Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.
In einer geclusterten Linux-Umgebung mit Oracle-Datenbank verwaltet Amazon.com seinen gigantischen Datenbestand.
Was dem Online-Versandhändler Amazon heute einen Verlust von Hunderttausenden Euro bringen würde, war 1995 kein Problem: Die Web-Seite war für eine halbe Stunde offline. Amazons Chefprogrammierer schleppte im Gründungsjahr der Firma den einzigen Sun-Server noch persönlich in seinen Honda, um ihn in die neuen Geschäftsräume zu transportieren. Damals wie heute setzte der Katalog auf einer Oracle-Datenbank auf.
Über die Jahre wuchs mit den Anforderungen auch die Kapazität der Maschinen. Wo zunächst Alpha Server von Digital Equipment die Bestellungen sortierten, setzte CEO Jeffrey Bezos drei Jahre nach der Firmengründung auf einen Sun-Starfire mit Solaris-Betriebssystem. Die Firma war innerhalb der kurzen Zeit von elf auf über 1000 Mitarbeiter angewachsen, vier Millionen Kunden bestellten regelmäßig bei Amazon. Die Freude an der Sun-Hardware währte jedoch nicht lange, schon ein Jahr später ging Amazon eine Kooperation mit Hewlett-Packard ein. Seit dieser Zeit stattet HP Amazon mit Hardwarelösungen aus. Auf den Servern läuft seither Linux. Für jeden Dollar, so CIO Rick Dalzell, den Amazon in neue Hardware stecke, spare es zehn Dollar an Instandhaltungs- und Lizenzgebühren.
Das Volumen der Suchanfragen und der Datenbank verdoppelte sich bis 2002 jedes Jahr. Damals umfasste Letztere 10 Terabyte und zählte bereits zu den fünf weltgrößten Datenbanken. Sie ist das Herz von Amazon, an diesem Kulminationspunkt laufen alle Bemühungen zusammen. Bestellungen, Kundendaten, Produktbestandsdaten: Das Data Warehouse ist mit fast jedem System innerhalb des Unternehmens verbunden. Zu Spitzenzeiten greifen über 1000 Mitarbeiter auf die Daten zu.
Amazon mauserte sich vom virtuellen Buchhändler zum Allround-Spezialisten für jedes erdenkliche Produkt. Im Januar 2004 kündigte Manager Tom Killalea das „14-Terabyte-Plus“-Warehouse an. Der Online-Händler zählt seither nicht nur über 37 Millionen Kunden, sondern auch 550 000 Verkäufer, die über die Amazon-Plattform ihre eigenen Produkte vertreiben. Der Online-Store der US-Basketballliga NBA läuft ebenso darüber wie der des Spielzeughändlers Toysrus. Im Weihnachtsgeschäft 2004 erzielte Amazon erstmals mehr Umsatz mit Elektronikartikeln als mit Büchern.
Zugleich erwarteten die Nutzer von Amazon wie von allen Online-Läden, dass sie so zuverlässig funktionieren wie das Telefon: (Ein-) Wählen und loslegen. Die Seite muss nicht nur ständig erreichbar sein, sie muss zudem schnell laden und alle Informationen zügig ausliefern. Ein Kunde will innerhalb einer Minute wissen, wie lange es brauchen wird, bis eine Bestellung bei ihm ankommt, und ob die einzelnen Waren in nur einem Paket oder separat versandt werden.
Umstrukturierung beendet
Heute ist die Umstrukturierung von Amazons IT-Architektur abgeschlossen. Das System setzt auf Linux-Servern auf und läuft mit der Software „Real Application Clusters“ (RAC) von Oracle auf Proliant-Server von HP. Oracle RAC ist eine Datenbank, die das Clustering unterstützt. In jedem Proliant-DL-380-Servern gibt ein Intel-Xeon-Prozessor mit 3,4 Gigahertz den Takt an. HP empfiehlt für diese Proliant-Familie das modulare Speichersystem „Smart Array 1000“ (MSA 1000). Die Besonderheit bei Amazon: Die Architektur ist zweigeteilt und verrichtet ihre Aufgaben an unterschiedlichen Orten, die über ein Hochgeschwindigkeits-Glasfaser-WAN miteinander verbunden sind. Ein Teil des Real-Application-Clusters steht in an der Ostküste der USA, ein Teil an der Westküste.
Ein System beherbergt das eigentliche Data Warehouse, das zweite dient als „staging area“. Hier wird neue Software installiert, um bei einem Update einfach zwischen der normalen Umgebung und der Staging-Umgebung umschalten zu können. So lassen sich Software-Updates ohne Downtime fahren. Jedes System besteht aus mindestens vier Nodes, auf welchen jeweils Oracle auf Linux läuft. Die Nodes sind über 2-GB-Glasfaser mit SAN-Switches verbunden, die die Daten an die diversen MSA-1000-Speichereinheiten verteilten. Mit dem Application- und Cluster-Network sind die Nodes über 1-GB- und 100- MB-Ethernet verknüpft.
Die Software von Amazon ist eine über die Jahre gewachsene Eigenentwicklung, „100 Prozent homegrown“, wie der frühere Geschäftsführer Joe Galli einmal bemerkte. Die Site kam zunächst ohne Anwendungs-Server aus, erst später setzte man auf Web-Logic von Bea. Um das immer weiter wachsende Datenvolumen zu bewältigen, verbindet seither dieser J2EE-kompatible Web-Server die WebClients mit den verteilten Datenbanken.
Die geclusterte Architektur hat Vorteile: So ist die Kapazität nicht auf einen einzelnen Server beschränkt. Wird neue Rechen-Power benötigt, ist kein komplizierter Neuaufbau notwendig – ein neuer Server wird einfach an das bestehende Netzwerk angeschlossen. Zum anderen erhöht sich die Verfügbarkeit. Fällt ein Knotenrechner aus, übernehmen andere Einheiten seine Aufgaben. Zudem verfügt Bea Weblogic über Plugins für den Open-Source-Web-Server „Apache“. Amazon nutzt eine von der Firma Red Hat modifizierte Version von Apache mit Namen „Stronghold“, die den Apache-Server um SSL-Unterstützung erweitert.
Der Apache-Web-Server leistet hier das, was bei Ebay Microsofts IIS übernimt: Er kapselt das Internet aus Sicherheits- und Performance-Gründen von der Bea-Sphäre ab. Apache liefert beispielsweise JPG-Dateien schneller und preiswerter aus, als der lizenzpflichtige Bea-Server das kann.
Überhaupt profitiert das Online-Versandhaus von der Open-Source-Bewegung. Seit 2002 nutzt Amazon das Website Templating System „Mason“, ein bekanntes Perl-Tool zur Generierung von HTML-Code, das ebenfalls gut mit Apache zusammenarbeitet. Die Shop-Entwickler von Amazon stellen ihre Arbeit zum Teil auch der Programmierer-Gemeinde zur Verfügung. Über die Hälfte der Änderungen an Mason von Version 1.21 auf 1.22 gehen auf Amazon-Mitarbeiter zurück.
Der E-Commerce-Riese nutzt eine Reihe von Tools, um das Geschäft mit Käufern und Lieferanten am Laufen zu halten. So spürt ein Analyse-Tool der Firma SAS dem Käuferverhalten nach. Damit werden nicht nur Präferenzen erforscht, sondern auch Kreditkarten-Betrugsfälle verringert. Durch das Tool, so Jaya Kolhatkar, Leiterin der Betrugsaufklärung bei Amazon, seien 2001 die Betrugsfälle um 50 Prozent zurückgegangen.
Personalisierte Angebote
Neben der IT-Architektur ist auch Amazons Personalisierungs-Software ein gut gehütetes Geheimnis. Das System erkennt einen wiederkehrenden Besucher auf der Web-Seite und macht ihm auf Grundlage der bisher getätigten Einkäufe Vorschläge für die neue Shopping-Tour. Die Kunden sehen dann immer speziell für sie modifizierte Seiten. Amazons Lust am Data Mining verführte das Unternehmen 2000 sogar dazu, unterschiedliche Preise für das gleiche Produkt zu verlangen. Als die Käufer mitbekamen, dass sie als Versuchskaninchen benutzt wurden, stoppte Amazon das Experiment.
Die B-to-B-Strategie ist ähnlich ausgereift. Excelons „B2B Integration Server“ verbindet die Warenbestandsdatenbank von Amazon mit den großen Lieferanten.
Eine Software von Manugistics kontrolliert den globalen Warenfluss durch die Lager und legt auch fest, welche Produkte in welchem Lager in welcher Menge stets vorrätig sein sollten. Split-Orders, also Warenlieferungen, die von unterschiedlichen Lagerhäusern aus den Kunden erreichen, will Amazon unbedingt vermeiden. Zudem müssen länderspezifische Transport-, Zoll- und Steuerkosten berücksichtigt werden. Ein Großteil der versendeten Produkte kommt daher heute aus nahe liegenden Distributionszentren zu den Kunden.
Amazon als Plattformanbieter
Wie Ebay auch, öffnet Amazon seine Tore nun vermehrt für Entwickler. Mit dem „Amazon Simple Queue Service“ steht die Betaversion eines E-Mail-Dienstes für Softwareanwendungen bereit. Beide Unternehmen bieten damit ihre Infrastruktur, die sie ursprünglich für sich entwickelt haben, nun anderen Unternehmen an.
In einer geclusterten Linux-Umgebung mit Oracle-Datenbank verwaltet Amazon.com seinen gigantischen Datenbestand.
Was dem Online-Versandhändler Amazon heute einen Verlust von Hunderttausenden Euro bringen würde, war 1995 kein Problem: Die Web-Seite war für eine halbe Stunde offline. Amazons Chefprogrammierer schleppte im Gründungsjahr der Firma den einzigen Sun-Server noch persönlich in seinen Honda, um ihn in die neuen Geschäftsräume zu transportieren. Damals wie heute setzte der Katalog auf einer Oracle-Datenbank auf.
Über die Jahre wuchs mit den Anforderungen auch die Kapazität der Maschinen. Wo zunächst Alpha Server von Digital Equipment die Bestellungen sortierten, setzte CEO Jeffrey Bezos drei Jahre nach der Firmengründung auf einen Sun-Starfire mit Solaris-Betriebssystem. Die Firma war innerhalb der kurzen Zeit von elf auf über 1000 Mitarbeiter angewachsen, vier Millionen Kunden bestellten regelmäßig bei Amazon. Die Freude an der Sun-Hardware währte jedoch nicht lange, schon ein Jahr später ging Amazon eine Kooperation mit Hewlett-Packard ein. Seit dieser Zeit stattet HP Amazon mit Hardwarelösungen aus. Auf den Servern läuft seither Linux. Für jeden Dollar, so CIO Rick Dalzell, den Amazon in neue Hardware stecke, spare es zehn Dollar an Instandhaltungs- und Lizenzgebühren.
Das Volumen der Suchanfragen und der Datenbank verdoppelte sich bis 2002 jedes Jahr. Damals umfasste Letztere 10 Terabyte und zählte bereits zu den fünf weltgrößten Datenbanken. Sie ist das Herz von Amazon, an diesem Kulminationspunkt laufen alle Bemühungen zusammen. Bestellungen, Kundendaten, Produktbestandsdaten: Das Data Warehouse ist mit fast jedem System innerhalb des Unternehmens verbunden. Zu Spitzenzeiten greifen über 1000 Mitarbeiter auf die Daten zu.
Amazon mauserte sich vom virtuellen Buchhändler zum Allround-Spezialisten für jedes erdenkliche Produkt. Im Januar 2004 kündigte Manager Tom Killalea das „14-Terabyte-Plus“-Warehouse an. Der Online-Händler zählt seither nicht nur über 37 Millionen Kunden, sondern auch 550 000 Verkäufer, die über die Amazon-Plattform ihre eigenen Produkte vertreiben. Der Online-Store der US-Basketballliga NBA läuft ebenso darüber wie der des Spielzeughändlers Toysrus. Im Weihnachtsgeschäft 2004 erzielte Amazon erstmals mehr Umsatz mit Elektronikartikeln als mit Büchern.
Zugleich erwarteten die Nutzer von Amazon wie von allen Online-Läden, dass sie so zuverlässig funktionieren wie das Telefon: (Ein-) Wählen und loslegen. Die Seite muss nicht nur ständig erreichbar sein, sie muss zudem schnell laden und alle Informationen zügig ausliefern. Ein Kunde will innerhalb einer Minute wissen, wie lange es brauchen wird, bis eine Bestellung bei ihm ankommt, und ob die einzelnen Waren in nur einem Paket oder separat versandt werden.
Umstrukturierung beendet
Heute ist die Umstrukturierung von Amazons IT-Architektur abgeschlossen. Das System setzt auf Linux-Servern auf und läuft mit der Software „Real Application Clusters“ (RAC) von Oracle auf Proliant-Server von HP. Oracle RAC ist eine Datenbank, die das Clustering unterstützt. In jedem Proliant-DL-380-Servern gibt ein Intel-Xeon-Prozessor mit 3,4 Gigahertz den Takt an. HP empfiehlt für diese Proliant-Familie das modulare Speichersystem „Smart Array 1000“ (MSA 1000). Die Besonderheit bei Amazon: Die Architektur ist zweigeteilt und verrichtet ihre Aufgaben an unterschiedlichen Orten, die über ein Hochgeschwindigkeits-Glasfaser-WAN miteinander verbunden sind. Ein Teil des Real-Application-Clusters steht in an der Ostküste der USA, ein Teil an der Westküste.
Ein System beherbergt das eigentliche Data Warehouse, das zweite dient als „staging area“. Hier wird neue Software installiert, um bei einem Update einfach zwischen der normalen Umgebung und der Staging-Umgebung umschalten zu können. So lassen sich Software-Updates ohne Downtime fahren. Jedes System besteht aus mindestens vier Nodes, auf welchen jeweils Oracle auf Linux läuft. Die Nodes sind über 2-GB-Glasfaser mit SAN-Switches verbunden, die die Daten an die diversen MSA-1000-Speichereinheiten verteilten. Mit dem Application- und Cluster-Network sind die Nodes über 1-GB- und 100- MB-Ethernet verknüpft.
