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““Wir nutzen nicht das, was in den Drogen steckt”“

Interview, Horst Bossong,

HanfBlatt, November 2004

Interview mit Horst Bossong, dem Drogenbeauftragten der Hansestadt Hamburg

HanfBlatt:

Der neue Hamburger Methadon-Vertrag ist seit einem halben Jahr in Kraft. Wie ist die Entwicklung: Kam es zu einem Rückgang der Neuanmeldungen für eine Substitutionsplatz?

Horst Bossong:

Wir stellen fest, daß seit dem 1. April diesen Jahres die Zahl der Neuanmeldungen erheblich zurückgegangen ist. Dies liegt zum einen daran, daß im Jahre 1995 bis zum 31. März 1996 der „run“ auf die Substitution vehement war. Insofern ist der Rückgang ist also zum Teil erklärlich und nicht besonders aufregend. Auf der anderen Seite muß man sagen, daß sich das neue Verfahren nur schleppend bei der Ärzteschaft, bei den Drogenberatern und den Junkies durchgesetzt hat. Ich gehe aber davon aus, daß sich die Substitution normalisieren wird.

In welcher Hinsicht?

Dass deutlich mehr als nur die Halbtoten in die Substitution kommen, also auch diejenigen, bei denen zwar keine lebensbedrohliche Krankheiten vorliegen, bei denen aber die Beherrschbarkeit der Drogensucht und die Therapierbarkeit von Sekundärkrankheiten wie beispielsweise Hepatitis, anders als durch die Substitution nicht möglich ist und wo nur durch diese eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft möglich ist.

Das wäre dann aber unter großzügiger Auslegung der bundesweit geltenden Methadon-Richtlinien bei gleichzeitiger Beibehaltung der restriktiven Vorschriften. Ist nicht auch an eine Änderung gedacht?

Das Bundessozialgericht hat dem Bundesausschuß Ärzte und Krankenkassen aufgegeben, die Richtlinien zu ändern und weiter als bisher zu fassen. Ich hoffe dementsprechend, daß es auch in Hamburg zügig zu einer realitätsgerechteren Auslegung der Richtlinien kommen.

Inzwischen steht fest, daß ein Teil der Methadon-Empfänger auch andere Drogen zu sich nimmt. Bietet die Behandlung mit Methadon überhaupt einen Ausweg aus der Sucht?

Man muß wissen, daß die Methadon-Behandlung für Junkies nicht der erste in Betracht kommende Therapieversuch ist, sondern die „ultima ratio“, also die Methode, die zum tragen kommt, wenn andere Therapien nicht in Betracht kommen. Dies ist durch das Betäubungsmittelgesetz so festgelegt. Fakt ist: Bundesweit sind diejenigen in der Methadon-Substitution, die schon sehr lange drogenabhängig sind; durchschnittlich zehn Jahre. Wer zehn Jahre in der Illegalität lebt, von dem kann realistischerweise nicht erwartet werden, daß er von heute auf morgen ein geordnetes Leben führt. Dies ist ein Prozeß, der Geduld erfordert. In dieser Zeit gilt es dem Substituierten klar zu machen, wie er seinen Beikonsum reduziert und schließlich ganz aufgibt. Die Erfahrungen im Ausland zeigen, daß das nach einer Zeit bei einem großen Teil gelingt. Andererseits ist auch klar, daß es Leute gibt, bei denen das nicht gelingt. So ist das Leben.

Sind Ihnen die Zahlen bekannt, wieviele Methadon Empfänger noch andere Substanzen konsumieren?

Mehr als die Hälfte der Substituierten nimmt in der Anfangsphase der Substitution zunächst ihre bisher bevorzugte Droge noch weiterhin zu sich. Manche von ihnen fangen an, Kokain oder andere Substanzen zu konsumieren. In der Regel läßt das nach einem halben Jahr nach, dann tritt der Beikonsum nur noch in Krisenphasen auf, also in Phasen, in denen die Gefahr eines Rückfalls in den illegalen Konsum besonders groß ist. Aber: Die ganze Suchtbehandlung, auch die Abstinenztherapie, arbeitet mit Rückfällen. Das gehört zur Sucht.

Ein anderer Weg wäre die Abgabe von Heroin.

