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Interview mit Jonathan Ott

Interview mit dem Forscher Jonathan Ott

HanfBlatt, 2000

„Unglücklicherweise wissen wir nicht genug über Cannabis, dabei wäre es einfach heraus zu finden.“

Interview mit Jonathan Ott, Autor von „Pharmacotheon“, einem Standardwerk über psychoaktive, visionäre Pflanzen und deren Anwendungen, über den Kokain-Handel, die Wirkung von Marihuana, den Schamanismus und den Gebrauch von psychoaktiven Drogen.

In Zusammenarbeit mit Albert Hofmann, dem Entdecker des LSD, entwarf Ott das Wort „Entheogene“, das Substanzen beschreibt, welche „Spirit“ oder den persönlichen Gott in uns wecken. Wir besuchen Jonathan Ott an einem milden Spätsommerabend in der Wohnung des Ethnopharmakologen Christian Rätsch und der Kulturwissenschaftlerin Claudia Müller-Ebeling. Das Forscherpaar hat einen kleinen Empfang für Ott organisiert – das gibt uns Zeit ein Interview mit dem Ottilie zu führen.
HanfBlatt
Ich möchte mit einer witzigen Einleitung beginnen. Ein Geschenk von mir, welches du wahrscheinlich noch nicht kennst. Manche Zeitgenossen sagen es wäre die schrecklichste Droge auf Erden… was sagst du? Es ist eine Flasche Mariacron, die „Droge der Tanten“.

Ott
Ahh, Weinbrand, genial. Sind da Cannabinole drin?

HanfBlatt
Nein, es ist nur das Kaffee-Kränzchen Getränk unserer Tanten. Wir nennen es „Sprit“, aber es hat keinen Spirit.

J. Ott (i.d.M.), mit C. Müller Ebeling (l.) und C. Rätsch (r.)
J. Ott (i.d.M.), mit C. Müller Ebeling (l.) und C. Rätsch (r.)

Ott
Nun, es hat ein schönes Etikett. Und es scheint vollmundig zu sein. Danke.

HanfBlatt
Mit Pharmacotheon hast du einen Meilenstein der wissenschaftlichen Literatur über psychoaktive Pflanzen und deren Inhaltsstoffe verfasst. Das Buch ist äußerst präzise und gibt einen klaren Blick darauf, was wir über diese Pflanzen tatsächlich wissen. In „Ayahuasca Analoge“ gibst du allerhand nützliche Informationen über eine Anzahl von Ingredienzien, welche zu einem hoch potenten oral aktiven Trunk verarbeitet werden können. Nebenbei führst du die Absurdität und Unmöglichkeit der Kriminalisierung des Natürlichen vor. So sind deine Publikationen so wichtig wie „Thikal“ und „Phikal“ von den Shulgins. Was hat sich seit der Veröffentlichung von „Pharmacotheon“ für dich verändert?

Ott
„Pharmacotheon“ wurde 1993 veröffentlicht, eine zweite Ausgabe und eine spanische Übersetzung 1996. Aber insgesamt hat sich nichts geändert, ich gehe nur immer weiter in die Einzelheiten. Als Beispiel: Das Ayahusca-Buch war zunächst ein Kapitel in „Pharmacotheon“ und wuchs später zu einem vollständigen Buch. Ich wollte dann die gleichen Methoden -Bio-Proben und Analysen- auf die südamerikanischen Schnupfdrogen anwenden. Just habe ich eine weiteres Buch fertig geschrieben, „Schamanische Schnupfdrogen“, welches in Kürze in der Schweiz erscheinen wird. Die deutsche Ausgabe folgt später. Dort habe ich die psychonautische Anwendung von 5-MeO-DMT und Bufotenin beschrieben. Das Buch handelt weniger von DMT, mehr von den drei Hauptbestandteilen der großen Schnupffamilie: Bufotenin, 5-MeO-DMT und Nikotin. Statt Pharmahuasca hat man also Pharmaepena, welches das geschnupfte 5-MeO-DMT ist und Pharmayopo, welches das geschnupfte Bufotenin ist. Diese Arbeit ist komplett neu, weil bislang kein Forscher seine Aufmerksamkeit auf die Schnupfdrogen gerichtet hat. Als Homestead und Lindgren, die schwedischen Chemiker, zum ersten Mal die Idee des „Ayahuasca-Effekts“ beschrieben, den Zusammenhang zwischen MAO-Hemmern und Tryptaminen, sprachen sich eigentlich von den Schnupfdrogen und erst später wurde dies auf Ayahuasca übertragen – nämlich dann als DMT in nachträglich in Ayahuasca gefunden wurde. Ich wollte schon immer zurück zu den Schnupfdrogen kommen. Geschnupft sind die Inhaltsstoffe tatsächlich sehr viel potenter als oral eingenommen. Dies war schon eine Überraschung. Ich analysierte und probierte über sechzig Kombinationen. Dazu musste ich zunächst die Ingredienzien isolieren, weil Bufotenin eine illegale Droge ist…

