Viel Wind um eine psychedelische Winde
Der freie respektvolle Umgang mit nicht vom Aussterben bedrohten Pflanzen ist ein Menschenrecht. In diesem Sinne lohnt es sich, die enormen Potentiale unserer pflanzlichen Freunde kennenzulernen, auch wenn es manchmal etwas mühsam erscheint. Aber wie heißt es doch so schön: Erst die Arbeit und dann das Vergnügen.
Zu den wichtigsten heilenden heiligen Drogen der mexikanischen Urbevölkerung gehören neben dem meskalinhaltigen Peyotl-Kaktus, den Psiloc(yb)in-Pilzen, dem Stechapfel und dem Wahrsagesalbei die Samen bestimmter Trichterwindenarten, die als Oluliuqui bekannt geworden sind. Botanisch handelt es sich um die Samen von Turbina corymbosa (, früher auch Rivea corymbosa genannt,) und von Ipomoea violacea (, auch Ipomoea tricolor oder Ipomoea rubro-caerulea genannt). Die Samen von Ipomoea violacea werden häufig mit denen von Ipomoea purpurea verwechselt, deren Wirkstoffgehalt unbedeutend ist. Beide tauchen in Samentütchen des Gartenfachhandels in zahlreichen Varietäten unter dem englischen Namen „Morning Glory“ auf und sind wegen ihrer schönen Blätter und Blüten als einjährige Zierpflanzen sehr beliebt. Um weiteren Mißverständnissen vorzubeugen, hier der aktuelle botanische Hinweis: Die Samen von Ipomoea violacea sind länglich und schwarz, die von Ipomoea purpurea rund und schwarz, und die viel selteneren Samen der Turbina corymbosa sind klein, rund und ockerbraun. In zahlreichen anderen Winden vom Typ Ipomoea wurden praktisch dieselben Wirkstoffe wie in der traditionellen Indianerdroge nachgewiesen, wenn auch meist in geringen Mengen. (Diese Wirkstoffe gehören bemerkenswerterweise zur Gruppe der Mutterkornalkaloide, Substanzen, die sich chemisch von der Lysergsäure ableiten lassen und zu denen auch das nahe verwandte halbsynthetische d-Lysergsäurediäthylamid, abgekürzt LSD, zählt.) Herauszuheben ist die Ipomoea carnea, die einen recht hohen Lysergsäurederivatgehalt aufweist, in den tropischen Gebieten Amerikas vorkommt und deren Samen von den peruanischen Shipibo-Indianern sogar als visionsverstärkender Ayahuasca-Zusatz eingesetzt werden. Aber bei der mit Abstand potentesten Winde unter den psychedelischen Winden, handelt es sich um eine ganz besondere Art.
Die Samen der tropischen Winde mit dem neckischen Namen Baby Hawaiian Woodrose, oder botanisch korrekt Argyreia nervosa, gut zerkaut oder frisch zerstampft auf möglichst leeren Magen einzunehmen heißt, sich auf eine lang anhaltende psychedelische Entspannung einzulassen. Meist stellt sich innerhalb etwa einer Stunde ein wohliges, schlaffes, schließlich sinnlich verstärktes bis schmelzig-erotisches Körpergefühl ein. Der Geist wird wacher. Insbesondere akustische (Musik) und optische Wahrnehmungen (, zum Beispiel der Blick in den Spiegel,) werden intensiver, vielleicht sogar sich halluzinogen wandelnd, empfunden. Begleitet wird der Törn von einer freundlichen bis albernen, irgendwie abgehobenen Enthemmung und energetischer Euphorie. Besonders zu Beginn und während der ersten ein bis zwei Stunden nach Einnahme der Samen kommt es typischerweise zu einer meist vorübergehenden Schwummrigkeit oder gar Übelkeit. Mancheiner scheint hier besonders empfindlich zu sein. So ist es im Einzelfall auch schon zu Erbrechen und Durchfall gekommen. Auch Bauchkrämpfe sollen auftreten können, wogegen das Einnehmen einer entspannten und bequemen Körperhaltung hilft. „Go with the Flow“, zu deutsch, „mit dem Fluß gehen“ scheint das Geheimnis der Argyreia nervosa-Erfahrung zu sein. Zumindest erleichtert es sie ungemein, auch was die körperliche