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Psychoaktive Substanzen Specials

Betel

Betel, Areca catechu, piper betle, Arecolin, Arecaidin

HanfBlatt, Mai 2002

Something Special

Die neue Superdroge mit eingebauter Erleuchtung, darum handelt es sich bei Betel mit Sicherheit nicht. Vielmehr haben wir es mit einem der weltweit am häufigsten genutzten psychoaktiven Genußmittel zu tuen. Mehrere hundert Millionen Menschen in Pakistan, Indien und Südostasien, von Südchina bis nach Madagaskar, von der Küste Ostafrikas (z.B. Sansibar) bis zu den Phillipinen und in die pazifische Inselwelt kauen täglich Betel. Neben Kaffee, Tee und Tabak erfreut sich Betel in diesem Teil der Welt der größten Beliebtheit.

Mit Betel ist in erster Linie die Betelnuß gemeint, der netzartig gemaserte, etwas größer als eine Muskatnuß werdende Fruchtkern einer dünnstämmigen, zwölf bis dreissig Meter hochschiessenden Palmenart (Areca catechu), die mit ihren wunderschönen feingefransten Blättern alle Klischees einer eleganten Palme erfüllt. Die bis zu acht Zentimeter langen Früchte, in deren Zentrum sich der begehrte Samen befindet, wachsen in großen unterhalb der Palmwedel herunterbaumelnden Büscheln heran und haben unreif eine dunkelgrüne, reif eine orangegelbe Farbe. Sie ähneln frischen Kokosnüssen, sind aber viel kleiner. Zierliche Betelpälmchen, gerade mal aus der ganzen Frucht gekeimt, wurden wohl wegen der äußerlichen Ähnlichkeiten bei uns sogar schon in Supermärkten unter der irreführenden Bezeichnung „Minikokos“ verkauft. Die Bezeichnung „Arekapalme“ ist ebenfalls gebräuchlich, schließt aber eine Reihe verwandter Palmarten ein. Aber nebenbei bemerkt: Es handelt sich dabei um eine hübsche Zierpflanze, aus der sich hierzulande kein Genußmittel gewinnen läßt. Als Genußmittel geeignet wären dagegen die kleinen Döschen oder Pfeifenköpfe, die in Indien aus Betelnüssen geschnitzt werden. Sie sind dafür aber doch wohl zu schade, oder!?

Als Betel bezeichnet man auch die frischen herzförmigen Blätter des Betelpfeffers (Piper betle), einer tropischen Kletterpflanze, die in denselben Regionen gezogen wird, in denen auch die Betelpalme angebaut wird. Traditionell besteht der sogenannte „Betelbissen“ aus frischen oder getrockneten und zerhackten Betelnußstückchen, die unter Zusatz von angefeuchtetem gebrannten Kalk (Löschkalk) in ein möglichst frisches (!) Betelpfefferblatt eingewickelt werden. Dabei schmeckt das Betelpfefferblatt erfrischend aromatisch und enthält ein schwach lokalanästhetisierendes und verdauungsförderndes ätherisches Öl.

Betelnüsse auf einem Markt in Battambang, Kambodscha
Betelnüsse auf einem Markt in Battambang, Kambodscha

Ein weiterer Zusatz für den frischen Betelbissen sind dunkelbraune pflanzliche Gerbstoffe, namentlich Gambir (gewonnen von Uncaria gambir, besonders in Indonesien und Malaysia) und Catechu oder Catha (von Acacia catechu, besonders in Indien gebräuchlich). Sie schmecken bitter und zusammenziehend. Möglicherweise verzögern sie die Wirkstoffaufnahme durch die Schleimhäute und verstärken manche Betelwirkungen.

Ein derartiger traditioneller Bissen ist schon allein auf Grund der Betelnuß psychoaktiv wirksam. Oft wird ihm noch kräftiger Kautabak zugefügt.

Außerdem sind Gewürze beliebt. Sie dienen (in Indien oft noch mit einem zahnpastaartigen Aroma getränkt und gezuckert) der Geschmacksverbesserung, der Verdauungsförderung und der Verschärfung des aphrodisischen Images, das der Betelbissen genießt. Zu den Gewürzen gehören Anis, Kardamon, Gewürznelken, Ingwer, Zimt, Muskatnuß, Kampfer, Kokosnuß, Fruchtstände des Betelpfeffers und viele mehr.