HanfBlatt
… in den USA…

Ott
Ja, nur in den USA, glaube ich. Aber aus praktischen Gesichtspunkten ist es einfacher es zu isolieren, nicht zuletzt weil ich mein eigenes Labor in Mexiko habe. Es wurde viel über Bufotenin geschrieben, meistens Unsinn, über den Mangel an Psychoaktivität, visionäre Kraft und so weiter. Aber durch die Zusammenarbeit mit Christian Rätsch und mit Manuel Torres, einem Kollege aus Cuba, welcher die Schnupfdrogen seit mehr als zwanzig Jahren studiert, werden wir mehr Informationen erhalten. Torres trug den Wunsch der Kooperation an uns heran – Christian übernahm die Feldforschung und arbeitete mit den Schamanen in Nord-Argentinien zusammen und ich analysierte die Schnupfdrogen. Zunächst studierten wir die Samen und -wie in der Literatur beschrieben- fanden wir hohe Mengen an Bufotenin – bis zu 12,4mg- und fast keine anderen Tryptamine. Wir fanden zudem heraus, dass die Samen geschnupft wie geraucht sehr aktiv waren. Daraufhin war ich natürlich daran interessiert das Bufotenin zu isolieren.
Wie sich herausstellte ist Bufotenin tatsächlich visionär und zudem ebenso psychoaktiv wie 5-MeO-DMT, wenn es geraucht beziehungsweise als freebase konsumiert wird. Aber seine Psychoaktivität als Schnupfdroge ist ähnlich wie DMT, welches erheblich weniger psychoaktiv ist. 5-MeO-DMT ist also oral aktive, auch ohne MAO-Hemmer, obwohl eine höhere Dosis nötig ist. Momentan schreibe ich zusammen mit Christian Rätsch an einem Buch mit dem Titel: „Just say Blow. Coca and Cocaine, a scientific Blowjob“. Dieses wird nächstes Jahr auf deutsch im AT-Verlag erscheinen.

 

HanfBlatt
Bevor wir fortfahren: Prost.

Ott
Prost.

HanfBlatt
Die Thema Bufotenin wirft einen komplett neues Licht auf die Frage der Kröten.

Ott
Vielleicht. Ich denke nicht, dass in irgendeiner dieser Kröten genug Bufotenin ist, um psychoaktive Effekte zu erzielen. Tatsächlich finden sich nur kleine Mengen von Bufotenin in den Kröten, sie beinhalten dafür sehr hohe Mengen anderer giftiger Substanzen, unter anderem Phenylethylamine. Zum Teil haben wir es auch mit sehr gefährlichen Stereoiden zu tun. Ich habe zu wenig Erfahrung mit ihnen, sieht man einmal von der „Bufo Alvarius“ Kröte ab. Dies ist die einzige Kröte von der man weiß, dass sie 5-MeO-DMT enthält. Zwischen 10 und 15 Prozent im „Gift“, dem Drüsen-Sekret dieser Kröte. Dieses ist geraucht äußerst potent. Der Effekt ist aber nicht nur wie bei 5-MeO-DMT, es müssen noch andere Substanzen eine Rolle spielen, die man bisher noch nicht gefunden hat. Bufotenin ist definitiv oral aktiv: Es gibt Beweise, dass die Kröten dem „Chicka“ zugeführt wurden, einem tropischen amerikanischen Wein, in Anteilen über die wir noch keine Theorie haben. Ich denke nicht das es das Bufotenin ist, es muss etwas anderes sein, was für die Psychoaktivität zuständig ist.

HanfBlatt
Vielleicht wird es auch durch die Haut absorbiert, wie bei den Hexensalben?

