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Alkohol Special: Der Geist aus der Flasche

Alkohol, Geist, Umgang, Sucht, Droge, Abhängigkeit, Abstinenz, Dionysos, Jesus, Gott/

hanfblatt nr.108, Juli 2007

Vom Geist aus der Flasche

Am Alkohol zeigt sich, wie eine Gesellschaft mit einer Droge lebt, mit der sie eigentlich nicht umgehen kann

Obwohl Alkohol eine stark psychoaktive Substanz ist, hat sich die flüssige Droge nicht nur weltweit verbreitet, sie ist auch in vielen Ländern legal zu erwerben. Der Reiz des Rausches ist hoch, die Lust auf Wein, Bier, Schnaps oder Alcopops ungebrochen. Der Alkohol nimmt eine zentrale Stellung unter der Rauschmitteln ein. Warum bloß?

Fusel besitzt einen enormen Rückhalt in der deutschen Bevölkerung, 73 Prozent der Bundesbürger halten es für akzeptabel, wenn jemand „mal einen über den Durst trinkt“. Angesichts der jährlich rund 40.000 Toten und den volkswirtschaftlichen Schäden mutet es seltsam an, dass ausgerechnet diese Substanz einen so hohen Stellenwert in der Gesellschaft besitzt. Rund 1,7 Millionen Deutsche trinken mehr als Leber, Herz oder Hirn vertragen, weitere 1,7 Millionen gelten als klassische Alkoholiker.

Die Lösung für dieses Phänomen liegt auf mehreren Ebenen:
(1) Weingeist und seine Derivate sind über Jahrhunderte ins kollektive Bewusstsein gebrannt worden, die Droge ist voll etabliert. Ganze Institutionen und markante Zeitsteine im Jahresverlauf drehen sich um den Alkoholrausch. Das Oktoberfest, der Fasching, aber auch die „besinnliche Weihnachtszeit“ sind ohne die Unmengen an ausgeschenktem Bier, entkorkten Flaschen und gestürzten Kurzen nicht denkbar. Und: Alkohol ist ein wichtiger Schmierstoff persönlicher und geschäftlicher Beziehungen.
(2) Umsatz und Gewinn der Hersteller stimmen. Alkoholherstellung kann lukrativ sein, die deutschen Weinregionen sind dazu Touristenmagneten. Die Lobby besitzt politischen Einfluss.
(3) Der Droge selbst wohnt wenig revolutionäres Potential inne. Ihre bewusstseinsverändernde, transformatorische Spannkraft ist im Vergleich zu entheogenen Substanzen gering. Simpel gesprochen: Den Mächtigen droht vom Alkohol wenig Umstürzlerisches, auch deshalb wird er nicht verboten.
(4) Alkohol ist gut zu dosieren und für verschiedene Zwecke nutzbar. Niedrig dosiert wirkt er meist kommunikativ, in mittleren Dosen enthemmend, in hohen Dosen lässt er alles vergessen. Zudem ist er gut mit anderen psychoaktiven Substanzen wie Kaffee und Cannabis – um mal nur die harmlosesten zu nennen – mischbar.

Angesichts dieser Vorteile werden die erheblichen Nachteile als Kollateralschäden in Kauf genommen. Nicht nur, aber auch aus diesem Zynismus heraus lässt sich der Schluss erklären, den die Befürworter eines Verbots von Cannabis in die Diskussion führen: Man hat einfach Angst in dieser zur Sucht neigenden Gesellschaft ein weiteres Fass aufzumachen.

Zwei Problemgruppen hat man im Auge. Das sind zum einen die Jugendlichen, die, glaubt man den Zahlen, immer früher mit dem Alkoholkonsum anfangen und auch immer früher den Vollsuff praktizieren. Einige Zeit herrschte Aufregung um die sogenannten Alcopops, im Grunde recht biedere Zucker-Mischgetränke mit viel Alkohol, eine Art hässliche Nachgeburt der Techno-Generation. In Folge eines Alcopopgesetzes reduzierte sich der Konsum bei den unter 18-Jährigen auf 16 Prozent von vormals 28 Prozent im Jahr 2003.

Die Alkoholdealer halten seither dagegen: Kneipen bieten im herrlichsten Neusprech eine Alkohol-“Flatrate“ an, von 20-2 Uhr kann gesoffen werden was geht. „Binge Drinking“ ist Komasaufen, Ziel ist der möglichst schnelle Rausch inklusive Bewusstlosigkeit. Beliebt ist dieser Sport zurzeit in Großbritannien und einigen Ländern Skandinaviens, dort wird der Alkohol nicht nur unter Jüngeren ohnehin gerne zügig konsumiert. Ich erinnere mich an den Besuch einer Feier in Schweden, bei der alle Anwesenden binnen kürzester Zeit extrem betrunken waren, ohne Hemmung torkelten und auf die Straße kotzten.

