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Drogenpolitik Interviews

Interview mit Hans-Georg Behr II

HanfBlatt 2/2001 “

Sind wir durch mit dem Interview?”

Zu Besuch beim Haschisch-Rebellen Hans-Georg Behr

Vor kurzem wurde Behrs „Von Hanf ist die Rede“, wahrscheinlich der Klassiker unter den deutschsprachigen Büchern zur Politik und Kultur des Hanfs, neu aufgelegt. Wir treffen Behr vor seiner Haustür in Hamburger Stadtteil Winterhude und erhalten sofort die erste Packung berechtigte Ungnade. „Es wäre schön, wenn sie pünktlich gewesen wären“, schnarrt er mit österreichischem Akzent. Wir singen den Schwamm drüber Blues und steigen die Treppe hoch. „Eckhard“, ruft Behr in der Wohnung, „Eckhard, machst du uns bitte Kaffee?“. So lange, schlägt Behr vor, sollten wir in die Kneipe gehen. Also stapfen wir wieder runter. In der Kneipe wird Behr vom Wirt und einigen Gästen begrüßt – man kennt ihn. Wir setzen uns und bestellen drei Bier, zwei Kleine, ein Großes. Als Behr-Kenner haben wir auf einen Leitfaden für das Interview verzichtet, weniger aus Demotivationsgründen, vielmehr weil wir ahnten, dass Behr zügig aus dem aus dem Nähkästchen plaudern würde. Und so kam es dann auch.

Behr, mittlerweile 64 Jahre alt, klagt über seine Gesundheit. Reisen in seine österreichische Heimat fallen ihm zunehmend schwer –körperlich wie geistig anstrengend sind sie-, aber zur Betreuung seiner kranken Mutter reiste er zwischen 1995 und 1996 nach Wien und linderte ihre Schmerzen mit einer gar nicht so geheimnisvollen Tinktur.

 Behr

Ich bin seit 1962 glücklich von Österreich weg. Auch gelegentliche Besuche dort sind nicht unbedingt angenehm. In Wien ist es besonders widerlich: Am Anfang hatte ich eine wunderbare Anonymität, und als ich dann meine alte Dame durch die Stadt geschoben habe, war ich zunächst „Der Sani“. Später merkte man, dass die Dame erstens immer denselben Sani hat und zweitens dieser auch kein Sani zu sein scheint. Ab da wurde ich belauert.

HB

Das klingt nach einer kleinkarierten Szene.

 

Behr

In Fotokopie wäre es ein Moire: Die Karos sind so klein, dass man sie schon nicht mehr sieht. Ich komme aus einer sehr alten Wiener Familie vor der die Großeltern der jetzigen Yuppies noch gebuckelt haben. Irgendwo muss man doch dafür Rache nehmen.

HB

Meine Assoziation zu Österreich kommt eher vom Kaffee her.

Behr

Das Kaffeehaus ist als zweites Wohnzimmer entstanden – eine Art Salon, wo man Leute treffen kann. Daheim, in einer Zimmer-Küche-Kabinett-Wohnung von 35 qm mit fünf Kindern, konnte man doch niemanden empfangen. Diese Kaffehauskultur haben Sie in ihrem Coffee-Shop in Hamburg auch. Das Illegale gehörte immer dazu. Ich erinnere mich an das „Cafe Sport“ in Wien, dass muss um 1963 gewesen sein, als der Hanf „endlich“ illegal war. Dort stand eine Musik-Box, die mit verschiedenen Platten von Stammgästen bestückt worden war. Griechische und algerische Lieder, asiatisches Klanggezirpe und so weiter. Öfters betrat ein Gast den Raum, warf Geld in die Musikbox und spielte ein bestimmtes Lied. Dann wusste man „Ahh, der hat jetzt Afghanen oder Türken“. Sozusagen ein Inserat, das man in die Musikbox einwarf.

HB

Das läuft heute profaner ab.

