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Psychoaktive Substanzen

Das macht sie alle willig. Zu Besuch bei „Zaubertrank“ in Hamburg Winderhude

Zu Besuch bei

HanfBlatt, Nr. 68, Juli 2000

„Das macht sie alle willig“

Angst und Schrecken beim Hexenmeister von Winterhude

„Roh genossen brechreizerzeugend, sonst aber hervorragend.“ Der Mann vor mir spricht von Mahonien, die selbst im klugen Brockhaus als „Ziersträucher mit bläulichen Beeren“ ausgegeben werden. Hans-Georg Schaaf weiß es besser. Nach der Erhitzung verarbeitet er die Früchte zu einem seltenen und vor allem leckeren Wein.

Mittlerweile exisiteren eine Menge Versender von exotischen Kräuterchen, Schaaf dagegen schreibt die einheimischen Gewächse wieder auf den Speisezettel. Manche Pflanzen wirken dabei so gut, dass die Hüter der Ordnung selbst ohne deren Konsum ausrasten. „Ich verarbeite heimische Pflanzen und da sind viele dabei, die dem Gesundheitsamt sauer aufstoßen“, repetiert Schaaf.

Dann wird der einsichtig: „Ich habe vorgestern ein wenig Tollkirsche probiert – das macht hellsehend ohne Ende. Du liegst im Bett, bist wach und siehst hell. Das ist erstaunlich, ergreifend, vielleicht auch Angst einflössend, wenn man nicht stark genug ist. Und bei Überdosierung ist es tödlich.“

Die Preisfrage wird in den Raum geworfen. Wie dosiert man die Nachtschattengewächse, so, dass man damit was anfangen kann und nicht delirös in der Gegend rum rennt? Dafür braucht man halt einen Hexenmeister, einen, der die Dosierung auf jeden Menschen neu einschätzt, einen, der aus einem  blinden Konsumenten einen kritischen, vorsichtigen Genießer macht. „Ich bin nicht bereit, meine Produkte auf die Individuen einzustellen, die Individuen müssen sich auf meine Produkte einstellen.“ Bingo, das genau scheint doch ein Teil der Zauberformel für einen vernünftigen Umgang mit Drogen in der Gesellschaft zu sein. Selbst die offizielle nicht zum Verzehr geeigneten „Ritusprodukte“ verkauft Schaaf nur in kleinen Mengen und auch nur dann, wenn er sich von der Integrität des Kunden überzeugt, dieser einen sechsseitige Merkzettel gelesen und mindestend zwei Stunden Zeit mitgebracht hat.

Wir sind beruhigt. Erst jetzt bemerken wir, dass wir neben dem Tisch stehen und der Hamburger-Kleinspur-Schamane lädt uns zum Sitzen ein. Wir kommen auf das Deutsche Reinheitsgebot für Bier zu sprechen. „Das Reinheitsgebot gilt nicht mehr. Heute gilt das vorläufige deutsche Biergesetz von 1931, welches sich vom Reinheitsgebot dahin gehend unterscheidet, dass die Art des Malzes nicht mehr vorgeschrieben ist. Das Gesetz sagt nach wie vor nichts darüber aus, wie es abgefüllt wird, nur, wie es gebraut wird. Dementsprechend werden fast alle Biere sterilisiert, obwohl das eigentlich nicht sein muss und sein sollte. Zusätzlich bekommen sie oft Kohlensäure zugesetzt. Damit ist das Bier zum Massenprodukt und so unindividuell geworden, dass es fast witzlos ist es zu trinken.“

„De facto ist es Bier was ich verkaufe. Ich müsste aber Kräuterbier sagen, so die Behörde. Oder noch besser: <Bierähnliches Getränk mit Kräutern>“.

Zwischen den ganzen Flaschen, Kübeln und Gefäßen wird man schon vom Riechen duhn, wir aber bekommen vom Meister Wermuth mit einem Alkoholgehalt jenseits von Gut und Böse serviert. Der Edel-Schnaps schmeckt kräftig und vor leicht bitter. Nippen sollte reichen, schließlich muss noch ein Auto gesteuert werden. Wir diskutieren weiter:

So mancher Mensch stellt ja das vielzitierte Reinheitsgebot als erstes Prohibitionsgesetz dar. Was Schaaf davon hält wollen wir wissen: „Zu 50 Prozent ist meine Antwort ja. Der Klerus gönnte den anderen Menschen nicht, dass sie über die Betten kotzen. Andererseits konserviert Hopfen hervorragend und bot sich bei der Herstellung von Bier an. Ich recherchiere da momentan und forsche nach, warum ab einem gewissen Zeitpunkt Biere mit psychoaktiven Substanzen nicht mehr exisitierten. Verboten worden sind sie offenbar nicht – das Reinheitsgebot hat ja auch erst Ende des 19 Jahrhunderts gegriffen.“

alraunegolem

Leckereien wie Bilsenkraut- oder Alraune-Bier darf der Druide momentan nicht ausschenken. Das Gesundheitsamt beäugt Schaaf kritisch und beschlagnahmt auch mal die eine oder andere Fuhre. Der Ausweg aus dem Dilemma: Wenn es denn an die sogenannten „Ritualprodukte“ geht, lässt sich Schaaf vom Käufer bestätigen, dass er das Produkt nicht einnimmt oder äußerlich anwendet. Also bleibt nur die Tinkturen um das Bett zu träufeln und auf Wirkung zu hoffen. Vorteilhaft, denn dann riecht es zu Hause endlich wie in der Kneipe.