Ja, die Abgabe von Heroin wäre der direktere Weg. Im Grunde gibt es keine vernünftigen Argumente dafür, daß man Leute, die von bestimmten Substanzen abhängig sind, diese Drogen unter Androhung von Strafe vorenthält. Alle Erfahrung zeigen, daß der Weg der Kriminalisierung restlos gescheitert ist. Und im übrigen auch niemanden, der bisher keine Drogen genommen hat, vom Konsum abhält.

Das Strafrecht hat versagt, dies gilt wohl für alle Substanzen.

Es gibt weltweit keine Erfahrungen, daß das Strafrecht im Bereich der Drogen funktioniert. Dies gilt auch für den Alkohol.

Muss also noch mehr als bislang auf die Aufklärung gesetzt werden?

Die Aufklärung funktioniert ja gar nicht schlecht. Man muß sich klar machen, daß die allermeisten Menschen keine harten Drogen nehmen. So gesehen kann man behaupten, daß die Prävention greift. In Deutschland haben wir uns seit Ende der sechziger Jahre angewöhnt, das Drogenthema in einer völlig unsachgemäßen Weise zu dramatisieren und jeden, der anfängt zu kiffen, einerseits zum Hochkriminellen, andererseits zum Kranken zu stempeln. Erst damit wurde das Drogenproblem in seiner jetzigen Form erfunden.

Mit ihrer Idee, die Drogenhilfe nach marktwirtschaftlichen Kriterien umzustrukturieren, haben sie einige Sozialarbeiter geschockt. Wie soll die Zukunft der Drogeneinrichtungen in der Hansestadt aussehen?

Die Drogenhilfe wie die gesamte Sozialarbeit ist Teil eines Marktes sozialer Dienstleistungen. Sie muß den Hilfesuchenden klar beschriebene Leistungen bieten, die nachprüfbar sein müssen. Zudem muß die Drogenhilfe auf einem bestimmten verbindlich definierten Qualitätsniveau stattfinden und für die erbrachten Leistungen Geld bekommen. Der Modernisierungsbedarf in der Sozial- und Drogenarbeit ist enorm. Der Bürger hat ein Recht auf Hilfe und der Staat hat die Pflicht dafür zu sorgen, daß der Bürger eine qualifizierte, zügige und seinen Bedürfnissen entsprechende Unterstützung erhält. Dies ist möglich, wenn der Bereich der Sozialarbeit grundlegend reformiert wird.

Was verschreckt hat, ist der Ausdruck der Marktwirtschaft. Es gibt ja durchaus andere Möglichkeiten, in Verwaltungen eine Output-Orientierung und mehr Effizienz zu erreichen. Die Zukunft der sozialen Einrichtungen wird doch wohl kaum in der Profitmaximierung liegen.

So war das nie gemeint. Wenn Sie so wollen, meine ich eine prononciert soziale Marktwirtschaft. Ich habe diesen Ausdruck als Pendant zu dem gewählt, was heute in der Sozialarbeit vorherrscht, nämlich eine Art Planwirtschaft. Betriebswirtschaftliches Denken muß sich auch im System der Drogenhilfe durchsetzen. Ein Träger, der heute Geld einspart, dem wird nach klassischem Förderungssystem das Geld vom öffentlichen Zuwendungsgeber wieder weggenommen. Warum soll er also sparen? Hamburg gibt für die zuwendungsfinanzierten Beratungsstellen im ambulanten Drogen- und Suchtbereich etwa 26 Millionen Mark aus. Zusätzlich noch Geld für den stationären Bereich und die psychosoziale Betreuung – insgesamt um die 60 Millionen Mark. Dies ist ein Dienstleistungsmarkt, der zwar nicht den harten kapitalistischen Regeln unterliegen sollte, etwas mehr an marktwirtschaftlichen Denken täte diesem Bereich aber gut.

Nicht zufällig kommt ihr Vorschlag zu einer Zeit, in der die Kassen der Stadt leer sind.

Es wäre sicher besser gewesen, wenn die Modernisierung früher begonnen hätte, denn so mobilisiert das in der heutigen Zeit natürlich Ängste.

Vielleicht zu recht. Wie bei anderen Einrichtungen auch, ist es schwierig, einmal etablierte Institutionen wieder abzuschaffen. Gibt es da bei Ihnen konkrete Pläne?