Die Software von Amazon ist eine über die Jahre gewachsene Eigenentwicklung, „100 Prozent homegrown“, wie der frühere Geschäftsführer Joe Galli einmal bemerkte. Die Site kam zunächst ohne Anwendungs-Server aus, erst später setzte man auf Web-Logic von Bea. Um das immer weiter wachsende Datenvolumen zu bewältigen, verbindet seither dieser J2EE-kompatible Web-Server die WebClients mit den verteilten Datenbanken.
Die geclusterte Architektur hat Vorteile: So ist die Kapazität nicht auf einen einzelnen Server beschränkt. Wird neue Rechen-Power benötigt, ist kein komplizierter Neuaufbau notwendig – ein neuer Server wird einfach an das bestehende Netzwerk angeschlossen. Zum anderen erhöht sich die Verfügbarkeit. Fällt ein Knotenrechner aus, übernehmen andere Einheiten seine Aufgaben. Zudem verfügt Bea Weblogic über Plugins für den Open-Source-Web-Server „Apache“. Amazon nutzt eine von der Firma Red Hat modifizierte Version von Apache mit Namen „Stronghold“, die den Apache-Server um SSL-Unterstützung erweitert.
Der Apache-Web-Server leistet hier das, was bei Ebay Microsofts IIS übernimt: Er kapselt das Internet aus Sicherheits- und Performance-Gründen von der Bea-Sphäre ab. Apache liefert beispielsweise JPG-Dateien schneller und preiswerter aus, als der lizenzpflichtige Bea-Server das kann.
Überhaupt profitiert das Online-Versandhaus von der Open-Source-Bewegung. Seit 2002 nutzt Amazon das Website Templating System „Mason“, ein bekanntes Perl-Tool zur Generierung von HTML-Code, das ebenfalls gut mit Apache zusammenarbeitet. Die Shop-Entwickler von Amazon stellen ihre Arbeit zum Teil auch der Programmierer-Gemeinde zur Verfügung. Über die Hälfte der Änderungen an Mason von Version 1.21 auf 1.22 gehen auf Amazon-Mitarbeiter zurück.
Der E-Commerce-Riese nutzt eine Reihe von Tools, um das Geschäft mit Käufern und Lieferanten am Laufen zu halten. So spürt ein Analyse-Tool der Firma SAS dem Käuferverhalten nach. Damit werden nicht nur Präferenzen erforscht, sondern auch Kreditkarten-Betrugsfälle verringert. Durch das Tool, so Jaya Kolhatkar, Leiterin der Betrugsaufklärung bei Amazon, seien 2001 die Betrugsfälle um 50 Prozent zurückgegangen.
Personalisierte Angebote
Neben der IT-Architektur ist auch Amazons Personalisierungs-Software ein gut gehütetes Geheimnis. Das System erkennt einen wiederkehrenden Besucher auf der Web-Seite und macht ihm auf Grundlage der bisher getätigten Einkäufe Vorschläge für die neue Shopping-Tour. Die Kunden sehen dann immer speziell für sie modifizierte Seiten. Amazons Lust am Data Mining verführte das Unternehmen 2000 sogar dazu, unterschiedliche Preise für das gleiche Produkt zu verlangen. Als die Käufer mitbekamen, dass sie als Versuchskaninchen benutzt wurden, stoppte Amazon das Experiment.
Die B-to-B-Strategie ist ähnlich ausgereift. Excelons „B2B Integration Server“ verbindet die Warenbestandsdatenbank von Amazon mit den großen Lieferanten.
Eine Software von Manugistics kontrolliert den globalen Warenfluss durch die Lager und legt auch fest, welche Produkte in welchem Lager in welcher Menge stets vorrätig sein sollten. Split-Orders, also Warenlieferungen, die von unterschiedlichen Lagerhäusern aus den Kunden erreichen, will Amazon unbedingt vermeiden. Zudem müssen länderspezifische Transport-, Zoll- und Steuerkosten berücksichtigt werden. Ein Großteil der versendeten Produkte kommt daher heute aus nahe liegenden Distributionszentren zu den Kunden.
Amazon als Plattformanbieter
Wie Ebay auch, öffnet Amazon seine Tore nun vermehrt für Entwickler. Mit dem „Amazon Simple Queue Service“ steht die Betaversion eines E-Mail-Dienstes für Softwareanwendungen bereit. Beide Unternehmen bieten damit ihre Infrastruktur, die sie ursprünglich für sich entwickelt haben, nun anderen Unternehmen an.
Riesige Datenbestände, Millionen von Seitenaufrufen, kurze Antwortzeiten: Drei der erfolgreichsten Internet-Unternehmen Amazon, Ebay und Google sind auf die unbedingte Performance und Ausfallsicherheit ihrer IT-Systeme angewiesen. Geht es um ihre IT-Architektur, hüllen sich die Unternehmen in Schweigen. Die Eckpfeiler lassen sich gleichwohl orten. Eine dreiteilige Artikelserie der computerwoche beleuchtet, mit welchen IT-Strategien die Gewinner des Internet-Booms das enorme Wachstum der vergangenen Jahre meisterten.
Den Anfang macht das Internet-Auktionshaus Ebay. Dessen Zahlen sind beeindruckend: Weltweit stehen ständig etwa 44 Millionen Artikel zum Verkauf, etwa vier Millionen Artikel werden jeden Tag neu eingestellt. Zu Spitzenzeiten verzeichnen die Seiten am Tag 889 Millionen Aufrufe, 270 Millionen Suchanfragen und 15 Millionen Gebote. Pro Sekunde werden dabei Datenmengen von bis zu 12 Gigabit versandt. Zum Vergleich: Am deutschen Knotenpunkt des Internets, dem DeCIX in Frankfurt am Main, laufen im Durchschnitt 20 Gbit pro Sekunde, in Spitzenzeiten bis 30 Gbit/s, zwischen den verschiedenen Teilnetzen hin und her. Für Ebay ist die Koordination dieser Daten und die ständige Erreichbarkeit der Web-Seiten überlebenswichtig, die technische Architektur muss dementsprechend solide sein.
Die Datenbank der Online-Auktionsplattform ist auf drei Standorte in den USA verteilt. Zwei der vier Datenzentren stehen in Santa Clara, eines in Sacramento und ein weiteres in Denver. Alle weltweiten Anfragen an die Datenbank landen an einem dieser vier Orte. Jedes Data Center beherbergt rund 50 Sun-Server. Schon die Kapazität eines Orts reicht aus, um das Auktionsgeschäft am Laufen zu halten – sieht man von den leistungshungrigen Suchanfragen der Nutzer ab. Die Datenzentren spiegeln ihre Informationen untereinander jedoch nicht, sondern dienen der Lastverteilung.
Die wichtige Basis von Ebay ist hauptsächlich auf Hardware von Sun und dessen Betriebssystem Solaris implementiert. Ein Blick auf die Kosten lässt die Dimensionen des „Projekts Ebay“ erahnen: Die „V880“-Server von Sun kosten mit Anschaffung und Support um die 100000 Euro pro Stück, die ebenfalls bei Ebay eingesetzten „V480″er um die 50000 Euro. Um den Benutzern das schnelle Suchen und Finden von Produkten zu ermöglichen, stellt die Firma zudem rund 130 Server anderer Hersteller mit insgesamt 1100 CPUs zu Verfügung. Dazu kommen weitere 280 Server für den E-Mail-Verkehr zwischen Ebay und Kunden. War früher die Zuverlässigkeit der Hardware das Problem, ist heute das Zusammenspiel der komplexen Computerstruktur die Kunst.
Seit einigen Totalausfällen vor etwa sechs Jahren hat Ebay die Systemarchitektur komplett überarbeitet. Im Juni 1999 war die Seite für 22 Stunden nicht erreichbar. Selbst der damals schon massive Hardwareeinsatz konnte das schnelle Wachstum der Seite nicht abfedern. Das Grundproblem lag in der monolithischen Struktur: Eine einzige Applikation beherbergte alle Funktionen von Ebay, alle Transaktionen auf der Seite trafen auf eine gigantische Datenbank. Fiel das System aus, begann stets eine zeitaufwändige Fehlersuche.
Für die Probleme, die das alte, proprietäre, schwer wartbare und schlecht skalierbare System bereitete, suchte Ebay die Lösung in einer lose gekoppelten, schichtweise und modular aufgebauten Struktur, die auf offenen Standards basiert. Ohne es so zu nennen, entwickelte Ebay mit der neuen Gesamtarchitektur ein Beispiel für Grid Computing: Aufgaben werden an verschiedene CPUs verteilt, die sogar an unterschiedlichen Orten stehen können.
Die Architektur, an der Ebay bis heute arbeitet, sieht folgendermaßen aus: Da der Ausfall eines Servers nicht die gesamte Site zum Einsturz bringen darf, werden die Datensätze und Aufgaben auf verschiedene Maschinen verteilt. So entstand eines der größten Storage Area Networks der Welt, ein Netz aus Festplatten, das, über Glasfaser verbunden, effizient zu steuern, enorm schnell ansprechbar und vor allem gegen Ausfälle gefeit ist.
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Auch die Software wurde komplett ausgetauscht. Lief Ebay früher komplett unter dem Internet Information Services (IIS) von Microsoft, baut die Architektur heute größtenteils auf einer J2EE-Basis auf. Die Enterprise Edition der Java 2 Platform stellt einen allgemein akzeptierten Rahmen zur Verfügung, um mit modularen Komponenten verteilte, mehrschichtige Anwendungen zu entwickeln. Ein weiterer Vorteil: Die Anwendungen sind auf verschiedenen Servern lauffähig. Arbeitsaufwändig wird dafür der gesamte Code der Ebay-Web-Seite von C++ in die plattformunabhängige Programmiersprache Java umgeschrieben. Mittlerweile sind 80 Prozent der Seite neu programmiert.
Heute: dreischichtige Architektur
Der Java-Code läuft auf dem „Websphere Application Server“ von IBM. Die J2EE-Architektur erlaubt es, die Anwendungen in mehrere Schichten zu unterteilen: die Präsentationsschicht, die Geschäftslogik und die Datenhaltung. In J2EE-Anwendungen sind verschiedene Komponenten für diese Aufgaben zuständig. Die Präsentationskomponenten, die die Web-Seiten erzeugen, werden als „Java-Servlets“ oder „JSP-Seiten“ bezeichnet, die Geschäftskomponenten als „Session-Beans“ und die Datenhaltungskomponenten als „Persistence-Beans“. Letztere verwendet Ebay allerdings nicht, sondern setzt ein eigenes Framework ein, um mit der Datenbank zu kommunizieren. Die allgemeine Implementierung dieser Schicht in J2EE beziehungsweise Websphere würde den Anforderungen von über 800 Millionen Anfragen am Tag nicht standhalten.
Insgesamt ergibt sich somit ein dreiteiliger Aufbau der IT-Architektur: eine Oracle-Datenbank auf Sun, die mit der J2EE-Websphere-Middleware kommuniziert, welche wiederum das IIS-Frontend bedient. Die weltweiten Nutzer bekommen von diesem Zusammenspiel nur die vom IIS gelieferten Web-Seiten zu sehen.
Ebay lässt keine Informationen aus dem sensiblen Bereich des IT-Aufbaus nach außen dringen; zu oft haben Hacker schon versucht, die Web-Seite zu manipulieren oder den Zugriff mit Denial-of-Service-Attacken zu verhindern. Dass Ebay in den Jahren zwischen 2000 und 2002 immer wieder einmal für Stunden nicht zu erreichen war, lag aber nicht an Angriffen von außen, sondern an dem ungünstigen Systemaufbau, der die immer größeren Datenmengen nicht bewältigen konnte.
Experimente mit Linux-Servern
Seit dem Umbau hat die Seite hier keine nennenswerten Probleme mehr, wohl aber woanders. Nicht nur, dass über einfaches Javascript lange Zeit ein Passwortklau möglich war, auch die Betrugsfälle haben sich gemehrt: Nach wie vor besteht Ebay nicht auf der korrekten Identifizierung seiner Nutzer, Identitätsdiebstähle führen zu illegalen Auktionen. Unbekannte ersteigerten so beispielsweise im Namen des Bundestagsabgeordneten Uwe Göllner ein Solarium im Wert von 30000 Euro.
Nahezu alle Länderseiten laufen weiterhin auf Microsofts IIS in der Version 6.0. Dass Ebay trotz der notorischen Unsicherheit des Web-Servers weiterhin IIS nutzt, stößt in Sicherheitskreisen auf Unverständnis. Nicht nur deshalb experimentiert das Auktionshaus auch auf AMD-basierenden Sun-Servern mit einer Linux-Variante.
Statische Inhalte lagern lokal
Deutschland ist nach den USA der wichtigste Umschlagplatz für Ebay. Rund die Hälfte des internationalen Umsatzes von 759 Millionen Dollar wird hierzulande erzielt. Waren es 2000 noch 1,1 Millionen registrierte Nutzer, sind heute mehr als 16 Millionen Deutsche bei Ebay eingetragen.
Bei einem Aufruf einer regionalen Ebay-Seite wird nur ein sehr kleiner Teil der Anfrage an eines der Datencenter in den USA weitergeleitet. Der Großteil der angeforderten Seite wird von einem Server in der Nähe des Nutzers bereitgestellt. Ebay hat bei dem Hosting-Dienstleister Akamai, der in 65 Ländern über 14000 Server betreibt, reichlich Volumen angemietet. Hier liegt unter anderem auch der statische Inhalt der Ebay-Website. Logos, andere Bilder und der HTML-Code müssen somit nicht aus den USA in die Welt verschickt werden. So landen nur rund fünf Prozent einer Anfrage überhaupt in den USA, der große Rest kommt jeweils aus den 28 Ländern, in denen der Konzern eine eigene Domain angemeldet hat. So lädt sich die Ebay-Web-Seite in Frankreich, Deutschland oder auf den Philippinen genauso schnell wie in den USA.