Wir verlassen das Lokal. Durch die Wohnung streicht der Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee. In dem kleinen Wohnzimmer stapeln sich an den Wänden Bücher und Kunstbände. Filigrane Jugendstilvasen, Beistelltischen aus Holz, schwere Decken auf der Couch. Der Raum atmet die Boheme. Schnell bewegen darf man sich nicht, jede Drehung des Körpers könnte die Zerstörung einer Kostbarkeit aus dem 19. Jahrhundert nach sich ziehen. Nachdem wir sicher in einer Couch versinken, die so aussieht als ob sie mindestens 200 psychoanalytische Therapiesitzungen hinter sich hat, fragen wir Behr nach den Gründen für die neue Auflage seines Buches „Von Hanf ist die Rede“.

Behr

Ich wollte eigentlich eine neue Ausgabe schreiben, aber das war ich dem Verleger dann doch nicht wert. Nun gut, man fügt sich und schreibt ein kleines Vorwörtchen, in dem man feststellt, dass die alte Ausgabe fast noch aktuell ist.

HB

Und auch um die Geschichte mit ihrer Mutter bereichert wurde.

Behr

Ich hielt es für richtig, sie zu erwähnen.

HB

Unbedingt, ist es doch ein Beispiel für die konkrete Anwendung von Hanf, abseits von theoretischen…

Behr (ungeduldig)

… Hanf ist ein Antidepressivum ohne Nebenwirkungen. Es ist mit allen anderen Medikamenten verträglich und es gibt kein anderes Präparat, was das tut.

 

HB

Eine schöne Pflanze ist es vor allem auch.

Behr (atmet schwer aus)

Diese Ästhetik interessiert mich in solchen Situationen wenig.

Eckhard kommt in den Raum und bietet Weißwein und Wasser an.

Behr

Die Ärztekammern haben auf der einen Seite wahnsinnigen Schiss, dass sie mit Cannabisprodukten ins Gerede kommen, geben aber auf der anderen Seite ihren Segen dazu, solange es zu keinem Skandal kommt. Die eigentlichen Entwicklungen finden derzeit in stillschweigenden Übereinkünften statt. Dabei nerven die „Legalize-It“-Gebrüllchen, denn sie verhindern jede Normalisierung. Schon die Kampagne „Wir entdecken Hanf als nützliche Pflanze, die die Umwelt retten kann“, war ein Fluch, der die Geschichte um Jahre zurück geworfen hat. „Aha“, sagen sich da doch die Leute, „einmal ist es die ökologische Seite, einmal die Medizinische – den Kiffern ist kein Mittel unrecht, um kiffen zu dürfen“.

HB

Und viele der Ökologen und Mediziner stellen sich als Puritaner dar. Einerseits…

Behr

… aber ich bitte Sie. Nach so viel Jahren Kohl ist man gewohnt, dass man nur noch Lügen darf, wenn man in der Öffentlichkeit steht. Oder Schweigen, wenn es um Spender geht.

HB

Hat das so abgefärbt?

Behr

Aber natürlich! Entschuldigen Sie, aber wer sich mit Dreck einlässt darf sich nicht wundern, wenn er bekleckert ist. Und die Sozialdemokratie verinnerlicht diese Verlogenheit auch noch. Aber das bringt mir demnächst ein Kilo vom Besten ein.

HB

Wie darf man das verstehen?

Behr

Das „Bündnis Hanfparade“ hat doch meine Wette angenommen. Die haben im Überschwang des Regierungswechsels tatsächlich geglaubt, unter den Sozialdemokraten würde sich an der Cannabis-Gesetzgebung etwas ändern. [1] Unter der CDU war es ja einfacher, denn so lange nicht darüber geredet wird, wird darüber geschwiegen. So hatten wir wenigstens eine Art katholischen Wildwuchs. Und heute? Nickel ist eine Krankenschwester – die weiß, wo der Giftschrank steht. Däubler-Gmelin wird sich doch genieren zuzugeben, dass sie selbst Ende der Sechziger dran genuckelt hat. Außerdem lässt sie sich nichts aus der Hand nehmen. Es ist eine deutsche Wesenheit, Böcke zu Gärtnern zu machen, Anthroposophen zu Innenministern, also warum nicht dieses in Sachen der Gesundheitspolitik? Endlich kommt einmal der Unterbau wüst wuchernd nach oben. „Wacht auf Verdammte dieser Erde!“, oder heißt es „Verklemmte“? Die predigen doch alle Wasser!