Die Modernisierung die wir betreiben, orientiert sich am Nachfrageverhalten des Kunden. Dies kann dazu führen, daß diejenigen, die mit ihren Angeboten an den Bedürnissen der Kunden vorbeigehen, auf Dauer nicht existieren werden. Wer sich den veränderten Erfordernissen im Drogenbereich nicht anpasst, verschwindet vom Markt.

Wie weit ist dieser Prozeß fortgeschritten?

Wir haben bekanntlich seit einem Vierteljahr eine Diskussion über sogenannten offene Szenen in der Stadt. Trinkergruppen, Drogenszenen, alles im Kontext der Bettlerdiskussion. Was mich erschreckt, ist, wenn man solche Probleme zwar benennt, aber keine Antworten findet. Für mich ist interessant: Was ist die Antwort des Hilfesystems auf solche Probleme. Und wer da keine Antwort findet, der hat das Klassenziel verfehlt.

Themenwechsel. Fährt man durch Hamburg, fällt einem die reichhaltige Kultur an sogenannten „Grow-Shops“ für den Hanfanbau und „Head-Shops“ für die Raucherutensilien auf. Wie sehen sie das?

Das ist die Normalität unserer Großstadt, nichts aufregendes.

Daneben haben sich, nicht ganz so öffentlich, auch Coffie-Shops etabliert, in denen der Cannabis-Liebhaber sein Gras oder Haschisch kaufen kann. Diese werden inzwischen sogar geduldet…

Nein, sie werden nicht geduldet. Es gibt zwar eine Reihe von Argumenten dafür, den Bereich des Cannabis-Konsums anders zu behandeln als das gegenwärtig durch das Betäubungsmittelgesetz passiert, nur haben wir hier das gleiche Gesetz wie in Bayern oder sonst wo in Deutschland. In Hamburg setzt die Polizei allerdings die Prioritäten anders. Da ist es aus meiner Sicht vernünftig, wenn sie sich in erster Linie um den organisierten Handel mit harten Drogen kümmert und nicht mit ihrer gesamten manpower gegen Menschen vorgeht, die zum Teil aus innerer Überzeugung solche Einrichtungen betreiben.

Meines Wissens werden diese Läden aber nicht von Protagonisten der Cannabis-Legalisierung geführt, wie beispielweise Rigo Maaß einer ist, sondern liegen in kriminellen Händen.

Ich bin sicher, daß die Polizei gegen kriminelle Händler vorgeht. Gleichwohl muß man sehen: Bei der Bewertung gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen Leuten, die aus innerer Überzeugung für eine andere Cannabis-Politik eintreten, und denen, die allein wegen des Profits ihr Geschäft betreiben, obwohl sie wissen, daß es illegal ist.

Die Bewertung können sie so vornehmen, nur vor Gericht ist unklar, ob der Richter das ähnlich sieht.

Nein, das kann und soll die Politik dem Richter auch nicht vorschreiben. Aber auch der Richter hat die Aufgabe, die Schuld des Angeklagten zu würdigen. Ich will mich als Drogenbeauftragter dort nicht einmischen, aber meine persönlichen Überzeugung ist: Jemand, der mit nachvollziehbaren gesundheitspolitischen und auch gesellschaftspolitischen Gründen sagt, daß es nicht angehen kann, daß man sich bis zum umfallen besaufen, nicht aber eine andere Substanz zu sich nehmen darf, der hat nicht so Unrecht. Ich habe mit Rigo Maaß öfter gesprochen und versucht, ihm seine Grenzen aufzuzeigen. Gleichwohl verdient er, in seinem drogenpolitischen Bemühen ernst genommen zu werden.

Nun gibt die Politik den Richtern ja schon vor, wie sie zu entscheiden haben, indem sie die Gesetze formt. Arbeitet Hamburg daran, daß die im Betäubungsmittelgesetz festgelegte Prohibition gegen Cannabis fällt?