Die stete Erreichbarkeit der Seiten lässt Ebay von gleich zwei Unternehmen kontrollieren. Die Firma Gomez überprüft die Performanz beim Heimanwender, indem sie auf die Ebay-Seiten von über 50 Orten in aller Welt aus zugreift, während Keynote an den großen Backbones im Internet kontrolliert, wie schnell und sicher die großen Internet-Service-Provider in der Lage sind, Daten auszuliefern. Zusätzlich betreibt Ebay selbst ein internes System, das in mehr als 40 auf dem Globus verteilten Städten die Zugriffs-Fehlerraten überprüft und zugleich Hacker-Angriffe registriert.
Eine immer wichtigere Rolle spielen die Powerseller, die über Ebay ihren Lebensunterhalt erwirtschaften. Weltweit sollen dies an die 450 000 Menschen sein. Sie sind vom Funktionieren der Ebay-Site genauso abhängig wie der Konzern selbst. In Zukunft wird Ebay diesen Powersellern mehr Einblick in die hauseigene Datenbank geben. Jeder von ihnen soll dann in der Lage sein, mittels Analyse-Tools seine Geschäfte zu verbessern.
Wichtige Regeln für das hanfgerechte Surfen und Posten im Internet
Das Internet hat sich zum Tummelplatz für allerhand Angebote rund um Cannabis gemausert. Growtipps, Samenkauf, Rechtsberatung, Info-Newsletter: es existieren Angebote zu Hauf, um sich um sein Hobby oder Geschäft zu kümmern. Als Liebhaber der Hanfpflanze gilt es allerdings aufmerksam zu bleiben, obwohl der im Netz übliche flotte Umgang mit dem Thema Normalität vorgaukelt. Diese steht allerdings auf rechtlich schwammigen Boden. Im Surfalltag heißt es für den Kiffer: Holzauge, sei wachsam, aber werde nicht paranoid.
Es ist schon kurios: In den deutsch- und englischsprachigen Grower-Foren diskutieren weltweit zehntausende von Menschen die Zucht und Hege einer Pflanze, deren Kultivierung meistens illegal ist. Das ist der Vorteil der Informationsfreiheit, über Illegales Reden darf man, nur es tun halt nicht. Gerade von den Grower-Foren kann angenommen werden, dass sie von gelangweilte Staatsbedienstete in unregelmäßigen Abständen nach Hinweisen auf Zuchtanlagen durchforstet werden.
Und da werden sie schnell fündig: Im Forum von grower.de sind über 15.000 Benutzer registriert, aktiv davon sind über 4.000. Bei hanfburg. de waren am 4. November 2005 über 1.300 User gleichzeitig online, zusammen mit den Unterforen sind seit der Eröffnung hunderttausende von Beiträgen über alle möglichen Cannabis-Themen aufgelaufen. Natürlich hinterlässt hier kein Grower seinen Realnamen und die Anschrift, aber es kursieren diverse Bilder und Beschreibungen von Growrooms.
Es stellt sich zwangsläufig die Frage nach der Sicherheit.
Die Betreiber der Foren distanzieren sich in ihren Disclaimern von eventuellen rechtswidrigen Inhalten und Postings und sind daher mehr oder weniger aus dem Schneider. Sie müssen erst aktiv werden, wenn sie Kenntnis von illegalen Verhalten in ihrem Forum erlangen. Dann sind sie verpflichtet, die entsprechenden Mails zu löschen.
Für die User stellt sich die Rechtslage weitaus komplizierter da. Beschreibt und illustriert er seine Anlage zu deutlich, dann könnte mancher Leser nervös werden, bei einigen fetten Buds dürfte es den Fahndern logischerweise in den Fingern jucken mal rauszukriegen, wo denn sowas Schönes wächst. Noch unklüger dürfte es sein Stecklinge anzubieten. Darauf reagieren nicht nur Beamte, sondern auch Forenbetreiber.
Wer 60 qm aufblühen lässt und damit im Forum hausieren geht handelt grob fahrlässig. Denn sollte einem Beamten das Treiben zu bunt werden ist folgendes Szenario denkbar: Auf den Computern eines Forenbetreibers lagern zusammen mit den Beiträgen auch die IP-Adressen der Verfasser. Haben die Beamten nun richtig Druck auf der Pumpe müssen sie ein Gericht finden, das den Internet-Provider, aus dessen Fundus diese IP-Adresse stammt, dazu verdonnert, die Kontaktdaten des zur IP-Adresse gehörigen Menschen rauszurücken. Anders formuliert: Wer meint, sich über seinen AOL-Zugang an einer munteren Diskussion über die großflächigen Anbau von Orange Bud beteiligen zu müssen ist blauäugig, um nicht zu sagen: beschränkt.
Es gilt sich zu merken: Im Internet ist man nicht anonym, mehr noch, jede Aktion hinterlässt Datenspuren auf dem eigenen Rechner und auf den weltweiten Servern, die die Anfragen des eigenen Rechners beantworten. Jede E-Mail liegt auf irgendeinem Zwischenrechner im Klartext, zu dem zum einen Techniker, zum anderen auf gerichtliche Anordnung aber auch Staatsorgane Zugriff haben. Will man wirklich nervös werden, muss man nur an Abhörsysteme wie das sagenumwobene „Echelon“ der Geheimdienste denken, dass in dem Ruf steht, im Bedarfsfall und jederzeit auch ohne richterliche Erlaubnis die Internet-Kommunikation abzuhören. Der neueste Schrei auf dem Paranoikermarkt dürfte der BKA-Trojaner werden, der, hat er sich erst einmal auf dem heimischen Rechner eingenistet, jeden Aktion am Rechner nach Wiesbaden meldet.
Natürlich sind NSA, die anderen Schlapphüte und das BKA nicht an der 2-qm Box in Delmenhorst interessiert, erwähnt wird das aber hier, um die technischen Möglichkeiten der vernetzten Welt aufzuzeigen.
Bisher kam es zu keiner Hausdurchsuchung nur wegen eines Forumsbeitrags. Daher wird sich in den Foren oft damit beruhigt, dass „die Grünen“ keinen Aufwand treiben werden, wenn es sich nur um Growing für den Eigenbedarf handelt. Das ist eine zu laxe Einstellung, gerade in den momentanen Zeiten, die eher einer Verschärfung der Drogengesetze entgegeneilen. Die Forenbetreiber haben das erkannt und rufen ihre Mitglieder zu mehr Sicherheitsbewusstsein auf.
Das HanfBlatt wäre nicht das HanfBlatt würde e s nicht eine Lösung anbieten. Sie lautet: Ein abgestuftes Sicherheitskonzept entwickeln.
Stufe 1 Zunächst gilt es selbst bei Anfragen wie „Ich habe hier ein kleines Stück Haschisch, welche Sorte ist das wohl?“, vor allem aber bei Growing-Erlebnissen und Tipps anonym zu bleiben. Es gibt technische Möglichkeiten, die verräterische IP-Adresse zu verschleiern und damit sicher in Foren zu posten. Unter http://meineipadresse.de/ stehen diverse Links zu Programmen bereit, die ein anonymes Surfen ermöglichen. Eine Testsektion zeigt Vor- und Nachteile gewisser Verfahren. Die Grundregel sollte lauten: Je höher das persönliche Risiko, umso besser sollten die Sicherheitsmaßnahmen sein. Einfache Proxies reichen dann nicht mehr, selbst JAP, der anonyme Weiterleitungs-Server der TU Dresden, muss im Zweifelsfall seine Daten rausrücken. Klüger ist es da auf Verfahren wie TOR (tor.eff.org) zu setzen. Das verlangsamt zwar die Surfgeschwindigkeit etwas, aber das ist der Preis der Sicherheit. Wer eine Zucht sein Eigen nennt, der sollte sich mit solchen im Grund nur mit solchen Anonymisierungstools in den einschlägigen Ecken im Netz wagen. Sollten ein-zwei fürsprechende Leserbriefe eingehen, beschreiben wir in einem Artikel gerne näher und für den Computerlaien verständlich, wie diese Tools funktionieren.
Die Weitergabe der eigenen E-Mail-Adresse ist nur an vertrauenswürdige Personen und Institutionen vorzunehmen. Und wer ist schon vertrauenswürdig, außer Mutti? Inzwischen versuchen leider diverse Anbieter bei jeder Gelegenheit, die E-Mail-Adresse des Nutzers oder Kunden einzusammeln. Mit Pech bedeutet das: SPAM. Es ist ein Fehler in einem Forum seinen GMX- oder Freenet-Account zu benutzen, vor allem, wenn bei diesem bei der Registrierung die korrekte eigene Heimatadresse mit Postleitzahl und Telefonnummer angegeben wurde. Apropos: Einige Anbieter bestehen bei der Registrierung auf eine gültige E-Mail-Adresse, an die eine Bestätigungsmail geschickt wird. Für diesen Fall gibt es herrlich sinnvolle Dienste im Netz, die E-Mail-Adressen zum Wegwerfen anbieten, beispielsweise spamgourmet.com oder spambog.com. Von dort wird nur eine genau bestimmbare Anzahl von Mails an den Original-Account weitergeleitet, alle weiteren versanden im Datennirvana.
Stufe 2
Wer tatsächlich heikle Daten und Bilder auf seinem Rechner hortet, wie beispielsweise das Bild der nackten Oma neben der blühenden Sativa, der sollte die Festplatte gegen unbefugten Zugriff verschlüsseln. E-Mail-Kommunikation mit Gesinnungsgenossen sollte ebenfalls nur verschlüsselt über die Kanäle rauschen. Die meisten E-Mail Programme wie das schlechte, aber häufig benutzte Outlook, das bessere Eudora oder The Bat, bieten mittlerweile Plugins an, um das Alles relativ unkompliziert zu gestalten. Für beide Vorgänge, die Festplatten- wie die E-Mail-Verschlüsselung, stehen der Klassiker PGP oder das quelloffene GNU-PGP zu Verfügung.
Danach hilft es sich noch tiefer mit dem Rechner anzufreunden. Im Klartext: Nutze Firefox statt dem Internet Explorer, schalte den Empfang von Cookies ab. Aktiviere eine Firewall, notfalls reicht die interne von Windows. In einem nächsten Schritt migriere auf Linux oder OS X.
Stufe 3
Was aber tun, wenn Realkontakt nötig ist, beispielsweise bei einer Samenbestellung? In großen Abständen werden ausländische Samenhändler hochgenommen, bei denen im Zweifelsfall deine Adresse lagert. Im Zusammenhang mit einem Händler in Österreich kam es 2005 zu massiven Problemen, die deutsche Polizei lud einige Besteller vor, es kaum zu Durchsuchungen. Inoffizielle Quellen sprechen von mindestens 30 Vorladungen und 80 Hausdurchsuchungen in den deutschen Bundesländern. Das sollte als Warnung ausreichen.
Wie einige Forenbetreiber die IP-Adressen ihrer Nutzer zügig entsorgen, so gibt es mittlerweile auch Samenhändler, die mit Kundendaten vernünftig umgehen und diese ebenso vor Zugriff schützen. Hierüber gilt es sich zu informieren, bevor man säckeweise Samen oder Zubehör anliefern lässt.
Insgesamt ist Sicherheit im Internet eine persönliche Angelegenheit, sich dabei auf andere verlassen reicht nicht aus. Die Anforderung an das kluge Verhalten im Netz steigt mit dem Wert des zu pflegenden Rechtsguts. Gerade bei Mengen- und Quadratmeterangaben sollte Zurückhaltung herrschen. Wer ist noch nicht wusste: Beamte sind auch Menschen. Sie beobachten die weiterhin wachsende Cannabis-Szene und ihr variabler Schwellenwert ist sowohl von objektiven Rechtsgrundlagen wie von subjektiven Schmerzgrenzen abhängig.
Klolektüre. Und das soll nicht despektierlich klingen. Ich konnte das Buch halt einfach nicht mehr aus der Hand legen. Helge Timmerberg reist mit Raketenantrieb durch das gelobte Land. Satzstakkatos. Der Trip eines Mannes, der in Würde altern will. Als 17-Jähriger, 1969, schon einmal in Indien gewesen, damals „heiß auf Erleuchtung“, sucht er dieses Mal, tja, was sucht er? Nix, außer das wundern über Menschen und die ewige Frage: Was geht hier ab?
Vielleicht brauchte der Nomade nach einem seiner letzten Bücher mit Namen „Schneekönig“, das er zusammen mit dem ehemaligen Kokain-Händler Ronald Miehling verfasst hatte (s. HB Nr. 83), einen Tapetenwechsel. So oder so: Timmerbergs Reisebericht ist für alle ehemaligen und zukünftigen Indien-Reisende stressfreie Lektüre, denn so kurzweilig schafft es kaum einer über ein Land zu berichten und dabei die persönlich-humoreske Sicht auf die Gesellschaft im Vordergrund zu halten. Ja, ja, wer’s hören will: kurzweilig heißt hier auch sprunghaft. Leichter Gonzo-Journalismus ohne politischen Tiefenschmerz, Hunter S. Thompson hätte ihn sicher von der Farm gejagt. Hui, das ist jetzt doof, gilt Timmerberg doch manchem Blatt als deutsche Dependence des verstorbenen US-Autors Thompson.
Timmerberg, 54, trägt uns von der Quelle des heiligen Flusses Ganges bis zur Mündung im Golf von Bengalen, immer selbstironisch, immer erregt.