Ott
Ja, das ist möglich, aber dafür liegen mir keine Beweise vor. Bei Nikotin stimmt dies. Momentan fokussiere ich mich auf Nikotin, weil es eine wichtiges Thema ist. Mein Schnupfdrogenbuch hat ein Kapitel über Epena, diverse Schnupfdrogen, welche 5-MeO-DMT und andere Tryptamine enthalten. Ein anderes Kapitel handelt von Sebil und Nopo, welches Bufotenin enthält. Ein weiteres Kapitel behandelt Tabak und nikotin-basierte Schnupfdrogen. Schon seit längerer Zeit erforsche ich Nikotin, obwohl ich normalerweise keinen Tabak konsumiere. Lieber nehme ich eigentlich pures Nikotin, beispielsweise als nasales Spray. Tatsache ist, dass in normalen kommerziellen Zigaretten nicht genügend Nikotin ist, um irgendeinen Effekt zu erzielen. Nikotin an sich ist wie Kokain keine Substanz die Sucht erzeugt – legt man eine rationale Definition an. Es gibt keine Entzugserscheinungen und es passiert gar nichts, wenn man viel davon über einen längeren Zeitraum konsumiert und dann plötzlich aufhört. Kommerzielle Zigaretten beinhalten vielleicht ein Milligramm Nikotin pro Stück und man absorbiert rund die Hälfte davon in einem Zeitraum von zehn Minuten. Ich nehme normalerweise zehn Milligramm als einzelne Dosis und das entspricht der Mengen einer ganzen Packung Zigaretten.

HanfBlatt
Und deine momentane Arbeit?

Ott
Ich schreibe an eher praktischen Beiträgen für das Journal of Psychoactive Drugs. Der erste ist bereits unter dem Titel „Pharmahuasca“ erschienen, demnächst erscheinen „Pharmaepena“ und „Pharmayopo“. Just schreibe ich an einem Artikel mit dem Namen „Pharmanubil“, der sich mit den tabakhaltigen Schnupfdrogen beschäftigt. Es gibt noch so viele unbekannte Pflanzen die wir identifizieren müssen. Wie man in der exzellenten „Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen“ von Christian Rätsch gut sehen kann, existieren buchstäblich hunderte, vielleicht tausende von visionären Pflanzen und wir kennen erst die Wichtigsten. Seit dreizehn Jahren lebe ich in Mittelamerika und in meinem Garten wachsen sechs sehr bekannten mittelamerikanische Entheogene, die chemisch wie pharmakologisch noch komplett unerforscht sind. Ich hatte bisher nur keine Zeit sie zu prüfen oder auszuprobieren und genau das muss man tun, wenn man sie studieren will. Man braucht keine Labortiere, man braucht keine großartige Forschungsfinanzierung, man braucht keine Unmengen von Universitätspersonal, man muss nur die Aktivität der Pflanzen verstehen und man muss sie halt kosten. Aber sei´s drum.
Diese Pflanzen sind auch in ihrem historischen Kontext wohl bekannt und es besteht keine Gefahr, dass sie in nächster Zeit verschwinden werden. Die meisten werden momentan kaum genutzt und somit ist es kein Problem, welches auf eine schnelle Lösung drängt. Ich fokussiere mich nun auf Südamerika, nicht zuletzt weil es dort -beispielsweise in Brasilien- eine alte, aber akut vom Aussterben bedrohte Gebrauchskultur gibt. Zudem existiert kein oder nur wenig historisches Hintergrundwissen wie in Mittelamerika. Aus diesem Grund werde ich demnächst nach Südamerika ziehen, vielleicht Kolumbien, um das Studium dieser Pflanzen und ihres Gebrauchs zu vereinfachen.

 

Chocolate-Addict
Confessions of a chocolate addict. J. Ott mit seinem Schokoladenkuchen.

HanfBlatt
Die US-Regierung lässt eine Menge Geld nach Kolumbien fließen.

