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Die Weltreligionen und ihr Verhältnis zum Rausch – Der Hinduismus

Der Rausch im Hinduismus, welche Drogen und welche Götter sind en vogue

HanfBlatt, Nr. 99, Januar/Februar 2006

Die Weltreligionen und ihr Verhältnis zum Rausch

Teil 2

Der Hinduismus

Im Reigen der Götter des Hinduismus ist Platz für allerlei Freaks. Der wildeste unter den Weltenlenkern, genannt Shiva, ist äußerst beliebt in Indien. Liegt das daran, dass er ein Kiffer vor dem Herrn ist?

Es ist wahrlich nicht so, das die durch Indien streifenden, orangerot gekleideten Sadhus als Heilige verehrt werden. Ihr unmäßiger Bhang- und Charraskonsum macht den Menschen dort genau soviel Angst wie hier die Alkoholiker, nur akzeptiert man dort halt, dass ihr Weg jenseits dieser Welt verläuft und nur noch ihr Körper im Diesseits sichtbar ist. Sadhus und Sinnsucher verwenden Cannabis nicht nur zur Meditation, sondern auch, weil es sich gut zur asketischen Überwindung Hunger und Durstes eignet. Und obwohl die Sadhus das Bild prägen, welches der westliche Hanf-Fan von Indien hat, sind sie nur eine kleine Gruppe in der Religionsform, die „Hinduismus“ genannt wird.

Der sogenannte Hinduismus setzt sich aus vielen unterschiedlichen Strömungen zusammen, so dass der Religionswissenschaftler Heinrich von Stietencron von einem „Kollektiv von Religionen“ spricht. Diese Religionen gehen nicht auf einen gemeinsamen Stifter zurück, eine der Bibel oder dem Koran gleichbedeutende Schrift existiert nicht. Die uralten schriftlich niedergelegten Veden dienen zwar bis in die heutige Zeit als Weisheitstopf, aus ihnen haben sich aber tausende von verschiedenen Richtungen und Schulen entwickelt. So hat die mit rund 900 Millionen Anhänger drittgrößte Religion der Welt kein für alle gleichermaßen gültiges Glaubensbekenntnis. Der Reigen der Gottheiten ist bunt und fast unüberschaubar, da tummelt sich der Elefantengott Ganesh genauso wie Hanoman, der göttliche Affe. Jeder Hindu sucht sich zwar seinen Lieblingsgott, aber die höchsten Götter des Hinduismus sind Brahma, Shiva und Vishnu. Und Shiva entspricht so gar nicht dem was wir unter „Heiligen“ verstehen. Er raucht, säuft und kopuliert, er ist der „wilde, gütige Gott“, wie Wolf-Dieter Storl ihn einmal genannt hat.

Menschen, Tiere und auch die Götter durchwandern nach hinduistischer Glaubensvorstellung einen durch ewige Wiederkehr gekennzeichneten Kreislauf, Samsara genannt. Während des Lebens wird je nach Verhalten gutes oder schlechtes Karma angehäuft, was wiederum beeinflusst, als was man im nächsten Leben wiedergeboren wird. Es gibt zwar einen Ausweg aus diesem Kreislauf, aber dafür muss man heftig meditieren und brav sein; und dass fällt nicht nur den Indern schwer.

Da Cannabis das warme Klima des Subkontinents mag, verwebt der Hindu-, vor allem aber der Shivaismus die Pflanze seit jeher mit den Menschen. In keinem anderen Land auf der Welt ist Cannabis und sein Gebrauch so tiefgründig in der Kultur verankert wie in Indien. Von Hanf träumen bringt Glück, die Popularität der Pflanze geht so weit, dass schon die Sichtung eines Bhang-Trinkers ein gutes Omen ist. Hat Shiva, so die rhetorische Frage, den Menschen nicht deswegen die Kräuter geschenkt, damit sie sie nutzen? Die Jahrhunderte währende Charras- und Bhang-Tradition hat aus Sicht vieler Hindus immer wieder neu bewiesen, dass Hanf nicht nur ein Heilmittel ist, sondern auch erstarrte Vorstellungen und das Ego auflösen kann. Und dies ist genau das Ziel vieler religiöser Mühen. Der Shivaismus sieht die Erlösung in der Gewinnung eines Shiva-ähnlichen Zustandes und eines fortwährenden Kontaktes mit ihm. Die Mittel dazu sind vielfältig: Yoga, Tantra und eben auch Hanf.

Der Shivaismus hat in Indien Millionen von Anhängern und Tausende von Tempeln und Klöstern. Und Shiva ist in den meisten Darstellungen ein Vollblut-Kiffer. In vielen hinduistischen Tempeln wird daher Bhang, ein Milch- oder Joghurt-Getränke mit Hanf und Gewürzen, zum Teil auch mit Stechapfel verfeinert, regelmäßig bei Ritualen eingesetzt. Die Gottheitsstatuen werden mit rotem Zinnober bemalt, sodann setzen sich die Gläubigen einen roten Punkt auf die Stirn – das dritte Auge, denn mit dem dritten sieht man besser und sitzt dazu noch in der ersten Reihe: im Angesicht mit Shiva. Trommelmusik und Mantren erleichtern wie überall auf der Welt auch hier den Übergang in die andere Welt. Dort sitzt man dann mit dem Urschamanen recht gemütlich zwischen Vergangenheit und Zukunft und lässt sich und den lieben Gott einen guten Mann sein. Der Rausch ist im Hinduismus weniger „Teufelswerk“ als vielmehr eine der vielen Möglichkeiten, mit dem Göttlichen in Berührung zu kommen.