HB

Aber Sie werden auch von offizieller Seite immer wieder konsultiert, wenn es um Cannabis geht. Von wem genau?

Behr

Darüber spricht man nicht, denn die nennen mich auch nicht als Quelle. Es ist ganz angenehm, sich manchmal mit Richtern zu unterhalten. Es sind die Gewissensfragen, die die Richter meist beschäftigen. Ist es pädagogisch wertvoll, wenn ich den Menschen jetzt bestrafe?

HB

Kann es ja kaum sein!

Behr

Es ist problematisch. Ich wurde letztens für ein Verfahren vor dem Bundesgerichtshof als Gutachter benannt. Ich habe dann einen sehr freundlichen Absagebrief erhalten, dass ich als „bekennender“ Kiffer ja wohl zu parteiisch sei, um als unabhängiger Gutachter zu gelten. Insofern werde ich mich hüten, dazu was zu sagen. Gut und schön, dass ich kiffe, weiß man, dass ich von dem Zeug was verstehe, weiß man auch. Ich werde nicht meine prinzipiellen Ansichten auf den Tisch legen, nicht einmal vor irgendeiner Geheimpolizei. So lange das offen bleibt, kann ich mich ja auf den anderen einstellen. Wenn ich sage, dass ich das gesamte Strafsystem für Stammestänze um einen fiktiven, längst zerfressenen Totem halte, kann ich mich ja entblößen. Wenn dann einer anderer Ansicht ist, wird er alles andere, was ich sage, auch negieren. So sage ich gar nichts, höre mir das Ganze an und sage dann vorsichtig, wie es einem alten, gebrechlichen Mann ansteht, als würde ich Glatteis überqueren, meine Meinung.

HB

Steigt die Seriosität mit dem Alter?

Behr

Man hat sich an mich gewöhnt. Entweder sind diejenigen, mit denen ich mich gefetzt habe, verstorben oder emeritiert. Ich bin ja auch schon an der Grenze. Manche Richter Mitte 30 unterhalten sich halt gerne mit einem alten Daddy.

HB

Das wäre dann ja der Respekt vor dem Kenner, den ich meine.

Behr

Das hat nichts mit Respekt, eher mit einer Gewissensnostalgie zu tun. Ich gehöre mittlerweile ja schon zur Generation der Großeltern der heutigen jungen Kiffer. Ich war stolz, als ich letztens ein Exemplar des „Haschisch Kochbuchs“ von dem Sohn eines Psychiaters erhielt, der sich´s als Gymnasiast geleistet hat.

HB

In dem Kochbuch waren die Dosierungen recht hoch angegeben.

Behr (verschmitzt)

Ja, aber das war doch ein Witz.

HB

Den Witz hat manch einer ernsthaft nachgekocht.

Behr zeigt uns den Entwurf eines Plakats für eine Ausstellung. „Mein Kampf“ steht dort in altdeutschen Lettern, wobei das „Kampf“ durchgesprüht und mit Hanf ersetzt ist. „Subjektive Annäherungen an kein objektives Thema“ steht im Untertitel.

Behr

Das „Annäherungen“ im Titel ist ein Jünger-Zitat.

HB

Haben sie Ernst Jünger kennen gelernt?

Behr (scharf)

Ja.

Pause.

HB

U…N…D ?

Behr

Man hat den Jünger, je älter er wurde, immer besser gefunden. Und als dann auch noch Kohl und Mitterand anreisten, hat er sich nicht dagegen verwahrt, von miesen Leuten heimgesucht zu werden, sondern er fühlte sich geehrt. Was soll ich über den Mann sagen? Hinter seinem Sarg – als wäre er der Hauptleidtragende – ist der Hochhuth mit einer weißen Rose gegangen – das habe ich dem Jünger gegönnt. Seine Haschisch-Erfahrungen waren natürlich schlechte: Er hatte sich in Papas Apotheke in Hannover verirrt und den Löffel zu tief ins Ölfass gehalten. Gekokst hat er bis zuletzt, das hat ihn auch frisch gehalten. Morphinist war er auch eine Weile seines Lebens. Aber was wollen Sie hören? Furchtbar alt ist er geworden – so alt, dass die Leute vergessen haben was er früher war.