Ott
Ja, sie nennen das den „Plan Columbia“ und der sieht folgendes vor: Die US-Regierung kontrolliert momentan den Kokain-Handel nach Europa und die Alte Welt über Bolivien. Die USA haben großen Einfluss in Bolivien und das Land so gut wie übernommen – weniger militärisch, als vielmehr ökonomisch, indem sie die Politiker und viel Land gekauft haben. Der Kokain-Handel läuft dabei über die US-Botschaft. Sie haben ihren eigenen Air-Force Hangar im Hauptflughafen in Santa Cruz. U.S.-Militär-Transporte fliegen hier fast täglich ein und aus und niemand weiß was dort verladen wird. Offiziell sind es Arzneimittel für die Bevölkerung, de facto sind sie es aber, die damit den Kokain-Handel kontrollieren. Die USA versuchen seit längerem Kolumbien aus dem Kokain-Handel auszuschließen. Schon in der Präsidentsschaftszeit von Jimmy Carter wurden darum Kontakte nach Bolivien geknüpft. Später, im Jahre 1979, wurde ein Staatsstreich protegiert und die USA setzten diesen Typ namens Luis Garcia Meza, der als Staatspräsident das Land regierte. Kurz nach seiner Amtseinsetzung wurde in Bolivien massiv Koka gepflanzt und in riesigen Laboratorien zu Kokain weiter verarbeitet. All das Koka wurde bis dahin von Bolivien und Peru nach Kolumbien transportiert, dort raffiniert und die Kolumbianer kontrollierten den Zugang zum US-Markt. Man muss wissen, dass in den USA 70 Prozent des weltweit hergestellten Kokains konsumiert wird. Und natürlich ist das US-Militär in den Transport involviert, speziell während der Reagan-Zeit. Das war doch die Geldquelle für den illegalen Krieg gegen die Sandinistas in Nicaragua. Im Grunde ging es immer darum Kolumbien aus dem Geschäft zu treiben. Heute ist die kolumbische Regierung in schlechter Verfassung: die Rebellen kontrollieren die Hälfte des Landes und sie kontrollieren vor allem die Koka-Zone. Damit war die Regierung letztlich gezwungen die militärische Hilfe der USA zu akzeptieren. Angeblich um den Drogenkrieg zu bekämpfen, in Wahrheit aber um die Kokain-Produktion in Kolumbien zu kontrollieren. Sollte dies den USA tatsächlich gelingen, wäre die gesamte Kokain-Produktion der Region in ihren Händen, denn in Peru besitzt die US-Regierung ebenfalls großen Einfluss.
Dies ist der Hauptgrund weshalb ich seit 13 Jahren nicht mehr in den USA wohne. In diesem Land ist der Puritanismus Grundlage jeden Handelns und dieser Schwindel, der sich „War on Drugs“ nennt, ist nur eine Entschuldigung dafür Menschen die ihnen missfallen ins Gefängnis zu stecken.

HanfBlatt
Der „Krieg gegen die Drogen“ geht weiter. Gibt es eine Chance ihn zu beenden?

Ott
Es existiert definitiv eine Chance – er liegt schon in den letzten Zügen. Noch treibt er zwar weiter seine unsäglichen Blüten, aber die Kräfte gegen ihn wachsen. Dieser Krieg ist gegen die Geschichte, gegen die Ökologie, gegen die Ethik, den gesunden Menschenverstand und die Realität. Ich sehe ihn mehr oder weniger als historisches Ereignis – maximal noch zehn Jahre. Die Drogenpolitik der USA ist in zunehmenden Maße unpopulär auf der Welt. Ich denke schon, dass die Situation so wie in Holland oder Spanien enden wird. In Spanien herrscht zwar ein Verbot, man kann aber bis zu drei Marihuana-Pfllanzen besitzen, bis zu fünfzig Gramm Haschisch, bis zu zehn Gramm Heroin oder Kokain und bis zu 100 LSD-Tripps. Das wird als Eigenbedarf angesehen. Meistens gibt es eine Geldbuße, aber es ist kein Verbrechen für welches man eingesperrt wird.
Nebenbei: Ich bin nicht für die Legalisierung oder irgendeinen anderen Deal mit dem Staat, denn das bedeutet nur mehr Steuern. Legalisiert man Cannabis, würden die großen Tabak-Konzerne den Markt beherrschen. In alten Zeiten war Tabak eine sehr potente, visionäre Droge, später wurde es zu einem Laster: Gerade gut genug um Menschen zu verletzten, aber nicht high zu machen. Ich befürworte daher eher die Dekriminalisierung des Drogenmarktes. Ich versuche mehr und mehr die Verwicklung der Staatsorgane in den Drogenhandel aufzudecken. Es gab und gibt Drogen-Skandale in Europa und in anderen Ländern, während deren Aufklärung nachgewiesen wurde, dass die offiziellen Leute aus den Drogendezernaten in den Handel involviert waren. Mehr und mehr Menschen dämmert es, dass der eigenen Staat mit seinen ausführenden Organen in den Handel verwickelt ist. Für die Regierung ist es eine großartige Möglichkeit viel Geld zu verdienen und nebenbei auch noch die Menschen, die sie nicht mögen, ins Gefängnis zu schicken.