Lassen wir Meister Timmerberg lieber selbst zu Wort kommen, das gibt die beste Grundlage für die Entscheidung, das Buch zu kaufen oder zu verschenken: „Der Guru, so viel verstehe ich, hat eine schöne Schrift. Und das sind schöne Wörter. Das ist Sanskrit. Das Latein Indiens. Die alte Sprache. ‚Mantras‘, sagt er. ‚Du weißt, was das ist?‘ Mantras sind Wörter, die doppelt wirken. Inhaltlich wie akustisch. Sanskrit hat es fertiggebracht, dass der Klang des Wortes genau das mit dir macht, was es bezeichnet. ‚Shanti‘ etwa heißt Frieden. Wenn du hundertachtmal hintereinander ‚Shanti‘ sagst, fühlst du den Frieden. Es ist ähnlich wie mit der Musik. Ein Ton hat Macht. Er verändert Stimmungen. Erzeugt Schwingungen. Er kann entspannen, erregen, Angst auflösen. Ich kann das bestätigen. Ich habe vor etwa drei Jahren von einem Sadhu in Nepal ein Mantra gegen Angst bekommen. Kleines Geschenk mit großer Wirkung. Was immer mich ängstigt, ob Mensch, Tier oder Türsteher, ich brauche nur dieses Mantra zu murmeln, und die Angst löst sich wie Brausepulver auf.“
Helge Timmerberg: Shiva Moon.
Eine Reise durch Indien
Rowohlt Berlin 2006
256 Seiten, gebunden
ISBN: 3871345415
EUR: 17,90
Wolfgang Sterneck engagiert sich seit den Achtziger Jahren als Aktivist in alternativen Szenen. Durch die Mitgestaltung des Sonic-Netzwerkes, von KomistA und des Alice-Projects hat er sich ebenso einen Namen gemacht, wie durch seine zahlreichen Publikationen, die ihn als profunden Kenner subkultureller Strömungen ausweisen. Er verschafft wichtigen Stimmen der Gegenkultur Gehör und präsentiert anregendes Material zur Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der Realisierung einer anderen Welt als der Desaströsen, auf die die Menschheit zwischen Überlebenskampf und Konsumrausch im Zeitalter der Globalisierung gegenwärtig zuzusteuern scheint.
Hanfblatt:
Du verfolgst als Aktivist und teilnehmender Beobachter seit Jahren die Entwicklung der Techno-House-Goa-Trance-Szene. Oberflächlich betrachtet scheint es sich heute um eine reine Feier-Kultur zu handeln, in deren Zentrum zünftige Drogenparties mit elektronischer Tanzmusik inklusive optisch stimulierender Lightshows und Deko stehen. Wenn man sich mit Veteranen der Szene unterhält, ist immer wieder vom „Party-Spirit“ in der ersten Hälfte der 90er Jahre die Rede, der heute irgendwie nicht mehr so da sei. Was hat es mit diesem „Spirit“ auf sich? Was ist gemeint?
Sterneck:
Es ist nicht nur oberflächlich betrachtet „eine reine Feier- Kultur“. Der Mainstream ist zweifellos von Kommerz und Konsum geprägt. – Hauptsache Druff sein und „Spaaaß“ haben, nichts hinterfragen, am wenigsten sich selbst … Fische die mit dem Strom schwimmen. Wie alle Musikkulturen der letzten Jahrzehnte ist Techno mit einem idealistischen Anspruch im Underground entstanden. Da ging es um solche Aspekte wie „Do It Yourself“, um kreatives Experimentieren, um die gemeinschaftliche Erfahrung anderer Wirklichkeiten. All dies machte den besonderen Reiz der ersten Jahre aus. – Wobei diese Elemente nicht gestorben sind, sondern im Underground weiterleben. Doch im Mainstream gehen solche Ansätze zwangsläufig unter. Ursprünglich ging es beispielsweise um eine gemeinschaftliche Kultur, die keine Idole nötig hat. Inzwischen sind jedoch längst die bekannten Djs zu egozentrischen Stars geworden, die sich kaum von Rockstars unterscheiden und zu denen das Party-Volk ergeben hinaufblickt.
Hanfblatt:
Seit einigen Jahren kann man „Alice – The Drug- and Culture- Project“, an dem du maßgeblich beteiligt bist, auf Parties und Festivals mit elektronischer Tanzmusik antreffen. Ihr engagiert euch für einen „mündigen Umgang mit psychoaktiven Substanzen“. Was muss man sich unter „Drogenmündigkeit“ vorstellen, und auf welchem Weg kann diese nach euren Vorstellungen erreicht werden?
Sterneck:
Wir sind nicht nur auf Partys aktiv, sondern auch in Schulen oder auf Tagungen anzutreffen. In Bezug auf Drogen versuchen wir Drogenmündigkeit zu fördern. Dies beinhaltet einen möglichst souveränen Umgang mit Drogen aller Art, die Fähigkeit (aber nicht den Zwang) zur Abstinenz, ebenso die Fähigkeit sich selbst bzw. den eigenen Umgang mit Drogen kritisch reflektieren zu können. Dieser Ansatz schließt im Grunde das ein, was man allgemein als Suchtprävention bezeichnet, also das Vermeiden von Abhängigkeit. Er geht aber noch viel weiter, indem er nicht nur negativ auf Probleme konzentriert ist. Vielmehr versucht er die Person an sich zu stärken: Mündigkeit durch Information, Reflexion durch kritische Auseinandersetzung, Selbstbestimmung durch innere Stärke. Vor diesem Hintergrund geht es uns nicht nur um Drogen. Vielmehr versuchen wir generell über Veranstaltungen, kulturelle Projekte, Flyer etc. die Leute dazu anzuregen, aus der so weit verbreiteten passiven Konsumhaltung auszubrechen und selbst aktiv bzw. kreativ zu werden, um letztlich ihr Leben den Klauen von Fremdbestimmung und Verwertung zu entreißen.
Hanfblatt:
Was unterscheidet euch von „Eve & Rave“, dem ebenfalls aus der Techno-Szene erwachsenen Selbsthilfe-Projekt in Sachen bewussterem Umgang mit psychoaktiven Substanzen?
Sterneck:
Da gibt es im Grunde keine inhaltlichen Unterschiede in Bezug auf den Umgang mit Drogen. Beiden Projekten geht es um möglichst sachliche Aufklärung, um die Entwicklung von Bewusstsein und um Hilfe bei Problemen. Uns verbindet das Ziel der Drogenmündigkeit und zum Beispiel die Forderung nach der Einführung des Drug-Checking. Mit anderen Projekten sind wir im Sonics- Cybertribe-Netzwerk zusammengeschlossen. Uns verbindet jedoch auch, dass wir den von dir benutzten Begriff der „Selbsthilfe“ nicht gebrauchen. Dieser Begriff wurde in der Anfangszeit oft genutzt, um uns zu schwächen bzw. in eine bestimmte Ecke zu stellen: „Das sind die Technos, die versuchen ihre Drogenprobleme selbst zu therapieren“. Dies war und ist jedoch bei Alice nie der Fall gewesen. Vielmehr geht es uns darum, Veränderungen zu bewirken, zumindest die Notwendigkeiten aufzuzeigen: Veränderungen im Umgang mit Drogen auf einer persönlichen wie gesellschaftlichen Ebene, aber auch unabhängig von der Drogenthematik generell, um soziale und kulturelle Veränderungen.
Hanfblatt:
In deinen Schriften ist immer wieder von kulturellen Freiräumen, Visionen eines befreiten Lebens und einer konkreten Utopie die Rede. Gefühlsmäßig habe ich da zwar gleich meine eigenen Assoziationen, aber was genau meinst Du damit?
Sterneck:
In Anbetracht der sozialen und ökologischen Entwicklungen ist es eigentlich offensichtlich, dass es zu grundlegenden Veränderungen kommen muss. Doch derartige Veränderungen in einem größeren Maßstab erscheinen im Zeitalter der Globalisierung geradezu illusionär. Dies heißt jedoch nicht, dass man den Kopf in den Sand stecken sollte. Es ist auch im Hier und Jetzt möglich, Freiräume zu schaffen, in denen ein Leben möglich ist, das von Prinzipien wie Gemeinschaftlichkeit, Kreativität, Selbstbestimmung, Balance mit der natürlichen Umwelt etc. geprägt ist. Zum Beispiel kann ein besetztes Haus im Idealfall einen solchen Freiraum bieten oder eine Underground-Party oder eine kleine Gruppe von Leuten, die vor Ort in ihrem Bereich etwas verändern wollen oder unzählige andere Möglichkeiten. Eine Volxküche beispielsweise, wie es sie in vielen linken Zentren gibt, in der zum Selbstkostenpreis gekocht wird, damit sich jeder das Essen leisten kann, aber auch um die Vereinzelung der Ein-Personen-Haushalte aufzubrechen. Oder eine Party, die nicht am finanziellen Gewinn ausgerichtet ist, sondern die Gäste wie VeranstalterInnen gemeinsam gestalten. Oder eine politische Aktion, die der neoliberalen Globalisierung eine solidarische Vernetzung von unten entgegensetzt. Es gibt unzählige solcher Ansätze. Das Entscheidende ist die innere Bereitschaft jedes Einzelnen in seinem Bereich solche Türen zu öffnen. Mit einem Joint in der Hand endlos darüber zu philosophieren, was man alles machen könnte und sollte und müsste – und dann wird schon wieder der nächste gerollt – ist einfach und bequem … aber wer über das Philosophieren nicht hinaus kommt, der ist ein Teil des Problems und nicht der Lösung.
Hanfblatt:
Innerhalb und aus der Techno- und Rave-Szene heraus haben sich diverse kleinere Subkulturen entwickelt, von denen du in deinen Büchern, z.B. in „Tanzende Sterne“, berichtest, und die sich vielleicht als „Cybertribes“ subsummieren lassen. Gibt es tatsächlich etwas, was all diese Szenen verbindet?
Sterneck:
Egal auf welche Musikkultur man blickt oder in welcher Stadt man sich gerade bewegt – wer genauer hinschaut wird immer wieder auf Leute und Projekte stoßen, die versuchen andere Wege zu gehen, die versuchen sich Kommerz und Vereinnahmung zu widersetzen. Diese Leute findest Du im Free Jazz genauso wie im Punk, HipHop oder Techno – allerdings in der Regel nur im Underground. Die Rhythmen sind zum Teil andere, die Texte unterscheiden sich in ihren Metaphern, aber im Grunde geht es immer wieder um Selbstbestimmung, um Gemeinschaft, um Entfaltung, um eine innere Tiefe.
Hanfblatt:
Wenn man sich so umschaut, dann muss man doch feststellen, dass der Boom der letzten großen, wirklich neuen Jugendkultur um die Techno-Szene herum, lange schon vorbei ist. Die Kommerzialisierung erfolgte weitestgehend bis Mitte der 90er, Deppentechno a la Blümchen und „Hyper Hyper“, Sponsoren wie Camel und Jägermeister, Bier-Parade und leere Phrasen a la Dr. Motte ließen grüßen.
Hanfblatt:
Du bist ja ein profunder Kenner gegenkultureller Strömungen. Siehst du irgendwo Pflänzchen der Hoffnung? Worauf sollte man deines Erachtens sein Augenmerk richten? Was kann man selber tun?
Sterneck:
Im Zuge der medialen Gleichschaltung vollzieht sich die Vereinnahmung von Strömungen, die irgendwo im Underground als zumindest potentiell subversive Gegenkultur entstanden sind, immer schneller. Doch so verschlingend die Mechanismen der Gleichschaltung auch sein mögen, ein letztes Stück innerer Lebendigkeit, das Bedürfnis nach freier Entfaltung und Selbstbestimmung, wird immer gegeben sein. Die „Pflänzchen der Hoffnung“, von denen du sprichst, kannst du überall finden, wenn du hinter die Fassaden der Nachrichtenshows und der Plakatwände blickst. Mal ist es eine blühende Sonnenblume, mal eine dornige Rose oder irgendein auf den ersten Blick völlig unscheinbares Pflänzchen, das sich da zwischen den Betonplatten widerspenstig seinen Weg bahnt. Es geht nicht um die Frage, ob es diese „Pflänzchen“ gibt, sondern, ob du sie wahrnimmst, ob du sie gießt – und letztlich, – um in diesem Bild zu bleiben – ob du selbst bereit bist, dem Heer der künstlichen Plastikblumen einen eigenen verwilderten Garten, so winzig er auch sein mag, entgegenzustellen.
Hanfblatt:
Du hast ja mehrere Bände mit interessanten Texten zu verschiedenen Themenschwerpunkten zusammengestellt. Was interessiert dich da besonders? Worum geht es dir dabei?
Sterneck:
Ein Aspekt ist, dass es mir darum geht Verbindungslinien aufzuzeigen. Beispielsweise zu dokumentieren, dass man den Geist der Revolte in der Hippie-Kultur, genauso wie im Punk, dem HipHop oder im Techno finden kann. Ein anderer Aspekt, der immer wieder auftaucht, ist die Verbindung von innerer, persönlicher Entwicklung und äußerer, gesellschaftlicher Veränderung. Isoliert führen beide Wege schnell in eine Sackgasse, miteinander verknüpft eröffnen sie neue Möglichkeiten. Manchmal geht es mir auch darum, im Rahmen meiner Möglichkeiten kleine „Denkmale“ zu schaffen. Zum Beispiel ein Projekt oder einen Musiker zu beschreiben, der Wichtiges bewegt hat, aber zuvor kaum Beachtung fand. Neben dieser ideellen bzw. politischen Ebene suche ich mir selbstverständlich Themen aus, die mir irgendwie nah sind, die mich selbst beschäftigen. Für mich gibt es in diesem Sinne keine Trennung von Arbeit und Freizeit. Ich mache Dinge, von denen ich überzeugt bin, und auf dieser Basis gehen Idealismus, Entfaltung und Vergnügen ineinander über.
Hanfblatt:
In dem Band „Erotika. Drogen und Sexualität“ versammelst du eine ganze Reihe Erzählungen, Autobiographisches, Geschichtchen von bekannten und unbekannten Autoren, die alle mit Sexualität und Drogen zu tun haben. Voyeuristisch gesehen fand ich persönlich das zwar ganz interessant, was sich mir jedoch nicht so recht erschloss, war die Intention dahinter. Was soll ich damit anfangen?