Befindlichkeit betrifft. Während kleine Samenmengen anregend wirken können, kann insbesondere bei höheren Dosierungen ein Gefühl starker körperlicher Mattigkeit ausgeprägt sein. Die individuellen Empfindlichkeiten scheinen auch hier zu variieren. (Man muß ja nicht immer in der Landschaft rumhüpfen, du altes Raverhaus.) Farbige Muster bei geschlossenen Augen, fliessende Wahrnehmungsveränderungen, ähnlich denen unter Einfluß mäßiger Dosen LSD, aber „ruhiger“, und ein anderes Zeit-Raum-Empfinden leiten über in einen tiefen psychedelisch en Erfahrungsbereich. Die Pupillen erweitern sich. Ein Fenster zum visionären inneren Space emotional prall gefüllter Assoziationen und Erinnerungen kann sich öffnen. Wer das nicht will, der sei gewarnt. Bemerkenswert und irgendwie charakteristisch ist, daß die Wirkung der Samen etwa vier bis sechs Stunden nahezu auf demselben, bei höheren Dosierungen recht heftigem Intensitätsniveau bleibt, allso nicht in den Wellen kommt, in denen psychedelische Erfahrungen sonst meist verlaufen. Schließlich läßt sie langsam aber kontinuierlich nach. Nach dem Trip ist Schlaf möglich. Der folgende Tag kann von positiver relaxter Stimmung, aber auch von einem Hangover mit dem Gefühl von Abgeschlagenheit und geistiger Leere geprägt sein. Auch hier spielt die individuelle Prädisposition eine wichtige Rolle.
Bei Überdosierungen kann es auf Grund der gefäßverengenden und blutdrucksenkenden Eigenschaften der Wirkstoffe zu Durchblutungsstörungen und möglicherweise gefährlichen Kreislaufproblemen kommen. Kurze Ohnmachten sind eine sehr ernstzunehmende Warnung. Kranke sollten die Samen auf keinen Fall nehmen (, zumindest nicht ohne kompetente schamanische Betreuung, die man hier kaum finden wird). Sie werden sich wahrscheinlich noch kränker fühlen. Schwangere sollten unbedingt die Finger von (je)der Droge lassen. Die Alkaloide wirken nämlich erheblich wehenfördernd. Vor der Kombination mit anderen Drogen muß gewarnt werden, auch wenn von angenehmen Erfahrungen zum Beispiel in Kombination mit gerauchten Hanfprodukten berichtet wird.
Die wundersame Wirkung der Samen, dieser auch Silberkraut oder Kleine Holzrose genannten wunderschönen mehrjährigen bis zu acht Meter rankenden tropischen Winde mit grossen herzförmigen an der Unterseite silbrig behaarten Blättern und trichterförmigen weißvioletten Blüten, ist wie gesagt auf den höchsten in der Windenwelt bekannten Gehalt an psychoaktiven Mutterkorn-Alkaloiden, insbesondere d-Lysergsäureamid = LSA = LA-111 = Ergin und ähnlichen Substanzen, zurückzuführen. (Das chemisch verwandte, aber doch deutlich anders wirkende halbsynthetische LSD wurde übrigens noch nie in der „freien Natur“ nachgewiesen.) Er wird mit 0,3 % angegeben. Damit wären die Argyreia-Samen aufs Gewicht bezogen etwa 25mal so stark wie analysierte Turbina corymbosa-Samen und immer noch 5mal so stark wie analysierte wildwachsende mexikanische Ipomoea violacea-Samen. Der Wirkstoffgehalt von in nordischen Gefilden gewachsenen Ipomoea violacea-Zierformen soll noch erheblich niedriger ausfallen.
Ein Argyreia-Same wiegt im Schnitt etwa 0,1 Gramm. Liebhaber dieser potenten Droge raten zu vorsichtiger Dosierung und langsamem Herantasten an eine individuell verträgliche psychedelische Dosis. Schon ein Same kann deutlich gespürt werden. Mancheine(r) ist mit derartigen Dosierungen schon voll und ganz zufrieden. Als volle Dosis gelten vier bis neun Samen. Als obere Grenze werden höchstens so um die dreizehn Samen veranschlagt. Ab dieser Dosis treten häufig Kreislaufprobleme auf, ohne daß der Trip dabei mehr hergibt.
