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Künstliche Intelligenz

Deep Fritz vs. Vladimir Kramnik

Fritz, Kramnik, Chessbase

Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 08.10.2002

Dummes Verhalten und intelligentes Berechnen

Der Wettkampf von Weltmeister Vladimir Kramnik gegen das Schachprogramm „Deep Fritz“ wirft erneut die Frage nach dem Unterschied zwischen künstlicher und menschlicher Intelligenz auf.

Vom 4. bis 19. Oktober ist es soweit: Der inoffizielle Schachweltmeister Vladimir Kramnik, 27, tritt im Wüstenstaat Bahrain gegen das spielstärkste Schachprogramm der Welt mit Namen „Fritz“ an. Unter Experten gilt die Partie als offen, die Kontrahenten geben sich derweil selbstbewusst. „Kramnik wird die Partie langweilig halten müssen, wenn er eine Chance haben will“, behauptet Frederic Friedel, einer der Entwickler von Fritz. Das Programm gilt als mindestens ebenso stark wie seinerzeit „Deep Blue“, der IBM-Rechner, welcher 1997 gegen Garry Kasparov angetreten war. Weltmeister Kramnik bereitet sich seit einem Jahr auf den Wettkampf vor. Eine seiner Forderungen war, dass er das Programm vorzeitig erhält; ein Umstand, der Friedel Bauchschmerzen bereitet: „Das ist so, als ob ich vor einer anstehenden Debatte mit ihnen einen Klon ihrer Person bekomme. Nach kurzer Zeit weiß ich genau, welche Argumente sie brillant widerlegen und bei welchen sie Schwächen aufweisen.“

Seit Kasparov das Match gegen Deep Blue verloren hat ist es zu keinem Aufeinandertreffen der Potentaten menschlicher und maschineller Intelligenz mehr gekommen. Im Gegensatz zu Deep Blue, der nur für das Spiel gegen Kasparov konzipiert wurde, ist Fritz ein handelsübliches Programm, welches auf jedem PC läuft. In Bahrain tritt die Originalsoftware allerdings nicht auf einem Kaufhausrechner an. Acht Intel-Pentium Prozessoren werden parallel geschaltet und ermöglichen dem dadurch entstehenden „Deep Fritz“ an die 3 Millionen Stellungen in der Sekunde zu vergleichen. Zum Vergleich: Fritz 7 auf einem PC von der Stange berechnet in der gleichen Zeit rund 500 Tausend Stellungen. Deep Blue kam 1997 auf 200 Millionen Positionen. Damit ist das deutsche Programm zwar deutlich langsamer als Deep Blue, seine Algorithmen sind aber ausgefeilter. Die von IBM entwickelte Software war weithin in Silikon gegossen, das Programm musste einfach gehalten werden. Die Entwickler von Fritz testen und modifizieren Programmteile dagegen ständig. Das reicht für den großen Teil der schachspielenden Menschheit vollkommen aus, Fritz ist kaum zu schlagen – nur die rund 500 Schachgroßmeister in der Welt trotzen dieser Rechenkraft noch.

Wie sie das schaffen, bleibt weiterhin ihr Geheimnis. Im Gegensatz zum Rechner, der nach jedem Zug jede mögliche Zukunftsstellung zu bestimmen versucht, gehen die Großmeister offenbar anders vor: Glaubt man ihren Aussagen, sehen sie Schachstellungen eher als Bilder an. Abtauschkonfigurationen, Spielverlagerungen, Entwicklungschancen – das Schachbrett wird zum verinnerlichten Kunstwerk, in welchem komplexe Muster wiedererkannt werden. Trotz der Rechenleistung des Computer sind die Großmeister besser in der Lage Pläne für die ferne Zukunft zu schmieden. So erkennen sie bildhaft, ob eine Spielstellung zu einem Endspiel führt, welches erst in 30 Zügen für sie vorteilhaft ist. Ein Schachprogramm wie Fritz ist dagegen nur in der Lage maximal 14 Halbzüge im voraus zu berechnen, dann wird der Raum der möglichen Stellungen zu groß. Das Problem des Menschen dagegen: In seinen langfristigen Plänen existieren oft kleine Unstimmigkeiten, um nicht zu sagen Fehler. Diese Fehlschlüsse erkennt ein Programm zu 100 Prozent, innerhalb seines Horizontes von 14 Halbzügen entgeht dem Programm keine Chance, keine Gewinnkombination und keine Verteidigungsmöglichkeit. Je komplexer die Partie wird, umso mehr Schwierigkeiten wird Kramnik demnach haben die Übersicht zu behalten, ein Problem, welches Fritz nicht in sich trägt. Für das Programm existiert keine Kategorie wie „kompliziert“, noch kennt es „brillante“ Züge. So wird vermutet, dass Kramnik taktisch interessanten Stellungen aus dem Weg gehen wird.