HB

„Name dropping“, mehr davon…

Behr

Ernst Bloch beispielsweise war ein wunderbarer Mensch. [2] Dass er das „Prinzip Hoffnung“ geschrieben hat, das nehme ich ihm heute noch übel – aber ich habe ja auch mal daran geglaubt. Er begab sich zum Philosophenkongress 1968 in Wien. Bloch wurde so wie ein Totemtier reingeführt, sank in den Stuhl und wurde am Ende wieder geweckt und raus geführt. Längere Zeit stehen konnte er nur, wenn hübsche Frauen in der Nähe waren. Irgend etwas Schönes muss also in der Nähe gewesen sein, denn wir unterhielten uns auf dem Flur. „Wissen Sie, Herr Bloch“, sagte ich, „was Sie da über ihre Erfahrungen mit Walter Benjamin und Haschisch beschreiben, dass finde ich doch etwas doof.“ Ich erklärte ihm das, und er hörte zu, denn er war wie viele Philosophen ein guter Zuhörer. Schließlich antwortete er mir: „Sie müssen das verstehen, Herr Behr, unser Vertrauen in die deutsche Chemie war damals größer als in die Natur. Aber ich bin gerne bereit, einmal Natürliches zu rauchen.“ [3] Das haben wir dann auch getan. Daraufhin lud er mich nach Tübingen ein: Ich solle ihn doch besuchen, aber bitte 200 Gramm von dem Haschisch mitbringen. Er hat sogar einen Scheck beigelegt.

HB

Das ist korrekt. Haben sie den Scheck noch?

Behr

Nein. Ich habe ihn gelegentlich noch besucht und…

HB

Entschuldigung, aber was stand denn in der „Betreff“-Leiste?

Behr

Nichts, ich bitte sie! Bloch hatte eine wunderbare Eigenschaft: Er wusste wann seine Frau Carola den Raum betrat. Carola war eine schreckliche Philosophen-Frau, allerdings eine gute Witwe. Bloch reichte mir den Joint immer im richtigen Moment rüber, denn Sekunden später betrat Carola den Raum. Ich glaube, es war beim dritten oder vierten Besuch, ich war dabei, das Haus zu verlassen, ging in die Graderobe, nahm meinen Mantel, denn es war Herbst, da sagte Carola Bloch zu mir: „Sie sind so ein netter junger Mann. Warum müssen sie eigentlich immer dieses ekelhafte Zeug rauchen?“ Das Amüsante: Ich kam bei den Blochs nur dann zum Rauchen, wenn Carola den Raum betrat… Vielleicht hat sie das sogar gewusst und es mir so durch die Blume zu verstehen gegeben.

HB

Das nenne ich Erfahrungen in Philosophie.

Behr

Der Nicolai Hartmann dagegen, den die Leute ja damals als „Philosoph in grauen Flanell“ beschimpften, der hatte auch eine Frau – die wollte allerdings an dem Zeug mitziehen. Hartmann war der große Mann der Phänomenologie. Er hat darunter gelitten, dass der Edmund Husserl [4] damit angefangen hatte, trotzdem steht Hartmann neben Wittgenstein. Er wollte unbedingt auch kiffen, um diese Erfahrungen zu machen. Ich sagte ihm:  „Das wird aber etwas metaphysisch, Herr Professor“. „Das will ich ja wissen“, war seine Antwort.

HB

Und wurde es metaphysisch?

Behr

Ich weiß nicht, ich hatte am nächsten Tag auf jeden Fall nicht mehr genug für mich. Er wurde immer gelöster in der Unterhaltung und seine Frau sagte: „Ich weiß nicht – entweder ist es die Wirkung dessen, oder aber… Ich komme mir auch sehr entspannt vor. Da habe ich bislang einiges versäumt.“ Darauf hin konnte ich ja nicht anders, als meine Vorräte großzügig zu teilen. Ich glaube nicht, dass er es weiter geraucht hat, aber in ihrer Handtasche war es jedenfalls.

HB

Und heute? Wie sehen sie die kiffende Jugend?