Nur nebenbei: Seit Jahrzehnten dringt aus den teutonischen Schmieden keine Information über das Saufverhalten der Soldaten nach draußen. Aus guten Grund, denn jeder, der die Ehre hatte in dem Haufen zu dienen, weiß, dass hier der Grundstein für manche Alkoholikerkarriere gelegt wird. Die Anfälligsten bleiben gleich da.

Die andere Problemgruppe sind die stark trinkenden fast-schon oder tatsächlichen Alkoholiker. Alles in allem dümpelt der Pro-Kopf Verbrauch von reinem Alkohol in Deutschland seit über zehn Jahren bei rund 10 Litern jährlich, nur die Verhältnisse zwischen den Sorten verschieben sich. Wichtig bei der ganzen Zahlenspielerei um steigenden oder sinkenden Verbrauch von Bier und Wein ist: Ein Anteil von ungefähr acht Prozent der Bevölkerung konsumiert rund 40 Prozent des verkauften Alkohols.

Suchtvermeidend kann die alte Regel sein, nicht alleine zu trinken. Aber die Umgehungschancen sind groß, man braucht sich nur in den Dorf-und Großstadt-Kneipen umzusehen, in denen Abend für Abend die selben Kapeiken am Tresen hocken, sich gegenseitig die Welt erklären und Freundschaft fürs Leben schließen. Die deutsche Schlagerkultur („Sieben Fässer Wein“, „Einer geht noch“, ) und zahlreiche Alltagsweisheiten („Auf einem Bein kann man nicht stehen“) feuern den Alkoholkonsum noch an.

Es kann als weiterer Hinweis auf die Komplexität der Drogenwirkung im Spannungsfeld von Set und Setting interpretiert werden, dass trotz einem Jahrhundert intensiver Erforschung der Alkoholabhängigkeit die Therapie derselben weiter schwierig bleibt (s. Interview mit dem Suchtforscher Andreas Heinz).

Laaaaangweilig: Geschichtsstunde

Zurück in der Zeit. Der Alkohol schaffte es als Wein und damit „Blut Jesu“ in die christliche Mythologie, in den griechischen Mythen galt Dionysos nicht nur als Gott des Weines, sondern auch der der Fruchtbarkeit und der Ekstase. Der Alkoholrausch galt als kleine Vorwegnahme der Unsterblichkeit, eine Vorahnung des ewigen Lebens. Vom Mittelalter bis in die Neuzeit wurden dem Wein magische Kräfte zugesprochen, er wurde als Heilmittel gegen jedwede Wehwechen und ernsthafte Krankheiten eingesetzt. Die therapeutische Breite schien unerschöpflich. Bis in die 80er Jahre des letzten 20. Jahrhunderts hinein erhielt jeder Matrose in der englischen Marine täglich eine Portion Rum (rund 100 ml).

Im Mittelalter gehörte das maßlose Trinken zum Bürgeralltag, wer es sich leisten konnte, der soff. Mit der Rationalisierung des Lebens änderte sich ab dem 16. Jahrhundert auch die Einstellung zum Alkohol, die Obrigkeit setzte vermehrt auf Alkoholverbote, die immer auch im Zusammenhang mit den Luxusverboten standen, wie Kleiderordnungen, Verboten von bestimmtem Schmuck, teuren Kutschen und vergoldeten Möbeln. Religiöse Strenge und Abstinenz bedingen sich bei den christlich geprägten Religionen. Gleichwohl galten gerade die Mönche als Vorreiter des Suffs und der Völlerei.

Die Zwanghaftigkeit, die vom Alkoholismus ausgeht, wurde lange Zeit nicht gesehen, bis ins 18. Jahrhundert hinein galt es als freie Entscheidung des Trunkenboldes sich tagtäglich die Birne dichtzuknallen. In Amerika und Europa wurde der Alkohol im 19. und 20. Jahrhundert zum Sündenbock für alle möglichen schlechten Verhaltensweisen des Menschen. Die Mäßigkeitsbewegung radikalisierte zur Prohibition. In den USA gab es erste Verbote in einigen Bundestaaten bereits in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts. Nahezu alle wurden nach ein paar Jahren widerrufen. 1869 gründete sich dann die „Prohibition Party“ (die bis heute existiert!), es kam zu (heute noch üblichen) seltsamen Bibelauslegungen und schließlich zur berühmten Prohibition von 1919-1933.

Der Alkoholkonsum der Arbeiterklasse ging daraufhin tatsächlich zurück: sie konnten sich den teuren Schwarzmarktschnaps nicht leisten, zugleich tranken der Mittelstand und die Jugendlichen soviel wie nie zuvor; die Mafia entstand. Es war weniger der Aufstand der Massen, als vielmehr ökonomische und juristische Zwänge, die zur Aufhebung der Prohibition im Jahre 1933 führten. Viele Großunternehmen wie Cadillac, General Electric, Boeing und die Southern Pacific Eisenbahngesellschaft glaubten, dass durch die Wiedereinführung der Getränkesteuer ihre Einkommensteuer gesenkt werden könnte. Dazu kam eine um sich greifende Missachtung der Pohibitions-Gesetze, die langsam auf andere Bereiche übergriff. Der Respekt vor dem Recht sank.