Mein Ziel ist daher nicht ein neues Kontrollsystem für Substanzen, welches von irgendeiner Regierung kontrolliert wird. Momentan haben wir doch eine sehr gute Marktsituation – die Preise fallen und die Reinheit steigt an. Die Prohibition gibt unseren Leuten die Chance auf ein recht gutes Leben im Drogenproduktions- und verteilungsgeschäft. Ansonsten müssten sie mit den Tabak- und Alkohol-Firmen konkurrieren. Ich würde gerne eine Art von Waffenstillstand sehen, indem es unmöglich ist jemanden wegen dieser Art von Geschäften ins Gefängnis zu stecken. Und dann sagt man halt: „O.k., ihr Typen von der CIA, der DEA und dem US-Militär, ihr könnt ja gerne mit den Drogen handeln, aber wir wollen mit euch konkurrieren und dann wird man sehen wer gewinnt.“ Dies wird, denke ich, nicht durch irgendeine Art von öffentlichen Entscheidungsprozess geschehen, eher durch Zermübungstaktik. Früher oder später wird der politische Wille sterben, immer mehr Menschen ins Gefängnis zu werfen. Sie nennen die USA „The Land of the Free“, aber in dem Land sitzen 25 Prozent aller Gefängnisinsassen der Welt! Es besitzt die höchste Gefangenenrate in bezug auf die Bevölkerung der Welt, sieht man einmal von China ab. Momentan sitzen zwei Millionen Gefangene in den USA, die meisten von ihnen wegen Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz. Das ist fast Einer in 100 Leuten. Das ist teuer, es kostet mehr als die Leute auf eine private Universität zu schicken. Es gibt kaum irgendeine Familie im Land, die nicht jemanden kennten der im Knast sitzt, zum Teil ein Familienmitglied oder ein naher Freund. Diese Menschen verstehen all die Lügen des „War on Drugs“. Es geht darin nicht um Gerechtigkeit oder darum gefährliche Leute hinter Gitter zu bringen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus, denn mittlerweile werden die wirklich gefährlichen Verbrecher wegen Platzmangel entlassen. Umso mehr Menschen ins Gefängnis müssen, umso mehr begreifen die Menschen das es in diesem System nicht um Gerechtigkeit geht.

HanfBlatt
Das System wird sich selbst auflösen?

Ott
So läuft es immer. Jeder glaubte an die langlebige Existenz der Sowietunion. Diese Dinge sind wie ein Szenenaufbau in Hollywood, nach außen stark, aber das Gerüst ist dünn und es vergammelt schnell.

HanfBlatt
Potemkinsche Dörfer.

Ott
Richtig. Die Nazis raffte die Zeit dahin und das selbe wird mit der US-Regierung geschehen. In weniger als fünfzig Jahren werden die Präsidenten, Premierminister und Regierungschefs das sein, was die Könige heute sind. Sie durchschneiden Bänder um Autobahnen und Fabriken einzuweihen und am Unabhängigkeitstag treten sie auf um eine Rede zu halten. Die wahre Macht halten sie aber nicht mehr in den Händen, weil diese in die Hände der großen, multinationalen Konzerne übergegangen ist. Gore, Schröder und all die anderen sind dann Marionetten, die die Interessen dieser Unternehmen vertreten. Die großen Firmen sind das kleinere Übel als die Regierungen, denn sie operieren in vielen Ländern der Welt. Und weil dies so ist, wollen sie Probleme mit diesen Ländern vermeiden. Zudem sind sie demokratischer; es ist leichter einen Chef einer Firma als den Chef eines Landes zu stürzen. Alles was man tun muss ist Aktien kaufen und ihn rauswählen.

Vielen Leuten ist diese Idee nicht sehr sympathisch, speziell den Sozialisten, aber ich denke es ist besser wenn man Macht offen und ehrlich so betrachtet. Die Waffenindustrie wird eingehen, denn nur der Nationalismus speist diesen Industriezweig. In Wirklichkeit ist dies der Motor des globalen Welthandels: Waffen und Drogen. Aber wenn es keine nationalistischen Politiker mehr gibt – wer will diese Waffen noch haben?