Wie erwähnt, werden die ziemlich harten Samen gut zerkaut oder zerstampft, bevor man sie runterschluckt. Ansonsten würden sie den Verdauungstrakt ohne allzugroßes Trara passieren. Man hat mit mäßigem Erfolg versucht, das Risiko von Magen-Darm-Problemen durch Waschen der noch ganzen Samen und Abreiben der äußeren Samenschale zu reduzieren. Durch mehrstündiges Einweichen der zermahlenen Samen in kaltem Wasser an einem dunklen Standort mit anschließendem Abfiltern durch einen Kaffefilter und Runterspülen des so entstandenen Extraktes soll eine mögliche Magenreizung umgangen werden. Diese Art der Zubereitung eines Kaltwasserauszugs entspricht der traditionellen indianischen Methode einen Oluliuqui-Extrakt zuzubereiten. Aber vermutlich hängen die Nebenwirkungen der Windensamen zumindest teilweise auch direkt mit den psychedelischen Wirkstoffen zusammen.
Die Samen sollten so frisch wie möglich genommen werden. Die empfindlichen Alkaloide zersetzen sich im Laufe der Zeit. Es können unerwünschte nicht psychoaktive Zerfallsprodukte entstehen. Die ganzen Samen, kalt und trocken im Dunkeln gelagert, mögen etwa ein halbes bis vielleicht ein Jahr nur wenig an Potenz verlieren. Dann sind sie jedoch irgendwann ausmusterungsbedürftig. Beim Erwerb bedenke man, wie lange die Samen bereits unter welchen Bedingungen gelagert wurden. (Beim Händler erfragen!)
Die Samen der Argyreia nervosa werden als Dauerbrenner unter den „Legal Highs“ nun schon seit bald dreissig Jahren in den USA im Versandhandel angeboten. (1965 wurden sie zum ersten mal analysiert, und ihr hoher Wirkstoffgehalt sprach sich in den psychedelischen Sechzigern schnell rum.) Zahlreiche Kleinanzeigen in Magazinen wie „High Times“ bezeugen, daß es eine anhaltende und gerade in letzter Zeit im Rahmen des psychedelischen und schamanischen Revivals sogar noch gestiegene Nachfrage für die Samen geben muß, obwohl ein regelmässiger Gebrauch sehr ungewöhnlich und bedenklich ist. Typisch bei den meisten Argyreiaprobierern ist eine vorübergehende Experimentierphase, die bald eingestellt wird, zumal wenn andere, weniger den Verdauungstrakt belastende und körperlich ermattende Psychedelika wie LSD oder Pilze zur Verfügung stehen. Damit gelangen die Samen in den Ruf eines Provinzpsychedelikums. (Die Provinz dabei sozusagen als der Ort verstanden, wo man aus der Not heraus selbst Muttis Muskatnüsse oder Engelstrompeten aus den öffentlichen Grünanlagen futtert, nur um nicht immer nur besoffen sein zu müssen.) Dies wird ihren ganz eigenen Qualitäten jedoch in keiner Weise gerecht. Es wurden und werden Preise von bis zu einem Dollar pro Samen verlangt. In der Regel sind sie aber in den USA, insbesondere bei Abnahme größerer Mengen, natürlich nur zur Blumenzucht und nicht zum menschlichen Konsum gedacht, erheblich günstiger erhältlich, nämlich zu Preisen von umgerechnet zwischen etwa 8 und 30 Pfennig das Stück. Bei uns wird im ethnobotanischen Fachhandel häufig ein etwas überhöhter Standardpreis von 1 DM pro Samen verlangt. Die Samen sind (noch) kein Betäubungsmittel im rechtlichen Sinne.