Behr

Es war so klassisch auf der Hanfparade 2000. Ich stand mit Krawatte und Anzug am Brandenburger Tor und beobachtete das Durchtröpfeln der Parade. Ein paar Teenies standen abseits und besprachen mit hochroten Köpfen ihr weiteres Vorgehen. Einer, der als der Kesseste galt, wurde auserkoren, mich anzuquatschen. „Wissen Sie, wo Sie hier sind?“, fragte er mich. „Soweit ich weiß, ist dies das Brandenburger Tor“, war meine Antwort. „Ja, aber wissen Sie, wo Sie hier rein geraten sind?“ Da habe ich gelangweilt an meiner Krawatte runter geschaut, die mit Hanfblättern bedruckt war. Die waren ganz perplex, dass so ein alter Mann mit einer mit Hanfblättern garnierten Krawatte es wagt, auf einem Jugendtreffpunkt zu erscheinen. Die tun immer so, als ob sie den Hanf erst entdeckt haben! Den gab es vorher für die gar nicht! Aber was soll es: Die Berliner Hanfparade ist doch nur ein kurzer Massenaufmarsch, bei dem keiner was sieht, man brav hinter dem nächsten Joint hertrotten und sich vorher noch an den U-Bahnhöfen demütig filzen lassen muss. Ich schaue doch auch keinem Karnevalsumzug zu! Da fand ich das Hamburger Hanffest sehr viel gelungener. Es war ein Jahrmarkt der Blödheiten, es wurde auch als Jahrmarkt genommen. Man konnte hingehen, und am Abend sind die Eltern der Kids gekommen. Die wollten sich anschauen, wo ihre Kinder sich rumgetrieben hatten, und fanden es nicht unangenehm.

HB

Waren Sie mal in der Schweiz?

Behr

Ja.

HB

Und was ist ihr Eindruck: Was treibt die Menschen dort dazu, in Sachen Cannabispolitik am weitesten in Europa vorzupreschen?

Behr

Ganz einfach, eine politische Pragmatik, die keine andere ist als bei den Holländern. Nur wollen die Schweizer das alles noch so legal wie bei ihren Nummernkonten haben. Die Schweizer sind selbst Minderheit im eigenen Land – entweder man ist französisch, deutsch oder italienisch beeinflusst. Da gibt es Verschiebungen, sobald man in die nächste Generation tritt. Dadurch haben gewisse Minderheiten, die nicht besonders auffallen, einen größeren Freiraum. Der ist aber nicht von Natur aus gegeben. Die Schweizer Junkie-Szene ist die deprimierenste in Europa, denn wenn jemand aus diesem Familienverbund „Schweiz“ fällt, dann fällt er ins Bodenlose. Am Anfang haben sie die Kiffer genau so gejagt – bis es immer mehr wurden. Dann wurde ihnen klar, dass sie noch keine verelendeten Kiffer gesehen hatten und dass sie in die Klos keine blaue Lampen einbauen müssen, damit sich die Kiffer keine Joints anzünden. Sie haben also geschaut und nun das Vernünftigste getan. Außerdem sind sie natürlich stolz und bewusst autark: Wenn der Hanf im eigenen Land wächst, dann kann er nicht schlecht sein.

HB

Das wäre ja auch in Deutschland eine Möglichkeit.

Behr

Man schätzt, dass die Bundesrepublik mittlerweile zu 65 Prozent Selbstversorger ist. „Gut“, könnte man sagen, „lassen wir das Ganze zu einer Sache von Hobbygärtnern verkommen“. Dann sind zum einen die Kiddies beschäftigt und zum anderen wird die organisierte Kriminalität mit lauter Hobbygärtnern wenig anfangen können. Man könnte sich das Wachstum der Coffee-Shops anschauen, und wenn neun das gleiche Gras haben und der zehnte ein anderes, dann schließt man die neun. Nachwachsen werden genug, die Sortenvielfalt ist garantiert und der Zugriff einer zuhälterischen Organisation ist gebannt. Darüber müssten dann alle ihr Maul halten, das schaut man sich fünf Jahre an, und wie es sich dann entwickelt hat, so reguliert man es. Das wäre in etwa das Schweizer System. Aber: Erstens können leider die Legalisierungsfreaks ihr Maul nicht halten, zweitens die Gegner auch nicht und drittens und viertens und… Egalisieren, eine Ruhepause, das wäre nötig, aber so etwas findet nicht statt. Wenn ich erkältet bin, dann nehme ich Codein, weil meine Schleimhäute in der Nacht nicht durch Hustenanfälle gereizt werden und sich erholen können. Man kann den Husten nicht direkt bekämpfen. Genau so müsste man es in der Drogenpolitik machen, aber dazu steht keiner bereit, denn so ein wunderbar lächerliches Thema, das alle betroffen macht, findet man nicht wieder.