HanfBlatt
Ein Themensprung. Welche Rolle spielt Cannabis für dich?

Ott
Cannabis spielt keine Rolle in meiner täglichen Arbeit, es ist mehr ein soziales Genussmittel. Natürlich ist es die am weitesten verbreitete Droge in der Welt, zehnmal häufiger als Kokain, welches wohl auf Nummer zwei der Liste steht. Allein in den USA konsumieren laut Regierung 25 Millionen Menschen Cannabis und eventuell sind es doppelt so viele. In Europa gibt es noch mehr Genießer. Zudem ist Cannabis eine Kernthema beim politischen Paradigmenwechsel, welcher durch die Bürgerbewegung für den Medizinalhanf angeschoben wurde. Selbst die US-Regierung war gezwungen THC wieder auf die Liste der verschreibungsfähigen Mittel zu setzen, bis dahin war es auf der Liste der gänzlich illegalen Substanzen, wo die Pflanze selbst heute noch steht. Und ich denke sie werden gezwungen sein auch die Pflanze verschreibungsfähig zu machen, nicht zuletzt weil zu viele Patienten bezeugen, dass THC (Marinol) nicht so gut wirkt wie das Rauchen von Cannabis. Das Rauchen von Marihuana hilft ihnen und es ist preiswerter. Elf Staaten haben es für den medizinischen Gebrauch legalisiert und eine Art von Verschreibungssystem aufgebaut. Aber einige Politiker bekämpfen dies bis auf Teufel komm raus. Sie weigern sich die Marihuana-Gesetze zu ändern, nicht zuletzt deswegen, weil die DEA (Drug Enforcement Administration) dann ihre Daseinsberechtigung verlieren würde. 75 Prozent der Inhaftierung wegen Drogenbesitz in den USA geschehen im Zusammenhang mit Marihuana.

Eine andere Kraft zur Änderung der bestehende Gesetze ist die Faserhandindustrie. In Ländern wie Kanada und Finnland war Hanf ein wichtiges landwirtschaftliches Erzeugnis und langsam kommt es zurück. Dies sind die beiden maßgeblichen verbindenden Elemente, die weit über das hinaus gehen, was früher „Hippie versus Alki“ genannt wurde oder dieses andere dumme Zeug, welches im Zusammenhang mit Marihuana immer wieder auftaucht. Die Leute sehen das heutzutage in Begriffen wie „landwirtschaftlich“ oder “ ökologisch. Es geht dann nicht mehr nur darum, von was du high wirst, es ist eine politische Frage. Aber natürlich ist Hanf Cannabis. Und das sieht man ganz klar in Mexiko, wo ich lebe. In Mexiko kümmert sich keiner um den Kokainkonsum – das ganze Land lebt unter Kokaineinfluss. Es ist die Droge der politischen Klasse, der Konservativen, der Börsenmakler, es wird in Firmen genauso genutzt wie im Weißen Haus und der Drogenszene. Marihuana allerdings wird als gefährliche Droge behandelt, weil es mit den linksorientierten Intellektuellen in Zusammenhang gebracht wird, mit Studenten und der Gegenkultur. Es ist ein politisches Thema, welches man mit Kokain nicht hat, denn Koks ist das Herzblut der Politiker in Mexiko, genauso wie in vielen anderen Ländern auch.

HanfBlatt
Hast du eine Übersicht über das Thema Marihuana in den spanisch sprechenden Ländern?

Ott
Spanien hat eine enorm hohe Rate an Cannabis-Konsumenten und das Haschisch kommt traditionell aus Marokko. Es ist wirklich schlechtes Haschisch, mit meistens nicht einmal zwei Prozent THC. Canamo, das spanische HanfBlatt wenn man so will, hat chemische Analysen von marokkanischen Haschisch durchführen lassen and es ist wirklich schlecht, eher wie wild wachsendes Marihuana. Mehr und mehr Leute züchten darum ihr Cannabis selbst, dass kann man gut auf einigen Stadtbalkonen beobachten. In Zukunft wird die Situation also besser werden, allerdings nicht für das korrupten Regime in Marokko und den korrupten Zoll in Spanien.

HanfBlatt
Wenn ich unterbrechen darf: Was ist der aktuelle Wissensstand über Cannabis? Was ist für die Psychoaktivität verantwortlich?