Achtung, Raver aller Ländern: Unerschrocken von dem Behördenstress will der Mann zur nächsten Love-Parade Kräuterbier anbieten. Vielleicht braut der Bürgermeister von Psycho-Pannenberg das gesunde Mischgetränk. Der Mann aus Winterhude hat aber noch weitere Pläne. Er will den Hanf zur Verarbeitung in Ritus-Produkten genehmigt bekommen. „Ich habe da eine Argumentation, die ich hier aus verständlichen Gründen nicht breit treten möchte.“

Das dient aber nicht dem Selbstzweck, sondern für Schaaf sind diese Elexiere die Schlüssel zu einem Zugang zu unseren Wurzeln abseits der amerikanisierten, medikamentisierten, Ecstasy oder Instant-Erleuchtung erheischenden Kultur.

Und so behauptet der Mann das „Bier mit Alraune ist das mildeste und das mit Porst und Fliegenpilz das psychoaktivste“. Und wir glauben ihm, denn inzwischen kredenzt uns der Mann die dritte Sorte Wermuth. Dieser schmeckt bitter wie die die Europameisterschaft mit den Jungs um Sir Erich, wir aber rollen mit den Augen und loben den Trunk. Langsam hüllt mich der sanfte Nebel des Rausches ein und durch diesen schönen Schleier nehme ich wahr, wie unser Miraculix von einem Kunden erzählt, der mit Hilfe des Psycho-Bieres seinen lange vermissten Vater wieder gefunden hat. „Klingt gut“, murmel ich.

Jetzt nur keine Blöße geben. Der Wermuth-Terror auf der Zunge schmirgelt die Erinnerung an mein Marmeladen-Brötchen weg und übrig bleibt der Geschmack einer Motorwäsche. Haben mir zehn Tauben vor dem Standesamt in den Mund geschissen? Meine Zunge hängt schlaff wie ein ledriger Lappen im Gaumen und will sich noch weiter Richtung Magen verdrücken. Irgendwie muss der Hexenmeister den bitteren Beigeschmack der Verkostung spüren und er führt uns Richtung Schaumweinabteilung. Wir torkeln durch den Laden und aus einem Fass sprudelt perliger Sekt. Ultralecker das, was nun die Zähne umspült. Ich bin begeistert und höre kaum noch hin, ob dieses Duftwässerchen irgendwelche psychoaktive Nebenwirkungen hat. Egal, inzwischen vertrauen ich dem Mann, der schneller als Dieter-Thomas Heck die Vor- und Nachteile diverser Mittelchen preist.

Leichte Albernheit kommt auf: Weshalb sind wir überhaupt hier? AZ gargelt was von Mischungsverhältnissen oder „Mission Impossible“ und ich bin kurz vorm Lachkrampf. Wir reißen uns am Riemen und die Frage nach den Rezepten für die Elixiere lässt Schaaf ausholen: „Es gibt keine Rezepte. Es gibt zwar Beschreibungen für die Ingredienzien, aber genau Messeinheiten sind schwer, weil sich der Wirkstoffgehalt der Pflanzen jede Jahr ändert. Die Gehälter unterscheiden sich von Pflanze zu Pflanze, von Standort zu Standort. Man muss also probieren, immer wieder ganz vorsichtig probieren. Dazu kommt noch, dass die Elixiere bei jedem verschieden wirken, und das selbst bei gleichem Körpergewicht und gleicher Ernährungsvoraussetzung. Und deswegen muss sich jeder selbst vorsichtig rantasten. Dabei bin ich behilflich, weil ich Übung habe.“

Übung macht den Meister, denke ich blödsinnig. Die Chose hier gerät langsam aus den Fugen und ich nage an einem süßen Quittenbrot. Auch das soll irgendwie horny machen, wie Schaaf versichert. In diesem Laden scheint alles zu wirken. Mittlerweile promenieren wir zwischen Laden und angrenzender Schankraum -man könnten auch Kneipe sagen- herum, als ob wir seit Jahren in dem Shop angestellt wären. Der nächste Drink, ein wirklich köstlicher Honigwein mit Hanfsamen, bringt mich endgültig schräg drauf. Über mir hängen Batterien von Stechäpfeln zum Trocknen, auf den Regalen lungern rote und gelbe Tollkirschen herum, um einem Opfer eingeflößt zu werden. In mir bodelt meine urchristliche Prägung und die Angst macht sich mit ergiebigen Flatulenzen Luft. So ähnlich muss sich ein Behördenmitarbeiter beim Kontrollgang fühlen – ungeheuerlich. Ich trinke eine zweiten Schluck von dem köstlichen,zwei Jahre lang gelagerten Met. Süsse Schwere, umwalle mich. Ich kaufe eine Flasche und will sie am liebsten in einem Zug lehren.

 

Näheres unter www.zaubertrank.de oder Telefon: 040 – 220 06 04

 

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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