Sterneck:
Die Antwort auf die Frage, was Du damit anfangen sollst, ob du einen Bezug findest oder nicht, die nehme ich dir nicht ab. Es gibt kaum andere Bereiche, die gesellschaftlich einerseits so tabuisiert sind und mit denen andererseits so scheinbar locker umgegangen wird, wie die Bereiche der Sexualität und der Drogen. Gleichzeitig eröffnen beide Bereiche im Idealfall eine Tiefe ein „inneres Fließen“ wie es ansonsten im Alltag kaum möglich ist. Der Rausch der Sexualität gleicht im Idealfall einem veränderten Bewusstseinszustand, gleicht einer Überwindung des blockierten Alltagsbewusstseins. Ebenso können im Idealfall auch psychoaktive Substanzen innere Räume eröffnen, die zuvor völlig verschlossen waren. Sex und Drogen können aber auch auf sehr vielfältige Weisen diese inneren Räume völlig verschließen. Verbindet man nun Sex und Drogen, dann können sich diese Möglichkeiten noch einmal potenzieren. Der viel beschworene, aber nur selten erlebte „kosmische Orgasmus“ oder eine verschmelzende Zärtlichkeit gehört genauso zu diesen Möglichkeiten wie völlig verkrampfte Situationen, Impotenz oder gar Missbrauch. Für mich persönlich war es spannend, all die verschiedenen Zugänge zum Thema zusammenzutragen. Von wissenschaftlichen und historischen Betrachtungen bis hin zu äußerst offenen Erfahrungsberichten und Literaturauszügen. Nicht zuletzt sollte solch ein Thema nicht nur trocken abgehandelt werden, sondern in einem besonderen Maße auch eine im erotischen Sinne anregende Wirkung haben.
Hanfblatt:
Besteht nicht in jeder Subkultur das Risiko, dass sie sich zu weit von den gesellschaftlichen Realitäten entfernt und sektiererische Züge annimmt? Wie kann man dies vermeiden und die Bodenhaftung behalten?
Sterneck:
Klar, das ist immer eine Gefahr. Manchmal ist es wichtig sich auf Inseln zurückzuziehen, aber man darf nie vergessen, dass jede Insel von einem Meer umgeben ist. – Und dieses Meer prägt. So idealistisch wir auch sein mögen, wir tragen alle unsere schrägen Egos mit uns herum, die uns schon in der Kindheit anerzogen wurden. Und auch als Erwachsener wird es nie möglich sein, sich völlig dem umgebenden Meer zu verschließen. Das muss uns immer bewusst sein. Den perfekten Umgang mit diesen Strukturen gibt es nicht. Ein naheliegendes und doch so selten gebrauchtes Mittel ist das der Hinterfragung und Selbstreflexion, der Kritik und Selbstkritik. Sich neben sich zu stellen und zu schauen, was geht überhaupt mit mir ab, ist dies noch der Weg den ich bzw. wir einschlagen wollten? „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ hat Adorno mal gesagt. Aber es besteht die Möglichkeit und die Notwendigkeit sich diesem zumindest anzunähern.
„Cybertribe-Visonen“
„Der Kampf um die Träume. Musik und Gesellschaft.“
„Erotika. Drogen und Sexualität“ (und als Auszug daraus „Das Utopia der Lust“)
„Psychedelika. Kultur, Vision und Kritik.“
„Inside. Modern Primitives, Dunkle Erotik und Subversive Rituale.“
„Tanzende Sterne. Party, Tribes und Widerstand.“
„Stille, Bewusstsein und Veränderung“ (gemeinsam mit John Cage, inklusive CD)
„Connecta-Music, Mind and Politics“ (CD & DVD, siehe www.alice-project.de)
Kiffer im Spannungsfeld von Eltern, Freunden und Therapeuten
Interview mit dem Psychiater Eckart Schmidt
Es gibt verschiedene Motive und Formen Cannabis zu inhalieren. Eckart Schmidt, Facharzt für Neurologie und Psychatrie, hat in den 90er Jahren den Hamburger Drogenentzug für Jugendliche mit aufgebaut, seine Erfahrungen mit moderaten und starken Kiffern hat er nun in einem Buch veröffentlicht.
Wie begann Ihr beruflicher Kontakt mit Cannabisliebhabern, die einen problematischen Konsum aufwiesen?
1999 habe ich in der Fachklinik Bokholt den Kinder- und Jugend Drogenentzug aufgebaut. Da kam ich dann auch zum ersten Mal mit exzessiven Kiffern zusammen. Zunächst war ich selber nicht von einem Cannabisentzug in einer solchen stationären Einrichtung überzeugt, so nach dem Motto „Lass sie doch lieber kiffen als Alkohol trinken“, aber da kamen eben doch Menschen, die täglich und so viel gekifft haben, dass sie allmählich überall rausgeglitten waren. Sie hatten ähnlich wenig Anschluss an „normale“ soziale Verhältnisse wie Heroin-Konsumenten.
In welcher Altersgruppe waren die?
Im Schnitt zwischen 14 und 16 Jahren alt. Manche der exzessiv kiffenden hatten bereits mit zehn oder gar neun Jahren angefangen regelmäßig zu rauchen. Die meisten waren zigarettenabhängig, insgesamt war es eine Gruppe, die allerlei Mittel schon früh als Suchtmittel eingesetzt hatte.
Oft kamen die Jugendlichen nicht freiwillig. Ist das ein Problem bei der anfänglichen Gesprächssituation?
Im Drogenentzug, und das gilt auch für Kiffer, haben meist die Eltern oder Lehrer massiv darauf eingewirkt, dass der Jugendliche zu uns kam. Die wenigsten geben selber zu, dass sie ein Problem haben, sie denken, sie haben alles im Griff. Sie wollen maximal die Spitzen rausnehmen, ansonsten aber weiter funktionieren. Dadurch entsteht durchaus ein ambivalentes Gefühl bei ihnen. Die Folge ist, dass sie den ersten Entzug meist nicht durchhalten. In den meisten Fällen braucht es zwei bis drei Anläufe, erst dann sehen sie ein, dass ihr hartes Konsummuster ihnen Probleme bereitet und entwickeln auch eine Eigenmotivation wirklich etwas zu ändern. Die Entwicklung hinein in den exzessiven Konsum und wieder heraus ist nie geradlinig. Selten ist nach einer Behandlung alles gut.
Bei den Kiffern also, die in jungen Jahren jeden Tag und viel rauchen, hilft also zunächst nur Abstinenz, eine Hinführung zu einer kontrollierten Genussform ist nicht möglich?
So vereinfacht kann man das nicht sagen. Jeder Mensch ist anders und es gibt durchaus Kiffer, die zurückschrauben können. Der Größte Teil von den exzessiven Kiffern hat aber Schwierigkeiten direkt in einen kontrollierten Konsum überzugehen.
Wie also bricht man den anfänglichen Widerstand im Gespräch?
Brechen kann man ihn überhaupt nicht, man muss überzeugen. Wichtig ist zunächst für sie zu wissen, das sie zwar bei uns sind, aber jederzeit auch wieder gehen können. Im weiteren geht es darum zu vermitteln, dass sie für ihr Leben selbst verantwortlich sind und ihr Handeln, egal welches, immer auch Konsequenzen zeigt. Wir können und wollen ihnen nicht sagen, was sie mit ihrem Leben machen sollen. Wir können mit ihnen zusammen nur herausarbeiten, welches Wege wahrscheinlich zu welchen Zielen führen. Manchmal waren die Kiffer überrascht, wenn sie von uns eben nicht gesagt kriegten, „Du musst das und das machen, dann wird alles gut.“
Mal anders herum gefragt: Wie erzieht man als Kiffer denn seine Eltern zu einer guten Gesprächsführung?
Das hängt natürlich von den Ausgangslagen ab. Es gibt die Art von Eltern, die keine Diskussion zulassen, und ob man die dazu erziehen kann ist fraglich. Und es gibt die, die einfach ein wenig zu ängstlich sind. Denen kann man zeigen, dass man sein Leben durchaus auf die Reihe kriegt. Und es gibt die, die sich zu Recht sorgen machen. Für den Beginn ist es hilfreich sich eine unangespannte Situation zu schaffen, um das Thema „Haschisch“ mal ganz allgemein und nicht an der eigenen Person festgemacht anzusprechen. Vielleicht anhand eines Zeitungsberichts oder einer TV-Sendung.
Da kommt aber schnell die Frage: „Und du?“
Ja, darauf muss man dann gelassen reagieren. Zu vermeiden sind vor allem Schuldzuweisungen. Wenn beide Seiten nur von Schuld und persönlichem Versagen sprechen, dann werden Gespräche unfruchtbar. Wenn Eltern entdeckt haben, dass das eigene Kind kifft, dann haben sie meistens Ängste. Als Kind kann man dann nur versuchen aufzuzeigen, dass man sein Leben trotz Konsum auf die Reihe kriegt. Da heißt es dann natürlich ehrlich gegenüber sich selbst sein. Die Frage ist: Krieg ich mein Leben gebacken oder bescheiße ich mich selber? In meinem Buch geht es in einigen Bereichen um Extremfälle, aber eben auch um die Kiffer, die sich in einem Grenzbereich aufhalten und diejenigen, die keine Probleme mit ihrem Konsum haben. Es gibt keine einfache Zuschreibung: „Du kiffst also bist so oder so“.
Da steht man natürlich von dem Problem, dass in den Familien, in denen solche offenen Gespräche möglich sind, der problematische Konsum von Cannabis ohnehin weniger vorkommt.
Das kann man wahrscheinlich gesetzmäßig so sagen, ja. Exzessives Kiffen hängt mit fehlender, innerer Sicherheit zusammen, und das liegt halt meistens am Elternhaus. Ich will hier nicht immer den Eltern die Schuld geben, aber oft hakt es in diesem Bereich. Trotz allem bleibt Eltern nichts anderes übrig, als das Gespräch zu suchen. Denn verbieten kann ich es meinem Kind nicht, dann kifft es halt um die Ecke. Ich kann ihm nur sagen: „Du kiffst, und aus meiner Sicht hat das diese und jene Folgen.“
Was aber folgt nach dem Gespräch?
Abgestufte Reaktionen. Wenn ein Kind seinen Eltern beweist, dass es mit der Droge zurecht kommt ohne wichtige Dinge zu verpassen, dann müssen diese nicht unbedingt tätig werden. Wenn aber die Eltern merken, das ihr Kind täglich kifft und aus ihrer Sicht deshalb in den Schulleistungen abfällt, interesselos gegenüber seinen Hobbies wird, immer mehr in eine Kiffergruppe reingeht und keinen Kontakt mehr zu Nicht-Kiffern hat, zudem konfliktscheu ist und sich selbst belügt, dann müssen Eltern ihm dies offen sagen. In einem zweiten Schritt müssen dann auch Konsequenzen folgen. Die sollte man anfangs durchaus gemeinsam besprechen.
Ein Beispiel?
Wie dies genauer aussehen könnte, wird anhand einiger Beispiele im Buch besprochen.
Man setzt eine Grenze und droht mit einer Sanktion?
Ja, er oder sie muss merken, dass sie verantwortlich für ihr Handeln sind. Es ist ihre Entscheidung. Die Sanktion kann offen sein, also so gestaltet, das bei einem Verstoß gegen eine vorher gemeinsam verfasste Abmachung sich danach auch zusammen überlegt wird, was das jetzt für Konsequenzen hat. Und das kann auch durchaus zum Nachteil des Jugendlichen gereichen, denn warum sollte ich beispielsweise meinem Kind weiterhin viel Taschengeld geben, wenn es das Geld komplett verkifft?
Was dann aber zur Folge haben kann, das er es sich auf andere Weise besorgt.
Daran kann ich dann aber nichts mehr ändern. Wenn ich ihm mehr Geld gebe, und er kann es nicht verwalten, dann wird er auch mehr für das Haschisch ausgeben. Dazu kommt, das das Handeln der Eltern dem Kind in diesem Moment auch zeigt, das es ernst genommen wird. Wer seinem Kind alles durchgehen lässt, der wird nicht ernst genommen. Aber ein Patentrezept für einen mündigen Umgang von Eltern und Jugendlichen miteinander und in ihrer Stellung den Drogen gegenüber gibt es leider nicht.
Eltern, Schulen, Gesellschaft und Politik wollen aber genau diese klaren Richtlinien haben.
Wenn so, dann so, als ob der Mensch eine Maschine ist. Menschen sind alle unterschiedlich und wenn man sich darauf einigen würde, das zu akzeptieren und den schwierigen Weg der individuellen Herangehensweise an individuelle Problemlagen zu gehen, dann wäre man schon einen beträchtlichen Schritt weiter.
Sie möchten die Diskussion von der Schädlichkeit von Cannabis von der Diskussion um die Legalisierung komplett abtrennen. Wie soll das funktionieren, denn wie soll man über eine andere Rechtsstellung von Cannabis diskutieren, wenn man nicht auf die wissenschaftliche Fakten zurück greift?
Wenn man aufklären will, wann Cannabis für den Menschen problematisch werden kann, ist es klüger, dies von der Diskussion um die Legalisierung abzutrennen. Die sogenannten „Fakten“ rund um Cannabis werden doch ohnehin immer so zusammengewürfelt wie es das jeweilige Konzept passt. Man kann den Menschen so oder so nicht von der Selbstverantwortung befreien. Es gibt ja Leute, die schlagen vor, man solle die Alleebäume fällen, weil sie besonders unfallträchtig seien. Es scheint für den Menschen immer nur die Variante „Ja“ oder „Nein“, „Gut“ oder „Schlecht“ zu geben. Und es macht ihn irre, wenn man bei genauerer Betrachtung feststellt, das es so etwas nicht gibt.
Vielen Dank für das Gespräch.
Eckart Schmidt Cannabis – Wann kann der Konsum problematisch werden?
Hamburg 2005 Verlag: Mein Buch
255 Seiten
Paperback ISBN: 3-86516-405-6
14,90 EUR
Halluzination und Recherche, Fiktion und Realität: Hunter S. Thompson ist der erste und letzte Mohikaner der Gonzo-Reportage.
