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Interview mit dem Hanf-Forscher Michael Karus

Interview mit dem Hanf-Forscher Michael Karus /

hanfblatt Nr. 84, Juli/August 2003

Hanf – Eine Nutzpflanze unter vielen?

Ein Interview mit dem Hanf-Forscher Michael Karus

Michael Karus gilt als der führende deutsche Experte für den Anbau von Hanf. Er ist Geschäftsführer des nova-Instituts, das sich durch die Erforschung der ökologischen Nutzbarmachung der Hanfpflanze einen Namen gemacht hat. Seit dem Erscheinen der deutschen Ausgabe des Bestsellers von Jack Herer „Die Wiederentdeckung der Nutzpflanze Hanf – Cannabis – Marihuana“ im Jahre 1993 und dem im Zusammenhang mit diesem Buch stark angestiegenen Interesse an Produkten auf Hanfbasis sind nun 10 Jahre vergangen, Zeit einmal Bilanz zu ziehen und einige Entwicklungen Revue passieren zu lassen.

Hanfblatt: Wie steht es mittlerweile um den Hanfbau in Deutschland? Wie hat er sich in dem zurückliegenden Jahrzehnt entwickelt?

Karus: Nachdem der Hanfanbau im Jahr 1996 erstmalig seit über 15 Jahren Anbauverbot wieder möglich war, ist die Hanfanbaufläche zunächst stetig gewachsen (bis auf knapp 4.000 ha in 1999) und dann aber wieder auf ca. 2.000 ha gefallen (2002). Für dieses Jahr erwartet man wieder einen leichten Anstieg. Grund für diese Entwicklung waren zu Beginn überzogene Erwartungen an den Markt, die Absenkung der EU-Beihilfen und damit einhergehend ökonomische Probleme, die bereits zum Aus für einige Aufschlussanlagen wurden.

Hanfblatt: Hat der Hanfanbau in Deutschland eine Chance, sich gegen ausländische Konkurrenz zu behaupten?

Karus: Ja! Der Bedarf an Hanffasern kann in Deutschland weitgehend durch die deutsche Produktion gedeckt werden. Die EU dürfte inzwischen sogar eher Hanffasern exportieren als importieren.

Postkarte von 1917
Postkarte von 1917

Hanfblatt: Welche Bedingungen müssen geschaffen werden, damit Hanf sich gegen konkurrierende Rohstoffe durchsetzen kann?

Karus: Wenn Hanffasern zu Weltmarktpreisen produziert werden können, so gibt es kein Problem mit dem Absatz. Die Nachfrage nach Naturfasern, insbesondere in der Automobilindustrie, wächst stetig. Wenn Preis und Qualität stimmen, können die Fasern abgesetzt werden. Allerdings ist es nicht leicht, bei sinkenden EU-Beihilfen den Preis auf Weltmarktniveau zu halten. Dies wird nur durch verbesserte Aufschlusstechnik, höhere Durchsätze und geschickte Vermarktung der Nebenprodukte (Schäben und Samen) möglich sein.

Hanfblatt: Hat der Hanf den in ihn gesetzten Erwartungen entsprechen können, oder ist er doch nur eine Nutzpflanze von vielen?

Karus: Hanf war immer nur eine Nutzpflanze unter vielen. Alles andere war und ist Ideologie und irrationales Wunschdenken – und keine Basis für reale Geschäfte. Aus Hanf kann man tausende Produkte machen. Aber auch aus Soja (und vielen anderen Pflanzen) kann man tausende Produkte machen. Aber: Im Gegensatz zu Hanf macht man aus Soja bereits tausende Produkte … Das einzig wirklich Besondere an Hanf ist, dass bestimmte Sorten den bewusstseinsverändernden Stoff THC in relevanten Mengen enthalten. Dies hilft aber nichts, um die Fasern, Schäben oder Samen in den Markt zu bringen. Im Gegenteil, manchmal ist es sogar eher hinderlich.

Hanfblatt: Kann man sagen, dass der ersten Euphorie eine gewisse Ernüchterung gefolgt ist?

Karus: Wer heute noch im Nutzhanfbereich tätig ist, ist dies nicht mehr aus ideologischen Gründen oder Wunschträumen, sondern unter den realen Rahmenbedingungen des Marktes. Die anfängliche Euphorie hat zum Teil das Marketing von Endkonsumenten-Produkten erleichtert. Diese Produkte bestanden aber oft nur zu marginalen Anteilen aus Hanf (echte Hanfanteile in vielen Shampoos, Bieren oder Limonaden unter 1%) bzw. kamen ihre Rohstoffe vor allem aus China und Rumänien.