Ott
O.k., seht, dass ist nicht meine Fachgebiet. Ich besitze zwar eine Menge Literatur darüber, aber das ist ein weites Feld. Fest steht: Irgend jemand muss psychonautische Studien mit Cannabis durchführen; das heißt, man muss all die potentiell aktiven Bestandteile isolieren – und das sind viele. Es scheint momentan klar, dass es zwei Klassen von psychoaktiven Verbindungen gibt: Die Cannabidiole, welche eine eher beruhigende, körperliche Wirkung haben und die THC-Isomere, besonders das Delta-1 THC, welche eine sehr stimulierende und visionäre Wirkung haben. Und es existiert mindestens noch ein weiteres aktives Isomer des THC, das Delta-8 THC. Schaut man aber in die wissenschaftliche Literatur, um die für einen Menschen wirksame Dosis von Delta-1 THC zu erfragen, steht dort: „Nun, drei bis dreißig Milligramm.“ Das ist nicht gut genug, um nicht zu sagen, dass ist ziemlich ungenau. Ein weiterer Punkt ist die Anwendung – oral, geraucht, geschnupft oder injiziert? Es hängt natürlich von der Art der Einnahme ab. Vor einiger Zeit, während eines Seminars in Palenque, Mexiko, gab mir ein Typ der Krebs hatte ein paar Pillen Marinol. Er gab mir eine 45 Milligramm Dosis, ich nahm alles und wartete. Nach einer Weile vergaß ic, dass ich überhaupt was genommen hatte. Es passierte gar nichts! Geraucht wäre ein Zehntel davon eine starke Dosis gewesen.

Jemanden der in der Cannabis-Forschung tätig ist würde ich vorschlagen: Nimm ein bekannte Probe, beispielsweise von Sensi-Seed, lass das Gras wachsen und erstelle ein chemisches Profil. Isoliere all die unterschiedlichen Isomere der Cannabinoide und teste um die zehn verschiedenen Verbindungen in dem Verhältnis wie vorgefunden, alleine und in Kombination. Ich vermute, dass es mehr aktive Verbindungen gibt.

Die kurze Antwort auf eure Frage ist, dass wir es nicht genau wissen und das Wissen was wir haben ist sehr  ungenau. Aber wir haben die Chance es genauer zu wissen, nun, wo die Anandamid-Verbindungen isoliert und der sogenannte „Cannabis-Rezeptor“ im Gehirn gefunden wurde. Alles was wir brauchen ist Human-Pharmakologie und zur Zeit geschieht dies nur in den Keller-Laboratorien der Gegenkultur. Zumindest in den USA ist es nicht möglich so etwas in einer offenen Forschung zu betreiben. In einem Land, in dem sie seit 30 Jahren jährlich Milliarden von Dollar ausgeben und immer noch sagen drei bis dreißig Milligramm sei die aktive Dosis, während sie eine Medikament produzieren, welches nicht wirkt, nur um Leute zu nerven die Marihuana rauchen. Unglücklicherweise wissen wir nicht genug über Cannabis, dabei wäre es einfach heraus zu finden.

HanfBlatt
Was sind deine bevorzugten Strategien zur Risikominimierung bei dem Gebrauch von Entheogenen?

Ott
Nun, wissen was man nimmt ist der erste Schritt. Zweitens sollte man die Situation kontrollieren, in welcher man es nimmt. Ich bin kein wahrer Freund davon, visionäre Drogen in der Stadt, auf einem Rave oder einem Rock-Konzert zu nehmen, außer es ist eine geringe Menge mit etwas was man bereits kennt und von dem man auch weiß, wie es zu dosieren ist. Aber es hängt auch von der Erfahrung der Person ab. Übergeordnet ist aber für mich die Kontrolle des Setting – am besten in einer komfortablen und sicherer Umgebung, in der man nicht Gefahr läuft jemanden Unangenehmen zu begegnen. Oder Leute die man nicht kennt und mit denen man plötzlich umgehen muss. Schön ist es zu Hause oder auf dem Land. Natürlich ist es wichtig die Substanz und ihre Dosierung zu kennen und der Schwarzmarkt macht dies nahezu unmöglich. Darum ist das alles einfach für mich zu sagen, weil ich im allgemeinen die Substanzen gut kennen die ich nehmen. Normalerweise nehme ich keine Pillen vom Schwarzmarkt, obwohl dies in der Vergangenheit durchaus vorkam.