Initiation

Will man den Wert einer Droge an den Initiationsriten festmachen zeigt sich in der westlichen Welt ein Phänomen: Die Einführung in den Alkoholrausch besteht meist aus einem dreiphasigen Lall-, Taumel- und Kotzereignis.

Wer dagegen von den guten Seiten des Alkohols sprechen will, der spricht vom Wein. Noch heute trinken in Frankreich die Menschen durchschnittlich sechs Gläser am Tag und leben trotzdem lang; diese Geschichte durchstreift die Weinstuben der deutschen Republik genauso häufig wie die von der niedrigen Herzinfarktquote unter den Franzosen. baccus

Wein, das bedeutet heute eine enorm diversifizierte Kultur, die sich zwischen den beiden Enden Genuss und Sucht entfaltet. Sie variiert vom Tetrapack bis zum Luxusgut. Weinkeller, Dekantierflaschen, Degustation, Weinführer, Weinzeitschriften: Das Brimborium rund um den gegärten Traubensaft könnte als gute Matrize für die Eingliederung des Rauschhanfs und seiner Produkte dienen. Es ist die eingehende Beschäftigung mit der psychoaktiven Substanz, die Liebe zum Objekt, die Kenntnis von Wirkung und Nebenwirkung, das liebevolle Stapeln von Flaschen im Weinregal oder später Weinkeller, die einem Missbrauch der Droge vorbeugt, besser gesagt: vorbeugen kann.

Neben den wichtigen sozialen und individuellen Faktoren steigt die Gefahr in ein Abgleiten in die Abhängigkeit mit der Radikalität der Dareichungsformen und Einnahmetechniken. Sicher, die Dosis macht das Gift und auch gebrannte Schnäpse können ebenso wohldosiert wie Wein werden, dies setzt aber mehr Erfahrung voraus. Die meisten älter werdenden Jugendlichen verstauen das 80 Zentimeter Bong aus gutem Grund irgendwann im Schrank und setzen auf mildere Formen der THC-Aufnahme.

Der Deutsche Brauer Bund weist in einem Gutachten auf die vielen positiven Eigenschaften hin, die der Alkohol hat. Für den Chef des Brauerbundes, Richard Weber, ist Bier ohnehin kein Sucht-, sondern ein Genussmittel. Er sagt: „Wir sind Bierbrauer, keine Drogendealer“. Genau in diesem Punkt irrt er.

Die Bayern pochen seit Jahrhunderten auf ihren Suff, für sie ist der niedliche Gerstensaft in erster Linie ein „Lebens-“ besser noch „Grundnahrungsmittel“. Sie haben es geschafft. Dazu argumentieren die Hersteller mit Zahlen: Man gebe im Jahr rund 562 Millionen Euro an Werbegeldern in Deutschland aus, von den 200.000 Arbeitsplätze mal ganz abgesehen. Es ist dem Druck dieser Lobby zu verdanken, dass bisher keine weitreichenden Verbotsmaßnahmen umgesetzt werden. Aber der Fall des Rauchverbots zeigt: der Alkoholindustrie könnten schwere Zeiten bevorstehen. Eine potentielle Fremdgefährdung in Folge von Alkoholkonsum, gegenüber der die Gefahren des Passivrauchens vergleichsweise harmlos erscheinen, ließe sich hier ob im Straßenverkehr oder durch alkoholbedingte Straftaten problemlos an Hand von Statistiken belegen.

Die vielen Varianten des Alkohols werden derzeit jedoch überwiegend als Nahrungs- und Genussmittel akzeptiert, die heil- oder unheilvolle Wirkungen im Kräftespiel von Dosis, Individuum und sozialem Umfeld entfalten. Dahin sollten es eigentlich auch mehr der anderen und viel diskutierten Drogenzubereitungen schaffen. Denn die Zunahme an Verboten führt immer tiefer in eine repressive Gesellschaftsform hinein; vielleicht werden die Tabaknutzer tatsächlich bald zu den „neuen Junkies“, wie Günther Amendt vermutet. Eine freiere Gesellschaft bräuchte für die vielen Verlockungen die Bereitschaft zur Entwicklung vernünftiger regelmäßig an die aktuellen Umstände angepasster Konsumregeln, die nicht pauschal in Ignoranz gesellschaftlicher Realitäten mit staatlicher Autorität durchgeprügelt werden, sondern ein breites Spektrum im Feld von spirituellen Ritualen wie bei Ayahuasca, über Weindegustationen an der Mosel, schicken Whiskyverkostungen in den Städten bis zu rammelnden Techno-Festen abdecken.

 

 

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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