Wir haben in Hamburg in erster Linie ein sehr massives, bedrückendes Heroin-Problem. Schon ab 1990 haben wir versucht, über den Bundesrat Reformvorschläge durchzusetzen. Der weitreichenste Versuch war, die Heroinabgabe an Junkies zu erreichen. Dies stieß auf vehemente Ablehnung seitens der Bundesregierung. Derzeit liegt unsere Gesetzesinitiative in den Ausschüssen des Bundestages. Insgesamt haben wir mittlerweile in Deutschland einen erheblichen Reformstau in Sachen Drogenpolitik. Grundsätzlich müßte man sich ernsthaft fragen, wenn man denn bei Vernunft und Verstand wäre, ob wir das Betäubungsmittelgesetz überhaupt brauchen oder ob die für den Konsumentenschutz und die Unterbindung des illegalen Handels notwendigen Vorkehrungen nicht auch über das Arzneimittelgesetz zu erreichen wären. Allerdings gibt es dafür keine politische Mehrheit, das ist das Problem.

Bürgermeister Voscherau hält sich bisher aus taktischen Gründen aus der Diskussion um die Legalisierung von Cannabis heraus. Er will nicht, ich zitiere, der „Drogenspinner aus Hamburg sein, dem man nicht mehr zuhören braucht“. Halte Sie diese Zurückhaltung für richtig?

Voscherau ist garantiert nicht der Drogenspinner aus Hamburg, sondern derjenige, der in Deutschland als erster Bürgermeister klar gesagt hat, daß die bisherige Drogenpolitik gescheitert ist. Die Konsequenz für eine Großstadt wie Hamburg, mit einem riesigen Heroinproblem, ist, daß den Junkies ein legaler Zugang zu ihrer Droge geschaffen werden muß. Natürlich über ärztlich kontrollierte Abgabe. Das hat der Bürgermeister immer wieder unmißverständlich zum Ausdruck gebracht.

Das Thema Cannabis wird in Schleswig-Holstein sehr intensiv erörtert. Da gibt es entsprechende Vorschläge. Auch im Rahmen der Konferenz der Gesundheitsminister hat es eine intensive Diskussion gegeben und Hamburg hat sich da nicht zurückgelehnt und gesagt, daß machen wir nicht mit. Selbstverständlich stehen wir diesen Reformen aufgeschlossen gegenüber. Ich würde mir wünschen, daß beide Reformen Erfolg haben und es zudem zu einer grundlegenden Reform im Drogenbereich kommt.

Das Apothekenmodell von Heide Moser ist also auch in Hamburg denkbar?

Jeder Schritt, der auf einen rationaleren Umgang mit Cannabis, auf eine Entdramatisierung hinarbeitet, ist aus meiner Sicht zu versuchen. Wie so etwas konkret aussehen kann, muß man sehen, wenn die Schleswig-Holsteiner ihr Konzept vorgelegt haben. Die Umsetzung stelle ich mir nicht einfach vor. Die Cannabis Konsumentenszene ist bekanntlich ja nicht die Dauerkundschaft in Apotheken.

Sie denken nicht, das Cannabis Konsumenten eine Apotheke betreten, um Marihuana oder Haschsich zu erstehen?

Neben den Apotheken gäbe es ja noch die Möglichkeit, den Cannabisvertrieb an staatlich anerkannte Einrichtungen zu binden.

Wonach richten sich denn überhaupt Ausschlußkriterien für gewisse Substanzen in Deutschland? Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen?

Nein. Das hat mit wissenschaftlicher Erkenntnis nicht annähernd etwas zu tun. Die ganze Drogenprohibition geht auf die Opiumkonferenzen in Den Haag Anfang diesen Jahrhunderts zurück. Seinerzeit ging es zunächst um eine wirksame Kontrolle des Handels. In dieser Phase hatte es vehemente Bestrebungen -vor allem seitens der USA- gegeben, ein umfassenden Kontrollsystem zu schaffen. Die Staaten, die bislang vom Opium-Handel profitiert hatten, forderten, daß, wenn sie schon Einbußen haben, auch andere Ländern Abstriche bei ihren Drogengeschäften machen müßten. Das hat dazu geführt, daß letzten Endes nicht nur Opium, sondern auch Kokain und weitere Substanzen der Kontrolle unterworfen wurden. Es gibt keinen vernüftigen Grund, bestimmte Substanzen zu verbieten. Egal ob legal oder illegal, ich kann mit allen Substanzen meine Gesundheit ruinieren, wenn ich sie exzessiv, chaotisch und dauerhaft konsumieren. Ebenso kann es mit mit allen Substanzen gelingen, einen geordneten Konsum zu praktizieren.