HB

Amüsant eben nur, dass dies ausgerechnet in der Schweiz geschieht, einem eher auf konservative Werte ausgerichteten Staat.

Behr

Das kann nur in der Schweiz oder konnte nur in den Niederlanden passieren. Das kann nur in kleinen, von der Fiktion der Gemeinsamkeit überzeugten Gemeinwesen entstehen. Nur dann kann man auf solche paternalistischen Regelungen, wie wir sie in größeren Länder ertragen müssen, verzichten. Pragmatischere Politik hat man schon immer eher im Dorf als in der Großstadt gemacht.

HB

Das klingt plausibel.

Behr

Habe ich jetzt die ganze Zeit die sportliche Zigarette gehalten?

HB

Nein, die ging schon rum.

Behr

Dann bin ich beruhigt.

HB

Was wäre sonst passiert?

Behr

Ich hätte mich entschuldigt und angeführt, dass ich in Gedanken war.

HB (lachend)

Und Sie glauben, damit hätten wir uns zufrieden gegeben?

Behr

Ich hätte das so charmant vorgetragen, dass Sie sich damit hätten zufrieden geben müssen.

HB

Da wir ja auch höflich sind, hätten wir uns damit zufrieden gegeben.

Behr

Woher soll ich das wissen? Ich kenne Sie ja nicht! Sie kennen doch diesen herrlichen jiddischen Witz, in dem zwei Juden über die Straße gehen, und auf einmal kommt ein Hund angekläfft. Grün geht automatisch etwas schneller und Blau sagt: „Na, was rennsde denn, du weest doch, Kelef die bellen beißen nicht.“ Sagt Blau: „Ja weeß ich, aber weeß ich, ob Kelef das weeß?“

HB

Wir kennen uns zwar nicht, aber wir kennen ja etwas von Ihrem Werk.

Behr

Sehen sie, diesen Vorteil habe ich auch nicht.

HB

Höchstens wenn Sie mal in das HanfBlatt schauen würden.

Behr

Ins HanfBlatt schaue ich gelegentlich. Dort erscheint sogar ein kleine Serie von mir: „Stoned Age“, Geschichten aus der Urzeit des Kiffens.

HB

Darüber werden sich die Burschen dort freuen.

Behr (dies mal in bayrischem Dialekt)

Woos wass i, woos die Leut freit.

HB

Freuen tun sie sich über eine Wasserbett im Schlafzimmer, eine Harley Davidson vor der Tür und wenn das Telefon nicht allzu oft klingelt. Aber das dürfen wir nicht drucken. Themenverschiebung: Langsam gehen die Hanf-Läden pleite.

Behr

Ja, Gott sei Dank! Der Textilienmarkt mit Hanf ist versorgt. Natürlich, die Pariser Modeschöpfer ordern ab und zu einen Ballen feinsten Bologneser Hanfs. Wollen Sie heute Textilien verkaufen, die 150 Jahre halten? Das wäre das Ende jeder Wirtschaft. Diese Serviette hier ist aus dem Jahre 1850 und wurde garantiert 1000 Mal gewaschen; sie sieht noch wie neu aus. Diese Qualität war damals neun Mal so teuer wie feinstes Leinen. Wenn man 200 Mark für den Meter hinlegt, dann erhalten Sie immer noch so eine Qualität. Das werden Sie in einem Hanfhaus nicht umsetzen. Als Dämmmaterial ist Hanf zu teuer, braucht zuviel Dünger und versaut damit den Boden.

HB

Die Vision, mit gewaltigen Monokulturen von Hanf alle Rohstoffprobleme zu lösen, hat sich erledigt.