Auch alle möglichen bei uns als Drogen verschrienen Substanzen wurden dem Bissen bereits beigegeben: Haschisch, Opium, Stechapfelsamen usw.. Das nachträgliche Zufügen einer kleinen Prise Kokain zu gekalkten und aromatisierten Betelnußfertigbissen, wie sie von indischen Strassenhändlern in hygienische Tütchen abgepackt für wenige Pfennige in diversen Variationen erhältich sind, hat auch hierzulande (zu Wasser und in der Luft) vereinzelte Liebhaber gefunden. (Wer die erwähnten Tütchen in Indien erwirbt, sollte darauf achten, daß er keine Mischungen mit Tabak, Tabak pur oder nur aromatiserte Gewürze erwischt, die von denselben Händlern in ganz ähnlichen Verpackungen zu Pfennigbeträgen verkauft werden.) Natürlich läßt sich der Bissen ohne illegalen Zusatz risikoloser konsumieren. Betelnuß selbst unterliegt nämlich nicht dem Betäubungsmittelgesetz.

Die ganzen Nüsse oder zerhäkselte, gefärbte und aromatiserte Stückchen lassen sich bei uns in manchen asiatischen oder indischen Lebensmittelläden besorgen (und ohne weitere Zutaten konsumieren). In Indien (wo jährlich über 100 Millionen Kilogramm Betelnüsse verbraucht werden) nennt man die Betelnuß „supari“, das Betelpfefferblatt „pan“. „Pan masala“ bezeichnet eine Gewürzmischung für einen Betelbissen. Sie kann Betelnuß enthalten, muß es aber nicht. Ein indisches Urlaubsmitbringsel der besonderen Art sind die diversen silbrig kandierten Betelnußleckereien, die man sich zum Beispiel in Varanasi (Benares) zusammenstellen und in ein Blechdöschenset verpacken lassen kann. Für das Zerteilen ganzer getrockneter Nüsse gibt es spezielle Betelnußscheren. Die optisch ansprechenden kleinen Touriteile taugen allerdings nicht viel. Will man ernsthaft seine Betelnüsse selber schneiden, sollte man sich lieber für die größeren handfesten Küchenvarianten entscheiden.

Während in Indien und Thailand hauptsächlich die als vergleichsweise harmlos geltende sonnengetrocknete Nuß gekaut wird, bevorzugt man in Indonesien die stärkere frische Nuß, insbesondere die als am potentesten geltende, unreife grüne Nuß. Sie wird dort „pinang“ genannt, das Betelpfefferblatt „sirih“, die Löschkalkpaste „kapor sirih“. Die frische unreife Nuß läßt sich gut mit dem Messer schneiden, ist beim Kauen knackig und setzt schnell ihre Wirkstoffe frei. Beim Genuß eines solchen Betelbissens ohne Tabakzusatz schießt einem der sich rot färbende Speichel im Munde zusammen. Schnell baut sich ein wohligdumpfes Gefühl im Kopf auf, eine leicht benebelte Zufriedenheit, der sich der Neuling bis zur Ausgelassenheit oder Albernheit hingeben mag. Die Wirkung hält nicht allzulange an, vielleicht eine halbe bis eine Stunde deutlich. (Ein Ort, an dem so mancher seine ersten Erfahrungen mit frischem Betel gemacht hat, ist der Bauernmarkt des ansonsten sehr touristischen aber wunderbar gelegenen Künstlerdorfes Ubud auf Bali. In der zu Spaziergängen einladenden Umgebung kann man zahlreiche Betelpalmen bewundern.) In Indonesien fällt der Betelgenuß nicht so auf, wie in Indien (wo es unzählige Betelbissenverkäufer, sogenannte „pan wallas“, und z. B. entlang der Küste des Staates Karnataka große Betelpalmplantagen gibt). Er ist in den ländlichen Gebieten aber noch verbreitet. Wenn man aufmerksam hinguckt, sieht man wie bei uns Kaugummis, überall ausgespiene rotbraune Betelbissen. Betel wird nämlich nach dem Kauen nicht geschluckt, sondern ausgespuckt. In Indien kleben die Bissen überall an Wänden und auf dem Boden und man sollte sich hüten in die Flugbahn einer solchen ausgesogenen Mischung zu geraten. Allgemein läßt sich sagen, daß das Betelkauen dort auf dem Rückzug ist, wo die Moderne und das Zigarettenrauchen auf dem Vormarsch sind. In Thailand muß man schon aufmerksam über die Märkte streifen, um Stände zu entdecken, die die getrockneten Nüsse, meist für die ältere ländliche Bevölkerung, im Angebot haben.