(Hier das Original PDF des Beitrags aus dem mittlerweile eingestellten Magazin „blond“)
Die knallharte Pfeife entfaltete ihre Wirkung genau in dem Moment, als wir zu unseren Kino-Plätzen stolperten. Beine von Zuschauern schlängelten sich wie dunkle, verdorrte Wurzeln durch die Sitzreihen, mit einem Bier in der rechten und einem in der linken Hand balancierte ich mit Storchenschritten über die Wurzeln, im Augenwinkel donnerte ein rotes Cabrio durch die Wüste. Noch bevor wir unsere Sitze erreicht hatten sprang Hunter S. Thompson alias Johnny Depp aus dem Chevy, spaddelte Richtung Kofferraum, verjagte ein paar Fledermäuse und inspizierte dann eine beneidenswert gut sortierte Drogensammlung.
Wir sackten hysterisch kichernd immer tiefer in die Sessel, mein erster Schluck Bier spülte drei Minuten meinen Rachen, an Schlucken war nicht zu denken. Die Eingangssequenz von Fear and Loathing in Las Vegas im Jahre 1998 war eine Offenbarung, hielten wir uns doch schon für Kenner des von der Leine gelassenen Wahnsinns, hier aber hatte sich offensichtlich unser Meister ausgedrückt. Es war die erste Begegnung mit dem Totengräber des objektiven Journalismus, dem Erfinder der fiktiv-realen Reportage, dem Dr. Jekyll und Mr. Hyde der Schreiber, kurzum: mit dem teuflischen Gott.
Schreiben, das war für den 1937 geborenen Thompson Anfangs nur einfacher als Algebra, wie er sagt. Seine ersten Reportagen verfasst er für das Truppenblatt der Air Force, die Jobs bei Zeitungen und einem Wrestling Newsletter enden meist fatal, seine Südamerika-Tour als freier Autor verläuft eher mau. Hunter ist das relativ egal, solange genug Alkohol fließt und sich ab und zu eine Frau in sein Bett verirrt. In dieser Zeit, er ist gerade 25 Jahre alt, schreibt er seinen ersten und einzigen Roman, der erst jetzt auf Deutsch erschienen ist: The Rum Diary. Ein intensives Stück Literatur im Stile von Ernest Hemingway. Freelancer schwitzen unter der Sonne Puerto Ricos, zumeist in einer Bar rumhängend, in der man nur drei Dinge bestellen kann. Bier, Rum und Hamburger.
Zurück in den USA folgt der erste Knall: Hunter Stockton taucht für über ein Jahr bei den Hells Angels ein und marodiert mit den Rockern durch den wilden Westen. Seine stark subjektiv gefärbte Erinnerunge vermischen sich mit harter Recherche und Polemiken. Er zitiert ausführlich aus Zeitungsberichten und Akten, nimmt an den Ausfahrten (Runs) und Gelagen teil und stellt nebenbei die Sensationslust der amerikanische Medien bloß. Der Trip wird zur Blaupause seiner künftigen Arbeit: Vom Rande der Gesellschaft aus beobachtet er deren maroden Kern.
Trotz der Nähe biederte sich Thompson nicht bei den biersaufenden Speed-Outlaws an. Die kollektive Haltung der Angels war immer eine faschistische, schreibt er, ihre politischen Überzeugungen sind auf denselben Retro-Patriotismus begrenzt wie die des Ku Klux Klan und der American Nazi-Party. Das Buch über die gefallenen Engel, 1967 veröffentlicht, wird ein Erfolg. Von dem Geld kauft er sich eine BSA 650 Lightning, das damals mit Abstand schnellste Serienmotorrad. Es ist die Ära, von der Thompson bis heute zehrt und die er zugleich nie überwunden hat.
Die cineastische Einführung in die Urgründe des Drogentrips in dem verschmutzten Kino auf dem Hamburger Steindamm zeigte deutliche Parallelen zu den Erlebnissen in den nebligen Schweinekoben (neudeutsch: Clubs), durch die wir uns während der letzten Jahren gerockt hatten. Fear and Loathing passte wunderbar in die verspulten 90er: Die ganze Welt ein Trip, eine Matrix wohlmöglich, und überhaupt: Was ist schon Realität? Egal, vorwärts, hinein ins Vergnügen.
Trotz aller Euphorie war uns im Kinosaal nicht entgangen, dass sich das Publikum in zwei Teile spaltete: Diejenigen, die recht genau nachfühlen konnten wie es Johnny Depp und seinem samoranischen Anwalt bei ihrer Reise erging und diejenigen, die außer einem Alkohol-Vollrausch oder einer Atem-Therapie noch keine außergewöhnlichen Abfahrten durch die Psyche und darüber hinaus erlebt hatten. Die einen brüllten vor Lachen, die anderen schwiegen irritiert.
Sein Faible für Drogen und hippe Randgruppen brachte Thompson schnell mit den Beatnicks und Hippies zusammen. Ken Kesey, Autor von Einer flog über Kuckucknest, lud Thompson und die Hells Angels auf seine Farm in die Nähe von San Francisco ein. Die Polizei belagerte die Farm, drinnen herrschte seit Wochen der induzierte Ausnahmezustand. Eine intellektuelle Dauerparty war hier und im ganzen Land in Gang, es ging um den Vietnamkrieg, den Weltfrieden, die größtmögliche Bewusstseinerweiterung und letztlich immer auch um das große Ganze. Ein riesiger Traum blies sich auf und schwebte für einige Monate über dem Land. Und Hunter, dem schon schlecht wurde, wenn er nur ein Peace-Zeichen oder florale Muster sah, saß mitten drin.
Zwischen Beat-Poeten wie Allen Ginsberg und Showmastern wie Timothy Leary sonnten sich die Angels in der neuen Aufmerksamkeit, nebenbei gab es natürlich Acid für alle. Wochen später war es vorbei mit der Eintracht, die Angels mischten eine Anti-Vietnam-Demo auf, später boten sie sich in einem öffentlichen Brief sogar als freiwillige Kämpfer in Vietnam an.
Der legendäre Gonzo-Journalismus (span. gonzagas jemanden verarschen) entstand kurz darauf aus einer depressiven Phase des jungen Künstlers heraus. Ein Redaktionsauftrag hatte gelautet über das jährliche Kentucky Derby, das wichtigste Pferderennen der USA, zu berichten. Thompson pendelte aber nur betrunken zwischen Hotelbar und Schlafzimmer hin und her und schickte in einem Anflug von Wahnsinn die aus seinem Notizbuch herausgerissen Seiten. Überschrift: Das Kentucky-Derby ist dekadent und verkommen. Die Redaktion war verzweifelt, die Leser begeistert: was für eine Sprache, was für ein Formgefühl. Ein Mythos war geboren.
Hunter hatte seinen Stil gefunden, eine aggressive, schnelle Sprache, die, wenn sie keine Lust mehr hat zu argumentieren, sich martialischen Bilder bedient. Aus der Tatsache, dass er eine Zumutung für seine Umwelt war wurde langsam ein Geschäft. In seinem Worten: Wenn du dafür bezahlt wirst verrückt zu sein, dann kannst du so verrückt nicht sein. Gut so, war es doch für alle besser, wenn er seine Individualität auf der Schreibmaschine auslebte, als, wie er es selber ausdrückte in plötzliche Ausbrüchen von frustrierte Gewalt. Noch heute ballert er gerne mit einem seiner vielen Gewehre auf tibetanische Gongs, die in seinem Garten aufgehängt sind.
Sein nie versiegender Zorn wird zusätzlich von dem Glauben gespeist, dass es nach den Morden an Kennedy, Martin Luther King und Malcolm X keine Versöhnung mit Amerika mehr geben kann. Thompson trägt den amerikanischen Traum seit nunmehr dreißig Jahren zu Grabe. Dazu gehört sein Hass auf die Präsidenten, heißen sie nun Nixon, Ford, Reagan, Clinton (in dessen Beraterstab er kurz saß) oder jetzt wieder Bush. In Pamphleten für den Rolling Stone kriegen alle ihr Fett weg. Lange vor Michael Moore attestierte Thompson den USA eine verlogene Politik, eine korrupte Wirtschaft und eine nur auf Konsum geeichte Gesellschaft. Die mit dem System verbandelten Medien und den Journalismus hält er dabei für eine blinde Gasse zur Kehrseite des Lebens, ein dreckiges, nach Pisse stinkendes kleines Loch, auf Anordnung eines Bauamt-Inspektors zugenagelt, aber noch groß genug für einen Wermutbruder, sich in einer Nische am Gehsteig zu verkriechen und sich einen runterzuholen wie ein Schimpanse im Zookäfig.
Das war die Sprache die wir hören wollten. Seit Fear and Loathing spukte die Idee in unseren Köpfen rum, mit einer Mischung von Nörgeln auf hohem Niveau und systematischer Breitheit eventuell sogar unseren Lebensunterhalt verdienen zu können. Nüchtern betrachtet bediente Thompson nur unsere infantile Junggesellenfantasien: Ein ungebundenes Leben, die jederzeitige Verfügbarkeit von Uppern, Downer und Heulern, die einen mächtig rauskickten oder wenn es schlecht lief zumindest ein inneres Gepöbel verursachten.
Den Höhepunkt dieser selbstvergessenen Lust auf Mehr bildete sicherlich eine Reise nach Asien, bei der ich im karnevalesken Thompson-Outfit (gelbe Sonnebrille, Hawaii-Hemd, kurze Hose, Zigarettenspitze) durch das, na, sagen wir mal Disco-Viertel von Bangkok schwebte, das Hirn mit LSD und Johnny Walker zugeschissen, die Reisekasse aller Beteiligten locker in der Hose tragend, weil Du der Vernünftigste bist, wie mir gesagt worden war. Aus dem Hotel waren wir rausgeflogen, denn die Wanne war bis ins Zimmer übergelaufen, im Restaurant fuhren dann die Pappen so heftig ein, dass wir uns mit Basmati-Reis beworfen hatten. Momente ohne Furcht, Schmalspur RocknRoll.
In den Neunzigern trat der Desperado mit kahlrasiertem Kopf auf. Er sah damit, so beschrieb es ein US-Journalist, wie ein Dalai Lama der Furcht und des Schreckens aus. Tatsächlich steigt seine Anhängerschaft in den prüden USA, seine Farm in der Nähe von Aspen, Colorado, ist zur Pilgerstätte geworden. Allzu aufdringlichen Fans verjagt der zornige 68-Jährige in Wildwest-Manier mit dem Schießeisen vom Gelände.
Nachtrag: Hunter S. Thompson erschoss sich im Februar 2005 auf seiner Farm in der Nähe von Aspen, USA.
Interview mit Tilmann Holzer über die Geschichte des Cannabis-Verbots und dem Ausweg aus der Sackgasse der Drogenpolitik
Tilmann Holzer, 29, ist Vorsitzender des Verein für Drogenpolitik (www.drogenpolitik.org). Zur Zeit schreibt er an einer Doktorarbeit über die Geschichte der deutschen Drogenpolitik von 1933 bis 1968.
HanfBlatt:
Bis weit in das 19. Jahrhundert hinein waren Cannabisprodukte in Deutschland keiner Reglementierung unterworfen. Wann und warum wurde der Verkauf von „Indischem Hanf“ in einer staatlichen Verordnung berücksichtigt?
Holzer:
Cannabis wurde in Deutschland bis etwa Mitte der 1960er vor allem als Medikament und Nutzpflanze wahrgenommen und dementsprechend von staatlicher Seite behandelt. Ab 1872 war Cannabis in der „Kaiserlichen Verordnung über Apothekenwaren“ enthalten und durfte nur in noch in Apotheken verkauft werden, eine Mengen- oder Altersbeschränkung gab es nicht. Das Cannabisverbot, so wie wir es heute kennen, beruht auf der Integration von Cannabis in das „Genfer Opiumabkommen“ von 1925 und seinen Nachfolgern, Deutschland war damals gegen dieses erste globale Cannabisverbot.
HanfBlatt:
Und warum war Cannabis in das Genfer Opiumabkommen reingerutscht? Es wird behauptet, damit wurde das Cannabisproblem als Drogenproblem erst geschaffen. Wie siehst du das?
Holzer:
Der ägyptische Delegationsleiter El Guindy forderte die Aufnahme von Cannabis, weil in Ägypten viel Cannabis konsumiert wurde. Praktisch alle anderen Delegationen wußten nichts von einem Cannabisproblem oder waren, wie beispielsweise Indien oder Thailand, gegen ein Cannabisverbot. Mit der taktischen Unterstützung El Guindys durch China, die USA und Frankreich konnte das Verbot aber beschlossen werden. Die Genfer Opiumkonvention ist die Urform aller Drogengesetze weltweit, weil sie durch die Ratifikation in nationale Gesetze umgewandelt wurde und so weltweit gültig ist. Im Laufe der Jahre wurden dann im wesentlichen die Strafen erhöht, das Cannabisverbot blieb. Die erste Strafverschärfung kam in Deutschland nachdem ab 1968 explosionsartig Cannabis konsumiert wurde. 1971 wurde deshalb das Opiumgesetz von 1929 in das Betäubungsmittelgesetz umgewandelt. Im Kern das Genfer Abkommen, nur viel härtere Strafen, im Ergebnis trotzdem jedes Jahr mehr Kiffer, bis heute.
HanfBlatt:
Die internationale Staatengemeinschaft baut mittlerweile auf die Kombination von Strafe und Therapie. Wird das die Zahl der Cannabiskonsumenten verringern? Und, so will ich mal frech fragen, ist es überhaupt nötig sie zu verringern?