 

Behr

Natürlich. Als Öl ist es beispielsweise erheblich weniger haltbar als das Öl anderer Pflanzen. Was soll auch das Gerede? Hanf wurde doch nicht wegen seiner Fasern verboten. Es wurde ja auch nicht verboten, weil man sagte, Nylon ist da und wir brauchen nichts anderes. So idiotisch war niemand, auch wenn Herer das behauptet. Diese Verschwörungen haben nicht stattgefunden. Auf der anderen Seite hat die Faserhanf-Bewegung eins erreicht: Grundsätzlich will jeder, der sich in die Politik begibt, keine heißen Eisen anfassen. Die Politiker sehen im Hintergrund nur die Kiffer, die auf diese Weise ein legales Hintertürchen finden wollen. Das hat alle Versuche der Normalisierung völlig diskreditiert, wir können nicht mehr einmal über Cannabis als Medikament reden.

HB

Politikerschicksale und das Kiffen, das wäre mal eine Story.

Behr

Die Heide Moser hat sich für das Kiffen auch erst dann interessiert, als ihre Tochter in dem Alter war. Später wurde Ecstasy zum Thema. Man könnte das Familienleben an den Aktionen in der Politik gut nachvollziehen. Das Apothekenmodell habe ich immer für saublöd gehalten. Haschisch war nie eine Mittel der Apotheken, dann soll man es lieber in die Drogerie neben die Seife stellen. Hier die seelische Befleckung und da die Reinigung. Hier die Sünde, da die …. Ich weiß nicht wie viele Jahre wir in der deutschen Sprache brauchen werden um das blöde Wort „Drogen“ loszukriegen. Das herrscht seit 15 Jahren und hat schlimmer eingeschlagen als ein Grippevirus.

HB

Existiert ihrer Meinung nach ein vierter Trieb wie uns Ronald Siegel weismachen will; ein Trieb nach Rausch?

Behr

Sicherlich, genauso wie ein Trieb nach Sex besteht. Und die weitere Frage?

 

HB

Was schlussfolgert sich daraus?

Behr

Ganz einfach, dass wir zwar soziale Wesen sind und uns der Herde gerne fügen, aber ab und zu gerne jenseits des Weidezauns grasen wollen. Und wenn man uns diesen Weidezaun zementiert, dann werden wir zu neurotischen Herdentieren, und es fehlt uns das Private, das Individuelle. Es soll mir kein Mensch erzählen, dass er 24 Stunden am Tag ein soziales Wesen sein kann. Wenn eine politische Größe wie Karl-Heinz Ehlers, der Rechtsaußen der CDU, dem bekanntlich kein Gedanke zu doof ist, als dass er ihn nicht ausspricht, sagt, „Einen Urlaub von der Gesellschaft können wir nicht gestatten“, dann muss ich doch fragen, ob unsere Gesellschaft eine geschlossene Anstalt ist?

HB

Für ihn zumindest dürfte keine Ausgangsgenehmigung existieren.

Behr

Aber diese Bedürfnisse nach Extase sind genau so wichtig wie das Bedürfnis einer Ziege, auf der anderen Seite des Zaunes, wo das Gras bekanntlich besonders süß ist, auch mal grasen zu können.

 

HB

Primärgras ist besser als Sekundärgras.

Behr

Ich würde so nicht unterscheiden wollen. Das Jenseits des Üblichen ist der Ort unserer Sehnsucht. Wozu erfinden wir einen Himmel, wenn uns die Erde reichen würde? Wozu brauchen wir einen Gott, wenn uns unsere Regierung reicht? Diese Bedürfnisse sind natürlich. Man kann alles zum Trieb erklären, wie man alles zur Sucht erklären kann. Wenn Berthold Brecht geschrieben hat, dass die dümmsten Kälber ihre Schlächter selber wählen wollen, dann sind wir mittlerweile mit BSE verseucht.

HB

Damit ist doch der Bogen zum Einstieg gespannt…

 

Behr

Ja dann los damit, ich bin ja auch gespannt darauf, was die Leute von mir denken. Sie sagen es mit ja nicht, sie hören immer nur zu und… Wie hieß es neulich bei Ihnen im HanfBlatt über mich: Unbelehrbar oder uneinsichtig?