Seit Jahrhunderten praktizieren viele Hindus diese Ekstase aber nicht nur im Tempel, sondern leben mit diesen Bildern im Alltag. Für sie sind die vielen Götter-Geschichten, bunten Mythen und überlieferten Fabeln keine Märchen im religiösen Gewand und auch keine Gleichnisse. Sie sind Realität, Erlebnistatsachen und immer wieder neu erfahrbar: Shiva sitzt bis heute auf seinem Berg, immer zu einem Streifzug bereit, der Urozean aus Milch wird weiter gequirlt und Ganesh tanzt trotz seiner Leibesfülle mit seinen schönen Begleiterinnen Riddhi und Siddhi.

Der rituelle Hanf-Gebrauch variiert stark. Meist wird Cannabis nur nach Sonnenuntergang genossen, nur die Sadhus müssen früher ran. Hans-Georg Behr zitiert in seinem Klassiker „Von Hanf ist die Rede“ einen ehemaligen Rechtsanwalt aus Kalkutta: „Dreißig Portionen muß ich am Tag rauchen. Oft kann ich schon mittags nicht mehr, doch es muß sein – es ist ein Gelübde.“

Im Landesteil Bengal, im äußersten Osten Indiens, ist es immer noch Tradition am letzten Tag des größten Hindu-Festes, der Durga Puja (Vijaya Dasmi), an die Familienmitglieder und Gäste Bhang auszuschenken. Im Bundesstaat Orissa feiern die Anhänger des Gottes Jagannath ebenfalls kräftig mit Cannabis-Zubereitungen. Bhang ist in Indien was das Bier für die Deutschen ist. Gerade orthodoxe Hindus freuen sich über die Abwechselung, ist ihnen doch der Alkoholgenuss verboten.

Den Hindu-Priestern sind die Freuden des THC verwehrt, sie unterliegen einer strengen Diät. Alle Priester entstammen der Brahmanen-Kaste, deren Angehörige wiederum, sofern sie sich denn traditionsbewusst verhalten, den Reinheitsgeboten unterliegen. Dazu gehört auch das Fernhalten von jeglichen Rauschsubstanzen. Privat, so wird kolportiert, drücken die Brahmanen aber manchmal ein Auge zu und ziehen ebenfalls einen durch. Somal sie in vergangenen Zeiten ganz offiziell geraucht haben sollen, natürlich nur, um besser meditieren zu können.

Ein fröhliches Land von Kiffern also? Nicht ganz, glaubt man der spärlichen Studien zum dem Thema, zeigt die Prohibitionspolitik selbst im quirligen Indien ihre Wirkung: Seit 1985 ist Cannabisanbau und Nutzung illegal. Aber Indien wäre nicht Indien, wenn es nicht hier nicht dauernde Ausnahmen gäbe.

 

Gerade in den Städten lockern sich in den letzten Jahrzehnten mit den strengen Kastengesetze auch die religiösen Bindungen, welche sich über mehr als zwei Jahrtausende ausdifferenzieren konnten. Gleichwohl ist Indien noch heute ein außerordentlich vielfältiges Land, das vor Riten, spirituellen Festen, Göttern und (auch falschen) Heiligen nur so strotzt. Der Hinduismus zeichnet sich dadurch aus, dass sich in ihm die einzelnen Phasen nicht abgelöst haben, sondern sich die jeweils älteren Elemente bewahrt haben.

Bereits um 600 v.C. kam mit den Upanishaden eine Textgattung auf, in der die Welt als Illusion beschrieben wurde. Dauerhaft gut drauf sein könne nur der, der dies nicht nur erkennt, sondern auch sein eigenes Selbst (Atman) mit dem Absoluten (Brahman) identifiziert. Das klang sehr nach Buddha und tatsächlich verweben an dieser Stelle Hinduismus und Buddhismus. Diese Philosophie lebt heute in der Vedanta- Schule des Hinduismus fort.

Während das „Sein“ in westlicher Vorstellung innerhalb des Denkbaren liegt (Descartes: „Ich denke, also bin ich“), sehen die Hindus den viel entscheidenderen Teil des Lebens im Nicht-Denkbaren, dem, was bei uns gemeinhin „Mystik“ genannt wird. Rauschsubstanzen ermöglichen ihnen den Zugang zu diesen Räumen, die aus ihrer Sicht keine Fluchträume vor der Realität (was ist das?), sondern göttliche Sphären sind.

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

4 Antworten auf „Die Weltreligionen und ihr Verhältnis zum Rausch – Der Hinduismus“

Das war ein super interessanter Artikel, aus dem ich viel gelernt habe. Ich interessiere mich in letzter Zeit sehr für Indien und die Spiritualität und deren Geschichte.

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