Holzer:
Tatsächlich ist die „Therapie“ bei Cannabiskonsumenten quantitativ so unbedeutend, dass man nur von Strafe als hilfloser Reaktion von staatlicher Seite sprechen kann. Die Zahl der Konsumenten wird aber selbst durch die härtesten Strafen nicht beeinflusst, jedes Jahr gibt es mehr Kiffer. Der Staat kann die Zahl der Kiffer nur in sehr beschränktem Maße regulieren und selbst dass nur, wenn er einen vollständig legalen Markt hat, der streng reguliert werden kann, beispielsweise um Kinder vom Kiffen abzuhalten. Für Erwachsene gilt, dass sie selbst über ihren Drogenkonsum entscheiden dürfen, denn in einer Demokratie hat sich der Staat aus dem Privatleben, also auch dem Drogenkonsum herauszuhalten. Nur wenn Dritte gefährdet sind oder der Allgemeinheit Kosten entstehen, dann kann er Staat regulierend eingreifen. Gesundheitspolitisch gesehen, insbesondere finanziell, aber auch mit Blick auf Gewaltverbrechen, ist ein moderater Cannabiskonsum dem Alkoholkonsum ganz vorzuziehen. Mit Blick auf die Krebsstatistik ist es wichtig, den Cannabiskonsum vom Tabakrauchen zu trennen.
HanfBlatt:
Dies führt direkt zur Reformdiskussion des staatlichen und gesellschaftlichen Umgangs mit Cannabis, die du und der Verein für Drogenpolitik jetzt mit dem „Globalen Cannabisregulierungsmodell“ neu beleben wollt. Nicht erst seit dem „Apothekenmodell“ ist die Regelung der Abgabe und des Verkaufs von Marihuana und Haschisch ein Streitpunkt. Wir wollt ihr das lösen?
Holzer:
Das Cannabisverbot hat total versagt, seit es 1971 verschärft wurde, kiffen jedes Jahr mehr Menschen in Deutschland. Es geht nicht darum, ob wir Cannabis legalisieren wollen oder nicht, sondern darum, ob Cannabis auf einem legalen oder einem illegalen Markt gehandelt werden soll. Cannabis ist überall erhältlich, kein einziger Staat auf dieser Welt hat bisher ein Cannabisverbot durchsetzen können. Deshalb hat der Verein für Drogenpolitik ein Konzept entwickelt, wie Cannabis in einem staatlich kontrollierten Markt gehandelt werden kann. Das ist das von dir erwähnte „Globale Cannabisregulierungsmodell“. Der Kerngedanke ist einfach: legal gehandeltes Cannabis ist ein wenig billiger als illegales und deshalb ist ein legaler Markt realistisch. Zweitens kann jeder einzelne Schritt vom Anbau bis zum Verkauf im Cannabisfachgeschäft staatlich lizensiert werden. Dadurch ist ein effektiver Jugendschutz, denn beim Verkauf Verkauf an Minderjährige droht Lizenzentzug, und ein hoher Qualitätsstandard möglich. In einem Rechtsgutachten weisen wir nach, dass ein legaler Cannabishandel im Rahmen der internationalen Verträge möglich ist. Was fehlt ist der politische Druck von unten, damit die Parteien den legalen Cannabismarkt ermöglichen. Als ersten Schritt wollen wir noch dieses Jahr unser Modell an alle Bundestagsabgeordneten verschicken, benötigen dafür und für die nächste Auflage, die an alle Landtagsabgeordneten gehen soll, noch 2000 Euro an Spenden.
HanfBlatt:
Fehlt nicht eher der politische Wille bei den Parteien, weil mit dem sensiblen Thema Drogenpolitik keine Wählerstimmen zu fangen sind? An einer Änderung der Rechtslage von Cannabis scheint sich seit Jahrzehnten niemand die Finger verbrennen zu wollen, zuletzt zogen die GRÜNEN den Schwanz ein.
Holzer:
Das ist sicher richtig, aber zu einfach. Richtig ist, dass die Parteien heute kein Interesse mehr an Drogenpolitik aufbringen, es geschieht beinahe nichts. Das war Anfang der 90er ganz anders. Wichtig ist, dass in den letzten Jahren die Medien immer mehr naiv-hysterisch über Drogen berichten, insbesondere über Cannabis. Das fällt auf die Parteien zurück, da es in keiner Partei Experten für dieses Thema auf Bundesebene gibt. Andererseits fehlt eine gut organisierte Interessensvertretung für eine bessere Drogenpolitik. Mit mehr Druck und Überzeugungsarbeit könnte man in den Parteien einiges bewegen, das zeigen Erfahrungen aus den 1990ern im Bereich Heroin und im Ausland. Deshalb haben wir den Verein für Drogenpolitik vor drei Jahren gegründet, als eine unabhängige und freie Organisation für diese Lobbyarbeit gegenüber Abgeordneten, Bundesregierung, Medien und Justizapparat und so weiter. Das funktioniert im Prinzip, aber erst mit einer guten finanziellen Ausstattung oder einer Stiftung für Drogenpolitik und hauptamtlichen Mitarbeitern wird es wirklich funktionieren. Dafür brauchen wir mehr Unterstützung von allen Seiten.
„Die soziale Realität muß die Normen durch Lächerlichkeit aushebeln“
Eine Unterhaltung zwischen Professor Sebastian Scheerer (S.), dem netten Kriminologen an der Universität Hamburg und den zwei unverdrossenen Mitarbeitern des HanfBlatt, AZ (A.) und Jörg Auf dem Hövel (J.).
J.
Sie weilten eine Zeit in Brasilien?
S.
Richtig. Bei einem Treffen mit einem Landtagsabgeordneten der Grünen Partei, Tota Agra, der aus einer Region im Nordosten Brasiliens kommt, in welcher traditionell Cannabis angebaut wird, ging es auch um den Faserhanf. Ich zeigte ihm Hanfprodukte aus Europa, die hier ja keine so große Besonderheit mehr, dort aber nahezu unbekannt sind. Hanfjacken, Mützen, Hemden, Hanföl und so weiter. Während einer Drogenkonferenz in Sao Paulo stellte er diese Produkte im Foyer aus – das kam riesengroß. Von großen Interesse wäre für ihn garantiert die holländische Grower-Szene. Ich hätte schon Lust mich in dieser Hinsicht einzumischen, aber nach meinem Forschungssemester ist die Zeit knapp. Jetzt steht die Lehre hier in Hamburg im Vordergrund. Ich bin also gar nicht „up to date“ was die Vorgänge in Deutschland angeht. Ist die Kriminalisierung der Cannabis-Samen eigentlich schon durch?
A.
Die ist seit dem ersten Februar Gesetz. Viele Händler haben ihre Samen schon aus dem Angebot genommen, andere verkaufen offen weiter, manche verkaufen Vogelfutter. Contact your local Bird-Shop.
S.
Am Spritzenplatz in Hamburg-Altona gab es einen Grow-Shop, ich weiß nicht, ob Sie den kennen?
J.
Doch, doch, ich wohne da um die Ecke.
S.
Hat der wegen des Samenverbots dicht gemacht?
A.
Ich glaube, der hat sich nicht etablieren können oder ist umgezogen. Es sprießen weiterhin Grow-Shops aus dem Boden.
S.
Und Coffie-Shops? Vor zwei Jahren gab es ja etwa 15 Stück in Hamburg.
A.
Heute eher mehr.
J.
Ich würde schon auf dreißig Stück im Hamburger Stadtgebiet tippen.
S.
Und was ist mit Rigo Maaß passiert?
A.
Nichts mehr gehört. Wenn man sich in diese rechtliche Grauzone begibt, hat man es ja nicht nur mit der Polizei zu tun, sondern auch mit Konkurrenz, mit Leuten die denken, daß hier viel Geld verdient wird. Die kommen dann eventuell auch mal vorbei und wollen was abhaben von dem Kuchen. Zum Teil gibt es ja auch Versuche, das Ganze zu monopolisieren.
J.
Die Coffie-Shop-Szene in Hamburg ist weitgehend in türkischer Hand. Zweieinhalb bis drei Gramm Gras für fünfzig Mark.
S.
Die werden aber mit fünf Gramm ausgezeichnet?
J.
He, he, he.
A.
Teilweise ist es auch mehr. Das geht bis vier Gramm hoch. Die Qualität ist auch unterschiedlich. Bei einigen ist es oft ein dröhniger Skunk, bei manchem anderen hat man schon eine richtige Auswahl, bis hin zu einer Tafel, die mehrere Sorten Hasch oder Gras anbietet.
J:
Es ist ja sehr einfach geworden, Gras anzupflanzen. Mit vier Lampen hat man schnell eine Überschußproduktion, die sich gut über den Laden eines Bekannten vertreiben läßt. Das Geschäft floriert.
A.
Überhaupt haben ja alle Drogen in den letzten Jahren einen Boom erlebt. Cannabis im Rahmen von Grunge, Hip-Hop, Jungle, Dub, Schlager, House und Techno. Fast alle Jugendkulturen haben Cannabis integriert, in manchen kommen dann andere Drogen dazu. Bei den einen Speed, bei den anderen Koks, bei den nächsten LSD oder Ecstasy. Cannabis scheint überall die Basis.
S.
Auch eine ideologische Basis.
A.
Das Wissen um den Hanf ist ebenfalls schnell gewachsen. Saatgut, Lampen, Erde, Anbau, Wirkung der Droge, darüber wußten die Leute früher nicht so gut Bescheid.
J.
Wäre interessant bei Philips oder Osram nachzufragen. Die müssen unglaubliche Absatzsteigerungen verbuchen.
A.
Letztendlich profitieren ganz seriöse Unternehmen davon. Lampenhersteller,
J.
Düngemittelindustrie,
S.
Steinwollehersteller
A.
Pumpenhersteller. Oder die Firma Steimel, die einen Heißluftfön produziert, der ideal zum verdampfen von Gras ist. Die wollen sicher nicht damit in Verbindung gebracht werden, werden sich aber trotzdem die Hände reiben, daß Tausende Kiffer ihren Fön im Baumarkt kaufen.
S.
Jetzt habe ich Sie ja hauptsächlich befragt. Worüber wollen wir denn sprechen?
J.
Ach, daß kann ruhig so weitergehen. Aber ich habe mich gut vorbereitet und einige Fragen notiert. Kann ich Sie nach einem Resümee der Kohl-Ära in Bezug auf die Drogenpolitik fragen?
S.
Warum nicht. Die Kohl-Ära begann 1982 mit der sogenannten „Wende“.
A.
Steinlange her.
S.
Zwei gegensätzliche Strömungen konnten in der Kohl-Ära beobachtet werden. Auf der Ebene der internationalen Konventionen und der Regierungspolitik ist alles schlimmer geworden. Man hat 1988 die Konvention von Wien beschlossen, die zu einer weiteren Verschärfung der Drogengesetze geführt hat. In der Bundesrepublik wurden Anti-Drogen Kampagnen ins Leben gerufen, wie „Keine Macht den Drogen“. Es kam zu einer Ausweitung des sachlichen Geltungsbereichs, wie die Juristen sagen: Immer mehr Substanzen wurden kriminalisiert. Auf der anderen Seite gab es aber eine reale Entwicklung, in die entgegengesetzte Richtung. Es wurde alles viel besser! Die Verfügbarkeit von Drogen ist sehr viel größer geworden. 1982 gab es noch nicht dieses differenzierte Angebot.
A.
Kokain war exklusiven Kreisen vorbehalten. Heute kostet es ein Viertel soviel wie damals.
S.
In der Jugend hat Cannabis einen Aufschwung genommen. Anfang der 80er Jahre war das die Droge der 68er, der alt werdenden Hippies. Inzwischen hat es wieder ein junges Image bekommen. Meine Neffen und Nichten, 15 Jahre alt, nehmen das und sind alle begeistert. Auch über die Symbolik, über die Blätter, darüber, Zuhause so eine Pflanze zu haben. Die Sichtbarkeit der Zubehörindustrie war in den 80ern natürlich auch nicht so ausgeprägt wie heute. Insgesamt kann man sagen, daß Drogen wieder „in“ sind, vor allem bei der jungen Generation. Man kann also in der Zukunft Gutes erwarten. Und das alles unter der Herrschaft eines konservativen Kanzlers und einer Gesetzgebung, die immer mehr an der Realität vorbeiläuft.
J.
Die SPD stand 1982 ebenfalls noch auf einem ganz restriktiven Standpunkt.
S.
Da gab es einen Konsens zwischen Union und SPD. Es gab nur eine Drogenpolitik und die hieß „draufhauen“. Erst später haben sich anläßlich der Methadonfrage und des Besitzes kleiner Mengen von Drogen zwei Richtungen in der Drogenpolitik entwickelt. Auch die Spaltung zwischen Bundespolitik und einer immer selbständiger agierenden Landespolitik fällt in diese Zeit. Die Vorstellung, daß Kommunen eine eigenständige Drogenpolitik machen, gab es Anfang der 80er Jahre noch nicht.
J.
Was ist von einer Regierung mit einem Kanzler Gerhard Schröder zu erwarten?
S.
Tja, ich erwarte da nicht soviel. Die Jusos hatten eine Zeitlang einen sehr rührigen drogenpolitischen Sprecher, Jürgen Neumeyer. Sehr kompetent. Die SPD selbst aber ist komplett puritanisch: anti-alkoholisch und ohne andere Drogen soll es durchs Leben gehen. Die Arbeiterbewegung war noch nie besonders hedonistisch oder post-materialistisch. Die Arbeiter sollen ja fleißig arbeiten und abends noch zum Ortsverein und Protokoll schreiben!
J.
Der aktuelle drogenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag ist Johannes Singer. Und der meint, daß es in einer Gesellschaft keinen vernünftigen Umgang mit Drogen geben kann.
S.
Geschäftsgrundlage des Regierungswechsels ist ja, daß sich nichts grundlegend ändern wird. Es heißt, daß wenn Wahlen was bewirken würden, sie schon lange verboten wären. Dieses Jahr habe ich den Eindruck ganz besonders.
J.
Auf die Grünen/Bündnis 90 kann man auch nicht setzen.
S.
Sehe ich genau so. Da gibt es ja auch sehr schlimme Frustanbeter. Zum Teil herrscht die Einstellung: Naturdrogen gut, Chemiedrogen schlecht. So ein Blödsinn!
A.
Manche Chemiedrogen entpuppen sich als Naturdrogen. Jüngst wies man Amphetamin in einer Akazienart nach. Damit ist auch das Amphetamin, welches als die klassische Chemiedroge galt, im Grunde eine natürliche Substanz. Unser Körper produziert auch Benzodiazepine, damit ist Valium praktisch körpereigen.