HB

Und wir verdienen auch noch Geld damit.

Behr

Das Kriterium der Bezahlung hat mich nie so sehr interessiert, sonst hätte ich nie so gelebt wie ich gelebt habe. Sonst wäre ich eine Nutte geworden. Wahrscheinlich wollten Sie wissen, wie viele Legastheniker Sie unter ihren Lesern haben.

HB

Schauen wir mal, wie wir dieses Interview verwerten.

 

Behr

Das ist Ihr Problem. Wenn Sie das auch noch von mir wissen wollen, dann verlange ich Geld. Sind wir durch mit dem Interview?

HB

Ja, jetzt kommen die Komplimente.

Langsam geht das Interview tatsächlich dem Ende zu. Bedürfnisse treiben mich aufs Klosett, dort ist die Stimmung gut. So richtig fertig ist Behr aber noch nicht, durch die Tür sagt er laut zu mir: „Wenn sie ihre Erleuchtung gehabt haben, bin ich bereit, noch ein paar Sätze zu sagen.“ Eigentlich wollte er uns schon lange rausschmeißen,  aber dann serviert er uns die Vorspeise: Einen warmen Strudel mit Rotkohl gefüllt. Wir schwelgen.

Behr

Ich traf Robert Anton Wilson einmal auf einer Buchmesse. Er klagte unter Erschöpfungszuständen und hat mich gefragt, ob ich ihm mein kleines Döschen gebe. Das habe ich auch getan, nach einer Weile kam er zurück und das Döschen war leer und ich war sauer. Das war von mir für vier Messetage bemessen!

 

HB

Nepalese?

Behr

Nein, „Hallo Wach“.

HB

Und dann schrieb er den „Neuen Prometheus“?

 

Behr

Nein, das war davor. Sozusagen als Entschädigung hat er mir in diesem Zustand einen Limerick gedichtet:

There were to young ladys in Birmingham

And this is a story concerning them

They liftet the frog and tickelt the cock

Of the bishop who was confirming them

 

Ich fand das zu billig für das halbe Gramm.

HB

Och.

Behr

Das sind angenehme Erlebnisse. Auf der Hanfparade genoss ich meine Erholungszigarette und neben mir stand so eine typische DDR-Bulette. „Oh, Marokkaner“, sagte sie und grinste mich mit ungefähr 90 Kilo Lebendgewicht an. Ich gab ihr unauffällig den Joint, sie schaute nach Links und Rechts, nahm einen heimlichen Zug und gab ihn mir wieder zurück. Diese überraschenden Erlebnisse machen das Leben jetzt noch so angenehm. Ich habe mich genug mit Eltern und in Schulen herumgeschlagen, ich habe mich genug vor Gerichten herumgeschlagen. Jetzt will ich genießen, die fröhliche Ernte einfahren und nicht ewig das Feld beackern. Und es werden bestimmt nur wenige Augenblicke sein, die man im Leben so erlebt, aber wenn man die als Lohn nimmt, dann ist das keine schlechte Bezahlung.

 

HB

Das ist bescheiden.

Behr

Nein, das ist der höchste Anspruch, den man haben kann.

 

az + adh

 


[1] Das Bündnis Hanfparade und H.G. Behr wetteten im April 1998 um ein Kilo Marihuana, ob sich nach dem Regierungswechsel Hanf legalisiert wird. Behr wartet auf das Päckchen aus Berlin und will dann zu einem Smoke-In einladen. Das HanfBlatt wird berichten…

 

[2] Ernst Bloch (1885 – 1977), Autor von „Das Prinzip Hoffnung“, einem Standardwerk der neueren marxistischen Philosophie. Das Werk sucht das „Noch-Nicht“, wie es sich in Erwartungen und Wunschträumen, aber auch in Utopien und religiösen Erweckungsvorstellungen manifestiert, als existentielles Prinzip zu erfassen.

 

[3] Bloch spielt hier auf eine Cannabis-Tinktur an, die er probiert hatte.

 

[4] Edmund Husserl (1859 – 1938). Der Philosoph entwickelte eine Lehre von den im Bewusstsein aufweisbaren Strukturen und wird als Begründer der Phänomenologie angesehen.

 

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Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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