Hanfblatt: Wie steht es mit der verarbeitenden Industrie? In welchen Bereichen rechnet sich die Hanfverarbeitung?

Karus: Die wichtigsten Märkte für Hanffasern sind die Automobilindustrie (Formpressteile wie Türinnenverkleidungen) und die Dämmstoffindustrie. Weiteren Einsatz finden die Fasern in Anzuchtvliesen für Kresse (in jedem Supermarkt!). Die Schäben werden primär als Tiereinstreu (Pferde und Kleintiere) eingesetzt und die Samen gehen vor allem als Tierfutter über die Theke. Hier gewinnt allerdings der Lebensmittelbereich (Samen, Öl) an Bedeutung.

Hanfblatt: Kann man einem Bauern noch mit gutem Gewissen den Hanfanbau empfehlen? Auf was sollte er achten? Welche Voraussetzungen müssen stimmen?

Karus: Wieviel Hanf dem Bauern pro Hektar bringt, kann heute leicht berechnet werden. Der Anbau lohnt sich, wenn im Umkreis von 50 km ein Faseraufschlussbetrieb existiert, der hinreichend viel für das Hanfstroh zahlt. Wo dies genau anzusiedeln ist, hängt vor allem von den regionalen Konkurrenzkulturen ab.

Hanfblatt: Die HanfHaus-Kette musste ja bekanntlich Konkurs anmelden. Hat sich wenigstens insgesamt ein stabiler Absatzmarkt entwickeln können und was muss noch geschehen, damit sich das Potential von Hanf als Rohstoff besser entfalten kann?

Karus: Dies habe ich oben schon beantwortet. Und noch einmal: Die HanfHaus-Kette hat außer ein paar Samen und Ölen praktisch nichts verkauft, was von deutschen Äckern stammte, sondern vor allem Produkte (insb. Textilein) aus China und Rumänien.

Hanfblatt: Herer und sein Übersetzer Bröckers sind ja mit der provokanten These angetreten, dass Hanf als nachwachsender Rohstoff die Welt retten könne, zumindest vor den Folgen des Raubbaus an unersetzlichen Urwäldern, der Verschwendung fossiler Rohstoffe und Energieträger und unökologischer Landwirtschaft wie dem monokulturellen Anbau von Baumwolle. Kann man diese Behauptung so immer noch stehen lassen oder muss man sie revidieren?

Karus: Das ist natürlich vollkommener Unsinn. Jack hat ja sogar einen Preis für denjenigen ausgesetzt, der das Gegenteil beweisen könne. Für uns wäre dies ein Leichtes. Ich habe diesbezüglich auch mit Jack Kontakt aufgenommen. Wir haben uns aber nicht darüber einigen können, was er als Beweis akzeptieren würde ….

Hanfblatt: Wie sieht die Zukunft für den Hanf aus?

Karus: Gut! Hanffasern werden sich als industrielle Fasern weiter etablieren, Schäben werden (und sind) eine feste Größe für hochwertiges Tiereinstreu, und Hanfsamen werden sich mehr und mehr als gesundes Lebensmittel etablieren. Und auch im pharmazeutischen Bereich ist der Wall gebrochen, mehrere Unternehmen werden in den nächsten Jahren neue Präparate auf den Markt bringen.

Hanfblatt: Woher kommt Ihr besonderes Interesse am Hanf?

Karus: Das Interesse ist garnicht mehr so besonders. Wir beschäftigen uns inzwischen auch mit vielen anderen nachwachsenden Rohstoffen. Es gab halt damals in den Jahren 1993 bis 1997 die historisch günstige Situation, dass sehr viel Interesse an den Nutzungsmöglichkeiten von Hanf bestand und gleichzeitig kaum belastbares Wissen existierte. Diese Chance haben wir genutzt, um das nova-Institut als Experten-Institut für Hanf zu entwickeln. Heute ist bei uns ein so großes und breites Wissen über Hanf (und andere Faserpflanzen) verfügbar, ebenso wie zahlreiche nationale und internationale Kontakte, dass die Hanfforschung – insbesondere die Marktforschung und ökonomische Analysen – immer noch eine wichtige Einnahmequelle darstellt.

Hanfblatt: (scherzhaft) Ist es einsam auf dem Olymp?;-)

Karus: Im Gegenteil: Ich habe über den Hanf unzählige interessante Menschen in der ganzen Welt kennen gelernt, von denen viele meine Freunde geworden sind.

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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