Diese Substanzen sind nicht für jeden bestimmt, einige Menschen sind keine gute Kandidaten für etwas wie LSD, Pilze oder Ayahuasca. Wirklich nervöse Menschen, Menschen, die nicht leicht entspannen können, sind keine Kandidaten. Diese Substanzen sind nicht für jedermann – für viele Menschen können sie wundervoll sein und ihr Leben verändern, aber sie können Menschen auch schaden.

HanfBlatt
Siehst du einen Unterschied zwischen Konsum und einem Ritual?

Ott
Das sehe ich auf meine Weise. Viele Leute denken sie brauchen Kontakt zu Schamanen vom Amazonas, aus Mittelamerika oder von sonstwo her. Das halte ich für nicht richtig. Zum einen ist es nicht gut für die Schamanen, weil sie meistens diesen Kontakt nicht wollen, zum anderen kommen die falschen Leute, die das Tor zum Massentourismus öffnen. Ich möchte den Grund für die Existenz des Schamanismus in der heutigen Welt zeigen und ich denke nicht, dass der Tourismus das leisten kann. Es fördert eher den Hollywood-artigen Schamanismus. Zudem ist es keine feste Einnahmequelle, denn plötzlich sagen die Fans: „Oh, es ist nicht der Amazonas, es gibt das etwas neues woanders“. Die Pilze haben so eine Zeit des Hypes erlebt, Ayahuasca ist es nun und vielleicht wird es demnächst Iboga werden. Es schadet den Leuten die davon abhängig sind, wenn plötzlich das Geschäft woanders hinrennt.

Ein Ritual muss nicht etwas aus einer anderen Kultur sein, geschweige denn etwas archaisches. Die Menschen sollten eigenen Rituale entwickeln, die Bedeutung für sie und das eigene Leben haben. Das würde ich bevorzugen. Es ist halt eine Frage von Ernsthaftigkeit und Respekt für die althergebrachte Umwelt und die heilige Natur. Wenn man diesen richtigen Respekt und etwas Wissen über die Natur mit einbringt, dann ändert das die Einstellung und der Genuss der Droge atmet etwas von einem Ritual. Für mich macht es beispielsweise für Leute in Hamburg mehr Sinn zu sagen: „Nun, wir nehmen es im Freundeskreis“ und so weiter, statt zum Amazonas zu schielen und die Riten dort zu imitieren. Es macht mehr Sinn auf deutsche Traditionen zurückzugreifen, auf Strukturen und Methoden des alten Schamanismus und des Heidentums aus der Gegend in der man lebt, in der heimischen Sprache und dem heimischen Kontext. Dies gilt auch dann, wenn die Substanz ganz woanders her kommt. Um eure Frage zu beantworten: Es ist eine Frage der Einstellung und Ernsthaftigkeit. Wenn jemand es wirklich respektiert und es aufrichtig und bestimmt nimmt, dann ist das ein ritueller Akt an sich. Und das ist viel wichtiger als Trommeln, Federn und Gürtel. Und es reicht für den rituellen Kontext vollends aus. Das heißt nun nicht, dass es falsch ist diese Dingen nur aus Spaß zu nehmen – daran ist nichts modernes oder neues, Schamanen tun das und haben es immer getan.

HanfBlatt
Aber Wunder dich nicht, wenn du das Licht siehst.

Ott
In Mittelamerika existieren exzellente historische Aufzeichnungen des Pilzkonsums der Einwohner. Daraus wird deutlich, dass sie für Heil- genauso wie für Staatszeremonien genutzt wurden, aber auch um ein erfolgreiches Geschäft zu feiern. Ganz genau so, wie man hier einen Cocktail trinkt, eine Nase Kokain schnupft oder einen Joint raucht. Und auch für fette Party-Settings wurden Pilze genutzt.

Christian Rätsch (betritt den Raum)
Es ist Party-Stimmung! Und zwar jetzt!

Ott
Ja?

Rätsch
Ja, es wartet ein nette kleine Runde von Leuten draußen auf dich. Oh, was ist das?

Ott
Eine Flasche Mariacron.

Rätsch

Uhh, das ist der schlechteste Schnaps den du kriegen kannst.

HanfBlatt
Ich sagte dir, dass es eine der übelsten Drogen der Welt ist.

Ott
Nur zum Haare waschen zu gebrauchen? Danke.

HanfBlatt
Wir danken.

adh und az

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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