Der Hanf gilt als relativ ungefährlich.

Bei Cannabis wissen wir seit langem, daß ein halbwegs geordneter Konsum weniger schädlich ist, als der Alkoholkonsum und das sich damit problemlos leben läßt. Das Suchtproblem ist primär in der Persönlichkeit des Konsumenten und seines sozialen Umfelds begründet und erst nachrangig in der Substanz selbst. Nebenbei bemerkt ist es ein Skandal, das Cannabis nicht AIDS- und Krebspatienten zugänglich ist. Unglaublich.

Eine Legalisierung aller im Betäubungsmittelgesetz aufgeführten Stoffe hätte momentan aber eher fatale Folgen.

In der Tat. Es ist immer leicht, Drogen zu verbieten, es ist später sehr schwer, diese Substanzen wieder zu legalisieren. Dies liegt auch an der Außenwirkung. Deshalb wird man da einen vorsichtigen Weg beschreiten müssen und ich verstehe auch das Modell aus Schleswig-Holstein als einen vorsichtigen Weg. Auch in Kiel ist man vermutlich nicht der Ansicht, daß Apotheken der prädestinierte und einzig denkbare Ort für die Abgabe von Cannabis sind.

Das langfristige Ziel bleibt aber die Legalisierung aller Substanzen?

Man wird überlegen müssen, ob man mit der Unterstellung dieser Drogen unter das Arzneimittelrecht nicht sehr viel weiter kommt. Beim Arzneimittelrecht hätten wir den entscheidenen Vorteil, daß nicht mehr die Konsumenten kriminalisiert werden. Stattdessen aber unterliegt der Handel und Vertrieb einer scharfen Kontrolle. Die Droge im Supermarkt liegt jedenfalls außerhalb der realistischen Optionen.

Zum Abschluss. Ausgeblendet in der Diskussion um Drogen bleibt meist der Zusammenhang zwischen Drogen und Erkenntnis.

Drogen sind in früheren Jahrhunderten immer zu rituellen und transzendierenden Zwecken genutzt worden. Daran könnte man anschließen. Ein Beispiel: den momentan in der Öffentlichkeit zum Teil verzerrt wahrgenommenen Ecstasy wird von einigen Wissenschaftlern ein therapeutischer Nutzen zugesprochen. Bei Ecstasy mag es sein, daß es bei manchen psychotherapeutischen Behandlungen durchaus sinnvoll ist, es einzusetzen. Nur da wir in Deutschland die unangenehme Angewohnheit haben, psychoaktive Substanzen sofort zu verbieten, ist klar, daß man hinterher nicht mehr feststellen kann, welchen therapeutischen Wert sie eventuell besitzen. Das halte ich für einen der schädlichen Auswüchse unserer Verbotspolitik. Wir nutzen nicht das, was in den Drogen steckt.

Man könnte die Vermutung anstellen, daß sich das Suchtproblem erst dann eingestellt hat, als die Drogen aus ihrem rituellen Rahmen genommen wurden, die transzendente Ebene ausgeblendet wurde und nur noch um das Konsums willens konsumiert wurde.

Ein zentrales Problem. Wir haben heute diese rituellen Einbindungen nicht mehr, nur noch in Subkulturen finden sie statt. Es gibt keinen gesellschaftlichen Konsens über die Einbindung des Drogenkonsums in das Leben. Dies wird man aufgrund der Individualisierung auch nicht mehr ändern können. Gleichwohl wird man sich fragen müssen, ob sich nicht innerhalb gewisser Subkulturen ein ritueller, oder besser gesagt kultureller Drogenkonsum etablieren läßt. Der Umgang mit Drogen muß erlernt werden und wird auch erlernt. Aber: Die Öffentlichkeit nimmt nur die Konsumenten wahr, die aufgrund der Illegalität auffällig werden. Das sind Menschen, die aufgrund sozialer und biographischer Rahmenbedingungen in einer vergleichsweise schlechten Situation sind. Der Scheinwerfer der öffentlichen Wahrnehmung nimmt nur diese Konsumenten wahr. Das andere Segment derer, die in einer geordneten Weise Drogen konsumieren, bleibt unterbelichtet.

Vielen Dank, Herr Bossong.

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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