Wie immer das Treffen der Koryphäen des Schachsport ausgehen wird, die Möglichkeit Künstlicher Intelligenz (KI) ist damit nur am Rande berührt. Das einst hitzig diskutierte Schlagwort KI hat einiges von seiner Aufgeregtheit verloren und viel an Erdung gewonnen: In vielen Bereichen sind Rechner zu Leistungen fähig, die vom Mensch ausgeführt zweifelsohne Intelligenz erfordern. Man denke nur an Landungssysteme für Flugzeuge, Expertensysteme, die dem Arzt als Diagnosehelfer zur Seite stehen oder die wenig bekannten Theorem-Programme, die selbständig mathematische Beweise finden, selbst solche, die bis dahin noch nicht bekannt waren. Ob das als intelligent bezeichnet werden darf, darüber wird seit einem halben Jahrhundert vor allem deshalb gestritten, weil man sich nicht auf eine allgemein gültige Definition von Intelligenz einigen kann.

Bis in die 90er Jahre gingen die Protagonisten der klassischen KI ausgesprochen oder unausgesprochen davon aus: Sobald die künstliche Erzeugung von Höchstleistungen gelungen sei, würden alle anderen Probleme des täglichen Lebens weitgehend lösbar sein. Tatsächlich beschränken sich die Erfolge der KI aber auf gewissermaßen künstliche Problemstellungen. Ein Hochleistungsrechner mit Greifarmen ist nicht in der Lage die Schuhbänder zu einer Schleife zu binden. Das kann jedes Kind lange bevor es mathematische Beweise lernt. Unscharfe Informationen bleiben demnach die Crux der KI.

Fremdsprachenübersetzungen sind ein weiteres gutes Beispiel dafür: Wörterbücher und Grammatikregeln der Sprachen dieser Welt liegen vor, trotzdem sind die Ergebnisse von maschinellen Übersetzungen erbärmlich. Warum? Weil Programme keinen Sinn in den Sätzen erkennen. Bei Menschen läuft die Sinnsuche regelmäßig und vorgeschaltet mit. Eine lausige Handschrift erkennen wir daher, weil wir den Sinn des Satzes nicht nur von seinen Buchstabenkombinationen her angehen.

Frederic Friedel, der Kasparov bei dessen Wettkampf gegen „Deep Blue“ sekundierte, hält seinen Fritz trotz fehlender Intuition und Sinnsuche für geistreich. Das das Programm letztlich nur schnell addieren, subtrahieren und vergleichen kann ist für Friedel kein Zeichen von Stumpfsinn, denn für ihn ist Intelligenz allein an beobachtbares Verhalten geknüpft: „Wenn ein technisches Verhalten ununterscheidbar von menschlichem Verhalten in einer Situation ist, dann spricht alles dafür das auch intelligent zu nennen.“

Fritz selbst beteiligt sich zur Zeit noch nicht an der Diskussion um seinen Verstand. Wenn es für ihn gut läuft in Bahrain, muss er die Prozessoren ohnehin erst spät warm laufen lassen: Seine Eröffnungsbibliothek umfasst zur Zeit rund 2 Millionen Partien, mit etwas Glück zitiert er zunächst nur aus einer ihm bereits bekannten Partie und fängt erst ab dem zwanzigsten Zug zu „denken“ an.

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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