Betelnüsse und Betelpfefferblätter sind nicht nur ein Genußmittel, sondern obendrein ein Heilmittel mit vielen Anwendungsmöglichkeiten. So wird die Betelnuß oder der ganze Betelbissen bei Zahn-, Kopf-, Bauch-, Muskel- oder Gelenkschmerzen, zum Fiebersenken, gegen schlechten Atem, gegen Durchfall, bei Hautjucken oder Insektenstichen, zur Blutstillung oder Wunddesinfektion, gegen Eingeweidewürmer und vieles mehr, innerlich oder äußerlich, ob als Pulver oder durchgekaut, eingesetzt. Deshalb ist die relativ lange haltbare getrocknete Betelnuß auch in der islamischen Welt, bis in die Türkei und nach Marokko erhältlich.

Indische Emigranten haben darüberhinaus für eine Verbreitung der Betelpalme über die afrikanische Ostküste und selbst in amerikanische Länder wie Jamaika, Trinidad, Belize und Brasilien gesorgt. Auch auf Hawaii und in Florida kann man Betelplantagen sehen.

Die Hauptwirkstoffe der Betelnuß sind die Alkaloide Arecolin und Arecaidin (sowie untergeordnet Guvacolin und Guvacin). Der Wirkstoffgehalt kann abhängig von Wuchsort, Reifegrad, Frische und anderen Faktoren um ein Mehrfaches schwanken. Er wird mit 0,15 bis über 1 % der getrockneten Nuß angegeben und soll im Mittel bei 0,4 bis 0,6 % liegen. Das Arecolin wird für die meisten körperlichen Wirkungen verantwortlich gemacht. Durch den Zusatz von gebranntem Kalk beim Kauen werden aber nicht nur die Alkaloide leichter aus der Nuß freigesetzt, sondern auch das Arecolin durch Hydrolyse zum Großteil in das stimulierende aber körperlich weniger bedenkliche Arecaidin umgewandelt. Nur ein geringer Teil der Alkaloide wird durch die Mundschleimhaut resorbiert. Der Großteil der Wirkstoffaufnahme erfolgt erst im Dünndarm. Der Zusatz des gebrannten Kalks soll übrigens auch an der Entstehung des roten Betelfarbstoffs beteiligt sein. Demnach wäre der blutrote Speichel so eine Art Qualitätsmerkmal für „Safer Betel“.

Die psychische Wirkung des Betels ähnelt der des Nikotins. Interessanterweise auch die manchmal auftretenden unangenehmen körperlichen Wirkungen, die dem Einsteiger den Genuß verleiden könnten. Dazu zählen Zittern, Schwindel, Übelkeit und Schweißausbrüche. Vor zu hohen Dosierungen ist unbedingt zu warnen. Menschen mit geschädigter Leber oder Herz-Kreislaufproblemen sollten sich in Zurückhaltung üben. Wie schon angedeutet, läßt sich durch das Kauen mit Löschkalk und die damit verbundene langsame und verträgliche Wirkstoffaufnahme der Wirkungsverlauf steuern. Betelnußpulver wird bisweilen gegessen oder Getränken, wie Kaffee oder Tee zugefügt. Diese Art der Einnahme birgt jedoch das Risiko einer zu hohen Arecolindosis. Nicht ohne Grund hat sich der Betelbissen mit dem Zusatz von gebranntem Kalk, über Jahrtausende in soziale und religiöse Riten integriert, als optimale Konsumform etabliert.

Ein softes wohliges Angeregtsein, das sich besonders bei bereits vorhandener Müdigkeit bemerkbar macht, eine Art Entspannung und leicht euphorische Stimmungsaufhellung ohne Mattigkeit gelten als charakteristische psychische Wirkungen eines Betelbissens. Es mag sich im Kopf ein Gefühl der Leichtigkeit einstellen. Die Leistungsfähigkeit für lange und anstrengende Tätigkeiten soll etwas erhöht sein. Bei höheren Dosierungen kann es zu einem Gefühl von Duseligkeit, einer etwas abgetretenen Gleichgültigkeit, einer gewissen Stumpfheit kommen. Die Handlungsfähigkeit und das Denkvermögen werden nicht sonderlich beeinflußt. Die Atmung kann bei Verengung der Atemwege intensiver erlebt werden, die Herztätigkeit verlangsamt und der Blutdruck gesenkt. Der Appetit wird reduziert. Der Speichelfluß wird durch die lokale Wirkung des Arecolins beim Kauen befördert.