S.
Wie man sieht also eine sehr oberflächliche Theorie. Ich schreibe auch lieber mit künstlichen Kulis als mit natürlichem Blut.
A.
Wenn chemische Drogen was bewirken, sind sie ja den körpereigenen Drogen meist sehr ähnlich. Und letztendlich ist die Natur unteilbar, auch was wir in den Chemielabors herstellen gehört zur Natur, nicht nur der Nationalpark Wattenmeer.
S.
Zudem herrscht bei den Grünen noch eine Tradition, die sich gegen eine von außen herbeigeführte Bewußtseinsveränderung stellt. Bewußtseinsveränderung ist danach nur Vernebelung oder Flucht. Die größten Greueltaten der Geschichte werden aber von nüchternen Leuten begangen, nicht von Kiffern.
J.
Krista Sager von der GAL, zweite Bürgermeisterin in Hamburg, wäre ja ein Gegenbeispiel. Sie äußerte, daß die meisten Techniken zur Bewußtseinsveränderung der staatlichen Kontrolle entzogen sind. Sie macht Yoga…
S.
Na ja, sind ja nicht alle blind und blöd, und vielleicht stellen die Grünen in den Koalitionsverhandlungen einige Forderungen in Richtung auf eine vernünftige Drogenpolitik.
A.
Auch die SPD-regierten Länder stimmten dem Gesetz vom 1. Februar zu, das zwar die Verschreibung von Methadon erleichterte, zugleich aber Cannabis-Samen und andere Pflanzen, wie Pilze und Stechapfel illegalisierte, wenn sie denn der Berauschung dienen. Eine weitere Kriminalisierung des Natürlichen.
J.
Ein Schummel-Paket.
A.
Eine heuchlerische Einstellung, die auch für die Zukunft nichts Gutes erwarten läßt.
S.
Meine Hoffnung liegt für die Zukunft weniger in einer wie immer gefärbten Bundesregierung, sondern in einer autonomen Drogenpolitik der Bundesländer. Vor Ort geht es doch darum, die Probleme zu lösen und nicht durch weitere Repressionen weitere Probleme zu schaffen. Eine Fortsetzung der Spaltung zwischen Regierungsrethorik und Gesetzgebung einerseits und tatsächlichen Lebensverhältnissen andererseits wäre nicht das Schlechteste. Die soziale Realität muß die Normen durch Lächerlichkeit aushebeln.
J.
Wie sind die Gerichte in diesem Zusammenhang einzuordnen?
S.
Die spielen eine enorme Rolle. Es gibt ja Gesetze, die einfach nicht durchgeführt werden. Im Falle des Abtreibungsparagraphen 218 hat man jahrelang keine Prozesse gegen Frauen geführt, die abgetrieben haben. Es kam dann zum Skandal, als in Memmingen das erste Mal das Gesetz durchgeführt wurde. Wenn die Gesellschaft es immer lächerlicher findet, mit der Polizei hinter Graskonsumenten hinterherzulaufen, werden auch die Gerichte und die Staatsanwaltschaft das tiefer hängen. Jeder der in Hamburg oder anderen liberaleren Bundesländern in eine Polizei-Kontrolle geraten ist, kann ja davon berichten, daß die Beamten nicht mit aller Schärfe des Gesetzes gegen Kiffer vorgehen.
J.
Wenn man Zeitungen aus Süddeutschland verfolgt, sieht das ganz anders aus.
A.
Und in Sachsen geht die Polizei sehr streng vor. Dort hat sich vor allem Cannabis schnell verbreitet. Theo Baumgärtner befragte in einer Studie Dresdener und Leipziger Studenten. Die sind mittlerweile auf dem selben Genuß-Niveau wie die deutschen Kommilitonen. Und immerhin hat das Landeskriminalamt Sachsen vor kurzem ein Abonnement des HanfBlatt geordert.
S.
Ha, ha, ha.
J.
Sehr schön. Ein kleiner Themensprung: Die große Zeit des Coming-Out von Schwulen ist ja vorbei, wohl auch, weil es unspektakulär geworden ist. Folgt irgendwann das Coming-Out der Wissenschaftler und Drogenforscher, ob und welche Substanzen sie selber genießen?
S.
Ein schwuler Kollege, auch Kriminologe, veröffentlichte gerade einen Artikel, in welchem er darauf hinweist, daß er im Jahre 1984 auf Seite soundso eines Buches geschrieben hatte, daß er schwul ist. Die Drogenforscher in der Kriminologie haben das noch nicht geschafft zu sagen, was sie wann nehmen. Das Coming-Out läßt hier noch auf sich warten. Nun muß man aber sagen, daß 1984 die Homosexualität schon Jahre lang entkriminalisiert war und wir wohl erst die Zeit nach der Freigabe mit einem wunderschönen Sammelband rechnen dürfen, mit dem Titel „Drogenforschende Rauschgiftesser erzählen“ – oder „Rauschgiftessende Drogenforscher“ !?! Da gibt es doch lustige Geschichten. Ich erinnere mich daran, wie ich einmal mit einigen weltberühmten Legalisierern in einer eleganten Hotelsuite saß und die Utensilien für einen Joint immer weiter gereicht wurden, weil keiner in der Lage war einen Joint zu drehen. Extrem peinliche Sache.
A.
Ich bevorzuge als Nichtraucher auch die Pfeife. Grundsätzlich wünsche ich mir, daß man offen über die positiven und negativen Seiten -die ja alles hat- diskutiert. Und jeder ist ja unterschiedlich, dem einen gefällt die Droge nicht, dem anderen gefällt sie halt. Ein Abend mit Bier kann auch in einer Katastrophe enden. Wenn man es wissenschaftlich betrachtet, sind die meisten Substanzen nicht so gefährlich, wie sie in den Medien und der Anti-Drogen Propaganda dargestellt werden. Mit einem ehrlicheren Dialog ist auch den Gefährdeten besser geholfen.
S.
Es gibt ja selbst unter Wissenschaftlern die Unsitte, den Verteufelungsdiskurs einen Schönwetterdiskurs entgegenzusetzen. Nach dem Motto: Cannabis ist völlig ungefährlich. Das eine ist so unhaltbar wie das andere.
J.
Was dem Coming-Out von Forschern ja entgegensteht ist ein Problem, welches schon in der wissenschaftlichen Diskussion um LSD in den sechziger Jahren virulent war. Da konnte man als Forscher irgendwann nicht mehr zugeben, daß man selber Kontakt zu der Droge hat, weil die Fachkollegen die Objektivität in Frage gestellt haben.
A.
Die Erfahrung sollte -so der Vorwurf- die Rationalität für den Rest des Lebens in Frage gestellt haben. Schubladen sind halt sehr hilfreich. Ich habe Sie vor einigen Jahren bei einer Diskussion mit Sozialarbeitern erlebt, in welcher es um Kokain ging. Da haben Sie die relative Harmlosigkeit von Kokain herausgestellt.
S.
Das kam nicht so gut an.
A.
Stimmt. Die Sozialarbeiter haben ja ihre Klientel, ehemals Heroinabhängige, substituierte Methadonkonsumenten. Deren Sucht ist ja nicht mit einer Substanz zu heilen. Viele Leute haben ihre Schwierigkeiten auf Kokain verlagert, das sie nehmen, um ihren Kick zu kriegen und sie klauen und prostituieren sich nun, um Kokain zu kaufen. Für die Sozialarbeiter ist da jetzt Kokain der Dämon. Die sehen nicht die zahllosen von Freizeitkonsumenten, die mit der Droge umgehen können.
S.
Wenn ich mit stationär behandelten Alkoholikern zu tun habe, dann habe ich auch ein anderes Bild von Alkohol, als wenn ich und mein Freundeskreis ab und zu am Abend Wein genieße. Man müßte die Ambivalenz dieser Drogen und die Bedeutung des richtigen Umgangs mit ihnen klar machen und einüben. Und das muß bei den Kindern beginnen. Es kann ja nicht sein, daß einem ausgerechnet vom Staat ein bestimmter Lebensstil vorgeschrieben wird. Es gibt ein wunderbares philosophisches Buch dazu. Es handelt sich um „Drugs and Rights“ von Douglas N. Husak.
J.
Zurück zur Forschung. Die Diskussion hakt ja auch an dem Umstand, wie Wissenschaft heute immer noch betrieben wird. Da steht auf der einen Seite der Forscher und auf der anderen Seite das Objekt seiner Betrachtung. Den Rausch nur anhand objektiv feststellbarer Veränderungen der Transmitterausschüttungen im Gehirn zu analysieren ist eine Sache. Der interpretative Weg, was das für das einzelne Individuum bedeutet, ist doch was ganz anderes, sollte aber meiner Meinung nach als gleichberechtigter Forschungsbereich neben der objektiven Betrachtung stehen.
S.
Der Nachfolger von Professor Schmale im Institut für Psychologie an der Uni Hamburg, hat vor kurzem eine Tagung veranstaltet mit dem Titel: „Introspektion als Forschungsmethode“. Man katapultiert sich ja nicht automatisch aus der Wissenschaft heraus, wenn man über sich selber nachdenkt und versucht, sich selber zu erkennen. Im Gegenteil, daß ist eine legitime Quelle des Wissens und ich muß halt auch hier sehen, welche Methoden ich dazu anwende. Die Betroffenenperspektive hat ein Potential, mit der man in Ecken von Realität kommt, die anderen verborgen bleiben.
A.
Es kursiert ja der Verdacht, daß Drogengegner und Prohibitionisten nicht bereit sind, sich mit sich selber auseinanderzusetzen. Dieser These nach unterdrücken sie etwas in sich, was sie dann in die Außenwelt projizieren um dann dort andere Menschen für ihr abweichendes Verhalten bestrafen zu wollen.
S.
Plausibel.
J.
Die Systemtheorie glaubte ja schon, die Subjekt-Objekt Trennung überwunden zu haben, indem sie alles als ein großes Gewebe betrachtet, was miteinander verbunden ist. Gleichwohl betrachtet sie die Welt als Objekt und fragt nach Funktionen. Als Beispiel fragen sie nach der Funktion des Drogenkonsums bei Indianern im Regenwald. Sie entdecken dann, daß dies die Gemeinschaft zusammenhält, soziale Spannungen löst und so weiter. Wenn man sich dagegen als teilnehmender Beobachter in die Stammesgemeinschaft begibt, wird man gänzlich anderes entdecken, beispielsweise, daß hier die Verbindung zur Natur, Verstorbenen Mitgliedern oder höheren Wesen gesucht wird.
S.
Da sagt dann die Perspektive von draußen mehr über den Beobachter als über das Beobachtete.
A.
Deutlich wird das ebenfalls bei Reiseliteratur. Die sagt oft mehr über die psychische Verfassung des Reisenden aus, als über die Menschen, denen er begegnet. Der Forscher schützt sich durch seine Methoden vor dem Chaos, dem Tumult, in den er sich begibt. Er notiert Namen, sortiert Beziehungen, katalogisiert alles, was ihm in die Quere kommt.
S.
Angst. Unter Wissenschaftlern gibt es mehr Angst als auf der Achterbahn. Es gibt ein viel zitiertes und heute immer weniger gelesenes Buch von George Devereux, „Angst und Methode in den Verhaltenswissenschaften“, der diesen Zusammenhang gut aufbereitet.
A.
Wenn man es auf die Spitze treibt, kann man fast sagen, daß Wissenschaft in dieser Form was Zwanghaftes hat. Der zwanghafte Wunsch, die Welt zu kontrollieren, in Systeme zu zwängen und dort zu halten.
J.
Cannabis als Medizin. Da wird jetzt viel geforscht und so kommt Bewegung ins Spiel.
S.
Eine gute Entwicklung. Und nur ein Beispiel dafür, daß die Betäubungsmittelgesetzgebung in vielfacher Hinsicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet hat. Selbst wenn man zugestehen würde, daß Drogen nicht zu hedonistischen Zwecken gebraucht werden sollten, sagen doch die internationalen Konventionen, daß sie selbstverständlich die Befriedigung des medizinischen Bedarfs garantieren sollen.
A.
Da steckt eine verrückte Ideologie hinter. Die Natur bietet ein Konglomerat von Substanzen und im Cannabis tummeln sich über 500 verschiedene Inhaltsstoffe. Warum man nun nur das reine THC anwenden darf, ist doch völlig unklar. Gerade die anderen Inhaltsstoffe nehmen dem THC einen Teil der möglicherweise unangenehmen Nebenwirkungen. Es gibt Jahrtausende alte Erfahrungen mit der Pflanze Cannabis.
S.
Das ist dieses auf die Spitze getriebene analytische Denken.
A.
Da hat man Milligramm, rechts-oder linksdrehend und dann ab in die Kapsel.
J.
Und dahinter stecken auch finanzielle Interessen der Pharma-Industrie.
S.
Eine absurde Idee, Dinge, die seit Jahrtausenden zu medizinischen, sakralen oder hedonistischen Zwecken genutzt werden, einfach zu verbieten und allen Ernstes zu erwarten, daß alle Menschen auf der Erde sich daran halten.
Da werden Gesetze geschaffen und später muß man sehen, wie man die Folgen dieser Gesetze durch neue Gesetze in den Griff kriegt. Eine Flut von Verordnungen ist die Folge. Und irgendwann hat man sogenannte Drogengelder, die durch den Verkauf von Drogen eingenommen wurden. Wenn ich bei ALDI meinen Wein kaufe sind das ja auch keine Weingelder, bei Käse kein Käsegeld. Zu sagen, alles Geld was mit dem Drogenhandel in Beziehung steht, ist kriminell erwirtschaftet, ist Hexenverfolgung pur. Und wie wahnsinnig es ist, begreift man nur deshalb nicht mehr, weil es herrschende Ideologie ist. Doch die Realität bewegt sich von den Normen weg. In Richtung, Autonomie, Differenz, Pflege des Selbst und der Solidarität unter Drogennutzern. Das schafft viel positive Energie.
J.
Ein gutes Schlußwort. Danke sehr für das Gespräch.
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