauna: Die Frauen begutachten die Männern wie ein Stück Vieh. Ich kann es nicht verstehen, weshalb sich das starke Geschlecht nicht vehement für strikte „Männer-Tage“ einsetzt. Ich glitsche durch das Spalier der peitschenden Blicke und rette mich erst mal in den Ruheraum. Meine Begleiter fällt mit seinem 08/15 Bademantel schon fast unangenehm auf, hier trägt man Kimono oder Kaftan. Als erstes stürmen wir ins Dampfbad. Intarsien, kleine Kacheln mit Goldblatt, ein Himmel aus Sternen, die auch noch hin und her gedimmt werden. Wie im Kino hier, denke ich.
In den Whirlpools hocken die Typen wie die Käfer im Mist. Nur der Kopf schaut heraus. Aber hier lehnt keiner der Kopf zurück, denn das könnten von den Mit“streitern“ ja als Schwäche ausgelegt werden. Und so scheitern die Männer hier eher noch als die Frauen am gesetzten Ziel der Entspannung. Ständig flitzen ihre Augen: „Wer kommt das jetzt rein? Hat der mehr Muskeln? Hui, eine Torte. Mit den Titten würde ich aber nicht nackt rumlaufen.“
So, meine Herren, kann man nicht genesen! Wie sich sammeln, wenn sich nur erneut zerstreut wird? Mein Beileid. Zur Entschuldigung sei gesagt, dass es aber wahrlich nicht einfach ist in technisch designten Binnenklimata wirklich zu leben.
In der Simulation von Natur und zauberbergschen Luftkur stört der Ausblick auf die Hinterhöfe Eimsbüttels kaum jemanden. Die krude Mischung aus römischer Therme und japanischem Garten, aus Schwimmbecken mit flimmernden Spektrallichteinfall und räuchernden Duftbecken, betört, lässt aber die zusammen gekniffenen Ärsche auch nicht lockerer werden. Die Sensibilität für das Authentische ist den Damen und Herren der Cyberbranche eh abhanden gekommen. Was im Büro als platter Desktop über den Monitor flimmert, findet hier sein dreidimensionales Pendant. Und nach 20 Minuten in der halbwarmen Eukalyptus-Sauna bestätigt sich unter der Dusche die schreckliche Vermutung: Die Typen hier sind cool, duschen aber warm.
Die Kulisse mit ihren autistischen Schauspielern findet einen Höhepunkt in der Kräuter-Heu-Sauna, in welcher aus Lautsprechern ein Wasserfall plätschert und tropische Vögel ihre Balzrufe ablassen. Das turnt die Dame neben uns trotzdem nicht an, sie bittet uns die Schwitzhütte zu verlassen, wenn wir denn reden wollen. Ehrlich: Nur leise frönten wir der zudem bruchstückhaften Unterhaltung, kein Deut von breitbeinigen Männlichkeitsgehabe von Barmbeker-Fussballclub-Saunen. Die Torte meint tatsächlich, ihren Stress durch intensives Geplätscherlauschen abzubauen. Da ist meine Empfehlung doch, sich mal wieder mit dem nackten Arsch auf ein Stück echte Erde zu hocken. Das löst vielleicht die psychischen Blähungen, mit Glück führt es sogar zu einem Überdenken der nutzlosen Tätigkeit als International-Communications-Director, mit viel Glück vielleicht zu einer Trennung von ihrem mit-schwarzen-Schnallen-Schuhen-am-Sonntag-an-der-Alster-spazieren-gehenden-Edelfreund. Sie verlässt auf alle Fälle genervt den heissen Raum, als ich ihr dies mit Hand im Schritt aufs Brot schmiere. Für uns ist die Zeit ebenfalls gekommen – spätestens als wir mit dem Bademeister eine Prügelei wegen nicht der nicht getragenen Badelatschen vom Zaun brechen. Schade, wenn das einzig Witzige am Tag in solch einer Stätte die blutenden Nase des Geschäftsführers ist.