Die Nuß allein schmeckt aromatisch, zusammenziehend, mit einer leichten, rauhen, ans Basische erinnernden Schärfe. Der gesamte Betelbissen betäubt vorübergehend den Geschmackssinn. Er wird nicht nur deshalb oft nach dem Essen gekaut, sondern auch weil er die Verdauung anregt.

Es läßt sich nicht leugnen, daß es zahlreiche gewohnheitsmäßige Betelkauer gibt. In den besagten Ländern erkennt man sie an den über die Jahre durch den charakteristischen Betel- und die Gerbstofffarbstoffe schließlich schwarz gefärbten Zähnen, in manchen abgelegenen Gebieten sogar ein Statussymbol. Häufig wird gleichzeitig Tabak mitgekaut. Es läßt sich daher schwer sagen, mit welcher Substanz beschriebene negative Folgen des Dauergebrauchs, wie das erhöhte Auftreten von beispielsweise Mundkrebs, in ursächlichem Zusammenhang stehen. Es wird aber vermutet, daß auch die Betelwirkstoffe schwach krebsauslösend sein können. Außerdem ist vor verschimmelten Nüssen zu warnen. In ihnen wurden karzinogene Aflatoxine festgestellt. (Dabei sollte Schimmel nicht mit dem weissen Kalkpulver verwechselt werden, mit dem die Betelnüsse ähnlich wie auch Muskatnüsse oft eingestaubt werden, um sie vor Schädlingsbefall zu schützen.) Wenn bei Dauergebrauch Probleme auftreten, dann möglicherweise in den Bereichen Mundraum oder Magen-Darm-Trakt. Ich kann nur betonen: Vorsichtiger, überlegter und gelegentlicher Gebrauch birgt nur minimale Risiken.

Betelblatt

Zur Orientierung möchte ich ein paar Daten nicht verschweigen: Eine kleine getrocknete Nuß mag vielleicht gerade mal 2 Gramm wiegen, eine große gut proportionierte Nuß aber 10 bis 15 Gramm! Ein bis zwei Gramm der geriebenen (Muskatnußreibe), zerraspelten, zerhackten oder mit der Betelschere geschnittenen Nuß wird man mit Löschkalk gekaut oder als Aufguß zubereitet schon deutlich spüren. 4 bis 6 Gramm auf einmal sollten gegessen oder getrunken auf keinen Fall überschritten werden. Es wird nur vorsichtig höherdosiert, zumal Betel ein Genußmittel ist und sich die erwünschten psychischen Wirkungen durch hohe Dosierung nur unwesentlich steigern lassen, dafür aber unangenehme körperliche Erscheinungen die Erfahrung dominieren.

Sollte man (z.B. in Indonesien) die Gelegenheit bekommen, die frische Nuß zu kauen, so nimmt man ein Zehntel bis ein Achtel des knackigen Nußkerns (nicht die weisse zähfaserige Hülle mitkauen!) und wickelt diese mit einer kleinen Messerspitze der ätzenden Paste aus mit Wasser angerührtem gebrannten Kalk (oder Calciumhydroxid aus der Apotheke) in ein bis drei möglichst frische und saubere (!) grüne Betelpfefferblätter ein und kaut das Ganze langsam durch. (Zu den weiteren Zutaten siehe oben.) In Indien packt man sich meist erst die getrockneten Betelnußschnipsel, dann ein frisches Betelpfefferblatt, mit Kalkpaste bestrichen und Gewürzen bestreut, in die Backe und kaut darauf herum. Den beim Kauen reichlich entstehenden Speichel schluckt man übrigens (soweit möglich) runter. Den ausgekauten Bissen spuckt man auf jeden Fall aus.

Betel hat hier durchaus schon Freunde gefunden. Meist wird allerdings auf ein paar aromatisierten Schnipseln aus dem Asia-Shop rumgekaut. (Betelkaugummis könnten bei uns, marktorientiert betrachtet, erfolgversprechend sein.) Betel ist ein weiterer Beleg für das allen Menschen innewohnende Bedürfnis, seine psychische Befindlichkeit mit Genußmitteln zu manipulieren und das Leben damit zu erleichtern und zu bereichern. Einmal mehr wird die Absurdität und Unmenschlichkeit des „Antidrogenkrieges“ deutlich.

 

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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