Die hawaiianische Baby-Holzrose wird nicht nur auf Hawaii und in Kalifornien zur Samengewinnung angebaut. Sie gedeiht auch in anderen tropischen Gebieten. So soll sie in Südindien heimisch sein. Weltweit wird sie vereinzelt als attraktive mehrjährige Zierpflanze gezogen. Nicht zuletzt tragen Freaks mit ein paar Samen im Gepäck zur Verbreitung bei, so gesehen auf der Insel Koh Phangan/Thailand. Die Argyreia nervosa wird außerdem in den Staaten für die Floristik angebaut, wo die hübschen Samenkapseln in (Trocken-)Blumenarrangements zum Einsatz gelangen. Auch bei uns läßt sich aus den Samen oder über Stecklinge eine hübsche licht- und wärmeliebende Kübelpflanze ziehen, die, da kälteempfindlich, im Gewächshaus oder in der Wohnung überwintern muß. Es gibt eine Reihe weiterer Argyreia-Arten, die wohl auch Lysergsäure-Derivate enthalten, deren Wirkstoffgehalte aber noch weitgehend unbekannt sind. Die Baby Hawaiian Woodrose oder Argyreia nervosa wird manchmal mit der Large Hawaiian Woodrose, zu deutsch Große Holzrose, oder Merremia tuberosa verwechselt. Diese sieht völlig anders aus. Das gilt auch für die Samen, die größer ausfallen, aber einen deutlich geringeren Wirkstoffgehalt aufweisen.
Zusammenfassend läßt sich nocheinmal herausstellen: Geniesser dieser megapotenten Superturbohüperheiperwindensamen sind besonders angetan von intensiviertem akustischen Erleben und einer Enthemmung in Kombination mit einem schmelzig-erotisch-sinnlichen Körpergefühl. Manche schätzen die introspektiven Potentiale bei einem relativ hohen Grad von Selbstakzeptanz, sprich keiner ausgeprägten Ego-Auflösung sondern mentales Driften auf anhaltend hohem energetischen Niveau. Einige mögen die als niederschmetternd empfundene Wirkung überhaupt nicht, fühlen sich eher krank, deuten soetwas an wie eine Empfindung psychedelischen Stumpfsinns, so es denn soetwas überhaupt geben kann. Für die meisten der an der Einnahme psychedelischer Substanzen interessierten Menschen handelt es sich einfach um eine irgendwie anstrengende Erfahrung, die dann auch wieder nicht so interessant ist, als daß man sie ständig wiederholen möchte. Nichtsdestotrotz ist Argyreia nervosa ein einzigartiges Beispiel für ein leicht erhältliches, einfach zu konsumierendes hochpotentes pflanzliches Psychedelikum aus dem fruchtbaren Schosse der Natur, obendrein noch nahe verwandt mit dem berüchtigten LSD, vielleicht sogar schon ein „moderner Klassiker“ unter den „High-Pflanzen“?!
„Fühlst Du Dich auch so animalisch?“ „Ich fühle mich argyreia nervosa!“
2 Antworten auf „Argyreia nervosa“
„Bei Überdosierungen kann es auf Grund der gefäßverengenden und blutdrucksenkenden Eigenschaften der Wirkstoffe zu Durchblutungsstörungen und möglicherweise gefährlichen Kreislaufproblemen kommen.“
also beides zusammen geht nicht.. entweder
Gefäßverengend + Blutdruckerhöhend..
oder
gefäßerweiternd und blutdrucksenkend
An den Blutgefäßen können Mutterkornalkaloide, zu denen die Wirkstoffe der Argyreia nervosa gehören, Rezeptoren sowohl blockieren als auch erregen. Das hängt davon ab, welche Mutterkornalkaloide in welcher Kombination vorhanden sind und in welcher Dosis zur Anwendung kommen, wie die individuelle körperliche Ausgangslage ist, ob der Ausgangsblutdruck erhöht oder niedrig ist und was sonst noch konsumiert wurde. Je nach Ausgangslage (hoher oder niedriger Blutdruck) ziehen sich dann Gefäße entweder zusammen oder erweitern sich. Bei Vorerkranungen und/oder Überdosis bestehen Risiken im Bereich des Kreislaufs und können Durchblutungsstörungen in den Extremitäten auftreten, weshalb hier Vorsicht anzuraten ist. Einige Wirkstoffe der Mutterkornalkaloide werden medizinisch bei niedrigem Blutdruck, Ohnmachtsanfällen und Herz- und Kreislaufbeschwerden zu deren Besserung eingesetzt, während andere gar bei Bluthochdruck helfen. Sie sind aber, wenn überhaupt, dann unbedingt mit Vorsicht zu geniessen.
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